Vier Grundmodelle der europäischen Integration – und ein ... · Gemeinsame Außen- und...

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Vier Grundmodelle der europäischen Integration – und ein Gegenbild In der Diskussion um die künftige Entwicklung Europas stehen sich häufig klar definierte Positionen gegenüber , die vier Grundrichtungen zugeordnet werden können: Modell „Europäischer Bundesstaat“: Föderales Konzept mit handlungsfähigen und demokratisch legitimierten Institutionen. Grundlage ist eine geschriebene Verfassung mit einer Zusammenstellung der gemeinsamen Grundwerte. Unterstützt wurde und wird dieses Konzept vor allem von Politikerinnen und Politikern aus Deutschland, Belgien, den Niederlanden und aus Luxemburg. Seit dem Beitritt 1995 tritt auch Österreich für dieses Konzept ein. Hauptkritikpunkt an dem Modell ist der Machtverlust der Mitgliedstaaten, der zur Folge hätte, dass diese nicht mehr über wichtige politische Fragen entscheiden könnten. Modell „Staatenbund“: Dieses Konzept wurde und wird vor allem von Vertretern Großbritanniens, Skandinaviens und aus Mittel- und Osteuropa unterstützt. Es ist gekennzeichnet durch eine beherrschende Stellung der Regierungen der Mitgliedstaaten. Im Vordergrund steht das Bemühen dieser Regierungen, gemeinsame Probleme zwar gemeinsam zu lösen, aber das Letztentscheidungsrecht nicht aus der Hand zu geben. Die Zusammenarbeit ist durch schwerfällige Verfahren gekennzeichnet, da es keine Mehrheitsentscheidungen gibt. Parlamente spielen in diesem Modell nur eine untergeordnete Rolle. Modell „Europa der Regionen“: Zentral ist hierbei das Vorhandensein von starken Regionen, die als dritte Ebene an der Entscheidungsfindung mitwirken. Als Vorteil dieses Modells wird die Bürgernähe genannt. Unterstützt wird das Modell von Regionalvertretungen sowie zurückhaltender von Politikerinnen und Politikern aus Staaten mit föderalen Strukturen (Belgien, Deutschland, Österreich). Von den Gegnerinnen und Gegnern wird auf die Gefahr der Zersplitterung und der Lähmung des Entscheidungsprozesses durch allzu viele Beteiligte hingewiesen. Modell „Differenzierte Integration“: Dieses Modell ist gekennzeichnet durch mehrere, sich teilweise oder vollständig überlagernde Zusammenschlüsse unterschiedlich ausgeprägter Integrationsdichte, die sich um einen föderalen Kern gruppieren. Dieses Modell wird häufig als ein möglicher Ausweg genannt, wenn einzelne zögernde Staaten nicht zu weiteren Integrationsschritten bereit sind. Kritisiert werden allerdings die sehr komplizierten Strukturen durch das Nebeneinander verschiedener Gruppierungen, die jeweils über unterschiedliche Institutionen und Verfahren verfügen. Gegenbild „Festung Europa“: Dieses Gegenbild zu den eher positiv besetzten vorstehend beschriebenen Leitbildern zielt auf die verschärften Kontrollen an den Außengrenzen der EU, Diskussionen über die Wiedereinführung von Grenzkontrollen innerhalb der EU – etwa zwischen Dänemark und Deutschland – sowie auf die restriktive Einwanderungs- und Asylpolitik der EU-Staaten ab. In der politischen Praxis kommen diese Modelle in einer reinen Ausprägung nicht vor. Dennoch ist die Kenntnis dieser Modelle wichtig für eine Bestimmung der erreichten Integrationsdichte und der europäischen Zielperspektiven. Otto Schmuck

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Vier Grundmodelle der europäischen Integration – und ein Gegenbild In der Diskussion um die künftige Entwicklung Europas stehen sich häufig klar definierte Positionen gegenüber , die vier Grundrichtungen zugeordnet werden können: Modell „Europäischer Bundesstaat“: Föderales Konzept mit handlungsfähigen und demokratisch legitimierten Institutionen. Grundlage ist eine geschriebene Verfassung mit einer Zusammenstellung der gemeinsamen Grundwerte. Unterstützt wurde und wird dieses Konzept vor allem von Politikerinnen und Politikern aus Deutschland, Belgien, den Niederlanden und aus Luxemburg. Seit dem Beitritt 1995 tritt auch Österreich für dieses Konzept ein. Hauptkritikpunkt an dem Modell ist der Machtverlust der Mitgliedstaaten, der zur Folge hätte, dass diese nicht mehr über wichtige politische Fragen entscheiden könnten. Modell „Staatenbund“: Dieses Konzept wurde und wird vor allem von Vertretern Großbritanniens, Skandinaviens und aus Mittel- und Osteuropa unterstützt. Es ist gekennzeichnet durch eine beherrschende Stellung der Regierungen der Mitgliedstaaten. Im Vordergrund steht das Bemühen dieser Regierungen, gemeinsame Probleme zwar gemeinsam zu lösen, aber das Letztentscheidungsrecht nicht aus der Hand zu geben. Die Zusammenarbeit ist durch schwerfällige Verfahren gekennzeichnet, da es keine Mehrheitsentscheidungen gibt. Parlamente spielen in diesem Modell nur eine untergeordnete Rolle. Modell „Europa der Regionen“: Zentral ist hierbei das Vorhandensein von starken Regionen, die als dritte Ebene an der Entscheidungsfindung mitwirken. Als Vorteil dieses Modells wird die Bürgernähe genannt. Unterstützt wird das Modell von Regionalvertretungen sowie zurückhaltender von Politikerinnen und Politikern aus Staaten mit föderalen Strukturen (Belgien, Deutschland, Österreich). Von den Gegnerinnen und Gegnern wird auf die Gefahr der Zersplitterung und der Lähmung des Entscheidungsprozesses durch allzu viele Beteiligte hingewiesen. Modell „Differenzierte Integration“: Dieses Modell ist gekennzeichnet durch mehrere, sich teilweise oder vollständig überlagernde Zusammenschlüsse unterschiedlich ausgeprägter Integrationsdichte, die sich um einen föderalen Kern gruppieren. Dieses Modell wird häufig als ein möglicher Ausweg genannt, wenn einzelne zögernde Staaten nicht zu weiteren Integrationsschritten bereit sind. Kritisiert werden allerdings die sehr komplizierten Strukturen durch das Nebeneinander verschiedener Gruppierungen, die jeweils über unterschiedliche Institutionen und Verfahren verfügen.

Gegenbild „Festung Europa“: Dieses Gegenbild zu den eher positiv besetzten vorstehend beschriebenen Leitbildern zielt auf die verschärften Kontrollen an den Außengrenzen der EU, Diskussionen über die Wiedereinführung von Grenzkontrollen innerhalb der EU – etwa zwischen Dänemark und Deutschland – sowie auf die restriktive Einwanderungs- und Asylpolitik der EU-Staaten ab.

In der politischen Praxis kommen diese Modelle in einer reinen Ausprägung nicht vor. Dennoch ist die Kenntnis dieser Modelle wichtig für eine Bestimmung der erreichten Integrationsdichte und der europäischen Zielperspektiven. Otto Schmuck

„Festung Europa“ als Gegenbild

Neben diesen zumeist positiv besetzten Leitbildern der europäischen Einigung wird in der Diskussion um die Zukunft Europas häufiger auch auf das Gegenbild der „Festung Europa“ Bezug genommen. Dabei wird unterstellt, dass sich die innerhalb der Grenzen Europas lebenden Menschen in einer „Insel der Glückseligkeit“ von Sicherheit und Wohlstand befinden, während draußen Armut herrscht und ein „Kampf ums Überleben“ stattfindet. Aus dieser Perspektive scheint es unabdingbar, dass sich die EU vor einem unkontrollierten Zuzug von Zuwanderern durch die Errichtung von Grenzanlagen und durch strenge Kontrollen an den Außengrenzen schützen muss. Dabei wird häufig auf aktuelle Fernsehbilder von ankommenden Flüchtlingen auf der italienischen Insel Lampedusa, auf Malta oder auch im griechischen Grenzgebiet zur Türkei verwiesen. Ein derartiges Leitbild „Festung Europa“ gilt allerdings aus vielerlei Gründen weder als eine realistische noch als eine erstrebenswerte Alternative für die Zukunft des Kontinents. Kritikerinnen und Kritiker weisen zum einen darauf hin, dass es auch durch strenge Maßnahmen kaum gelingen wird, den unkontrollierten Zuzug von Umzugswilligen wirksam zu stoppen. Zum anderen könne eine Abschottung vor der Außenwelt im Zeitalter der Globalisierung kein realistischer Weg sein. Nicht zuletzt sei die EU aufgrund des demografischen Wandels, der sich in einer rasch überalternden Bevölkerung und einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung abzeichnet, zu einem gewissen Grad auf Zuwanderung angewiesen. Zweckmäßiger sei es daher, mit den außer- und osteuropäischen Staaten in einer guten Nachbarschaft zu leben und aktiv dazu beizutragen, dass dort, wo die Menschen leben, keine Notwendigkeit besteht, das eigene Land zu verlassen. Die Politik der EU ist in vielerlei Hinsicht darauf ausgerichtet, diese Ziele zu erreichen: Seit vielen Jahren betreibt die EU eine aktive Nachbarschaftspolitik, die den Schwerpunkt in einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Staaten in Osteuropa und in Nordafrika setzt (siehe S. 53 f.).Die Entwicklungspolitik der EU ist neben anderem darauf gerichtet, die Lebenssituation der Menschen in den Partnerstaaten zu verbessern, um ihnen dort ein menschwürdiges Leben zu ermöglichen (siehe S. 52 f.). Vorrangiges Ziel der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU ist es zudem, Bürgerkriege und andere kriegerische Auseinandersetzungen zu verhindern und die Lebenssituation der Menschen vor Ort durch humanitäre Aktionen zu verbessern (siehe S. 54 ff.).

All diese Aktivitäten sollen dazu beitragen, dass die EU nicht zu einer „Festung Europa“ wird oder sogar werden muss, sondern eine positive Rolle als „Partner Europa“ einnehmen kann.

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)

Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ist ein relativ junges Projekt der EU. Nach ihrer Gründung überließ man das Feld der klassischen Außen- und Sicherheitspolitik zunächst den einzelnen Staaten beziehungsweise der Nato. Zu groß schienen die Vorbehalte gegenüber einem gemeinsamen Vorgehen in den sensibelsten Bereichen der nationalen Souveränität; zu wenig aussichtsreich die Chance, einen gemeinsamen Nenner zu zentralen Fragen der internationalen Politik zu finden. Spätestens die erste Ölkrise im Herbst 1973 führte den Europäern dann ihre wirtschaftliche und politische Abhängigkeit von globalen Entwicklungen vor Augen und zwang sie zu ersten abgestimmten Schritten einer europäischen Nahostpolitik. Das bereits 1970 eingerichtete Verfahren der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ), der Vorläufer der heutigen GASP, wurde weiter ausgebaut. Bei der EPZ handelte es sich um einen sehr bescheidenen Ansatz zur Koordinierung nationaler Standpunkte – ohne vertragliche Grundlage und ohne Beteiligung von Rat, Kommission und Parlament. Beschlüsse kamen nur zustande, wenn alle Regierungen zustimmten, und die Umsetzung lag in den Händen einer alle sechs Monate wechselnden Präsidentschaft. Mängel im internen Management und eine schlechte Außendarstellung führten allmählich zu einer Verfeinerung der Strukturen, Verfahren und Instrumente. Mit dem Vertrag von Maastricht 1992 wurde die EPZ in Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik umbenannt und als dritte Säule der EU neben den Europäischen Gemeinschaften und der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit etabliert. Diese beruhte zwar weiterhin auf der Zustimmung aller Mitgliedstaaten, doch anders als zuvor galten die Beschlüsse nun für alle Staaten verbindlich. Im Laufe der 1990er-Jahre wurde die GASP mit den Verträgen von Amsterdam und Nizza thematisch und institutionell ausgeweitet.

Vergleichsweise neue Bedrohungen wie der internationale Terrorismus seit dem 11. September 2001, die Politik autoritärer Regime wie dem Irak oder die durch das Ende des Ost-West-Konflikts in den 1990er-Jahren entfachten Krisenherde in der europäischen Nachbarschaft – insbesondere auf dem Westlichen Balkan – untermauerten die Notwendigkeit eines aufeinander abgestimmten europäischen Vorgehens. Trotz der wachsenden Erkenntnis, dass die Mitgliedstaaten auf der internationalen Bühne mehr Einfluss nehmen können, wenn sie gemeinsam agieren, kam es dennoch zu Rückschlägen – etwa das Auseinanderfallen der Europäer im Irakkrieg 2003 und beim Internationalen Militäreinsatz in Libyen 2011. Mit einer aktiven und erfolgreichen Vermittlerrolle in der Georgienkrise 2008 bewies die EU umgekehrt ihre Fähigkeit zu kollektivem Handeln. Dabei behauptete sie ihre Position gegenüber Russland und lieferte einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Friedens. Mehr denn je verstehen sich die Europäer heute als eine „Triebkraft“ des internationalen Geschehens. Sie lassen sich maßgeblich vom Erfolg ihres eigenen Integrationsmodells leiten, das auf einen friedlichen Interessensausgleich, die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie auf den Schutz der Menschenrechte setzt. Dabei kann es in der Praxis durchaus zu Meinungsverschiedenheiten über die Prioritätensetzung und die Wahl der Mittel kommen, wenngleich die Europäer heute selbst vor Militäreinsätzen nicht mehr zurückschrecken. Ihr Versagen auf dem Westlichen Balkan Mitte der 1990er-Jahre gab – neben einer Kehrtwende in der britischen Politik ab 1998 – den Anstoß zu einem bedeutsamen Ausbau der GASP im Verteidigungsbereich. So wurde ein komplexes System institutioneller Formen und Verfahren des zivilen und militärischen Krisenmanagements geschaffen, das zunächst unter dem Kürzel ESVP (Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik) bekannt, dann mit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags 2009 in Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) umbenannt wurde.Über den Erfolg oder Misserfolg der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik entscheiden mehrere Faktoren: Der wichtigste ist der politische Wille der beteiligten Regierungen,die kollektiven Interessen über nationale Belange zu stellen und entsprechend zu handeln. Zweitens bedarf es geeigneter Institutionen, Entscheidungsverfahren und Instrumente für eine einheitliche und effiziente europäische Außenpolitik.Drittens ist jede noch so geschlossene Anstrengung der EU-27 zum Scheitern verurteilt, wenn die Adressaten der GASP das europäische Anliegen als unerwünscht oder nicht angemessen zurückweisen. Die Reaktionen Chinas, aus dem Nahen Osten oder Zentralasien auf die europäische Kritik an der dortigen Menschenrechtslage sind hierfür ebenso ein Beleg wie die häufig ablehnende Haltung Israels zu europäischen Vermittlungsbemühungen im Nahost-Friedensprozess. Bedingt durch eine beschleunigte Globalisierung bündelt die EU ihre politischen, wirtschaftlichen und im Extremfall auch militärischen Ressourcen mit anderen wichtigen „Einflussgrößen“ wie den Vereinigten Staaten oder Russland sowie im multilateralen Rahmen mit den Vereinten Nationen. Dies gilt für die Problematik eines

möglichen iranischen Atomwaffenprogramms ebenso wie für die Befriedung Afghanistans oder die politische Neuordnung in Nordafrika und im Nahen Osten. Organisationsgrundlagen der GASP Die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist und bleibt die Domäne der nationalen Regierungen. Sie bestimmen die „Spielregeln“, kontrollieren sich selbst und achten auf die Einhaltung vereinbarter Vorgaben. Die Europäische Kommission verharrt hingegen ebenso häufig in einer Beobachterrolle wie das Europäische Parlament, das sich gewisse Informations- und Anhörungsrechte über Jahre erkämpfen musste. Wohl und Wehe der GASP hängt von der Fähigkeit der Mitgliedstaaten ab, in einer dem Thema angemessenen Zeit zu einer Meinungsbildung zu kommen und die vereinbarte Politik konkret und nach außen sichtbar umzusetzen. Dieser Prozess unterliegt der Einstimmigkeit, auch wenn der Vertrag in Einzelfällen die Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen eröffnet. Gerade bei „sensiblen“ Themen der Außen- und Sicherheitspolitik gilt letzteres jedoch nach wie vor als unangemessen.Bei der ständig gewachsenen Mitgliederzahl könnte man mutmaßen, dass in einem Kreis von 27 Parteien die Meinungsbildung heute weniger schnell und konfliktträchtiger vonstatten geht als früher. Doch ein Blick auf die Ergebnisse, die die GASP täglich „produziert“, stützt diese Vermutung nicht. Der permanente Informations- und Meinungsaustausch der an der GASP beteiligten Außenministerien und ihrer politischen Spitzen erzeugt einen sogenannten Konzertierungsreflex, das heißt, dass die Meinungen anderer Partner vor der eigenen Positionsbestimmung berücksichtigt und in die eigene Entscheidungsfindung mit einbezogen werden.Wenn allerdings bereits im Vorfeld der Beratungen Festlegungen auf nationaler Ebene erfolgt sind oder wenn es um die Kernfrage von Krieg und Frieden geht, stößt das GASP-System an seine Grenzen. Der EU-Rahmen wird dann als „Zwangsjacke“ empfunden, und Alleingänge erscheinen aus innen- oder außenpolitischen Gründen als attraktiver (etwa im Fall der deutschen Enthaltung im UN-Sicherheitsrat bei der Resolution 1973 zum Militäreinsatz in Libyen 2011). Unter solchen Bedingungen wird eine Konsensfindung schwierig. Gleiches gilt für Fälle, in denen meist große Mitgliedstaaten in kleineren Zirkeln Vorabsprachen treffen, die dann den Übrigen als gemeinsame Position „aufgezwungen“ werden. Zumindestempfinden die Nichtteilnehmer dies so. Dies traf zuweilen für die europäische Politik auf dem Westlichen Balkan und gegenüber dem Iran zu, wobei die Vorreiterrolle der EU-3 (Frankreich,Großbritannien, Deutschland) im letztgenannten Fall mittlerweile anerkannte Praxis ist.

Außenpolitische Instrumente und Ressourcen

Wie die klassische Außenpolitik bedient sich auch die GASP der bekannten diplomatischen Instrumente. Mit einer regen Reisediplomatie in Krisengebiete und entsprechenden Vermittlungsbemühungen versucht die EU über den Hohen Vertreter und die derzeit acht (Stand: Februar 2012) Sonderbeauftragten Einfluss auf das

Geschehen zu nehmen. Als eine der prominentesten und erfolgreichsten Aktionen kann wie erwähnt das Krisenmanagement unter französischer Präsidentschaft im Georgienkrieg 2008 gelten. Aber auch die jahrelange Beteiligung des Hohen Vertreters Javier Solana an der Staatswerdung von Montenegro und Mazedonien gelten als wichtige Verhandlungserfolge für die GASP.Die vor der breiten Öffentlichkeit bewusst „verborgene“ diplomatische Einflussnahme auf das Verhalten einer fremden Regierung mit dem Ziel, in einem konkreten Fall eine Veränderung herbeizuführen (Demarchenpolitik), ist ein täglich intensiv genutztes Instrument in der GASP, um auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen. Ebenso bedeutsam ist die europäische Deklarationspolitik: Die öffentliche Verurteilung der politischen Lage in einem Land, sei es Simbabwe oder Weißrussland, mag für EU-Bürgerinnen und -Bürger nur bedingt von Belang sein. Für die Adressaten der GASP hat die Frage, ob sich die EU mit ihrem Anliegen solidarisiert oder dagegen ausspricht, allerdings ein ganz anderes Gewicht. Zu Recht verweisen kritische Stimmen darauf, dass Deklarationen umso wirkungsvoller werden, wenn sie mit konkreten „Taten“ untermauert werden. Die EU bevorzugt hierbei eine positive Angebots- und Hilfspolitik, wobei diese an bestimmte Bedingungen geknüpft sein kann (Konditionalität), während eine negative Sanktionspolitik (wie Handelsbeschränkungen,Einreiseverbote, Einfrieren von Vermögen) zuweilen als weniger erfolgversprechend gilt. Nur in Einzelfällen greift die EU auch auf Sanktionen zurück, etwa im Rahmen der Maßnahmen zur Beendigung der Regime in Nordafrika, Syrien und des Atomprogramms im Iran 2011. Ein anderes Beispiel einer aktiv-gestaltenden europäischen Außenpolitik ist die seit den 1990er-Jahren beständig ausgebaute und bereits in 40 Fällen praktizierte EU-Wahlbeobachtung – sei es in Südafrika, Russland, in den Palästinensischen Autonomiegebieten, in Afghanistan oder in Tunesien und Ägypten.Die sicherlich anspruchsvollste Variante einer sichtbaren und konkreten GASP-Politik „vor Ort“ ist das zivile und militärische Krisenmanagement der EU. In insgesamt etwa zwei Dutzend Operationen, vorrangig auf dem Westlichen Balkan,in Afrika und vor der Küste Somalias, aber auch in Afghanistan oder Indonesien sowie in der europäischen Nachbarschaft (Georgien, Moldawien/Ukraine), haben sich die EU-Länder gemeinsam engagiert, um die Lage zu befrieden. Nicht immer waren diese Missionen uneingeschränkt erfolgreich. So zeigten sich Mängel bei der EU-internen Koordination in Brüssel sowie bei der Bereitstellung und dem Einsatz der notwendigen zivilen, militärischen oder auch finanziellen Ressourcen durch die Mitgliedstaaten. Doch insgesamt betrachtet wird man dem Urteil des früheren Hohen Vertreters für die GASP Javier Solana beipflichten können, der den rasanten Ausbau der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ab 1999 und der GSVP-Einsätze ab 2003 mit dem Begriff der „Lichtgeschwindigkeit“ umschrieb.

„Gesichter“ der GASP

Profil und Glaubwürdigkeit einer Außenpolitik lassen sich sowohl an Inhalten wie an

den handelnden Personen festmachen. Der Ruf des früheren US-amerikanischen Außenministers Henry Kissinger nach der (nicht vorhandenen) Telefonnummer seines europäischen Kollegen wurde oft und gern bemüht, um das fehlende „Gesicht“ der europäischen Außenpolitik zu versinnbildlichen. Mit der Ernennung des früheren Nato-Generalsekretärs und spanischen Außenministers Javier Solana zum ersten Hohen Vertreter für die GASP im Jahr 1999 wurde der europäischen „Stimme“ erstmals dieses dauerhafte „Gesicht“ verliehen. Javier Solana gelang es GASP-intern wie gegenüber Dritten und der europäischen Öffentlichkeit, Vertrauen zu schaffen und maßgeblich das Profil der GASP zu schärfen – etwa bei der Befriedung Mazedoniens,in Bosnien-Herzegowina, im „Nahost-Quartett“ oder bei der Definition einer Europäischen Sicherheitsstrategie (2003). Er konnte dies allerdings nicht im Alleingang, denn die EU-Länder hatten den Hohen Vertreter nur als „Zuarbeiter“ für die Präsidentschaft konzipiert. Solana musste sich daher eng mit den Verantwortlichen des jeweiligen Vorsitzes absprechen.Erst mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wurde diese Konstellation einem grundlegenden Wandel unterworfen.Dieser Wandel wird am sichtbarsten in der neuen Funktion des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik. War noch im Verfassungsvertrag von 2004 ein „europäidie dort vorhandenen Finanzmittel. Zudem trägt er innerhalb der Europäischen Kommission die Hauptverantwortung für die interne Koordinierung bei Fragen zum externen Handeln der Union. scher Außenminister“ vorgesehen, bekam das Amt wegen der gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden 2005 und neuer Bedenken bei einigen Mitgliedsländern über die Reichweite der EU-Reform schließlich einen bescheideneren Namen. Die Befugnisse des Hohen Vertreters wurden indes nicht geschmälert. Die zweifellos sehr anspruchsvolle Position ist von einer anderen Qualität als bisher. Denn anstelle der rotierenden Präsidentschaft ist der Hohe Vertreter jetzt alleiniger Sprecher für die GASP und übernimmt zugleich in Form eines „Doppelhutes“ die Funktionen des bisherigen Außenkommissars mit. Mit seiner Verankerung als Vizepräsident der Europäischen Kommission eröffnet sich dem neuen Hohen Vertreter erstmals ein direkter Zugriff auf die Expertise der für die auswärtigen Beziehungen der EU relevanten Kommissionsbeamten und – vielleicht noch wichtiger – auf

Die von den Staats- und Regierungschefs zum 1. Dezember 2009 als erste Hohe Vertreterin der Union für Außen-und Sicherheitspolitik ernannte Britin Catherine Ashton,eine außenpolitisch unerfahrene und mit einer einjährigen Amtszeit als Kommissarin für Handelspolitik in EU-Angelegenheiten nur bedingt ausgewiesene Persönlichkeit,muss ihren „Platz“ sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene erst noch finden. In Brüssel steht sie in unmittelbarer Konkurrenz zu dem parallel installierten Präsidenten des Europäischen Rates Herman Van Rompuy, der ebenfalls GASP-Außenkontakte wahrnimmt. In der Kommission hat sich Frau Ashton gegenüber einem außenpolitisch interessierten und seine eigene Machtposition stärkenden Kommissionspräsidenten José Manuel Barrosozu behaupten. Im Rat für

Auswärtige Angelegenheiten, dem sie vorsitzt, nehmen schließlich die Außenminister ihr Tun kritisch unter die Lupe.

Europäischer Auswärtiger Dienst (EAD)

Damit die Hohe Vertreterin der Fülle an Aufgaben gerecht werden kann, steht ihr ein Europäischer Auswärtiger Dienst(EAD) zur Seite. Über seine Größe und personelle Zusammensetzung, sein Aufgabenspektrum und seine Finanzierung wurde zwischen den Mitgliedstaaten, der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament, die alle in verschiedener Funktion an seiner Ausgestaltung mitzuwirken haben, heftig gestritten. So musste sich Catherine Ashton zu Beginn ihrer fünfjährigen Amtszeit der Debatte über die Gestalt des EAD stellen und sich um den Aufbau ihres eigenen Apparates kümmern – zu Lasten der inhaltlichen Politikgestaltung.

Nach einjähriger Diskussionsphase nahm der EAD am 1. Dezember 2010 offiziell mit etwa 1600 Bediensteten seine Arbeit auf, ohne allerdings bereits alle wichtigen Posten besetzt zu haben, ohne über eine ausreichende gemeinsame technische Infrastruktur oder über ein eigenes Gebäude zu verfügen. Bei der Besetzung der Spitzenämter des EAD galt es, die hochsensible Balance zwischen Beamten der Europäischen Kommission (ein Drittel), Beamten des Generalsekretariats des Rates (den bisherigen GASP-Spezialisten in Brüssel, ebenfalls ein Drittel) und Diplomaten der 27 EU-Mitgliedstaaten (das letzte Drittel) zu wahren. Als besonders problematisch erwies sich die mit dem Lissabon-Vertrag vereinbarte Aufwertung der Außenvertretung der EU. So werden die in mehr als 130 Ländern vorhandenen EU-Delegationen von den Botschaften der Mitgliedsländer mit Misstrauen beäugt und als Konkurrenten „ihrer“ traditionellen Aufgaben empfunden. Und auch in den europäischen Hauptstädten scheint man den EU-Botschaften mit einiger Skepsis zu begegnen. So wird es vermutlich noch einige Zeit dauern, bis sich ein „Wir-Gefühl“ im EAD entwickelt und die mit den Neuerungen erhoffte inhaltliche wie nach außen wirkende Geschlossenheit einer europäischen Außen- und Sicherheitspolitik zum Tragen kommt.

Ausblick

Nach gut zwei Jahren Erfahrung mit „Lissabon“ scheint es, als ob sich bei manchen GASP-Beteiligten nun die Erkenntnis breit macht, dass die neuen Strukturen in Brüssel die bisherige Einflussnahme der Mitgliedstaaten auf das tägliche GASP-Geschehen mindern. Zugleich herrscht in einigen europäischen Hauptstädten eine große Unzufriedenheit über die bisherige Arbeit und das Auftreten der Hohen Vertreterin gepaart mit Ernüchterung und Enttäuschung über den erhofften Mehrwert der „neuen“GASP. Dies führt dazu, dass Gegenstrategien entwickelt werden,die im Extremfall eine Renationalisierung befördern und damit das gesamte System der GASP auf Dauer in Frage stellen könnten. Solange die Bildung von

Kerngruppen (etwa das deutschfranzösische Tandem; die EU-3 mit Frankreich, Großbritannien, Deutschland; das Weimarer Dreieck mit Frankreich, Deutschland, Polen oder die deutsch-schwedische Initiative zur europäischen Verteidigungspolitik) dazu dient, Vorabsprachen zu treffen, um die Konsensfähigkeit der 27 Mitgliedstaaten zu erleichtern, wirken sie als eine wichtige Mittlerinstanz. Nationale Alleingänge wie sie 2011 besonders in der Politik einiger EU-Länder gegenüber den Umbrüchen in der arabischen Welt sichtbar wurden und bilaterale Initiativen wie die französisch-britischen Absprachen zu Themen der GASP im Jahr 2010 dürften hingegen Spuren in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik hinterlassen haben und deren Bedeutung mittelfristig relativieren. Zudem mindert die sich seit 2010/2011 dramatisch verschärfende Krise in der Eurozone nicht nur die Aufmerksamkeit der Verantwortlichen für außenpolitische Belange. Wenn dort nicht wieder Ruhe und Stabilität einkehrt, wird die Glaubwürdigkeit der GASP einer harten Prüfung unterzogen werden.

EUG nicht für GASP zuständigEUG überwacht nur deren Kompetenzüberschreitungen, wenn jemand klagtArt. 31 EUV keine Gesetzgebung durch GASPGASP war deutsche Initiative, wird als deutsches Projekt gesehenBSP: Flüchtlingszahlen in den EU-Ländern durch Drittstaatenregelung verändert, Festung Europa entsteht, Außengrenzen verschoben, FrontexHaager Programm: 2004-2010 Leitlinien für gem. Asylsystem

Festung EuropaDie Abschottung der Europäischen Union

Die Militarisierung der Europäischen Union findet ihren Ausdruck nicht zuletzt in der militärisch-polizeilichen Abschottung der Außengrenzen, an denen Jahr für Jahr tausende ImmigrantInnen den Tod finden. An den Außengrenzen werden militärische Maßnahmen ergriffen, um "Eindringlinge" direkt an der Grenze abzufangen und sie möglichst schnell und geräuschlos wieder in ihre Herkunftsländer oder bedenkliche Drittstaaten abzuschieben. Gleichzeitig werden innerhalb der Staaten die gesetzlichen Grundlagen geschaffen, um AsylwerberInnen zu kriminalisieren, Asylverfahren zu erschweren, die Schubhaft auszuweiten und Abschiebungen zu vereinfachen. Die Festung Europa entsteht sozusagen an der Schnittstelle von Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Militär. Das heißt, dass versucht wird, mit der Hilfe der Medien unter der Bevölkerung Angst und Fremdenhass zu schüren, um eine Basis für das politische Handeln der Staaten zu schaffen. Dadurch wird dem Prozess der Militarisierung der Weg geebnet und die Legitimation menschenfeindlicher Asylgesetze wird vereinfacht. Die neoliberalistische Wirtschaft unterstützt dieses System einerseits wegen des unmittelbaren Profits durch Aufrüstung etc. und andererseits, weil globale wirtschaftliche Ungleichheiten die Globalisierung am Leben erhalten.

Der Ausbau der Festung

Ende des Jahres 2004 vereinbarte die Europäische Union Maßnahmen, um die "Festung Europa", die bereits 1992 durch die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und 2000 in Nizza durch die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) zementiert worden war, auszubauen. Die Grenzen sollten noch unüberwindbarer für MigrantInnen und Asylwerber werden.

Die Rolle der ESVP

In der ESVP ist neben den militärischen Zielen auch ein ziviler Bereich verankert. Im Zuge dessen ist in einem Entwicklungsplan, der bis 2008 vollzogen werden soll, vor allem ein Schwerpunkt auf die finanzielle Unterstützung und Entwicklung von Polizeiapparat und Rechtsstaat festzustellen. Bei einem Treffen in Luxemburg 2004 legten die MinisterInnen der 25 EU-Staaten die Grundlage für ein gemeinsames Asylsystem, eine EU-Grenzschutztruppe, die Einführung biometrischer Daten in Pässen und Visa sowie den stärkeren Austausch von Informationen zwischen Polizeikräften und Geheimdiensten.

Die Maßnahmen für die Abschottung

Die Maßnahmen sind im sogenannten Haager Programm, einem Fünf-Jahres-Plan für Europa als "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" festgeschrieben worden. Nach einem flüchtigen Hinweis auf die Notwendigkeit, "Schutz in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewähren", handeln die wichtigsten Vorschläge fast ausschließlich davon, wie dem Staat mehr Rechte eingeräumt werden, und nicht davon, wie die des Individuums zu erweitern wären. Unter anderem wurde vereinbart:Ein gemeinsames Asylverfahren und ein einheitlicher Status für diejenigen, denen Asyl gewährt wurde. Die Sicherstellung einer effektiven Abschiebe- und Rückführungspolitik.Ein integriertes Managementsystem zum Schutz der äußeren Grenzen und die Stärkung der Kontrollen an den EU-Außengrenzen.Die Einführung biometrischer Daten in Reisedokumenten, Visen, Aufenthaltsgenehmigungen und Pässen im EU-Visainformationssystem (VIS).Die Intensivierung der praktischen Zusammenarbeit zwischen Polizei- und Zollbehörden der Mitgliedsstaaten sowie mit Europol.

Die Sicherung der Festung nach außen

Der erste Schritt in diesem Ausbau der Festung ist, die Grenzen der Festung Europa zu verstärken. Dies wird vor allem bei den neuen Mitgliedsländern im Osten forciert, da diese Länder an Nicht-EU-Staaten grenzen. Das Haager Programm drängt auf verstärkte politisch-militärische Koordination an den Süd- und Ostgrenzen, um diese Länder an der Außengrenze "in die Lage zu versetzen, die Migration besser handhaben und adäquaten Schutz für die Flüchtlinge bereitstellen zu können." Mit anderen Worten: Die reicheren Nationen West- und Nordeuropas wollen in den neu aufgenommenen Ländern mehr Grenztruppen, die sogenannte "illegale ImmigrantInnen" zurückweisen können. Die Regierungen in Warschau (Polen), Budapest (Ungarn), Ljubljana (Slowenien), Bratislava (Slowakei), Talin (Estland), Riga (Litauen) und Vilnius (Lettland) sind damit beauftragt, die neuen Grenzen der Europäischen Union zu verteidigen. Im Mittelmeerraum steht Valetta (Malta) seit Mai 2004 neben Spanien und Italien in der Frontlinie gegen diejenigen, die versuchen, die EU von Afrika aus zu erreichen.Das Dokument fordert weiters ein "integriertes Managementsystem für die Außengrenzen, die Verstärkung der Kontrollen sowie die Überwachung der Außengrenzen der Union". Den neuen Mitgliedern sollen Kapital, ExpertInnen und Ausrüstung zur Verfügung gestellt werden, um sicherzustellen, dass die Außengrenzen der EU so undurchdringlich wie möglich gemacht werden.Kritik am Haager ProgrammIn einem offenen Brief kritisiert auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International das Haager Programm, weil es "einseitig den 'Sicherheitsaspekt' zu Lasten der Elemente 'Recht' und 'Freiheit'" betone: "Die Tatsache, dass es bei Asyl in erster Linie um ein Menschenrecht geht, scheint bei all den Diskussionen über den

Umgang mit Einwanderung vergessen worden zu sein." Das Arbeitsprogramm der EU auf den Gebieten Justiz und Innenpolitik sei "zunehmend von der Bekämpfung des Terrorismus und der Bekämpfung 'illegaler Einwanderung' geprägt", heißt es in dem Brief der Organisation.

Die Sicherung der Festung nach Innen

Der zweite Schritt neben Sicherung der Grenzen nach außen ist der fremdenpolizeiliche Mechanismus, der bei AsylwerberInnen und ImmigrantInnen, die sich bereits innerhalb der Staatsgrenzen befinden, in Gang gesetzt wird. Schon 2003 war auf der Zusammenkunft des Europarats in Thessaloniki beschlossen worden, für den Schutz des "Raums der Freiheit, der Sicherheit, und des Rechts" (!) im Zeitraum von 2004 bis 2006 140 Mio. Euro zu widmen. Das bedeutet 140 Mio. Euro für Grenzschutz, ein gesamteuropäisches "Rückführungsaktionsprogramm" - also Organisation und Legitimation von Abschiebungen und Kettenabschiebungen und die Entwicklung des VIS, des Visa Informationssystems. Mit diesem Informationssystem wird die Kriminalisierung von MigrantInnen an die Spitze getrieben, denn solche Daten werden sonst nur bei Verdächtigen eines Verbrechens aufgenommen. Des weiteren sollen Grenzschutzzentren vermehrt an den Grenzen, Flug- und Seehäfen errichtet werden, um eventuelle AsylantragstellerInnen bereits am Ankunftsort abzufangen und wieder abzuschieben. Abschiebung passiert nun schon an den Grenzen der EU - und der Trend geht dazu, schon vor den Mauern der Festung Europa Flüchtlingsauffanglager zu errichten.

Die zukünftige Entwicklung der Festung

Bereits 2004 brachte der damalige deutsche Innenminister Otto Schily auf einem informellen Innen- und JustizministerInnentreffen den Vorschlag ein, in Algerien, Marokko, Libyen, Tunesien und Mauretanien "Aufnahmezentren" für Flüchtlinge einzurichten. Zu diesen "Aufnahmezentren" gehören aber nicht nur ein paar Büros, sondern auch Unterkünfte für tausende, wenn nicht hunderttausende Flüchtlinge. Jeder weitere Kommentar ist hier wohl überflüssig! Seit Dezember 2005 existieren nach bilateralen Verträgen zwischen Spanien und Marokko in Marokko erste extraterritoriale Auffanglager für unbegleitet minderjährige Flüchtlinge. Dieses Lagerkonzept dürfte bald auch auf andere nordafrikanische Staaten übertragen werden; vor allem mit dem ehemaligen "Schurkenstaat" Libyen sind die Verhandlungen schon weit fortgeschritten. Gerade Marokko hat in den letzten Monaten bewiesen, welcher Umgang mit Flüchtlingen dort gepflegt wird: Mehr als ein Dutzend MigrantInnen wurden Ende September 2005 bei dem Versuch, in die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla einzudringen, erschossen. Hunderte Flüchtlinge werden in Miltärlager gesperrt. Im besseren Fall werden sie per Charterflug in ein Land deportiert, aus dem sie angeblich kommen. MigrantInnen wurden aber auch schon mit Lastwagen mitten in die Wüste gefahren und zum Teil in

vermintem Gelände ihrem Schicksal ohne Wasser und Nahrung überlassen.Auch Österreich spielt hierin keine unwesentliche Rolle, geht es nach den Plänen von Innenministerin Prokop. Sie will in der Periode des österreichischen EU-Vorsitzes neue "Schutzzonen" (aka Flüchlingsterritorien) in der Ukraine und in Tansania einrichten. Vor allem hat das Projekt in Tansania bereits konkrete Formen angenommen. So sollen Umschichtungen von EU-Entwicklungshilfe hin in den Sicherheitsbereich erfolgen, um dieses Vorhaben realisieren zu können. Damit soll unter österreichischer Führung ein Projekt des Haager Programmes umgesetzt werden. Eine ähnliche Strategie verfolgte offenbar auch die britische Regierung, die bereits Anfang 2004 die Abschiebung somalischer Asylsuchender in Lager in Tansania plante, wie die britische Zeitung The Guardian im Februar 2004 kolportierte. Die Leidtragenden sind dabei neben den Flüchtlingen selbst die Länder, in denen die Flüchtlingsschutzprogramme lanciert werden und die aufgrund ihrer entwicklungspolitischen Verwicklungen kaum Möglichkeiten haben, die "partnerschaftlichen Angebote" der EU-Staaten abzulehnen.Flucht ist kein Verbrechen. Flucht hat Gründe, und nicht alle dieser Gründe sind in der Genfer Flüchtlingskonvention verankert. Flucht aus wirtschaftlichen Gründen, wie z.B. vor Armut oder Hunger ist immer noch nicht anerkannt, obwohl (und vielleicht gerade weil) die EU durch die Ausbeutung wirtschaftlich unterentwickelter Länder diesen Fluchtgrund mit verursacht. Gegen Abschiebung hingegen kann nicht berufen werden. Schubhaft bedeutet Haft ohne Delikt. Abschiebung ist ein Verbrechen. Jeder Mensch, der beim Versuch der Einwanderung oder bei seiner Abschiebung stirbt, wurde ermordet!Die Mauern der Festung Europa werden aus Angst, Blut und Leichen gebaut!Kein Mensch ist illegal! Fight Fortress Europe!

Seit 2009 die Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik: Catherine Ashton

Glossar:

Außen- und Sicherheitspolitik, gemeinsame (GASP): Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ist mit dem Vertrag von Lissabon integrierter Teil der Europäischen Union geworden. Allerdings müssen wichtige Beschlüsse nach wie vor mit Zustimmung aller nationalen Regierungen getroffen werden (Prinzip der Einstimmigkeit).

Hoher Beauftragter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik: Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wurde im Dezember 2009 dieses neue Amt geschaffen. Der Amtsinhaber/die Amtsinhaberin leitet dauerhaft den Rat der Außenminister und ist zugleich Vizepräsident/Vizepräsidentin der Kommission. Erste Amtsinhaberin ist Catherine Ashton.