Volkshochschule = Schule? FACHBEITRÄGE...

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Seit über 50 Jahren engagieren sich die deutschen Volkshochschulen in der au- ßerschulischen politischen Jugendbil- dung. Konkret sichtbar wird dies im För- derprogramm Politische Jugendbildung im Deutschen Volkshochschul-Verband e.V., das seit 1956 aus Mitteln des Kin- der- und Jugendplans des Bundes ge- fördert wird. Politische Bildung für Erwachsene aber auch für junge Menschen hat einen besonderen Stellenwert im Bildungsan- gebot der deutschen Volkshochschulen: „Das Selbstverständnis der Volkshoch- schulen als Orte der Demokratie manife- stiert sich darin, dass sie mit ihren offe- nen Bildungsangeboten und beteili- gungsorientierten Methoden öffentlichen Raum für Auseinandersetzung und Ver- ständigung schaffen.“ (DVV 2011, S. 38) Kinder, Jugendliche und junge Er- wachsene machen hier die Erfahrung, dass sich VHS zwar nach Schule anhört, aber die Angebote zur gesellschaftspo- litischen Bildung von einem außerschu- lischen Lernpartner durchgeführt wer- den, der seine Einrichtung als außer- schulischer Lernort begreift. Dies wird nicht nur daran deutlich, dass die über- wiegende Mehrheit dieser Angebote außerhalb von Räumen der VHS durch- geführt wird. Die Gemeinsame Initiati- ve außerschulischer politischer Jugend- bildung (GEMINI), in der auch die Volkshochschulen aktiv sind, formuliert für die gemeinsame Lernkultur in ihren Maßnahmen: „Deshalb ist politische Bildung partizipativ – denn sie beteiligt die Jugendlichen am Bildungsprozess emanzipativ – denn sie begreift den Einzelnen als selbstverantwortlich und regt zu eigenem Denken und Han- deln an ganzheitlich – denn sie berücksich- tigt den Menschen mit allen seinen geistigen, seelischen und körperli- chen Fähigkeiten und Bedürfnissen handlungsorientiert – denn sie ver- steht Wisse, Erfahrung und Kompe- tenz als Ausgangspunkt des Han- delns.“ (GEMINI 2008) Politische Jugendbildung in Volkshoch- schulen versteht sich immer als hand- lungsorientiert und vermittelt Leben- sumfeld nah jungen Menschen gesell- schaftspolitische Zusammenhänge und Beteiligungsmöglichkeiten. „Bei den verschiedenen Aktivitäten geht es den Bildungsverantwortlichen immer dar- um, die sozialen, reflexiven und kom- munikativen Fähigkeiten zu stärken, die 7 polis 2/2012 Volkshochschule = Schule? Politische Jugendbildung erfolgreich am außerschulischen Lernort von Sascha Rex Sascha Rex ist Referent für Politische Jugendbildung beim Deutschen Volks- hochschulverband e.V. (DVV), Bonn FACHBEITRÄGE

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Seit über 50 Jahren engagieren sich diedeutschen Volkshochschulen in der au -ßerschulischen politischen Jugendbil-dung. Konkret sichtbar wird dies im För-derprogramm Politische Jugendbildungim Deutschen Volkshochschul-Verbande.V., das seit 1956 aus Mitteln des Kin-der- und Jugendplans des Bundes ge-fördert wird.

Politische Bildung für Erwachseneaber auch für junge Menschen hat einenbesonderen Stellenwert im Bildungsan-gebot der deutschen Volkshochschulen:„Das Selbstverständnis der Volkshoch-schulen als Orte der Demokratie manife-stiert sich darin, dass sie mit ihren offe-nen Bildungsangeboten und beteili-gungsorientierten Methoden öffentlichenRaum für Auseinandersetzung und Ver-ständigung schaffen.“ (DVV 2011, S. 38)

Kinder, Jugendliche und junge Er-wachsene machen hier die Erfahrung,dass sich VHS zwar nach Schule anhört,aber die Angebote zur gesellschaftspo-litischen Bildung von einem außerschu-lischen Lernpartner durchgeführt wer-den, der seine Einrichtung als außer-schulischer Lernort begreift. Dies wirdnicht nur daran deutlich, dass die über-wiegende Mehrheit dieser Angeboteaußerhalb von Räumen der VHS durch-geführt wird. Die Gemeinsame Initiati-ve außerschulischer politischer Jugend-bildung (GEMINI), in der auch dieVolkshochschulen aktiv sind, formuliertfür die gemeinsame Lernkultur in ihrenMaßnahmen:

„Deshalb ist politische Bildung• partizipativ – denn sie beteiligt die

Jugendlichen am Bildungsprozess• emanzipativ – denn sie begreift den

Einzelnen als selbstverantwortlichund regt zu eigenem Denken und Han-deln an

• ganzheitlich – denn sie berücksich-tigt den Menschen mit allen seinengeistigen, seelischen und körperli-chen Fähigkeiten und Bedürfnissen

• handlungsorientiert – denn sie ver-steht Wisse, Erfahrung und Kompe-tenz als Ausgangspunkt des Han-delns.“

(GEMINI 2008)

Politische Jugendbildung in Volkshoch-schulen versteht sich immer als hand-lungsorientiert und vermittelt Leben-sumfeld nah jungen Menschen gesell-schaftspolitische Zusammenhänge undBeteiligungsmöglichkeiten. „Bei denverschiedenen Aktivitäten geht es denBil dungsverantwortlichen immer dar-um, die sozialen, reflexiven und kom-munikativen Fähigkeiten zu stärken, die

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Volkshochschule = Schule?Politische Jugendbildung erfolgreich am

außerschulischen Lernort

von Sascha Rex

Sascha Rex ist Referent für Politische Jugendbildung beim Deutschen Volks-hochschulverband e.V. (DVV), Bonn

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Fachbeitrag

Lernorte und Lernpartner von Schulen,die bislang meist nur in der konkretenBildungsmaßnahme selbst umgesetztwurde: die Beteiligung von Kindern undJugendlichen. Die vergangenen Jahrezeigen, dass dieses Ziel in vielen Bil-dungseinrichtungen – auch in den VHS– als ein pädagogisches Zielder einzelnen Bildungs-maßnahme oder innerhalbder Maßnahme selbst for-muliert und umgesetzt wur-de. Die Praxis aber belegt,dass politische Bildung inaußerschulischen Lernor-ten und den VHS besondersdann erfolgreich ist, wennKinder und Jugendliche indie Programmplanung undauch -durchführung aktiveingebunden sind. „DieAdressaten der Bildungs-angebote müssen erkennen,dass sie hier ihre eigenenInteressen und Vorhabeneinbringen können und dasssie nicht zu Objekten einesinstitutionalisierten Pro-gramms werden. Geradefür Jugendliche ist es wich-tig, solche Erfahrungen zumachen. Sonst verfestigtsich das Gefühl von Aus-schluss und Ausgrenzung –und im Endergebnis kom-men große Teile der jungenGeneration zu dem Schluss,dass sie im Blick auf ge-sellschaftliche Teilhabenichts zu erwarten haben“ (Rex 2011b,S. 40). Diese strukturelle Partizipationjunger Menschen ist vielfach noch einDesiderat, dem sich die Volkshoch-schulen – auch im Rahmen der Teil-nehmerbindung und -gewinnung – inden kommenden Jahren verstärkt wid-men und dafür eigene Konzepte umset-zen und weitere Erfahrungen sammelnwollen.

Ein Blick in die Praxis der Volkshochschulen

Weit über 300 Bildungsmaßnahmen ausder breiten Palette außerschulischer po-litischer Bildung führen die VHS in je-dem Jahr für junge Menschen durch.

für Konfliktaustragung, Konsensbildungund gemeinsames Handeln unerlässlichsind. Die Teilnehmerinnen und Teil-nehmer sollen ihre Verantwortung wahr-nehmen. Hierbei stehen nicht staatlicheRahmenrichtlinien im Vordergrund, son-dern die verschiedenen zivilgesell-schaftlichen Strömungen, die in der po-litischen Kultur und demokratischenWillensbildung eine Rolle spielen.“(DVV 2006, S. 6)

Zusammen mit diesem Anspruch ha-ben sich die Volkshochschulen das Zielgesetzt, besonders auch junge Menschenaus so genannten bildungsfernen oderbildungsungewohnten Milieus für ihrepolitische Bildungsarbeit zu gewinnen.Um dies erfolgreich erreichen zu kön-nen, greifen Volkshochschulen auf jun-ge Zielgruppen zurück, die beispielweisein Integrationsmaßnahmen, Kursen zumNachholen von Schulabschlüssen oderim so genannten „Übergangsmanage-ment“ bereits in Volkshochschulen ler-nen. „Es ist eine Binsenweisheit derPädagogik, dass sich Teilnehmer, die be-reits die eigene Einrichtung besuchen,besser als andere für zusätzliche Bil-dungsangebote gewinnen lassen“ (Rex2011a, S. 4). Zweitens ist es gerade fürdiese jungen Menschen notwendig, dasssie durch unterschiedliche aktivierendeMethoden und ungewöhnliche Forma-te Volkshochschule als außerschulischeLernorte wahrnehmen. Vielfach ist näm-lich der Begriff „Schule“ und die in ihrgewohnte Lernumgebung mit dem „Ver-sagen“ in der eigenen Bildungsbiogra-phie verknüpft. Dass und wie dies in denVolkshochschulen erfolgreich gelingenkann, zeigt die externe Evaluation desFörderprogramms durch Dr. HelleBecker am Beispiel der HamburgerVHS: „So hat die Hamburger JVHS, dievorwiegend mit Jugendlichen aus bil-dungsbenachteiligten Milieus und ausStadtteilen mit einem hohem Migrante-nanteil arbeitet, den Gewinn dieser Ziel-gruppen (deren Teilnahme ja freiwilligist) nicht nur ihrer Werbung in den Mi-lieus und sozialen Kontexten zu ver-danken, sondern auch der Ausgestaltungihrer Angebote, die durch die gemein-same Planung mit Betroffenen und‚Brückenpersonen‘ ‚passfähig‘ sind“(Becker 2011, S. 169). Gleichzeitig be-nennt Helle Becker eine Gelingensbe-dingung für VHS als außerschulische

Auch in der pädagogischen Professionhält sich dabei das Vorurteil, dass dieAngebote eher bieder und mit klassi-schen Methoden in den Räumen derVolkshochschulen stattfinden. Wer sichvom Gegenteil überzeugen will, solltesich dazu unter anderem den tagesaktu-

ellen und bundesweiten Veranstaltungs -kalender politischer Jugendbildung derVolkshochschulen ansehen (z. B. unterwww.politischejugendbildung.de).

Aus der Fülle der darin präsentiertenAngebote sticht ein besonders erfolg-reiches Bildungskonzept hervor: Der„Demokratieführerschein – Der Füh-rerschein zum Mitmischen in DeinerStadt“. Dieses Seminarkonzept ver-knüpft kommunalpolitisches Fakten-wissen mit aktivierenden Methoden. ImRahmen eines „Curriculums“, das 30Unterrichtseinheiten umfasst, werdenmit Hilfe eines didaktischen Leitfadenssechs Module angeboten, die folgendeThemenfelder aufgreifen: Wie sehe ichmeine Stadt oder Gemeinde? Wie funk-tioniert Kommunalpolitik? Wie kann ich

Kinder und Jugendliche machen auf sich aufmerksam(VHS Suhl)

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Fachbeitrag

verhandeln und reden? Was sind die ak-tuellen Themen der Politik und Öffent-lichkeit? Welche Werte bestimmen po-litisches Handeln? Wie ist mein Ausblickin die Zukunft?

Die in einem Leitfaden zusammenge-fassten Module sind inhaltlich offen undmethodisch flexibel, machen aber ande-rerseits strukturelle Vorgaben. Aus-gangspunkt ist dabei immer ein von denJugendlichen selbst gewähltes kommu-nalpolitisches Anliegen. Immer bezogenauf dieses Vorhaben lernen die Jugendli-

chen schrittweise das Problem und ihreInteressen zu beschreiben, sich kommu-nalpolitisches Wissen anzueignen undeinzusetzen und dabei die Rolle von Öf-fentlichkeit und Medien zu erkennen undzu nutzen. „Entlang der konkreten Fra-gen und Herausforderungen, die auf-kommen, wenn es darum geht, eigeneIdeen umzusetzen, recherchieren die Ju-gendlichen die Informationen, die siebenötigen, um in ihrem Projekt weiter-zukommen, und üben, was sie zur Um-setzung ihres Vorhabens können sollten.So gewinnen sie Recherche- (= Lern-),Kommunikations-, Präsentations-, Ver-handlungs- und Lösungs-Kompetenzen.Sie lernen kommunalpolitisch relevanteAdressaten und die politischen Wege und

Formen kennen. Und fast nebenbei ler-nen sie, sich eine Meinung zu bilden, ei-gene Interessen zu formulieren und frem-de wahrzunehmen, Perspektiven zu wech-seln, solidarisch zu sein, Kompromisseeinzugehen und Entscheidungen anhanddemokratischer Verfahren zu finden.“(Becker 2010, S. 122) Als Abschluss des„Demokratieführerschein“ präsentierendie Teilnehmer in Kleingruppen ihre Pro-jekte und können einen Multiple-Choi-ce-Test zu kommunalpolitischen Fragenablegen. Anschließend erhalten sie ihren

persönlichen „Demokratie-führerschein“, der von ei-nem Begleitschreiben derHandels- und Handwerks-kammern begleitet wird, dasdas besondere Engagementder jungen Menschen her-vorhebt. Entwickelt und pi-lotiert wurde der Demokra-tieführerschein vom Lan-desverband der Volks hoch -schulen von NRW e.V. mitfinanzieller För derung derLandeszentra le für politischeBildung NRW. Mittlerwei-le wird das Seminarkonzeptbundesweit in Volkshoch-schulen angeboten. Sein be-sonderer Erfolg liegt darin,dass auch bildungsferne Ju-gendliche damit erreichtwerden und diesen Beteili-gungsmöglichkeiten inihrem unmittelbaren Le-bensumfeld ganz konkretaufgezeigt werden können.Aus allen Volkshochschulen,

die den Demokratieführerschein bislangangeboten haben, wird berichtet, dass Po-litik und Verwaltung die kommunalpoli-tischen Anliegen der jungen Menschenernst genommen haben und so zum Er-folg des Seminarkonzepts beitragen. ImRahmen des Demokratieführerscheinsder VHS Lingen beispielsweise habensich bildungsferne Jugendliche und jun-ge Erwachsene mit der Situation im Be-gegnungszentrum in ihrem Stadtteil aus-einandergesetzt und ein neues Nut-zungskonzept, das auch einen Anbauvorsieht, entwickelt. Nach anfänglicherSkepsis auf beiden Seiten übernahmenPolitik und Verwaltung in Lingen dieIdeen und Konzepte der VHS-Teilneh-mer und setzten diese in die Tat um. Jür-

gen Blohm, der den Demokratieführer-schein an seiner VHS angeboten hat,kommt deshalb zum Fazit: „Werden Ju-gendliche ernst genommen und ihre An-liegen berücksichtigt, so ist ihr Engage-ment enorm. Der geplante Anbau kommtnicht nur ihnen zugute – ein ganzes Stadt-gebiet profitiert! Und die Jugendlichenselbst: Sie haben Selbstbewusstsein ,ge-tankt‘ und einen Teil ihrer Skepsis ge-genüber staatlichen Stellen verloren. Re-signation und Skepsis konnten abgebautwerden. Sie haben Abläufe in der Kom-mune kennengelernt und die Erfahrunggemacht, dass es sich lohnt sich zu en-gagieren.“ (Blohm 2011, S. 10)

Der Demokratieführerschein ist nureines der vielen Beispiele, die zeigen,dass Volkshochschulen kompetente Lern-orte der außerschulischen politischenBildung sind. Sie eignen sich als Lern-partner in Kooperation mit Schulen, derSozialarbeit und allen Einrichtungen deraußerschulischen Bildung auf kommu-naler Ebene.

Literatur

Becker, H.: Baby you can drive – „Demo-kratieführerschein“ in nordrhein-west-fälischen Volkshochschulen. In: PraxisPolitische Bildung 2/2010, S. 121-125.

Becker, H.: Bedingungen und Auswirkun-gen der Förderung politischer Jugend-bildung durch Mittel des Kinder- undJugendplans des Bundes. Fallstudie imRahmen des Förderprogramms Politi-sche Jugendbildung im DeutschenVolkshochschul-Verband e.V. (DVV),Essen, Bonn 2011.

Blohm, Jürgen: Sich einmischen lohnt.Mit dem Demokratieführerschein derVHS in der Tasche setzen sich Jugendli-che für politische Entscheidungen ein.In: dis.kurs 4/2011, S. 9f.

Deutscher Volkshochschul-Verband e.V.(DVV): Partizipation, Respekt, Demo-kratie, Integration. Politische Jugend-bildung in Volkshochschulen. Bonn2006.

Deutscher Volkshochschul-Verband e.V.(DVV): Die Volkshochschule – Bildungin öffentlicher Verantwortung. Bonn2011.

GEMINI-Flyer: „Politische Jugendbildung... bewegt ... lebt ... verändert. Berlin2008.

Rex, S.: Wir können sie erreichen. Politi-sche Bildung mit bildungsfernen Ju-gendlichen. In: dis.kurs 4/2011a, S. 4f.

Rex, S.: Von Lernern lernen? Institutionel-le Beteiligung am Beispiel der Volks-hochschulen. In: Journal für politischeBildung 4/2011, S. 36-40.

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Vor Ort Vergangenes Begreifen (www.grenzspuren.de /VHS LK Fulda und Wartburgkreis)