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Vom Ergrünen und Vergilben der Blätter

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Vom Ergrünen und Vergilben

der Blätter

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NEUJAHRSBLATT

herausgegeben von der

Naturforschenden Gesellschaft in Zürich

auf das Jahr 1992

194. Stück

1992

Grell Füssli Graphische Betriebe AG, Zürich

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Veröffentlichung der

Naturforschenden Gesellschaft in Zürich im Anschluss an den Jahrgang 136 der

Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich als Heft Nummer 5

Redaktion: Prof. Dr. H.H. Bosshard, Im Stucki 5, 8450 Andelfingen

Ausgegeben am 31. Dezember 1991

ISSN 0379-1327

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Quellenangabe gestattet

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Vom Ergrünen und Vergilben der Blätter

Philippe Matile, Universität Zürich

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4 Philippe Matile

Inhaltsverzeichnis

Vorwort 5 1 Herbstliche Laubverfärbung 6 1.1 Die Augenweide 6 1.2 Optische Eigenschaften und Pigmente 7 1.3 Deutung der Herbstfärbungen 13 2 Blattseneszenz 15 2.1 Umverteilung von Nährstoffen 15 2.2 Seneszenz als Entwicklungsprozess 19 2.3 Regulation der Blattseneszenz 21 3 Ergrünen 24 3.1 Plastidendifferenzierung 24 3.2 Chlorophyllsynthese 27 3.3 Pigment-Protein-Komplexe 29 4 Chlorophyllabbau 31 4.1 Chlorophyllkataboliten 31 4.2 Biochemie des Abbaus 37 4.3 Bedeutung des Chlorophyllabbaus 41 5 Schlussbetrachtung 42 6 Literatur 44

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Vorwort

Im tierischen wie auch im pflanzlichen Organismus sind wichtige Stoffwechsel-funktionen an Porphyrine gebunden. Mit Eisen als Zentralatom des

Tetrapyrrol-Ringsystems ist das Häm in Form von Hämoglobin, Myoglobin oder Cytochrom in Transport und Speicherung von Sauerstoff in Blut und Muskulatur oder in die Zellatmung einbezogen. Hämproteine haben auch in Pflanzenzellen vielfältige Aufgaben, aber die grosse Masse des pflanzlichen Porphyrins ist mit Magnesium komplexiert und bildet als Chlorophyll das Herzstück der photosynthetischen Umwandlung von Licht in metabolische Energie.

Wie alle Biomoleküle sind auch die Porphyrine dem Abbau unterworfen. Wohlbekannt ist der Abbau des Häms im Stoffwechsel der Säugetiere: die oxida-tive Öffnung des Tetrapyrrolrings durch Häm-Monooxygenase führt zu den Gal-lenfarbstoffen Biliverdin und Bilirubin, schliesslich im Dickdarm zum bakteriell produzierten Stercobilin, das dem Stuhl die normale Farbe verleiht.

«The interesting point to emerge from studies of naturally occurring porphyrin structures is the absence of any reports of bile pigments derived from chlorophylls — one of the great mysteries of porphyrin biochemistry is the natural fate of chlorophylls in autumn leaves» (G. Hendry and 0. Jones, 1980). Bis zum 13. Febr. 1980 hatte ich mich nie für den Abbau des Chlorophylls interessiert. Deshalb hatte mich auch nie beunruhigt, dass jährlich weltweit etwa eine Milliarde Tonnen Chlorophyll scheinbar spurlos verschwinden (G. Hendry et al., 1987). Das Datum ist mir in Erinnerung geblieben, weil ich damals zufällig R.F. Troxler, einen Porphyrinchemiker an der Boston University, kennen lernte. Ihm war es gelungen, aus Chlorophyll künstliche Gallenfarbstoffe zu produzieren und er versuchte angelegentlich, mich mit dem photochemischen Reaktionsmechanismus zu beein-drucken. Um ihn auf ein mir näher liegendes Thema zu locken, interessierte ich mich für den natürlichen Abbau des Chlorophylls in vergilbenden Blättern. Ohne einen Augenblick zu zögern antwortete er: «Nothing is known». Dieses «nothing is known» ist mir unvergesslich, weil es am Anfang einer nunmehr über zehnjäh-rigen Leidenschaft für das Rätsel des Chlorophyllabbaus steht. Es fiel praktisch zusammen mit einem Einfall, den ich bereits am nächsten Tag experimentell umsetzen konnte (Ph. Matile, 1980), erfolgreich, wenngleich mit einem für den natürlichen Abbau irrelevanten Ergebnis, wie sich später herausstellen sollte. Aber die Neugierde war geweckt und das Thema hat mich seither fast ununterbrochen beschäftigt. Das Rätseln um die Biochemie des Chlorophyllabbaus fügte sich allmählich in den grösseren Rahmen der Altersentwicklung der Blätter und deren Bedeutung für die Entwicklung der Pflanzen. Im Laufe der Jahre ergab sich aus dem zufälligen Stolpern über ein ungelöstes biologisches Rätsel ein vielseitiges und höchst attraktives Forschungsvorhaben. Ein Durchbruch erfolgte 1985, als ich zufällig Spuren des Chlorophyllabbaus entdeckte, und zwar im Labor von Howard Thomas, der mich mit seiner im Chlorophyllabbau gestörten Mutante des Wiesen-schwingels arbeiten liess. Zwischen der Welsh Plant Breeding Station in Aber-ystwyth, bzw. Howard Thomas und meiner Zürcher Arbeitsgruppe entwickelte sich eine intensive Zusammenarbeit. Seit 1980 haben sich Diplomanden, Dokto-

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randen, Mitarbeiter und akademische Gäste für das Thema erwärmen lassen und haben wesentliche Beiträge zur Aufklärung des Chlorophyllabbaus erarbeitet. Sie sind gewissermassen stille Mitautoren dieses Berichts: Enrico Martinoia, Urs Heck, Michael Dalling, Barbara Lüthy, Maya Schellenberg, Hans Gut, Charlotte Rutz, Theres Düggelin, Samuel Ginsburg, Karlheinz Bortlik, Doris Rentsch, Christian Peisker, Felix Keller, Barbara Nebel, Barbara Flach, Benno Eller, und nicht zu vergessen die Gärtner Karl Huwiler und Ivo Egli, die getreulich das Standardobjekt, Keimpflanzen von Gerste im Alter von 10 Tagen, bereitstellten. Besondere Erwähnung verdient die für uns hochwillkommene Zusammenarbeit mit Bernhard Kräutler (Labor für Organische Chemie ETHZ), dem die Struktur-aufklärung eines in Gerste prominenten Chlorophyllkataboliten gelungen ist.

Auf dem Vorstoss ins Neuland blieben auch Rückschläge nicht aus; dies gehört zur Forschung und macht das Leben spannend. Manche hoffnungsvollen Aufbrü-che führten auf Holzwege und in Sackgassen. Meist waren es glückliche Zufälle, welche neue gangbare Wege eröffneten. Zum Glück gehört auch die Finanzierung der Forschung durch die Erziehungsdirektion des Kt. Zürich, durch den Schweiz. Nationalfonds und durch die Jubiläumsstiftung der Universität Zürich dazu. Die grosszügige Unterstützung ist umso weniger selbstverständlich, als die Beschäf-tigung mit Blattseneszenz und Chlorophyllabbau einzig und allein aus forscheri-scher Neugierde für ein Naturphänomen und mit wenig Aussicht auf Umsetzung der Resultate in volkswirtschaftlich relevante Anwendungen geschieht.

1 Herbstliche Laubverfärbung

1.1 Die Augenweide

Auf unserem Wahrnehmungsvermögen der ästhetischen Werte von Proportionen, Gestalten, Tonqualitäten, Harmonien, Farben und Farbzusammenklängen beruhen wesentliche Teile der Kultur. Die Ästhetik war einst eine philosophische Disziplin; in der modernen Naturwissenschaft ist sie ziemlich bedeutungslos geworden. Dies ist umso erstaunlicher, als uns zahlreiche Naturphänomene vor allem durch ihre ästhetische Wirkung unmittelbar ansprechen. Zu diesen Phänomenen gehört die Augenweide der herbstlichen Laubverfärbungen. Ihr Erlebniswert kann sogar quantitativ erfasst werden. In Neuengland locken die sich im Verlauf des Indian Summer in wenigen Wochen rotgolden verfärbenden Laubmischwälder Millionen von Touristen an. In New Hampshire hatte die Augenweide 1986 einen touristi-schen Wert von 240 Millionen Dollar (G. Hendry et al., 1987). Etwas bescheidener dürfte der Wert des Engadiner Lärchengolds sein.

Beim Versuch, die Gesamtwirkung der herbstlichen Laubverfärbung in die Beiträge der verschiedenen Baumarten aufzulösen, stösst man auf eine enorme Vielfalt. Das Farbenspiel wird von Linden, Ulmen, Birken, Eichen und auch von Buchen geprägt. Ist Vergilbung für den Farbwechsel bei vielen Baumarten die angemessene Bezeichnung, müsste bei Ahornarten mit «Vergoldung» etwas höher gegriffen werden. Die Verfärbungen sind bei den verschiedenen Baumarten, und selbst bei einer Art, von Jahr zu Jahr und von Baum zu Baum unterschiedlich.

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Frühe Fröste oder kalte Perioden verhindern oder verzögern in manchen Jahren farbästhetische Höhepunkte vor dem Absterben und Fallen der Blätter. Umgekehrt kann das Farbtheater in einem warmen Herbst besonders eindrücklich sein.

Das Laub der Rotbuchen stirbt schon vor dem Fall allmählich ab, verbräunt und verleiht den Beständen die typische stumpf-rötliche Herbstfärbung. Andere Arten bringen Rot nicht durch Absterben, sondern durch aktive Umfärbung der Blätter ins Spiel, so dass mit dem Verschwinden des Blattgrüns eine reiche Palette von wechselnden Mischfarben entsteht, etwa beim blutroten Hornstrauch, beim Pfaf-fenhütchen (Bild 1), bei Birn- und Kirschbäumen oder Heidelbeeren.

Neben farbigen Erscheinungen gibt es auch anspruchslos verbleichende Arten, etwa den schwarzen Holunder oder den Ziegenbart, deren Blätter vor dem Blattfall oft fast farblos werden. Umgekehrt fehlen bei einzelnen Arten wahrnehmbare herbstliche Verfärbungen fast vollständig: die Erlen, der Flieder und viele Einzel-bäume von Eschen (Bild 2) werfen grüne Blätter ab und erst am Boden findet die postmortale Verbräunung statt. Besonders extravagant gebärden sich die Blutbu-chen, deren dunkles, rot-grün mischfarbiges Sommerlaub zum Auftakt der herbst-lichen Vergilbung zunächst vergrünt. Kurz, jeder neue Herbst kann Anlass zu oft überraschenden Beobachtungen geben. Erhebliche Unterschiede zwischen den Einzelpflanzen einer Art an einem Standort, Differenzierungen im zeitlichen Verlauf, in Tonwerten und Intensitäten tragen zur Gesamtwirkung der Bestände bei.

Absolut zuverlässig in jedem Herbst ist Ginkgo biloba mit seiner ästhetischen Spitzenleistung. Dieser häufige Parkbaum, ein naturnah nur noch in China vor-kommendes lebendes Fossil, präsentiert sich am Ende der Blattentwicklung in einem golden leuchtenden Kleid (Bild 3). Dieses Phänomen, aber auch all die anderen Beiträge zur Augenweide können die Neugierde nach den stofflichen, physiologischen und funktionellen Hintergründen der herbstlichen Laubverfär-bung wecken.

1.2 Optische Eigenschaften und Pigmente

Veränderungen der Farbqualität im Verlauf der Blattentwicklung können durch die Aufnahme von Spektren am lebenden Material veranschaulicht werden (B. Eller, 1972). Die Absorptionsspektren von Sonnenblättern einer Buche zeigen zunächst das Ergrünen zwischen Austrieb Mitte April und Reife Mitte Juni (Bild 5a). Die Absorptionsmaxima im roten Bereich des sichtbaren Spektrums bei ca. 680 nm sind durch die allmählich akkumulierenden Chlorophylle verursacht. Diese grünen Chloroplastenpigmente weisen im kurzwelligen Spektralbereich ein zweites Ma-ximum auf, das jedoch durch die massive Absorption von Blaulicht durch die gelben Blattfarbstoffe, die Carotinoide, überlagert und maskiert wird. Zwischen Juni und Ende September sind die Spektren unverändert. Die Blätter sind photo-synthetisch voll produktiv bis zum Beginn der Alterung im Oktober, die durch das allmähliche Verschwinden der Chlorophylle angezeigt wird: die Absorption des Rotlichts sinkt ab (Bild 5b); sie bleibt aber im Bereich zwischen 400 und 500 nm hoch, weil die gelben Pigmente vom Abbau weniger stark betroffen sind. Im

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November beginnt die Absorption auch im Bereich 500-750 nm wieder anzustei-gen. Dies hängt mit dem progressiven Absterben der Blattzellen und der damit verbundenen Oxidation von phenolischen Stoffen zusammen. Die vorher hellgrün bis tiefgelbe Färbung schlägt jetzt in orange bis braunrot um (V. Tanner und B. Eller, 1986).

Die Verrötung durch Absterben vor dem Blattabwurf ist eine Besonderheit der Buche. Bei anderen Arten beruht der Einzug von Rot auf einem Lebensprozess, nämlich der Synthese von Anthocyanen, wasserlöslichen Polyphenolglucosiden, welche im Gegensatz zu Chlorophyllen und Carotinoiden in den Vakuolen von Blattzellen lokalisiert sind. Ein Beispiel hiefür ist die in Siedlungen häufige Spalierpflanze Parthenocissus (Jungfernrebe, wilder Wein), von der es viele Varietäten mit unterschiedlichen Herbstfärbungen gibt. Die im Zürcher Botani-schen Garten kultivierte P. triscutata Veitchi wechselt die Blattfarbe von hellem Grün über Goldgelb bis zu tiefem Orange. Im Spektrum ist das Erscheinen einer roten Komponente mit Maximum zwischen 500 und 550 nm in der zweiten Oktoberhälfte herauslesbar, und die Veränderungen in Transmission und Refle-xion vermitteln einen Eindruck vom fortschreitenden Wechsel der Blattfarbe im Verlauf der Seneszenz (Bild 6). Das Bild 7 illustriert die chemischen Strukturen und Absorptionsspektren der grünen Chlorophylle, gelben Carotinoide und je nach Milieu roten oder blauen Anthocyane. Analysen der Farbstoffe in entsprechenden Blattproben zeigen abfallende Chlorophyllgehalte bei relativ stark zurückgehalte-nen Carotinoiden, schliesslich, in der Schlussphase der Alterung, eine Verdreifa-chung des Anthocyangehalts (Bild 8). Durch optische Überlagerung dieser Kom-ponenten kommt der rotorange Gesamteindruck des verfärbten Blattes zustande.

Vergilbung beruht im wesentlichen auf dem Umstand, dass die grünen Blatt-pigmente schneller und vollständiger abgebaut werden als die gelben Carotinoide. In vielen Kräutern und Gräsern verschwinden die Pigmente beider Klassen glei-chermassen. Eher selten ist solche Verbleichung der Blätter bei Sträuchern und Stauden; beim schwarzen Holunder ist sie recht auffällig, und tatsächlich erweist sich das Verhältnis von Carotinoiden zu Chlorophyllen über die ganze Seneszenz-periode als fast konstant (Bild 9). Die meisten Baumarten halten die gelben Pigmente mehr oder weniger stark zurück, was im Anstieg des Quotienten zum Ausdruck kommt. Das gelbe Herbstlaub der Linden beruht auf einer erstaunlich bescheidenen Retention der Carotinoide. Die Rotbuche hält wesentlich stärker zurück (H. Tevini und D. Steinmüller, 1985), aber die Verbräunung überdeckt das zu erwartende Gelb. Eine praktisch vollständige Erhaltung der Carotinoide über die ganze Vergilbung hinweg ist beim Ginkgo festgestellt worden (S. Töyama und R. Ueda, 1965). An genotypischen Unterschieden mag es liegen, dass im Herbst-laub der Exemplare im Zürcher Botanischen Garten etwas weniger Carotinoid, allerdings noch immer 60 % des ursprünglich vorhandenen, zurückbleibt (Ph.

Bilder 1-4. Herbstfärbungen. 1: verrötendes Herbstlaub von Evonymus europaeus. 2: abgewor- fene Blätter von Fraxinus excelsior, Al nus glutinosa,Tilia cordata und Ulmus scabra (von oben nach unten). 3: Ginkgo biloba kurz vor dem Blattfall. 4: durch Pilzinfektionen verursachte grüne Inseln im vergilbten Laub des Spitzahorns.

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Bild 5. Spektrale Veränderungen des Absorptionsgrades von Sonnenblättern der Buche ( Fagus silvatica) vorn Austrieb bis zur Reife (oben) bzw. im Verlauf der Blattalterung (unten). Aus V. Tanner und B. Eller, 1986.

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Vorn Ergrünen und Vergilben der Blätter II

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Bild 6. Spektrale Veränderungen von Reflexions-, Transmissions- und Absorptionsgrad der Blätter von Parthenocissus triscutata Veitchi im Verlauf der herbstlichen Verfärbung. Original von Barbara Flach.

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Bild 7. Strukturformeln und Absorptions- spektren der grünen Chlorophylle, gelben Caro- tinoide (Carotinoidfraktion aus Parateliotissla) und roten Anthocyane (Spektrum: Parthenocis- sm).

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Matile et al., 1991). Diese aussergewöhnlich hohe Retention ist mitverantwortlich für das phänomenale Herbstgold dieser Bäume.

Bei den Analysen von Ginkgoblättern, aber auch bei Linde und anderen Baum-arten waren die wässrigen Phasen nach Extraktion der lipophilen Plastidenpigmente gelb, beim Ginkgo deutlich intensiver werdend mit fortschreitender Blattsenes-zenz. Es handelt sich um phenolische Stoffe, welche zweifellos neben den Caro-tinoiden zum optischen Bild des Herbstlaubs beitragen. Übrigens erfahren die Carotinoide in den meisten Baumarten differenzierte Veränderungen. Allgemein nimmt das ß-Carotin stärker ab als die Xanthophylle, welche teilweise zu Epoxy-carotinoiden oxidiert werden (B. Czeczuga, 1986). Ausserdem ist für verschiedene

18. 25. 2. September Oktober

❑ Carotinoide

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Bild 8. Gehalte der Blätter von Partheno- cissus triscutata Veitchi an Chlorophyllen, Ca-rotinoiden und Anthocyan im Verlauf der herbst-lichen Verfärbung.

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September Oktober November

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Bild 9. Veränderung der Proportion Caro- tinoide: Chlorophylle im Verlauf der Laubver-färbung bei Sambucus nigra, Tilia platiphyllos, Ginkgo biloha (Analysen vom Herbst 1989 an Blattproben aus dem Zürcher Botanischen Gar-ten) und Fagus silratica (Daten aus H. Tevini und D. Steinmüller, 1985).

Baumarten die teilweise Veresterung von Xanthophyllen typisch, so beispielswei-se für Fagus silvatica (H. Tevini und D. Steinmüller, 1985), den Apfelbaum (F. Cardini, 1982), Ahornarten (W. Eichenberger und E. Grob, 1962; Goodwin, 1958) und Ginkgo biloha (S. T6yama und R. Ueda, 1965; Ph. Matile et al., 1991).

Ginkgo biloba verdient besondere Aufmerksamkeit, weil hinter der goldenen Erscheinung der herbstlichen Bäume mehr zu stecken scheint als die blosse Retention der Carotinoide. In der frühen Abenddämmerung kann ein eigentliches Leuchten wahrgenommen werden. Dass keine Sinnestäuschung vorliegt, zeigt die Betrachtung vergilbter Blätter unter langwelligem ultraviolettem Licht (Bild 10). Die fahlgelbliche Fluoreszenz ist besonders ausgeprägt auf der Blattunterseite. An grünen Blättern ist sie nicht feststellbar. Intensive Fluoreszenz kann auch in der wässrigen Phase von Extrakten aus vergilbten Blättern nachgewiesen und gemes-sen werden. Das Maximum der Anregung liegt bei 350 nm und das Emissions-spektrum zeigt zwei Maxima bei 425 und 530 nm. Mit dem Verschwinden des Chlorophylls steigt die Intensität steil an und erreicht den Höchstwert am Ende der Seneszenz (Bild 11). Auf Dünnschichtchromatogrammen erscheinen zwei fluoreszierende Stoffe, deren chemische Identität vorläufig unbekannt ist. Sie wirken vermutlich wie optische Aufheller, vergleichbar mit den heute üblichen Waschmittelzusätzen, und tragen zur extravaganten Erscheinung des herbstlichen Ginkgos bei.

1.3 Deutung der Herbstfärbungen

Blattseneszenz und Fruchtreifung haben viele physiologische Gemeinsamkeiten. Zu diesen gehören die farblichen Veränderungen, das Verschwinden des Chloro-phylls und Verfärbungen gegen Gelb und Rot. Auch mit den Farbwechseln bei der Blattentwicklung im Blütenbereich sind Ähnlichkeiten unverkennbar. Mögen die

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Philippe Matile

Bild 10. Ginkgo biloba: Reifes grünes Blatt (a) und vergilbte Blätter (b, Oberseite; c, Unterseite) photographiert im ultravioletten Licht.

Phänomene ähnlich sein, ist doch der physiologische Hintergrund verschieden. Im Herbstlaub werden lediglich vorhandene Carotinoide mehr oder weniger stark zurückgehalten; Neusynthesen von Plastidenpigmenten finden höchstwahrschein-lich nicht statt. Bei Blütenblättern und bei gewissen Früchten ist dagegen die Synthese von oft besonderen Carotinoiden ein typisches Merkmal der Entwick-lung. Chloroplasten differenzieren dabei zu Chromoplasten mit grossen Caroti-noidgehalten, wogegen in Laubblättern die Seneszenz zu biosynthetisch inaktiven Gerontoplasten führt. Die cytologische Unterscheidung der Plastidentypen

Carotinoide

Chlorophylle

Fluoreszenz

18. 25. 2. 9. 16. 23. 30.

September

Oktober

Bild 11. Ginkgo biloba: Veränderung der Pigmentgehalte und der Fluoreszenzintensität im Verlauf der Blattvergilbung. Die Fluoreszenz wurde an verdünnten wässrigen Extrakten bei 350 nm (Anregung) und 530 nm (Emission) gemessen. Die Daten wurden auf Frischgewicht bezogen und auf relative Einheiten umgerech-net.

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(vgl. 3.1.) ist freilich im Hinblick auf die farblichen Phänomene und ihre funktio-nelle Deutung irrelevant. Jedenfalls ist die Deutung im Fall von Blüten und farbigen Früchten einfacher als im Fall der herbstlichen Laubverfärbung. Die Attraktivität reifer Kirschen oder Vogelbeeren für die Vögel ist ebenso offensicht-lich wie die Bedeutung von Blütenfarben für die Bestäubung. In Analogie dazu ist «fruit flagging» auch zur Deutung des Herbstlaubs der Bäume erwogen worden (E. Stiles, 1982), eine wenig überzeugende Hypothese, liegt doch die Fruchtreife bei vielen Gehölzen mit zoochorer Samenverbreitung Wochen oder Monate vor der Blattseneszenz, oder Arten mit so ausgesprochen attraktiver Herbstfärbung wie die Ahorne sind sogar anemochor.

Auch physiologische Deutungen des Farbwechsels im Zusammenhang mit Carotinoidretention oder Anthocyansynthese sind problematisch angesichts der grossen artspezifischen Unterschiede, welche keine Notwendigkeiten für be-stimmte Herbstfärbungen erkennen lassen. Es wird zu zeigen sein, dass allein der Abbau des Chlorophylls funktionell verständlich ist (vgl. 4.3.). Für die anderen Farbspiele bis hin zum optischen Aufheller im vergilbten Ginkgolaub fehlt eine Interpretation im Sinn einer lebensnotwendigen biologischen Funktion.

Lebensnotwendige Funktionen stehen unter Selektionsdruck. In der Endphase der Blattentwicklung, die mit Blattfall und Tod des Organs endet, mag Selektions-druck nur für jenen Teil des Stoffwechsels bestehen, der für die Vitalität des Baums entscheidend ist, nicht aber für metabolische Prozesse, die für das Fortbestehen von Individuum und Art belanglos sind. So mögen sich bei fehlendem Selektions-druck im Lauf der Evolution physiologische Extravaganzen genetisch etabliert haben, Kürprogramme, die den Stoffwechsel so wenig belasten, dass die Abwick-lung der lebensnotwendigen Prozesse nicht beeinträchtigt ist. Die Existenz zahl-reicher Abwandlungen von Grundmustern der Herbstverfärbung, selbst innerhalb einer einzigen Art, könnte diese Deutung unterstützen. Die Blattseneszenz könnte ein Beispiel für Zufall ohne Auslese, für Spielfreude der Natur ohne Korrektur durch biologische Notwendigkeit sein, nicht das einzige, wie ein Blick auf Blatt-gestalten und andere Bereiche der Morphologie zeigt.

2 Blattseneszenz

2.1 Umverteilung von Nährstoffen

Seneszenz ist definiert als eine Entwicklung, die zum Tod führt. Bei Pflanzen ist leicht einsehbar, dass der Tod auf allen Stufen der Organisation eine unabdingbare Voraussetzung für das Leben, und die Seneszenz somit eine Begleiterscheinung der gesamten Entwicklung ist. Bereits im Keimling differenzieren beispielsweise Zellen im Wasserleitungsgewebe mit dem Ziel, als tote Kapillaren ihre Funktion zu erfüllen. Keimblätter und ältere Folgeblätter vergilben meist lange vor dem Höhepunkt der Vegetationszeit. Die Bedeutung der Blattseneszenz ist an einjähri-gen Pflanzen, wie den Getreidearten, am eindrücklichsten ablesbar. Bild 12 zeigt die Entwicklung einer Haferpflanze anhand der Stickstoffgehalte. Bis zur Zeit der

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Bild 12. Stickstoffgehalte einer Hafer- pflanze im Verlauf der Entwicklung. Nach der Blüte unterbleibt die weitere Zunahme des Ge-samt-N. Die Körner beziehen den Stickstoff aus Blättern, Stengeln und sogar aus den Wurzeln. Umgezeichnet nach R. Williams (1955).

Blüte nimmt die Pflanze Stickstoff aus dem Boden auf und assimiliert ihn zum Protein der vegetativen Organe. Nach der Blüte nimmt der N-Gehalt nicht weiter zu, und die ganze Schlussphase der Entwicklung bis zu den reifen Körnern geschieht durch Umverteilung aus den seneszierenden Blättern, Stengeln und sogar Wurzeln in die reproduktiven Organe. Blattseneszenz bedeutet daher Abbau von Zellbestandteilen wie Protein und Nukleinsäuren, den Umbau zu transportfä-higen Aminosäuren und die Wiederverwertung des Stickstoffs zur Füllung der Körner mit Reserveprotein. Was für N dargestellt wurde, gilt gleichermassen für andere Nährstoffe wie Phosphor, Kalium, Magnesium und Schwefel.

Genauere Analysen des Nährstoffhaushalts zeichnen ein wesentlich komplexe-res Bild, als es die grobe Verteilung in den Organbereichen vortäuscht. So wird der Stickstoff bereits im Lauf der vegetativen Entwicklung in den ältesten Blättern mobilisiert und den jüngeren und jüngsten, noch wachsenden, zugeführt. Wie wirkungsvoll diese auf Seneszenz beruhende Dynamik ist, zeigt eine Untersu-chung von H. Mei und K. Thimann (1984) an Haferpflanzen unter extremen Hungerbedingungen: ohne jegliche Zufuhr von Stickstoff entwickelten sich in 42 Tagen Kümmerpflanzen mit je einem einzigen Korn. Durch laufende Umvertei-lung des anfänglichen Vorrats gelingt offenbar selbst unter vollständigem N-Man-gel ein Entwicklungszyklus von Korn zu Korn, und somit die Sicherung des Fortbestandes der Art.

Fast alle laubwerfenden Baumarten rezirkulieren die wertvollen Nährelemente im Verlauf der Blattseneszenz. E. Gäumann (1935) hat 110jährige Buchen im Sihlwald übers Jahr verteilt fällen und N-Bilanzen fürs ganze Laubwerk erstellen lassen; 58 % des im reifen Laub eingebauten organischen Stickstoffs fehlten im abgeworfenen Laub. In Apfelbäumen (K. Oland, 1965) und Birken (C. Tamm, 1951) findet ein Rückzug von N in ähnlichem Umfang, in etwas geringerem auch von P und K statt. Dass der Rückzug tatsächlich den N-Haushalt unterstützt, zeigten P. Millard und C. Thomson (1989) durch N-Düngung junger Apfelbäum-chen im Herbst: dieser Eingriff verzögerte nicht nur die Blattseneszenz, sondern verminderte auch das Ausmass der N-Rezirkulation. Die Bäume lagern die aus dem Herbstlaub zurückgewonnenen Nährstoffe in den Zweigen ein; im folgenden

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Frühling werden sie erneut mobilisiert und für das Wachstum der nächsten Gene-ration von Blättern benutzt (P. Millard und C. Thomson, 1989).

Auch bei Immergrünen ist Blattseneszenz mit Rezirkulation verbunden. Bei der Arve vergilben die ältesten Nadeljahrgänge (unregelmässig) zwischen Mitte Au-gust und Ende September. Die Tabelle 1 gibt Auskunft über das erstaunlich hohe Ausmass von Nährstoffrückzügen, insbesondere von N, P und K, aber auch Mg und S (B. Nebel und Ph. Matile, 1991). Calcium ist dagegen ein immobiles Element, das im seneszenten Apfellaub eventuell sogar akkumuliert (K. Oland, 1965).

Zum Syndrom der Blattseneszenz gehört auch die Ausbildung des Trenngewe-bes am Grund des Blattstiels, ein komplizierter Prozess, der neben Lockerung und Auflösung des Zellverbands auch die Verkorkung der proximalen Trennfläche umfasst. Im Lauf dieser Differenzierung wird die zur Abtrennung des Blattes erforderliche Kraft immer geringer. Wind kann daher die Seneszenz vorzeitig abbrechen und den Nährstoffrückzug stören (Bild 13). Dass der Blattfall auf einem Lebensprozess beruht, demonstrieren Apfelbäume in manchen Jahren mit sehr frühen, harten Frösten, die zum Abbruch der Differenzierung durch Erfrieren der Trenngewebe führen: die Blätter bleiben ebenso dürr an den Bäumen hängen wie bei Weissbuche, deren Seneszenzprogramm natürlicherweise keine Trenngewe-bedifferenzierung vorsieht und bei der das abgestorbene Laub zum winterlichen Bild des Baums gehört.

Bei vielen Eschen kann beobachtet werden, wie das grüne Laub fast vollständig am Baum verbleibt, bis zum ersten Novembersturm, der die Kronen auf einen Schlag leerfegt (Bild 2). Fraxinus excelsior gehört wie Syringa vulgaris (F. Denny, 1933) zu den wenigen nicht vergilbenden Baumarten, bei welchen die N-Mobili-sation weitgehend unterbleibt. Sie zwingen zum Nachdenken über die Bedeutung der auch bei vergilbenden Arten am Ende der Blattseneszenz zurückbleibenden Nährstoffe. Zweifellos spielt der Laubfall eine überragende Rolle bei der Boden-

Tabelle 1. Rückzug von Nährstoffen im Verlauf der Nadelseneszenz gemessen an einer Arve auf Stillberg GR (2070 m). Prozentuale Gehalte in den vollseneszenten Nadeln (100% entspricht dem Gehalt in Nadeln des ältesten Jahrganges vor Einsetzen der Vergilbung). Die scheinbare Akkumulation von Ca, Zn und Mn beruht auf dem Trockengewichtsverlust (linke Kolonne). Unter der Annahme einer vollständigen Retention von Ca ergeben sich die Werte der rechten Kolonne (Aus Nebel und Matile, 1991)

Nährelement mg • g TS-I (prozentualer Rückstand in vergilbenden Nadeln) z „

e

26 20 40 30 42 32 80 60 66 49

133 100 113 85 131 99

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-IS 20

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Okt. November

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bildung, bzw. bei der Ernährung der Bodenorganismen mit dem organischen Material der Zellwände. Die ausschliessliche Beurteilung der Blattseneszenz unter dem Gesichtspunkt der internen Rezirkulation ist deshalb einseitig. Sie muss auf den ganzen Standort ausgedehnt werden. Durch seneszenzbedingte interne Um-verteilung werden gewissermassen der Bodenbildung am Standort Nährstoffe vorenthalten (R. Hardwick, 1986). Baumarten mit eingeschränktem Rückzug von Nährstoffen aus dem Herbstlaub zeigen an, dass die Rezirkulation für perennie-rende Pflanzen weniger kritisch ist als für die kurzlebigen Kräuter und Gräser. Die Biomasse der Bäume und Sträucher stellt ein grosses internes Nährstoff-Polster dar, und langfristig kann die Rezirkulation durchaus über den Stoffwechsel des ganzen Standorts erfolgen. Besonders einleuchtend ist das fehlende N-Recyling bei den diazotrophen Erlen. Bei Alnus glutinosa erwies sich die herbstliche Mobilisation des Blattproteins als erstaunlich gering (K. Bortlik et al., 1987). I. Neave et al. (1989) beobachteten an einem Standort in Kanada, dass die photosyn-thetisch aktive Periode von A. glutinosa gegenüber Tilia heterophylla einen vollen Monat länger dauerte, und dies trägt zweifellos zur Kompensation des Energie-aufwands für die N2-Fixation bei. Die nichtvergilbenden Erlen werfen ein nähr-stoffreiches Laub ab; sie sind Pionierpflanzen, welche auf Rohböden Fuss fassen und für schnelle Bodenbildung sorgen können. Die Verallgemeinerung ist jedoch hinsichtlich der diazotrophen Baumarten nicht zulässig, wie das Beispiel der vergilbenden Robinia Pseudacacia zeigt.

Bild 13. Die Stickstoffgehalte im abgefal- lenen Laub von Apfelbäumen steigen bei erhöh-ter Windgeschwindigkeit an. Die gewaltsame Abtrennung der Blätter vor Abschluss der Seneszenz unterbricht den N-Rückzug. Wind: tägliche Maximalgeschwindigkeit. N ist bezo-gen auf Blattfläche. Umgezeichnet aus K. Oland, 1963.

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2.2 Seneszenz als Entwicklungsprozess

Die Umverteilung von Nährstoffen in andere Organe der Pflanze setzt die volle Vitalität der alternden Blätter voraus. Vergilbende Blätter sind turgeszent, die Kompartimentierung auf Zellebene bleibt intakt, meist über den Blattfall hinaus. Erst die Verbräunung zeigt den Zelltod und den Zusammenbruch der zellulären Organisation an. Sie ist die Folge des Ausfliessens von phenolischen Stoffen aus den Vakuolen bzw. der Oxidation zu dunklen Melaninen. In den intakten Zellen ist die Polyphenoloxidase in den Thylakoiden der Chloroplasten lokalisiert; erst nach dem Zelltod kommt sie in Kontakt mit ihren Substraten.

Die einzelnen Gewebe der Blätter altern sehr unterschiedlich. Das Seneszenz-syndrom, womit die Summe der Einzelvorgänge, also Rückgang der Photosynthe-seaktivität, Eiweisszerfall, Chlorophyllabbau usw. angesprochen ist, bezieht sich weitgehend auf das Mesophyll.

Demgegenüber bleiben die Stoffleitungsgewebe, über welche der Rücktrans-port erfolgt, und die für die Regulation des Wasserhaushalts wichtigen Epidermen, insbesondere auch die Schliesszellen der Spaltöffnungen, sehr lange funktionsfä-hig. Abgefallene, völlig vergilbte Blätter von Ginkgo biloba besitzen noch normal funktionierende Schliesszellen mit aktiven Chloroplasten (E. Zeiger und A. Schwartz, 1982).

Auch auf der Ebene der einzelnen Mesophyllzelle verläuft die Seneszenz unterschiedlich. Die hauptsächlichen Zentren des Abbaus sind die Chloroplasten, in welchen sich etwa die Hälfte des gesamten Blattproteins, das gesamte Chloro-phyll und ein erheblicher Teil der Membranlipide befindet. Erwähnenswert ist jener Eiweisskomplex der Chloroplasten, der die Fixation von CO2 in der Photo-synthese katalysiert. Dieses Enzym, Ribulosebiphosphat-Carboxylase (Rubisco), kommt in Mengen vor, die weit über das katalytisch Notwendige hinausgehen. Etwa die Hälfte des löslichen Blattproteins besteht aus Rubisco, dem wohl häu-figsten Protein der Biosphäre. In seneszenten Blättern setzt der Abbau von Rubisco früh und nachhaltig ein, weshalb ein erheblicher Teil des Proteinschwunds auf das Konto dieser Mischform von Enzym und Reserveprotein geht.

Aufbereitung und Abtransport der Abbauprodukte und weitere Bereiche des Stoffwechsels in den seneszenten Mesophyllzellen sind energieabhängig. Es leuchtet daher ein, dass die Mitochondrien als ATP-liefernde Organellen langlebig sind. Dies gilt auch für die Peroxisomen, welche im reifen Blatt eine wichtige Rolle in der Photorespiration spielen. Sie übernehmen im alternden Blatt eine neue Aufgabe in der Verzuckerung von Fettsäuren, die beim Abbau der Chloroplasten-lipide anfallen (H. Gut und Ph. Matile, 1988, 1989; R. Landolt und Ph. Matile, 1990).

So ist also die Entwicklung zum Tod in jeder einzelnen Mesophyllzelle perfekt organisiert. Nichts könnte dies überzeugender illustrieren, als die Tatsache, dass der massive Abbau von Proteinen, Chlorophyll und Lipiden in den Chloroplasten von der Neusynthese von Protein abhängig ist. Wie jeder andere Entwicklungs-prozess ist auch die Blattseneszenz mit spezifischer Genexpression verbunden. Die Kontrolle der Seneszenz durch den Zellkern hat Y. Yoshida (1961) höchst elegant an kernlosen Protoplasten in plasmolysierten Elodeazellen gezeigt: im

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200

o Wasser - • Cycloheximid

Bild 14. Wirkung von Cycloheximid, ei- nem Hemmstoff der cytoplasmatischen Protein-synthese auf den Chlorophyllabbau in isolierten, im Dunkeln gehaltenen Blättchen von Elodea canadensis. Aus S. Makovetski und E. Gold-schmidt, 1976.

0 3 5 7 Seneszenz, Tage

Gegensatz zur Entwicklung in kernhaltigen Protoplasten blieben die Chloropla-sten in den kernlosen grün. In der Tat kann der Chlorophyllabbau in Elodea durch Hemmstoffe der cytoplasmatischen Proteinsynthese auf Stufe Translation (Bild 14; S. Makovetski und E. Goldschmidt, 1976) bzw. Transkription (Y. Yoshida, 1974) blockiert oder zumindest stark verzögert werden, ein Befund, der inzwi-schen für Blätter anderer Arten und für andere Parameter des Seneszenzsyndroms breit abgesichert ist (J. Stoddart und H. Thomas, 1982; Ph. Matile, 1991). Die genetische Kontrolle der Seneszenz geht nicht zuletzt auch aus der Existenz zahlreicher Mutanten mit gestörter Schlussphase der Blattentwicklung hervor (H. Thomas, 1987a).

Die Plastiden besitzen ein eigenes Genom und eine eigene prokaryontische Proteinsynthese. Dieses Genom ist zuständig für einen Teil der in den Plastiden lokalisierten Proteine, z. B. für die grosse Untereinheit des Rubisco-Komplexes. Zahlreiche Chloroplastenproteine sind jedoch im Kerngenom kodiert (z. B. die kleine Untereinheit von Rubisco), werden im Cytoplasma synthetisiert und auf komplizierte Weise in die Chloroplasten transportiert und integriert.

Zu diesen Proteinen gehören auch die für die Seneszenz verantwortlichen Enzyme. Mit dem Einsetzen der Seneszenz verschwindet die DNS der Chloropla-sten (Sodmergen et al., 1989); dies ist vermutlich die Ursache für die nach kurzer Anlaufszeit eintretende Irreversibilität der Altersentwicklung.

Spannend ist selbstverständlich die Frage nach Natur und Funktion der senes-zenzspezifisch exprimierten Gene. Schlüssige Antworten fehlen vorläufig weitge-

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hend. Zahlreiche Enzyme sind anhand der sich nach Auslösung der Seneszenz ändernden Aktivitäten untersucht worden, mit eher verwirrenden als erhellenden Ergebnissen (vgl. C. Laurire, 1983). Nur von wenigen Enzymen mit klar umris-sener Funktion im Stoffwechsel ist bisher eine seneszenzbedingte Induktion bekannt geworden; zu ihnen gehören die in die Aufbereitung der Produkte aus dem Proteinabbau einbezogene cytosolische Glutaminsynthase (N. Kawakami und A. Watanabe, 1988) und zwei an der Gluconeogenese aus Fettsäuren beteiligte Enzyme des Glyoxylsäurezyklus (H. Gut und Ph. Matile, 1988; R. Landolt und Ph. Matile, 1990). Der wichtigste Teil der Alterungsenzyme muss erst noch entdeckt werden. Die wohl empfindlichste Verständnislücke klafft insbesondere hinsichtlich der Spaltung der Chloroplastenproteine.

Aufs Ganze gesehen präsentiert sich die Blattseneszenz als ein Entwicklungs-prozess mit abbaulastigem Umtrieb der Proteine. Liegt im wachsenden Blatt das Gleichgewicht zwischen Auf- und Abbau auf Seite der Synthese, verschiebt es sich nach Seneszenzbeginn zugunsten des Abbaus. Entwicklung steht immer im Zei-chen einer derartigen Umtriebsdynamik: Bestehendes wird abgebrochen und ersetzt durch neue Elemente nach Massgabe des Entwicklungsziels. Seneszenz ist lediglich dadurch eine Besonderheit, als der Tod das Ziel ist.

2.3 Regulation der Blattseneszenz

Bäume sind experimentell schwer zugänglich. Die Kenntnisse zur Regulation der Blattseneszenz beziehen sich daher fast ausschliesslich auf Kräuter und Gräser, bei welchen das Abschneiden und Dunkelstellen reifgrüner Blätter eine zügig fortschreitende Vergilbung auslöst und günstige Möglichkeiten zum Experimen-tieren bietet. Mit dieser Methode ist bei Bäumen absolut nichts zu erreichen. Isolierte Buchenblätter bleiben im Dunkeln wochenlang grün, selbst wenn sie bei einsetzender Seneszenz abgeschnitten werden. Auch hinsichtlich der natürlichen Regulation ist fast nichts bekannt. Beim Bergahorn vergilben Blätter von künstlich verdunkelten Zweigen langsamer als die der Sonne ausgesetzten (M. Maunders and S. Brown, 1983). Abgesehen von dieser Einzelstudie ist man auf Vermutungen angewiesen, wonach die im Herbst kürzer werdenden Tageslängen die Laubsenes-zenz der Bäume auslöst. Weitere Vermutungen betreffen tiefe frühherbstliche Lufttemperaturen, aber auch den Zeitpunkt des Austreibens der Blätter im Frühling oder sommerliche Trockenperioden, welche den Termin des Seneszenzbeginns beeinflussen können.

Bei einigen Pflanzenarten, so beim Tabak, können isolierte Blätter leicht zur Bildung von Adventiv wurzeln angeregt werden. Solche bewurzelten Blätter ver-gilben auch im Dauerdunkel viele Wochen lang nicht. Das Abschneiden der Wurzeln führt jedoch zum Verlust der Jugendlichkeit und löst die Seneszenz aus (K. Mothes, 1960). Solche Beobachtungen lenkten die Aufmerksamkeit auf hor-monartige chemische Signale, welche von den Wurzeln in Spross und Blätter ausgesandt werden. Die wurzelbürtigen Antiseneszenz-Hormone sind als Derivate von Aminopurin, sogenannte Cytokinine identifiziert worden. Behandlung von

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isolierten Gerstenblättern mit einer Cytokininlösung ersetzt in der Tat einen derartigen Wurzelfaktor und bewirkt eine nachhaltige Verzögerung der Seneszenz auch im Dauerdunkel (Bild 15). Mit cytokininartigen Stoffen hängen auch die grünen Flecken zusammen, die häufig im abgefallenen Herbstlaub beispielsweise von Haselnuss oder Ahornen anzutreffen sind (Bild 4). Verursacher dieser lokal gestörten Seneszenz sind Pilze, welche sich durch Ausscheidung eines Verjün-gungshormons den Infektionsbereich als eine photosynthetisch aktive Nährstoff-quelle oft weit über den Blattfall hinaus erhalten (L. Engelbrecht, 1968).

Aus isolierten Gerstenblättern, welche unter natürlicher Photoperiode gehalten werden, verschwindet das Chlorophyll viel langsamer als in permanenter Dunkel-heit. Sowohl durch spezifische Hemmung der Chlorophyllsynthese, als auch mit Radiomarkierung kann gezeigt werden, dass der anabolische Stoffwechsel unter dem Einfluss von Licht noch längere Zeit erhalten bleibt und den seneszenzbe-dingten Abbau überlagert. Unter natürlichem tagesperiodischem Wechsel von Licht und Dunkelheit ist der Übergang zur Seneszenz offenbar gleitend. Die beschleunigte Vergilbung in permanenter Dunkelheit entpuppt sich als die Folge der abrupt unterbrochenen lichtbedürftigen Synthesen. Wie bei anderen lichtab-hängigen Entwicklungsprozessen ist auch bei der Blattseneszenz das Phytochrom der Lichtsensor (U. Biswal et al., 1982). Hinzu kommt eine direkte Lichtwirkung im Biosyntheseweg des Chlorophylls (vgl. 3.2.).

Selbst im Dauerdunkel kann die Seneszenz von abgeschnittenen Blättern noch beschleunigt werden, z. B. durch Behandlung mit Abscisinsäure, einem Phytohor-mon, das u. a. regulierend auf die Differenzierung von Trenngeweben und auf Ruheperioden der Entwicklung wirkt. Ähnlich beschleunigend wirkt auch das Äthylen. Ob allerdings diese Signalstoffe den Seneszenzverlauf in der intakten Pflanze mitbestimmen, ist nicht klar. Im Fall der Kräuter, besonders der monokar-

100

0

0

2 3 4 Sen eszenz,Tage

Bild 15. Chlorophyllabbau in Blattseg- menten von Gerste unter dem Einfluss von Jas-monsäure Methylester (45 molar) bzw. Cytoki-nin (45 jimolar Benzyladenin). Inkubation bei 24 °C in permanenter Dunkelheit. Daten aus R. Weidhase et al., 1987.

80 0

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20

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Bild 16. Die obere Hälfte dieses Tabak- blattes (Bildmitte rechts) wurde mit Cytokinin-lösung besprüht. Dies löste Seneszenz und Ver-gilbung in der unbehandelten Blatthälfte aus. So entstand ein einfaches Source-Sink-System: die Mobilisation von Zellbestandteilen im unbehan-delten Teil (Source) deckt den Nährstoffbedarf für den aufbauenden Stoffwechsel in der jugend-lich grünen Blatthälfte (Sink). Original von B. Parthier.

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pisch seneszierenden (Einsetzen der Seneszenz im ganzen vegetativen Teil der Pflanze nach erfolgter Befruchtung der Samenanlagen) wird gegenwärtig heftig diskutiert, ob die Alterung überhaupt hormonal reguliert sei. Alle Anstrengungen zur Behändigung des postulierten, von jungen Früchten abgegebenen «Todeshor-mons» sind nämlich bisher kläglich gescheitert. Deshalb setzt sich gegenwärtig eine andere Vorstellung durch, welche Seneszenz mit der Aktivität von nährstoff-hungrigen wachsenden Pflanzenteilen verbindet. In der englischen Terminologie werden solche jugendlichen Organe, wie wachsende Blätter oder Früchte, als «Sinks» (Abläufe) bezeichnet. Ihnen werden die Lieferanten von Baustoffen, die alternden Organe, als «Sources» (Quellen) gegenübergestellt. Auslösung des Proteinabbaus im Blatt durch Abfluss von Nährstoffen zu den Sinkorganen: dieses Source-Sink-Konzept würde einen Sensor im Blattbereich voraussetzen, etwa eine Messstelle im Transportgewebe, welche den Gang der Entwicklung im Mesophyll auf die Bedürfnisse der Sinks abstimmt (vgl. M. Kelly and P. Davies, 1988). Zahlreiche Experimente können das Source-Sink-Konzept trefflich illustrieren (Bild 16); trotzdem bleibt es vorläufig eine interessante Hypothese, welche auf erhärtende und vertiefende Experimente wartet.

Zu den Umweltfaktoren, welche Seneszenz nachhaltig beeinflussen können, gehört auch Wassermangel. Vergilbung von Kräutern, zuweilen auch von Gehölz-pflanzen, wird bei andauerndem Trockenstress auch ausserhalb der normalen Entwicklung ausgelöst. Dies steht (zumindest bei den bisher untersuchten Syste-

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men) mit einer hormonähnlichen Gruppe von Signalstoffen, den Jasmonaten, in Zusammenhang. Sie werden in angewelkten Blättern aus Linolensäure gebildet, induzieren tiefgreifende Umstellungen in der Proteinsynthese und lösen indirekt die Blattseneszenz aus. Methyljasmonat ist der wirkungsvollste Promotor der Blattseneszenz (Bild 15), offenbar Teil eines Notstandsprogramms, das ein Über-dauern von Trockenstress durch die Elimination der transpirierenden Blätter nach vorgängiger Rückgewinnung von Wertstoffen ermöglicht (vgl. B. Parthier, 1990). Für den Anbau von Getreide in Klimazonen mit regelmässiger Trocknis gegen Ende der Vegetationszeit sind daher nur Sorten geeignet, welche zögernd auf den Stress reagieren und nicht vorzeitig durch Seneszenz die photosynthetische Lei-stungsfähigkeit der Blätter einbüssen. Als eine Adaptation an den winterlichen Trockenstress bei gefrorenem Bodenwasser können herbstliche Blattseneszenz und Blattfall der laubwerfenden Bäume gelten. Umgekehrt sind die Immergrünen mit ausgeprägt xeromorphen Blättern versehen und vermögen dadurch solche Stressperioden zu überdauern.

3 Ergrünen

3.1 Plastidendifferenzierung

Entfaltung und Ergrünung der Blätter ist mit einer gewaltigen Vermehrung der Blattgrünkörner verbunden. Je nach Pflanzenart enthalten die reifen Zellen pho-tosynthetisch aktiver Gewebe 50-100 Chloroplasten; pro m 2 Blattfläche sind dies 10" bis 10 12. Die Chloroplasten (Bild 17) stellen eine von mehreren Ausprägungen von Plastiden dar, die letztlich durch Teilung und Differenzierung aus den juveni-len Proplastiden entstehen (Bild 18). Hält man wachsende Blätter im Dunkeln, unterbleibt die für Chloroplasten typische Ausbildung des inneren Membransy-stems. Anstelle der grossen Fläche der Thylakoide entsteht ein kristallartiger Komplex von Membranröhrchen, der für die bleichen Etioplasten typische Prola-mellarkörper, aus welchem im Licht sehr schnell die mit Chlorophyll beladenen Thylakoide herauswachsen. Die Differenzierung des photosynthetisch kompeten-ten Organells ist streng lichtabhängig. In den nichtgrünen Organen bleibt die Entwicklung auf Stufe Proplastiden stehen, oder es kommt zur Ausprägung von Amyloplasten, der auf Stärkespeicherung spezialisierten Form in Reservegewe-ben von Samen, Wurzelknollen und Rhizomen.

Aus den grünen Chloroplasten können zwei Formen von gelbgefärbten Plasti-den entstehen, welche auf den ersten Blick so ähnlich sind, dass die terminologi-sche Abgrenzung als eine Spitzfindigkeit anmuten mag: Chromoplasten und Gerontoplasten (Bilder 19 und 20). In beiden Fällen ist die Differenzierung mit dem Verlust des Chlorophylls verbunden, und die Färbung beruht auf dem Gehalt an Carotinoiden. Auch strukturell bestehen grosse Ähnlichkeiten, zumindest zwi-schen den Gerontoplasten, der Altersform in vergilbenden Blättern, und dem globulären Typ der Chromoplasten: das Thylakoidsystem ist nur rudimentär vorhanden und im elektronenmikroskopischen Bild dominieren die kontrastrei-

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Vom Ergrünen und Vergilben der Blätter 25

chen Plastoglobuli. Die Chromoplasten verleihen vielen Blütenorganen eine gelb bis gelborange Farbe, aber auch Früchte wie Tomaten oder die Speicherwurzeln

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Bild 17. Feinstruktur eines Chloroplasten aus einer Mesophyllzelle von Phaseolus vidgaris.

Strich: 1 jum. Original von H. Falk.

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Philippe Matile

Etioplast Chloroplast

Bild 18. Metamorphose der Plastiden. Er- klärungen im Text.

Bild 19. Chromoplasten: Tulpenpetalen sind zunächst grün und verfärben sich bis zur Blütenöffnung, im vorliegenden Fall nach Gelb. Die grünen Chloroplasten differenzieren dabei zu Chromoplasten, in welchen die Carotinoide akkumuliert sind. Original von H. K. Lichten-thaler.

Bild 20. Gerontoplast in einer Mesophyll- zelle eines vergilbten Spinatblattes. Die Thyla-koide sind vollständig abgebaut; zurückgeblie-ben sind zahlreiche Plastoglobuli in einer noch immer intakten Membranhülle. Original von H. K. Lichtenthaler.

der Möhre sind farbig aufgrund dieses Plastidentyps. Chromoplasten sind teilungs-fähig, besitzen mehrere Kopien des Plastidengenoms und sind biosynthetisch aktiv, insbesondere hinsichtlich der Carotinoide. Demgegenüber sind Gerontopla-sten weder teilungsfähig noch biosynthetisch aktiv, verlieren früh das Genom und sind ganz auf anabolische Prozesse festgelegt. Diese Unterschiede rechtfertigen die Abgrenzung der Gerontoplasten gegen die Chromoplasten (P. Sitte et al., 1980;

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Vom Ergrünen und Vergilben der Blätter 27

B. Parthier, 1990), trotz dem gemeinsamen Strukturmerkmal der vergrösserten und zahlreicher werdenden Plastoglobuli. Diese lipophilen Einschlüsse enthalten in den Chromoplasten die neugebildeten Carotinoide; in den Gerontoplasten akku-mulieren in ihnen unverdaute bzw. unverdauliche Bestandteile der Thylakoide, u. a. Plastochinon, Tocopherol, freie und veresterte Carotinoide (K. Lichtenthaler, 1969; H. Tevini und D. Steinmüller, 1985).

3.2 Chlorophyllsynthese Unmittelbare Vorstufe der Tetrapyrrole ist die 5-Aminolävulinsäure (Ala). Aus ihr entsteht zum Auftakt der Synthese von Chlorophyll, wie auch von Fe-Porphyrinen, das Porphobilinogen; diese Pyrroleinheiten sind Kondensationsprodukte von je zwei Molekülen Ala (Bild 21). In der Folge werden vier Porphobilinogene zum zyklischen Tetrapyrrol Uroporphyrinogen zusammengefügt. Durch Modifikation verschiedener Propion- und Essigsäure-Seitenketten entsteht Protoporphyrin, wel-ches entweder nach Komplexierung mit Eisen in Richtung Häm oder durch Einbau von Magnesium in den Weg zum Chlorophyll eingeschleust wird. Für Chlorophyll charakteristisch ist der zusätzliche Ringschluss am Pyrrol C zum Protochlorophyl-lid. Die Reduktion einer Doppelbindung im Pyrrol D liefert schliesslich Chloro-phyllid a, dessen Veresterung mit dem lipophilen Diterpenalkohol Phytol (Reak-tion mit Geranylgeraniolpyrophosphat, anschliessend Reduktion von drei Doppel-bindungen) zum Endprodukt Chlorophyll a führt. Chlorophyll b unterscheidet sich von a durch den Ersatz der Methylgruppe am Pyrrol B durch einen Formylrest und ist wohl Oxidationsprodukt von a.

Die Biosynthese der grünen Blattpigmente ist in grossen Zügen und bis in viele Einzelheiten der Enzymologie aufgeklärt (Übersichten: z. B. P. Castelfranco und S. Beale, 1983; N. Rüdiger und S. Schoch, 1988). Von den zahlreichen Enzymen, welche mit ihren Spezifitäten den komplizierten Weg bestimmen, sei zunächst die Photochlorophyllid-Oxidoreduktase, welche lichtabhängig Chlorophyllid a bildet, herausgegriffen. Dieses Enzym kommt in grossen Mengen im Prolamellarkörper der Etioplasten vor. Es bindet mehrere Protochlorophyllide, die sehr rasch umge-setzt werden, sobald die Etioplasten oder Proplastiden Licht empfangen. So kommt es zu einer ersten, schnellen Ergrünung etiolierter Blättchen. Bis zur Stufe Protochlorophyllid sind die Vorläufer von Chlorophyll nämlich rot. Die Reduktion zum Chlorophyllid bewirkt eine Verlagerung der Lichtabsorption in den roten Spektralbereich; das Pigment wird grün. So kann die Protochlorophyllid-Oxido-reduktase als das eigentliche Ergrünungsenzym bezeichnet werden. Unter Licht-einfluss wird merkwürdigerweise ein erheblicher Teil des Enzyms inaktiviert und abgebaut, aber der in den nun wachsenden Thylakoiden verbleibende Rest genügt zur lichtabhängigen Reduktion von neuem Protochlorophyllid, das nach einigen Stunden nachzufliessen beginnt. Im Dunkeln wirkt sich eine wichtige Rückkop-pelungshemmung von Mg-Protoporphyrin auf die Synthese des Porphyrinvorläu-fers Ala aus. Es entsteht daher nur eine geringe Menge von unmittelbaren Vorläu-fern des Chlorophylls. Nach Beginn der Belichtung kommt jedoch die Synthese erst nach längerem Verzug in Gang, weil die Stufe von Glutaminsäure zu Ala zwar

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OH CO COOH 01-1 2 01-12 0I-1 2 CH 4.

C:0 CH2 CH2 (11-12 NH 2

b-AMINOLÄVU- PORPHOBILINOGEN %, NH HN ' LINSÄURE / D C \ HOOCCH 2 / -c. N CH2COOH

1.1ROPORPHYRINOGEN (CH2)2 (C1-1 2 ) 2 COOH COOH

HOOC 0H2 COOH

H 2C 1-12 CH2 COOH

U 2 0 H 2

/ H 00CC H 2 'Cs (C H 2 ) 2 C 0 0 H N H 2 C4 N .--------„,.._ \

A N Z B /

NH HN , H C' C

COOH

HO2 C Cfb

tH 3 Mg - PROTOPORPHYRIN

CO2 H HO2C 1-102 C

PROTOCHLOROPHYLI I

CHLOROPHYLLID

D

HO2C

N

CHLOROPHYLL a

28 Philippe Matile

NADPH

COOH ATP CH 2

tRNS

NH 2 1-1 C-0-tRNS

COOH CH 2 CH 2

NH 2 CH COOH

GLUTAMINSÄURE

Bild 21. Biosynthese von Chlorophyll, vereinfacht nach P. Castelfranco und S. Beale (1983) sowie N. Rüdiger und S. Schoch (1988).

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Vom Ergrünen und Vergilben der Blätter 29

Glutaminsäure

Licht -r* Phytochrom ss,

,t-Am nolävulinsäure

i \

%

Mg i t

'''' Protoporphydr>+Mg-Protoporphyrin

L to- -Mg- Pro

SAM

Methylester Bild 22. Die komplexe Regulation der Chlorphyllsynthese durch Licht. Phytochrom

1 1 Fe. 02

'Protochlorophyllid Pfr-abhängige Produktion von Ala; lichtabhän- gige Reduktion von Protochlorophyllid zu Chlo-

Licht. NADPH rophyllid. Gestrichelte Verbindungen geben

Chlorophyllid rückgekoppelte Hemmungen an. Verändert und

l 'Phytor vereinfacht aus P. Castelfranco und S. Beale.

Chlorophyll a 1983.

ebenfalls lichtabhängig ist, aber auf dem Umweg über Proteinsynthese aktiviert wird. Dabei dient, wie bei zahlreichen anderen Photomorphosen, das Phytochrom als Sensor für die Expression der entsprechenden Gene (Bild 22).

Die Synthese von Ala ist erwähnenswert, weil sie in Pflanzen auf einem anderen Weg erfolgt als in tierischen Zellen, in welchen Ala aus Glycin und Bernsteinsäure entsteht. Pflanzen produzieren Ala aus Glutaminsäure, die zunächst wie für die Proteinsynthese mit Transfer-RNS beladen, dann zum Semialdehyd reduziert und intern zu Ala transaminiert wird (Bild 21). Die Synthese von Ala ist der eigentliche Schrittmacher der Pigmentproduktion.

Neben den erwähnten Regulationen ist mit der Hemmung der Komplexierung von Protoporphyrin mit Mg durch Folgeprodukte (Bild 22) eine weitere Kontrolle eingebaut. Offensichtlich ist die Gesamtregulation auf eine genaue Abstimmung der Synthese auf den Chlorophyllbedarf des ergrünenden Chloroplasten ausgelegt. Dies ist lebensnotwendig, weil die freien Porphyrine photodynamische Moleküle sind, die im Licht zerstörerisch wirken würden (vgl. 3.3 und 4.3). Es ist daher verständlich, dass zusätzlich zu den Rückkoppelungen auch der laufende Abbau von überschüssigen photodynamischen Vorstufen zum Biosyntheseprogramm ge-hört (C. Hougen et al., 1982).

Schliesslich scheint das Detail der Bildung des isozyklischen Rings am Pyrrol C erwähnenswert, weil es das bekannte Phänomen der chlorotischen Blätter bei Eisenmangel betrifft (Bild 22). Das verantwortliche Enzym ist abhängig von Fe-Ionen. Pflanzen tun sich allgemein schwer mit dem Erwerb von Fe aus dem Boden, und akuter Eisenmangel tritt, wie die Chlorosen an intensiv wachsenden und ergrünenden Trieben anzeigen, relativ häufig auf.

3.3 Pigment-Protein-Komplexe

Die Chlorophyllsynthese muss im Rahmen der ganzen Differenzierung von Chlo- roplasten gesehen werden. Die grünen Transformator-Moleküle der Strahlungs- energie sind in den Thylakoiden mit Proteinen komplexiert und ausserdem immer

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30 Philippe Matile

vergesellschaftet mit Carotinoiden. Nur in diesen Komplexen und integriert in die funktionelle Struktur der Membran sind die Chlorophylle stabil und können ihre Funktion erfüllen. Die Regulation des Ergrünens, insgesamt eine höchst komplexe Angelegenheit, betrifft deshalb auch die Apoproteine des Chlorophylls und all die anderen Strukturelemente der Thylakoide.

Durch Absorption eines Lichtquants im konjugierten Ringsystem des Porphy-rins wird Chlorophyll in einen energiereichen, angeregten Zustand versetzt. In der photosynthetischen Lichtreaktion dient diese Energie zum Antrieb einer Kette von Redoxreaktionen, beginnend mit der Wasserspaltung und endend mit der Reduk-tion von NADP+ (Bild 23). Die Herzstücke dieses Wunderwerks biologischer Energieumwandlung sind die zwei Photosysteme mit ihren Reaktionszentren, welche direkt in die Kette eingespannt sind. Sie bestehen aus Paaren von kovalent miteinander verbundenen Chlorophyllen. Zum Einfangen des Lichts und zur Zuleitung der Anregungszustände auf die Reaktionszentren dienen Antennenkom-plexe mit Hunderten von Chlorophyllmolekülen. Über die Hälfte des gesamten Chlorophylls sitzt indessen in den Lichtsammlern, über welche die eingefangene Energie zu den Antennen fliesst.

Das Chlorophyll ist an spezifische Proteine gebunden. Es steckt im wesentli-chen in drei Formen von Pigment-Protein-Komplexen. Zwei davon sind den Photosystemen (PS) direkt zugeordnet, CP I als Antenne dem PS I und CP II dem PS II. Das gesamte Chlorophyll b und etwa die Hälfte des Chlorophylls a sind an die beiden a/b-bindenden Polypeptide des Lichtsammlerkomplexes (LHC, light harvesting complex) gebunden. Jedes der Proteine ist mit 6 Chlorophyllen beladen, und ein LHC umfasst etwa 30 Proteine. Die Antennen CP I und CP II enthalten nur Chlorophyll a, wiederum gebunden an spezifische Apoproteine. All diese Apoproteine binden indessen nicht nur Chlorophylle, sondern ebenso spezifisch auch Carotinoide, die Antennenproteine vorwiegend ß-Carotin, die LHC-Proteine Xanthophylle. Über die ganzen Thylakoide integriert kommen auf 100 Chloro-phylle rund 20 Carotinoidmoleküle.

Faszinierend an der Photosynthese ist nicht zuletzt die Gefährdung des Chlo-rophylls durch das Licht. Im Starklicht wird unweigerlich die Kapazitätsgrenze

Licht Bild 23. Modell des photosynthetischen Elektronentransports in der Thylakoidmembran mit Betonung der Pigment-Proteinkomplexe von Lichtsammler (LHC) und Photosystemen I und II. Am Photosystem II sitzt der wasserspal-tende Proteinkomplex. Plastochinon (PQ), Cy-tochromkomplex (Cyt) und Plastocyanin (PC) sind Komponenten der Elektronentransportkette zwischen den Photosystemen II und I. Die Kom-plexe sind eingebettet in eine Doppelschicht von Galactolipiden. Das Ganze muss als Flüssig-Mosaikstruktur beweglich gedacht werden. Bei grosser Intensität des einfallenden Lichtes be-wegt sich beispielsweise der LHC zum Photosy-stem I. In Anlehnung an D. Lawlor, 1987.

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Vom Ergrünen und Vergilben der Blätter 31

Fluoreszenz

Licht

i'

aktivierter Sauerstoff

Chlorophyll 102 Carotinoid

angeregtes 302 Carotinoid Chlo ophyll •Wärme

yl Elektronentransport

NADF•

Bild 24. Schutz des Chlorophylls vor Selbstzerstörung durch aktivierten Sauerstoff ('02): Rolle der Carotinoide als Quencher von S ingulett-S auerstoff.

der photosynthetischen Umwandlung der absorbierten Strahlung in chemische Energie erreicht. Es kommt zum Rückstau in der Elektronentransportkette und zur Überlastung der Photosysteme und ihrer Lichtsammler. Angeregtes Chlorophyll kann zwar gefahrlos Energie durch Fluoreszenz loswerden, aber es kann die Energie auch auf Sauerstoffmoleküle übertragen und diese zum aggressiven Singulettsauerstoff aktivieren. Die Folge davon wäre die photooxidative Zerstö-rung des Chlorophylls, die Peroxidation von ungesättigten Fettsäuren und andere letale Ereignisse (vgl. J. Knox und A. Doge, 1985). Zum Schutz der Pigmentkom-plexe vor dem Photobleaching (Ausbleichung im Licht) sind die Carotinoide da: sie zerdrücken (Quenching) die Energie des Singulettsauerstoffs zu harmloser Wärme (Bild 24). Nichts könnte die Bedeutung der gelben Pigmente für die Entschärfung des aktivierten Sauerstoffs besser illustrieren als Genotypen von Pflanzen, die keine Carotinoide synthetisieren können. Solche Pflanzen sind nur im Schwachlicht lebensfähig; dem direkten Sonnenlicht ausgesetzt bleichen sie schnell aus und sterben ab. Ein besonders hinterhältiger Trick für die Abtötung von Pflanzen mit Herbiziden basiert auf Hemmstoffen der Carotinoidsynthese wie Norflurazon (z. B. S. Mayfield et al., 1986). Umgekehrt kann die Photodynamik von Porphyrinen auch sinnvoll eingesetzt werden, wie die «Photoradiation Thera-py» von Tumoren zeigt. Hier nützt man die Anhäufung bestimmter Hämatoporphy-rine in malignem Gewebe aus und tötet dieses durch Laserlicht ab (T. Dougherty et al., 1978).

Die photodynamische Aktivierung von Sauerstoff durch Chlorophyll ist nur ein Beispiel für zahlreiche weitere Gefährdungen der belichteten Chloroplasten. Ne-ben den erwähnten Quenchern existieren andere Systeme, die sich der ebenfalls gefährlichen Sauerstoffradikale annehmen. Es wird zu zeigen sein, wie die Not-wendigkeit zu Schutz und Entgiftung bis zum Ende der Blattentwicklung vorhält (vgl. 4.3).

4 Chlorophyllabbau

4.1 Chlorophyllkataboliten Die Aufklärung des Chlorophyllabbaus muss sich auf die Kenntnis der Abbaupro- dukte stützen können. Abbauwege und Abbaureaktionen können erst formuliert

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32 Philippe Matile

7

4

3

Bild 25. Dünnschichtchromatogramm * 2 von Blattextrakten von reifgrünen (A und C)

1 bzw. vergilbenden (B und D) Blättern von Fe-stuca pratensis. Bf 993 ist eine nichtvergilbende Mutante: weder die grünen (A) noch die senes-zenten Blätter (B) enthalten Stoffe, welche im

L---J vergilbenden Blatt des Wildtyps (D) auftreten. 1-4 sind rosarote, 5 und 6 auf der entwickelten

A Platte rostrot bzw. ocker werdende Flecken. 7, Bf 993 Rossa bei der Aufarbeitung unvollständig entferntes

nicht ver- vergilbend Phäophytin und Carotinoid. Aus Ph. Matile et gilbend al., 1987.

werden, wenn die Kataboliten bekannt sind. Zwar waren wiederholt grüne, was-serlösliche Derivate von Chlorophyll im Zuge des Abbaus beobachtet worden. Ihnen fehlt der lipophile Phytolrest, zudem im Fall des Phäophorbids das Mg-Zen-tralatom (S. Schoch und F. Vielwerth, 1983; H. Haidl et al., 1985; D. Amir-Shapira et al., 1987), aber das Ringsystem des Porphyrins ist noch intakt. Inzwischen ist der Grund für das scheinbar spurlose Verschwinden des Blattgrüns klar geworden: die Kataboliten mit aufgebrochenem Porphyrin sind farblos, ganz im Gegensatz zu den analogen Gallenfarbstoffen aus tierischem Häm.

Bei der Entdeckung dieser Kataboliten spielte neben einem Zufall ein nichtver-gilbender, gewissermassen immergrüner Genotyp des Wiesenschwingels Festuca pratensis die Hauptrolle. Der Phänotyp kommt erst in den alternden Grasblättern zum Ausdruck. Während die Blätter des Wildtyps «Rossa» normal vergilben, bleiben sie bei der Mutante «Bf 993» grün, obwohl andere Seneszenzprozesse ausser dem Chlorophyllabbau normal stattfinden (H. Thomas und J. Stoddart, 1975). Die genetische Analyse enthüllte einen simplen monohybriden Erbgang; das Allel «Sid» (senescence induced deficiency) ist also im Genom des Kerns lokalisiert (H. Thomas, 1987b).

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Vorn Ergrünen und Vergilben der Blätter 33

Der erwähnte Zufall bestand in der Verwendung eines angesäuerten Lösungs-mittels (ungewöhnlich für Arbeiten mit Chlorophyll!) zur Extraktion seneszenter Blätter beider Genotypen, Rossa und Bf 993. Auf den Dünnschichtchromatogram-men erschienen verschiedene farbige oder farbig werdende, u. a. rosarote Flecken, aber ausschliesslich im Fall des vergilbenden Genotyps Rossa (Bild 25). Ähnliche Phänomene konnten in der Folge auch mit Blättern von Gerste und andern Arten beobachtet werden, stets streng korreliert mit Seneszenz und Chlorophyllabbau (Ph. Matile et al., 1987). Später stellte sich heraus, dass diese «Pink Pigments» im sauren Milieu aus farblosen Substanzen entstehen (Ph. Matile et al., 1989).

Die nativen Substanzen wurden auf einem Umweg, und zwar anhand ihrer Fluoreszenz im ultravioletten Licht, einer fürs Experimentieren sehr praktischen Eigenschaft, entdeckt. Interessanterweise spielen fluoreszierende Stoffe auch in der tierischen Gerontologie eine Rolle: die sog. Lipofuscine oder Alterspigmente sind Folgeprodukte der Peroxidation mehrfach ungesättigter Fettsäuren; eines dieser Produkte ist Malondialdehyd, das mit Aminosäuren reagiert, wobei fluores-zierende — N = C — C = C — N-Strukturen von Schiffschen Basen entstehen. Lipofuscinartige Stoffe sind auch in Pflanzen mehrfach angetroffen worden, so etwa in reifenden Bananen und Birnen (Y. Maguire und N. Haard, 1975) und auch in vergilbenden Blättern (J. Wilhelm und N. Wilhelmova, 1981; M. Merzylak et al., 1982). Sie wurden vielfach als Indikatoren der Seneszenz benutzt und als ein Mass für Membranschädigungen durch Lipidperoxidation aufgefasst (vgl. J. Thompson et al., 1987). Die Analyse von Lipofuscin in den zwei Genotypen von F. pratensis bereitete insofern eine Überraschung, als sie nur im vergilbenden Rossa, überdies hübsch korreliert mit der Geschwindigkeit des Chlorophyllab-baus, auftraten (Bild 26). Es liessen sich jedoch zwischen den beiden Genotypen keine Unterschiede in der Lipidperoxidation ausmachen. Weil die Mutation beim nichtvergilbenden Bf 993 so eindeutig den Chlorophyllabbau betrifft, lag es auf der Hand, die lipofuscinartigen Stoffe als Kataboliten der Chlorophyllporphyrine in Betracht zu ziehen (T. Düggelin et al., 1988a).

Ch

loro

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0 • ChI 100

B(993

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FC 60

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520 440 MIO 250nm

4 20 Chl

Bf 993, FC

0 0

0

2 3 4 5

6 Seneszenz; Tage

Bild 26. Korrelation zwischen Chloro- phyllabbau und Auftreten von fluoreszierenden Stoffen (FC) in Blättern des vergilbenden (Ros-sa) bzw. nichtvergilbenden (Bf 993) Genotyps von Festuca pratensis. Die hohe Retention des Chlorophylls in Bf 993 ist mit dem Ausbleiben von fluoreszierenden Stoffen korreliert. Die Fluoreszenzspektren der FC sind ins Bild einge-setzt (ex: Anregung, em: Emission). Aus T. Düg-gelin et al., 1988a.

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34 Philippe Matile

Ähnliche blaufluoreszierende Stoffe treten auch in vergilbenden Gerstenblät-tern auf. Zwei Hauptkomponenten, FC 1 und FC 2 (FC: fluorescent compound), können bei Auftrennung mit hochauflösender Flüssigchromatographie (HPLC) unterschieden werden (Bild 27). Die Gehalte waren in wässrig-methanolischen Blattauszügen stets dann am höchsten, wenn Chlorophyll besonders rasch abge-baut wurde. Diese fluoreszierenden Stoffe boten sich daher als katabolische Zwischenprodukte des Chlorophyllabbaus an (T. Düggelin et al., 1988b).

Fluoreszenz erlaubt sehr empfindliche Messungen. In der Tat erwiesen sich die Substanzmengen als so gering, ausserdem die FCs als so labil, dass an eine

A

B

FC 2

FC1

E

1 1 1 1 1

0 4 8 12 16 20 24 0 4 8 12 16 20 24

Retentionszeit, min Bild 27. HPLC-Analyse des Zusammenhangs zwischen fluoreszierenden Stollen (FC) und Chlorophyllabbau in Gerstenblättern. Die Stoffe bis Retentionszeit 10 min haben keinen Zusammen-hang mit Blattseneszenz. A, grünreife Blätter. B, etiolierte (chlorophyllfreie) Blätter nach 3tägiger Alterung im Dunkeln (DD). C, sehr langsame Vergilbung: 2 Tage Seneszenz unter Photoperiode. D, retardierte Vergilbung, 2 Tage DD, unter Einfluss von Cytokinin (Benzyladenin 10 molar). E, rasche Vergilbung, 2 Tage DD. Aus T. Düggelin et al., 1988b.

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- 100

0 1 2 3 4 5 Seneszenz. Tage

Bild 28. Zeitverläufe von Chlorophyllab- bau und Auftreten der Kataboliten FC 2 und

o RP 14 in vergilbenden Gerstenblättern. Die Ge-halte an Kataboliten sind in willkürlichen Ein-heiten angegeben. Aus K. Bortlik et al., 1990.

0

100

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20

Vom I Ergrünen und Vergilben der Blätter 35

Isolation und Reinigung zunächst nicht zu denken war. In wesentlich grösseren Mengen tritt eine weitere Gruppe von mutmasslichen Kataboliten, bzw. deren Hauptkomponente auf. Im nativen Zustand sind sie farblos, oxidieren jedoch auf Dünnschichtplatten zu rostroten Pigmenten. Daher die Bezeichnung RP (rusty pigment) für diese im Lauf des Chlorophyllabbaus progressiv akkumulierenden (Bild 28), späte oder gar endgültige Kataboliten darstellenden Stoffe (K. Bortlik et al., 1990). Die Hauptkomponente RP 14 (Retentionszeit mit HPLC-Stan-dardsystem: 14 min) wurde gereinigt; ihr UV-Spektrum weist bei 320 nm einen prominenten Gipfel auf, der nach Oxidation zum rostroten Pigment verschwindet.

Bis dahin stützte sich die Identifikation von Chlorophyllkataboliten auf Ver-gleiche zwischen den beiden Festuca-Genotypen, auf Korrelationen mit dem Chlorophyllabbau in Gerstenblättern und ausserdem auf gewisse gruppenspezifi-sche Farbreaktionen in der Dünnschichtchromatographie. Zur Beweisführung waren solidere Fundamente unbedingt erforderlich. Als ein äusserst wertvoller Beitrag erwies sich die Reinigung von RP 14 zwecks Aufklärung der chemischen Struktur. Die akribische Arbeit B. Kräutlers ergab für den RP 14 die Struktur eines linearen Tetrapyrrols (Bild 29), dessen Verwandtschaft mit Chlorophyllid a in die Augen springt (B. Kräutler et al., 1991). In der Tat geht auf dem Abbauweg kein einziges der 35 C-Atome verloren; insbesondere bleibt das C-Atom der Methin-brücke zwischen den Pyrrolen A und B bei der oxidativen Öffnung des Porphyrin-rings erhalten. Dies ist bemerkenswert, weil beim Hämabbau die Methinbrücke als Kohlenmonoxyd abgeht. Dass der wasserlösliche RP 14 dephytiliert ist, er-staunt nicht. Die Struktur liefert auch Anhaltspunkte für die mutmasslichen enzy-matischen Reaktionen bei der Ringöffnung (Einwirkung einer Dioxygenase?) und bei den weiteren Oxidationen an den Seitenketten der Pyrrole A und B (Hydro-xylierungen vermutlich durch mischfunktionelle Oxygenase vom Typ Cytochrom P450).

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36 Philippe Matile

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CHLOROPHYLL I D a KATABOL I T RP 14 Bild 29. Konstitution des secoporphinoiden Kataboliten von Chlorophyll a, RP 14. Zum Vergleich ist auch Chlorophyllid a abgebildet. Der schwarze Pfeil weist auf die Ringöffnung, die offenen Pfeile markieren die neuen Hydroxylfunktionen an Seitenketten der Pyrrole A und B.

Ein zweiter Pfeiler der Beweisführung stellte auf die Markierung von Chloro-phyll in ergrünenden Gerstenkeimlingen mit radioaktivem Kohlenstoff ( 14C) und die anschliessende Analyse der radioaktiven Abbauprodukte im Verlauf der Blatt-seneszenz ab (C. Peisker et al., 1990). Die Wahl einer zweckmässigen Position von 14C im Vorläufer Ala (vgl. 3.2) sorgte für die exklusive Markierung der Chloro-phylle in den Pyrrolen, und dies mit einem Einbauerfolg von etwa 70 % der an die Keimpflanzen verfütterten Vorstufe.

Beim Abbau geht die ursprünglich lipophile Radioaktivität der grünen Pigmen-te progressiv in die wässrige Phase der Blattextrakte über, eine Bestätigung für die vermutete Abspaltung des Phytols zum Auftakt des Katabolilismus. Die Auftren-nung mit HPLC produzierte das verwirrende Bild einer Vielzahl von radioaktiven Kataboliten unterschiedlicher Polarität (Bild 30), aber zumindest ein bereits be-kannter Katabolit, RP 14, schälte sich als ein prominentes akkumulierendes Produkt heraus (C. Peisker et al., 1990). Mit derselben Technik konnte auch FC2 eindeutig als ein Abkömmling von Chlorophyll identifiziert werden (M. Schellen-berg et al., 1990).

Wenig Beachtung hatte bisher das Schicksal des Phytols gefunden (C. Peisker et al., 1989 und dort zit. Lit.). Mit dem Verschwinden des Chlorophylls ändert der Gesamtgehalt wenig. Freies Phytol tritt nur spärlich auf; ein ansehnlicher Teil bleibt in veresterter Form liegen (C. Peisker et al., 1989). Es handelt sich um den Acetylester, der zusammen mit anderen nicht weiter verwerteten Komponenten

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Vom Ergrünen und Vergilben der Blätter 37

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Retentionszeit, min

Bild 30. HPLC-Analyse von radioaktiv markierten Abkömmlingen von Chlorophyll-porphyrin, u. a. RP 14, in vergilbenden Gersten-blättern. Aus C. Peisker et al., 1990.

0

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1.2

08

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der Gerontoplasten (vgl. 3.1) in den Plastoglobuli abgestellt wird (K. Bortlik, 1990).

4.2 Biochemie des Abbaus

Chlorophyllase ist das einzige einigermassen gut charakterisierte Enzym, zugleich ziemlich sicher das erste auf dem katabolischen Weg. Es ist ein Bestandteil der Thylakoide, ein Glykoprotein, das seine Aktivität in vitro nur unter unphysiologi-schen Bedingungen, z. B. in Gegenwart von Detergentien, entfaltet (D. Amir-Shapira et al., 1986). Die Chlorophyllase scheint in den Chloroplasten immer vorhanden zu sein, allerdings wirkungslos, zumindest in Gräsern, bevor die Blattseneszenz einsetzt. Die Regulation der Aktivität ist umso rätselhafter, als die Spaltung des Chlorophylls von cytoplasmatischer Proteinsynthese abhängt, ob-wohl das Enzym bereits vorhanden ist (H. Thomas et al., 1989).

Chlorophyllide bzw. Phäophorbide werden offensichtlich schnell weiterverar-beitet, denn sie treten in vergilbenden Blättern normalerweise nur in Spuren auf. Nicht so beim nichtvergilbenden Wiesenschwingel. Hier akkumuliert Chlorophyl-lid progressiv im Lauf der Blattseneszenz, wobei es jedoch ans Lichtsammlerpro-tein gebunden bleibt (H. Thomas et al., 1989). Beim Bf 993 muss daher der genetische Defekt in einem Folgeschritt liegen. Dieser Schritt, vermutlich die

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38 Philippe Matile

Tabelle 2. Lokalisation von Chlorophyllkataboliten in Mesophyllprotoplasten von seneszenten Gerstenblättern. Die Berechnungen stellen auf Chlorophyllgehalte (Leitstoff der Gerontoplasten) und a-Mannosidaseaktivität (Leitenzym der Vakuolen) ab. Mit N-Acetylglucosaminidaseaktivität und Apfelsäure (vakuolär) bzw. 3-Glycerinaldehyd Dehydrogenaseaktivität (Plastiden) wurde die Vertei-lung überprüft. Ca. 7 % des Kataboliten FC 2 befinden sich in den Gerontoplasten. FC 1 und RP 14 sind (im Rahmen der Genauigkeit der Kompartimentierungsanalyse) vollständig vakuolär. Daten aus Düggelin et al., 1988b und Bortlik et al., 1990.

Prozentuale Gehalte in: (Protoplasten = 100 %) Gerontoplasten Vakuolen

Chlorophyll 100 0

a-Mannosidase 0 100

N-Acetylglucosaminidase 0 107

Apfelsäure 1,4 84

3-Glycerinaldehyd DH 118 3

Kataboliten: FC I 0,97 ± 0,37 95,7 ± 3,3

FC 2 7,33 ± 1,23 95,7 ± 7,3

RP 14 0 95,0

Ringöffnung, ist 02-abhängig, denn Chlorophyllid häuft sich auch in Rossa-Blät-tern an, falls sie in einer sauerstofffreien Atmosphäre inkubiert werden. Dasselbe Phänomen tritt auch in Blättern von Gerste oder Petersilie auf, falls die Vergilbung in Gegenwart von Stickstoff anstelle von Luft erfolgt (C. Peisker et al., 1989).

Ein völlig unerwartetes Ergebnis lieferte die Lokalisation von Chlorophyllka-taboliten in den seneszenten Mesophyllzellen von Gerstenblättern (Tabelle 2). In den gut gereinigten Gerontoplasten, also am Ort des Chlorophyllabbaus, befindet sich nur gerade ein geringer Anteil von FC 2; RP 14, FC 1 und der Hauptteil von FC 2 sind in den Zentralvakuolen kompartimentiert (Ph. Matile et al., 1988; T. Düggelin et al., 1988b). Die Kataboliten werden offensichtlich aus den Geronto-plasten ins Cytoplasma entlassen, durch die Vakuolenmembran transportiert und im Zellsaft zurückgehalten. Das Interesse konzentrierte sich natürlich auf den kleinen Pool von FC 2 in den Plastiden, war doch zu vermuten, dass er die unmittelbar aus Chlorophyllid entstandenen Kataboliten repräsentiert.

Experimente mit isolierten Gerontoplasten waren zunächst wenig ergiebig. Der Gehalt an FC 2 schien nur zuzunehmen, falls die suspendierten Organellen dem Tageslicht ausgesetzt waren. Dies stand im Widerspruch zum raschen Chloro-phyllabbau im verdunkelten Gerstenblatt. Wie sich später herausstellte, zeigte die Lichtabhängigkeit lediglich eine überraschende Energieabhängigkeit (bzw. ATP-Abhängigkeit) der FC-2-Produktion an. Gerontoplasten sind mit ihren Restbestän-den an Thylakoiden noch photochemisch aktiv und produzieren im Licht ATP. Bei Zugabe von ATP in der Suspensionslösung entsteht FC 2 tatsächlich auch im Dunkeln (Tabelle 3). Setzt man Gerontoplasten mit radioaktiv markiertem Chlo-rophyll ein, entsteht im Dunkeln und in Gegenwart von ATP radioaktiver FC 2 (M. Schellenberg et al., 1990).

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Vom Ergrünen und Vergilben der Blätter 39

Tabelle 3. Produktion von FC 2 in organello. Gerontoplasten wurden aus Mesophyllprotopla- sten von 3 Tage lang im Dunkeln vergilbenden Gerstenprimärblättern isoliert und gereinigt. DCMU ist ein Hemmer des photosynthetischen Elektronentransports und verhindert die ATP-Produktion im Licht. FC 2 wurde mit HPLC gemessen; die Gehalte sind in 10 3 Einheiten der integrierten Fluores-zenzintensität pro 10 7 Gerontoplasten angegeben. Die Inkubationszeit betrug 60 min. Aus Schellen-berg et al., 1990.

Bedingungen der Inkubation FC-2-Gehalt Veränderung

vor der Inkubation 58 —

nach der Inkubation Licht 196,5 +138,5 Licht + DCMU 55 – 3

Dunkel 55,5 – 2,5 Dunkel + ATP 2mM 178 +120

+ ATP 5mM 188 +130

Osmotisch zerstörte Gerontoplasten + ATP 5mM 32 – 26

Die Aktivität des von ATP abhängigen Systems der FC-2-Bildung ist ausge-zeichnet korreliert mit dem Chlorophyllabbau in Gerstenblättern (Bild 31). Es scheint sich um ein rasch umgetriebenes Enzym zu handeln, dessen Aktivität nach Hemmung der cytoplasmatischen Proteinsynthese drastisch abfällt. Die Aktivität ist 02-abhängig und bei der Reaktion scheinen Eisenionen im Spiel zu sein.

Noch ist die Identität des für die oxidative Ringöffnung verantwortlichen Enzyms unbekannt. Dies liegt vor allem am Umstand, dass die Reaktion nur in den intakten Gerontoplasten abläuft, in den osmotisch zerstörten Organellen entsteht kein FC 2. Rekonstitution des Systems aus aufgebrochenen Organellen ist zwar im Prinzip möglich, falls Thylakoide mit konzentriertem Stroma gemischt werden, aber die Bemühung um die Etablierung eines einfachen Mess-Systems mit einem definierten Substrat, z. B. Chlorophyllid a, war bisher erfolglos. Unklar ist bisher auch die Rolle des ATPs geblieben. Sie betrifft beispielsweise sicher nicht die Phosphorylierung von Apoproteinen des Chlorophylls; auch ATP-abhän-gige Spaltung dieser Proteine verbunden mit der Freisetzung von Chlorophyllid scheint unwahrscheinlich zu sein. Jedenfalls hat ATP eine Funktion in der Produk-tion von FC 2 im Innern der Gerontoplasten, daneben aber auch eine zweite externe Funktion beim Ausfluss des Kataboliten ins Cytosol bzw. ins Medium. Im Licht, wenn nur internes ATP auftritt, entsteht FC 2, bleibt aber in den Plastiden, wogegen im Dunkeln das externe ATP ein rasches Ausfliessen von FC 2 bewirkt.

Es sei nicht verschwiegen, dass eine ganze Reihe von in vitro Systemen zur Bleichung von Chlorophyll, also zur Ringöffnung am Porphyrin existieren. Sie sind alle mit dem Nachteil verbunden, dass weder die Natur der Kataboliten bekannt, noch ein Nachweis der Relevanz für den Abbau in vivo erbracht worden ist (vgl. Ph. Matile, 1991). Das oben vorgestellte System von Gerstenblättern ist das bisher einzige, das solche Nachteile nicht aufweist, aber es könnte sich

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Bild 31. Die ATP-abhängige Bildung von FC 2 in Gerontoplasten (A) ist positiv korreliert

5 mit der Geschwindigkeit des Chlorophyllabbaus

(B). Nach Vorbehandlung der Blätter mit Cy-cloheximid (vgl. S. 17) fällt die Aktivität dra-

0 stisch ab, der Chlorophyllabbau ist daher von stetiger cytoplasmatischer Proteinsynthese ab-hängig.

durchaus herausstellen, dass andere Pflanzen, z. B. dicotyle Kräuter oder Bäume, ihr Chlorophyll mit anderen biochemischen Werkzeugen zerstören.

Ein für Gerste sich anbietender hypothetischer Abbauweg des Chlorophylls, der sich aus den bisher erarbeiteten Kenntnissen ergeben hat, gewissermassen der gegenwärtige Stand der Ignoranz, ist im Bild 32 dargestellt. Das Bild wird in Zukunft zweifellos viel komplizierter werden, falls es gelingt, zahlreiche noch bestehende Wissens- und Verständnislücken zu füllen. Wichtige Lücken betreffen die ersten Schritte, also die Regulation der Chlorophyllase und die Entfernung des Mg-Zentralatoms, welche möglicherweise enzymatisch durch Mg-Dechelatase erfolgt (R. Ziegler et al., 1988). Der entscheidende Schritt im Porphyrinabbau ist jedoch zweifellos die Ringöffnung bzw. das Vergilbungsenzym, vermutlich eine Dioxygenase, welche molekularen Sauerstoff an die Doppelbindung der Methin-brücke zwischen den Pyrrolen A und B anlagert. Die Identifikation dieses Enzyms ist ebenso vordringlich wie die Aufklärung der ATP-Bedürftigkeit der Reaktion. Nicht zuletzt ist selbstverständlich der Abbau der Apoproteine des Chlorophylls spannend. Über den Proteinabbau in Chloroplasten ist, gemessen an der Bedeutung

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Bild 32. Mögliche Abfolge von Reaktio- nen beim Chlorophyllabbau in Gerontoplasten und der Anhäufung von Kataboliten in den Vakuolen. Gegenwärtiger Stand der Abklärun-gen.

Envelope

Tonoplast

Zellsatt

dieses Prozesses für die Rezirkulation des Stickstoffs in der Pflanze, erstaunlich wenig bekannt geworden.

Spannend wird auch die Aufklärung des Transports der primären Chlorophyll-kataboliten in die Vakuole und die weitere Metabolisierung zu sekundären Kata-boliten sein. Die ATP-Abhängigkeit des Austritts von FC 2 aus den Gerontoplasten wie auch die Resultate der Kompartimentierungsanalyse zeigen unzweideutig an, dass FC 2 nicht frei durch Membranen diffundieren kann. Es gilt daher die für die Bewegung des Kataboliten durch Plastidenhülle und Tonoplast verantwortlichen Transportproteine zu identifizieren und zu charakterisieren.

4.3 Bedeutung des Chlorophyllabbaus

Die Kataboliten des Chlorophylls scheinen in den seneszenten Blättern liegen zu bleiben. Pflanzen stehen offenbar den halbwegs verdauten Porphyrinen ebenso hilflos oder gleichgültig gegenüber wie die Tiere und überlassen die Rückführung in den Naturhaushalt den Mikroorganismen. Für den Stoffhaushalt der Pflanze wären ohnehin nur die vier Stickstoffatome des Chlorophyllmoleküls interessant. Stickstoff ist ein limitierendes Nährelement, aber im Vergleich zur viel grösseren Menge im Protein fallen die 3-5 % des Gesamtstickstoffs im Chlorophyll offen-sichtlich nicht ins Gewicht. Es mag daher verwundern, dass die Pflanzen überhaupt vergilben und einen ansehnlichen Aufwand mit dem Chlorophyllabbau treiben.

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Die Antwort bringt einmal mehr die nichtvergilbende Mutante des Wiesen-schwingels. In seinen seneszenten Blättern bleibt nämlich nicht nur das Chloro-phyll zurück; auch die Apoproteine der Pigmente, ja sogar die Hämproteine der Chloroplasten werden nicht abgebaut (u. a. P. Hilditch, 1986; P. Hilditch et al., 1989; T. Davies et al., 1990). Die hohe Retention der Carotinoide (Gut et al., 1987) zeigt überdies an, dass die ganzen Pigment-Proteinkomplexe vom Abbau ausge-schlossen sind. In den Gerontoplasten der Mutante bilden diese stabilen Komplexe ein myelinartiges System von Membranen, wogegen beim Wildtyp zuletzt prak-tisch nur die Plastoglobuli zurückbleiben. Die Störung im Porphyrinabbau scheint somit den Zerfall der Komplexe zu verhindern und die Apoproteine können solange nicht abgebaut werden, als sie mit den Pigmenten verbunden sind. Ohne Zweifel geht es nicht primär um die Chlorophylle, sondern um die viel grössere Menge an leicht rezirkulierbarem Stickstoff in den chlorophyllbindenden Protei-nen. In der Tat stecken in diesen fast ein Drittel des gesamten N der Chloroplasten.

Somit ist die Frage nach der Bedeutung des Chlorophyllabbaus bereits beant-wortet. Die Komplexe müssen auseinanderbrechen, damit die Zerlegung der Proteine stattfinden kann, aber freie photodynamische Chlorophyllide (vgl. 3.3.) dürfen dabei unter keinen Umständen anfallen, denn die Zellen sollen bis zum Ende der Seneszenz vital bleiben. Das Wegfallen der schützenden Zuordnung von Chlorophyllen und Carotinoiden würde ohne die gleichzeitige Zerstörung der Porphyrinringe zu katastrophalen Photooxidationen führen. Wie verheerend sich freie Porphyrine auf belichtete Blätter auswirken, kann durch künstlich erzeugte Anhäufung von Protochlorophyllid demonstriert werden (H. Thomas und Ph. Matile, 1988). Nur Grünalgen wie Chlorella fusca können auf die Zerstörung der Porphyrine aus abgebautem Chlorophyll verzichten, indem sie diese Zellgifte ins Wasser abgeben (R. Ziegler et al., 1988). Für Landpflanzen ist eine wirkungsvolle Entgiftung lebensnotwendig, und für die Deponie der harmlosen Kataboliten dient dasselbe Zellkompartiment, die Zentralvakuole, in welchem auch die zahlreichen, oft potentiell autotoxischen Sekundärstoffe abgestellt werden (vgl. Ph. Matile, 1990).

5 Schlussbetrachtung

Die Lösung des Rätsels ist noch unvollständig, aber die Konturen des Chlorophyll-abbaus beginnen sichtbar zu werden. Das Grün verschwindet nicht mehr spurlos. Die chemische Struktur eines ersten Abbauprodukts des Porphyrinteils ist aufge-klärt, weitere Produkte sind soweit identifiziert, dass sie ebenfalls gereinigt und bearbeitet werden könnten. Noch bestehen grosse Lücken in der biochemischen Beschreibung des Abbauwegs. Vor allem fehlt das zentrale Element in Form des Vergilbungsenzyms, das die Ringöffnung besorgt. Bei diesem Enzym wird später die molekularbiologische Weiterführung der Arbeit ansetzen müssen. Enzyme mit ausschliesslich seneszenzbedingter Aufgabe sind bisher unbekannt geblieben. Das Vergilbungsenzym dürfte ein solches Protein sein, dessen Gen möglicherweise nur in der Schlussphase der Blattentwicklung exprimiert wird. Die molekularbiologi-

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sche Bearbeitung dieses Gens müsste sich jedenfalls im Hinblick auf die noch schleierhaft gebliebene Regulation der Seneszenz lohnen.

Das Rätsel ist also «im Prinzip» gelöst. Bekanntlich deutet diese beliebte Ausdrucksweise an, dass eigentlich das Gegenteil der Fall ist. Und so ist es in der Tat: im grösseren Rahmen von Rätseln, die uns das Phänomen Leben aufgibt, wird die Aufklärung des Chlorophyllabbaus nur eine ziemlich unbedeutende Beschrei-bung eines Stoffwechselweges darstellen und wenig beitragen zur Erkenntnis der lebenden Zellen, welche den unerlässlichen Schauplatz für das biochemische Geschehen bilden. Die Aneinanderreihung von Teilreaktionen zu Stoffwechsel-ketten und -netzen und ihreVerbindung mit dem Genom mögen den Eindruck einer vollständigen Erklärung für ein Lebensphänomen wie Blattvergilbung erwecken. Lösungen von Rätseln, die wir auf der biochemischen Ebene finden, sind jedoch insoferne unvollständig, als sie stillschweigend Naturdinge voraussetzen, im einfachsten Fall lebende Zellen, welche nicht auf Chemie reduzierbar sind. Zellen und all die höheren Organisationsstufen des Lebens bleiben «offenbare Geheim-nisse», die wir zwar täglich vor Augen, aber weder verstanden noch mit der Aufklärung biochemischer Zusammenhänge erklärt haben. Diese Einsicht mag ein Anlass zu Bescheidenheit und tiefem Respekt vor dem Leben sein.

Am Anfang dieses Arbeitsberichtes wurde die Augenweide der Herbstfarben in Erinnerung gerufen. Die Frage nach der ästhetischen Wirkung blieb dabei unbe-antwortet, und die Versuche zur Erklärung der Farbenvielfalt endeten beim Begriff des Spiels, weil sich keine Begründungen für das farblich differenzierte Aufleuch-ten der Vegetation vor der Winterruhe finden liessen. Plausibel im Sinn einer physiologischen Notwendigkeit blieb zuletzt nur das Verschwinden des Chloro-phylls.

Niemand wird in Abrede stellen, dass ästhetische Wirkungen in unseren unmit-telbaren Beziehungen zur Pflanzenwelt eine überragende Rolle spielen. Deshalb sei eine abschliessende Bemerkung zum Problem der Schönheit gestattet, obwohl sie den naturwissenschaftlichen Rahmen sprengt. Nach einer Redensart gibt es zwar keine objektiven Urteile in Fragen des Geschmacks, aber von den Pflanzen gehen unmittelbare Wirkungen aus, die wir gerne und unreflektiert mit dem Urteil «schön» quittieren. Solche ästhetischen Urteile sind indessen durchaus objektiv und können auch begründet werden. Die Prüfung der Phänomene zeigt jeweils, dass Teile wie Proportionen, Gestaltungen, Farben, Musterungen, Oberflächen-strukturen usw. sich zu einem charakteristischen, künstlerisch überzeugenden Ganzen zusammenfügen. Selbst skurrile Pflanzen sind in einem künstlerischen Sinn vollendet, vergleichbar mit hervorragenden Karikaturen. Der Begriff des Spiels ist durchaus berechtigt, bezeichnet er doch eine Tätigkeit, die keinen unmittelbar praktischen Zweck verfolgt. Bei der Evolution der Lebewesen bestand offensichtlich ein Spielraum für morphologische, farbliche und strukturelle Ele-mente, welche die notwendigen biologischen Aktivitäten nicht stören, aber auch keinem Zweck dienen. Zum Spielraum gehören auch Spielregeln; im Fall der Blattverfärbungen bewegt sich das ganze Geschehen im Rahmen des in der jeweiligen Pflanzenart vorhandenen genetischen Potentials. Faszinierend am Spiel

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mit den Möglichkeiten, welche Spielraum und Spielregeln zulassen, ist das ästhe-tische Resultat. Künstlerisch unbefriedigende Gebilde wären durchaus möglich; dies beweist die Züchtungsarbeit an vielen Zierpflanzen mit fragwürdigen Zielen wie möglichst grossen Blüten und grellbunten Farben. Kitsch ist eine menschliche Errungenschaft; die Natur vermeidet geschmackliche Entgleisungen. Naturwis-senschaftlich ausgedrückt: die Evolution der Pflanzen im Spielraum der zweck-freien Abwandlung von Grundmustern erfolgte unter dem Selektionsdruck der Ästhetik. Mag dieser Gedanke wissenschaftlich schwerlich haltbar sein, ist er doch tröstlich angesichts einer Umwelt von zunehmender anthropogener Hässlichkeit.'

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H. König und V. Leu danke ich für die Hilfe bei der Herstellung des Manuskripts, Werner Egger für die Ausführung von photographischen Arbeiten, H.K. Lichtenthaler und H. Falk für die freundliche Überlassung von elektronenmikroskopischen Aufnahmen.

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Prof. Dr. Ph. Matile, Institut für Pflanzenbiologie der Universität, Zollikerstrasse 107, CH-8008 Zürich.

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