Vom Niedergang Roms zum Zeitalter der...

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7 WELTGESCHICHTE VON DEN ANFÄNGEN BIS ZUR GEGENWART Vom Niedergang Roms zum Zeitalter der Karolinger Vom Niedergang Roms zum Zeitalter der Karolinger Vergeblich versuchen die römischen Kaiser, den Verfall ihres überdehnten Imperiums auf- zuhalten. 20 Jahre nach dem „Hunnensturm“ von 375 kommt es zur Teilung des Reichs. Während das weströmische Reich bald im Strudel der Völkerwanderungen versinkt, beginnt im Osten die lange glanzvolle Geschichte des Byzantinischen Reichs. Die Basis für den Aufstieg der fränkischen Karolinger legt der Sieg Karl Martells über die Araber bei Tours und Poitiers im Jahr 732. Die moderne 20-bändige „Große Weltgeschichte“ präsentiert die Geschichte unserer Welt präzise, leichtverständlich und streng chronologisch. Genaue Einzelinformationen und verständliche Zusammenhangs- und Spezialdarstellungen mit über 8000 Abbildungen machen die Vergangenheit inhaltlich und visuell erfahrbar. Je drei Bände beschreiben die Vor – und Frühgeschichte, die Antike und das Mittelalter. Der Zeitraum von der frühen Neuzeit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wird in fünf, das 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart in sechs Bänden behandelt. WELTGESCHICHTE VON DEN ANFÄNGEN BIS ZUR GEGENWART VON 313 BIS 800 N O - 7 ISBN 978-3-902016-81-2 9 7 8 3 9 0 2 0 1 6 8 1 2 Titelbild: Bildnis Karl des Großen; Copyright: gettyimages

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Vom Niedergang Roms zum Zeitalter

der Karolinger

Vergeblich versuchen die römischen Kaiser, den Verfall ihres überdehnten Imperiums auf-

zuhalten. 20 Jahre nach dem „Hunnensturm“ von 375 kommt es zur Teilung des Reichs.

Während das weströmische Reich bald im Strudel der Völkerwanderungen versinkt,

beginnt im Osten die lange glanzvolle Geschichte des Byzantinischen Reichs. Die Basis für

den Aufstieg der fränkischen Karolinger legt der Sieg Karl Martells über die Araber bei

Tours und Poitiers im Jahr 732.

Die moderne 20-bändige „Große Weltgeschichte“ präsentiert die Geschichte unserer Welt

präzise, leichtverständlich und streng chronologisch. Genaue Einzelinformationen

und verständliche Zusammenhangs- und Spezialdarstellungen mit über 8000

Abbildungen machen die Vergangenheit inhaltlich und visuell erfahrbar. Je drei Bände

beschreiben die Vor – und Frühgeschichte, die Antike und das Mittelalter. Der Zeitraum von

der frühen Neuzeit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wird in fünf, das 20. Jahrhundert

bis zur Gegenwart in sechs Bänden behandelt.

W E LT G E S C H I C H T E V O N D E N A N F Ä N G E N B I S Z U R G E G E N W A R T

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ISBN 978-3-902016-81-2

9 783902 01 681 2 Titelbild: Bildnis Karl des Großen; Copyright: gettyimages

Trotz diplomatischer Bemühungen, krie-gerischer Feldzüge und politischer Re-

formen gelingt es den Kaisern im 4. Jahrhun-dert nicht, dem Römischen Reich Stabilität zu verleihen. »Um diese Zeit«, berichtet der römische Historiker Ammianus Marcellinus in der zweiten Hälfte dieses Säkulums, »hätte man sagen mögen, dass sämtliche Kriegs-hörner an allen Ecken und Enden der rö-mischen Welt erklangen. Die wildesten Völ-ker ergossen sich, von Raserei ergriffen, über die Grenze.« Lediglich im Osten gelingt es den Römern, einen Friedensvertrag mit den persischen Sassaniden herbeizuführen und dadurch militärische Kräfte zu schonen.

Dennoch erweisen sich diese auf Dauer als viel zu schwach für die Abwehr der germa-nischen Völker, die über die Donaugrenze in das Imperium drängen. Auch im Norden, am Rhein und auf den Britischen Inseln, be-stürmen Germanen und Kelten mit einigem Erfolg die römischen Verteidigungslagen. Die von Kaiser Diocletian noch im vorigen Jahrhundert eingeführte Viererherrschaft, die Tetrarchie, erweist sich nun als verhäng-nisvoll. Auch wenn es seinem Nachfolger Kaiser Konstantin 324 nach Ausschaltung aller Rivalen noch einmal gelingt, die Al-leinherrschaft wiederherzustellen, kann er das Auseinanderdriften der Reichsteile nicht verhindern. 395 kommt es zur Spaltung des

Imperiums in ein west- und ein oströmisches Reich. Während der Westteil in den Wirren der Völkerwanderung vollends zerbricht, ent-wickelt sich Konstantinopel, das alte Byzanz, das Kaiser Konstantin zum »zweiten Rom« erhoben hat, zur unangefochtenen Metropo-le des Ostens. Dem christlichen Abendland dient das Byzantinische Reich bis zu seiner Eroberung durch die Osmanen im Jahr 1453 als ein wichtiges Bollwerk gegen die Einfälle der Hunnen, Slawen, Araber und Türken.

Anstoß aus dem Osten – Beginn der Völkerwanderungen

Bereits im 2. und 3. Jahrhundert hatten die Wanderungen und Reichsbildungen

der West- und Ostgoten die germanischen Stämme am Rande des Römischen Reiches in Bewegung gebracht. 375 aber trifft die Go-ten selbst der Stoß eines wandernden Volkes, und zwar der aus den Steppen Zentralasiens westwärts drängenden hunnischen Reiter-scharen. Aus seinen mongolischen Heimat-gebieten war dieses kriegerische Volk von den benachbarten Chinesen verdrängt worden, nun befindet es sich auf einem langen Wan-derzug – nicht um neue Siedlungsgebiete zu finden, sondern um Beute zu machen. Nörd-lich des Hindukusch spalten sich die Hunnen

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Zwar eilen die römischen Kaiser von Schlachtfeld zu Schlachtfeld, doch können sie den Verfall ihres überdehnten Imperiums nicht aufhalten: 20 Jahre nach

dem »Hunnensturm« von 375 kommt es zur Teilung des Reichs. Während das weströmische Reich bald im Strudel der Völkerwanderungen versinkt, beginnt im Osten die lange Zeit glanzvolle Geschichte des Byzantinischen Reichs. Die Basis für den Aufstieg der fränkischen Karolinger zu Kaisern des Abendlandes legt der Sieg Karl Martells über die Araber bei Tours und Poitiers im Jahr 732.

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Entscheidung bei Tours und Poitiers 732: Karl Martell besiegt die Araber (Skulptur von Théodore Gechter, 19. Jh.).

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in zwei große Fraktionen: Der kleinere Teil, die »Weißen Hunnen« oder Hephthaliten, zieht in den Süden Asiens und bedrängt dort die klassischen Hochkulturen in Chi-na, Indien und Persien. Die kriegerischen »Schwarzen Hunnen« besiegen hingegen im Wolgagebiet die Ostgoten und treiben auf ihrem Zug nach Europa jene westgotischen Stämme, die sich nicht unterwerfen, vor sich her. Diese bitten die Römer um Ansiedlungs-recht an der unteren Donau.

Viele der germanischen Völkerschaften, die auf den Boden des Römischen Reichs drän-gen, kommen in friedlicher Absicht, weil sie neue Siedlungsgebiete suchen. Ihre Kopfzahl dürfte bei jeweils 20 000 bis 100 000 Menschen lie-gen, von denen nicht mehr als ein Fünftel zu den ei-gentlichen Kriegern zählt. Rom nimmt die Ansied-lungswilligen bereitwillig als Bundesgenossen, sogenannte Foederati, in den Reichsverband auf. Sie erhalten Land und dienen vielfach als Söldner im römischen Heer – ganz im Sinne der Tradition Roms, das in seiner langen Geschichte schon diverse Völker erfolgreich integriert hat. Auch jetzt gelingt Rom – wenn auch in einem lang-wierigen, von Gewalt und Rückschlägen ge-prägten Prozess – die Romanisierung einiger Völker der wandernden Germanen. Diese geben oft schon nach wenigen Generationen ihre Sprache auf, verschmelzen mit der be-reits romanisierten Bevölkerung, überneh-men öffentliche Ämter oder dienen in der Armee und konvertieren zum Christentum. Eine Vorreiterrolle bei diesem Prozess spielen die Goten, deren Missionsbischof Wulfila um 350 die Bibel ins Gotische übersetzt. Trotz so weitgehender Integrationsleistungen wird das weströmische Reich im 5. Jahrhundert dem Ansturm immer neuer Germanenstämme nicht standhalten können und untergehen.

christentum wird staatsreligion

Als Theodosius I., der letzte Kaiser des römischen Gesamtreichs, das Christen-

tum 383 zum offiziellen Kult erhebt – nicht lange nachdem Christen noch im Kolosseum zur Belustigung des Volkes Bären und Löwen zum Fraß vorgeworfen wurden –, wird aus dem vormaligen Sektenglauben eine Staats-religion. Dieser Statuswechsel bleibt auch für die Kirche nicht ohne Folgen. Die kurz zuvor noch von zahllosen Laien in den christ-lichen Gemeinden getragene Organisation verwandelt sich in eine hierarchisch geglie-

derte Institution, die sich nicht scheut, jene staatli-che Gewalt, der zahllose ihrer Glaubensbrüder zum Opfer gefallen sind, nun ihrerseits zur Bekämpfung von »Irrlehren« und »Ket-

zern« auszuüben. Die Priesterschaft gewinnt an Einfluss; der Klerus ist nicht mehr der Gemeinde gleichgestellt, sondern überragt sie an Bedeutung.

Machtmissbrauch und Intrigenspiel finden Einlass in die christlichen Gemeinden, die wegen ihrer wohlhabenden Mitglieder auch selbst immer reicher werden. Nicht selten kommt es zu erbitterten Kämpfen um Bi-schofssitze – etwa 366 in Rom, wo sich die Anhänger des Gegenpapstes Ursinus mit den Parteigängern des später heiliggesprochenen Damasus I. regelrechte Schlachten liefern, bei denen einige hundert Menschen ums Leben kommen. Der Sieger dieser Auseinanderset-zungen, so kommentiert der zeitgenössische Historiker Ammianus Marcellinus, habe »für alle Zeit ausgesorgt«, denn »er gedeiht durch Schenkungen der Matronen, fährt nur noch in Kutschen einher, ist prunkvoll gekleidet und lässt sich so reichliche Schmäuse herrich-ten, dass seine Tafel selbst ein Königsmahl in

den Schatten stellt«. Aus offenem Protest gegen die beginnende Prunksucht des Klerus wählen immer mehr Christen den Weg in das Einsiedlertum oder in Klöster. Als Zeitalter der großen theologischen Lehren ist das 4. Jahr-hundert gleichwohl in religionsge-schichtlicher Hinsicht eine wegweisende und glanz-volle Epoche.

Hunnen bringen gupta-reich zu Fall

Auch Indien erlebt im 4. Jahrhun-

dert zunächst eine kulturelle Blütezeit. Fürstensohn Tschan-dragupta I. begründet ein neues Reich, das sich in der Nachfol-ge des traditionellen Maurya-Reiches (322 bis 185 v. Chr.) sieht. Durch ein feudalis-tisches System bindet Tschandragupta I. ver-schiedene Fürstenhäu-ser an sich. Die Gupta-Könige entwickeln eine neue höfische Kultur und pflegen wieder das klassische Sanskrit. Sie ignorieren das Kasten-wesen und fördern in einem Klima geistiger Toleranz den Dialog zwischen den Kulturen. Obwohl selbst Hindus, hören sie auch auf den Rat von Buddhisten. Der kulturelle Einfluss

dieser Epoche bleibt über Jahrhunderte – weit über die Herrschaftszeit die-ser Dynastie hinaus – bestimmend. Nicht nur die Steinskulpturen, auch die Bronze- und Kupferarbeiten sind von außergewöhnlicher Qualität. Die Regierungszeit der Gupta gilt als das

goldene Zeitalter des mittel-alterlichen Indiens.

Doch ähnlich wie in Europa beginnt auch in Asien mit der An-kunft der Hunnen eine Umbruchphase, die vielerorts zu einer völligen Neuordnung der Machtverhältnisse führt. Die indischen Gupta-Herrscher kön-nen sich noch etwa ein halbes Jahrhun-dert lang behaupten,

dann müssen sie sich um 470 geschlagen ge-ben. Das Gupta-Reich, weniger auf Stärke denn auf Toleranz ge-gründet, zerfällt. Die

hunnischen Reiterhor-den hinterlassen eine Schneise der Zerstö-rung; an der Gründung eines neuen Reiches liegt ihnen nichts. Plündernd ziehen sie durch Nordin-dien bis an den Ganges hinunter und tragen Schätze davon. Erst nach knapp 50 Jahren verlassen sie das Ge-biet wieder. Auch im benachbarten Sas-saniden-Reich sor-gen sie für Unruhe.

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Stehender Buddha, der als einer der schönsten Bud-dha-Statuen der Frühzeit gilt (Gupta-Periode, 5. Jh.)

Als römische Staatsreligion entwickelt sich das Christen-tum in eine stark hierarchisch

gegliederte Institution.

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Mehrfach fallen sie in persisches Gebiet ein. Sie bringen das Sassaniden-Reich zwar nicht zu Fall, schwächen es aber so stark, dass sozi-ale Unruhen die Folge sind. Die Masdakiten, eine sektenhafte Sammelbewegung der Un-terprivilegierten, breiten sich aus und setzen in vielen Orten den regierenden Adel ab. Nur mühsam gelingt es den Sassanidenkönigen, das Zepter in der Hand zu behalten. Die mi-litärische Schwächung führt in den folgenden Jahrzehnten aber auch hier zum Niedergang des einstmals mächtigen Reiches.

Nur wenig anders sieht es im einstigen Großreich China aus, denn auch hier herrscht das Chaos. Das Machtvakuum nut-zen im 5. Jahrhundert unzählige Mitglieder ehemaliger Adelsfamilien, Fürsten marodie-render Bergvölker und wohl auch Verwandte der Hunnen, um eigene Herrschaftsgebiete aufzubauen. Weite Teile des Landes werden durch Bürgerkriege und Gewaltakte auto-ritärer Regime in Aufruhr versetzt. Depor-tationen der Bevölkerung, Massaker und Besetzungen gehören zu den bevorzugten Instrumenten der Gewaltherrscher.

Hunnensturm aufs Abendland – goten plündern rom

In Europa steht der Vorstoß der Schwarzen Hunnen im letzten Viertel des 4. Jahrhun-

derts für eine Epochenwende. Die kriege-rischen Reiterscharen versetzen die germa-nisch-gotische Völkerwelt in Aufruhr und verursachen eine Wanderbewegung, die am Beginn des 5. Jahrhunderts das Ende der Antike einläuten wird. Das einst mächtige römische Imperium teilt das Schicksal der Reiche in China und Indien: Es zerfällt und auf seinem ehemaligen Territorium entstehen neue Machtzentren und Reiche. Der Nieder-gang des alten Rom, der über viele Jahrhun-derte mächtigsten Stadt der Welt, beginnt mit

einem historischen Paukenschlag: Im August 410 wird die Stadt von dem Westgotenführer Alarich I. eingenommen und drei Tage lang geplündert. Nichtchristen meinen, dies sei eine Strafe für Roms Abfall von den alten Göttern. Der Kirchenvater Augustinus ver-fasst zur Widerlegung dieses Vorwurfs sein

berühmtes Werk »Über den Gottesstaat«, das die mittelalterliche Theologie bis zur Refor-mation entscheidend beeinflussen wird.

Eine der Ursachen für den Niedergang des römischen Imperiums sind die seit über 100 Jahren andauernden Germanenkriege. Das einst tolerante, republikanisch verfasste Rö-mische Reich hatte sich zu einem Militärstaat entwickelt, dessen Finanzbedarf die Landwirt-schaft und das einst blühende Städtewesen ruiniert hatte. Längst bestehen die Heere zum großen Teil aus germanischen Söldnern. Auch die Truppenführer, ja selbst die hohen Beam-ten sind nicht selten Germanen mit römischem

Bürgerrecht. Das Römische Reich, von Ger-manen bedroht, hatte sich »germanisiert«. So ist der größte Gegenspieler Alarichs auf rö-mischer Seite der gebürtige Germane Stilicho, dessen Ermordung 408 den Westgoten ihren Angriff auf Rom erleichtert. Formal bleibt das mit der Reichsteilung von 395 entstandene weströmische Reich mit seiner neuen Haupt-stadt Ravenna bis 476 bestehen. Faktisch sind jedoch die Goten die neuen Machthaber. »In ungepflegten Kleidern mit hoch auf die Schul-ter gestapelten Pelzen« waren sie gekommen – schon nach wenigen Jahrzehnten haben sie sich dem römischen Lebensstil angepasst.

Alles in Bewegung – erste germanische reiche

Die Franken, ein im 3. Jahrhundert ent-standenes Bündnis kleinerer rechtsrhei-

nischer Völkerschaften, setzen sich Mitte des 5. Jahrhunderts in Gallien fest, wo sie mit der überwiegend gallorömischen Bevölkerung verschmelzen. Ende des 5. Jahrhunderts ge-lingt es Chlodwig I., dem König der salischen Franken, die angrenzenden Stammesfürsten auszuschalten und sich selbst zum Herrscher über ein größeres Territorium aufzuschwin-gen. Bis zu seinem Tod im Jahr 511 dehnt er seinen Machtbereich bis ins Vorland der Py-renäen aus. Während der Vorstoß der Hun-nen über den Rhein 451 nach der Nieder-lage ihres Königs Attila gegen Römer und germanische Hilfstruppen auf den Katalau-nischen Feldern in der heutigen Champagne zum Stehen kommt, sind die nun in heftige Bewegung geratenen Germanenvölker nicht mehr aufzuhalten. Der politische Gegensatz zwischen der westlichen und der östlichen Hälfte des Römischen Reiches spielt dabei eine erhebliche Rolle. Die Westgoten, die zu-nächst Griechenland durchzogen, wandten sich um 400 nach Italien. Die Verteidigung

des Landes band die Kräfte Roms, sodass die Rheingrenze ungeschützt blieb. Vandalen, Alanen und Sueben drangen nach Gallien vor und gelangten von dort aus bis nach Spa-nien. Hier setzten sich die Vandalen unter ihrem Anführer Geiserich zunächst im süd-lichen Andalusien fest, wo sie sich die Kunst

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Chlodwig I. lässt sich taufen und macht Paris zur Resi-denzstadt des Franken-Reichs (Skulptur, 16. Jh.).

Kirchenlehrer Augustinus führte ein ausschweifendes Leben, bevor er den Glauben entdeckte (15. Jh.).

des Schiffbaus aneigneten und eine See-streitmacht aufbauen. 429 setzten sie nach Afrika über, wo Geiserich das erste selbst-ständige germanische Königreich mit der Hauptstadt Karthago gründete. Von dort aus beherrschte er das westliche Mittelmeer, kontrollierte die Kornzufuhr nach Ita-lien und kann 455 sogar ungehindert die Stadt Rom plündern. Die alte Gegnerschaft zwischen Rom und Karthago, das 146 v. Chr. nach dem Ende des 3. Punischen Krieges von den Römern dem Erdboden gleichge-macht worden war, erfährt auf diese Weise eine Fort-setzung. Dem verbliebenen Nationalstolz der Römer versetzt das einen weiteren Stoß.

Während die Burgunder 436 zum großen Teil von den Hunnen vernichtet worden wa-ren, drangen die Alemannen, die seit dem 3. Jahrhundert im heutigen Schwaben sesshaft sind, bis ins Alpenland und das Oberrheintal vor. Die Angeln und Sachsen wanderten unterdessen aus dem dänischen Jütland nach Germanien ein. Während große Teile der Sachsen in Mitteleuropa heimisch werden und etwa das heutige Niedersachsen, Westfalen und Thüringen besiedeln, setzen einige Gruppen von ihnen gemeinsam mit den Angeln ab Mitte des 5. Jahrhunderts nach Britannien über und gründen dort verschiedene Kleinkönigreiche.

das Abendland wird christlich

Als die Völkerwanderungen Anfang des 6. Jahrhunderts in ihre letzte Phase

eintreten, liegt das weströmische Imperium längst in Trümmern. Das dadurch hervor-

gerufene Machtvakuum führt zu erbitterten Kämpfen zwischen oströmisch-romanisierten und germanischen Mächten. Vom Atlantik

bis zum Schwarzen Meer toben zahl-lose Kriege um die Vorherrschaft auf dem Kontinent. Durch ihren Aus-

gang erhält die politische Land-karte Europas neue Kon-

turen. Vielen König- und Fürstentümern ist letztlich nur eine kurze Lebenszeit beschieden. Allein das von Chlodwig I. gegründete

Reich der Franken erweist sich als dauerhaft. Der Grund liegt u. a. in der römischen Verwal-

tungstradition, die diesem Reich ein stabiles Funda-ment verleiht. Einen für die europäische Geschichte rich-

tungweisenden Entschluss fasst Chlodwig I. im Jahr 498, als er mit mehreren tausend sei-ner Gefolgsleute zum christlichen Glauben konvertiert. Im frühen Franken-Reich mit seiner Hauptstadt Paris (ab 508) kommt es erstmals in der Geschichte zu einer Symbio-se zwischen dem germanischen Königtum, dem katholischen Christentum und der rö-mischen Staatstradition. Dass Chlodwig den christlichen Glauben annimmt und damit den religiösen Gegensatz zwischen germa-nischen Siegern und romanisierten Besiegten überwindet, zählt zu den bedeutendsten Wei-chenstellungen in der Frühgeschichte des christlichen Abendlands.

Während das Ringen um die Macht im künftigen Europa zu einem großen Teil durch das Schwert entschieden wird, bestim-men Schrift und Mönchtum die Entwicklung des geistlichen Lebens. Das Christentum hat sich nach fünf Jahrhunderten endgültig als führende Religion auf dem Kontinent durch-gesetzt. Benedikt von Nursia legt um 529 mit seiner Klosterregel den Grundstein für das

abendländische Mönchtum. Mit den Kloster-schulen entstehen Bildungszentren, die später das Fundament einer ganzen Kulturepoche bilden werden. Das bislang rein sakrale Papsttum erhält unter Gregor dem Großen auch weltliche Macht. Gregor vergrößert die Besitztümer der Kirche und verbessert deren finanzielle Grundlage. Damit kann sich die katholische Kirche aus der Abhängigkeit von weltlichen Mächten lösen. 593 gelingt es dem Papst schließlich, Rom von den Langobarden freizukaufen. Aber trotz seiner Stärkung ist das Christentum noch nicht in allen Regi-onen Europas verbreitet. 594 sendet der Papst 40 Missionare nach Britannien.

Die Christianisierung schreitet kontinuier-lich voran, zugleich erlebt die christliche Sa-kralkunst eine erste Blüteperiode. In Raven-na, der alten Hauptstadt des weströmischen Reichs, wird zu Beginn des 6. Jahrhunderts das Mausoleum Theoderichs des Großen er-

richtet. Fast gleichzeitig beginnen in Konstan-tinopel unter Kaiser Justinian I. die Arbeiten an der Monumentalkirche Hagia Sophia. Im Westen ist die Kunst der Franken, Westgoten, Burgunder und Alemannen noch stark ger-manisch geprägt. Obwohl König Chlodwig das Christentum schon gegen Ende des 5. Jahr- hunderts zur Staatsreligion erhoben hat, sind, wie vor allem die Bestattungsriten zeigen, die alten Götter noch immer lebendig.

Blütezeit in china und Persien

Auch Asien erlebt eine religiöse Wende-zeit. Nachdem sich der Buddhismus von

Indien aus bereits im 1. Jahrhundert in China verbreitet hat, übernimmt das Reich der Mit-te nun auch die Lehre des Mahayana-Bud-dhismus. Im Unterschied zum mönchisch ge-prägten Hinayana-Buddhismus wendet sich

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Der Mahayana-Buddhismus ebnet den Weg zur Weltreligion (Amithaba-Buddha, Wanfohöhle/Henan, um 680).

Das Kreuz, Symbol des Christentums (fränkischer Anhänger, um 800)

der Mahayana-Buddhismus an die Mehr-heit der Laien und trägt damit entscheidend zur großen Ausbreitung der buddhistischen Lehre bei. Nach seinem Siegeszug in China gelangt der Mahayana-Buddhismus auch in viele Nachbarstaaten. 538 erreicht die bud-dhistische Lehre Japan und vermischt sich dort nach und nach mit dem noch stark na-turverhafteten Shintoismus. Auch in anderen ostasiatischen Ländern wie Birma, Tibet und Ceylon findet der Mahayana-Buddhismus schon nach kurzer Zeit zahlreiche Anhänger und wird neben dem Christentum zu einer der größten Religionen der Welt.

Im späten 6. Jahrhundert kommt es in China auch zu bedeutenden territorialen Veränderungen. Den Herrschern der Sui-Dynastie gelingt es 589, das ganz Land unter ihre Kontrolle zu bringen und das zuvor in viele Einzelherrschaften zersplitterte Reich der Mitte erneut zu einen. In der kulturellen und wirtschaftlichen Blütezeit der Sui ent-stehen u. a. intensive Handelsbeziehungen zu Konstantinopel. Über die Karawanenwege der Seidenstraße dringen auf diese Weise westliche Einflüsse bis nach Zentral- und Ostasien vor, die die kulturelle Entwicklung der dortigen Länder beeinflussen.

Das Reich der persischen Sassaniden erlebt unter den Königen Chosroes I. und Chos-roes II. eine letzte Blüte-zeit. Chosroes I. reformiert die Verwaltung, das Steu-erwesen, das Militär und das System der Landvertei-lung. Zudem öffnet er sein Reich der hellenistischen und byzantinischen Kultur. Nach mehreren erfolgreichen Feldzügen macht er Byzanz 532 tributpflichtig. Ein Friedensvertrag, den er 561 mit dem byzantinischen Kaiser für die Dauer von 50 Jahren vereinbart, hält ihm den Rücken frei, um gegen die Weißen Hunnen zu ziehen. Nach seinem Tod 579 übernimmt

sein Enkel Chosroes II. die Macht und führt das Sassaniden-Reich zu seiner größten Aus-dehnung, indem er erst Damaskus und Je-rusalem, schließlich sogar Ägypten erobert. Seine Größe kann das Reich jedoch nicht vor dem Untergang bewahren: In der Mitte des 7. Jahrhunderts erliegen die Sassaniden dem Ansturm der Araber.

scheinbar unaufhaltsam – der islam und das schwert

Denn unterdessen ist im benachbarten Arabien unter dem Banner des Islam

binnen weniger Jahre ein Großreich aus dem Nichts entstanden. Der Religionsgründer Mohammed hatte zu Beginn des Säkulums lediglich die untereinander zerstrittenen ara-bischen Wüstenstämme religiös und politisch vereint. Seine Nachfolger tragen den »Kampf auf dem Pfade Gottes« weit über die Grenzen der Arabischen Halbinsel hinaus. Die Araber vernichten zunächst das – durch die Aus-einandersetzungen mit Byzanz bereits ent-scheidend geschwächte – Sassaniden-Reich und annektieren dessen Gebiet. Mit dem weiteren Vorstoß nach Nordafrika beginnt die Konfrontation zwischen den Arabern und dem Byzantinischen Reich, das nach und

nach seine gesamten afri-kanischen und asiatischen Territorien verliert. Mit dem Islam entsteht nicht nur eine neue, expansiv ausgerichtete Weltreligi-on, unter dem arabischen

Ansturm zerbricht auch das fragile Gefüge der Mittelmeerwelt.

Die sensationelle Geschwindigkeit der ara-bischen Expansion hat verschiedene Gründe. Zunächst einmal stoßen die islamischen Trup-pen auf keinen nennenswerten Widerstand an den Grenzen, weil diese kaum befestigt sind.

Da das arabische Kernland bislang ein Ge-biet zerstrittener, unbedeutender Stämme war, hielt vor allem Byzanz eine starke Sicherung seiner Grenzen in dieser Richtung nicht für notwendig. Hinzu kommt, dass viele Völker die Araber nicht als Invasoren, sondern als Befreier vom byzantinischen Joch begrüßen. In fast allen byzantinisch regierten Regionen

Nordafrikas liegt die Macht in den Händen hellenistischer Grundherren. Die Bevölke-rung jedoch wehrt sich seit Jahren gegen die Bestrebungen Konstantinopels, eine einheit-liche Kultur und Religion in allen Reichsteilen durchzusetzen. In Ägypten hängen die Kop-ten dem von Byzanz verdammten Monophy-sitismus an, die Nestorianer und Juden sind aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen be-reits aus dem Reich vertrieben worden, ihre Religionsausübung steht unter Strafe.

Abgesehen davon, gibt es eine Vielzahl von Stämmen, die sich den islamischen Erobe-rern zunächst weniger aus religiösen als aus materialistischen Gründen anschließen. Die reiche Beute und der erstaunliche Erfolg in den Schlachten überzeugen jedoch auch die Zweifler von der Macht Allahs und der Ge-rechtigkeit der islamischen Sache. Schließlich

werden die gesamten arabischen Heere von einem religiösen Eifer erfasst, der einen be-deutenden Teil ihrer Schlagkraft ausmacht. Als Gegner stehen den Arabern – insbeson-dere in den Kämpfen gegen Byzanz – Söld-ner gegenüber, die dem Feind schwerfäl-lig und indifferent entgegentreten. In den arabisch eroberten Ländern verändert sich kaum etwas in der Lebensweise der Bevöl-kerung. Die alten Religionen werden neben der islamischen Lehre weitgehend toleriert.

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Der Siegeszug des Islam, der vielerorts auch als Befreiung

empfunden wird, zerbricht das Gefüge der Mittelmeerwelt.

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Lobpreisung des Propheten Mohammed: Der Islam findet auch in Wort und Schrift Verbreitung.

Meist übernehmen die Araber auch die Ver-waltungssysteme der eroberten Gebiete und verfügen somit über einen funktionierenden Beamtenapparat. Ende des 7. Jahrhunderts hat sich die machtpolitische Konstellation der Mittelmeerwelt so stark gewandelt, dass nun auch die übrigen Reiche auf die Gefahr der islamischen Expansion aufmerksam wer-den. Die Araber stehen bereits vor den Toren Westeuropas: Sie bedrohen Sizilien und sind im Begriff, nach Spanien überzusetzen.

Beginn der mittelbyzantinischen zeit

Im östlichen Mittelmeerraum kann sich die römische Kultur noch immer behaupten,

sie sieht sich jedoch an allen Fronten einer immer größer werdenden Zahl von Feinden gegenüber. Obgleich die Slawen und Awa-

ren immer wieder anrennen, trotzt das letzte Bollwerk der Erben Roms, Konstantinopel, allen Eroberungsversuchen. Die byzanti-nischen Kaiser tragen sogar noch einmal einen bedeutenden Sieg davon: Die Heere der Sassaniden erleiden vernichtende Nieder-lagen, wenig später geht ihr Reich endgültig unter. Byzanz behält damit im jahrhunder-telangen Ringen mit den Persern die Ober-hand. Aber die langen Kämpfe haben seine Kräfte verbraucht und der Unterhalt des aus Söldnerverbänden bestehenden Heeres die Wirtschaft ruiniert.

Zwar gelingt es Kaiser Herakleios, das aus-gezehrte Reich noch einmal zu einem Zeit-alter wirtschaftlicher und kultureller Blüte zu führen, doch steht bereits ein neuer Feind vor den Toren: die Araber. Die Byzantiner verlieren durch die islamische Umklamme-rung ihr Fernhandelsmonopol und damit ih-

re wichtigste wirtschaftliche Grundlage. Die Großmachtstellung Konstantinopels am Mit-telmeer geht für immer verloren. Nur durch tief greifende Veränderungen im Innern kann Byzanz den Angreifern trotzen. Der byzantinische Beamtenstaat wird mit einer straffen Militärverwaltung überzogen und kann so noch weitere 750 Jahre bestehen.

niedergang der merowinger

Etwa zur selben Zeit ereignen sich im Fran-ken-Reich innenpolitisch bedeutsame

Umwälzungen. Die Reichsherrschaft wird durch die Machtkämpfe der Teilkönige zer-rissen. Gleichzeitig gelingt es der Kirche, ih-ren Territorialbesitz auszubauen und größere Selbstständigkeit zu erlangen. Auch der Adel wird immer stärker und unabhängiger. Damit verlieren die fränkischen Könige zwei wich-tige Säulen ihrer Macht. Als es Chlothar II. gelingt, das Reich zu einen, zahlt er einen hohen Preis: Um seine Rivalin, die Königin Brunhilde, auszuschalten, muss er sich die Unterstützung des Adels sichern, der damit zum Königsmacher wird. Die Aristokratie fordert große Zugeständnisse vom König, die dieser im »Edictum Chlothari« nieder-schreiben lässt, womit er letztlich den Unter-gang des Merowingergeschlechts besiegelt.

Nach Chlothars Tod gelangt mit aristokra-tischer Unterstützung der junge Königssohn Dagobert auf den fränkischen Thron. Schon bald müssen seine Förderer jedoch erkennen, dass sie sich in Dagobert getäuscht haben. Der Herrscher beschneidet die Vorrechte seines Hofstaates, statt diese auszuweiten. Zum letzten Mal gelingt es einem Mero-wingerkönig, die Macht im Reich in seiner Person zu konzentrieren. Der Zerfallsprozess kann jedoch nur rund zehn Jahre aufgehalten werden. Nach dem Tod Dagoberts wird das Reich erneut aufgespalten. Es gelingt den

adeligen Hausmeiern – ursprünglich die Vorsteher der Hofhaltung an den Königs-höfen – durch geschickte Intrigen die Macht mehr und mehr an sich zu ziehen. Zwar sit-zen noch immer merowingische Könige auf den Thronen der fränkischen Teilreiche, die Politik wird jedoch immer stärker von den Hausmeiern bestimmt.

der Balkan wird slawisch

Nachdem die Slawen mehrere Jahrhun-derte rastlos durch Europa gezogen sind,

gelingt ihnen im 7. Jahrhundert eine Reichs-gründung. Auf dem Balkan entsteht das erste bulgarische Reich. Zwar ist seine Existenz

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Die Hagia Sophia (»heilige Weisheit«, 6. Jh.) in Konstantinopel ist das bedeutendste Bauwerk byzantinischer Kunst.

Schmuck der ausgehenden Merowingerzeit: Haar-nadel, Fibel und Brosche (fränkisch, 7. Jh.)

nur von kurzer Dauer, doch verdeutlicht dieses Zwischenspiel bereits das Kräftepoten-zial der slawischen Stämme, das im 9. Jahr-hundert zur Gründung des großmährischen Reiches führen wird. Die stärker werdende Einheit der osteuropäischen Nomadenvölker wird auch daran sichtbar, dass sie sich im 7. Jahrhundert erstmals den Namen »Sla-wen« geben. Noch bezeichnet dieses Wort nicht die Angehörigen eines Reiches, sondern eines sprachlichen Kulturkreises: »Slov« ist, wer dieselbe Sprache spricht. Bis zum Ende des Jahrhunderts haben die Slawen, die sich immer wieder gegen Angriffe der kriege-rischen Awaren wehren müssen, weite Teile des südlichen Balkans erobert. Dabei fallen

sie oftmals in byzantinisches Herrschaftsge-biet ein. Aus nomadisierenden Stämmen ent-wickelt sich langsam ein ernst zu nehmender Gegner für die Großmacht Byzanz.

china – glanzvolle epoche unter der tang-dynastie

Im Jahr 618 vollzieht sich einer der bedeu-tendsten Machtwechsel in der chinesischen

Geschichte: Die Dynastie der Sui wird von den Tang gestürzt. Schon mit den beiden ersten Kaisern des neuen Herrscherhauses beginnt ein kultureller und wirtschaftlicher Aufschwung: Die knapp 300 Jahre dauernde

Ära der Tang wird später zu den glanzvollen Epochen des alten Chinas zählen. Ihre Herr-scher formen das von den Sui bereits geeinte Land. Während die Kaiser der Sui jedoch noch teilweise gegen den Widerstand der Be-völkerung ankämpfen mussten, gelingt es den Tang, ein relativ friedliches Regime zu er-richten. Mit geschickter Bündnispolitik und zahlreichen Feldzügen sichern sie die Gren-zen ihres Reichs, das seine vorläufig größte Ausdehnung erreicht. Im Innern schaffen sie einen Beamtenstaat, dessen Verwaltung so ef-fektiv arbeitet, dass sie in ihren Grundzügen noch bis weit in die Neuzeit besteht.

China entwickelt sich unter den Tang-herrschern zum reichsten Land Ostasiens. Maßgeblichen Anteil daran hat der Handel mit dem Abendland, der über die Seiden-straße und den Seeweg ausgebaut wird. Exotische Waren gelangen in die chinesische Hauptstadt Chang’an und werden von dort aus über weite Teile Asiens weiter-verkauft. Die Dichtkunst erreicht im Werk von Li Bai einen vorläufigen Hö-hepunkt. Werke der Land-schafts- und Personenmalerei werden wegen ihrer Perfektion und hohen Ausdruckskraft zu begehrten Waren, die wie Seide und Por-zellan über die Seidenstraße Verbreitung fin-den. Die politische wie wirtschaftliche Kraft sowie der fortgeschrittene zivilisatorische Status Chinas sorgen dafür, dass ganz Ost- asien vom Reich der Mitte beeinflusst oder gar abhängig wird. Japan und Korea verwen-den die chinesische Schrift und Rechtspre-chung und werden kulturell u. a. durch die chinesische Architektur inspiriert. Dennoch behalten diese Länder einen Teil ihrer ur-sprünglichen Kultur, die sich mit den chine-sischen Einflüssen vermengt. So bilden sich eigene Stile heraus, aus denen u. a. die japa-nische Nara- und Heian-Zeit hervorgehen.

Aufstieg der Hausmeier

Mit dem 8. Jahrhundert beginnt die End-zeit der Merowingerkönige. Das Fran-

ken-Reich wird de facto von den Hausmeiern regiert – mächtig gewordenen Hofbeamten, die an Stelle des Königs herrschen. Die Me-rowinger selbst hatten den Aufstieg dieser Adligen ermöglicht: nicht zuletzt durch Schenkungen königlichen Territoriums, die wie das Hausmeieramt selbst auf Lebenszeit gelten und schließlich erblich sind.

Der Hausmeier Karl Martell aus dem Ge-schlecht der Pippiniden, die später durch ihre Verbindung mit den Arnulfingern die Dyna-stie der Karolinger begründen, zählt zu den wichtigsten Persönlichkeiten dieses Säkulums. Er drängt den Adel des konkurrierenden fränkischen Teilreiches Neustrien in die Be-

deutungslosigkeit und lenkt schließlich die Geschicke des gesamten Franken-Reiches. 737 stirbt der me-rowingische Schattenkönig Theuderich IV., durch den Karl Martell seine Herr-

schaft legitimierte. Nach dem Tod des Königs wird kein neuer Herrscher auf den Thron ge-hoben. Die Hausmeier, obwohl noch nicht mit Königswürden gesegnet, sind damit endgültig die beherrschende Autorität im Staat.

Unter der Aristokratie regt sich jedoch Widerstand gegen die selbst ernannten Re-genten. Karl Martell reagiert schnell, bevor Aufstände seine Herrschaft schwächen kön-nen: Die Herzöge von Thüringen, Friesland und dem Elsass werden entmachtet. Als Her-zog Eudo von Aquitanien Karl Martell um Hilfe gegen die Mauren bittet, erkennt der Hausmeier die günstige Gelegenheit. Mit dem Sieg gegen die Araber bei Tours und Poi-tiers im Jahr 732 kann Karl seine Herrschaft auch im südlichen Franken-Reich festigen.

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Die Ausstrahlung Chinas unter den Tang-Kaisern ist so groß,

dass ganz Ostasien beein-flusst oder gar abhängig wird.

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Löwe als Detail auf einem bestickten Seidentuch aus der Zeit der chinesischen Tang-Dynastie (7.–10. Jh.)

könige der Franken – Pippin und karl

Karl Martells Sohn, Pippin der Jüngere, wagt schließlich den entscheidenden

Schritt und greift nach der Krone der Mero-winger. Mit dem Segen des Papstes lässt sich Pippin in Soissons zum ersten König seines Geschlechts salben. Die Zeremonie findet nach germanischer Tradition durch Schild-setzung statt. Gleichzeitig betont Pippin eine starke Anbindung an die römisch-katholische Kirche. Damit legitimiert er sich bewusst als Herrscher sowohl in germanischer als auch in christlicher Tradition.

Die Königssalbung nach alttestamenta-rischem Vorbild ist neu im Franken-Reich und war bislang nur in Irland und bei den Westgoten üblich. Pippin wird König von Gottes Gnaden – er regiert in göttlichem Auftrag. Als Papst Stephan II. kurz darauf in das Franken-Reich reist, wiederholt er den Salbungsvorgang und weiht zudem Pippins Söhne Karl und Karlmann zu Thronerben. Die neue Dynastie hat sich etabliert.

Pippins Sohn Karl – später der Große genannt – erlangt nach dem Tod seines Bruders Karlmann die Macht im gesamten Franken-Reich und verändert dieses grund-legend. Seinen ersten Unterwerfungskrieg führt er gegen die heidnischen Sachsen im Nordosten, die er nach jahrelangen Kämp-fen in die Knie zwingt. Der Sachsenführer Widukind muss die fränkische Herrschaft anerkennen und lässt sich 785 taufen. Karls Eroberungen dehnen das Reich über den größten Teil West- und Mitteleuropas aus. Damit übertreffen die Franken ihren Haupt-konkurrenten Byzanz an territorialem Besitz. Hofhaltung und Staatsorganisation erhal-ten unter Karl große Bedeutung. Als Papst Leo III. dem Frankenkönig im Jahr 800 die Kaiserkrone aufs Haupt setzt, wird das west-römische Kaisertum nach rund 350 Jahren wiedergeboren – zumindest der Idee nach.

geburt des kirchenstaats

Herausragender Kirchenlehrer des 8. Jahrhunderts ist der Geistliche Boni-

fatius. Obwohl er erst im Alter von 40 Jahren Missionar wird, trägt er ganz wesentlich zur Verbreitung der christlichen Lehre in weiten Teilen Mittel- und Westeuropas bei. Bonifati-us übernimmt eine Vermittlerrolle zwischen dem Papst und dem Hausmeier Pippin dem Jüngeren und setzt sich persönlich für die Er-hebung Pippins zum fränkischen König ein;

dessen Salbung in Soissons führt er eigenhän-dig durch. Das Franken-Reich steigt damit zur Schutzmacht des Papstes auf. Die römische Kirche löst sich von Byzanz und bindet sich an die neue westeuropäische Vormacht. Das fränkische Christentum erlebt durch die Ver-bindung mit Rom einen Aufschwung, der Re-formen notwendig macht. Wieder ist es Bo-nifatius, der das geistliche Leben im Reich in einer Kirchenverwaltung um-organisiert. Nachdem der Erzbischof seine Aufga-ben erfüllt hat, wendet er sich, inzwischen 80-jährig, noch einmal der Mission zu und wird wäh-rend einer Reise nach Friesland erschlagen. Sein Lebenswerk prägt die fränkische Kirche noch über Jahrhunderte hinweg.

Mit der »Pippinschen Schenkung« beginnt im 8. Jahrhundert auch die Geschichte des Kirchenstaates. In der Pfalz Quierzy ver-spricht Pippin dem herbeigereisten Papst die von den Langobarden zurückzuerobernden Gebiete in Italien. Nach zwei Feldzügen sind die Langobarden unterworfen. Teile ihres Ter-ritoriums fallen an die Kirche. Nach und nach nehmen päpstliche Beamte Befugnisse wie das Münzprägungsrecht, die Rechtsprechung oder die Hoheit über die Verkehrswege wahr und üben somit erstmals weltliche Gewalt über ein größeres Territorium aus. Die Verteidigung der päpstlichen Ländereien bleibt weiterhin eine fränkische Angelegenheit, denn das Kö-nigtum ist mit dem Titel »Patricius Romano-rum«, Schutzherr der Römer, verknüpft.

mauren erobern spanien

Die Eroberungswellen der Araber eb-ben im 8. Jahrhundert langsam ab.

Zwei letzte große Feldzüge vergrößern das islamische Reich ein weiteres Mal: Byzanz

verliert weite Teile Kleinasiens und die West-goten auf der Iberischen Halbinsel werden in den Norden abgedrängt. Die Eroberung des Westgoten-Reiches schafft eine neue Si-tuation in Westeuropa. Die Geschwindigkeit, mit der die Westgoten geschlagen werden, macht den anderen europäischen Herrschern schmerzhaft deutlich, wie mächtig der Is-

lam geworden ist, der in-zwischen unmittelbar vor ihren Grenzen steht. Auf der Iberischen Halbinsel erfolgt die Machtsicherung der Araber nicht immer durch das Schwert. Die

Eroberer garantieren Juden und Christen Religionsfreiheit, Wahrung des Rechtszu-standes und des Eigentums. Unter diesen Vorzeichen fallen mehrere Städte kampflos in ihre Hand. Fast die gesamte Iberische Halbinsel wird binnen weniger Jahre ara-bisiert. Die Geschwindigkeit, mit der die Araber das Westgoten-Reich zersetzen, ist keineswegs Resultat einer hervorragenden Organisation. Vielmehr geht die Besetzung Spaniens in einem chaotischen Treiben vor sich. Jeder arabische Feldherr führt seine Truppen eigenmächtig durch Südwesteuro-pa. Eine zentrale Kommandostelle existiert nicht, der Kalif in Damaskus ist weit entfernt. So kommt es, dass die islamischen Verbän-de unkoordiniert an verschiedenen Fronten gleichzeitig losschlagen – mit Erfolg. Erst als Abd Ar Rahman I. 756 das Emirat von Cór-doba gründet, erhält das spanisch-arabische Reich ein politisches Zentrum.

Die letzten Westgoten haben sich bis zum Kantabrischen Gebirge zurückgezogen. Dort leisten sie den Arabern erbitterten Wider-stand und können ein eigenes Reich etablie-ren. Asturien ist die letzte christliche Exklave auf der Halbinsel und wird zum Sprung-brett für die Rückeroberung Spaniens, die Reconquista, ab dem 10. Jahrhundert. Der

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Asturien bleibt die letzte christliche Exklave auf der

Iberischen Halbinsel: Von hier aus beginnt die Reconquista.

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Das Oberhaupt des Abendlandes: Reiterskulptur Karls des Großen (karolingisch, Louvre/Paris, um 870)

arabische Versuch, nach Norden über die Pyrenäen vorzustoßen, endet im Jahr 732 in der Schlacht bei Tours und Poitiers mit einer Niederlage. Im Süden gedeiht das arabisch-spanische Reich hingegen prächtig. Die Eroberer richten sich in Andalusien ein und übernehmen die großen Latifundien, die sie effektiv weiterbewirt-schaften. Aus Nordafrika siedeln sich Berber auf der Iberischen Halb-insel an, die die Entwicklung der spanischen Viehwirtschaft vorantreiben.

Als das Geschlecht der Abbasiden die Omaijaden-Dynastie in Damaskus stürzt und die Macht über das arabische Großreich an sich reißt, gelingt dem Omaijadenprinzen Abd Ar Rahman die Flucht nach Spanien. Dort errichtet er das Emirat von Córdoba, das in der Folgezeit seine Unabhängigkeit vom Abbasiden-Kalifat behaupten kann. Das arabische Reich in Spanien entwickelt sich zu einer eigenständigen Macht.

Bedeutender einfluss der Angelsachsen

Die kulturellen und politischen Entwick-lungen auf dem europäischen Festland

sind ohne den Einfluss der Angelsachsen nicht denkbar. In ganz Westeuropa werden die Mission und die Kirchenorganisation im 8. Jahrhundert von Mönchen aus Britan-nien vorangetrieben. Zu den prominentesten Kirchenmännern aus dem Inselreich zählen Willibrord und Bonifatius. Der Angelsachse Alkuin steigt zum wichtigsten Berater Karls des Großen auf und bringt die angelsäch-sische Gelehrsamkeit mit der Kultur der Ka-rolinger in Berührung – eine Verbindung, aus der im 9. Jahrhundert die Karolingische Renaissance hervorgehen wird. Alkuin führt

eine neue Schrift ein, die karolingische Mi-nuskel, die das abendländische Mittelalter maßgeblich prägen wird. Der Gelehrte Beda Venerabilis lebt und schreibt im nördlichsten

der angelsächsischen Rei-che, Northumbria. Er gilt als einer der gebildetsten Männer seiner Zeit und tradiert mit seinen Büchern das Wissen der Spätantike. Im Kloster Jarrow schreibt

Beda Werke wie die »Historia Ecclesiastica Gentis Anglorum« über die angelsächsische Kirchen- und Reichsgeschichte oder »De Ra-tione Temporum«, das zur Verbreitung der christlichen Zeitrechnung beiträgt.

Nach jahrhundertelangen Kriegen zwischen Kleinkönigtümern haben sich die sieben mächtigsten Reiche auf der Britischen Insel etabliert. Die angelsächsische Heptarchie bil-den die Königtümer East Anglia, Wessex, Es-sex, Sussex, Northumbria, Mercia und Kent. Ständig kämpfen deren Könige um die Vor-herrschaft, bis gegen Ende des 8. Jahrhunderts eine neue, gemeinsame Bedrohung auftaucht: Die Wikinger setzen in ihren schnellen Booten von Skandinavien über und machen die an-gelsächsischen Küsten unsicher. Den Beginn ihrer Raubzüge markiert der Überfall auf das Kloster Lindisfarne auf Holy Island vor der Küste Wales’ im Juni 793. Noch gelten sie nur als habgierige Piraten, aber schon wenige Jahrzehnte später werden sie einen Teil der angelsächsischen Reiche besetzen.

mittelamerikanische Hochkulturen

Während die in Mexiko gelegene Groß-stadt Teotihuacán, eine der bedeu-

tendsten Siedlungen des vorkolumbischen Amerikas, im 7. Jahrhundert verfällt und sich auch die Blütezeit der Zapoteken ihrem Ende entgegenneigt, beginnt im Urwaldgürtel zwi-

schen Guatemala und Mexiko die klassische Phase der Maya-Kultur. Es entstehen mehrere kleinere Fürstentümer mit hohem Zivilisati-onsstand. Tempelpyramiden und monumen-tale Plastiken sowie Schrift und mathema-tische Erkenntnisse zeugen von einer reich entwickelten Kultur. Die Herrschaftsgebiete sind kulturell miteinander verbunden, befeh-den sich zum Teil aber heftig. An ihrer Spitze stehen erbliche Fürsten, die ein aufwändiges Hofzeremoniell pflegen. Hofhaltung und reli-giöse Rituale erfordern viele Kultgegenstände,

die durch spezialisierte Handwerker herge-stellt werden. Diese leben in Städten und bil-den zusammen mit den Hofbeamten und der Priesterschaft eine gegenüber den einfachen Bauern in den umliegenden Dörfern und Wei-lern kulturell fortgeschrittene Gruppe.

Als einziges Volk Amerikas kennen die Maya eine abstrakte Schrift, die über eine Bilderschrift hinaus entwickelt ist. Sie be-

sitzen zwei Kalender, einen recht genauen Sonnenkalender von 365 Tagen und einen Ritualkalender von 260 Tagen. Die Zeit-rechnung gliedert sich in Perioden zu je 20 Jahren. Am Ende jeder Periode werden mit Inschriften versehene Stelen aufgestellt. Auch die Mathematik, die wie alle Bereiche der Kultur von der Religion beeinflusst ist, be-ruht auf einem 20er-System. Da sie mit der Zahl Null operieren, sind die Maya in der La-ge, komplizierte Berechnungen anzustellen, vor allem auf dem Gebiet der Astronomie.

Die Lebensbedingungen sind für den größten Teil des Volkes noch primitiv. Der Ackerbau wird mit steinzeitlichen Mitteln betrieben, Pflug und Zugtiere sind unbekannt.

Auf dem nordamerikanischen Kontinent, im mittleren Ohiotal, huldigen die Träger der sog. Hopewell-Kultur auf Tempelhügeln ihren Göttern und hinterlassen aus Glimmer-tafeln ausgeschnittene Tierfiguren.

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Von Britannien aus erfolgt die Missionierung Westeuropas. Der angelsächsische Gelehrte Alkuin berät Karl den Großen.

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Ruinen der Mayastadt Palenque in Chiapas/Mexiko mit dem Palast und seinem viergeschossigen Turm (r.)