Vom Sein und Schein - wie informationskompetent sind wir?

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Vom Sein und Schein – wie informationskompetent sind wir wirklich? Düsseldorf, 24. September 2012 Jan-Hinrik Schmidt, Hans-Bredow-Institut

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Vortrag bei der Fachtagung "„Informationskompetenz online. Zwischen Souveränität und Kontrollverlust?", 24.9.2012, Düsseldorf

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Vom Sein und Schein – wie informationskompetent sind wir wirklich?

Düsseldorf, 24. September 2012

Jan-Hinrik Schmidt, Hans-Bredow-Institut

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Worüber ich heute spreche

1. Informationsvielfalt Wunsch, Wert, Herausforderung

2. Universalmedium Internet Neue (?) Informationskompetenzen, neue Probleme

3. Ausblick Ein erneuertes Verständnis von informationeller Selbstbestimmung

Informationskompetenz 2/13

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Informationsvielfalt: Wunsch und Wert

Sich umfassend zu informieren, gehört zu den wesentlichen staatsbürgerlichen Pflichten.

Ich möchte immer auf dem aktuellsten Stand sein

Ich finde es gut, dass ich aus einem breiten Informationsangebot auswählen kann

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90100

78.7

80.1

87.6

55.9

85.5

85

Bis 35 Jahre 36 Jahre und älter

„Stimme eher zu“ & „Stimme voll und ganz zu“ auf 4er-Skala, in %n=1.007, repräsentativ für dt. Bevölkerung >14 Jahre, * p<.05 *p<.001 Informationskompetenz 3/13

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Herausforderung Informationsvielfalt

Mir genügen einige wenige Informationsangebote, die ich regelmäßig nutze

Wirklich wichtige Informationen brauche ich nicht zu suchen, sie erreichen mich ohnehin

Es gibt so viele Informationen, dass ich längst den Überblick verloren habe

Ich würde mir manchmal jemanden wünschen, der mir Orientierung in Informationsvielfalt verschafft

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90

76.7

74.9

34

22.3

73.7

64

28.4

26.8 Bis 35 Jahre

36 Jahre und älter

„Stimme eher zu“ & „Stimme voll und ganz zu“ auf 4er-Skala, in %n=1.007, repräsentativ für dt. Bevölkerung >14 Jahre, * p<.05 *p<.001 Informationskompetenz 4/13

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Medien und Kommunikationsmodi (ganz grob)

Reichweite

Kopräsenz

Massen-kommunikation

(Publizieren)

Interpersonale Kommunikation (Konversation)

Distanz/technische Vermittlung

Versammlungen/Gruppen-

kommunikation

Special Interest / Fachforen

Internet

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Kommunikationsarenen: Auswahl und Vertrauen

Massenmediale Öffentlichkeit (z.B. tagesschau.de)

• Informationen werden nach Kriterien der gesellschaftlichen Relevanz gefiltert und an ein disperses Publikum verteilt

• Voraussetzung für Vertrauen: Einhalten professioneller Standards sowie journa-listischer Formate und Genres

Expertenöffentlichkeiten(z.B. arxiv.org)

• Informationen werden in Auseinander-setzung mit bisherigem Wissensstand für akademische „peers“ präsentiert

• Voraussetzung für Vertrauen: Verfahren zur intersubjektiven Überprüfung und Falsifizierung von Aussagen

Kollaborative Öffentlichkeit (z.B. Wikipedia)

• Nutzer tragen gemeinsam zu Wissens-beständen bei, wobei Experten nicht per se privilegiert sind

• Voraussetzung für Vertrauen: Beteiligung sollte prinzipiell jedem offen stehen; Transparenz von Veränderungen

Persönliche Öffentlichkeit (z.B. Facebook)

• Informationen werden nach Kriterien der persönlichen Relevanz gefiltert und für überschaubares (intendiertes) Publikum verteilt

• Voraussetzung für Vertrauen: Authentizität der Darstellung

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Kommunikationsarenen: Auswahl und Vertrauen

Massenmediale Öffentlichkeit (z.B. tagesschau.de)

• Informationen werden nach Kriterien der gesellschaftlichen Relevanz gefiltert und an ein disperses Publikum verteilt

• Voraussetzung für Vertrauen: Einhalten professioneller Standards sowie journa-listischer Formate und Genres

Expertenöffentlichkeiten(z.B. arxiv.org)

• Informationen werden in Auseinander-setzung mit bisherigem Wissensstand für akademische „peers“ präsentiert

• Voraussetzung für Vertrauen: Verfahren zur intersubjektiven Überprüfung und Falsifizierung von Aussagen

Kollaborative Öffentlichkeit (z.B. Wikipedia)

• Nutzer tragen gemeinsam zu Wissens-beständen bei, wobei Experten nicht per se privilegiert sind

• Voraussetzung für Vertrauen: Beteiligung sollte prinzipiell jedem offen stehen; Transparenz von Veränderungen

Persönliche Öffentlichkeit (z.B. Facebook)

• Informationen werden nach Kriterien der persönlichen Relevanz gefiltert und für überschaubares (intendiertes) Publikum verteilt

• Voraussetzung für Vertrauen: Authentizität der Darstellung

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Informationskompetenz #1: Suche und Auffinden

Sich in vernetzten Öffentlichkeiten orientieren und situativ relevante

Informationen filtern können.

Problem(e)• Suchmaschinen - und das heisst heute:

Google – sind zentraler Knotenpunkt zum Erschließen der Informationsvielfalt

• Laborexperimente zeigen, dass „Suchmaschinennutzer (…) meist intuitiv [suchen]. Sie setzen nur relativ wenige kognitive Ressourcen ein und probieren oft aus. Von den mächtigen Möglichkeiten der meisten Such-maschinen verwenden sie nur einen Bruchteil; stattdessen beschränken sie sich auf einfache Suchanfragen in der Hoffnung, in der Trefferliste etwas Passendes zu finden.“ (Machill et al., 2003, S. 440)

„Suchkompetenz“ nur gering ausgeprägt

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Informationskompetenz #2: Mechanismen kennen

Funktionsweise der „Informations-intermediäre“ kennen und für die

eigenen Zwecke einsetzen.

Problem(e)• Suchmaschinen als „black box“, bei

denen Funktionsweise und Ranking-Mechanismen hochgradig intransparent bleiben

• „System-Expertise“ (Fries 2007) wäre nötig, um Ergebnisse einer Recherche bewerten zu können: Welche Faktoren beeinflussen die Reihenfolge von Suchtreffern? Inwiefern greifen Personalisierungalgorithmen in die Ergebnisse ein?

• In sozialen Medien werden Informationen durch soziale Kontakte gefiltert - Informationskompetenz überlappt sich an dieser Stelle mit Beziehungs- und Kontaktmanagement

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Informationskompetenz #3: Kritisches Reflektieren

Qualität von Informationen einschätzen und strategische

Absichten hinter Kommunikation erkennen und einordnen können.

Problem(e)• Unterschiedliche Arenen haben

unterschiedliche Mechanismen der Qualitätssicherung – nicht jede Information ist auf Echtheit, Wahrheit und Wahrhaftigkeit geprüft

• Absichten hinter Kommunikation können versteckt sein – zum Beispiel bei der werblichen oder politischen Persuasionskommunikation

• Wie lassen sich Fakes oder Fiktives vom Authentischen unterscheiden, wenn Inszenierung zum Wesens-merkmal von (Halb-)Öffentlichkeiten wird?

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Informationskompetenz #4: Weitergeben und Gestalten

Informationen situationsgerecht kommunizieren und zu

Wissensbeständen beitragen können.

Problem(e):• Nutzer sind nicht notwendigerweise

nur Empfänger von Informationen, sondern stellen selbst viele Informationen im Internet bereit

• Partizipation an vernetzten Konversationen erfordert eigene Fertigkeiten und Wissen, z.B. das Artikulieren und Abwägen von Argumenten

• Aber: Reichweite von Informationen kann unter Bedingungen von Persistenz, Kopierbarkeit und Durchsuchbarkeit deutlich höher sein als intendiert

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Informationelle Selbstbestimmung

„Informationelle Selbstbestimmung“ ist…

1. … normatives Konzept: Bestandteil der verfassungs-mäßigen Ordnung (und in Datenschutzregelungen etc. näher spezifiziert); liegt zudem als zumindest diffuse Erwartung bei vielen Nutzern vor;

2. … ausgeübte Praxis: Nutzer üben sie (mehr oder weniger kompetent, reflektiert, evtl. auch scheiternd) aus, wenn sie sich in den vernetzten persönlichen Öffentlichkeiten bewegen;

3. … notwendige Kompetenz: das eigenständige Wahrnehmen des „Rechts auf Privatheit”, die informierte Einwilligung in Datenverarbeitung oder auch die informationelle Autonomie setzt Wissensformen und Fertigkeiten voraus.

Sollen

Tun

Können

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Fazit

• Informationsvielfalt ist ein Wert in unserer pluralistischen demokratischen Gesellschaft – Informiert sein ist Wunsch und Herausforderung zugleich

• Das Internet hat Informationsvielfalt gesteigert, aber auch die damit verbundenen Schwierigkeiten verstärkt – vor allem, weil es als Universal-medium eine Vielzahl bislang getrennter Kommunikationsarenen vereint und neue Mechanismen der Informationssuche und –aggregation schafft

• Erforderliche Informationskompetenzen sind nicht per se neu, müssen aber den veränderten Bedingungen – neue Mechanismen der Filterung, Aufbereitung und Verbreitung von Informationen – angepasst werden

• Ein aktualisiertes und erweitertes Verständnis von informationeller Selbstbestimmung sollte Richtschnur sein, um Maßstäbe für Informationskompetenz(en) zu finden, Defizite zu identifizieren und Wissen wie Fertigkeiten zu vermitteln

Informationskompetenz 13/13

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Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Dr. Jan-Hinrik Schmidt

Hans-Bredow-InstitutWarburgstr. 8-10, 20354 Hamburg

[email protected]

www.schmidtmitdete.dewww.dasneuenetz.de

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Weiterführende Literatur und Quellenhinweise

• Fries, Rüdiger (2007): Suchverhalten im Internet. Studie über Suchstrategien im Web. Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller.

• Uwe Hasebrink / Jan-Hinrik Schmidt unter Mitarbeit von Suzan Rude, Mareike Scheler, Nevra Tosbat (2012): Informationsrepertoires der deutschen Bevölkerung. Hamburg: Verlag Hans-Bredow-Institut, Juni 2012.

• Machill, Marcel et al. (2003): Wegweiser im Netz. Qualität und Nutzung von Suchmaschinen. In: Machill, Marcel/Welp, Carsten (Hrsg.): Wegweiser im Netz. Qualität und Nutzung von Suchmaschinen. Gütersloh: Verlag Bertelsmann-Stiftung, S. 13-490.

• Schmidt, Jan-Hinrik / Thilo Weichert (Hrsg.) (2012): Datenschutz. Grundlagen, Entwicklungen und Kontroversen. Schriftenreihe der Bundeszentrale für Politische Bildung, Band 1190. Bonn: BPB.

• Schmidt , Jan-Hinrik / Claudia Lampert (im Druck): Medienkompetenzen in digital konvergierenden Medienumgebungen. In: Bellut, Thomas (Hrsg.): Jugendmedienschutz in der digitalen Generation. Fakten, Perspektiven und Einsichten aus Wissenschaft und Praxis. Mainz.

Massenmedien: CC by 2.0, NASA, http://www.flickr.com/photos/gsfc/3726614425 Experten: CC by 2.0, usarmyafrica, http://www.flickr.com/photos/usarmyafrica/4077018383/Kollaboration: CC by-nc 2.0, santheo, http://www.flickr.com/photos/santheo/3244627450/

Stammtisch: Juso Unterbezirk Saarlouis,

Strand: CC BY-NC-ND 2.0, Fozzman, http://www.flickr.com/photos/mrbeany/3823127547/

Algorithmus: CC by-nc-sa 2.0, anthillsocial, http://www.flickr.com/photos/tomski777/6802854177/

Shopping: CC BY-NC-ND 2.0, Cooky Yoon, http://www.flickr.com/photos/designrecipe/4283634289/

Hyde Park: CC BY-NC-ND 2.0, vkotis, http://www.flickr.com/photos/9214515@N07/3128983356/

 

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