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Vom Universitäts-Mechanikus zum Global Player Sartorius Chronik 1870 bis 2005

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Vom Universitäts-Mechanikus zum Global Player

Sartorius Chronik 1870 bis 2005

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Herausgegeben von der

Sartorius AGWeender Landstaße 94–10837075 Göttingen

©2006 Sartorius AG, GöttingenSelbstverlag. Printed in Germany.

Publication No. OG-8000-d05121Order No. OG-86000-001-02

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Vom Universitäts-Mechanikus zum Global Player

Sartorius Chronik 1870 bis 2005

Recherchiert und zusammengetragen von Karin Sartorius-Herbst und Karl Bracht unter Mitarbeit von Jörg Barankewitz

Vom Universitäts-Mechanikus zum Global Player

Sartorius Chronik 1870 bis 2005

Recherchiert und zusammengetragen von Karin Sartorius-Herbst und Karl Bracht unter Mitarbeit von Jörg Barankewitz

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In der heutigen Zeit haben Paradigmen,nach denen sich Unternehmen ständig

„selbst neu erfinden“ müssten, Konjunktur.Heute ist schon gestern, und morgen alleinzählt. Dabei ist richtig, dass mehr denn jeZukunftsorientierung und Schnelligkeit fürdie erfolgreiche Entwicklung eines Unter-nehmens entscheidend sind. Tatsächlich sind in jedem Bereich und auf jeder Ebeneständige Veränderungsbereitschaft undgroße Veränderungsfähigkeit gefordert. Niemand kann sich erlauben, Dinge alleindeshalb zu tun, weil sie „schon immer so“gemacht wurden. Wer aber diese Heraus-forderungen mit Orientierung anstelle vonBeliebigkeit meistern will, braucht Visionenund Ziele – und eine eigene Identität. Einwichtiger Teil der Identität eines Unter-nehmens ist seine Geschichte.

Liebe Freunde von Sartorius!

Das Sartorius College in Göttingen als internationales Zentrum für Kunden, Mitarbeiter und Freunde des Hauses;eröffnet im Dezember 2001.

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Ich bin deshalb froh und dankbar, dass nun eine umfangreiche und völlig neugeschriebene Chronik unseres Unternehmensvorliegt. Sie liefert viele interessante, manche bewundernswerte und einige amüsante Details der Sartoriusgeschichte. Es wird deutlich, welche herausragendenLeistungen die Unternehmerfamilie Sartoriusüber mehrere Generationen trotz außer-ordentlicher Schwierigkeiten erbracht hatund welche große Bedeutung diese fürunsere heutigen Chancen und Möglichkeitenhaben. Und schließlich arbeitet sie sehr deutlich die wichtigsten Hauptlinien undEckpfeiler unserer Entwicklung heraus. Ich möchte zwei davon herausheben.

Erstens ist dies Innovation durch Koopera-tion: Die Wurzeln von Sartorius liegen in der Universität Göttingen, heute würde manwohl von einer – dreifachen – Universitäts-ausgründung sprechen. Die enge Zusammen-arbeit mit Forschungsinstitutionen hat beiuns deshalb eine mehr als hundert Jahre alte Tradition.

Unsere Geschichte zeigt, dass wir in der Tatimmer dann besonders erfolgreich warenund große Fortschritte erzielt haben, wennwir mit Wissenschaftlern, aber insbesondereauch mit Kunden oder anderen Technolo-gieunternehmen gemeinsam neue Produkteund Verfahren entwickelt haben.

Zweitens Weltoffenheit und Internationa-lität: Bereits in der Gründungs- und Startphase des Unternehmens hat FlorenzSartorius sich nach England und Amerikaorientiert. Später war Horst Sartorius einPionier bei der Erschließung der russischenund osteuropäischen Märkte. Heute gehörenwir zu den ersten Mittelständlern, die erfolg-reich den Sprung nach China und Indiengewagt haben.

Ich bin davon überzeugt, dass diese quasi in die Unternehmens-DNA geprägte Inter-nationalität einer unserer wichtigstenErfolgsfaktoren ist. Nicht zuletzt deshalb sind wir in der Lage, uns auch am StandortDeutschland weiterzuentwickeln mit derganzen Bandbreite an Arbeitsplätzen von der Forschung bis zur Produktion.

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Mein großer Dank gilt Karin Sartorius-Herbstund Karl Bracht. Ohne ihren großen Einsatzwäre diese Chronik nicht entstanden. Beide haben über zwei Jahre einen erheb-lichen Teil ihrer Freizeit geopfert und sichgemeinsam durch unzählige Dokumente undLiteraturquellen gearbeitet, mit Zeitzeugengesprochen sowie Fotomaterial gesichtetund aufbereitet.

In regelmäßigen Abständen habe ich mitzunehmender Vorfreude verfolgt, wie mitgroßer Zähigkeit und Zielstrebigkeit die einzelnen Bausteine zusammengetragen undin das entstehende Werk eingefügt wurden.Dabei hat sich Jörg Barankewitz um diespannende Darstellung der Evolution derWägetechnik verdient gemacht.

Mein Dank gilt auch allen heutigen und ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbei-tern von Sartorius. Ohne ihre in vielen Fällen jahrzehntelange erfolgreiche Tätigkeitgäbe es die hier niedergeschriebeneGeschichte ebenfalls nicht.

Ich wünsche Ihnen, liebe Freunde, viel Freude und Gewinn bei der Lektüre der Sartorius Chronik.

Göttingen, im Dezember 2005

Ihr

Dr. Joachim Kreuzburg

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Tradition als Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Göttingen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Die „Feinmechanische Werkstatt F. Sartorius“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

Neue Anwendungen und Technologien . . . 35

Die Membranfiltergesellschaft m.b.H. . . . . . 47

Sartorius in zwei Weltkriegen . . . . . . . . . . . . . . 57

Wiederaufbau und Internationalisierung . . 69

Von der Wägetechnik zur Mechatronik . . . . 87

Inhaltsverzeichnis

Von der Membranfiltertechnik zur Biotechnologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .121

Die Globalisierung des Sartorius Konzerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .145

Das Sartorius Logo im Wandel der Zeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .156

Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .158

Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .160

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Tradition als Verpflichtung

Geschichte und Geschichten aus 135 JahrenArbeit und technischem Fortschritt bei Sartorius für „Sartorianer“ und Freunde des Hauses.

Sartorius Analysenwaage, Baujahr 1888, fotografiert im Science Museum, London.

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Bei Betriebsfesten, Jubiläen, Ehemaligen-treffen und Verabschiedungen von

Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird oftbegeistert von der Vergangenheit gesprochen.So wird immer wieder deutlich, wie viel Wissen und Erfahrung im Unternehmen vorhanden ist.

Dabei geht es nicht nur um wertvolles Know-how, sondern auch um historische Kennt-nisse über die Entwicklung, die das Unter-nehmen in den 135 Jahren seines Bestehensdurch gute und schlechte Zeiten gewonnenhat. Es geht um die Tradition der Sartorius AG,die die Beschäftigten mit dem Unternehmenverbindet.

Karin Sartorius-Herbst hat sich schon immerfür die Dokumentation der Geschichte desHauses eingesetzt. Sie hat für diese Schrifttief in alten Unterlagen der Familie gestöbert.Gleichzeitig hat sie mit vielen altgedientenMitarbeiterinnen und Mitarbeitern Gesprä-che geführt, um Geschichte und Geschichten von Sartorius zu recherchieren.

Filterfachmann Karl Bracht, im NebenberufGöttingen- und Sartorius-Historiker aus Leidenschaft, hat das seine dazu getan.Jörg Barankewitz, Leiter Training Mechatronikund Betreuer des Sartorius Waagen-Museums,lieferte die Beiträge zur Mechatronik.

So entstand diese Schrift, die permanent inGefahr war, nie fertig zu werden, da immerwieder neues Material auftauchte. Bei derGliederung dieser Chronik haben wir unsnicht in erster Linie an die Chronologie derEreignisse gehalten, sondern vielmehr dieeinzelnen Themenkomplexe im Zusammen-hang dargestellt. Dabei haben wir bewusstdarauf verzichtet, einzelne „Sartorianer“namentlich zu nennen.

Beim Studium der Unterlagen haben wirunser Unternehmen neu kennen und schätzen gelernt. Beeindruckt hat uns, dassviele, heute als neue Errungenschaft darge-stellten Methoden oft schon vor langer Zeitbei Sartorius gebräuchlich waren – wennvielleicht auch unter anderem Namen.Bewunderung erfüllt uns angesichts mancherLeistungen, die Sartorius vollbracht hat, zumTeil unter schwierigsten Bedingungen.

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Wir haben angestrebt, für „Sartorianer“ und Freunde des Hauses eine leicht lesbareDarstellung zu finden, die zugleich pro-fessionellen technischen und betriebswirt-schaftlichen Ansprüchen gerecht wird.

Vor allem soll diese Schrift einen Beitrag zur Identifikation mit unserem Unternehmenleisten, indem wir versuchen nachzu-zeichnen, wie technische Exzellenz, intensiveZusammenarbeit mit unseren Geschäfts-partnern, unternehmerische Kompetenz,internationale Orientierung und nicht zuletztInnovationsfreude, Zusammenarbeit und Loyalität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterwirtschaftlichen und persönlichen Erfolgermöglichen.

Wir wünschen Sartorius, seinen Partnern und Freunden eine unterhaltsame Lektüreund eine glückliche Zukunft.

Göttingen, im Dezember 2005

Karin Sartorius-Herbst

Karl Bracht

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– Erste Blüte der Universität Göttingen– Gauß, Weber, Wöhler und andere

machen Göttingen zum Zentrum derNaturwissenschaften

– Universitäts-Institute als Nachfrager neuartiger Instrumente

– Die Rolle der Universitäts-Mechaniker– Die Entwicklung der feinmechanischen

und optischen Industrie in Göttingen

Göttingen in der zweitenHälfte des 19. Jahrhunderts

Das „neue Collegienhaus“, erbaut 1862–1865, die WeenderLandstraße und Ansichten der Stadt, wichtiger Universitäts-Institute und beliebter Ausflugsziele der Studenten.

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Die Sartorius Geschichte ist untrennbar verbunden mit der Universität Göttingen, der Georgia Augusta,

gegründet 1734 in der alten Hansestadt des Königreichs Hannover von Georg II, König von Großbritannien und Kurfürst von Hannover.

1870, im Gründungsjahr der feinmechanischen Werkstatt „F. Sartorius“, war Göttingen seit vier Jahren Provinzstadt im Königreich Preußen, deren Einwohnerzahl von 1800 bis1900 von 10.000 auf 30.000 angewachsen war. Die GeorgiaAugusta genoss schon damals weltweit hohes Ansehen undwar vor allem im Bereich der sich gerade herausbildendenneuen Naturwissenschaften führend. Im Umfeld der Universi-tät herrschte traditionell ein sehr enges soziales Beziehungs-geflecht, das weit über die reine Arbeitsebene hinausging.

Gleichzeitig hatte die Universität zu dieser Zeit nur vierFakultäten – Theologie, Philosophie, Recht und Medizin –,sodass von der heute bestimmenden Spezialisierung der einzelnen Fachrichtungen noch keine Rede war.

Carl Friedrich Gauß Wilhelm Weber

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Zum Renommee der Georgia Augusta in denNaturwissenschaften trugen vor allem derMathematiker und Astronom Carl FriedrichGauß, Professor in Göttingen (1807–1855), der Chemiker Friedrich Wöhler, Professor in Göttingen (1836–1882), und der PhysikerWilhelm Weber, Professor in Göttingen(1831–1837 und 1848–1891), bei.

Sie gehörten nach so angesehenen Naturwissenschaftlern wie Tobias Mayer(*1723– †1762) – Leiter der Sternwarte, Abraham Gotthelf Kästner (*1719– †1800) –Professor für Mathematik und Physik undLehrer von Gauß, Johann Christian PolikarpErxleben (*1744– †1777) – erster Professorfür Tierarzneikunde, und Georg ChristophLichtenberg (*1742– †1799) – Professor fürPhysik und Mathematik, schon zur natur-wissenschaftlichen Nachfolger-Generationder noch jungen liberalen Universität derAufklärung.

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Klebebild zur 100-Jahr-Feier der Erfindung des elektro-magnetischen Telegraphen 1833 durch Gauß und Weber.

Der letzte 10-DM-Schein mit Portrait von Carl Friedrich Gauß, im Hintergrund Ansicht von Göttingen mit Universitäts-Stern-warte und Gauß’scher Normalverteilungskurve.

Friedrich Wöhler

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Gauß, der schon zu Lebzeiten weltberühmte „Fürst derMathematiker“, beschäftigte sich neben mathematischenProblemen mit so verschiedenen Themen wie Astronomie,Landvermessung und Magnetismus. Mit seinem Freund Wilhelm Weber entwickelte und betrieb er den ersten elektro-magnetischen Telegrafen. Wöhler, eng befreundet mit JustusLiebig in Gießen, stellte erstmals Aluminium her und erzieltebahnbrechende Ergebnisse in der Chemie. Gleichzeitig war erGeneralinspektor aller Apotheken im Königreich Hannover.

Erheblich zum Erfolg der Wissenschaftler trug der rege Austausch der Professoren sowohl untereinander als auchmit ihren Partnern der Labor- und Gerätetechnik bei. Für die neuen Methoden, Entdeckungen und Erfindungenbrauchten die Professoren nicht nur bei der Forschung, sondern auch später für die Entwicklung und Nutzbar-machung neue Instrumente und Apparate.

Natürlich waren die Göttinger Professoren bestrebt, mitGeräten und Instrumenten nach dem neuesten Stand derTechnik zu arbeiten. Traditionell kamen die besten Geräte alsImportware aus England. Zur Wartung und Reparatur dieserApparaturen beschäftigten die Universitäten Mechaniker. In der Regel waren diese „Universitätsmechaniker“ gelernteUhrmacher. Mit zunehmender Erfahrung konnten diese Spezialisten dann auch eigene Geräte, häufig nach Vorgabender Wissenschaftler, bauen und mit dem „Gütesiegel“ ihresErfinders an die Universitäten und andere Einrichtungen verkaufen.

Die Universitäts-Sternwarte, Göttingen;fertiggestellt 1816. Wirkungsstätte vonCarl Friedrich Gauß.

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Im Umfeld der naturwissenschaftlichen Institute entstandenso Werkstätten zur Ausrüstung der Institute mit Instrumentenund Geräten. Andere Universitäten im In- und Ausland bestellten bald Göttinger Geräte, die häufig zum interna-tionalen Standard wurden. Erfindungen an der Universitätführten zur Produktion von vielfältigen technischen Neuerungen, die im beginnenden industriellen Zeitalterschnell breiten Absatz auch außerhalb des universitärenBereichs fanden.

Seit 1854 war die Stadt an das Eisenbahnnetz angeschlossenund das erste Telegramm wurde nach Göttingen gesandt.Während die früher dominierende Textil- und Tuchindustrie in der noch stark landwirtschaftlich orientierten Stadt anBedeutung verlor, entwickelte sich Göttingen in der zweitenHälfte des 19. Jahrhunderts zu einem Zentrum der Optik,Mess- und Regeltechnik.

Gauß hat bei der Entwicklungdes Telegrafen die Idee gehabt,die beiden Schienen der Eisen-bahn als elektrische Leiter zubenutzen.

Das ehemalige chemische Laboratorium in Göttingen, Arbeits-stätte von Friedrich Wöhler.

Einweihung des Göttinger Bahnhofs 1854.

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Das 1804 in München gegründete „Mathematisch-Mecha-nische Institut von Reichenbach, Utzschneider und Liebherr“war wohl der erste auch international angesehene deutschefeinmechanische Betrieb. Gauß ließ dort verschiedentlichGeräte bauen, doch in zunehmendem Maße konnte derBedarf an hochwertigen Geräten auch in Göttingen selbstbefriedigt werden.

Hier erlangte Friedrich Apel (*1786– †1851) als erster Mecha-niker größere Bedeutung. Nach den damals üblichen Wander-jahren wurde er 1808 als Universitätsmechaniker angestellt.Im selben Jahr noch eröffnete er seine eigene Werkstatt in der Prinzenstraße 20. Von Auslandsreisen, vor allem nachLondon, brachte er wichtige technische Impulse nach Göttingen. Nach seinem Tode im Jahre 1851 führte sein SohnWilhelm das auf wissenschaftliche und technische Apparatespezialisierte Unternehmen weiter.

Bei Wilhelm Apel hat Florenz Sartorius seine Lehrzeit underste Gehilfenzeit absolviert.

Apels kompetentester Konkurrent war Johann Philip Rumpf.Dieser hatte nach einer Mechaniker-Lehre einige SemesterMathematik, Geodäsie, Physik und Chemie an der UniversitätHeidelberg gehört. Anschließend war er mehr als ein Jahr bei Reichenbach in München tätig. 1819 erhielt er eineAnstellung als Mechaniker an der Sternwarte und richteteseine Werkstatt am Weender Tor ein. Er arbeitete auch für die Modellkammer und das chemische Laboratorium.

1 Sonnenspiegel zur Beobachtung entfernter Punkte.

Laut Gauß war Rumpf ein „selbst denkender und geschickterKünstler“. Rumpf baute z.B. die beiden großen Heliotrope1, dieGauß bei seiner Landvermessungeinsetzte; seine Produktpalettereichte von Dampfmaschinen bis zu Analysenwaagen. Einen vonGauß benutzten Heliotrop hat Florenz Sartorius 1911 für denGaußturm in Dransfeld nachgebaut.

Straßenszene Lange-Geismarstraße vorder Jahrhundertwende; die Stadt hat nochdeutlich landwirtschaftliche Züge.

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Nach Rumpfs Tod übernahm Moritz Meyerstein (*1808–†1882)Funktionen und Werkstatt seines früheren Lehrherren, beidem er bereits mit 13 Jahren eingetreten war. Nach ver-schiedenen Tätigkeiten in Deutschland hatte er an der Uni-versität München zwei Jahre lang Mathematik und Physikstudiert. Er baute hervorragende Instrumente für Gauß undWeber und konzentrierte sich vor allem auf die BereicheAstronomie und Geodäsie. 1863 erhielt er für seine Verdienstedie Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der Georgia Augusta.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es in Göttingen fürmechanische Arbeiten sieben Geschäfte, in denen zwei Gesellen und ein Lehrling angestellt waren. Ende der 60er Jahre existieren immer noch sieben Geschäfte, aber sie beschäftigen jetzt 50 Facharbeiter. Um 1900 waren es schon zwölf Betriebe mit 270 Gehilfen und Lehrlingen.

Neben diesen Betrieben, die alle auch Analysenwaagen herstellten, entwickelte sich die feinmechanische und optische Industrie in Göttingen zügig auf ein internationalanerkanntes Niveau: 1857 gründet Rudolf Winkel sein opti-sches Institut, das, angeregt durch einen bahnbrechendenAufsatz von Rudolf Virchow in Berlin über die Notwendigkeitder Fleischbeschau, vor allem Mikroskope lieferte. Die 1859von Wilhelm Lambrecht gegründete Firma für meteoro-logische Instrumente ist seit 1864 in Göttingen ansässig. Neben Weber und Wöhler war Gauß’ Mitarbeiter und Nachfolger Klinkerfues – ein wichtiger Kooperationspartner. Und es gab Florenz Sartorius.

Gauß-Weber-Denkmal am Stadtwall, Göttingen; eingeweiht 1899.

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– Lehr- und Wanderjahre– Universitäts-Mechaniker in Göttingen– „Kleiner Meister“ mit eigener Werkstatt– Die Vision der kurzarmigen Analysenwaage– Internationale Anerkennung– Diversifikation des Produkt-Portfolios– Vorsorge für die vier Söhne– Anpassung der Firmenstruktur an

das wachsende Geschäftsvolumen

Die „FeinmechanischeWerkstatt F. Sartorius“

Automaten- und Fräshalle im WerkWeender Landstraße 1898.

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Florenz Sartorius wurde 1846 in Göttingen geboren. Er war der Sohn von Johann Georg Sartorius, der hier seit

1816 die Stellung des Universitäts-Uhrmachers inne hatte,und seiner Ehefrau Friederike, geb. Stuhl.

Florenz Sartorius absolvierte bei Wilhelm Apel seine fein-mechanische Lehre und Gesellenzeit. Anschließend arbeiteteer bei Staudinger in Gießen, der Analysenwaagen für das chemische Laboratorium von Liebig baute.

Wieder in Göttingen, hörte er Vorlesungen bei Wöhler und Weber. Anschließend ging er als Zusammensetzer zu Siemens & Halske nach Berlin. Von dort führte ihn seine Reise zu Schröder in Hamburg, von dort zurück zu Staudinger.Nach diesen wichtigen Erfahrungen war Sartorius bereit fürdie Selbstständigkeit: 1870 kehrte er zurück und gründeteseine eigene Werkstatt in der Groner Straße. Hier arbeitete er zunächst als „kleiner Meister“ überwiegend für Apel und Staudinger.

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Mit wachsendem Geschäft und nach mehreren Umzügenübernahm er 1872 das Ladengeschäft des aus Göttingenwegziehenden Mechanikers Lambrecht auf der WeenderStraße. Die gute Auftragslage verlangte nach der ständigenErweiterung der Werkstatt. Die notwendigen Investitions-mittel hierfür lieferten die Erlöse aus dem zusätzlichen Handel mit allerlei laborfremden Artikeln, wie z.B. Bestecken.

1887, zur 150-Jahr-Feier der Universität, wurde sogar einefein geprägte Jubiläums-Medaille in verschiedenen Aus-führungen angeboten. Zum Aufbau der Firma hat derGeschäftssinn seiner für das Ladengeschäft verantwortlichenFrau Luise, geb. Rudolph, nicht unerheblich beigetragen.

Tafelmesser mit Signatur „F. Sartorius Göttingen“ auf der Messerklinge, sicher vor der Jahrhundertwende.

Medaille, herausgegeben zur 150-Jahr-Feier der Universität 1887.

Dazu folgende Geschichte:Im Jahr 2003 besuchte uns eine Arbeitsgruppe des VDE Göttingen. Ein älteres Mitglied derGruppe zog bei der Verabschiedung eine Tütehervor mit der Bemerkung: „Dieses Messer ist in unserem Haushalt seit vielen Jahren inGebrauch. Wenn ich nicht irre, ist das ein Pro-dukt ihres Hauses. Nähere Einzelheiten sind mir allerdings nicht bekannt. Vielleicht haben sie daran Interesse.“

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Sartorius selbst war beseelt von einer bahnbrechenden Idee:der kurzarmigen Analysenwaage. In der sich explosionsartig entwickelnden chemischen Industrie war ein schnell wachsender Markt für präzise arbeitende Analysenwaagenentstanden. Die Kunden hatten aber im Betrieb mit konstruk-tionsbedingten Nachteilen zu kämpfen, die in der komplizier-ten Bedienung und Langwierigkeit des Wägevorgangesbegründet waren.

Sartorius war klar, dass nur die Einführung leichter und kurzer Waagebalken mit großer Festigkeit die Einschwingzeitvon Waagen wesentlich reduzieren könnte. Das Problem des zeitraubenden Einschwingverhaltens löste er mit der Ent-wicklung eines kurzarmigen Waagebalkens mit Dreiecksprofilund hoher Steifigkeit. Die Gewichtsreduktion erreichte erdurch den Einsatz des bereits 1827 von Wöhler entdeckten,damals innovativen Werkstoffs Aluminium.

Eine der ältesten uns bekanntenSartorius Waagen, Baujahr 1888,steht im Science Museum inLondon. Lange Zeit herrschte bei Sartorius die Meinung, diesvergilbte Foto sei eine Werbe-aufnahme aus der Frühzeit derFotografie. Eher zufällig wurdedieser Irrtum aufgeklärt, als einMitarbeiter von Sartorius UKerzählte, mit wie viel Aufwanddiese Szene in den späten 50erJahren im Museum nachgestelltwurde. Der dreieckige kurzeWaagebalken ist gut zu erkennen.

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Wöhler unterstützte Sartorius nicht nurdurch die Bereitstellung von Aluminium fürdie Entwicklung, sondern gab auch Hilfe-stellung bei der Legierung von Aluminiummit Silber, um das Metall fester zu machen.Bereits 1874 erhielt Sartorius auf einer Aus-stellung in Bremen die höchste Auszeich-nung für diese erste kurzarmige Waage.

Der Kundennutzen und seine Göttinger Referenz hatten durchschlagenden Erfolg:Sartorius ließ seine Waagen patentieren undkonzentrierte den Betrieb auf innovativeEntwicklungen.

Von nun an betreibt Sartorius ein sehraggressives internationales Marketing. Er istsehr frühzeitig auf dem Weltmarkt aktiv.Bereits 1876 erhält Sartorius in Philadelphia eine hohe Auszeichnung, 1893 in Chicagoeine weitere.

In einem Sartorius Katalog aus dem Jahre 1912 werden „hohe internationale Auszeichnungen“ für Sartorius Produkte herausgestellt.

Ein Teil der Fabrikanlagen Weender Landstraße nach der Jahrhundertwende.

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Er beschäftigt jetzt zwölf Mitarbeiter. 1898 gründet Sartorius in der Weender Landstraße seinen Produktionsbe-trieb, der heute noch Stammsitz des Unternehmens ist – das war damals außerhalb der Stadt auf der „grünen Wiese“wie auch heute der jüngste Erweiterungsbau des Unter-nehmens, das „Werk 2001“.

Den Betrieb baut er konsequent mit den jeweils neuestenMaschinen, die er teilweise selbst entwickelt, aus. Zu dem Zeitpunkt beschäftigt er bereits 60 Mitarbeiter. Die 3.000. Analysenwaage wird hergestellt. Das Produkt-programm wird gleichfalls systematisch erweitert: Es gibt nun Waagen für größere Belastungen, preiswertere Waagen für den privaten Gebrauch, Präzisionswaagen fürLaboratorien und Apotheken, Tarier-, Gold- und Diamant-waagen sowie hydrostatische Waagen zur spezifischenGewichtsbestimmung. Wo nur möglich, wird in der WerbungBezug auf Entwicklungspartner aus der Wissenschaft ge-nommen. Sartorius verkauft nicht primär Waagen, sondernihre erfolgreiche Anwendung – demonstriert durch maß-gebliche Referenzen.

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Am Beispiel der kurzarmigen Analysenwaage zeigt sich bereits klar der kundenorientierte Unternehmer, dessen Entwicklungennicht durch technische Verspieltheit, sondern durch systematischermittelten Kundennutzen getrieben sind. Dabei fällt auch auf,dass sein Bestreben nicht primär darin lag, Vorreiter neuer techni-scher Errungenschaften zu sein. Vielmehr hat er häufig Ideen, die bereits bekannt waren, aufgegriffen und in Kombination mitanderen Ideen zum wirtschaftlichen Erfolg geführt. Dabei spieltauch eine sehr geschickte Patent-Politik eine Rolle.

Probierwaage

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Der Unternehmer Florenz Sartorius wurdevon seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiternsehr geschätzt. Seine Ehefrau Luise spielte, so wird berichtet, durch ausgleichendeGerechtigkeit häufig eine einflussreiche Rolle,wenn es um den Erhalt des guten Betriebs-klimas ging. Sie wird als „die gute Seele desGeschäftes“ beschrieben.

Florenz und Luise Sartorius hatten vier Söhne:Wilhelm (*1872–†1937)Erich (*1876–†1947)Julius (*1878–†1918)Florenz (*1881–†1918)

Sehr frühzeitig stellten sie die Weichen, umihren Söhnen Aufgaben im Betrieb übergebenzu können. So sorgten sie z.B. für eine solideAusbildung ihrer Söhne, auch im Ausland.

Luise und Florenz Sartorius ca. 1910 mit ihren vier Söhnen.Von links, sitzend: Luise, Wilhelm und Florenz Sartorius, sen. Von links, stehend: Erich, Julius und Florenz Sartorius, jun.

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1906 beteiligte Florenz Sartorius seine SöhneWilhelm, Erich und Julius an seinem Unter-nehmen, das dazu in der Form einer OffenenHandelsgesellschaft weitergeführt wurde.

Der jüngste Sohn Florenz „sollte später dasRecht haben, nach eigener Entscheidungebenfalls in das Unternehmen einzutreten“.Der Seniorchef selbst arbeitete nun bis zu seinem Tod 1925 fast ausschließlich in seinem 1892 in Rauschenwasser nördlich von Göttingen gegründeten Zweigbetrieb.

Da Julius und Florenz schon 1918 verstarben,ruhte die Verantwortung für das Unter-nehmen seitdem auf den Schultern von Wilhelm als kaufmännischem und Erich als technischem Leiter.

Wohnhaus der Familie Sartorius und ein Teil der Fabrik Rauschenwasser um die Jahrhundertwende.

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– Neue Geschäftszweige– Wärmeapparate für die Geflügelzucht

und die Bakteriologie– Übernahme der Firma August Becker und

der Fabrik für geodätische Instrumente Ludwig Tesdorpf

– Konsolidierung und Divisionalisierung derFirmenorganisation

– Ausbau der internationalen Struktur in Beschaffung und Vertrieb

– Einsatz moderner Fertigungsverfahren inden Göttinger Fabriken

– Gründung der Sartorius-Werke A.G.– Zweite Blüte der Naturwissenschaften

in Göttingen nach dem Ersten Weltkrieg– Nahtloser Übergang in der Firmenleitung

bei Generationswechsel

Neue Anwendungen und Technologien

Fertigung von Brutapparaten für die Geflügelzucht in der Fabrik Rauschenwasser.

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Julius und Florenz Sartorius mit ihrem ersten Automobil, wohl einem der ersten in Göttingen.

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Die Familie Sartorius war technischen Neuerungen gegenüber immer sehr aufgeschlossen: Das zeigt sich

auch am modernen Fortbewegungsmittel.

Jedoch eignete sich Sartorius neue Technologien nicht nurzum Gebrauch an, sondern vielmehr nutzte man auchBekanntes, um hieraus neue Anwendungen zu schaffen. Im neuen Betrieb in Rauschenwasser wurden Brutschränke für die Geflügelzucht hergestellt. Dies war nicht so abwegigwie man vermuten möchte, denn Sartorius hatte offenbarKenntnis von amerikanischen und französischen Brutapparatenzur Aufzucht von Geflügel. Gleichzeitig war er auf das Gebietder aufkommenden Bakteriologie aufmerksam geworden(Robert Koch hatte 1862–1866 in Göttingen studiert).

In beiden Feldern spielte eine präzise Temperaturregelung inbegrenzten Räumen zur Zucht von Organismen eine ent-scheidende Rolle. Dem technisch interessierten Unternehmermit Gespür für zukunftsträchtige Anwendungsfelder eröffnetesich ein aussichtsreiches neues Betätigungsfeld, auf demtechnische Innovation schnellen Markterfolg erwarten ließ.

„Eine Nachbarin erzählte Florenz Sartorius völlig verzweifelt,ihre Henne habe das Nest verlassen, und jetzt gäbe es keineKüken und damit auch keine Fortführung ihrer Hühnerzucht.Dies sei eine wirtschaftliche Katastrophe für den Haushalt.Florenz Sartorius reagierte völlig unerwartet sehr interessiertund versprach Hilfe, die aber nicht sofort zu erwarten wäre.Sartorius machte sich fieberhaft an die Entwicklung einesBrutapparates mit geregelter Heizung und führte erste Ver-suche in ,Kooperation‘ mit der Nachbarin durch.“

l Verkaufsbroschüre von 1920.

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Die Neuerung bestand vornehmlich in einerrichtungsweisenden Temperatur-Regelung fürseine Apparate, die für die verschiedenstenBrennstoffquellen verwendbar war. Es handeltsich dabei um eine selbsttätige Membran-regelung mit hervorragender Präzision, dieden Markennamen „Germania-Regelung“erhielt. Für seine Brutapparate zur Aufzuchtvon Geflügel führte Sartorius zusätzlich eineEier-Wendevorrichtung ein, die dem Brut-verhalten von Geflügel nachempfunden ist.

Sartorius setzte erneut auf intensives Marketing, insbesondere die Teilnahme andeutschen und internationalen Messen, und der Erfolg stellte sich ein: In ganz Europa wurden seine Brutapparateerfolgreich verkauft.

2004 lief im deutschen Fernsehen die 16teilige Serie „Abenteuer 1900 – Leben im Gutshaus“. In vier Folgen sollte ein Original-Germania Brut-apparat eine zentrale Rolle spielen. Bei Sartorius fanden sich noch Mitarbeitende, die in der Lage waren, ein Museumsstück wieder betriebs-fähig zu machen. Bei der Abnahmeprüfung mitmodernen Messgeräten wurde festgestellt, dass dieTemperaturregelung des über 100 Jahre alten Appa-rates mit einer Toleranz von ±0,5 °C funktionierte.

Original Beschriftung eines Brutapparates, Herstellung vor 1900.

Anzeige aus der „Woche“ 8. Januar 1910.

Anzeige aus der „Woche“ 26. November 1910.

Anzeige aus der „Woche“ 3. Mai 1913.

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Das Geschäft für den landwirtschaftlichen Bereich wurdeerweitert, insbesondere um Anglerbedarf. Einige Artikel wurden als Handelsware nur mit vertrieben, doch die Angel-ruten entwickelte er zusammen mit Florenz selbst. Das hochqualitative Bambusrohr lieferten japanische Partner.Joint Ventures gab es also schon damals.

Und dies war nicht die einzige vorausschauende Entwicklungin Göttingen: Gleichzeitig entwickelte sich mit der Einrich-tung der „Vereinigten Mechaniker Göttingens“ eine interes-sante Organisation, die für die einschlägigen GöttingerBetriebe eine gemeinsame Plattform für Vertrieb, Beschaf-fung und Kundendienst bildete.

Dabei blieben aber die teilnehmenden Betriebe juristisch undwirtschaftlich selbstständig. Von dieser Vereinigung profi-tierte natürlich auch Sartorius. Zur Pariser Weltausstellung1900 wurde von Otto Berendsen, Professor am königlichenGymnasium zu Göttingen, die Denkschrift „Die mechanischenWerkstätten der Stadt Göttingen“2 verfasst, die MechanikerGöttingens detailliert vorstellt. Diese Vereinigung erinnertnicht wenig an Measurement Valley, den im Juni 1998 inGöttingen gegründeten regionalen Wirtschaftsverband, dereine enge Zusammenarbeit in den Bereichen Technik, Einkaufund Ausbildung zum Ziel hat.

2 Otto Berendsen, Die mechanischen Werkstätten der Stadt Göttingen.Ihre Geschichte und ihre gegenwärtige Einrichtung. Verlag F.E. Haag, Melle in Hannover 1900.

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Firmenschild der Vereinigung GöttingerWerke in der Hospitalstraße, Göttingen.

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Ein weiteres Beispiel für grundsätzliche Unternehmens-strategien im Hause Sartorius liefert die Entwicklung im Jahre 1906: Sartorius übernahm zwei Betriebe, die durch zu schnelles Wachstum, die damit verbundenen Liquiditäts-probleme sowie ungelöste Nachfolgefragen in Schwierig-keiten geraten waren. Die Firmen von August Becker und Ludwig Tesdorpf stellten Produkte her, die für Sartorius einesinnvolle, komplementäre Ergänzung des Produktportfoliosdarstellten.

Aus dem Bestand der Göttinger Firma Becker wurde das Programm um Mikrotome und Nebenapparate für dieMikroskopie erweitert, die Stuttgarter Firma Tesdorpf steuerteastronomische und geodätische Instrumente sowie Fern-rohre bei. So wurde das neue Unternehmen „F. Sartorius, Vereinigte Werkstätten für wissenschaftliche Instrumentevon F. Sartorius, A. Becker und Ludwig Tesdorpf“ gegründet.Wie bereits erwähnt, übergab Florenz Sartorius bei dieserGelegenheit wichtige Managementfunktionen an seine Söhne Wilhelm, Erich und Julius, die z.B. auch die Integrationder zugekauften Firmen in die entstehende Firmengruppe Sartorius durchzuführen hatten.

Der neue Firmenverbund wurde entsprechend den verschie-denen Produktgruppen in vier Geschäftsbereiche gegliedert.3

3 Die Darstellung der Firmenstruktur ist einer Sartorius Anzeige in der „Chronik der Stadt Göttingen“ von Stadtarchivar Dr. Wagner von1930 entnommen. Zu dieser Zeit firmiert die Gesellschaft bereits seit1914 als Sartorius-Werke A.G. mit einem Grundkapital von 900.000 RM,diese Firmierung hatte aber auch fünf Jahre nach dem Tod des Firmen-Gründers (1925) noch Bestand (Wagner [1930]).

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Abteilung 2Mikrotome aller Art, wie Schlitten-, Gefrier-, Bandschnitt-, Tauch- und Gehirnmikrotome nebst Zubehör.

Abteilung 3Wärmekästen für bakteriologische Zwecke und Paraffin-Einbettungen, Thermostate in jeder Größe und für jede beliebige Heizquelle, Brutapparate und Aufzuchtgeräte zur Geflügelzucht.

Abteilung 4Geodätische, astronomische und erdmagnetischeInstrumente höchster Präzision.

Abteilung 1Analysen-, Mikro-, Dämpfungs-, Industrie-Schnellwaagen, technisch-analytische, spezifische Apotheker- und Präzisionswaagen für technische Zwecke.

Sartorius-Werke A.G., Göttingen – die vier Abteilungen der Firma

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Wagner [1930]

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Zum Status der Firma wird weiter mitgeteilt:

„Die Firma hat nun im Laufe der 6 Dezennien auf den verschiedenstenGebieten des wissenschaftlichen und technischen InstrumentenbauesWeltruf erlangt, sodass heute ungefähr 60% der Produktion ins Aus-land geht. Die kaufmännische Leitung ruht heute in den Händen desHerrn Senator Wilhelm Sartorius, während Herr Erich Sartorius dietechnische Leitung hat. Zur Zeit ist die Belegschaft ca. 250 Mann stark,welche im besten Einvernehmen mit der Geschäftsleitung an der Weiterentwicklung des Werkes mitwirkt“ (Wagner [1930]).

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Durch den Ersten Weltkrieg und den frühen Tod der beidenjüngsten Söhne von Florenz Sartorius hat sich das Unter-nehmen anders als ursprünglich geplant entwickelt.

Geodätische Geräte wurden während des Zweiten Weltkriegesaufgegeben; Brutapparate wurden noch bis in die 50er Jahreund Mikrotome bis in die 70er Jahre gebaut und dann eben-falls eingestellt. Die Aufgabe dieser Bereiche war vor allem aufdie stark angewachsene technologische und vertrieblicheKomplexität des Unternehmens zurückzuführen, während nurin sehr geringem Maße die Nutzung von Synergieeffektenmöglich war.

Dies umso mehr, als mit der Membranfiltergesellschaft und nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Gleitlagertechnikzusätzliche neue Technologien und Vertriebskanäle entwickelt werden mussten.

1910 wird in Dransfeld bei Göttingen an einem der Bezugspunkte der Gauß’schen Landvermessung der nach ihm benannte Turm ge-baut. Eine kleine Ausstellung mit noch von Gauß selbst verwendetenGeräten wird eingerichtet. Weil die Universität kein originales Heliotrop zur Verfügung stellen will, lässt Florenz Sartorius einesanfertigen und stellt es zur Verfügung.4

4 Wir verdanken diese Information Dr. Axel Wittmann, Gauß-Gesellschaft, Göttingen.

Gaußturm auf dem Hohen Hagen,Dransfeld; Grundsteinlegung 29. Juli 1909, Einweihung 31. Juli 1911,Einsturz infolge des Basaltabbaus 14. November 1963.

Plakette auf dem von Florenz Sartoriusgestifteten Nachbau des Gauß Heliotrops.

Karl Gauß aus Velbert, direkter Nachkommevon Carl Friedrich Gauß und Mitglied derGauß-Gesellschaft in Göttingen betrachtetdas Sartorius Heliotrop im Sartorius Collegeam 29. Oktober 2005.

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– Erfindung der Membranfilter durch Nobelpreisträger Richard Zsigmondy

– Versuche der Kommerzialisierung zunächst ohne Erfolg

– Produktion im Universitäts-Institut– Gründung der Membranfilter-

gesellschaft m.b.H. – Rein wissenschaftliche Ausrichtung– Umgründung als Kommanditgesellschaft

und Übernahme durch Sartorius– Ausarbeitung von Methoden– Aktualität der Trinkwasser-Kontrolle

nach dem Zweiten Weltkrieg– Aufbau der Prozessfiltration

Die Membranfilter-gesellschaft m.b.H.

Die Herstellung und Prüfung von Membranfiltern erfolgtebis in die 60er Jahre im Labormaßstab.

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Der Chemiker Richard Adolf Zsigmondy arbeitete von1908 bis zu seinem Tod 1929 als Professor für anorga-

nische und Kolloidchemie an der Georgia Augusta. Er be-schäftigte sich insbesondere mit den praktisch-technischenAnwendungen der Chemie. Durch ihn wurde Göttingen zueinem Zentrum der noch neuen Kolloidchemie. 1925 erhielter für seine Arbeiten über die heterogene Natur kolloidaler(gelartiger) Lösungen den Nobelpreis für Chemie.

Neben verschiedenen anderen technischen Erfindungen wurden von Zsigmondy und seinem Mitarbeiter Bachmannwährend des Ersten Weltkrieges die ursprünglich von Bechhold hergestellten „Kollodiumsäckchen“ zur erstenGeneration von Membranfiltern mit ausreichend scharferPorendifferenzierung weiterentwickelt.

Diese neuen Filter fanden sofort Anwendungen bei derBestimmung von Molekular- und Ionengewichten, und auchin der noch in der Entwicklung befindlichen Bakteriologieerwiesen sich die Filter als unentbehrliches Hilfsmittel zurIsolierung und Identifikation von Mikroorganismen.

Zsigmondy vor einem Versuchsaufbauzur Visualisierung von Kolloiden imStreulicht.

Die Republik Österreich widmete dem Nobelpreisträger Dr. Richard Zsigmondy zu seinem 50. Todesjahr1979 eine Sonderbriefmarke.

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Zsigmondy übertrug die Nutzung seinerPatente zunächst der Firma de Haen inSeelze, die über die Rohstoffbasis für dieHerstellung der benötigten Cellite verfügte.Jedoch fehlten hier die wissenschaftlichenVoraussetzungen für die Entwicklung derProduktion, sodass die Rechte an Zsigmondyzurückgegeben wurden. Mit Genehmigungund finanzieller Unterstützung durch dasKultusministerium und die Universitätkonnte Zsigmondy nun im eigenen Institutdie Herstellung aufbauen und verbessern,zumal die Nachfrage aus der Chemie, Bakteriologie, Hygiene und Medizin mitzunehmender Bekanntheit der neuen Technologie und ersten Publikationen überihre Anwendungen anhielt.

Als Zsigmondy 1925 den Nobelpreis für Chemie erhalten hatte, wurde sein anorganisch-chemisches Institut wegen derrasch wachsenden Studentenzahl zu klein,und neue Räumlichkeiten für die Membran-filterproduktion mussten gefunden werden.Gleichzeitig hatte Zsigmondy Vertreter derIndustrie interessiert, die bereit waren, in dieKommerzialisierung der Membranfilter zuinvestieren.

Am 30. Mai 1927 wurde die Membranfilter-gesellschaft m.b.H. in Göttingen gegründet.Die Gesellschafter waren Zsigmondy, Wilhelm Sartorius, Sartorius-Werke A.G., die Holzverkohlungs AG aus Konstanz, der Fabrikant Karl Schwab aus Mannheim,der Fabrikant Winkel aus Göttingen und die Herren Dr. Kratz, Dr. Thiessen und Dr. Demuth. Zsigmondy brachte seinePatente in die Gesellschaft ein und wurdemit der „wissenschaftlichen Oberleitung“betraut.

Unter seiner Leitung wurde die weitere wissenschaftliche Erforschung der Ultra-filtration betrieben. Der Vertrieb wurde zudieser Zeit nicht als „Hauptziel des Unter-nehmens“ verstanden. Der Geschäftsgegen-stand der Firma war „die Erforschung, Entwicklung, Herstellung“ und erst dann „der Vertrieb der Membranfilter und derdazugehörigen Apparate“ 5.

5 Aus der Satzung der Membranfiltergesellschaft m.b.H.

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Im Fabrikweg 2 in Göttingen wurden bei der Firma Boie neue Räume für die Produktion mit verbesserten Methodenbezogen. Die Geschäftsführung der Gesellschaft übernahmDr. Kratz, ein Schüler von Professor Zsigmondy. Das Pro-gramm von Membran- und Ultrafiltern wurde um eine neue Familie von Cellafiltern für organische Lösungen undstabilisierte Filter mit Batisteinlage erweitert. In den frühen 30er Jahren wurden auch die ersten eiweiß-dichten Ultrafein- und Ultracellfilter entwickelt.

1935 wurde die Produktion in die Sartorius Werke in derWeender Landstraße verlegt. Wilhelm Sartorius starb 1937.Im selben Jahr wurde die Gesellschaft in eine Kommandit-gesellschaft umgegründet und der alleinige Geschäftsführerder Sartorius AG, Erich Sartorius, übernahm die Firmenleitungder Membranfiltergesellschaft KG.

Zunächst erhielt die Gesellschaft noch Mittel des Reichsam-tes für Wirtschaftsaufbau, während des Zweiten Weltkriegesjedoch musste mit eigenen Mitteln ausgekommen werden. Es folgten weitere Produktneueinführungen, insbesonderevon Filter-Apparaturen. Besonders großer Wert wurde auf dieEntwicklung von Standardmethoden für die verschiedenenAnwendungen gelegt. In enger Zusammenarbeit vor allemmit Instituten der Universität Göttingen, aber auch mitindustriellen Anwendern, leistete die Gesellschaft Pionier-arbeit in sehr breitem Rahmen. Dies schlägt sich auch in einer Fülle wissenschaftlicher Publikationen zum ThemaMembranfiltration nieder.

Prüfeinrichtung zur Bestimmung der Abtrennung von Molekülen durchUltrafilter.

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Nach dem Krieg entwickelte sich das Geschäft vor allem mit Filtern zur Trinkwasser-Kontrolle recht gut, da durch dieweitgehend zerstörten Wasserleitungen große Infektionsge-fahren, vor allem für Cholera bestanden. Das hatte allerdingszur Folge, dass ein Mitarbeiter der amerikanischen Militär-behörden in Deutschland 1947 das gesamte Know-how derGesellschaft beschlagnahmte, das von einem amerikanischenKonkurrenten genutzt werden konnte. Daraus hat sich der wichtigste Wettbewerber der Sparte Biotechnologie derheutigen Sartorius AG entwickelt.

Mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg wurdenvor allem in der pharmazeutischen Industrie entscheidendeDurchbrüche besonders im Bereich der Sterilfiltration und dermikrobiologischen Kontrolle von flüssigen Medien und Gasenerzielt. Auch weiterhin spielte die intensive Zusammenarbeitmit der Forschung und der Industrie eine entscheidende Rolle.

Maßstäbe hat die Gesellschaft schon damals in der Herausgabe technisch-wissenschaftlicher Literatur und derOrganisation von Schulungs- und Seminar-Veranstaltungennicht nur für eigene Mitarbeiter, sondern auch für Kundenund Interessenten gesetzt. Dadurch wurde der Stand derTechnik dokumentiert und neue Anwendungen breitenAnwenderkreisen zugänglich gemacht.

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Kolonien von Bakterien auf Membranfiltern nach der Inkubationim Brutschrank.

Filterhalter und Aufgussbehälter ausPorzellan.

Es hält sich hartnäckig dasGerücht, dass bestimmte Aus-führungen dieser Filterhaltervon der Meißener Porzellan-manufaktur hergestellt wurden.

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Geradezu programmatisch wirkt in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass in Firmenprospekten und Publikationen regelmäßigvon der „Membranfilter-Methode“ die Rede ist, um auszudrücken,dass ein fachgerechter Einsatz von Membranfiltern nur bei genauerKenntnis der Anwendungsbedingungen und der Eigenschaften des zu filtrierenden Produktes möglich ist.

Firmenprospekt aus dem Jahre 1952.

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Aus dem Jahre 1951 liegt uns eine Darstellung der Umsatz-entwicklung der Membranfiltergesellschaft vor, die zeigt,dass das Geschäftsvolumen der Gesellschaft über Jahrzehntenur sehr bescheidene Ausmaße hatte, sodass die heutige Entwicklung der Membranfilter als Querschnittstechnologienur schwer voraus zu sehen war. Dabei ist zu berücksichtigen,dass bis Mitte der 40er Jahre vor allem Membranen für ana-lytische Zwecke mit entsprechend niedrigem Umsatzvolumengeliefert wurden.

In der Nachkriegszeit wird das Geschäft mit Filtern dagegenzunehmend durch das sich entwickelnde Geschäft in indus-triellen Anwendungen ergänzt. Die Produktpalette bestand zu dieser Zeit im Wesentlichen aus Planfiltern verschiedenerPorengrößen in verschiedenen Konfektionsformen. Zum Einsatz der Filterscheiben dienten Filterapparate aus Glas,Keramik oder Edelstahl mit Aufgussraum, die leicht zur Reini-gung bzw. Sterilisation demontiert werden konnten.

Die Herstellung der Filtermembranen erfolgte durch Rakelnder Polymer-Lösung, bestehend aus Polymer und Lösungs-mittel auf Glasplatten. Nach Verdunsten der Lösungsmittelund Erstarren der Membran wurde das Produkt von der Glasplatte abgelöst und weiterverarbeitet.

Die Umsatzkurve lässt erkennen, dassbis Mitte der 40er Jahre vor allemMembranen für analytische Zweckemit entsprechend niedrigem Umsatz-volumen geliefert wurden.

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Es ist einleuchtend, dass bei dieser Herstellungsweise erheb-liche Abweichungen in Dicke und Konsistenz des Produkteshingenommen werden mussten. Die Qualitätskontrolle derFilter erfolgte erst nach dem Ausstanzen der Filter-Rondenund führte stets zu erheblichem Ausschuss. Einige Filtertypenmussten in nassem Zustand verpackt werden, um ein Aus-trocknen und Verspröden zu vermeiden. Dadurch wurde aller-dings die Zugabe von Desinfektionsmitteln erforderlich, umVerkeimung vorzubeugen. Damit waren wiederum Einschrän-kungen beim Einsatz verbunden. Vor allem im Bereich derUltrafiltration wurden auch Filter in Hülsenform angeboten,die in einem Gießvorgang hergestellt wurden.

Als Basispolymere für die Membranherstellung wurden vor allem Cellulosederivate in Form von Cellulose-Acetat undCellulose-Nitrat eingesetzt, die in Granulatform bezogenwurden. Mit der sich schnell entwickelnden Film- und Foto-industrie wurden diese Produkte zwar in großen Mengen alsRohstoff hergestellt, ein besonderes Problem blieb aber fürlange Zeit die Chargenkonsistenz dieser Materialien, da fürdie Weiterverarbeitung zu anderen Produkten Spezifikationengalten, die für die Membranverarbeitung nicht ausreichten.Aufwändige Wareneingangskontrollen und häufige Anpassungen der Herstellungsprozesse waren die Folge.

Optische Prüfung der Membranfilter-Ronden.

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Obwohl die Membranfiltergesellschaft inzwischen voll zur Sartorius Firmengruppegehörte, wurde sie noch bis zur Verschmelzungmit der Sartorius Werke GmbH im Jahre 1978mit eigenem Firmenlogo und separater Organisation weitergeführt. Anschließendwurde sie zur Sartorius Sparte Filtertechnik,dem Kern der heutigen Sparte Biotechnologie.

Zu dieser Zeit war die Herstellung von Mem-branen noch stark empirisch geprägt undhing stark von der Erfahrung der Mitarbeiterin der Produktion ab. Zur Erweiterung desEinsatzbereichs von Membranfiltern wurdemit Kombinationen von konventionellen Filterschichten und Membranen experimen-tiert, um die Stabilität der Filter und dieStandzeiten im Betrieb zu verbessern.

Anfang der 60er Jahre wurde die erste Trägermembran für die Elektrophorese aufCellulose-Acetatbasis entwickelt. Bei derElektrophorese werden Moleküle entspre-chend ihrem Molekulargewicht in einemelektrischen Feld von einander getrennt.

Für die Ausbildung der Auftrennungen spielt vor allem die niedrige unspezifischeAdsorption und die Oberflächenbeschaffenheitder Folie eine Rolle. In Zusammenarbeit mit führenden Herstellern auf diesem Gebietwurde ein internationales Geschäft entwickelt.

Untersuchung der Hybrideinheit von Saatgut durch Phänotypisierung von Isoenzymmustern.

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– Gründung der Sartorius-Werke A.G.– Zweite Blüte der Naturwissenschaften

in Göttingen nach dem Ersten Weltkrieg und die Auswirkungen auf Sartorius

– Nahtloser Übergang in der Firmenleitungtrotz Generationswechsel

– Nationalsozialismus und Rüstungspro-duktion im Zweiten Weltkrieg

– Wiederbeginn nach dem Krieg in „Zonenrandlage“

– Dritte Blüte der Naturwissenschaften in Göttingen (Uni und MPI)

Sartorius in zwei Weltkriegen

In den 30er Jahren gehörte der tägliche Frühsport zum Arbeitsalltag (Aufnahme 1938).

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Die deutsche Wirtschaft hat in den beiden Weltkriegendes zurückliegenden Jahrhunderts dramatische Rück-

schläge und Veränderungsprozesse erlebt. Viele kleine Unter-nehmen mussten aufgeben oder wurden von stärkeren Firmenübernommen. Florenz Sartorius hat sein Unternehmen mitsehr großem unternehmerischen Geschick selbst durch denErsten Weltkrieg und die Nachkriegszeit geführt. Es war seinZiel, jedem seiner vier Söhne einen eigenen Verantwortungs-bereich im Unternehmensverband zu hinterlassen, und erhatte folgerichtig sein Unternehmen durch Zukäufe und neue Geschäftszweige breit aufgestellt. Damit wurde aucheine relativ große Krisenunabhängigkeit erreicht. Seine zweiSöhne Julius und Florenz starben allerdings bereits 1918,sodass seine Söhne Wilhelm und Erich nach seinem Tod 1925die Geschäftsleitung übernahmen.

Bereits 1914 war die Gesellschaft in die „Sartorius-WerkeAktiengesellschaft“ umgewandelt worden, um die Kapital-basis zu erweitern. Die Kontrolle der Firma blieb aber innerhalb der Familie Sartorius.

Bei der Gründung der Membranfiltergesellschaft 1927 waren die Sartorius-Werke wirtschaftlich so gefestigt, dassder damalige Firmenchef Senator Wilhelm Sartorius sichzutrauen konnte, mit Weitblick in ein Unternehmen zu inves-tieren, von dem zwar in der Zukunft innovative Geschäfte zuerwarten waren, dass kurzfristig sicher jedoch entsprechendder Satzung nur Verluste einfahren würde.

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Im Ersten Weltkrieg waren wichtige Mitarbeiter auch ausdem Management zum Kriegsdienst eingezogen und die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung erlahmte. In der Stadt Göttingen und bei Sartorius gingen die Geschäfte aberbesonders in Zusammenarbeit mit der Universität weiter.

Wir verfügen leider über keine exakten Daten aus dieser Zeit,aber es kann angenommen werden, dass etliche klassische„Männer-Arbeiten“ durch Frauen übernommen wurden. NachKriegsende herrschte wieder das vertraute harte aber herz-liche Arbeitsklima vor, wie es typisch war in einem noch starkhandwerklich geprägten Betrieb in der Kleinstadt Göttingenmit ihrem landwirtschaftlich orientierten Umfeld.

Originalzitate von pensionierten Mitarbeitern, die diese Zeitnoch miterlebt haben, sollen die Atmosphäre beschreiben:

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„Jeder Gehilfe besaß ein Arbeitsbuch. Dort wurden alle Arbeiten laufend eingetragen. Nach dem Frühstück wurden die Bücher ein-gesammelt und an den Werkmeister Fischer abgegeben. Die Aus-zahlung erfolgte abends gegen 5.00 Uhr. Pünktlichkeit wurde durch einen Markenkasten kontrolliert, der amEingang der Fabrik angebracht war. Jeder bekam eine Kontrollmarke,die er morgens herauszunehmen hatte und die er abends wiederhineinlegen musste. Morgens um 7.00 Uhr wurde der Kastengeschlossen. Wer zu spät kam, musste 25 Pfennig bezahlen.“

„Bei schönem Wetter benutzten die Söhne das Hochrad, ansonstenwaren die Pferde das Hauptverbindungsmittel.“

Abteilung Mikrotom-Zusammenbauim Zweigwerk Rauschenwasser.

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Die jungen Leute lernen von erfahrenen Meisternund Gesellen (20er Jahre).

In den 60er Jahren beobachtet der Meister kritisch seine Lehrlinge. Auch die kaufmännischen Lehrlinge mussten wenigstens vier Wochen lang das Feilen lernen.

Wir haben nicht feststellen können, ob die praktischen Arbeitskittelvon der Firma gestellt wurden (20er Jahre).

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In den 70er Jahren tragen die Auszubildenden betont legere Kleidung. r

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Nachwuchsausbildung hat Tradition

bei Sartorius

Das vielseitige Produktionsprogramm,die große Fertigungstiefe und die internationale Ausrichtung des Unter-nehmens bietet zu allen Zeiten der Firmengeschichte ein breites Spektruman Ausbildungsmöglichkeiten sowohl für technische als auch fürkaufmännische Lehrlinge.

Die neuen kaufmännischen Lehrlinge lernen ihre Arbeits-umgebung kennen. Zukünftige kaufmännische Angestellte tragen Anzug und Schlips (50er Jahre).

Der Lehrlingsausflug ging diesmal nach Kassel mit vielseitigem Besichtigungsprogramm (60er Jahre).

Lehrlingswerkstatt im Werk Weender Landstraße (50er Jahre) – man beachte den Haarschnitt der Lehrlinge.

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Ein Originalzitat eines pensionierten Mitarbeiters, der diese Zeitennoch miterlebt hat, soll die Atmosphäre beschreiben:

„Meine Ausbildung als technischer Lehrling dauerte vier Jahre; der Lehrling musste zunächst einen Eisen-Klotz gerade feilen – eineverhasste Aufgabe. Erich Sartorius leitete die Ausbildung; er nahm es sehr genau und ließ nichts durchgehen. Acht Lehrlinge und sechsGehilfen haben damals in der Mechanikerwerkstatt gearbeitet. Der Seniorchef kam jeden zweiten Tag auf dem Pferd geritten. Wohldem, der das Pferd halten durfte, er war dann vom Blitz und Donnerin der Werkstatt verschont.“

Der Meister in der Lehrwerkstatt in Rauschenwasser hat seine Zöglinge fest im Blick (20er Jahre).

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Gerade nach dem Ersten Weltkrieg genossdie Universität Göttingen vor allem in dennaturwissenschaftlichen Fächern internatio-nal höchstes Ansehen (Otto Wallach, WalterNernst, Richard Zsigmondy, Adolf Windaus,Max von Laue, James Franck, Max Born, Werner Heisenberg – um nur einige Nobel-Preisträger, die in Göttingen wirkten, zu nennen – und viele andere), was dazu führte,dass die mit der Universität verbundenenZulieferbetriebe ebenfalls im internationalenVergleich gut bestehen konnten. Im Zeitraumvon 1870 bis 1911 wurden 10.000 Analysen-waagen produziert. Von 1911–1939 wurden40.000 Waagen gebaut und verkauft.

Unter dem Nationalsozialismus verhielt sichdie Universität Göttingen systemkonform:International angesehene Wissenschaftler,z.B. Max Born, James Franck, Emmy Noetherund Richard Courant verließen Universitätund Heimat.

Der „neue Geist“ hat dagegen die traditionellgewachsenen starken emotionalen und sozialen Bindungen zwischen Unternehmenund Belegschaft bei Sartorius nur in geringemMaße beeinflussen können. Ab 1939 wurdeauch für die Rüstung produziert. Neben demweiterlaufenden Programm von Waagen fürApotheken wurden vor allem Leitwerke fürBomben hergestellt. Aus der Rückschau ist esberuhigend, festzustellen, dass keine Waffenmit hoher Priorität bei Sartorius gefertigtwurden, sodass direkte Einflussnahmen seitensStaat und Partei gering waren.

Während des Zweiten Weltkrieges wurden anStelle der Mitarbeiter, die Kriegsdienst leistenmussten, Fremdarbeiterinnen und Fremd-arbeiter beschäftigt, die unter schrecklichenBedingungen in Sammellagern untergebrachtwaren.

In dieser schlimmen Zeit lag die Geschäfts-führung bei Senator Erich Sartorius, der sichsehr für sein Unternehmen und die Mitar-beiter eingesetzt hat. Aus Gesprächen mitehemaligen Fremdarbeiterinnen und Fremd-arbeitern wissen wir, dass Erich Sartoriushäufig Außerordentliches unternahm, um das Los auch dieser Belegschaftsmitglieder zulindern. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegeswurde die Firma von Bomben getroffen, derBetrieb konnte aber weitergeführt werden.

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Als erste Universität in Deutschland nahmdie Georgia Augusta Göttingen noch 1945den Lehrbetrieb wieder auf, und Göttingenwurde zum Zentrum der Wissenschaft undder neu gegründeten Max-Planck-Gesell-schaft. Flüchtlinge aus dem Osten kamen in die Stadt und die Umgebung. Viele vonIhnen wurden bewährte Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter bei Sartorius.

Es wurde schon erwähnt, dass im zerstörtenNachkriegsdeutschland Membranen für dieTrinkwasser-Kontrolle sehr gefragt waren, imÜbrigen wurde zunächst eine breite Palettevon Produkten mit den vorhandenen Materialien, Arbeitskräften und Maschinenhergestellt. Auch Möbel und Artikel des täglichen Bedarfs waren dabei und sogarSpielzeuge für den Weihnachtsmarkt wurdenproduziert. Es ging zunächst darum zu überleben und sich wieder einzurichten.

Den Wiederaufbau des Unternehmens nachdem Krieg hat Erich Sartorius noch bis zuseinem Tode 1947 geleitet. Dabei wurde er durch seinen Sohn Horst Sartorius unter-stützt, der dann die Geschäftsführung übernahm.

Der Betrieb hatte zwar gelitten, aber es konntenoch produziert werden und erfahrene Mitarbeiter kamen nach Göttingen zurück.Gleichzeitig wirkte sich die traditionell beiSartorius gepflegte Lehrlingsausbildungpositiv aus: Gut ausgebildete Nachwuchs-kräfte konnten übernommen werden.

Der Standort Göttingen nahm nach demZweiten Weltkrieg insofern eine Sonder-stellung in Deutschland ein, als die Stadt nur in geringem Maße zerstört war. Sie lag in unmittelbarer Nähe zur Zonengrenze, die dann zum Eisernen Vorhang wurde.

Die Werksanlagen in der Weender Landstraße nach dem Zweiten Weltkrieg.

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Dabei wurden alte Modelle weitergebaut soweit Material vorhanden war. Mit neuen Typen kam der Durchbruch:Die neuen Waagen-Generationen wie z.B. die SELECTA, mitMetallgehäuse und wichtigen neuen Vorteilen, wurde ein voller Erfolg.

Es hält sich hartnäckig das Gerücht, die neue Waage seischon während des Krieges entwickelt worden, Erich Sartorius habe es aber listig geschafft, dass englische „Technologie-Inspektoren“6 die Konstruktion nicht zu sehenbekamen. Ihrem Bericht vom Januar 1946 entnehmen wiraber einige interessante Details:

– die Mitarbeiterzahl wurde mit 225 (vor dem Kriege350) angegeben, davon 80% in der Produktion vonWaagen und Gewichten

– die Lehrlingsausbildung mit 51 WochenstundenBerufsschule wird ausdrücklich gelobt

– der höchste Stundenlohn (für Eichmeister) betrug 0,92 RM +15%

– die Produktion betrug ca. 100 Waagen und 120–150 Gewichtsätze (vor und während des Krieges 200–300) pro Monat

– auf die Knappheit von Kupfer, Gold und Platin wirdhingewiesen, daher werden viele Teile aus Aluminiumhergestellt

Der Firmentradition folgend, wurden Kontakte zu Kundenund Handelspartnern im In- und Ausland wieder aufge-nommen. Der Name Sartorius hatte weltweit nicht gelitten.

6 British Intelligence objectives sub-committee, The German Fine Balance Industry; London H.M. Stationary Office 1946.

Zusammenbau der Analysenwaage SELECTA.

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Erich und Frida Sartorius mit ihrem Sohn Horst.

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Im Jahre 1947 verstarb plötzlich Erich Sartorius. Er war 41 Jahre lang an leitender Stelle für Sartorius tätig. Im ErstenWeltkrieg konnte er zusammen mit seinem Vater und seinemBruder Wilhelm, im Zweiten Weltkrieg als alleiniger Firmen-chef größeren Schaden vom Unternehmen fernhalten.

Seine Frau Frida, geb. Höfgen (*1881–†1968), stand ihm stets zur Seite und ist den „Sartorianern“ vor allem durch ihr energisches Auftreten in Erinnerung. Sein Sohn, HorstSartorius, übernahm die Geschäftsführung der Gesellschaft in einer Zeit, die durch den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt war.

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Besonders erfolgreich war Erich Sartorius als technischer Kopf der Gesellschaft: Er besaß mehr als 80 Weltpatente.

Erich Sartorius

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– Die Nachkriegszeit– Der „Schlüssel zum Erfolg“ liegt

wieder im Export– Einblicke in die Verwaltung– Identifikation der „Sartorianer“ mit ihrem

Unternehmen und den Unternehmern– Konzentration auf die Kernkompetenzen

Wiederaufbau und Internationalisierung

Werkstor der Sartorius-Werke A.G. in der Weender Landstraße in Göttingen; Ende der 50er Jahre .

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Horst Sartorius übernahm 1947 die Leitung der Sartorius Gruppe im Alter von 37 Jahren. Er hatte, der

Familientradition folgend, bereits verschiedene Funktionen in der Firmengruppe ausgefüllt, bevor er an die Spitze berufen wurde.

Die Zeit der schlichten Überlebenssicherung nach dem Kriegeging langsam zu Ende. Heute ist kaum mehr vorstellbar, wie schwierig in der Zeit bis zur Währungsreform vor allemdie Beschaffung von seltenen Materialien war. Selbst Büro-klammern gab es nur auf „Eisenbezugsschein“. In dieserSituation war die Tatsache, dass Sartorius immer „alles imeigenen Hause“ hergestellt hatte, hilfreich, um die Produktionwieder aufzubauen. Das Produktprogramm umfasste Analy-senwaagen verschiedener Bauweisen, Mikrotome und Produktezur Vorbereitung mikroskopischer Schnitte, Material-Prüfgeräte vor allem für die Textilindustrie, Staubmessgeräte und Membranfilter.

Sartorius war getrieben von dem hartnäckigen Bestreben,dem Unternehmen die frühere Bedeutung wiederzugeben.Göttingen war dazu ein guter Standort: Die Universität undMax-Planck-Institute waren als Erste in Deutschland wiedervoll in Betrieb, und führende Naturwissenschaftler lebten undwirkten hier: Max Planck, Max von Laue, Werner Heisenberg,Carl Friedrich von Weizsäcker und Otto Hahn, um nur einigevon ihnen zu nennen. Die „Göttinger Erklärung“ von 1957gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr gibt einberedtes Beispiel für ihre Bedeutung.

Es wird berichtet, dass in dieser Zeit Horst Sartoriusmehrfach vor seinen Mitarbei-tern stand und meinte:„Geld habe ich zwar keins, aber bei mir ist es wenigstenswarm und zu Essen und Trinken haben wir auch noch.Wer also kommen will, ist herzlich eingeladen. Wenn wirwieder Geld haben, wird auchwieder gezahlt.“ Keiner blieb zu Hause.

Die Nachkriegszeit

Betrieb an der Werkspforte.

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Die Stadt war bekannt für ihre einschlägige Industrie fürLehrmittel in Schulen und Universitäten. Aber auch Apotheken, öffentliche Institute und die Industrie musstenneu ausgerüstet werden. „Original-Sartorius-Produkte“ warenwieder gefragt. Mit der Währungsreform war bald wiederGeld und Mut in die Zukunft vorhanden, aber dennoch stelltedie Finanzierung der privaten Firmengruppe ein großes Problem dar.

Vor allem war ihm wichtig, seine Mitarbeiter auf das Unternehmen einzuschwören und von notwendigen Maß-nahmen zu überzeugen. Sein Führungsstil war hart aber fair. Bei seinen Aktivitäten wurde er tatkräftig von seinerEhefrau Elfriede, geb. Jantze (*1917–†1981), unterstützt, die sich als „gute Seele des Unternehmens“ mit viel Be-geisterung und seelischem Engagement um die Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter und deren Familienangehörige gekümmert hat.

Die Einführung der neuen Waagen-Generation SELECTA, mit Metallgehäuse und wichtigen neuen Vorteilen, war ein voller Erfolg und das Unternehmen begann sich zu stabilisieren.

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Die PROJECTA (Baujahr 1948) war dasVorgängermodell der legendärenSELECTA, dem Erfolgsmodell der 50erund 60er Jahre.

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Der „Schlüssel zum Erfolg“

liegt wieder im Export

Gleich nach dem Krieg hat Sartorius allesunternommen, die alte Exportstärke zurück-zugewinnen. Zunächst wurde wieder an Kontakte zu ausländischen Handelspartnernangeknüpft und allmählich wurden auchneue Vertretungen, häufig in Kooperationmit großen deutschen Unternehmen, wie z.B. Zeiss, aufgebaut. Wichtiges Element derFührung ausländischer Vertretungen war die intensive Schulung der Spezialisten imGöttinger Schulungszentrum, zunehmendauch im Land durch reisende Sartorius Trainer.

Ab Ende der 60er Jahre hat Sartorius dannzunehmend eigene Tochtergesellschaftenzunächst im europäischen, später auch imaußereuropäischen Ausland aufgebaut.

Wesentliches Element für diese Entscheidungwar die Notwendigkeit, kundennah kurzfristigKundendienstleistungen bieten zu können.Dabei spielten auch länderspezifische Vor-schriften im Rahmen der Eichgesetzgebungfür Waagen eine Rolle. Die erste Tochterge-sellschaft wurde 1971 in Österreich gegründet,es folgten Gesellschaften in den Niederlanden,in Großbritannien und in Frankreich. Ab 1975 wurde die Tochtergesellschaft in den USA – zunächst in einem Hotelzimmer inSan Francisco – aufgebaut. 1982 wurde dasZweigwerk für Filtertechnik in Puerto Ricomit Zielrichtung US-Dollar-Markt gegründet.

„Der Chef“ pflegte sehr intensive Kontakte zu Universitäten, wissenschaftlichen Institu-tionen und Behörden in Göttingen, aber auchin ganz Deutschland und im Ausland.

Sehr früh ist Sartorius auf internationalenMessen präsent.

Eine besondere Form der Marktforschung betriebHorst Sartorius an seinem Stammtisch im Rats-keller: Professoren der verschiedensten Fakultätentrugen ihm ihre Projekte vor, und es war dann Aufgabe seiner Experten, aus der Flut von Ideen diefür das Unternehmen nutzbaren heraus zu filtern.Ein Beispiel: So bot Otto Hahn, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Horst Sartorius 1948 die Kommerzialisierung der Gleitlagertechnik –einer Entwicklung des Institutes für Strömungs-forschung – an, die Sartorius erfolgreich betrieben hat.

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Firmenprospekt aus dem Jahre 1953.

In einem Prospekt aus dem Jahre1953 heißt es:

„Jahrzehntelange Erfahrungen im Bau von Analysenwaagen –Präzisionswaagen – Mikrotomen –Erfahrungsaustausch mit unsererin der ganzen Welt verteiltenKundschaft – wissenschaftliche Erforschung aller Wägefehler im eigenen Laboratorium – sorg-fältige Auswahl der Mikrotome fürdie verschiedensten Materialien zumikroskopischen Untersuchungen– strenge Überwachung aller ausgehenden Geräte u.a.m. sinddie Grundlagen für die in allerWelt bekannten und geschätztenORIGINAL ,SARTORIUS‘-Geräte.“

Das Geschäft mit Universitäten hatte nebender Entwicklung neuer Produktideen auchdeshalb einen hohen Stellenwert, weil Menschen, die als Studenten mit Sartorius Geräten gearbeitet haben, auch im Berufs-leben diesen Geräten den Vorzug geben würden.

Im Auslandsgeschäft lag ein besonderes Interesse von Horst Sartorius in Osteuropa: Er war einer der deutschen Pioniere im deutschen Russlandgeschäft nach dem Krieg.Sehr weitsichtig nutzte er die technisch-wissenschaftliche Zusammenarbeit mit ver-schiedenen Instituten, um langfristigeGeschäftsbeziehungen in diesem schwierigen Markt aufzubauen.

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Einblicke in die Verwaltung

Die kaufmännische Verwaltung des Unternehmens, das in seinen Produkten Pionier der Elektronik war, hat nur sehrzögerlich die elektronische Datenverarbeitung eingeführt. Bei Sartorius wurde lange Zeit in den verschiedenen Buch-haltungen noch mit Karteikarten gearbeitet, in Arbeitsvor-bereitung, Lohnabrechnung und Kalkulation setzten sichzunächst mechanische, später elektrische Rechenmaschinendurch.

Der gesamte Betriebsabrechnungsbogen wurde handschrift-lich auf „langen Tapeten“ erstellt. Die komplette Verwaltungwar ausschließlich auf betriebliche Abläufe programmiert,wie die unten geschilderte Begebenheit illustriert.

Ein betriebszugehöriger Feinmechaniker war in der Freizeit Hobby-Modellbauer. Für ein Fahrzeug-Modell brauchte er einen laufendenMeter Kunststoffrohr, das bei Sartorius als Rohmaterial verfügbar war. Ehrlich, wie er war, ging er zu seinem Vorgesetzten, um zu erfahren,wie dieser Barverkauf zu bewerkstelligen sei. Die dann folgende Prozedur dauerte einen halben Tag mit Feststellung der Verfügbarkeit(buchmäßig auf der Karteikarte), Preisermittlung, Zuschneiden desMaterials, Ausfertigen des Barverkaufsbelegs, Lieferscheins, Passier-scheins, Einzahlung des Rechnungsbetrages, Aushändigung des Materials usw. Unstrittig bei dem Vorgang war, dass der Mitarbeiternur die Herstellkosten des Materials zu zahlen hatte.

Es ist nicht überliefert, ob dieser Vorgang mit dazu beigetragen hat,dass bei Sartorius in den 60er Jahren ein Verkaufsladen für Sartorius Mitarbeiter eingerichtet wurde, in dem Waren des täglichenBedarfs preiswert eingekauft werden konnten. Das Verfahren von Barverkäufen an Mitarbeiter wurde aber wesentlich erleichtert undtransparent gemacht.

Buchhaltung

Kassenbüro

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Mehrere Jahre lang wurde mit einem Datenverarbeitungs-zentrum in Göttingen zusammengearbeitet. Die Zusammen-stellung und Weiterleitung der Belege stellte dabei regel-mäßig ein Problem dar. Erst in der Mitte der 70er Jahrewurde eine eigene EDV in Göttingen installiert und mit ver-schiedenen Programmen für die einzelnen Anwendungengestartet.

Die Spezifikation der ersten eigenen EDV-Anlage liegt uns vor:

Kaufvertrag vom 17. Mai 1974

Siemens-Unidata-Anlage mit folgender Konfiguration:1 Zentraleinheit 7720-F | 64 KB1 Lochkartenleser 3140 | Lesegeschwindigkeit

300 Karten/Min.1 Schnelldrucker 3320 | Druckgeschwindigkeit

200 Zeilen/Min.3 Magnetplatten- 4596 | Speicherkapazität speicher je 29 Mio. Byte

Installationstermin 1. September 1975

Geplante Einsatzgebiete:– Kundenauftragsbearbeitung– Fertigungsplanung und -steuerung– Finanzbuchführung– Lohn- und Gehaltsabrechnung– Diverse Statistiken

Die Daten und Ziele sprechen für sich. Es sollte noch ein langerWeg sein, bis die EDV zum anerkannten, selbstverständlichenArbeitswerkzeug der Sartorius Organisation wurde.

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Vor der Einführung der EDV wurden Belegeauf Ormig Maschinen erstellt. Dieses Nass-kopierverfahren war sehr zeitaufwändigund wegen der damit verbundenen Geruchs-belästigung nicht beliebt.

Karteikästen sind die „Datenbanken“ der Zeit.

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Arbeitsvorbereitung

Ein „Chef“ lässt sich am Telefon berichten.

Fabrikbüro

Exportabteilung

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Der klassische soziale Konflikt zwischenArbeitern und Angestellten hat bei den „Sartorianern“ nie eine große Rolle gespielt.Entsprechend dem weltweiten Ansehen desUnternehmens als Lieferant von technischenSpitzenerzeugnissen hatten die Angestelltenstets Hochachtung vor ihrenKollegen aus der Entwicklung und der Produktion. Die Büros der Verwaltung sind zweckmäßigeingerichtet.

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Einkauf

Der klassische Zeichensaal, die Konstrukteure tragen natürlich weiße Kittel.

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Statut der Sartorius Betriebskrankenkasse von 1909.

Heute befindet sich in dem Gebäude neben der Kantine die Betriebs-krankenkasse des Hauses Sartorius. Obwohl die im Jahre 1909 gegrün-dete Sartorius Betriebskrankenkasse nach dem Zusammenschluss mitanderen Kassen aus der Region heute den Namen „BKK Technoform“trägt, wird die Tradition der betrieblichen Krankenversicherung beiSartorius weiterhin gepflegt. Damit werden die Sartorius Mitarbeiterauch nach fast 100 Jahren betriebsnah von ihrer BKK betreut.

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Identifikation der „Sartorianer“ mit Ihrem

Unternehmen und den Unternehmern

In Zeiten großer Not lernen die Menschen,dass Solidarität und Zusammenarbeit allenweiterhilft. Die Sartorius Mitarbeiter derNachkriegszeit haben in ihrem privatenUmfeld diese Zeit sehr unterschiedlich erlebt.Viele Mitarbeiter stammen aus der länd-lichen Umgebung der Stadt.

Einige von ihnen hatten durch eigene Land-wirtschaft ein zusätzliches Auskommen. Soverkauften sie etwa ihre landwirtschaftlichenErzeugnisse an Kollegen bei Sartorius.

Im Eichsfeld, der Gegend süd-östlich vonGöttingen, verlief die Zonengrenze, dieschließlich zum Eisernen Vorhang wurde undihre ganz eigenen Probleme mit sich brachte.

Die Stadtbewohner in Göttingen hatten vielleicht ein Zimmer, das vermietet werdenkonnte, um sich etwas dazu zu verdienen. So richtete sich jeder, wie er konnte, ein.

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Dieser Waschraum wurde sicher in den 30er Jahren einge-richtet. Direkt nach dem Kriege waren diese Verhältnisse aberwesentlich besser, als bei manchem zu Hause.

Werkskantine Weender Landstraße, man beachte die „Firmenchronik“ an den Wänden des Lokals.

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In der Weender Landstraße befindet sich die Werkskantine, das „Sartorant“, in einem alten Fachwerkhaus. Dort befand sich ursprüng-lich eine selbstständige Kneipe, in der „Sartorianer“ häufig einen Teilihrer Bezüge in Bier umzusetzen pflegten. Es wird berichtet, Horst Sartorius habe ein gewisses Verständnis für die Mittelverwendunggehabt – bei Sartorius wurde immer kräftig gefeiert – sich aber geärgert, dass der Umsatz nicht im Unternehmen blieb. Er habe daherdie Kneipe mit Kundschaft gekauft und zur attraktiven Werkskantineumfunktioniert. Das Angebot sei, seiner Liebe zum Tegernsee folgend,um eigens „unipostiertes“ bayrisches Bier und Radi erweitert worden.Wir haben keine Belege dafür, dass diese Einrichtung neben dem„Recyclen von Sartorius Gehältern und Löhnen“ auch der Akquisitionvon „Firmeninterna“ diente.

Die Kantine im Sartorant ist seit den 90er Jahren ein ansprechendes modernes Restaurant.

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In dieser sozialen Umgebung spielte es eine große Rolle, bei Sartorius zu arbeiten, bei einem Unternehmen, in dem es bald wieder vorwärts ging. Bei Sartorius bildete sich eine Interessengemeinschaft, die durch Erfolg motiviert war, undin der auch manches private Problem gelöst wurde, ohne dass die Arbeitsmoral darunter gelitten hätte.

Die Zeitumstände und ein geschicktes Management habendie „Sartorianer“ zusammengeschweißt zu einem Team, das wieder weltweit erfolgreich war. Dabei hat sich ein sehreigener „Stallgeruch“ und eine eigene „Hackordnung“ ent-wickelt, um zwei Fachausdrücke der Soziologie ohne jedeWertung zu bemühen.

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Für die 50 er Jahre ein reichhaltigesAngebot an Speisen und Getränken.

Die Weihnachtsfeier für die Kinder der Belegschaft hat eine lange Tradi-tion bei Sartorius; manche werdenschon in diesem Alter zu zukünftigen„Sartorianern“.

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Der Sartorius Kaufladen orientierte sein Sortiment an den Wünschen der „Sartorianer“.Hier gab es auch die gute Eichsfelder Wurst.

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Über die Details der formellen und informellen Netzwerke beiSartorius sollte vielleicht einmal ein eigenes Buch geschrie-ben werden. Wir können hier nur einige Eindrücke wiederge-ben. Aber eins ist sicher: Bei aller Belastung wurde auchimmer wieder ein Grund zum gemeinsamen Feiern gefunden.

Die 100-Jahr-Feier der Gesellschaft 1970 sollte ein großes Fest werden;mit Mitarbeitern und Freunden des Hauses wurde gefeiert, wie imÜbrigen die „Sartorianer“ sehr oft Gelegenheiten zum Feiern gefundenhaben. Da wundert es nicht, dass eine eigene Musikkapelle aus denReihen der Belegschaft gegründet wurde; und die haben oft für Stimmung gesorgt, und das war gut so: Der Zusammenhalt in derBelegschaft wurde gefestigt, hatten sie doch gemeinsam die Firmadurch gute und schlechte Zeiten gebracht.

Die Sartorius Musikkapelle „Sartoriana“ spielt auf.

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Jevgeni Yelomolajev, Sekretär der Stiftung FONDA-MIRA der Sowjetunion, überreicht den Friedenspreis an Horst Sartorius (Moskau 1985).

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In den 70er Jahren wurde das Fertigungsprogramm von Sartorius gestrafft und auf die Kernkompetenzen Wägetechnik,Membranfiltertechnik und Gleitlagertechnik konzentriert.Mikrotome und Staubmessgeräte wurden aufgegeben, nach-dem das Brutschrankgeschäft schon in den 50er Jahren aufgegeben worden war.

Horst Sartorius hat in seiner vierzigjährigen verantwortlichenTätigkeit für Sartorius viele nationale und internationaleEhrungen und Auszeichnungen erfahren. Besonders stolz warer auf das Große Bundesverdienstkreuz, den Ehrenbürger-status der Universität und der Stadt Göttingen sowie hohepolnische und russische Orden. Bescheiden in seinen persön-lichen Ansprüchen – ein typischer Vertreter der Familie Sartorius – legte er stets Wert auf die Feststellung, dass seinErfolg nicht sein Verdienst, sondern der seiner Firma und seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sei.

Nach vergeblichen Versuchen, die Nachfolge an der Spitzedes Unternehmens innerhalb seiner Familie zu lösen, kamHorst Sartorius am Ende zum Ergebnis, dass die zukünftigeEntwicklung des Unternehmens nur durch die Gesellschafts-form einer börsennotierten Aktiengesellschaft gesichert werden könne. 1990 ging Sartorius daher an die Börse undwurde wieder eine Aktiengesellschaft. Bis zu seinem Tod 1998hat er das Unternehmen als Ehrenvorsitzender des Aufsichts-rates aktiv begleitet.

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Horst Sartorius beim Festsakt im Alten Rathaus in Göttingen anlässlichseines 85. Geburtstages.

Rosen vom MNTK, Wladimir, UDSSR für den Vater der Membran-filtration Richard Zsigmondy (1987),Stadtfriedhof Göttingen.

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– Vom Handwerksbetrieb zum Industriebetrieb

– „Der Schornstein raucht“– Fließbandfertigung– Gleitlagertechnik– Einführung der Elektronik – Die lernende Organisation– Mondgestein im Sartorius Laboratorium– Monolithische Wägezellen– Prozesstechnische Lösungen

Von der Wägetechnik zur Mechatronik

Moderne Sartorius Analysenwaagen können über WLAN mit Rechnern kommunizieren.

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Sartorius hat technologisch einen weiten Weg zurück-gelegt. Otto Berendsen7 beschreibt in seiner bereits

erwähnten Denkschrift Ausstattung und Zustand der Sartorius Betriebe wie folgt:

7 Berendsen (1900)

„Seit 1898 hat Sartorius auch für seine Waagenfabrikation ein neuesgroßartiges Etablissement vor dem Weender Thore geschaffen, in welchem er sämtliche Maschinen durch eine 16pferdige Gaskraftma-schine (mit Dawsongasanlage) treibt. Neben den eigentlichen weit-ausgedehnten mechanischen Werkstätten sind dort besondere Maschinenräume eingerichtet, die speziell zur Herstellung aller zurFabrikation dienenden Werkzeuge, Schauben, Bohrer, Fräser u.s.w. dienen. Daneben liegen Tischlerwerkstätten mit modernen Hobel- undSchneidemaschinen u. dergl., in welchen die Gehäuse für die Waagengearbeitet werden. In den mechanischen Werkstätten ist das Prinzipder Arbeitsteilung streng durchgeführt und so die Möglichkeitgeschaffen, eine völlig korrekte, treffliche Ware für verhältnismäßigbillige Preise liefern zu können. An diese mechanischen Werkstättenschließen sich Säle, in denen die Waagen zusammengesetzt und dannjustiert werden an; daß außerdem auch Arbeitsräume zum Lackieren,zum Vergolden und Vernickeln u.s.w. vorhanden sind, ist selbstver-ständlich.

Ähnlich wie diese Fabrikanlage in der Stadt, die jetzt von den beidenälteren Söhnen geleitet wird, ist die schon erwähnte draußen in Rauschenwasser eingerichtet. Hier herrscht Florenz Sartorius selbstund leitet persönlich den Bau seiner Brutmaschinen, zu deren Her-stellung namentlich großartige Tischler- und Klempnerwerkstätten,ausgestattet mit allen dahin bezüglichen Maschinen modernster Kon-struktion, dienen. Selbstredend ist aber auch hier eine ausgedehnteMechanikerwerkstatt vorhanden in welcher neben den sämtlichenfeinmechanischen Teilen für die Brutapparate auch gewisse Arbeitenfür die Waagenfabrikation absolviert werden. Neben einem Benzin-motor steht hier zum Betrieb der Maschinen eine Wasserkraft zur Verfügung. In beiden Fabriken werden 90 bis 100 Leute beschäftigt. Die Zahl der monatlich fertiggestellten Waagen beträgt 70–80; die der gebauten Brutapparate 30 bis 40.“

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Eine Vorstellung von den Werksanlagen vermittelt der Brief-kopf der Firma von 1899, wo ganz zeitgemäß neben den aufinternationalen Messen errungenen Auszeichnungen dieBetriebsanlagen mit vielen rauchenden Schornsteinen dar-gestellt sind: Zu jener Zeit waren rauchende Schornsteine noch Inbegriff industrieller Aktivität nach dem Motto „Der Schornstein raucht“.

Sartorius hatte sich in den dreißig Jahren seines Bestehensvom reinen Handwerksbetrieb zu einem nach den Vor-stellungen der damaligen Zeit modernsten Industriebetriebentwickelt. Auffällig ist, dass alle Arbeiten im eigenen Hausdurchgeführt werden, lediglich in der eigenen Firmengruppewird eine gewisse Spezialisierung und Arbeitsteilung reali-siert. Das breite Spektrum von Kompetenzen im eigenenHause ist bemerkenswert: Von allen Formen der Metallbear-beitung von der eigenen Gießerei über Fräserei und Drehereisowie Galvanik, Lackiererei und eigenem Werkzeugbau bis hin zur Holzverarbeitung, insbesondere der Herstellung von Edelholz-Gehäusen auf höchstem Niveau, werden alle Techniken beherrscht.

1936 präsentieren die technischenMitarbeiter stolz ihre 40.000. Waage.

1939 wird bereits die 50.000. Waageder Firmengeschichte abgeliefert.

Sartorius Briefkopf von 1899.

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Polieren der Achatachsen und -pfannen.

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Aus heutiger Sicht sind vor allem die Arbeitsbedingungen,unter denen zu jener Zeit Qualitätsarbeit von Weltruf abgeliefert wurde, erstaunlich: Die hohe Fertigungstiefeführte zwangsläufig zu Bereichen mit großer Belastung inBezug auf Temperatur, Staub, Geräusch und Vibration, während vor allem in den Justierräumen äußerste Konzen-tration und Präzision gefordert wurden.

Aus den Betrieben Weender Landstraße und Rauschenwassersind Fotos aus verschieden Zeiten erhalten, die anschaulicherals jede Beschreibung die damaligen Fertigungsbedingungenwiedergeben.

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Tiegelofen in der Gießerei

Galvanisierraum

Waagenjustierraum 1934

Abteilung Mikrotom-Zusammenbau

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Produktion Rauschenwasser

1938 erhielt Erich Sartorius von seinen Söhnen Fritz, Hans und Horstanlässlich der Fertigstellung der50.000. Analysenwaage ein Foto-album, das noch heute erhalten ist.Wir haben daraus die folgende Bild-sequenz zusammengestellt, dabeihaben wir die Originalbildtexte übernommen.

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Waagenkasten-Poliererei 1930

Werkzeugmacherei

Tischlerei Rauschenwasser 1898 r

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Auch in der Weender Landstraße gab es eine Gießerei.

Maschinenraum zur Metallbearbeitung.

Schleifen der Achatkomponenten.

Fräsen von Grundplatten.

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Produktion Weender Landstraße

Die Aufnahmen aus dem Werk WeenderLandstraße stammen aus sehr verschiedenenQuellen und unterschiedlichen Perioden. Eine besondere Spezialität bei der Herstel-lung mechanischer Analysenwaagen stelltedas Anfertigen der Achsen und Pfannen ausAchat dar. Die Einzelteile der Präzisions-mechanik wurden aus sehr unterschiedlichenMetallen und Legierungen hergestellt. Vor allem produktberührende Teile wurden teilweise mit Platin oder Gold belegt undaufwendig poliert.

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Anbringung der Ableseskala.

Ein Justierer an einer SELECTA.

Qualitätskontrolle von Einzelteilenunter dem Mikroskop. r

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Montage von Analysenwaagen.

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Fließbandfertigung

Berendsens Formulierung: „In den mechanischen Werkstättenist das Prinzip der Arbeitsteilung streng durchgeführt“ lässt darauf schließen, dass bereits damals auf der Basis von größeren Serien fließbandähnlich montiert wurde, ein Logistikkonzept, das noch in den 70er Jahren des letztenJahrhunderts als wirtschaftlich und qualitätsfördernd angesehen wurde.

Allerdings wissen wir aus Berichten früherer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass diese Arbeitsteilung sich nur auf dieFertigung von Teilen bezogen haben dürfte, während der Zusammenbau von mechanischen Analysenwaagen klassischer Bauart immer die Aufgabe von hochqualifiziertenMeistern war, die „ihre“ Waage vollständig aufbauten undsich mit dem Einritzen des Fertigstellungsdatums und eigenemNamenskürzel unter der rechten Waagschale „verewigten“.Diese Integration umfasste nicht nur den mechanischen Teildes Instruments, sondern auch das Gehäuse aus teilweisesehr anspruchsvollen Edelhölzern.

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Ein Justierer nimmt sich eine Analysenwaage vor.

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Der traditionelle Feinmechaniker war hier in allen Facettenseiner Fähigkeiten gefordert. Diese Arbeitsweise führte aberauch zu einer persönlichen Verantwortung des Meisters für sein Produkt, die keine Zugeständnisse an die Qualität des Produktes zuließ.

Trotz dieser Arbeitsweise wurde im Akkord entlohnt, wobei allerdings bezweifelt werden darf, ob es dabei immermit rechten Dingen zuging, da der Zielkonflikt zwischenextremen Qualitätsanforderungen einerseits und der Ein-haltung vorgegebener Zeiteinheiten andererseits natürlichauch damals erkannt war.

Berichte über die Rolle der Refa-Zeitnehmer, und die Tricks,mit denen die Fachkräfte zu „ihren Zeiten“ kamen, legen einberedtes Zeugnis von den Prioritäten der damaligen Betriebs-leitung ab. Ganz offensichtlich ging der strenge Qualitätsan-spruch für Sartorius Produkte in jedem Falle vor.

Ganz entscheidende Instanz im Betriebsablauf war die „Waagenkontrolle“, die das fertige Produkt abzunehmenhatte, und über Leistung und damit Ansehen des Fach-arbeiters zu entscheiden hatte.

Einen besondere Platz in der Betriebshierarchie nahmen auchdie „Herren“ Justierer ein. Ihre Aufgabe bestand darin, jedeWaage mit geeichten Gewichten (und viel Geschick und Zeit-aufwand) so einzustellen, dass Gewichtswerte genau undreproduzierbar angezeigt wurden.

Montage von Präzisionswaagen am Fließband.

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Zusammenbau einer SELECTA.

Aus dem schon zitierten Prospekt aus dem Jahre 1953:

Analysenschnellwaage SELECTAIn den Ausführungen „Standard“, „Rapid“, und „Semi-Micro“. Ein Gerät, das allen Wünschen der modernen Wägetechnik nachkommt. Vollmechanische Gewichtsauflage und Projektions-ablesung in einer Blickrichtung. Leichte Handhabung.

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Mit der Typenreihe SELECTA wurde in den 50er Jahren zunehmend eine Fließbandfertigung im Waagenbau einge-führt. Fotos aus den 70er Jahren zeigen Montagestraßen, auf denen die Waagen an den einzelnen Montageplätzen, an denen jeweils bestimmte Komponenten zugerüstet werden, vorbeilaufen.

Das Montageband gab aber nicht – wie man erwarten würde – das Tempo der Arbeitschritte vor, sondern der Weitertransport zum nächsten Montageschritt wurde nachAbschluss der jeweiligen Arbeiten ausgelöst. Das Band passte sich damit an das Tempo der Mitarbeiter an. Die Auswirkungen auf die Ablauforganisation der Produktionwaren positiv; für die Mitarbeiter war die neue Arbeitstechniksehr gewöhnungsbedürftig. An den einzelnen Fertigungs-stationen wurden nur noch bestimmte Montageschrittearbeitsteilig durchgeführt. Das war vielen Facharbeitern nicht anspruchsvoll genug.

Es bleibt aber festzuhalten, dass „Sartorianer“ und das Sartorius Management nicht bereit waren, angesichts vonZeitvorgaben Zugeständnisse an die Qualität von Sartorius Produkten zu machen.

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Im Jahre 1958 wurde die 100.000. Analysenwaage von Sartorius hergestellt.Diese SELECTA mit vergoldeten Bedienungselementen steht heute im Waagen Museum im Sartorius College.

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Aufnahme der Gleitlagertechnik

Die Geschichte der Gleitlagertechnik in Göttingen hat ihren Ursprung in den 30er Jahren, als Dr. Wilhelm Frössel, der theoretische Vater des „Mehrgleitflächenlagers“, mit seinen Untersuchungen der Vorgänge bei der hydro-dynamischen Schmierung am Max-Planck-Institut für Strömungsforschung in Göttingen begann.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Nobelpreisträger Otto Hahn der erste Präsident der Max-Planck-Gesellschaften mit Sitz in Göttingen. In dieser Eigenschaft verhandelte er mitHorst Sartorius über eine exklusive Fertigungs- und Vertriebs-lizenz für diese Gleitlager. Das führte zur Gründung der Gleitlagergesellschaft mbH im Dezember 1948. Für Sartoriuswar diese Produktlinie besonders attraktiv, da die Herstellungvon Gleitlagern prinzipiell dieselben Fertigungskompetenzenwie die Herstellung mechanischer Waagen der damaligenBauweise erforderte.

Das Geschäft mit Gleitlagern vor allem für Turbolader, stationäre Großdiesel, Gasturbinen, Schiffsantriebe und ähnliche Anwendungen wurde bei Sartorius systematisch entwickelt. Dabei ist charakteristisch, dass die Konstruktions-details in sehr engem Kontakt mit dem Kunden festgelegtwerden müssen und in der Regel eine typische Auftrags-fertigung stattfindet.

Diese Druckschrift erschien 1998 zum50. Jubiläum. Sie enthält interessanteDetails zur Entwicklung dieses Fach-bereiches.

Vom Lehrling bei Sartorius zum Fertigungsleiter der Gleitlagertechnik;mehr als 45 Jahre Betriebszugehörig-keit (Foto 1958 in der Dreherei).

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Der Geschäftsbereich Gleitlagertechnik wurde in einer eigenen Gesellschaft, der Sartorius Gleitlager GmbH, organisiert. Diese wurde wie die Membranfiltergesellschafterst 1978 mit den Sartorius Werken zur Sartorius GmbH verschmolzen. Inzwischen wurde die Gesellschaft wegen ihresspeziellen Produkt-Portfolios und deren Anwendungen alsSartorius Bearing Technology GmbH wieder verselbstständigt.

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Kompressor-Kombilager (Axial/Radial/Axial) mit Ausgleichs-stücken für hochtourige Kompressoren.Endanwender Atlas-Copco Energas.

Wo früher Revolverdrehbänke zum Einsatz kamen, stehen heuteKomplettbearbeitungszentren.

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Einführung der Elektronik in der Wägetechnik

Die einschneidendste und risikoreichste unternehmerischeEntscheidung in der Firmengeschichte war wohl die Einführung der Elektronik in der Wägetechnik.

Während Ende des Zweiten Weltkrieges in Amerika der Begriff des „Electronic Weighing“ schon gebräuchlich war,bemühte man sich in Göttingen, die Produktion herkömm-licher mechanischer Waagen im Holzgehäuse wieder auf-zubauen. Parallel existierten aber auch bereits erfolgverspre-chende Prototypen elektromagnetisch kraftkompensierender(EMK) Waagen. Das „Spule-Magnet-Prinzip“ war seit Jahr-zehnten bekannt, hatte aber noch keinen konkreten indus-triellen Einsatz errungen.

Eine schon 1944 von R. Vieweg und Professor Th. Gastbeschriebene „registrierende Mikrowaage“ wurde nun vonSartorius ab 1954 in Serie gefertigt. Die „Elektrono 1“ – imLaborjargon wegen der eigenwilligen Gehäusegeometrie auch„Anhalter Bahnhof “ genannt – war für wissenschaftlicheAnwendungen bestens geeignet. Sie besaß einen torsions-gelagerten Quartzbalken und konnte z.B. Oxidationsprozesse,Absorptions-/Diffusionsvorgänge im Mikro-/Ultramikro-grammbereich bis 25g/1g Maximallast anzeigen. Die Doku-mentation von schnell ablaufenden Vorgängen konnte über den analogen Ausgang recht einfach realisiert werden.Sehr schnell folgten Vakuum- und Hochdruckvarianten dieser elektronischen Waage.

Elektrono 1 („Anhalter Bahnhof“)Baujahr 1954.

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In der Weiterentwicklung entstanden die Modellreihen 4100und 4400, wobei die torsionsbandgelagerten Wägesystemesich bestens bewährten und die Konstruktion selbst über Jahrenicht verändert werden musste. Die Regel- und Auswerte-elektronik dagegen wurde vom voluminösen Röhrenverstärkerüber halbleiterbestückte Elektronikmodule bis hin zur mikro-prozessorgesteuerten Elektronik Anfang 1980 stets dem Stand der Technik angepasst.

Besonders die Vakuum- und Hochdruckvarianten arbeitennoch heute in zahlreichen Forschungs- und Wissenschafts-Laboratorien weltweit zur Zufriedenheit der Wissenschaftlerund Studierenden.

Mit der Fertigung dieser elektronischen Mikrowaage entstandaus der Elektronikwerkstatt mit speziellem Fachpersonal in den 60er Jahren die Entwicklungsabteilung als Erweiterung zur mechanisch orientierten Konstruktionsabteilung. Es sollteaber noch Jahre dauern, bis sich das EMK-Prinzip auch in Präzisions- und Analysenwaagen wiederfand, war doch dasmechanische Dreischneidenprinzip bis Ende 1960 dominierend.Erst 1960 übernahm Sartorius das schon seit dem 19. Jahrhundert bekannte Substitutionsverfahren mit asym-metrischem Zweischneiden Balkensystem (Serie 2600), welchessich auch schnell in dem stärker ausgebauten oberschaligenPräzisionswaagensegment (Serie 2200) durchsetzen konnte.Zeitaufwändige Bedienroutinen der Waagen wurden von qua-lifizierten Labormitarbeitern erledigt (fast jeder Wägevorgangbedurfte der manuellen Betätigung der Gewichtschaltung und des Feinstellmikrometers).

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Das Guinessbuch der Rekordeverzeichnete eine Gast’scheNanogrammvariante über vieleJahrzehnte als die genauesteWaage der Welt.

Vakuum Ultra Mikrowaage, Baujahr 1962, Wägebereich 3 g,Ablesbarkeit 0,1 µg.

Präzisionwaage 1264 004 (Anschauungsmodell mit Plexiglasab-deckung), Baujahr 1976, Wägebereich3.000 g, Ablesbarkeit 0,01 g.

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Das bislang für kleine Massenbestimmungen eingesetztekraftkompensierende Messprinzip wurde nun auch auf diebewährten mechanischen Präzisionswaagen mit höheremWägebereich übertragen (1963 Modellreihe 3100). Die Resultatanzeige erfolgte noch analog, die Messwertekonnten aber auch für Dokumentationszwecke an x-y Schreiber und an Drucker-, Steuer- und Anzeigegeräte übertragen werden. So standen registrierende Wägesystemezur Verfügung, die halfen, Laborprozesse und Fertigungs-prozesse zu automatisieren.

Parallel zu den Entwicklungen im Präzisionswaagenbereichwurden Mitte der 60er Jahre auch die noch schneiden-gelagerten Analysenwaagen auf das Spule/Magnetsystemumgestellt, die manuelle Betätigung der Schaltgewichte fürhöhere Lastbereiche war jedoch weiterhin notwendig.

1971 konnte mit der Modellreihe 3000 bei den Präzisions-waagen die Messwertermittlung über den gesamten Wägebereich (von 150,000 g Maximallast bis 6000,0 g) vollautomatisch übernommen werden.

Elektr. Ultra Mikrowaage,Baujahr 1977, Wägebereich 3 g, Ablesbarkeit 0,3 µg.

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Wägewerte wurden nun innerhalb weniger Sekunden ohne weitere Bedienschritte digital angezeigt und standenzur weiteren digitalen Verarbeitung zur Verfügung. Der Wägevorgang wurde dadurch erheblich vereinfacht, die Messzeit stark reduziert.

Die Kombination mechanischer Wägefunktionen mit (opto-) elektronischer Auslesung und Messwertverarbeitungbezeichnet man als Hybridwaagen, die man heute noch imindustriellen Bereich antrifft. Die damals moderne Transistor-Transistor-Logik-bestückte Auswerteelektronik (TTL) nahmetwa ein Drittel des Gehäusevolumens ein. Dies führte zueiner erheblichen Wärmeentwicklung, die durch temperatur-kompensierende Maßnahmen in der Waage ausgeglichenwerden musste.

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Elektr. Analysenwaage 2003MP1(in geöffnetem Zustand), Baujahr 1977, Wägebereich 160 g, Ablesbarkeit 0,01 mg.

Präzisionswaage 3713MP, Baujahr 1978, Wägebereich 3.000 g/300 g, Ablesbarkeit 0,1 g/0,01 g.

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1975 konnte die erste „richtige“ elektronische Präzisions-waagenserie in Gestalt der Typenreihe „3700 C-MOS“ in dieSerienfertigung gehen. Trotz doppelter Verkaufspreise gegenüber vergleichbaren mechanischen Waagen erkanntendie Anwender weltweit die erhebliche Verkürzung der Mess-zeiten, einfache Bedienbarkeit und in zunehmenden Maße die Verfügbarkeit digitaler Schnittstellen an. Neben eineransehnlichen Baureihe mit unterschiedlichen Wägebereichenentstand ein breites Angebot an Zubehör. Schnittstellen-wandler ermöglichten den Anschluss an unterschiedlichstedatenverarbeitende Geräte. Es folgten in sehr kurzen Zeiträumen weitere Waagen mit marktbestimmenden Entwicklungen.

Auch 1976 war Sartorius wieder einmal Vorreiter in derWägetechnik, indem sie den ersten industriell gefertigtenMikroprozessor einsetzte (Serie 4000). Die Ausfallsicherheitwurde durch einen stets steigenden Bauteile-Integrations-grad erhöht, der Bedienkomfort und die Messgenauigkeitdurch Autokalibration des Messbereichs wesentlich ver-bessert. Die Forderungen der Eichgesetzgebung für elektroni-sche Waagen konnten ebenfalls erfüllt werden.

Elektro-mechanische Präzisionswaage„Sartomat“, Baujahr 1978, Wägebereich 160 g, Ablesbarkeit 1mg.

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Die 1977 vorgestellte Präzisionswaagenserie 1200MP (Werbeaussage: Abmaße kleiner als ein DIN A4 Blatt) miteinem speziell für Sartorius gefertigten Mikroprozessordeckte bereits den Bereich von 80,0000 g bis 4000,00 g ab. Die parallel entwickelte Analysenwaagenserie 2000MP setzte für Jahre den Standard im analytischen Labor. 1977 betrug der Anteil elektronischer Waagen an derGesamtproduktion bereits 50%.

Die 1975 gewählte gelbe Gehäusefarbe verlieh den SartoriusWaagen für einen Zeitraum von fast 20 Jahren ein typischesErscheinungsbild. 1990 setzte Sartorius den nächsten Meilen-stein in der Wägetechnik: Qualitätsbestimmende Baugruppen– A/D Wandler, EEPROM und Waagenprozessoren – fandenauf einem gemeinsam mit Texas Instruments entwickeltenBaustein, dem MC 1 Micro Controller, Platz. Die enorme Integration von Funktionen minimierte nochmals die Bau-größe der Waagenelektronik. Anwenderorientierte, integrierteBetriebsprogramme öffneten weitere Einsatzbereiche imLabor- und Industriebereich (z.B. Dichtebestimmung, Rezeptur-,Zähl- und Statistikprogramme). Moderne Servicesoftware([CAS]- Computer Aided Service Software), ermöglicht weltweit die Diagnose, Justierung und Dokumentation vonWaagen genau wie in der Fertigung selbst.

Die ständig gesteigerte Kapazität inte-grierter elektronischer Bauelementeermöglicht immer mehr Leistung beigleichzeitig immer kompakterer Bauweiseund geringeren Fertigungskosten.

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Das Sartorius Produktportfolio reicht heute von der Ultramikrowaage bis zur Wägeanlage im 100 Tonnenbereich für Fertigungs- und Produktionsanlagen und erfüllt die steigenden Genauigkeitsanforderungen nicht nur in der chemischen und pharmazeutischen Industrie. Dieser aus heutiger Sicht nicht zu vermeidende „Siegeszug der Elektro-nik“ in der Wägetechnik hat seine Parallelen in Anwendungs-gebieten, wie der Uhrenindustrie oder der Fotoindustrie, wo die ursprünglich führende deutsche Industrie ihre inter-nationale Position allerdings nicht halten konnte.

Aus einem internen Bericht an dieGeschäftsleitung Ende 1975:

„Der große Umbruch in der Ferti-gung brachte auch große Personal-probleme mit sich. Die Produktionwird nicht mehr von dem altbe-währten Feinmechaniker bestimmt,sondern vielmehr von dem Elektro-niker. Bedauerlich wurde die Situation für jene bewährten altenMitarbeiter, die sich nicht mehr mit der neuen Technik beschäftigenkonnten oder wollten. Erfreulichwar allerdings doch, dass eineAnzahl bewährter Mitarbeiter inden letzten Monaten des Jahres1975 in dem Elektronikbereich ein-gesetzt werden konnten.“

Aus einem Fotoalbum 1975, leider ohne exakte Datumsangabe.

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Es darf nicht unterschätzt werden, dass mitder Einführung der Elektronik ein ganzesBündel von Veränderungsprozessen auf dasUnternehmen zukam, das hier nur skizziertwerden kann:

– Ein Stamm von Mitarbeitern, die die neue Technologie beurteilen konnten,musste aufgebaut werden, um die Um-setzung in Waagen für die verschiedenenAnwendungen sicherzustellen.

– Die Entscheidung war zu treffen, dass Sartorius nicht mehr, wie bisher, den gesamten Herstellungsprozess mit eigener Kraft beherrschen würde, sondern abhängig von Zulieferanten für Elektronik-Chips sein würde.

– Umso wichtiger war die Entscheidung, ein eigenes Entwicklungsteam aus Elektronikexperten aufzubauen, das in der Lage sein würde, mit Lieferanten kompetent zusammen zu arbeiten.

Beide Technologien, mechanische Waagenbewährter Bauweise und elektronische Waagen mussten parallel für einen langenZeitraum hergestellt und angeboten werden,bis die Akzeptanz im Markt die Einstellungder veralteten Technologie zuließ.

Die organisatorischen und sozialen Spannungen in der Belegschaft, die durchdiesen Änderungsprozess ausgelöst wurden,haben extreme Anforderungen an die Lern-fähigkeit der Organisation gestellt, einBegriff, der erst später in der betriebswirt-schaftlichen Literatur große Bedeutungerlangen sollte.

Darüber hinaus war der finanzielle Einsatzfür das Projekt so groß, dass andere Projekteim Unternehmen zurückstehen mussten.Nicht zuletzt war diese Phase begleitet durchzusätzliche technologische Evolutionen, wie den Ersatz der klassischen Holzgehäuseder Analysenwaagen durch Metallgehäusemit entsprechenden Konsequenzen für dieMitarbeiteranforderungen.

Sartorius hat diese Bewährungsphase mitBravour bestanden und sein hohes inter-nationales Ansehen für Qualitätsprodukteauf höchstem Niveau nicht nur halten, sondern noch ausbauen können.

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Eine Sternstunde der Sartorius Wägetechnik

Weltweites Aufsehen erregte eine ganz besondere Aufgabe, die 1969 im anwendungs-technischen Labor bei Sartorius gelöstwurde: Apollo 11 hatte von seiner Mond-Expedition Proben vonMondgestein mitgebracht. Die NASA sorgte dafür, dass nur welt-weit führende Fachinstitute Untersuchungen an diesem äußertraren Material durchführen durften. Bei Sartorius in Göttingenwurde die absolute Oberfläche von 20,2 mg Mondmaterial bestimmt. Dabei wurde am Sartorius Wägesystem Gravimat gearbeitet, mit einer Präzision, die nur in Göttingen erreichbar war.

Das Team am Gravimat.

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Einführung monolitischer Wägezellen

Das Herzstück einer Analysenwaage von Sartorius war vonAnbeginn die Mechanik der Waage. Die Herstellung der Ein-zelteile, ihre Verarbeitung zu Präzisionsteilen sowie derZusammenbau zu einem funktionierenden System stelltehöchste Ansprüche an die Facharbeiter und begründete ihren berechtigten Stolz. Mit der Einführung der ersten Bearbeitungszentren konnte bei gleichzeitiger Verbesserungder Qualität und Senkung der Kosten der Anteil der Arbeits-stunden an der Produkterstellung deutlich gesenkt werden.

Ein weiteres Problem stellten die unterschiedlichen Materialien, aus denen die Einzelteile hergestellt wurden, dar. Im Rahmen des Gesamtsystems ergaben unterschiedlicheVerhaltenseigenschaften unter wechselnden Betriebsbe-dingungen (z.B. Temperaturen) schwer zu beherrschende Fehlerquellen.

Erst mit dem Einsatz monolithischer Wägesysteme (aus einemBlock geschnittene filigrane Hebelsysteme) in Halbmikro- und Analysenwaagen im Jahre 1994 wurde eine wesentlicheQualitätssteigerung bei wiederum gleichzeitiger Kosten-senkung erreicht, die auf jahrzehntelanger kontinuierlicherForschung und Entwicklung basierte.

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Wägesysteme elektronischer Waagenin konventioneller Bauweise.

Präzisionsvermessung der Systemträger.

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Wesentlich für diese erfolgreiche Entwicklung war vor allemdie enge Zusammenarbeit mit dem Hersteller der Bearbei-tungszentren, die bei Sartorius eingesetzt werden. Nur wennder Hersteller der Maschinen genau weiß, was Sartoriusbraucht, und umgekehrt Sartorius präzise versteht, was derHersteller leisten kann, sind durch gemeinsame Anstrengungenderartig komplexe Lösungen möglich. Das schließt ein, dassder Hersteller sofort auf Probleme im Betrieb durch kompe-tente Kundendienstleistungen reagiert, denn Stillstandszeitendieser teueren Maschinen sind natürlich zu vermeiden.

Heute produzieren vollautomatische Bearbeitungszentrenkomplette Baugruppen aus einem Halbzeug in weniger als einer Stunde, die früher von vielen Mitarbeitern aus mehrals 100 Einzelteilen zusammengebaut werden mussten; und das bei geringeren Kosten und dramatisch verbesserterQualität. Dabei können Entwicklung, Produktion und Quali-tätssicherung ständig über die elektronische Datenausgabedie Einhaltung sämtlicher Fertigungsparameter wie z.B. Fehlertoleranzen überwachen. Automatische Fehlermeldun-gen sind selbstverständlich.

Durch diese hochintegrierten Bauelemente wird eine Modularisierung der Fertigung an verschiedenen inter-nationalen Standorten erst möglich.

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Monolithische Wägesysteme.

l Heute bestimmen vollautomatische Bearbeitungszentren die Teilefertigung in der Mechatronik.

Am Steuerstand eines Bearbeitungszentrums.

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Prozesstechnische Lösungen

Bisher haben wir vor allem die technolo-gische Entwicklung von Analysenwaagen alsselbstständige Instrumente in verschiedenenAnwendungen bis zum heutigen Standardnachgezeichnet. Gleichzeitig mit dieser Entwicklung hat sich ein anwendungstechni-scher Prozess zur Integration von Wäge-technik in Fertigungsprozesse vollzogen, der maßgeblich von Sartorius mitgestaltetwurde. Das folgende Beispiel soll diese Entwicklung beschreiben:

Moderne Personenkraftwagen sind in einerVielzahl von modischen Farben auf unserenStraßen zu beobachten. Im Falle der Repara-tur der Karosserie eines Autos soll beimLackieren natürlich exakt derselbe Original-farbton wieder getroffen werden. Diesgeschieht im durch Einsatz von SartoriusFarbmischwaagen.

Sartorius hat in Zusammenarbeit mit führenden Lackherstellern spezielle Waagenentwickelt, welche auf der Basis elektroni-scher Programme die Originalrezeptur desursprünglichen Fertigungsdatums aufrufen.

Die Waage steuert dann die Zusammen-stellung der erforderlichen Menge von Lackaus den verfügbaren Standardkomponenten.Bei der Entwicklung dieser Programme hatsich gezeigt, dass auf der Basis gravimetri-scher (gewichtsbestimmter) Methoden einegrößere Präzision zu erreichen ist, als beivolumetrischer Mischung.

Natürlich wurden auf der Basis dieser Erfahrungen eine Vielzahl weiterer Prozess-lösungen entwickelt, die inzwischen als eigenes Geschäftsfeld innerhalb der SparteWägetechnik betreut werden.

In der pharmazeutischen Industrie spielt bei der Zusammenstellung der einzelnenKomponenten eines Präparates entsprechendder Rezeptur äußerste Präzision eine ent-scheidende Rolle, um die gewünschte Dosierung der Wirkstoffe sicherzustellen.Gleichzeitig muss der Herstellungsprozessdokumentiert werden, um innerhalb jederProduktionscharge eine Rückverfolgbarkeitder einzelnen Bestandteile zu ermöglichen.Beide Forderungen sind mit Rezepturwaagenoptimal zu realisieren, indem jeder Schrittder Einwaage mit Artikelnummer, Chargeund Operateur dokumentiert wird.

l Gewichtskontrolle und Endverpackung in der Süßwaren-industrie bei der Firma Zentis in Aachen.

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Eine Spezialität von Sartorius sind Gold- und Karatwaagen (1 Karat entspricht 0,2 Gramm).So wurde auch im Juli 1986 mit einer Sartorius 1858MP8 der zu der Zeit schwerste Roh-Diamant, derChrist-Diamant, vorgestellt und das Gewicht von 889,70 ct ausgewogen und dokumentiert. Der Wert ließ sich seinerzeit nicht abschätzen. Eine zweite wägetechnische Demonstration verglich auf einer historischen Zweischalen-Waage (Sartorius DP3) den Christ-Diamanten mit einer gewichtsmäßig gleichenMenge geschliffener Diamanten, deren Gegenwicht sich auf ca. 10 Mio. US-Dollar belief.Die Vorstellung erfolgte im Senckenberg-Museum – berühmt für seine Dinosaurier – weil Diamanten etwa gleichzeitig mit Dinosauriern entstanden sind. Aus dem Christ-Diamanten wurde später nicht der größte geschliffene Diamant – das ist weiterhin der Cullinan aus dem britschen Kronjuwelen mit 530,2 ct – er wurde in mehrere Steine zerlegt, wovon sich der Größte mit 378 ct im Vorderfeld der weltweit Größten platzieren konnte. (Der Stein auf dem Foto ist übrigens eine Kopie, da das Original aus Sicherheitsgründen nicht fotografiert werden durfte.)

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Ein weiteres typisches Beispiel für den Einsatz von wäge-technischen Systemen sind Kontroll-Waagen zur Gleichge-wichtskontrolle von Teilen im Rahmen der Qualitätskontrolleoder sogenannte Checkweigher zur Kontrolle der korrektenFüllung im Rahmen von Füllprozessen entsprechend der Verpackungsverordnung.

Auch bei Problemstellungen in der Sparte Biotechnologie sind Prozesslösungen der Wägetechnik erfolgreich: Im Rahmen des Up-Stream-Processing in der Fermentationkommt es auf die exakte Dosierung der zugeführten Nähr-medien an. Dazu wird der gesamte Fermenter auf Wägezellengelagert, die die Dosierung der Medien sehr viel präzisersteuern, als dies über die volumetrische Steuerung der Förderpumpen möglich wäre.

Jeder Freund von Möbeln imBaukastensystem kennt die Frustration, die man erlebt,wenn für den Zusammenbau derneuen Schrankwand ein Ver-bindungselement in der Packungmit Kleinteilen fehlt, und derAufbau nicht abgeschlossenwerden kann. Seit die einschlä-gigen Hersteller mit Hilfe vonPräzisionswaagen die Vollstän-digkeit des Sortiments über-prüfen, ist dieses Problem gelöst.Die Waage kann genau unter-scheiden, ob alle Teile in der vor-gegebenen Anzahl vorhandensind, auch wenn das Sortimentaus vielen verschiedenen Teilenbesteht.

Gewichtskontrolle von Butter in einerMolkerei in den 70er Jahren.

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– Die Membranfilter-Methode– Ziehmaschinen zur Membranherstellung– Disposable Filter– Vom Laborausstatter zum Prozess-

ausstatter in der Biotechnologie– GMP-gerechte Fertigung– Synergieprodukte Mechatronik und

Biotechnologie

Von der Membranfilter-technik zur Biotechnologie

Gewinnung von Blutfraktionen beim Blutspendedienst Hagen.

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Die Membranfilter-Methode

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 60er Jahrewar das Geschäft der Membranfiltergesellschaft deutlichgeprägt durch Applikationen im Laborbereich. Innerhalb des Sartorius Firmenverbundes ergaben sich dadurch guteSynergieeffekte im Vertrieb, da weitgehend kongruente Kundensegmente angesprochen wurden. In den Prospektender Sartorius-Werke A.G. wird daher neben der Darstellungvon Waagen und Mikrotomen auch stets die Membranfilter-Methode thematisiert.

Das in dieser Zeit neu aufgebaute internationale Vertriebs-netz wurde in der Regel auch mit der Vertretung der Membranfiltergesellschaft betraut. Bei Messen für den Labor-bedarf wurden stets alle Produkte der Sartorius Gruppeberücksichtigt. In gleicher Weise wurde der sich neu formie-rende Laborfachhandel mit besonderer Aufmerksamkeitbetreut und unterstützt.

In den 60er Jahren kommt auf die Sartorius Gruppe mit derEinführung der Elektronik im Bereich der Wägetechnik eineaußerordentliche Belastung zu, die alle Kräfte, vor allem infinanzieller und personeller Hinsicht, auf das Äußerste fordert. (Einzelheiten dazu finden sich im Kapitel „Einführungder Elektronik in der Wägetechnik.“). Dabei werden zwangs-läufig auch die inzwischen anfallenden Gewinne der Mem-branfiltergesellschaft voll in Anspruch genommen.

Die Mitarbeiter der Membranfilter-gesellschaft verstanden sich als eigenes Team.

Die Chefin stand selbst im Labor.

Qualitätssicherung wurde von Anfangan groß geschrieben mit Rückstell-mustern, Chargenrückverfolgbarkeitund Datensicherung sowie Trendanalyse.

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Dies war aus Sicht des Membranfilterbereiches umso schmerzlicher, als gerade zu dieser Zeit wichtige Durchbrüchein Anwendungen im industriellen Prozess-Maßstab im Sinneeiner echten „Querschnittstechnologie“ erzielt wurden, die zu entscheidenden Innovationen geführt haben. In diesemZusammenhang spielt vor allem die Halbleiterindustrie eineentscheidende Rolle, die für die Herstellung von zunächstdiskreten, später integrierten Bauelementen bis dahin unbekannte Reinheitsbedingungen in Bezug auf Umgebung(Reinraumtechnik) und Prozessmedien (Wasser für Reini-gungs-Schritte, Chemikalien und Prozessgase) erforderlichmachte.

Die Membranfiltergesellschaft, bis dahin stark auf den pharmazeutischen, medizinischen und Nahrungsmittel-Bereich konzentriert, hat diese Entwicklung zunächst wegender nicht verfügbaren Mittel nicht mitgestalten können. Vielmehr haben sich im Rahmen dieser Entwicklung vor allem amerikanische Wettbewerber etablieren können.

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Der Vertriebsleiter der Membran-filtergesellschaft meinte damalszu einem Geschäftsfreund ausder Reinraumtechnik auf dieFrage: „Kann Sartorius auch Filterkerzen für die DI-WasserFiltration bei der Herstellungvon Halbleiter-Bauelementenliefern?“ „In der Entwicklung ist das Programm fertig, aber für dieUmsetzung in die Produktion istzur Zeit kein Budget verfügbar.Wir führen in der Wägetechnikjetzt elektronische Waagen ein;dazu wird die ganze Firma aufden Kopf gestellt und jede verdiente Mark geht in diesesfaszinierende Projekt.“

Testfiltration im Labor.

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In ihren Hausmärkten, der Pharmazie undder Getränkeindustrie wurden dennoch vonSartorius wichtige Durchbrüche erzielt:Hierzu gehört vor allem das erste „Plate andframe“ Crossflow-Ultrafiltrationssystem(Strohmeier-Gerät) für größere Volumina,das bereits 1969 eingeführt wurde. DieseTechnik hat vor allem neue Möglichkeiten imBereich der Molekularbiologie und derAbtrennung kleinster schädlicher Moleküle,wie Viren und Pyrogenen aus Pharmapro-dukten erschlossen.

Wichtige Arbeiten zur Überprüfung der Sterilität pharmazeutischer Lösungen mittelsMembranfiltern (Schiller-System) und zurCharakterisierung von steril filtrierendenMembranfiltern wurden in Zusammenarbeitmit wissenschaftlichen Instituten und derdeutschen Pharmaindustrie durchgeführt.

Etwa gleichzeitig wurden in der Wein-herstellung die ersten großvolumigen Mikrofiltrationsanlagen zur Abtrennung von weinschädlichen Mikroorganismen eingesetzt: Ein neuer Qualitätsstandard, besondersbezüglich der Haltbarkeit von Wein, wurdeverfügbar – Zsigmondy hatte diese An-wendung bereits 1926 in seinem Aufsatz„Von neuen Filtern“ vorausgesagt.

In den 70er Jahren war das anwendungstechnische Labor bereits hervorragend ausgestattet, es diente auch zurSchulung eigener Mitarbeiter und Kunden.

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Entwicklung von Ziehmaschinen

zur Membranherstellung

Wie bereits ausgeführt, wurden Membranfilter ursprünglichdurch Rakeln auf Glasplatten hergestellt. Natürlich führtediese Methode zu Inkonsistenzen in Bezug auf Dicke undPorösität des Produktes. Auch auf diesem Gebiet war wiederSartorius Pionier – bei der Entwicklung von Membranzieh-maschinen zur industriellen Herstellung von Filtermembranen.

Anleihen aus den Herstellungsprozessen von Papier und Filmen waren zwar möglich, aber die Produktion poröser,extrem dünner Filme war etwas völlig neues. Dabei stellten die im Prozess erforderlichen Lösungsmittel und ihre Beherr-schung zum Schutze von Personal und Umgebung ein besonderes Problem dar. Ein Team von Verfahrensingenieurenarbeitete über Jahre an der Entwicklung von Prozessen, die homogene Qualität des Produktes und wirtschaftlicheAusbeute sowie sicheren Schutz von Personal und Umweltgewährleisten. Gleichzeitig waren und sind die Chemikerunterwegs, um durch Änderungen der Rezeptur zum Einsatzungefährlicher Lösungsmittel zu kommen.

Derartige Technologie lässt sich nicht „von der Stange“ kaufen. Enge Zusammenarbeit von Experten der verschiedens-ten Fachrichtungen ist hier der Schlüssel zum Erfolg. AlsMembranfilter noch auf Glasplatten hergestellt wurden, warder Herstellungsprozess sehr stark durch die Erfahrung derMitarbeiterinnen und Mitarbeiter geprägt.

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Blick über den Steuerstand auf eineMembran Ziehmachine mit Ansatzbe-hältern für die Gießlösung.

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Mit der Einführung von Ziehmaschinen wurde es erforderlich,die Abhängigkeiten zwischen Produkteigenschaften und Her-stellungsparametern zu erforschen und in Steuerungssystemeumzusetzen, die gleichförmige und spezifikationsgerechteQualität des Produktes sicherstellen. Heute laufen unsereZiehmaschinen praktisch vollautomatisch und die Maschinen-führer erledigen gleichzeitig einen Teil der Qualitätskontrollenam Produkt. So erfahren sie zum frühst möglichen Zeitpunkt,ob alle Spezifikationen eingehalten werden, oder eine Nach-justierung erforderlich ist.

Natürlich werden diese Arbeiten unter Aufsicht der Qualitäts-sicherung durchgeführt. Produktfreigaben erfolgen nach Prüfung aller Prüfprotokolle und sonstiger Chargenprotokolleausschließlich durch die Qualitätssicherung.

Sartorius setzt zur Herstellung von Filtrationsmembranen das Verdunstungsverfahren (für Cellulose-Derivate) und dasFällbadverfahren (für synthetische Polymere und Ultrafilter)ein, und deckt damit ein sehr breites Spektrum von techni-schen Membranen ab. Zusätzlich verfügt Sartorius über Ver-fahren zur Oberflächenmodifikation von Membranen, die ins-besondere für die Produktlinie Membranadsorber eingesetztwerden. Gerade in diesem Gebiet sind in der Zukunft wichtigeneue Produktlösungen zu erwarten, die höhere Leistung undeinfachere Anwendung versprechen.

l Ziehmaschine nach dem Verdunstungsverfahren.

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Am 28.11.2005 hielt Herr Dr. Reinhard E. Schielicke,Astrophysikalisches Insitut und Universitäts-Sternwarte Jena, imSartorius College einen Vortrag überErnst Abbe. (Abbe hatte 1859–1861Mathematik und Physik in Göttingenbei Riemann und Weber studiert.)Die erste Folie des Vortrags zeigteein Sartorius Photometer, mit demDr. Schielecke 15 Jahre lang in Jenagearbeitet hat. Das Gerät wurde1958 nach Jena geliefert.

In den 50er Jahren hatte Sartoriuseine Produktlinie „Staubmesstechnik“mit Aerosol-Generatoren und -Photometern zum Nachweis vonLuftverunreinigungen aufgebaut. Da sich die Synergien mit den Mem-bran basierten Nachweisverfahrenfür luftgetragene Keime nicht einstellten, wurde die Produktlinie in den 70er Jahren aufgegeben.

In den 70er Jahren trugen Sartorius Membranfilter das Logoder Membranfiltergesellschaft. Der Aufkleber auf der Verpackungenthält bereits alle erforderlichenDaten zur Chargenrückverfolgungnach den Vorgaben von GMP. Die Verpackung war rot; in den 80erJahren wurde dann die einprägsamegelbe Farbgebung eingeführt.

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Der Weg zu Disposable Filter Elementen

Ursprünglich wurden Membranfilter als Filterronden in wiederverwendbaren Filterhaltern aus Edelstahl eingesetzt.Vor jeder Filtration musste dann das gesamte Filtergerät vorder Filtration gereinigt bzw. sterilisiert werden – ein kosten-und zeitaufwendiger Vorgang. Darüber hinaus war die Filterleistung von Planfiltersystemen auf einen maximalenDurchmesser von 293 mm begrenzt und so vor allem imBereich der Prozessfiltration unbefriedigend. Durch zylinder-förmige Filterkerzen, die von außen nach innen in Edelstahl-filtergehäusen durchströmt werden, wurde diese Begrenzungüberwunden.

Sartorius war der erste Hersteller von Membranfilterkerzen,deren Filtermedium plissiert, d.h. zickzackförmig angeordnetist. Diese platzsparende Bauweise ist aus der Luftfiltertechnikbekannt. Damit wurde der noch heute gültige Standard fürMembranfilterkerzen gesetzt. Die Herausforderung bestanddarin, eine Bauweise zu finden, die in-place sterilisierbar ist,das heißt, sie muss eingebaut in einem Filtergehäuse überlängere Zeit, unter Druck Temperaturen von über 121°C aushalten.

Filterkonfektionierung in den 70er Jahren.

Filterkerzenfertigung Anfang der80er Jahre.

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Der nächste Schritt bestand dann darin, die Filterkerze gleich in ein PP-Gehäuse einzubauen und als letzten Schrittder Herstellung zu sterilisieren. Diese „Filterkapsulen“ könnendann vom Kunden direkt aus der Verpackung ohne weitereVorbereitung und ohne Filtergehäuse eingesetzt werden. Eineähnliche Entwicklung erreichte Sartorius bei Filtern, die in derRegel in Verbindung mit Spritzen verwendet werden. Diesesogenannten Spritzenvorsatzfilter können ggf. einzeln ver-packt und sterilisiert geliefert werden.

Scheinbar läuft dieser Trend den berechtigten Interessen desUmweltschutzes entgegen, da die gesamte Filtereinheit nachGebrauch entsorgt werden muss. Eingehende Untersuchungenin Form von Energiebilanzen haben aber gezeigt, dass derGesamtenergie- und Wasser-Aufwand bei der Arbeit mit Filterronden deutlich höher ist, als mit so genannten „Dis-posablefiltern“. Ein Wiederverwenden der Filter ist ebenfallsnicht zu vertreten, da ein entscheidendes Element der GMP-Regeln die Vermeidung von „Cross-Kontamination“ zwischenProduktions-Chargen darstellt.

„Minisart®“ heißen die Spritzenvor-satzfilter von Sartorius.

Capsulen® sind Filterkerzen, eingebaut in anschlussfertigenGehäusen aus Polyprophylen.

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Vom Laborausstatter zum Prozessausstat-

ter in der Biotechnologie

Bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhun-derts waren Produkte von Sartorius – sowohlin der Wägetechnik als auch in der Filter-technik – im Wesentlichen Laborprodukte.Dementsprechend wurde die Vertriebsstruk-tur national und international systematischaufgebaut. Dabei spielte eine enge Zusam-menarbeit mit dem Laborfachhandel eineentscheidende Rolle.

Während in Europa, beginnend mit Frank-reich und Großbritannien, eigene Tochterge-sellschaften gegründet wurden, ging man imaußereuropäischen Ausland Vertretungsver-träge mit bereits etablierten Organisationenein, die den Laborsektor auch mit anderenProdukten belieferten.

Anfang der 70er Jahre wurde klar, dass sich ein großes Wachstumspotential derMembranfiltertechnik im Prozessbereicheröffnete: Sprunghaft steigende Anforde-rungen an die Reinheit von Medien wurdensowohl in der Halbleitertechnik als auch in der pharmazeutischen und Getränke-Industrie gestellt, verbunden mit großenFlussraten der Filteranlagen.

Getrieben wurde diese Entwicklung vor allemdurch die fortschreitende Miniaturisierungbei der Herstellung von Halbleiter-Bau-elementen und die Einführung gesteigerterQualitätsanforderungen (GMP8). Membran-filteranlagen zeichnen sich durch scharfeTrenngrenzen und Prüfbarkeit des Systemsim Betriebszustand aus. Dadurch wurde dieseTechnologie zum Stand der Technik bei derMedienfiltration in der Halbleiter-Herstel-lung und der Sterilfiltration in der pharma-zeutischen und Getränkeindustrie.

Wesentliche Vorarbeiten für den erfolg-reichen Einsatz der Sterilfiltration hatte Sartorius bereits im Rahmen der Entwicklungder Membranfiltration geleistet. Dabei lernte das Unternehmen, dass gerade in derPharmaindustrie von Produkt zu Produktsehr unterschiedliche Betriebsbedingungenvorliegen, die zur Absicherung des Produk-tionsprozesses und der sicheren Einhaltungder Produktspezifikationen eingehend untersucht werden müssen.

8 GMP = Good Manufacturing Practice in the Production of Pharmaceutical Products, Qualitäts-Philosophie der pharmazeutischen Industrie.

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Die Zusammenarbeit zwischen Lieferant und Kunden hatunter diesen Bedingungen eine grundsätzlich andere Qualitätals bei der Lieferung von standardisierten Produkten: Der Lieferant benötigt seine eigene Anwendungstechnik, um nachVorgaben des Kunden die optimale Problemlösung für denKunden zu entwickeln. Die Experten der Filtertechnik bei Sartorius haben auf diesem Gebiet in Zusammenarbeit mitder deutschen pharmazeutischen Industrie maßgebliche Pionierarbeit geleistet. Dabei wurde auch aktiv an der Formu-lierung der einschlägigen Passagen von GMP-Regelwerkenmitgearbeitet; ein wichtiger Schritt, um die Membranfilter-technik zu etablieren. Entsprechend den GMP-Anforderungenwurde gleichzeitig ein qualifiziertes Schulungszentrum auf-gebaut, das den Stand der Technik dokumentiert und internwie extern verfügbar macht.

Schulungskurs im Trainingszentrum der Biotechnologie in Göttingen1990.

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Bereits Mitte der 70er Jahre überstieg der Umsatzanteil der Prozessfiltration den der Laborfiltration. Während imLaborgeschäft die Zusammenarbeit mit dem Fachhandel vonbesonderer Bedeutung ist, erfordert die Prozessfiltrationintensive Beratung des Kunden in jedem Einzelfall, ggf. sogar die Durchführung von Versuchen zur Bestimmung der Auslegungsparameter der Filteranlage.

Mit der Erkenntnis, dass die US-amerikanische pharma-zeutische Industrie, nicht zuletzt wegen der weltweit dominierenden Rolle der amerikanischen FDA9, eine beherrschende Rolle auf dem Pharmaweltmarkt spielenwürde, wurde Mitte der 70er Jahre zunächst ein technischesBüro in Kalifornien, die spätere Sartorius Inc., mit der Auf-gabe gegründet, in den USA eine eigene kompetente Vertriebsorganisation für die Filtertechnik mit Zielrichtungpharmazeutische Industrie aufzubauen.

In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts setzte in der Pharmaindustrie ein verstärkter Konzentrationsprozessein. Durch Firmenkäufe und Fusionen entstanden global agierende Konzerne, die neue Elemente in ihren Firmenstra-tegien entwickelten. In den Vordergrund rückte zunehmendder Begriff „time to market“, d.h. die Verkürzung der Zeit-spanne, innerhalb derer eine neue Produktentwicklung aufden Markt gebracht wird. Man spricht dabei von der „pipe-line“. Dieser Begriff steht für den Weg von der Entdeckungeines Wirkstoffes bis zur Vermarktung des fertigen Produktes.

9 FDA = Food and Drug Administration, amerikanische Aufsichtsbehördefür den Lebensmittel- und pharmazeutischen Markt.

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Er ist definiert durch einzelne Phasen, dienach der Durchführung von Versuchen imTierexperiment die klinischen Phasen der Erprobung mit Patientengruppen und dieEntwicklung der Herstellungsanlagen im Prozessmaßstab umfassen. Besonders auf-wändig ist dabei die Validierung der Pro-zesse, d.h. der Nachweis, dass das Produkt in jeder Hinsicht sicher hergestellt werdenkann, dass die Wirksamkeit nachgewiesen ist,und dass Nebenwirkungen ausgeschlossenwerden können. Charakteristisch ist dabei,dass dieser gesamte Weg durch die zuständi-gen Aufsichtsbehörden begleitet wird mitlaufenden Berichten durch den Herstellerund entsprechenden Genehmigungsverfah-ren durch die Behörden. So wurde vor allemdie Definition des zu schützenden firmenei-genen Know-how häufig dahingehend ver-ändert, dass nicht alle Schritte des langwieri-gen Validierungsprozesses neuer Produktesowie das Engineering der Prozessanlagen imeigenen Hause durchgeführt werden müssen,sondern an kompetente Zulieferer vergebenwerden können.

Diese Entwicklung eröffnete für Sartoriusneue Marktpotentiale und wurde dement-sprechend in der Strategie der Sparte Filter-technik konsequent umgesetzt. Dies wurdeauch mit der Umbenennung des Bereichs in „Separationstechnik“ deutlich, um pro-grammatisch klarzumachen, dass das Ange-botsspektrum erweitert werden sollte umAnlagen-Engineering (in diesem Zusammen-hang wurde der Begriff „Fluid-Management“geprägt), ein erweitertes Angebot für Vali-dierungsservice und Training (FACTS), sowieum eine neue membranbasierte Technologiezur adsorbtiven Abtrennung von Molekülen(Membranadsorber). Damit war das Pro-gramm der durch eigene Leistung zu erbrin-gende Anteil an der Programmerweitungumrissen. Gleichzeitig wurde ein Zielkatalogvon Produkten fixiert, um dem Kunden komplette Prozesslösungen aus einer Handanbieten zu können.

Als sich 1999 die Möglichkeit ergab, mit der Tochtergesellschaft BBI der B. Braun AG,Melsungen, die Nummer 1 der Fermenter-und Zellkulturtechnik zu erwerben, war Sartorius vorbereitet, einen entscheidendenSchritt zur Realisierung der Strategie zumProzesslöser für die Biotechnologie zu tun.

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Fermentation und Separationstechnik sind im Rahmen desBioprocessing in der Pharmaindustrie komplementäreSchritte, sodass bei Lieferung der gesamten Prozesslösungaus einer Hand wesentliche Vorteile für den Kunden realisiertwerden können: Der Kunde bekommt optimal aufeinanderabgestimmte Prozessschritte, die auf Wunsch durch ein inte-griertes Betriebssteuerungssystem betrieben werden können.Die Anlagenentwicklung und -qualifizierung beim Kundensowie die Dokumentation wird wesentlich beschleunigt, derKunde erspart sich den aufwendigen Integrationsprozess der einzelnen Prozesskomponenten.

Mit diesem Schritt erfolgte auch eine weitere Fokussierungauf biotechnologische Prozesse in der Pharmaindustrie zueinem Zeitpunkt, als auch die öffentliche Akzeptanz der„roten“ (medizin-orientierten) Biotechnologie gestiegen war,weil klar geworden war, dass nur durch Einsatz der Biotech-nologie im Pharma-Bereich wesentliche Fortschritte bei derDiagnose und Behandlung bisher nicht zu heilender Krank-heiten zu erwarten sind. Folgerichtig erfolgte eine Umbenen-nung der Sparte in Biotechnologie, um die neue Ausrichtungder Sparte als Zulieferer dieser Bedarfsträgergruppe zu verdeutlichen.

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Beimpfen eines BBI-Fermenters bei derHerstellung von Veterinär-Impfstoffen.

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Einrichtung GMP-gerechter Fertigung

in der Biotechnologie

Ende der 70er Jahre wurden die GMP-Vorschriften für diePharmazeutische Industrie und für ihre Zulieferer wirksam.Geregelte Abläufe, formalisierte Qualitätsmanagement-systeme, Auditierfähigkeit und Chargenrückverfolgbarkeitsind einige der Anforderungen, die für das Qualitätsmanage-ment der pharmazeutischen Industrie typisch sind. Die Ein-haltung der GMP-Regeln wird durch staatliche Institutionen –international maßgebend ist die amerikanische Food-andDrug-Administration (FDA) – regelmäßig inspiziert (auditiert).

Membranfilterprodukte sind auf Grund ihrer vielfältigen Einsatzmöglichkeiten einem einzelnen Anwendungsgebietnicht zuzuordnen. Sehr frühzeitig hat Sartorius jedoch, demdeutlichen Schwerpunkt beim Einsatz der Membranfilter folgend, erkannt, dass Pharmakunden auch an die Produktionihrer Lieferanten GMP-Anforderungen stellen.

Daraufhin wurde die Organisation der Produktion ein-schließlich der Qualitäts-Sicherung entsprechend den GMP-Regelwerken neu strukturiert und die Fertigungsräume so ausgestattet, dass die Produkte bei der Herstellung vorVerunreinigungen geschützt werden. Gleichzeitig wurdenVerfahren zur Sterilisation der Produkte eingeführt, um den Einsatz in aseptischen Prozessen zu ermöglichen.

Vor Arbeitsaufnahme im Reinraumlegen die Mitarbeiter in speziellenUmkleideräumen ihre Reinraum-kleidung an.

Auf dem Weg zum Reinraumarbeitsplatz.

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Die Einführung dieser Verfahren erfordertenaturgemäß den Nachweis ihrer Wirksamkeitgegenüber den Kunden, d.h. die Herstellungs-verfahren wurden auf der Basis von anwen-dungstypischen Standardverfahren validiertund dokumentiert. Folgerichtig war dernächste Schritt die Zertifizierung der Ferti-gung durch die deutschen GMP-Behörden im Jahr 1987.

Da Sartorius keine Pharmazeutika, sondernProdukte, die zur Herstellung von Pharma-produkten dienen, liefert, ließ sich die GMP-Zertifizierung aus rechtlichen Gründen nichtweiter fortführen. Daher wurde 1994 dasQM-System der Sparte auf der Basis der DIN EN ISO 9001 umfassend neu strukturiertund zertifiziert.

Die Abbildung zeigt den Weg zum aktuellenStand. Ende der 80er Jahre wurde deutlich,dass am traditionellen Standort der Firma inder Weender Landstraße die Expansions-möglichkeiten der Fertigung erschöpftwaren. Zur Realisierung des nachhaltigenUmsatzwachstums wurde 1990 im Industrie-gebiet Göttingen in unmittelbarerer Näheder Autobahn A7 ein neuer Standort eröff-net, an dem im ersten Bauabschnitt nebender mechanischen Produktion der Wägetech-nik ein eigenes Werk für die Membranpro-duktion errichtet wurde. Vorausgegangenwar eine mehrjährige Entwicklung, die zueiner völlig neuen Generation von Her-stellungsanlagen für Membranen geführthatte. Die neuen Ziehmaschinen sind in derLage, Produkte in wesentlich verbesserterKonsistenz herzustellen, gleichzeitig wurdendie Voraussetzungen geschaffen, Membra-nen mit größeren Porösitäten, wie sie z.B. fürdiagnostische Schnelltests benötigt werden,reproduzierbar herzustellen.

Einzelstückprüfung der Membranfilterkerzen.

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Das „Neue Werk“ (Werk 2000), erster Bauabschnitt 1990.

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Im „Neuen Werk“ wurden neue Maßstäbe für die Umwelt-verträglichkeit der Membranproduktion realisiert, die nichtzuletzt durch die Förderung der innovativen Lösungsmittel-Rückgewinnungs-Anlage durch das Umwelt-Bundesamtbestätigt wurde. Das Werk verfügt über Einrichtungen, mitdenen die erforderlichen Chemikalien sicher verarbeitet werden können. Messeinrichtungen kontrollieren den Einsatz, im Falle eines Unfalles würden die Chemikalien durch Sicherheitseinrichtungen im Gebäude aufgefangen.Eine Kontamination der Umwelt (Luft, Boden, Grundwasser)wird verhindert.

In diesem Werk wurde in der ersten Hälfte der 90er Jahre in großtechnischem Maßstab auch die Produktion von Membranen im Fällbadverfahren aufgenommen, mit dem vor allem synthetische Membranen aus Polyamid und Poly-äthersulfon hergestellt werden.

Ziehmaschine nach dem Fällbadverfahren, zweite Generation.

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Im Jahre 2001 wurde dann das „Werk 2001“ in Betriebgenommen. Mit diesem zweiten Bauabschnitt wurden alletechnischen Bereiche der Sparte Biotechnologie in Göttingenan einem Standort zusammengefasst. Diese Investition schuf Kapazitäten für das weiter lebhaft gestiegene Umsatz-volumen und ermöglicht zugleich die Herstellung neu entwickelter Produkte.

Vor allem aber wurde mit dem „Werk 2001“ eine Anlage zur Herstellung von Membranprodukten realisiert, welche die Anforderungen der cGMP [current good manufacturingpractices]-Regeln erfüllt. Die Produktion erfolgt unter klassi-fizierten Reinraumbedingungen, die Räume und Maschinenentsprechen reinraumtechnischen Anforderungen, das Personal trägt Reinraumkleidung. Bei den routinemäßigstattfindenden Audits der Produktion durch Kunden aus aller Welt wird immer wieder bestätigt, dass die Produktionim „Werk 2001“ vorbildlich ist.

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l Das „Neue Werk“ (Werk 2001), zweiter Bauabschnitt 2001.

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Synergieprodukte Mechatronik und Biotechnologie

In sehr enger Zusammenarbeit mit einschlägigen Fachklinikenentwickelte Sartorius in den 60er Jahren ein Programm zurHämofiltration für Patienten mit Leberunterfunktion. Bei denFiltereinheiten handelte es sich um Ultrafilter in Crossflow-Bauweise, die dazu dienen, menschliches Blut extrakorporalin feste Bestandteile (rote und weiße Blutkörperchen, Blut-plättchen) und das Blutserum, in dem die schädlichen Gift-stoffe gelöst sind, zu trennen. Dabei handelte es sich um einespezielle Bauform von dynamischen Ultrafiltrationsfilterele-menten, einem Standardprodukt der Sparte Biotechnologie.

Die Behandlung des Patienten erfolgt mit einem Hämo-prozessor, der den extrakorporalen Blutstrom steuert und das abgetrennte Serum mit den Giftstoffen durch ein ent-sprechendes Volumen von Substitutionslösung bei der Rück-führung zum Patienten ersetzt. Diese Substitution erfolgt mit zwei Waagen, die abgetrenntes Serum und zugeführteSubstitutionslösung präzise bilanzieren. Zu dieser Produkt-lösung haben beide Sartorius Sparten mit ihrem Know-howbeigetragen. Die Behandlung wird von Medizinern als besonders schonend für die Patienten geschätzt. Nichtzuletzt wegen der einschlägigen Produkthaftungsproblemeund mangels eines tragfähigen Portfolios für den Kranken-haussektor wurde dieses Programm später im Rahmen derKonzentration auf Kernkompetenzen abgegeben.

Ein weiteres Beispiel für gemeinsame Entwicklungen derMechatronik und Biotechnologie ist die Entwicklung des Integritätstestgerätes Sartocheck®. Membranfilter werden ineingebautem Zustand auf Unversehrtheit durch Druckprü-fung in befeuchtetem Zustand kontrolliert.

Behandlung eines Patienten mit Nierenunterfunktion am Hämoprozessor®.

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Als Hersteller von elektronischen Instrumenten war diedamalige Sartorius Wägetechnik natürlich der ideale Partnerfür die Entwicklung des entsprechenden Messgerätes. Die Entwicklung des „Sartocheck®“ – übrigens in sehr engerZusammenarbeit mit einem wichtigen Kunden – war eindurchschlagender Erfolg. Der heutige Sartocheck® 4 ist nachmehreren Weiterentwicklungen nach wie vor die Benchmarkfür Integritätstestgeräte für die Pharmaindustrie.

In Labors der verschiedensten Fachrichtungen wird Wasser in stets gleichbleibend hoher Qualität benötigt, um sicherzu-stellen, dass die durchgeführten Untersuchungen nicht durchWasserverunreinigungen verfälscht werden. Auch dasArium®-Programm ist eine Gemeinschaftsentwicklung derMechatronik und Biotechnologie. Arium® ist ein anschluss-fertiges Gerät, das in jedem Labor aus normalem Leitungs-wasser die erforderliche Wasserqualität in der benötigtenMenge bereitstellt. Die Wasserqualität wird ständig über-wacht und ggf. dokumentiert. Je nach Anwendungsfall können unterschiedliche Reinigungskomponenten eingesetztwerden, um bei unterschiedlichen Rohwasserqualitäten diespezifizierten Parameter sicher einzuhalten. Arium® stellt eineneue „Benchmark“ für die Labor-Wasser-Versorgung dar.

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Überprüfung der Integrität von Filter-anlagen mit dem Sartocheck® 4.

Die Arium®-Anlage liefert hochreines Wasser.

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– Veränderungen der Märkte durch Globalisierung

– Kundenorientierung und Kundennähe– Globalisierung des Sartorius Konzerns– Entwicklung der EDV-Plattform– Wachstum durch eigene Entwicklung,

Akquisitionen und strategische Allianzen– Internationales Supply-Chain-Management– Internationales Wissensmanagement– Die lernende Organisation

Die Globalisierung des Sartorius Konzerns

Das „Werk 2001“ von Norden: Links das Laborgebäude, rechts die Reinraum-Konfektionierung.

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Ein Element zieht sich wie ein roter Faden durch die Sartorius Geschichte: Die ausgeprägte Exportorientierung

des Unternehmens. Für ein mittleres Unternehmen aus einerkleinen Stadt wie Göttingen ist es wahrlich keine Selbstver-ständlichkeit, schon in den ersten Jahren seines Bestehenserfolgreiche Geschäfte in Amerika abschließen zu können und nach dem totalen Zusammenbruch nach den beidenWeltkriegen sofort wieder im Export tätig zu werden. Und dies nicht nur im europäischen Ausland, sondern gerade auch in risikoreichen Märkten wie Nord- und Südamerika, in Russland, im Nahen Osten, in Afrika und Asien.

Dabei hat neben den Wachstumschancen sicher auch dieErkenntnis eine Rolle gespielt, dass nur, wer sich am Welt-standard orientiert und damit im Export erfolgreich ist, gefeitist vor der Überbewertung regionaler Trends oder Moden.

Im Sommer 2004 fragt eine Service-Mitarbeiter unserer Tochtergesellschaft in Tokio an: „Ob Sartorius inder Vergangenheit Theodoliten geliefert habe“.

Er schrieb uns zu seinem Foto: „Im städtischen Planetarium in Akashi werden historischeInstrumente ausgestellt. Das zweite von links wurde im Jahre 1928 dazu benutzt, den Meridian zu vermessen. Es handelt sich um einen Theodilit von F. Sartorius in Göttingen mit einem Linsendurchmesser von 37 mm.“

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Wir haben bereits gehört, dass die Exportorganisation durcheigene Tochtergesellschaften in Schlüsselländern und Handels-vertretungen in praktisch allen Ländern der Welt getragenwurde. Besonders das Laborgeschäft wurde darüber hinausdurch eine enge Zusammenarbeit mit nationalen und inter-nationalen Laborhändlerorganisationen unterstützt.

Nicht zuletzt wird traditionell das Exportgeschäft durch regelmäßige Teilnahmen an nationalen (hier vor allem derACHEMA und der Hannover Messe) und internationalen Messen, Symposien und Fachkongressen unterstützt. In diesen Zusammenhang gehört auch die Kooperation mitmaßgeblichen nationalen und internationalen Aufsichts-behörden, Verbänden und Standardkommissionen. DieACHEMA war schon immer der Meilenstein für die Präsen-tation von Sartorius Neuentwicklungen.

Im wichtigsten Markt der beiden Sparten Mechatronik undBiotechnologie gelten die internationalen GMP-Regeln, wobeiweltweit die amerikanische FDA eine bestimmende Rolle hat.Damit sind weltweit einheitliche Standards für Produkte und Qualitätswesen gegeben, die unmittelbar auch im Lebensmittel- und Getränkebereich gelten und darüber hinausals allgemein vorbildliches Qualitäts-Management-Systemanerkannt sind.

Achema in Frankfurt, 1974.

Achema in Frankfurt, 1974.

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Das wichtigste Element der Globalisierung,die inzwischen nicht nur den Pharmamarktbestimmt, ist aber die zunehmende Konzen-tration der Anbieter durch Firmenkäufe und -zusammenschlüsse. Diese Entwicklung wirddurch „pipeline“, das Entwicklungsmusterpharmazeutischer Produkte, deutlich unter-stützt. In der Regel vergehen mindestens 10 Jahre bis zur Vermarktung und zweistelligeMillionenbeträge werden aufgewandt, bevor der erste Euro aus der Vermarktungzurückfließt. Das können sich nur großeUnternehmen leisten.

Als Folge dieser Globalisierung haben sich dieKundenbedürfnisse dieser Branche deutlichverändert: Zunehmend wird „out-gesourced“,d.h. alles, was nicht wettbewerbsfähig selbstgemacht werden kann, wird von kompeten-ten Lieferanten zu Weltmarktbedingungeneingekauft. Dabei spielen folgende Ziele eine besondere Rolle: 1. time-to-market(Beschleunigung der „pipeline“), 2. Beschaf-fung von kompletten Fertigungslinien zurReduzierung des eigenen Aufwands für Engineering und Validierung, 3. Erfüllung vonGMP-Anforderungen.

Für Lieferanten der „Global Player“ heißt das,dass nur global aufgestellte Unternehmen, dielokal kompetenten Service bieten können undAntworten auf die o.a. Ziele anbieten können,die Chance haben, als „Preferred Supplier“akzeptiert zu werden. Das setzt eine konsis-tente Strategie und eine „kritische Unter-nehmensgröße“ voraus, um global mitspielenzu können.

In den 80er Jahren war Sartorius so starkgewachsen, dass klar wurde, dass der tradi-tionelle Standort in der Weender Landstraßelangfristig mangels Ausdehnungsmöglichkeitnicht zu erhalten sein würde. Nach intensivenUntersuchungen bezüglich des optimalenStandortes fiel die Entscheidung, „auf dergrünen Wiese“ im Göttinger IndustriegebietAugust-Spindler-Straße den ersten Bauab-schnitt für das Neue Werk („Werk 2000“) zu errichten. Realisiert wurde zunächst einBetrieb zur Herstellung der mechanischenKomponenten für die Wägetechnik und dieMembranproduktion der Separationstechnik.

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Im Gefolge der weiter fortschreitenden Globalisierung hat Sartorius dann Ende der90er Jahre sehr entschieden investiert, um durch eigene Entwicklungen und durchdie Akquisition von Firmen mit Produkten,die die Sartorius Palette komplementärergänzen, weiter zu wachsen und das Ange-bot für Kunden attraktiver zu gestalten. DerErwerb der Firmen Filtrak, Vivascience und B. Braun Biotech International verstärkte die Sparte Biotechnologie sowohl im Bereichder Labor- als auch der Prozessprodukte. Die Mechatronik wurde durch die MarkenScaltec, Acculab und Denver Instruments bei Laborprodukten erweitert. Die Industrieliniewurde im wesentlichen durch GWT und Boekels ausgebaut.

Die Akquisition der neuen Sartorius Gesell-schaften brachten auch eine wesentlicheVerbesserung der Exportpräsenz beider Sparten, einschließlich von Fertigungsstand-orten im Ausland. Die einzelnen Akquisi-tionen waren unter sehr unterschiedlichenBedingungen möglich; entsprechend kom-plex war der Integrationsaufwand in denKonzern. Naturgemäß war der wirtschaft-liche Erfolg der einzelnen Schritte innerhalbder Expansionsstrategie unterschiedlich, persaldo hat der Sartorius Konzern dadurch diekritische Größe erreicht, um sich unter denBedingungen der Globalisierung erfolgreichweiterentwickeln zu können.

Vielleicht an dieser Stelle noch ein Wort zurEthik der Globalisierung: Dieser Prozess wirdhäufig kritisch mit „Export von Arbeitsplätzen“assoziiert. Nicht zuletzt beweist die Investitiondes „Werkes 2001“ in Göttingen, dass die Globalisierung differenziert zu beurteilen ist.

Am Standort Göttingen hat Sartorius einenkompetenten und loyalen Mitarbeiterstammund nutzt die Kooperationsmöglichkeiten mitden hiesigen technisch-wissenschaftlichenInstitutionen sowohl bei der Entwicklung als auch in der Ausbildung von Nachwuchs-kräften.

Bei Produkten, die nicht extrem lohnintensivgefertigt werden und die nicht sperrig sind,spielt die Entfernung zum Markt eine unter-geordnete Rolle. Entscheidend sind vielmehrMotivation, Qualitätsbewusstsein der Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Einsatz modernster Technologien bei der Fertigung. Diese Bedingungen gelten füreinen großen Teil der Sartorius Produkte.

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Allerdings braucht auch Sartorius Fertigungsstätten in Kundennähe: So betreibt das Unternehmen neben der Ferti-gung in Deutschland Anlagenbau in Indien und den USA; fürden US-amerikanischen Markt produzieren wir in Puerto RicoFilterelemente, in Bethlehem Fermenter und in ColoradoLaborinstrumente; in Russland werden Sartorius Gewichtehergestellt und in Peking fertigen wir Waagen. Dabei werdendie technologischen Kernkomponenten jeweils aus Göttingenbeigestellt.

Mit der Einführung der EDV wurde eine kompetente Abteilung aufgebaut, die im Falle von Fehlermeldungen und Störungen den reibungslosen Ablauf wieder herstellt. Die Einführung eines einheitlichen EDV-Standards für die verschiedenen Anwendungen der Unternehmensgruppeerfolgte erst Ende der 70er Jahre; heute ist Sartorius Referenz Kunde. In den letzten Jahren ist die zentrale EDV-Abteilung konsequent damit befasst, alle Konzerngesell-schaften auf einer gemeinsamen EDV-Plattform zu ver-netzen, sodass ein optimaler Datenfluss und -zugriff im gesamten Konzern online möglich wird.

Natürlich wird „global sourcing“ systematisch betrieben beider Beschaffung von Komponenten, die nicht selbst her-gestellt werden.

Kundennah und global ist freilich die Sartorius Vertriebs- undMarketingorganisation aufgestellt. Das schließt die Service-stützpunkte sowie Trainings- und Validierunglabors ein.

In Yauco, Puerto Rico, produziert Sartorius Membranen und Filter-elemente für amerikanische Kunden.

In Bangalore, Indien werden Fermenter und Filteranlagen für denasiatischen Markt produziert.

In Denver, USA werden Waagen,Feuchtemessgeräte, pH-Meter und Kalibriergewichte produziert.

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Sartorius ist für seine Kunden kompetent verfügbar, woimmer auf der Welt sie sich befinden; wenn nicht durcheigene Tochtergesellschaften, dann durch qualifizierte Vertretungen, die intensiv von Sartorius geschult sind, undggf. Sartorius Experten hinzuziehen.

Beim Umgang mit den Kunden, aber natürlich auch im eigenen Konzern, hat Sartorius Respekt für die Kulturen der Partner-Länder entwickelt und ist stolz auf sein internationales Netzwerk.

Das Sartorius College, eingeweiht 2001, vermittelt nicht nur Kenntnisse zur Weiterbildung der eigenen Mitarbeiter. Es dient auch zur Schulung der Kunden und Marktpartner inpraktischen und theoretischen Seminaren. Vor allem ist esaber eine wichtige Institution zum technischen, wirtschaft-lichen und kulturellen Austausch im Konzern, mit Geschäfts-freunden und der Öffentlichkeit. So steht es auch der Universität und anderen Institutionen und Firmen zur Verfügung. Seminare und wissenschaftliche Kongresse imSartorius College sind inzwischen eine etablierte Einrichtung.So wird ein erweitertes Bildungsangebot für die SartoriusMitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem tätigen Kontakt zu Wissenschaft und Gesellschaft verbunden.

Diese Form gelebten Wissensmanagements „exportiert“ Sartorius genau wie seine Produkte in die Welt. In Amerikaund Asien sind entsprechende Zentren im Aufbau. Heute ist Sartorius eine globale lernende Organisation, deren Herz in Göttingen schlägt.

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In Bethlehem, USA werden Bio-reaktoren und Fermenter hergestellt.

In Peking fertigt Sartorius Labor- und Industrie-Waagen.

Das Sartorius College steht für gelebtes Wissensmanagement.

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Bangkok 1954.

Saloniki 1955.

Achema in Frankfurt 1930.Ausstellungs Pavillion auf einer Landwirtschaftsausstellung um die Jahrhundertwende.

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Bundeskanzler Ludwig Erhard lässt sich 1964 auf der Hannover Messe informieren.

Hannover Messe 1948.

Medicina|Technika Zagreb 2005.

Sartorius ist ständiger Aussteller

auf internationalen Messen

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VertriebProduktion und Vertrieb

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Sartorius heute

Sartorius ist heute ein international führender Labor- und Prozesstechnologie-anbieter mit Kernkompetenzen in der Biotechnologie und der Mechatronik .

Sartorius ist bevorzugter Partner derPharma|Biotech-, Chemie- sowie Lebens-mittel- und Getränke-Industrie durch technische Expertise, hohe Qualität von Produkten und Dienstleistungen sowie weltweit kompetente Präsenz.

Mit über 3.700 Mitarbeitern und einem Umsatz von ca. 470 Mio. Euro nimmt Sartoriusin Weltmärkten Spitzenpositionen ein.

Sartorius heute heißt:

Konsequente Orientierung am Kunden,

hohe Innovationskraft, globale

Präsenz sowie Respekt im Umgang mit

Mitarbeitern und Geschäftspartnern.

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Das Sartorius Logo im Wandel der Zeiten

1912 1912 1929

1952 1954

1970 1970 1968

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1959 1960

1929 1933 1936

1985 1994 2000

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Berendsen, Otto Die mechanischen Werkstätten der Stadt Göttingen. Ihre Geschichte und ihre gegenwärtige Einrichtung. Denkschrift herausgegeben bei Gelegenheit der im Jahr 1900zu Paris stattfindenden Weltausstellung von den vereinigtenMechanikern GöttingensVerlag F.E. Haag, Melle in Hannover 1900

Betriebskrankenkasse der 75 Jahre Betriebskrankenkasse der Sartorius GmbH,Sartorius GmbH, Göttingen 1909–1984, Firmendruckschrift, Januar 1984

Bracht, Karl Bekannte Persönlichkeiten aus Göttingen,Göttingen 2005 im Selbstverlag

British Intelligence objectives The German Fine Balance Industry,sub-committee London H.M. Stationary Office 1946

Himme, Hans-Heinrich Stich-haltige Beiträge zur Geschichte der Georgia Augusta in Göttingen. Im Kommissionsverlag Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1987

Internes Fotoalbum 1953 Geschenk ehemaliger „Sartorianer“ an Karin Sartorius-Herbst

Jenemann, Hans R. Zur Geschichte des kurzen Balkens an der gleichnamigen Balkenwaage, Technikgeschichte Bd. 52 Nr. 2 VDI Verlag 1985

Jenemann, Hans R. Die Göttinger Präzisionsmechanik und die Fertigung feiner Waagen, Göttinger Jahrbuch 1988Verlag Erich Goltze Göttingen 1989

Literaturhinweise

Page 160: Vom Universitäts-Mechanikus zum Global Player … · Sartorius sich nach England und Amerika ... lichen Teil ihrer Freizeit geopfert und sich ... Arbeit und technischem Fortschritt

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Membranfiltergesellschaft 25 Jahre Membranfiltergesellschaft

Michling, Horst Carl Friedrich Gauß, Episoden aus dem Leben des princeps mathematicorumVerlag Göttinger Tageblatt 1982

Sartorius, Fritz, Hans und Horst Unserem verehrten Chef, Herrn Direktor Erich Sartoriusanläßlich der Fertigstellung der 50.000. Analysenwaage,Fotoalbum Mai 1938, Familienbesitz

Sartorius-Werke A.G., Göttingen Weihnachten 1950. Zwei Generationen Sartorius,Fotoalbum, Familienbesitz

Sartorius-Werke A.G., Göttingen Der Weg zum 1/1.000.000 g,Firmendruckschrift 1950

Sartorius Firmendruckschriften, Kataloge, Anzeigen etc.

Sartorius AG 50 Jahre Gleitlagertechnik in Göttingen, Selbstverlag 1998

Schmeling, Hans-Georg Alt-Göttingen 1870-1930 Wartberg Verlag Gudensberg-Gleichen. 2. Auflage 1996

Wagner, Dr. Stadtarchivar Chronik der Stadt GöttingenVerlag F.W. Willmann, Magdeburg 1930

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Herausgeber

Sartorius AGWeender Landstraße 94–10837075 Göttingen

Telefon 0551.308.0Fax 0551.308.3289www.sartorius.com

Redaktion

Karin Sartorius-Herbst | NortheimKarl Bracht | GöttingenJörg Barankewitz | Bovenden

Grafisches Konzept | Koordination

Sartorius AG, Unternehmenskommunikation

Gestaltung und Lithografie

weckner media+print GmbH | Göttingen

Bildarchiv

Karin Sartorius-Herbst | NortheimKarl Bracht | GöttingenSartorius AG | Göttingen

Druck

Kunst- und Werbedruck GmbH & Co KG | Bad Oeynhausen

Papier

PhoeniXmotion, Xenon 150 g/m2

Impressum

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