Von Henry A. Kissinger - Axel Springer SE · PDF filefür das Überleben Israels sind,...

3
83 ür die meisten Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks liegen die Gescheh- nisse des Zweiten Weltkriegs so weit zurück, daß sie für ihr heutiges Leben kaum noch als bedeutsam empfunden werden. Daß dies so ist, kann sich die Nachkriegsgeneration als Verdienst zuschreiben. Doch die immer kleiner werdende Zahl derer, die jene Zeit noch miterlebt haben, muß zuweilen den Geist der ersten Jahrzehnte wachrufen und ihre Enkel, die manchmal mehr problem- als chancenbewußt sind, an das erinnern, was die transatlantische Partnerschaft und der Glaube an die Zukunft damals unter schwierigsten Bedingungen vollbracht haben. Selbst für eine an Gewalt im Fernsehen und auf Computerbildschirmen gewöhnte Generation sind das Ausmaß der Zerstörung deutscher Städte am Kriegsende und der völlige Zusammenbruch von ziviler Verwaltung, Verkehr und Kommunikation schwer faßbar. Die mentale Kluft zwischen Deutschen und Westalliierten war so groß, daß in den ersten Monaten der Besatzung ein sogenanntes Fraternisierungs- verbot verhängt wurde, das soziale Kontakte zwischen den Besatzungstruppen und der deutschen Bevölkerung verhindern sollte. Daß die Deutschen den Mut hatten, auf den Trümmern ihrer zerstörten Heimat mit dem Wiederaufbau zu beginnen, zeugte von ihrem Glauben an ihr Land und von den starken demokratischen Werten, die die Katastrophe überdauert hatten. Und daß die Kluft im Denken und Fühlen zwischen Deutschland und den west- lichen Ländern innerhalb von weniger als einem Jahrzehnt geschlossen und eine transatlantische Partnerschaft entstehen konnte, ist dasVerdienst der Generationen auf beiden Seiten des Atlantiks, die sich sogleich der Schaffung einer neuen Welt- ordnung widmeten. ÜBERWINDUNG VON GRENZEN Von Henry A. Kissinger F

Transcript of Von Henry A. Kissinger - Axel Springer SE · PDF filefür das Überleben Israels sind,...

Page 1: Von Henry A. Kissinger - Axel Springer SE · PDF filefür das Überleben Israels sind, auf diplomatischem Parkett zu testen. Durch den israelischen Abzug aus dem Gazastreifen und angesichts

83

nachdem sein Sohn Sven Simon 1980 Selbstmord verübt hatte. So hatte Rudolf Augstein den Brief auch gemeint, den er ihm schrieb. Der Erzählung meines Vatersnach stand darin, daß die Gründe, warum ein seit langem erwachsenes Kind sich das Leben nimmt, sehr kompliziert seien – viel zu kompliziert auf jeden Fall, als daßdie Eltern sich nach dem Tod ihres Kindes schuldig fühlen dürften.

Ein in Hollywood arbeitender Filmproduzent, der sich in der Liebe zu Israel mitAxel Springer verbunden fühlte, hat mir erzählt, Springer habe diesen Brief meinesVaters stets bei sich gehabt. Das gleiche hatte ich Jahre zuvor von meinem Vater gehört. Mehr als vier Jahre lang hat Springer den Brief mit sich herumgetragen, hatihn von einem Jackett ins nächste gesteckt beziehungsweise bei jedem Aufräumender Brieftasche darauf geachtet, dieses Papier dort wieder unterzubringen. DaßSpringer das Schreiben anfangs teuer war, ist leicht verständlich. Der Brief mag denTrost, den er gab, und das Andenken an Sven Simon in sich vereinigt haben. DaßSpringer den Brief aber durch alle Jackettwechsel oder Brieftaschenrevirements beisich führte, so lange er es konnte, ist ein Rätsel. Benötigte er diesen Trost auf Dauer?War seine Rührung darüber von solcher Dauer? Oder handelte es sich um einenDenkmalsbau in der Jackentasche? Axel Springer schätzte bedeutsame Gesten.

DER BRIEF

82

Dr. Franziska Augste in(* 1964), Journalistin,

u. a. bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und seit 2001 für die Süddeutsche Zeitung

ür die meisten Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks liegen die Gescheh-nisse des Zweiten Weltkriegs so weit zurück, daß sie für ihr heutiges Lebenkaum noch als bedeutsam empfunden werden. Daß dies so ist, kann sich

die Nachkriegsgeneration als Verdienst zuschreiben. Doch die immer kleiner werdende Zahl derer, die jene Zeit noch miterlebt haben, muß zuweilen den Geist der ersten Jahrzehnte wachrufen und ihre Enkel, die manchmal mehr problem- als chancenbewußt sind, an das erinnern, was die transatlantische Partnerschaft und der Glaube an die Zukunft damals unter schwierigsten Bedingungen vollbrachthaben.

Selbst für eine an Gewalt im Fernsehen und auf Computerbildschirmen gewöhnteGeneration sind das Ausmaß der Zerstörung deutscher Städte am Kriegsende undder völlige Zusammenbruch von ziviler Verwaltung, Verkehr und Kommunikationschwer faßbar. Die mentale Kluft zwischen Deutschen und Westalliierten war sogroß, daß in den ersten Monaten der Besatzung ein sogenanntes Fraternisierungs-verbot verhängt wurde, das soziale Kontakte zwischen den Besatzungstruppen undder deutschen Bevölkerung verhindern sollte.

Daß die Deutschen den Mut hatten, auf den Trümmern ihrer zerstörten Heimatmit dem Wiederaufbau zu beginnen, zeugte von ihrem Glauben an ihr Land undvon den starken demokratischen Werten, die die Katastrophe überdauert hatten.Und daß die Kluft im Denken und Fühlen zwischen Deutschland und den west-lichen Ländern innerhalb von weniger als einem Jahrzehnt geschlossen und einetransatlantische Partnerschaft entstehen konnte, ist dasVerdienst der Generationenauf beiden Seiten des Atlantiks, die sich sogleich der Schaffung einer neuen Welt-ordnung widmeten.

ÜBERWINDUNG VON GRENZEN

Von Henry A. Kiss inger

F

S.080-097_Autoren_4 21.10.2005 12:32 Uhr Seite 82

Page 2: Von Henry A. Kissinger - Axel Springer SE · PDF filefür das Überleben Israels sind, auf diplomatischem Parkett zu testen. Durch den israelischen Abzug aus dem Gazastreifen und angesichts

Heute wird die Partnerschaft für so selbstverständlich gehalten, daß beide Seitenihre Belastbarkeit gelegentlich testen, indem sie nationale Eigeninteressen in denVordergrund stellen. Doch bisher haben die Fundamente der Beziehung allen Belastungen standgehalten und sind nun dabei, sich an die geänderten Verhältnissein einerWelt anzupassen, deren Gravitationszentrum nach und nach vom Atlantikin den Pazifik rückt.

Axel Springer war eine der prägenden Gestalten des Wiederaufbaus und der an-schließenden Phase der Konsolidierung, die im Sieg im Kalten Krieg, in der deutschenWiedervereinigung und der Entstehung eines politisch geeinten Europas gipfelte.Mit dem HamburgerAbendblatt gründete er eine der ersten deutschen Tageszeitungender Nachkriegszeit. Als er 1953 auch noch Die Welt und die Welt am Sonntag vonden Besatzungsbehörden erwarb, wurde er zu einer zentralen Figur, die auf dieEinstellungen und Meinungen der Nachkriegsdeutschen maßgeblichen Einflußhatte.

Mit der Rolle, die Axel Springer in den inneren Auseinandersetzungen der Bun-desrepublik gespielt hat, mögen sich andere beschäftigen. In all den Debatten überdie Mitgliedschaft der Bundesrepublik im atlantischen Bündnis, die Berlin-Krisevon 1958–1962, die Stationierung von Raketen auf deutschem Boden, den Bau der Berliner Mauer und die Schaffung eines vereinten Europas standen dieSpringer-Zeitungen, von denen ich Die Welt und die Welt am Sonntag persönlicham besten kenne, jedoch fest auf dem Boden jener Grundsätze, die 1967 förmlichverkündet wurden: Eintreten für die deutsche Einheit, Versöhnung zwischen Deut-schen und Juden, Ablehnung des Totalitarismus in jeglicher Gestalt, Bekenntnis zursozialen Marktwirtschaft.

Diese Prinzipien wurden durch die Errichtung der Berliner Mauer auf eine harte Probe gestellt, da der Mauerbau die Annahme zu widerlegen schien, die derdeutschen Politik der 50er Jahre zugrunde gelegen hatte: daß nämlich eine feste Bindung an denWesten früher oder später die deutscheWiedervereinigung bringenwerde. Nun war die Teilung des Landes durch die Mauer anscheinend zum Dauer-zustand geworden, und die Hoffnung auf ein vereintes Deutschland war geplatzt,es sei denn, man wollte sich den Bedingungen der Kommunisten beugen.

Axel Springer hat dieseVorstellung nie geteilt. Seine Zeitungen akzeptierten auchnicht die Bezeichnung, die sich der kommunistische Marionettenstaat gegeben hatte, und schrieben DDR stets in Anführungszeichen.

Als sichtbaren Ausdruck seiner Überzeugung errichtete Axel Springer dieVerlags-zentrale in Westberlin unmittelbar an der Mauer. Von seinem Büro aus konnte erüber die Mauer auf die geteilte Stadt blicken – für ihn war die Teilung nur ein vorübergehender Zustand. In den folgenden Jahrzehnten war das Haus Axel Springerfür viele ein Symbol des engagierten Strebens nach der Wiedervereinigung Deutsch-lands in einem vereinten Europa, das die Basis der transatlantischen Partnerschaftbilden würde.

Ich bin gefragt worden, inwieweit Springers Engagement für die transatlantischenBeziehungen und die internationale Anerkennung Israels in den USA bekannt ist beziehungsweise gewürdigt wird. Das ist eine schwierige Frage, weil die Antwort davon abhängt, an welchen Personenkreis man denkt. Während des größten Teils der Nachkriegszeit waren die transatlantischen Beziehungen in den USA kein Gegenstand kontroverser Debatten. Die breite Öffentlichkeit interessierte sich des-halb nicht für kleinere Meinungsunterschiede in Staaten, die grundsätzlich als treueFreunde galten. Denjenigen, die aktiv in der Politik oder in den „Denkfabriken“ tätigwaren, vermittelten die Springer-Zeitungen hingegen ein Gefühl der Gewißheit,daß Deutschland ein verläßlicher Bündnispartner war und daß die Gemeinsamkeitder Interessen fortbestand. Die Springer-Zentrale in Berlin war ein bei Amerikanernbeliebter Ort, an dem der Gedankenaustausch über die Zukunft der transatlantischenGemeinschaft gepflegt wurde. War man auch nicht immer einer Meinung über jede Frage, so teilte man doch die grundsätzliche Vorstellung von einer Schicksals-gemeinschaft.

Die Frage der Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden war in den beiden ersten Jahrzehnten des Bestehens der Bundesrepublik von besonders großer Bedeu-tung. In einem Interview mit dem Spiegel vom 15. August 2005 hat Dr. Mathias Döpfner das von Axel Springer vertretene Prinzip der Wahrung der ExistenzrechteIsraels aufgegriffen und bekräftigt. Als aus Deutschland emigrierter Jude bin ich sehrfroh über diesen Lauf der Dinge. Daran ist abzulesen, daß sich die Beziehungen zwischen Deutschen und Juden normalisiert haben. Man mißt einander am konkre-ten Handeln in der täglichen Politik und läßt nicht mehr die Vergangenheit allesüberschatten. Deutsche Politiker aller Parteien haben in dieser Frage große Sensi-bilität bewiesen. Daran haben die Springer-Zeitungen wesentlichen Anteil.

In den kommenden Jahren werden Deutschland und die Vereinigten Staaten vonAmerika Gelegenheit haben, ihre Ansichten darüber,was die nötigenVoraussetzungen

ÜBERWINDUNG VON GRENZEN Henry A. Kiss inger

84 85

S.080-097_Autoren_4 21.10.2005 12:32 Uhr Seite 84

Page 3: Von Henry A. Kissinger - Axel Springer SE · PDF filefür das Überleben Israels sind, auf diplomatischem Parkett zu testen. Durch den israelischen Abzug aus dem Gazastreifen und angesichts

für das Überleben Israels sind, auf diplomatischem Parkett zu testen. Durch den israelischen Abzug aus dem Gazastreifen und angesichts positiver Entwicklungen in einigen arabischen Ländern hat sich womöglich die Chance eröffnet, eine end-gültige Lösung des Konflikts durch Verhandlungen zu erreichen. Ganz wichtigwird in diesem Zusammenhang sein, daß die europäischen Diplomaten nicht längerals Fürsprecher der arabischen Seite und die USA als Anwälte der Sicherheitsin-teressen Israels erscheinen. Ein Verhandlungserfolg hat viele Voraussetzungen, undetliche davon sind vom Verhalten der Konfliktparteien selbst abhängig. ZentraleBedeutung hat jedoch das ernste Bemühen um eine gemeinsame Position vonAmerikanern und Europäern – und dabei kann Deutschland auf europäischer Seite eine entscheidende Rolle spielen.

Am 20.Todestag von Axel Springer gleicht die Lage, in der die Welt sich befindet,in mancher Hinsicht jener am Ende des ZweitenWeltkriegs. Damals war die bisheri-ge internationale Ordnung zusammengestürzt, ein großes Sicherheitsproblem war inGestalt der Sowjetunion herangewachsen, und Amerika stand immer noch im Bannseiner isolationistischen Vergangenheit. Trotz vieler pessimistischer Erwartungenentwickelte sich eine atlantische Partnerschaft, die die Herausforderungen jenerZeit erfolgreich meisterte.

Heute ist die Welt ähnlich im Umbruch wie damals, und das ist zum großen Teildem Erfolg eben dieser Partnerschaft zu verdanken. Die sowjetische Gefahr existiertnicht mehr, aber auch das traditionelle europäische Staatensystem gehört der Vergan-genheit an. Ein zusammenwachsendes Europa ist auf der Suche nach Identität. Eineneue Bedrohung ist entstanden, losgelöst von traditionellen Staatsgebilden. Infolgeder Globalisierung gibt es neue Machtzentren. Eine neue Weltordnung ist im Ent-stehen begriffen – in einem schmerzlichen und inspirierenden Prozeß.

Kann sich die transatlantische Partnerschaft an die veränderte Situation anpassen?Diejenigen unter uns, die glauben, daß die heutigen Chancen noch größer sind als die vor einer Generation, werden den Beitrag des Hauses Springer gewiß hoch einschätzen.

Erlauben Sie mir zum Schluß eine persönliche Bemerkung. Ich hatte die Ehre, 20 Jahre als Kolumnist für die Welt am Sonntag zu schreiben, und in dieser Zeit hat sich die Redaktion immer sehr hilfsbereit mir gegenüber gezeigt. In den letztenJahren habe ich wiederholt Sorge darüber geäußert, daß meine Ansprechpartner inDeutschland eher einer Generation angehören, die dabei ist, die politische Bühne

zu verlassen. Der Axel SpringerVerlag hat sich bemüht, dieses Defizit zu beseitigen,indem mir bei zahlreichen Anlässen die Gelegenheit verschafft wurde, Gesprächemit jüngeren Deutschen im Alter zwischen 25 und 40 Jahren zu führen. Viele (wennnicht gar die meisten) von ihnen teilten nicht alle in den Springer-Zeitungen vertretenen Standpunkte, und noch weniger standen sie der Politik der USA immerunkritisch gegenüber. Ich habe bei diesen Begegnungen viel gelernt, und ich er-wähne sie, weil sie die wichtige Rolle des Axel Springer Verlags als Förderer dertransatlantischen Beziehungen in besonderer Weise unterstreichen.

Aus dem Englischen vonVolker Englich

ÜBERWINDUNG VON GRENZEN Henry A. Kiss inger

86 87

Henry A. Kiss inger(* 1923), Politiker, Publizist,

1973–1977 Außenminister der USA unter denPräsidenten Richard Nixon und Gerald Ford,

u. a. Autor von „Das Gleichgewicht der Großmächte“, „Memoiren“

S.080-097_Autoren_4 21.10.2005 12:32 Uhr Seite 86