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(Rechts- )Vergleichende Ƞberlegungen zum Tatbestand der Untreue Von Prof. Dr. Thomas Rçnnau, Hamburg * I. Einleitung Wer in Not ist, sollte um Hilfe rufen, jedenfalls um Rat fragen. Mir scheint, der deutsche Untreuetatbestand befindet sich in einer solchen Notsituation. § 266 StGB steht unter großem Rechtfertigungsdruck – und das nicht erst seit gestern! Die Klagen über seine im internationalen Vergleich einzigartig weite Fassung, die auch nur moralisch anstößiges Verhalten einbeziehe, und seine Unbestimmtheit, die viele als verfassungsrechtlich bedenklich, wenn nicht gar als verfassungswidrig einstufen, reißen nicht ab 1 . Gleichzeitig avancierte der Tatbestand gerade im letz- ten Jahrzehnt zu einem Lieblingsinstrument der Strafverfolger im Kampf gegen die Wirtschaftskriminalität, lässt er sich doch in spektakulären Fällen der Wirtschafts- korruption à la „Siemens“ oder „MAN“ ebenso gut einsetzen wie zur Eindäm- mung von Vergütungsexzessen – Stichwort : „Mannesmann“ – oder zur Bestrafung von Vermietern, die Mieterkautionen für eigene Zwecke verwenden 2 . § 266 StGB passt einfach immer 3 , um tatsächlich oder vermeintlich strafwürdiges Verhalten zu kriminalisieren. Anwendungshyperthrophie und Legitimationsprobleme der Norm stehen hier in einem auffälligen Gegensatz zueinander. In anderen Berei- chen ist man da – zumindest punktuell – rechtsstaatlich sensibler. Zu denken ist hier etwa an den – vollkommen missglückten – Verbrechenstatbestand der gewerbs- oder bandenmäßigen Steuerhinterziehung gem. § 370a AO, der zum 1. 1. 2002 eingeführt wurde. Nach heftigen Normattacken aus der Wissenschaft 4 und einem deutlichen Fingerzeig von Frau Harms, der Generalbundesanwältin und ehemaligen Vorsitzenden des bis Mitte 2008 für das Steuerstrafrecht zuständigen 5. BGH-Strafsenats, auf eine mögliche Verfassungswidrigkeit wegen Unbestimmt- * Geringfügig ergänzte und mit Fußnoten versehene Fassung eines Vortrags, den der Verfasser am 18. September 2009 auf der 32. Tagung für Rechtsvergleichung in Köln gehalten hat. Der Vortragsstil wurde weitgehend beibehalten. 1 Statt vieler Dierlamm, in: Münchener Kommentar zum StGB, Bd. 4, 2006, § 266 Rdn. 3 ff.; Seier, in: Achenbach/Ransiek (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. 2008, V 2 Rdn. 19; zusammenfassend Schünemann, in: LK, 11. Aufl. 1998, § 266 Rdn. 29 ff. – jeweils m.w.N. 2 Zur kriminalpolitischen Bedeutung der Untreuevorschrift Saliger, in: Satzger/Schmitt/Wid- maier, 2009, § 266 Rdn. 5. 3 So treffend Ransiek, ZStW 116 (2004), S. 634. 4 Zum Aufschrei in der Fachliteratur siehe nur Joecks, in: Franzen/Gast/Joecks, Steuerstraf- recht, 6. Aufl. 2005, § 370a AO Rdn. 4; Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, 38. Lfg. August 2008, § 370a Rdn. 3 ff.; Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Aufl. 2002, § 23 Rdn. 81; Spat- scheck/Wulf, NJW 2002, 2983, 2984; Burger, wistra 2002, 1; Park, wistra 2003, 328; Salditt, StV 2002, 214; Fahl, wistra 2003, 10 m.w.N. ZStW 122 (2010) Heft 2

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(Rechts- )Vergleichende �berlegungen zum Tatbestand derUntreue

Von Prof. Dr. Thomas Rçnnau, Hamburg*

I. Einleitung

Wer in Not ist, sollte um Hilfe rufen, jedenfalls um Rat fragen. Mir scheint, derdeutsche Untreuetatbestand befindet sich in einer solchen Notsituation. § 266StGB steht unter großem Rechtfertigungsdruck – und das nicht erst seit gestern!Die Klagen über seine im internationalen Vergleich einzigartig weite Fassung, dieauch nur moralisch anstößiges Verhalten einbeziehe, und seine Unbestimmtheit,die viele als verfassungsrechtlich bedenklich, wenn nicht gar als verfassungswidrigeinstufen, reißen nicht ab1. Gleichzeitig avancierte der Tatbestand gerade im letz-ten Jahrzehnt zu einem Lieblingsinstrument der Strafverfolger im Kampf gegen dieWirtschaftskriminalität, lässt er sich doch in spektakulären Fällen der Wirtschafts-korruption à la „Siemens“ oder „MAN“ ebenso gut einsetzen wie zur Eindäm-mung von Vergütungsexzessen – Stichwort: „Mannesmann“ – oder zur Bestrafungvon Vermietern, die Mieterkautionen für eigene Zwecke verwenden2. § 266 StGBpasst einfach immer3, um tatsächlich oder vermeintlich strafwürdiges Verhalten zukriminalisieren. Anwendungshyperthrophie und Legitimationsprobleme derNorm stehen hier in einem auffälligen Gegensatz zueinander. In anderen Berei-chen ist man da – zumindest punktuell – rechtsstaatlich sensibler. Zu denken ist hieretwa an den – vollkommen missglückten – Verbrechenstatbestand der gewerbs-oder bandenmäßigen Steuerhinterziehung gem. § 370a AO, der zum 1.1. 2002eingeführt wurde. Nach heftigen Normattacken aus der Wissenschaft4 undeinem deutlichen Fingerzeig von Frau Harms, der Generalbundesanwältin undehemaligen Vorsitzenden des bis Mitte 2008 für das Steuerstrafrecht zuständigen 5.BGH-Strafsenats, auf eine mögliche Verfassungswidrigkeit wegen Unbestimmt-

* Geringfügig ergänzte und mit Fußnoten versehene Fassung eines Vortrags, den der Verfasseram 18. September 2009 auf der 32. Tagung für Rechtsvergleichung in Köln gehalten hat. DerVortragsstil wurde weitgehend beibehalten.

1 Statt vieler Dierlamm, in: Münchener Kommentar zum StGB, Bd. 4, 2006, § 266 Rdn. 3 ff.;Seier, in: Achenbach/Ransiek (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. 2008, V 2Rdn. 19; zusammenfassend Schünemann, in: LK, 11. Aufl. 1998, § 266 Rdn. 29 ff. – jeweilsm.w.N.

2 Zur kriminalpolitischen Bedeutung der Untreuevorschrift Saliger, in: Satzger/Schmitt/Wid-maier, 2009, § 266 Rdn. 5.

3 So treffend Ransiek, ZStW 116 (2004), S. 634.4 Zum Aufschrei in der Fachliteratur siehe nur Joecks, in: Franzen/Gast/Joecks, Steuerstraf-

recht, 6. Aufl. 2005, § 370a AO Rdn. 4; Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, 38. Lfg.August 2008, § 370a Rdn. 3 ff.; Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Aufl. 2002, § 23 Rdn. 81; Spat-scheck/Wulf, NJW 2002, 2983, 2984; Burger, wistra 2002, 1; Park, wistra 2003, 328; Salditt,StV 2002, 214; Fahl, wistra 2003, 10 m.w.N.

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heit (des Tatbestandsmerkmals „in großem Ausmaß“) und Unverhältnismäßigkeitzwischen erfasster Straftat und angedrohter Sanktion5, spielte diese Strafnorm inder Praxis nahezu keine Rolle (mehr) und wurde zum 1. 1. 2008 abgeschafft6. Dievielen Kritiker des Untreuetatbestandes konnten dagegen bis heute mit ihren Ar-gumenten und Verbesserungsvorschlägen7 jedenfalls nicht soweit durchdringen,dass eine Gesetzesreform auch nur ernsthaft diskutiert würde – im Gegenteil : ImEntwurf eines Sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) hatte dieBundesregierung sogar vorgeschlagen, selbst den Versuch der Untreue unter Strafezu stellen8. Der Druck auf die Entscheidungsträger ist ersichtlich noch nicht großgenug, die Vorzüge eines weiten und begrifflich unscharfen Untreuetatbestandes9

scheinen zu verlockend oder die bisher präsentierten Lösungskonzepte einfach zuwenig überzeugend zu sein, um einer gesetzgeberischen Tatbestandsrestriktionoder gar Streichung des Tatbestandes näher zu treten.

Hier kommt nun die Rechtsvergleichung in den Blick, die Ratsuchenden einewichtige Ideen- und Erfahrungsquelle für die Modifikation oder Neu- bzw. Ab-schaffung von Rechtsvorschriften sein kann10. Dieses Mittel ist in Bezug auf diesachgerechte Fassung eines Untreuetatbestandes nicht einmal ansatzweise ausge-schöpft. Die letzte mir bekannte umfangreichere deutschsprachige Untersuchungzum Thema stammt aus dem Jahre 1906 aus der Feder des Kollegen Freudenthal,abgedruckt in der Vergleichenden Darstellung des Deutschen und Ausländischen

5 Harms, Festschrift für Kohlmann, 2003, S. 413, 419 ff.; zudem BGH NStZ 2005, 105 f.:Strafnorm des § 370a AO begegnet mangels ausreichender Bestimmtheit des Verbrechens-merkmals „in großem Ausmaß“ erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken.

6 Abschaffung (an versteckter Stelle) durch Art. 3 Nr. 3 des Gesetz(es) zur Neuregelung derTelekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowiezur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21.12.2007, BGBl. I S. 3198, 3209.

7 Zur Reform der Untreue näher AE-StGB Besonderer Teil. Straftaten gegen die Wirtschaft,1977, S. 127 ff.; Weber, Festschrift für Dreher, 1977, S. 555; Labsch, Untreue (§ 266 StGB),1983, S. 217 ff.; Haas, Die Untreue (§ 266 StGB). Vorschläge de lege ferenda und geltendesRecht, 1997; Schramm, Untreue und Konsens, 2005, S. 245 ff.; Vrzal, Die Versuchsstrafbar-keit der Untreue de lege ferenda, 2005; Rentrop, Untreue und Unterschlagung (§§ 266 und 246StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert, 2007.

8 BT-Drucks. 13/8587 S. 10 und 43: Die Gleichstellung mit dem Betrug und die „damit ver-bundene Vorverlagerung des Strafschutzes erscheint vor allem im Hinblick auf Fälle geboten,in denen hohe Schäden – u.U. in Millionenhöhe – drohen“. Der Vorschlag wurde vomRechtsausschuss ohne Angaben von Gründen fallengelassen (BT-Drucks. 13/9064 S. 20). Mitguten Argumenten gegen eine Strafbarkeit der versuchten Untreue Matt/Saliger, in: Institutfür Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie (Hrsg.). Irrwege der Strafgesetzgebung,1999, S. 217 m.w.N.; dafür aber Günther, Festschrift für Weber, 2004, S. 311, 317 und – nachdem Vorbild der Schweiz und Österreichs – Vrzal (Anm. 7), S. 104, 164 ff.

9 Die Rechtsprechung und h.M. halten eine dem Bestimmtheitsgebot genügende Auslegung des§ 266 StGB für möglich; vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl. 2010, § 266 Rdn. 5 und ders., StV 2010,95; jüngst vom BVerfG (NJW 2009, 2370) für das Tatbestandsmerkmal des „Nachteils“ be-stätigt.

10 Instruktiv zu Begriff, Funktion und Zielen der Rechtsvergleichung Zweigert/Kötz, Einfüh-rung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 1 ff.

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Strafrechts zum Besonderen Teil11. Fast 100 Jahre später, im Oktober 2000, gab esdann noch ein – durch mehrere Veranstaltungen vorbereitetes – zweitägiges (Ab-schluss-)Symposium in Freiburg/Breisgau, auf dem mit Blick auf zu schaffende„Europadelikte“ über die Harmonisierung der Strafnormen aus dem Wirtschafts-strafrecht – darunter auch die Untreue – diskutiert wurde und an dem als Refe-renten u. a. die Kollegen Weigend und Foffani mitgewirkt haben12. Es sprechen alsogute, fast zwingende Gründe dafür, sich mit der strafrechtlichen Untreue auchrechtsvergleichend intensiver auseinander zu setzen. Die heutige Tagung bietethierzu eine gute Gelegenheit, auf diesem Weg ein kleines Stück voranzukommen.

Nachdem bisher in den Referaten die Untreuedogmatik aus der Perspektiveausgewählter Nationalstaaten dargelegt wurde, will ich „(rechts-)vergleichendeÜberlegungen zum Tatbestand der Untreue“ anstellen. Das ist deshalb nichtganz einfach, weil zur Untreuethematik schon im nationalen Rechtsrahmen –und für Deutschland kann ich das mit Gewissheit sagen – eine kaum noch über-schaubare Flut von Rechtsprechung und Literatur existiert und zudem meineKenntnisse über fremde Rechtsordnungen allein aufgrund der natürlichen Sprach-barriere und des fehlenden direkten Kontakts zur ausländischen Rechtspraxis not-wendig begrenzt sind. Ich will mich dieser Herkules-Aufgabe – weil reizvoll –trotzdem stellen und in meinem Referat versuchen, auf Basis der für mich erreich-baren Literatur, vornehmlich aber in Auswertung der vorgelegten Länderberichte,markante Unterschiede in der internationalen Behandlung untreuerelevanter Sach-verhalte herauszuarbeiten sowie Vor- und Nachteile der angebotenen Lösungen zudiskutieren. Schon aus Zeitgründen muss ich mich dabei auf die wirklich charak-teristischen Merkmale der Regelungsmodelle beschränken.

Um für den Vergleich einen Anker- und Ausgangspunkt zu haben, werde ichdazu in einem Ersten Teil kurz den deutschen Untreuetatbestand sowie seinewesentlichen Problemfelder skizzieren. Dieses Vorgehen erscheint auf den erstenBlick willkürlich, hätte doch auch jedes andere Land den Vergleichsmaßstab ab-geben können. Den ersten Pflock hier einzuschlagen hat zum einen den Vorteil,dass mir als Referent das deutsche Strafrecht als Heimatrecht noch am geläufigstenist. Es bietet sich aber zum anderen vor allem deshalb an, weil sich das hinter § 266

11 Konkret Freudenthal, Die Untreue (§ 266 RStGB und Nebengesetze), in: VergleichendeDarstellung des Deutschen und Ausländischen Strafrechts, Besonderer Teil, Bd. VIII, 1906,S. 105–159 mit einem deutlichen Plädoyer für einen weiten allgemeinen Untreuetatbestand;eine knappe Vorstellung zahlreicher ausländischer Untreueregelungen liefert Krause, DieUntreue, in: Materialien zur Strafrechtsreform, Bd. 2, 1955, S. 367–377 und in jüngerer ZeitSchünemann (Anm. 1), Rdn. 191–195; Schramm (Anm. 7), S. 257–262 sowie Cappel,Grenzen auf dem Weg zu einem europäischen Untreuestrafrecht, 2009, S. 187–213; ders.,KritV 2008, 94, 104–108.

12 Vgl. das Sammelwerk „Wirtschaftsstrafrecht in der Europäischen Union“ (Hrsg. Tiedemann),Freiburg-Symposium, 2002; darin zur Untreue Foffani (a.a.O.), S. 311, 325 ff. (mit Formu-lierungsvorschlägen zu Untreuetatbeständen [als „Europadelikte“] in Art. 45, 46, 50, 54[S. 474 ff.]; krit. dazu Otto [a.a.O.], S. 353, 362 ff.). Näher zu europabezogenen Untreuetat-beständen Schramm (Anm. 7), S. 267 ff. und Cappel (Anm. 11), S. 216 ff.

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StGB stehende Modell eines allgemeinen rechtsgebietsübergreifenden Untreuetat-bestandes – wenngleich in verschiedenen nationalen Varianten – auch weit außer-halb der germanischen Rechtsordnungen verbreitet hat, es sich also um ein echtesGrundmodell handelt. Neben den deutschsprachigen Ländern wie Österreich undder Schweiz findet man es heute auch in Rechtsordnungen von Nord- und Mit-teleuropa sowie Asien und Lateinamerika bis hin zu den neuen Strafgesetzbüchernder osteuropäischen Länder13. Die Lösungsansätze und Erfahrungen, die Staatenohne – jedenfalls formal so bezeichneten – Untreuetatbestand wie etwa Englandoder Nationen mit bereichsspezifischen Untreuenormen wie Frankreich, Spanienoder Italien bereithalten, sollen dann in einem breiteren Zweiten Teil des Vortragsin ihren Grundzügen analysiert und ggf. fruchtbar gemacht werden. Das allesüberragende Erkenntnisinteresse der Betrachtungen besteht darin herauszufinden,inwieweit Verhalten im Umgang mit fremdem Vermögen, das strafwürdig und-bedürftig erscheint, in einem Tatbestand erfasst werden kann, der rechtsstaatli-chen Anforderungen genügt. Etwaige Fortschritte auf diesem Weg könnten dannspäter bei einer Reform des deutschen Rechts oder gar bei einer europaweitenHarmonisierung des Untreuetatbestandes von Nutzen sein.

II. Der deutsche Untreuetatbestand und seine Probleme im �berblick

1. Die Strukturmerkmale der Untreue

Der in seinem Kern seit 1933 unverändert gebliebene deutsche Untreuetatbestandist historisch bekanntlich eine Kombination aus Missbrauchs- und Treubruchsva-riante, da man sich damals nicht für ein Modell entscheiden konnte14. Mittlerweileherrscht allerdings eine streng monistische Untreuetheorie vor, nachdem Recht-sprechung und h.L. in Folge des 1972 ergangenen bahnbrechenden Scheckkarten-urteils als Untreuehandlung für beide Tatvarianten die Verletzung einer qualifi-zierten Vermögensbetreuungspflicht fordern15. Bei der Untreue gem. § 266 StGBhandelt es sich um ein klassisches Vermögensdelikt im engeren Sinne, das sich aufder Erfolgsseite wie auch Betrug und Erpressung durch den Eintritt eines Vermö-gensschadens auszeichnet. Ihr spezifisches Unrechtsgepräge erfährt die Untreuedagegen auf der Seite des Handlungsunrechts: Der Täter schädigt fremdes Ver-mögen, indem er die ihm zwecks Vermögensbetreuung im Geschäftsherreninter-esse eingeräumte Vertrauensstellung ausnutzt, das Vermögen also „von innen her-aus“ aushöhlt. Der Unrechtstypus, der hier im Hintergrund steht und bei der (re-striktiven) Auslegung des Untreuetatbestandes vielen als Orientierung dient, lässt

13 Vgl. die Nachweise bei Foffani, Festschrift für Tiedemann, 2008, S. 767, 775 f.; weiterhinCappel (Anm. 11), S. 188 ff.

14 Näher Schünemann (Anm. 1), Rdn. 4 ff.; auch Maiwald, in: Maurach/Schroeder/Maiwald,Strafrecht Besonderer Teil 1, 10. Aufl. 2009, § 45 Rdn. 9; Seier (Anm. 1), Rdn. 17.

15 Saliger (Anm. 2), Rdn. 6 m.w.N.

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sich als „Missbrauch einer dem Täter übertragenen fremdnützigen Herrschaft“beschreiben16. Auf diesen Strafgrund und seine Berechtigung wird im späterenModellvergleich noch mehrfach zurückzukommen sein.

2. Wesentliche Problemfelder

Wer sich wie Deutschland einen weiten allgemeinen Untreuetatbestand „leistet“,muss große Anstrengungen unternehmen, ihn rechtsstaatlichen Maßstäben gemäßeinzuschränken17. Dementsprechend bemühen sich Rechtsprechung und Wissen-schaft seit dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus um eine restriktive Aus-legung des generalklauselartig formulierten Tatbestandes. Die Versuche mündetenbis heute aber noch nicht in eine klare Konturierung der Strafnorm. Denn imBestreben, bei grobem und folgenschwerem Fehlverhalten wenigstens eine Straf-barkeit wegen Untreue ausweisen zu können, hat insbesondere die Rechtspre-chung die tatbestandlichen Grenzen immer mehr zu Lasten des Normadressatenausgedehnt18. Da bei weiter Tatbestandsfassung und -auslegung untreueartigeSondervorschriften im Handels- und Gesellschaftsrecht überflüssig wurden, hobder Gesetzgeber sie nach und nach auf19. Bis auf das geschützte Rechtsgut, daseinvernehmlich – und ausschließlich – im Vermögen gesehen wird, stehen mitt-lerweile alle Tatbestandsmerkmale des § 266 StGB in der Kritik; im Weiterensollen kurz die wichtigsten Problemfelder umrissen werden.

a) Auf Tathandlungsseite

Schon klassisch ist das Problem der Festlegung des Täterprofils. Da sich der im-merhin 18 Berufsgruppen aufzählende numerus clausus tauglicher Täter im RStGBvon 1871 trotz extensiver Auslegung bald als zu eng erwies, verfiel der Gesetzgeber1933 mit Schaffung der noch heute maßgeblichen weiten Tatbestandsfassung insandere Extrem, um möglichst lückenlos alle Fälle strafwürdiger treuwidriger Ver-mögensschädigungen erfassen zu können20. Danach ist Dreh- und Angelpunkt fürdie Bestimmung des Täterkreises die Vermögensbetreuungspflicht. Die Rechtspre-chung greift zu deren Konturierung auf einen Indizienkatalog zurück, während die

16 Zur Untreuestruktur Rönnau, ZStW 119 (2007), S. 887, 890 ff. m.w.N.17 Das haben auch die Schweizer gemerkt, deren in Art. 158 schw. StGB geregelte „ungetreue

Geschäftsbesorgung“ der deutschen Untreuenorm sehr ähnlich ist und daher parallele Pro-bleme aufwirft; siehe nur Niggli, in: Basler Kommentar, 2. Aufl. 2007, Art. 158 Rdn. 6, 9 ff. ;Donatsch, ZStR 114 (1996), S. 200, 201 ff.; Urban, Die ungetreue Geschäftsbesorgung gem.Art. 158 StGB, 2002, S. 16 ff.

18 Zu dieser Ausweitungstendenz näher Saliger, ZStW 112 (2000), S. 563, 589 ff. mit Rspr.-Nachweisen.

19 Zusammenstellung etwa bei Weber, Festschrift für Dreher, S. 555 f.; ausführlich zu den (ge-strichenen) gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbeständen Nelles, Untreue zum Nachteil vonGesellschaften, 1991, S. 40–90 (mit umfassendem Gesetzesregister und dem Wortlaut deraufgehobenen Bestimmungen im Anhang S. 615–667).

20 Vgl. Schünemann (Anm. 1), Vor Rdn. 1 (Entstehungsgeschichte Absätze 3 und 4 [mitWortlaut des RStGB von 1871]).

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Literatur sich – bei manchen Unterschieden im Detail – zusätzlich um eine fall-gruppenorientierte und am Strafgrund der Untreue ausgerichtete Systematisierungbemüht. Als Indizien für das Vorliegen einer qualifizierten Vermögensbetreuungs-pflicht dienen dabei der Charakter der Betreuungspflicht als Hauptpflicht sowieeine selbständige Stellung des Treuepflichtigen genauso wie Umfang und Dauerder Tätigkeit21. Die großen Anwendungsunsicherheiten resultieren nun daraus,dass nach der Rechtsprechung unklar bleibt, welche Kriterien mit welchem Ge-wicht in die notwendige Gesamtschau einzubringen sind – Beulke spricht hier inder Festschrift für Eisenberg von einem „Lotteriespiel“22 –, wenngleich die jüngs-ten Aufsehen erregenden Untreueverfahren Täter betrafen, die als Geschäftsfüh-rer, Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied bzw. Parteivorsitzender ohne Zweifelvermögensbetreuungspflichtig waren23.

Der äußerst blassen Beschreibung der Tathandlung – jedenfalls in der Treu-bruchsvariante – lässt sich für die Verhaltensorientierung ebenfalls wenig abge-winnen. § 266 StGB setzt hier nicht mehr voraus als die Verletzung der dem Täter„obliegenden Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen“. Weder er-fährt der Normadressat etwas über die konkrete Quelle und Qualität der pflicht-begründenden Norm noch über die Anforderungen, denen die Pflichtverletzunggenügen muss. Diskutiert werden in diesem Kontext in letzter Zeit vor allem zweiProbleme: Einmal gibt es Meinungsverschiedenheiten darüber, in welchem Ver-hältnis Vermögensbetreuungspflicht und Pflichtverletzung zueinander stehenmüssen. Eine stark vertretene und überzeugende Ansicht fordert hier für eineUntreuestrafbarkeit einen funktionalen Zusammenhang, so dass der Täter diekonkrete Pflicht nicht nur bei Gelegenheit der Vermögensbetreuung, sondern zu-gleich als Vermögensbetreuer verletzt haben muss24. Vor allem aber wird – zwei-tens – darüber gestritten, ob die Pflichtverletzung einen gewissen Schweregradaufweisen muss, um strafbar zu sein25. Hintergrund des Streits ist die Akzessorietätdes Untreuetatbestandes zu den Bezugsnormen des vorgelagerten Zivil- und Öf-fentlichen Rechts26. Diese beschreiben (gerade im Gesellschaftsrecht) das geboteneVerhalten des treupflichtigen Entscheidungsträgers häufig nur durch unbestimmteBegriffe oder Leitbilder wie den „ordentlichen und gewissenhaften Geschäftslei-ter“. Um insbesondere Führungskräfte bei riskanten unternehmerischen Entschei-dungen vor einer unangemessenen Strafbarkeit zu schützen, lassen Teile der neue-ren Rechtsprechung des BGH (jedenfalls bereichsspezifisch) nicht jede Pflichtver-letzung als untreuetaugliche Pflichtwidrigkeit ausreichen, sondern nur eine „gra-

21 Näher Fischer (Anm. 9), Rdn. 33 ff. (mit Kritik an dieser wertenden Gesamtbetrachtung inRdn. 37); Saliger (Anm. 2), Rdn. 10 f. – jew. m.w.N.

22 Beulke, Festschrift für Eisenberg, 2009, S. 245, 250 m.w.N. zur Kritik an dieser Methode.23 Vgl. Rönnau, ZStW 119 (2007), S. 887, 888 Fn. 2; Perron, GA 2009, 219, 225.24 Näher Saliger (Anm. 2), Rdn. 37 ff. m.w.N.25 Statt vieler Dierlamm (Anm. 1), Rdn. 154 ff., Saliger (Anm. 2), Rdn. 40 ff. und Seibt/Schwarz,

AG 2010, 301, 310 ff. – jew. m.w.N.26 Ausführlicher zur Akzessorietät der Untreue Rönnau, ZStW 119 (2007), S. 887, 903 ff.; auch

Saliger (Anm. 2), Rdn. 31.

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vierende“, die wiederum anhand eines Indizienkatalogs festgestellt wird. Ob damitallerdings eine zusätzliche strafrechtliche Prüfungsstufe errichtet wurde, wie An-hänger einer limitierten bzw. asymmetrischen Akzessorietät unter Hinweis aufden ultima-ratio-Charakter des Strafrechts meinen, oder schon bei Überschreitungder äußeren Grenzen unternehmerischen Ermessens die Strafwürdigkeitsschwelleerreicht ist, ist dann Gegenstand einer heftigen Auseinandersetzung27. Dabei spieltals Unterfrage auch eine Rolle, wem bei unterschiedlicher Interpretation der An-knüpfungsnorm im Zivil- oder Öffentlichen Recht eigentlich die Auslegungskom-petenz zukommt28.

Zur Einwilligung muss bei dieser Problemskizze nur ein Hinweis genügen.Dass ein wirksames Einverständnis mit dem vermögensschädigenden Verhaltendie Pflichtwidrigkeit ausschließt, entspricht allgemeiner Auffassung. Darüber,welches Organ bei juristischen Personen für die Erteilung des Einverständnissesmit an sich pflichtwidrigem Verhalten (etwa der Bildung schwarzer Kassen) zu-ständig ist und welche Gründe die Einwilligung unwirksam machen, herrscht abernoch große Unklarheit29.

b) Auf Erfolgsseite

Die Extensionstendenzen haben auch vor dem Erfolg der Untreue, dem Vermö-gensschaden, nicht halt gemacht. Das lässt sich gut anhand von zwei Gesichts-punkten aus der jüngeren Schadensdogmatik darstellen. Einmal geht es um dieFallgruppe der konkreten schadensgleichen Vermögensgefährdung, die die ständi-ge Rechtsprechung und Lehre als Vermögensnachteil bei der Untreue wie beimBetrug anerkennen30. Als „schadensgleich“ wird dabei eine Vermögensgefährdungeingestuft, die so konkret ist, dass bei wirtschaftlicher Betrachtung bereits einegegenwärtige Minderung des Vermögensgesamtwerts eingetreten ist. Zu denkenist hier etwa an die Vergabe riskanter (ungesicherter) Kredite31 oder wie im „Kan-ther“-Fall an die Bildung schwarzer Kassen32. Diese ersichtlich zur Vorverlage-rung des Vollendungszeitpunkts führende Rechtsfigur mag beim Betrug, der eineVersuchsstrafbarkeit kennt und im objektiven und subjektiven Tatbestand weitereeinschränkende Merkmale enthält, noch akzeptabel sein. Bei Anwendung auf denmerkmalsarmen Untreuetatbestand besteht dagegen ständig die Gefahr, eine nur

27 Detaillierter Saliger (Anm. 2), Rdn. 40 ff. (mit Rspr.-Analyse).28 Vgl. Rönnau, ZStW 119 (2007), S. 887, 913 ff.; Beulke, Festschrift für Eisenberg, S. 245, 251 f.;

Ransiek/Hüls, ZGR 2009, 157, 172; Seibt/Schwarz, AG 2010, 301, 304, 307 ff.; auch Lü-derssen, StV 2009, 486, 492.

29 Monographisch dazu in jüngerer Zeit Schramm (Anm. 7), insbes. S. 90 ff., 102, 107 ff., 141 ff.,151 ff., 225 ff.; auch Lichtenwimmer, Untreueschutz der GmbH gegen den übereinstim-menden Willen der Gesellschafter?, 2008, S. 169 ff.; weiterhin Rönnau, Festschrift für Ame-lung, 2009, S. 247; ders., StV 2009, 246, 247 f.; Fischer (Anm. 9), Rdn. 90 ff.; Satzger, NStZ2009, 297, 301 f. Zur Bedeutung des Einverständnisses bei Personengesellschaften ausführli-cher Soyka, Untreue zum Nachteil von Personengesellschaften, 2008, S. 141 ff., 169 ff.

30 Näher zum Folgenden Saliger (Anm. 2), Rdn. 66 ff. und Fischer, StV 2010, 95 – jew. m.w.N.31 Jüngst BGH wistra 2010, 21 – „WestLB“.32 BGHSt. 51, 100.

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abstrakte Vermögensgefährdung als konkreten – in der Praxis regelmäßig nichtweiter bezifferten – Gefährdungsschaden zu qualifizieren und damit die gesetzli-che Wertung der Straflosigkeit des Untreueversuchs zu unterlaufen. In der Recht-sprechung finden sich hierfür reichlich Beispiele. Die zur Vermeidung dieses Er-gebnisses für den objektiven oder subjektiven Tatbestand angebotenen Restrikti-onsansätze sind vielfältig und werden im weiteren Text noch aufgegriffen, sofernsie als Lösungsvorschlag auch im ausländischen Untreuerecht erscheinen.

Auf der anderen Seite geht es um die Schadensbegründung durch Vereitelungvon Vermögenszuwächsen33. Im Prototyp lässt sich hier ein Geschäftsführer vomGeschäftspartner im Zusammenhang mit einem Vertragsschluss ein Schmiergeldzahlen, das wirtschaftlich aus dem Vermögen seines Geschäftsherrn, der GmbH,finanziert wird. Der Vorwurf an den Geschäftsführer lautet dann zumeist: „Duhast zu teuer gekauft!“. Große praktische Probleme bereitet in diesen Fällen al-lerdings der Beweis, dass der Provisionsgeber seine Leistung auch zu einem um dasBestechungsgeld verminderten Preis – und damit für den Geschäftsherrn günstiger– erbracht hätte, durch den Vertragsschluss also eine vermögenswerte Exspektanzder GmbH zerstört wurde. Die Rechtsprechung setzt sich z.T. über diese Schwie-rigkeiten hinweg und behandelt Provisions- oder Schmiergeldzahlungen als Min-destschaden i.S.v. § 266 StGB. Jedenfalls der Betrag – so der BGH –, den derVertragspartner für Schmiergelder aufwendet, hätte im Regelfall in Form einesPreisnachlasses oder -aufschlags auch dem Geschäftsherrn des Empfängers ge-währt werden können34; ob die günstigere Vermögenslage beim Geschäftsherrntatsächlich eingetreten wäre, ist danach unerheblich. Hier wird zu Recht die Nor-mativierung, ja sogar Fiktionalisierung des Vermögensschadens, der nicht mehrvom Verlust einer vermögenswerten Exspektanz abhängen soll, kritisiert35.

c) Im subjektiven Tatbestand

Der außerordentlichen Weite des objektiven Untreuetatbestandes versucht dieRechtsprechung allerdings dadurch zu begegnen, dass sie an den Nachweis desTatvorsatzes besonders hohe Anforderungen stellt, wenn lediglich Eventualvor-satz in Betracht kommt oder der Täter nicht eigennützig gehandelt hat36. Im „Kan-ther“-Urteil ist der 2. BGH-Strafsenat sogar noch einen Schritt weiter gegangen:Um zu vermeiden, dass die Untreue als Verletzungsdelikt zu einem bloßen Ge-fährdungsdelikt mutiere, sei bei bloßen Gefährdungsschäden zu verlangen, dassder bedingte Vorsatz nicht nur die Kenntnis des Täters von der konkreten Mög-

33 Ausführlich zur Kick-Back-Problematik Rönnau, Festschrift für Kohlmann, 2003, S. 239;auch Saliger (Anm. 2), Rdn. 64 f. – jew. m.w.N.; monographisch zuletzt Thalhofer, Kick-Backs, Exspektanzen und Vermögensnachteil nach § 266 StGB, 2008.

34 BGHSt. 49, 317, 332; 50, 299, 313 f.; BGH NJW 2006, 2864, 2867; BGH wistra 2010, 181,184.35 Siehe nur Beulke, Festschrift für Eisenberg, S. 245, 261. Zu weiteren Rechtsproblemen des

objektiven Untreuetatbestandes wie der Personalisierung des Schadensbegriffs, einer erwei-terten Gesamtbetrachtung bei der Saldierung oder der Bedeutung der objektiven Zurechnungvgl. Saliger, JA 2007, 326, 330 ff.

36 Nachw. bei Saliger (Anm. 2), Rdn. 104.

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lichkeit des Schadenseintritts und das Inkaufnehmen dieser Gefahr umfasse, son-dern auch die Billigung der Realisierung dieser Gefahr beinhalte37. Diese Bemü-hungen um Einschränkung des Tatbestandes sind in der Tendenz im Schrifttumeinhellig begrüßt, in der dogmatischen Verortung und Fundierung jedoch über-wiegend abgelehnt worden38. Angesichts der Schwierigkeiten der tatrichterlichenVorsatzfeststellung werden auch ihre praktischen Wirkungen bezweifelt39.

III. Der Umgang mit Untreuesachverhalten in anderen Rechtsordnungen

Nach dieser eher ernüchternden Problemskizze zum deutschen Untreuetatbe-stand ist es natürlich von besonderem Interesse zu erfahren, wie andere Rechts-ordnungen Sachverhalte, in denen Treunehmer pflichtwidrig mit fremdem Ver-mögen umgehen, (straf-)juristisch aufarbeiten, um dann im Vergleich mit demdeutschen Grundmodell die Vor- und Nachteile dieser Regelungstypen heraus-zuarbeiten. Der Blick soll hier zunächst auf das von Frau du Bois-Pedain vorge-stellte englische Modell gerichtet werden, das – jedenfalls begrifflich – ohne einenallgemeinen oder speziellen Untreuetatbestand auskommt (1.). Im Anschlussdaran wird der von den Kollegen Foffani und Luzón Peña skizzierte franzö-sisch-romanische Alternativweg analysiert, der zwar keinen dem deutschen§ 266 StGB vergleichbaren Straftatbestand vorsieht, dafür aber insbesondere imGesellschaftsrecht Spezialtatbestände installiert hat (2.). Mit Bemerkungen zueinem vorzugswürdigen, aber enger gefassten allgemeinen Untreuetatbestandschließt dann mein Vortrag.

1. Das englische Modell ohne (formalen) Untreuetatbestand

Formal kennt das englische – wie auch das US-amerikanische – Strafrecht bis heutekeinen Untreuetatbestand. Materiell wird nach dem Bericht von Frau du Bois-Pedain Untreue bzw. untreueähnliches Verhalten in England durch den 2006 ge-schaffenen Fraud Act (F.A.) – hier insbesondere dessen § 4 – im Zusammenwirkenmit den schon klassischen, ursprünglich aus dem Common Law entwickeltenDiebstahlstatbeständen sowie einigen Spezialvorschriften erfasst40. Diese bisheute anhaltende Zurückhaltung gegenüber einem (allgemeinen) Untreuetatbe-

37 BGHSt. 51, 100, 121 Rdn. 62 f.38 Pars pro toto Schünemann (Anm. 1), Rdn. 151; Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, 27.

Aufl. 2006, § 266 Rdn. 50; Ransiek/Hüls, ZGR 2009, 157, 168; Fischer, NStZ-Sonderheft2009, 8, 16: Rechtsprechung zu den „besonders erhöhten Anforderungen“ vermischt wohl„Kriterien der Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung (,Anforderungen’ an die Fest-stellung) mit dogmatischen Kategorien (,Voraussetzungen’ des Vorsatzes); das führt zu einerbloßen Schein-Einschränkung des Tatbestands (…)“.

39 Perron, GA 2009, 219, 231; auch Bernsmann, GA 2007, 219, 230 f.40 Du Bois-Pedain, ZStW 122 (2010), S. 325 ff.; auch Grau/Airey/Frick, BB 2009, 1426, 1429.

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stand, die sich auch in anderen Staaten gerade des Mittelmeerraumes findet41, hatnatürlich viel mit der Geschichte des jeweiligen Landes und der Entwicklung seines(Straf-)Rechtssystems zu tun. Sie wirft aber grundsätzlich die Frage auf, ob einUntreuetatbestand, der die treuwidrige Schädigung fremden Vermögens unterStrafe stellt, überhaupt notwendig und legitim ist. Darauf soll hier kurz geantwor-tet werden, bevor das englische Regelungssystem näher untersucht wird.

a) Legitimität und Funktion eines Untreuetatbestandes

Alle älteren Strafrechtsordnungen kennen zum Schutz von Besitz oder Eigentumgleichsam als „Urdelikt“ den Diebstahl, der die Wegnahme fremder Sachen inBereicherungs- bzw. Zueignungsabsicht sanktioniert. Das war im römischenRechtskreis mit dem „furtum“ nicht anders als im germanischen42 oder späterim englischen Recht mit dem „larceny“43. Die weitere Ausdifferenzierung derVermögensdelikte in Diebstahl, Unterschlagung, Betrug etc. nahm in den einzel-nen Ländern dann unterschiedlich viel Zeit in Anspruch. Selbst in Deutschlandwurde der Untreuetatbestand als kohärenter Typus eines Vermögensdelikts erst im19. Jahrhundert ausgestaltet44.

Für die Kriminalisierung der Untreue als Akt der Schädigung anvertrautenVermögens spricht zunächst seine besondere Funktion: Kein anderer Straftatbe-stand aus dem Reigen der klassischen Eigentums- und Vermögensdelikte bietetSchutz gegen Vermögensangriffe von innen heraus, also vor demjenigen, der alsEntscheidungsträger zur Verwaltung und Verwahrung des Vermögens abgestelltist. Ein nach Gerechtigkeitsgesichtspunkten organisiertes Strafrecht kann es nichtzulassen, dass nur die „Kleinen“ verfolgt werden, die „Großen“ und „Mächtigen“aber, denen nicht selten erhebliche Vermögenswerte anvertraut werden, selbstgrobe schadensträchtige Vermögensbetreuungspflichtverletzungen ohne Strafbar-keitsrisiko begehen könnten. Schünemann hat Recht: Strafrecht muss auch Ober-schichtenstrafrecht sein – gerade vor dem Hintergrund der in unserer Wirtschafthoch entwickelten Arbeitsteilung mit dem typischen Auseinanderfallen von Ma-

41 So für den romanischen Rechtskreis Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskri-minalität Besonderer Teil, 1976, S. 133, 134 f.; ders., Festschrift für Würtenberger, 1977,S. 241, 252; auch Foffani, Festschrift für Tiedemann, S. 767, 775; ders., in: Bedeutung derStrafrechtsdogmatik in Geschichte und Gegenwart (Hrsg. Loos/Jehle), 2007, S. 83, 85.

42 Vgl. Janßen, Der Diebstahl in seiner Entwicklung von der Carolina bis zum Ausgang des 18.Jahrhunderts, 1969, S. 1 ff.; Bittner, Der Gewahrsamsbegriff und seine Bedeutung für dieSystematik der Vermögensdelikte, 1972, S. 49 ff.; auch Rönnau, JuS 2009, 1088.

43 Zur historischen Entwicklung und Bedeutung von „larceny“ G.P. Fletcher, Rethinking Cri-minal Law (Boston: Little, Brown 1978), S. 3–110; G. Ferris, The origins of „larceny by atrick“ and “constructive possession”, Criminal Law Review 1998, S. 175; auch du Bois-Pe-dain, ZStW 122 (2010), S. 325, 326.

44 Kindhäuser, in: Nomos Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2010, § 266 Rdn. 4 ff. m.w.N.; aus-führlich zu den geschichtlichen Grundlagen der Untreue H. Mayer, Die Untreue im Zu-sammenhang der Vermögensverbrechen, 1926, S. 4 ff. ; ders., Die Untreue, in: Bundesministerder Justiz (Hrsg.), Materialien zur Strafrechtsreform, Bd. 1, 1954, S. 333; Rentrop (Anm. 7),S. 7 ff.

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nagement und Anteilseignerstellung sowie der Unmöglichkeit, die komplexenWirtschaftsvorgänge effektiv zu kontrollieren45. Das Bedürfnis in Ländern ohne(allgemeinen) Untreuetatbestand, die dadurch auftretenden Lücken im Wege einernicht selten massiven Ausweitung anderer Vermögensdelikte (mit abweichenderTatbestandsstruktur und z. T. anderem Rechtsgut!) zu schließen, lässt sich in vielenRechtsordnungen feststellen46. Eine solche Methode verdirbt aber die Dogmatikder Tatbestände, die aushelfen müssen. Sie ist ersichtlich eine Verlegenheitslösungund bringt viel Unklarheit und Widersprüchliches in ein Schutzsystem47.

b) Kritik an § 4 Fraud Act 2006

Auch in England hat man mittlerweile gespürt, dass allein die (im Theft Act 1968)normierten Diebstahlstatbestände, die in mehreren Sondervorschriften in Rich-tung Unterschlagung und Betrug erweitert wurden, nebst dem gesetzlich nichtgeregelten Common-Law-Offence ,conspiracy to defraud’ zur Erfassung desstrafwürdigen Unrechts nicht ausreichen. Der Fraud Act 200648 mit seinen weitausgreifenden Betrugstatbeständen soll hier Abhilfe schaffen49. Weil vor allemdessen § 450 (i.V.m. § 1 (2) (c)) eine untreueähnliche Strafnorm enthält, will ich

45 Schünemann, in: Kühne/Miyazawa (Hrsg.), Alte Strafrechtsstrukturen und neue gesell-schaftliche Herausforderungen in Japan und Deutschland, 2000, S. 17; ders., StraFo 2010, 1und Rönnau, ZStW 119 (2007), S. 887, 891 f. – jew. m.w.N. In diesem Sinne jüngst auchRentrop (Anm. 7), S. 281, 287 ff. unter Hinweis auf das neben dem ultima-ratio-Grundsatz imStrafrecht anerkannte Prinzip der Proportionalität, „verstanden als gleiche Strenge und Mildegegenüber typischen Verhaltensweisen unterschiedlicher Bevölkerungsschichten bei ver-gleichbarer Sozialschädlichkeit“ (nach Vormbaum, Festschrift für Gmür, 1983, S. 323, 336,der Proportionalitätserwägungen allerdings für eine Entkriminalisierung anführt).

46 So neigt etwa die spanische Rechtsprechungspraxis bis heute dazu, Fälle treuwidriger Ver-mögensschädigungen durch eine weite (auch unkörperliche Vermögenswerte einbeziehende)Auslegung des Unterschlagungstatbestandes (Art. 252 CP) zu erfassen (vgl. Foffani, Fest-schrift für Tiedemann, S. 767, 782 m.w.N.), vor Einführung der gesellschaftsrechtlichenUntreue (Art. 295 CP) im Jahre 1995 – insbesondere vor dem Reformentwurf 1983 – auchunter Rückgriff auf den Betrugstatbestand (so Bacigalupo, in: Bausteine des europäischenWirtschaftsstrafrechts. Madrid-Symposium für Klaus Tiedemann [Hrsg. Schünemann/SuárezGonzález], 1994, S. 201, 203). Vgl. zu ähnlichen Tendenzen im englischen Strafrecht (unterEinsatz eines weiten – hier in Richtung Unterschlagung und Betrug erweiterten – Dieb-stahlstatbestandes) du Bois-Pedain, ZStW 122 (2010), S. 325, 326 f., 334 f.; für das französischeStrafrecht (Ausdehnung des Unterschlagungstatbestandes) Foffani, Festschrift für Tiede-mann, S. 767, 777 Fn. 60. Nach Labsch (Anm. 7), S. 268 ist das Fehlen einer allgemeinenUntreuevorschrift gerade der Grund für die Vielzahl von Sondertatbeständen im romanischenRechtsraum.

47 Über eine Streichung des Untreuetatbestandes (als „große Lösung“) denkt denn auch inDeutschland keiner ernsthaft nach; pointiert Englisch, NJW 2005, 2974: „Untreue abschaffen– nein danke!“

48 Abgedruckt in: Farrell/Yeo/Ladenburg, Blackstone’s Guide to the Fraud Act 2006, Oxford;Oxford University Press 2007, S. 135 ff.

49 Die Strafbarkeitsrisiken durch die neu geschaffenen Betrugstatbestände skizzieren in ihremAufsatz auch Grau/Airey/Frick, BB 2009, 1426; Neuregelungen übersehen von Cappel(Anm. 11), S. 208 ff.

50 Wortlaut des § 4 (Fraud by abuse of position)(1) A person is in breach of this section if he –

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mich im Folgenden bei meiner Analyse auf diese konzentrieren. Die Kritik vonFrau du Bois-Pedain an diesem neu geschaffenen Tatbestand war unüberhörbar.Ich will sie noch verstärken und zuspitzen.

§ 4 des F.A. 2006 regelt als eine von drei Varianten des Betruges den „Miss-brauch einer Vertrauensposition“. Schon das ist jedenfalls für einen deutschenJuristen einigermaßen gewöhnungsbedürftig, sucht man doch in diesem Tatbe-stand – anders als bei den §§ 2 und 3 des F.A. 2006 – vergeblich nach einem Täu-schungselement, das ich bisher in irgendeiner Form immer mit dem Betrug ver-knüpft habe; aber dieser Einwand mag meiner rechtskulturellen Prägung (undeinem engen Betrugsverständnis) geschuldet sein. Ungewöhnlich für einen Un-treuetatbestand ist auch der Deliktscharakter der Norm. § 4 F.A. 2006 ist ausge-staltet als abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt mit – in Form von Bereiche-rungs- oder Schädigungsabsicht – überschießender Innentendenz, während Un-treue bzw. untreueähnliche Tatbestände anderer Länder fast durchweg einen Ver-mögensnachteil – zumindest als Gefährdungsschaden – fordern51. Dieser Tatbe-stand setzt dagegen – jedenfalls nach Wortlaut – für eine Strafbarkeit mit dem„abuse of position“ und einem angereicherten subjektiven Tatbestand ausschließ-lich Handlungs- und keinerlei Erfolgsunrecht voraus52. Daraus folgt, dass sämt-liche Tatbestandsrestriktionen, die durch das Erfordernis des Eintritts eines Ver-mögensschadens und seiner objektiven (Handlungs-)Zurechnung erzielt werden,entfallen. Oder anders herum: Positive Vermögenseffekte, die der seine Vertrau-ensstellung missbrauchende Täter in verwerflicher Absicht herbeiführt, sind weit-gehend irrelevant. Mit dem Einwand, ein Schaden hätte überhaupt nicht eintretenkönnen, wird er nicht gehört. Der Untreuetatbestand wird auf diese Weise starksubjektiv eingefärbt. Er ist zwar Pflichtdelikt – wenngleich nach der Analyse derBerichterstatterin auch bei der Bestimmung des Täterkreises letztlich weiter als derdeutsche Tatbestand53 –, vor allem aber reines Pflichtverletzungsdelikt, das beim

(a) occupies a position in which he is expected to safeguard, or not to act against, thefinancial interests of another person,

(b) dishonestly abuses that position, and(c) intends, by means of the abuse of that position –

(i) to make a gain for himself or another, or(ii) to cause loss to another or to expose another to a risk of loss.

(2) A person may be regarded as having abused his position even though his conductconsisted of an omission rather than an act.

51 Vgl. nur den Wortlaut zahlreicher europäischer Untreuetatbestände in der im Anhang ab-gedruckten Synopse von Cappel (Anm. 11), S. 273 ff.

52 Das „Vermögen“ als geschütztes Rechtsgut lässt sich dabei nur aus den geforderten Absichteni.V.m. § 5 F.A. 2006, der die Begriffe „Vorteil“ und „Nachteil“ legal definiert, erschließen.

53 Du Bois-Pedain, ZStW 122 (2010), S. 325, 343 f. Folgt man der Aufzählung der Law Com-mission (Report No. 276, Cm 5560, 2002, Ziff. 7.38), ist die erforderliche Vertrauenspositionin sämtlichen Beziehungen vorhanden, in denen sich die Parteien nicht als Fremde gegen-überstehen („where the parties are not at arms’s length“); so auch ausdrücklich innerhalb derFamilie. Farrell/Yeo/Ladenburg stellen auf ein Verhältnis ab, das einen gewissen Zugang bzw.Zugriff („access“) gewährt, etwa Mitarbeitern in Bezug auf das Betriebsgrundstück, Gerät-schaften usw. des Arbeitgebers (Blackstone’s Guide to the Fraud Act 2006, Ziff. 2.68).

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Zusammentreffen mit einer bösen Gesinnung Missbrauchsverhalten kriminali-siert54. Das ist gemessen am Anspruch eines Tatstrafrechts ein bedenklicher Be-fund. Im Fall des § 4 F.A. 2006 geht er einher mit einer erheblichen Vorverlagerungder Strafbarkeit, die unter Berücksichtigung verschiedener Spezialgesetze und demCommon-Law-Delikt ,conspiracy to defraud’ weit in den Bereich der versuchtenVermögensschädigung (einschließlich des untauglichen Versuchs) hineinreicht55.Bei einer solchen Tatbestandsweite erbringt selbst die ergänzend gesetzlich ange-ordnete Versuchsstrafbarkeit (die grundsätzlich einen direkten Vorsatz verlangt)keine weitere Strafbarkeitsausdehnung mehr.

Avanciert damit der „unredliche Missbrauch der Vertrauensstellung“ zummaßgeblichen Träger des Unrechts im objektiven Tatbestand, erwartet man alsliberaler Strafrechtsdogmatiker nichts Gutes. Frau du Bois-Pedain konnte undwollte – im Schulterschluss mit anderen Kritikern56 dieser Tatbestandsfassung –entsprechenden Befürchtungen einer ausufernden Strafbarkeit auch nicht entge-gentreten. Bei einem weiten Verständnis des Missbrauchsbegriffs, der faktischeswie rechtsgeschäftliches Verhalten im Umgang mit fremdem Vermögen einbe-zieht, und einer „Einschränkung“ des Missbrauchs unter Rückgriff auf das Merk-mal ,dishonestly’ ergibt sich ein uferlos weiter objektiver Tatbestand, dessen Un-bestimmtheit – und damit Unberechenbarkeit für den Normadressaten – kaum zuüberbieten ist. Offen gestanden: In Deutschland würde man es heute (wohl) nichtmehr wagen, einen solchen moralin-triefenden Begriff zum Kernelement einerStrafnorm zu machen57. In Verbindung mit einem Jury-System, in dem Laienrich-ter bei ihren Entscheidungen eher ihren Gefühlen und eigenen moralischen Wert-vorstellungen nachgehen, entsteht hier für den Beschuldigten eine nicht unbe-trächtliche (Verurteilungs-)Gefahr58.

54 Farrell/Yeo/Ladenburg fragen überspitzt, ob damit jeder Arbeitnehmer, der in unredlicherAbsicht nicht seine gesamte Arbeitszeit für den Arbeitgeber aufwendet, eines Betrugesschuldig ist (Blackstone’s Guide to the Fraud Act 2006, Ziff. 2.78). Auch Ormerod stellt fest,dass ein beharrlich zu spät kommender Arbeitnehmer mit unredlicher Absicht gegen diefinanziellen Interessen seines Arbeitgebers verstößt und damit schuldig wäre (LegislativeComment. The Fraud Act 2006 – criminalising lying?, Criminal Law Review 2007, S. 193,209).

55 Ebenso Grau/Airey/Frick, BB 2009, 1426, 1429: „immense Vorverlagerung der Strafbarkeit.“56 Etwa Ormerod/Williams, Archbold News 2007, Legislative Comment. The Fraud Act 2006,

S. 6, 8.57 Hingewiesen sei aber für das deutsche Strafrecht etwa auf die objektive Einwilligungssperre in

§ 228 StGB (1933 als § 226a ins StGB eingefügt), dessen Merkmal „sittenwidrig“ viele wegenseines direkten Durchgriffs auf die Sozialethik inhaltlich für unbestimmbar und damit fürverfassungsrechtlich höchst bedenklich, wenn nicht gar für verfassungswidrig halten; vgl.Rönnau, in: LK, 12. Aufl. 2006, Vor § 32 Rdn. 190 m.w.N.

58 Es ist sogar vom Gesetzgeber gewollt, dass ,dishonestly’ in § 4 F.A. 2006 nicht als juristischerFachbegriff interpretiert wird. Der Test für die Jury ist in R. v. Ghosh (1982) QB 1053 nähererläutert (die Entscheidung bezieht sich zwar unmittelbar nur auf den Theft Act 1968, soll abernach allgemeiner Ansicht auch auf den Fraud Act 2006 Anwendung finden). Danach muss dieJury entscheiden, ob (1) die Handlung des Angeklagten gemessen an den gegenwärtigenmoralischen Wertvorstellungen eines vernünftigen und ehrlichen Dritten als unredlich ein-zustufen ist, und (2) bejahendenfalls, ob der Angeklagte selbst erkannt hat, dass seine Tat

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Deutlich enger gefasst als der deutsche Untreuetatbestand ist dagegen die sub-jektive Tatseite des § 4 F.A. 2006 insoweit, als sie für eine Strafbarkeit Bereiche-rungs- oder Schädigungsabsicht voraussetzt59. Ob die Verschärfung der Vorsatz-anforderungen ein probates Mittel ist, um ausufernde Untreuetatbestände einzu-schränken, soll später noch näher behandelt werden. Jedenfalls bei weiter Ausle-gung des Absichtsbegriffs ist das daraus resultierende Restriktionspotenzial aberbegrenzt60. Für die Schädigungsabsicht gem. § 4 F.A. 2006 ist nach Wortlautzudem der Wille ausreichend, einen anderen einem Schadensrisiko auszusetzen(„to expose another to a risk of loss“); das setzt weniger voraus als die auf denEintritt eines Gefährdungsschadens zielende Absicht. Wenn als Täter des Miss-brauchs einer Vertrauensposition schließlich selbst derjenige aus dem Vermögens-delikt bestraft werden kann, der objektiv einen Anspruch auf das betroffene Ver-mögensstück hat, weil die angestrebte Bereicherung nicht rechtswidrig sein muss,ein Irrtum sich also nicht zu seinen Gunsten auswirkt, belegt auch dies die Weitedes Tatbestandes61.

Damit lässt sich zusammenfassend Folgendes sagen: Auf dem Weg zu einemengeren und konturenschärferen Untreuetatbestand bringt uns das englische Mo-dell aus meiner Sicht nicht weiter. Im Gegenteil : Es schleift noch die wenigenHindernisse, die die deutsche Strafrechtsdogmatik mit ihren spezifischen Anfor-derungen an die Täterstellung oder der Gesetzgeber mit dem Schadenserfordernisim objektiven Tatbestand des § 266 StGB errichtet haben. In einer Gesamtschaudes § 4 F.A. 2006 mit flankierenden Diebstahls- und sonstigen Spezialregeln dürftesein Einzugsbereich jedenfalls in großen Teilbereichen noch über die deutscheUntreuenorm hinausgehen62. Er stellt daher – vorbehaltlich der grundsätzlichen

gemessen an diesem Standard unredlich ist. Siehe auch A. Halpin, The test for dishonesty,Criminal Law Review 1996, S. 283.

59 Andererseits muss der Täter nach dem Wortlaut für eine Tatbestandsverwirklichung nichtwissen, dass er eine Pflichtenstellung innehat und seine Handlung (oder sein Unterlassen)einen „abuse“ darstellt; diesbezüglich reicht Fahrlässigkeit aus; vgl. du Bois-Pedain, ZStW 122(2010), S. 325, 345. Nach englischem Tatbestandsaufbau gehört auch das Merkmal ,dis-honestly’ (jedenfalls in seinem subjektiven Element) in den Bereich der mens rea, wird also alssubjektives Tatbestandsmerkmal geprüft.

60 Nach der Entscheidung R. v. Woollín (1999) 1 A.C. 82 erfasst der Begriff intention auch Fälle,in denen der Täter den Erfolgseintritt nur als sichere Folge eines Handelns vorhersieht (nachdeutscher Terminologie also mit dolus directus 2. Grades handelt).

61 Hier kann auch eine enge Auslegung des Merkmals ,dishonestly’ nicht wirklich weiterhelfen.Denn der Fraud Act 2006 kennt gerade keine dem § 2 Theft Act 1968 entsprechende Klausel,wonach Unredlichkeit auszuschließen ist, wenn der Angeklagte (subjektiv) glaubte, ein Rechtauf die Sache zu haben. Es kommt also auch hier der Ghosh-Test mit all’ seinen Unwägbar-keiten zur Anwendung.

62 Vorteile der neuen Regelung werden aber in der erleichterten Ahndung von Missmanagementim öffentlichen Bereich und in der Betrugsprävention bei Testamenten gesehen. Es wirdgeschätzt, dass Wohltätigkeitsorganisationen in Höhe von ca. £ 2–3 Mio. profitieren könnten,wenn Betrugsfälle auf Grund des Fraud Acts 2006 vermieden werden (Ormerod, LegislativeComment. The Fraud Act 2006 – criminalising lying?, Criminal Law Review 2007, S. 193,209).

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Eignungsprüfung subjektiver Einschränkungskriterien – kein Vorbild für eineReform dar63.

2. Das französisch-romanische Modell mit bereichsspezifischenUntreuetatbeständen

Das französisch-romanische Modell ist nun dadurch gekennzeichnet, dass die Un-treue nur als Spezialdelikt im Bereich des Gesellschaftsrechts sowie im Bank- undFinanzmarktsektor (Italien) auftritt ; einen allgemeinen, dem deutschen § 266StGB vergleichbaren Tatbestand gibt es in diesem Rechtskreis daneben nicht64.Dadurch entstehende Strafbarkeitslücken werden z. T. durch eine weite Auslegungvon Nachbarvorschriften mit untreueähnlichen Tatbestandselementen wie insbe-sondere dem Unterschlagungstatbestand, aber auch dem Betrug oder verschiede-nen Amtsdelikten geschlossen65. Nachfolgend sollen die Vor- und Nachteile dieserKonzeption im Vergleich mit dem deutschen Modell skizziert werden. Wie auch inden Vorträgen der Kollegen Foffani und Luzón Peña werden hier die gesellschafts-rechtlichen Untreuetatbestände ganz im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Umsich nicht in Einzelheiten zu verlieren, kann dabei natürlich nicht jedem nationalenUnterschied innerhalb dieser Tatbestandsgruppe nachgegangen werden.

a) Allgemeines zu Vor- und Nachteilen einer Sonderregelungslösung

Die (handels-)gesellschaftsrechtlichen Untreueregelungen im französischen Codede Commerce sind ebenso wie ihre Parallelvorschriften im spanischen CódigoPenal und im italienischen Codice Civile im Kern als Tatbestände der Organun-treue ausgestaltet, richten sich also vornehmlich an die formell bestellten oderfaktischen Vertretungsorgane der Gesellschaften66. Der französische Tatbestanddes abus de biens sociaux ist dabei für die Aktiengesellschaft, GmbH und andereGesellschaftsformen jeweils gesondert geregelt67, während Spanien und Italieneinen rechtsformübergreifenden gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbestand kodi-

63 Außerstrafrechtliche Instrumente wie etwa die recht strengen Tätigkeitsverbote aus demCompany Directors Disqualification Act 1986 (dazu Rönnau, ZGR 2005, 832, 840 ff.) mögenbei der Erzwingung pflichtgemäßen Verhaltens im Umgang mit fremdem Vermögen guteWirkung erzeugen. Einen vernünftig konturierten Untreuetatbestand vermögen sie allerdingsnicht zu ersetzen.

64 Die §§ 266a, 266b des dt. StGB erfassen (zusätzlich) untreue- bzw. betrugsähnliche Fälle (zurSchutzrichtung Lenckner/Perron [Anm. 38], § 266a Rdn. 1 und § 266b Rdn. 2), erbringengegenüber § 266 StGB also gerade keine Eingrenzungsleistung.

65 Dazu Foffani, Festschrift für Tiedemann, S. 767, 776 ff.; auch Cappel (Anm. 11), S. 202 ff.66 Zur umstrittenen (eigentlich überflüssigen) Einbeziehung der Gesellschafter als mögliche

Täter im spanischen Recht siehe Luzón Peña/Roso Cañadillas, ZStW 122 (2010), S. 354, 357 f.,365 f.

67 Vgl. zu den rechtlichen Regelungen des abus de biens sociaux im Code de Commerce von 2000Cappel (Anm. 11), S. 199 f. (wörtliche Übersetzung der [übernommenen] Vorläufernormenbei Anders, ZStW 114 [2002], S. 467, 470).

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fiziert haben68. Diese Technik der Schaffung bereichsspezifischer Untreuetatbe-stände mit beschränktem Täterkreis wurde insbesondere von Tiedemann immerals vorbildlich gelobt69 und fand sich im Handels- und Gesellschaftsrecht bis in die70er Jahre hinein auch im deutschen Recht70. Und tatsächlich: Der erheblicheZuwachs an Tatbestandsbestimmtheit bei Normen, die ihre Befehle an eine klarbegrenzte Personengruppe adressieren, ist unübersehbar und führt diesbezüglichzu einem großen Maß an Rechtssicherheit. Auch bietet die weitere Ausgestaltungder Sondervorschriften die Möglichkeit, typische Schwierigkeiten und Interessen-konflikte des Regelungsbereichs – bei der Untreue vor allem die Abstimmung mitdem vorgelagerten Zivil- und Öffentlichen Recht – angemessen zu verarbeiten.Man denke hier nur an die Konzernuntreue, deren sachgerechte Behandlung invielen Ländern zu einer Sonderdogmatik geführt hat71, oder die im Wirtschafts-leben verbreiteten Risikogeschäfte, die nicht vorschnell kriminalisiert werden dür-fen72. Wenn von den Anhängern dieses Modells weiterhin die höhere Präventi-onswirkung eines im jeweiligen Spezialgesetz verankerten Tatbestandes positivherausgestellt wird73, ist das schon nicht mehr so eindeutig. Genauso gut ließe sicheine Abnahme präventiver Effekte behaupten, weil die Strafnorm aus dem Kern-strafrecht ins Nebenstrafrecht verschoben wird. Immerhin begründet der Gesetz-geber die Aufnahme von Normen ins Strafgesetzbuch („Kernstrafrecht“) nichtselten mit dem Hinweis, die damit einhergehende prominentere Stellung würde zu

68 Siehe Art. 295 des spanischen Código Penal (CP) aus 1995 sowie Art. 2634 des italienischenCodice Civile (c.c.) aus 2002 (Wortlaut und Übersetzung dazu bei Cappel [Anm. 11],S. 277 f.)

69 Tiedemann (Anm. 41), S. 133, 134 Fn. 3; ders., Festschrift für Würtenberger, S. 241, 252;ders. , in: Scholz (Hrsg.), GmbHG, 10. Aufl. 2010, Vor §§ 82 ff. Rdn. 4; auch Schramm(Anm. 7), S. 257.

70 Beispielsweise als GmbH-Untreue, die in § 81a GmbHG a.F. geregelt war und durch Art. 51Nr. 1 des 1. StrRG vom 25.6.1969 (BGBl. I S. 645) zum 1.4.1970 aufgehoben wurde, oder alsKommissionsuntreue in § 95 Börsengesetz a.F., entfallen durch das am 1.1. 1975 in Kraftgetretene EGStGB vom 2.3. 1974 (BGBl. I S. 469); vollständige Aufzählung im Anhang beiNelles (Anm. 19), S. 617 ff.

71 So etwa in Frankreich, wo die Cour de Cassation mit der „Rozenblum“-Doktrin eine kon-zernspezifische Nachteilssaldierung entwickelt hat (näher Anders, ZStW 114 [2002], S. 467,493 ff.; Busch, Konzernuntreue, 2004, S. 210 ff.; auch Ebenroth/Reiner, BB 1992 [Beilage 13zu Heft 22], 1*, 15* ff.; Maul, NZG 1998, 995 ff.), oder in Italien, wo in Art. 2634 Abs. 3 c.c.eine – ebenfalls die Rechtswidrigkeit ausschließende – Sonderregelung für Konzerne ge-schaffen wurde (siehe dazu Foffani, Festschrift für Tiedemann, S. 767, 784 f.); als Vorschlagfür ein Europadelikt „Ungetreue Geschäftsführung“ formuliert einen solchen Strafbarkeits-ausschluss in Art. 45 Abs. 3 auch Foffani (Anm. 12), S. 474.

72 Näher Saliger (Anm. 2), Rdn. 47 ff.; monographisch Waßmer, Untreue bei Risikogeschäften,1997.

73 Etwa durch Tiedemann, in: Scholz (Anm. 69), Vor §§ 82 ff. Rdn. 11; ders., Festschrift fürTröndle, 1989, S. 319, 320; Schramm (Anm. 7), S. 256; Cappel (Anm. 11), S. 212; Richter,GmbHR 1984, 137, 144; Zech, Untreue durch Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesell-schaft, 2007, S. 42.

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einer Bewusstseinsschärfung in der Bevölkerung und auf diese Weise zu einerstärkeren Beachtung der Vorschriften führen74.

Dieser Aspekt leitet über zu den Schwächen einer Sonderregelungslösung.Diese führt sicher zu einer Rechtszersplitterung und dadurch zu einem Verlustan Orientierung75, wenngleich einzuräumen ist, dass Angehörige bestimmter Be-rufsgruppen Verhaltensanleitung zuvörderst in „ihren“ Spezialgesetzen suchen.Gravierender ist aber der Nachteil, der sich bei der Existenz nur bereichsspezifi-scher Untreuetatbestände aus inakzeptablen Strafbarkeits- und damit Schutzlü-cken ergibt76 – dem Haupthindernis bei der Schaffung enger und bestimmter Straf-tatbestände77! Wer sich wie der französische, spanische oder italienische Gesetz-geber dafür entscheidet, als taugliche Täter einer gesellschaftsrechtlichen Untreueim Wesentlichen nur die Vertretungsorgane anzugeben, muss sich fragen lassen,warum etwa Führungskräfte der zweiten Leitungsebene oder Aufsichtsratsmit-glieder als Kontrollorgane der Gesellschaft straffrei bleiben, wenn sie Gesell-schaftsvermögen pflichtwidrig schädigen. Man wird schwerlich behaupten kön-nen, diese Personen stünden nicht zumindest in bestimmten Funktionen und Si-tuationen in einem ähnlichen Näheverhältnis zum Gesellschaftsvermögen wie dieGeschäftsleiter. Die Gestaltung von Strafrecht ist zwar immer ein Abwägungs-prozess zwischen Rechtsgüterschutz (im Interesse der Allgemeinheit oder desIndividuums) einerseits und der verhältnismäßigen und das Schuldprinzip berück-sichtigenden Einschränkung von Handlungsfreiheit potentieller Normadressaten(durch möglichst klare Vorschriften) andererseits78, bei dem der Gesetzgeber eineweite – vom BVerfG nur begrenzt überprüfbare – Einschätzungs- und Entschei-dungsprärogative genießt79. Ohne triftigen Grund sollte man die Betroffenen aufder Schutz- oder Eingriffsseite aber nicht unterschiedlich behandeln80. Die Gefahr

74 Am Beispiel des Umweltstrafrechts vgl. BT-Drucks. 8/2382 S. 1 und BT-Drucks. 8/3633S. 19; für die Angestelltenbestechung (bis 1997 in § 12 UWG a.F., heute in § 299 StGB ge-regelt) siehe die Begründung in BT-Drucks. 13/5584 S. 15; BR-Drucks. 553/96 S. 32.

75 In diesem Sinne etwa Ransiek, ZStW 116 (2004), S. 634, 646; Rentrop (Anm. 7), S. 290 undschon Freudenthal (Anm. 11), S. 105, 137: Aufteilung des Untreuerechts auf 15 Gesetzehöchst unübersichtlich.

76 Dezidiert Rentrop (Anm. 7), S. 289 f.; weiterhin Ransiek, ZStW 116 (2004), S. 634, 646;Bacigalupo (Anm. 46), S. 201, 207 f.; auch Otto, in: GK-AktG, 4. Aufl. 1997, Vor § 399Rdn. 19; ders. (Anm. 12), S. 353, 363.

77 Klares Plädoyer für gesellschaftsrechtliche Sondertatbestände aber jüngst von Cappel(Anm. 11), S. 211 ff., 261 ff. (unter einseitiger Betonung der Bestimmtheitsvorteile entspre-chender Strafnormen).

78 Instruktiv zur „Genese eines Straftatbestandes“ Günther, JuS 1978, 8 ff.79 Vgl. etwa BVerfGE 77, 170, 215; 88, 203, 262; 90, 145, 172 f.; aus jüngerer Zeit nur BVerfGE

120, 224, 240 m.w.N. – „Inzest“; zu Recht krit. dazu Roxin, StV 2009, 554 m.w.N.80 Im Hintergrund der Abwägungsproblematik steht hier das Spannungsverhältnis von Ge-

rechtigkeit und Rechtssicherheit. Beide Prinzipien wurzeln in der Rechtsstaatsidee, die selbstzur Lösung des Konflikts keine Aussage enthält. Während der Gleichheitsgrundsatz (alsAusprägung des allgemeinen Gerechtigkeitsprinzips) im Strafrecht ein schuldangemessenesStrafen und auch die gleiche Ahndung gleich strafwürdigen Unrechts fordert, verbietetArt. 103 Abs. 2 GG (Gesetzlichkeitsprinzip) strafbegründende Analogien, so dass strafwür-dige Taten ohne existierenden Straftatbestand nicht bestraft werden können. Zwar hat der

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willkürlicher Ein- oder Ausgrenzungen besteht dabei nicht nur hinsichtlich mög-licher Tätergruppen innerhalb einer bereichsspezifischen Untreueregelung, son-dern auch bei der Auswahl der Bereiche, die überhaupt durch einen Sondertatbe-stand geschützt werden sollen. Nachsteuernde Ad-hoc-Gesetze werden bei dieserGesetzgebungstechnik keine Seltenheit sein. Dass sich außerdem die Strafrichterhäufiger sträuben, bei ihrer Meinung nach strafwürdigen Fällen freizusprechenund daher Strafvorschriften in einer Weise extensiv auslegen, wie es erst nach einerÄnderung durch den Gesetzgeber zulässig wäre, ist durch die Rechtsprechung invielen Ländern ausreichend belegt81. Der Schaffung „richterlichen Strafrechts“(Foffani) als Folge offensichtlich zu eng gefasster Tatbestände sollte jedenfallskein Vorschub geleistet werden.

Gegen eine Tatbestandskonkretisierung, wie sie etwa das französische Rechtmit seinen Sonderregelungen für einzelne (Kapital-)Gesellschaften vorgenommenhat, spricht weiterhin die jüngere EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfrei-heit (Art. 43, 48 EGV a.F.= Art. 49, 54 AEUV). Diese hat die EU-Mitgliedstaatenzur Anerkennung anderer europäischer Gesellschaftsformen im eigenen Land ge-zwungen (Stichwort: Gründungs- statt Sitztheorie) und dadurch unerwünschteStrafbarkeitslücken aufgerissen82. In Reaktion darauf hat etwa der deutsche Ge-setzgeber mit dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Be-kämpfung von Missbräuchen (MoMiG)83 mit Geltung zum 1. 11. 2008 in den Ab-sätzen 4 und 5 des § 15a InsO rechtsformunabhängige Straftatbestände der Insol-venzverschleppung geschaffen, um auf diese Weise z. B. auch den director einerenglischen Limited zu verpflichten, rechtzeitig und richtig einen Insolvenzantragzu stellen84. Kollege Foffani hat diese Problematik – vorausschauend – bereits aufdem Freiburger Symposium im Jahre 2000 in seinem Vorschlag für einen europa-

Gesetzgeber dem Analogieverbot (als Ausprägung eines ebenfalls fundamentalen Gerech-tigkeitsprinzips) den Vorrang eingeräumt; ein – zu vermeidender – „Wertungswiderspruch“liegt aber vor, „wenn der Gesetzgeber den Schutz eines Rechtsgutes entgegen seiner grund-rechtlichen Wertungen trotz Strafwürdigkeit ohne erkennbare Gründe lückenhaft lässt“ (so –instruktiv – Renzikowski, GA 1992, 159 ff.). Problemen angesichts der Unbestimmtheit derUntreuenorm muss durch eine restriktive Tatbestandsauslegung begegnet werden.

81 Vgl. die Einschätzung zu Italien von Foffani (Anm. 41), S. 83, 86: „Die Waffe dieses rich-terlichen Strafrechts heißt: ,extensive Auslegung’.“; zu Spanien Bacigalupo (Anm. 46), S. 201,203, 205 ff.; zu Frankreich Anders, ZStW 114 (2002), S. 467, 482 ff.; zu Österreich (das mit§ 153 StGB nur einen Tatbestand der Missbrauchsuntreue kennt) Vrzal (Anm. 7), S. 115.Bedenkliche Expensionstendenzen im deutschen Untreuestrafrecht skizzierten etwa Saliger,ZStW 112 (2000), S. 563, 565 ff.; Matt/Saliger (Anm. 8), S. 217, 234 ff.

82 Grundlegend zur Problematik (aus strafrechtlicher Sicht) Rönnau, ZGR 2005, 832; zu denFolgen gravierender Sanktionslücken Müller-Gugenberger, Festschrift für Tiedemann, 2008,S. 1003, 1014 f.; ders., GmbHR 2009, 578, 579; weiter zum Thema in jüngerer Zeit Radtke,GmbHR 2008, 729; Richter, Festschrift für Tiedemann, 2008, S. 1023, 1027 ff.; Altenhain/Wietz, NZG 2008, 569; Radtke, EuZW 2009, 404.

83 Gesetz vom 23.10.2008 (BGBl. I S. 2026).84 Vgl. BT-Drucks. 16/6140 S. 55; zu den MoMiG-Entwürfen aus strafrechtlicher Sicht Bitt-

mann, GmbHR 2007, 70 und 321; Weyand, ZInsO 2008, 702; zum MoMiG Müller-Gugen-berger, GmbHR 2009, 578; Bittmann, NStZ 2009, 113; zu europarechtlichen Bedenken ge-genüber § 15a InsO ausführlicher Hiebl, Festschrift für Mehle, 2009, S. 273, 277 ff. (im Er-gebnis bei insolvenzrechtlicher Qualifizierung der Pflicht zur Antragstellung verneinend).

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weit geltenden Untreuetatbestand durch eine gesellschaftsformneutrale Fassungberücksichtigt85.

b) Möglichkeiten der Ausgestaltung eines (ergänzenden) Untreuetatbestandes

Die hier geäußerte Kritik richtet sich nicht grundsätzlich gegen die Einführungspezieller Untreuetatbestände, stellt aber in Frage, dies wie im französisch-roma-nischen Modell exklusiv zu tun. Zu vielgestaltig sind die Lebenssachverhalte, diestrafwürdiges Untreuehandeln enthalten, als dass – zumindest für eine Übergangs-zeit – daneben auf einen allgemeinen Untreuetatbestand verzichtet werden könn-te86. Wie etwaige Sondertatbestände dann auszugestalten wären, hängt natürlichstark vom kriminalpolitisch verfolgten Ziel ab. Tatbestandsrestriktionen an einerStelle können hier durchaus mit Strafbarkeitserweiterungen an anderer Stelle ein-hergehen. So haben die Verfasser des Alternativ-Entwurfs eines Strafgesetzbucheszu den Wirtschaftsstraftaten 1977 mit dem „Missbrauch gesellschaftsrechtlicherBefugnisse“ in § 183 einen (Sonder-)Tatbestand vorgeschlagen, der auf der Tat-handlungsseite durch eine Täterkreisbeschränkung und im subjektiven Tatbestanddurch eine Bereicherungsabsicht die Strafbarkeitsanforderungen zwar deutlichverschärft, sie aber durch den Verzicht auf einen Vermögensschaden auch wiedererheblich abschwächt und so ein abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt im Vor-feld der allgemeinen Untreue konstruiert87. Inwieweit die gesellschaftsrechtlichenUntreuetatbestände des französisch-romanischen Modells in einem System mitergänzenden Untreuetatbeständen Pate stehen können, wird im Weiteren unter-sucht.

aa) Auf Tathandlungsseite

Auf der Tathandlungsseite enthalten zumindest im französischen und im spani-schen Recht die einschlägigen Regelungen einen weit gefassten Missbrauchstatbe-stand, der auf einen Funktionsmissbrauch abstellt und nicht auf einen Rechtsbe-fugnismissbrauch, wie er dem deutschen Missbrauchstatbestand in der ersten Va-riante des § 266 Abs. 1 StGB eigen ist. Beim italienischen Untreuetatbestand mitseinem Bezug zu rechtsgeschäftlichem Handeln bin ich mir da nicht sicher; erscheint in der Kriminalisierung von Verhalten enger formuliert zu sein. Dagegenwären dann die Argumente anzubringen, die generell gegen die Beschränkungeines (allgemeinen) Untreuetatbestandes auf einen eng formulierten Missbrauchs-tatbestand sprechen88 – und somit z. B. auch Schutzsysteme wie das öStGB (§ 153)

85 Foffani (Anm. 12), S. 311, 330, 374 (“…Inhaber von Entscheidungsmacht in einer Handels-gesellschaft, insbesondere in einer Europäischen Privatgesellschaft, …”).

86 Labsch (Anm. 7), S. 270 f. bezweifelt zu Recht, dass im Bereich gesellschaftsrechtlicherSchädigungsmöglichkeiten wirklich effektive Sondertatbestände in ausreichend bestimmterForm geschaffen werden können.

87 AE-StGB (Anm. 7), S. 60 f.; zu weiteren Vorfeldtatbeständen Weber, Festschrift für Dreher,S. 555, 567 ff.; kritisch dazu etwa Labsch (Anm. 7), S. 268 ff. und Haas (Anm. 7), S. 111 f.

88 Erwogen von Otto, Grundkurs Strafrecht Besonderer Teil, 7. Aufl. 2005, § 54 Rdn. 38; ab-lehnend gegenüber der Treubruchstheorie Kargl, ZStW 113 (2001), S. 565, 570 ff.

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treffen89. Wer nur Handlungen unter Strafe stellt, bei denen der Täter die ihm nachaußen eingeräumte Rechtsmacht im Innenverhältnis missbraucht, muss viele straf-würdige Fälle – zu denken ist hier an bloße Unterlassungen, Handeln ohne Ver-tretungsmacht, tatsächliches Verhalten oder kollusives Zusammenwirken der Ge-schäftspartner wie beim kick-back – straflos lassen90.

Über die tatbestandseinschränkende Wirkung verschiedener – in den franzö-sischen, spanischen und italienischen Strafgesetzen vorgesehenen – Handlungs-kautelen wird man streiten können. So bringt hier etwa der Passus „unter Miss-brauch der Amtsbefugnisse“ im spanischen Recht – jedenfalls gegenüber demdeutschen Tatbestand – wenig, sofern darunter nur die Vermögensbetreuungs-pflichtverletzung verstanden wird91. Die im gleichen Tatbestand geforderte „be-trügerische“ Verfügung über Gesellschaftsvermögen dürfte – da stimme ich mitFoffani überein – überflüssig sein92, wenn es dabei nicht um die Täuschung kon-kreter Personen, sondern allein um ein Handeln gegen die (Vermögens-)Interessender Gesellschaft, der Gesellschafter oder diesen Gleichgestellter geht. Im letzterenFall liegt immer ein treuwidriges Verhalten vor. Interessenkonformes Täterver-halten sollte man dann mit anderen Instrumenten wie der tatsächlichen oder mut-maßlichen Einwilligung dogmatisch verarbeiten. Das ist – wie gerade die jüngsteDiskussion in Deutschland über die Aufarbeitung von Schmiergeldfällen mit Hilfedes Untreuetatbestandes zeigt93 – ein durchaus heikles Unterfangen, gibt es dochzur Frage, wer wirksam in Interessenverletzungen der Gesellschaft einwilligenkann, bisher nur wenig Klarheit94. Der französische Tatbestand des abus de

89 Wortlaut des § 153 Abs. 1 öStGB (Untreue): „Wer die ihm durch Gesetz, behördlichenAuftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen odereinen anderen zu verpflichten, wissentlich mißbraucht und dadurch dem anderen einenVermögensnachteil zufügt (…).“ In der Praxis wird der tatbestandliche Einzugsbereich des§ 153 öStGB aber durch die Verwischung von rechtlichen und tatsächlichen Aspekten imRahmen einer Bewertung der Gesamtgeschäftsführungstätigkeit erheblich in RichtungTreubruchstheorie ausgedehnt; vgl. Vrzal (Anm. 7), S. 115 m. N. zur österr. Rechtsprechungund Lehre; ebenso zum – auf der Tatbestandsseite – wortlautidentischen § 153 liechtenstStGBBeck, Die Untreue nach dem liechtensteinischen Strafgesetzbuch, 1997, S. 267: Fehlen desTreubruchstatbestandes wird durch „extensive Auslegung des bestehenden Missbrauchstat-bestandes“ korrigiert. In Schweden und Finnland ist allein die Funktionsmissbrauchsuntreuestrafbar; Nachw. bei Cappel (Anm. 11), S. 196 f., 275.

90 Ausführlich zur Kritik Weber, Festschrift für Dreher, S. 555, 565; AE-BT (Anm. 7), S. 127;weiterhin Schramm (Anm. 7), S. 264; Cappel (Anm. 11), S. 240 f.; Bacigalupo (Anm. 46),S. 201, 205; Haas (Anm. 7), S. 133.

91 So die Interpretation durch Luzón Peña/Roso Cañadillas, ZStW 122 (2010), S. 354, 367.92 Vgl. Foffani, Festschrift für Tiedemann, S. 767, 781.93 Ausgelöst durch den Fall „Siemens“, insbesondere durch das dazu ergangene BGH-Urteil

vom 29.8.2008–2 StR 587/07, BGHSt. 52, 323.94 Dazu nur Rönnau, StV 2009, 246, 247; ausführlich ders., Festschrift für Amelung, S. 247;

Fischer, NStZ-Sonderheft 2009, 8, 10 f.; Satzger, NStZ 2009, 297, 301 f. – jew. m.w.N. Ein-willigungslösungen bergen allerdings immer die Gefahr, dass die Interessen, wegen derer dieZustimmung für unwirksam erklärt wird – beim Stammkapital-Angriff gem. § 30 GmbHGetwa die Gläubiger –, zum Rechtsgut avancieren, in der Sache also eine Rechtsgutsvertau-schung stattfindet (Fischer [Anm. 9], Rdn. 99; Rönnau, ZStW 119 [2007], S. 887, 924 f.m.w.N.).

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biens sociaux, dessen Unrechts-Kernstück ein Handeln im Gegensatz zu den Ge-sellschaftsinteressen ist, tritt hier strenger – und auch klarer – auf, da vor demHintergrund einer institutionellen Unternehmenskonzeption die Einwilligung derGesellschafter unbeachtlich ist95. Allerdings gibt es in diesem Kontext dann wiederUnsicherheiten darüber, aus welcher Perspektive die Interessen zu definieren sind:eher wirtschaftlich, so dass etwa der Einsatz von Schmiergeld zur Erlangung lu-krativer Aufträge sich in vielen Fällen als für die Gesellschaft günstig darstellt odernormativ restriktiv mit dem Ergebnis eines interessengegensätzlichen Handelns96.

bb) Auf Taterfolgsseite

Im Grundsatz verlangen alle drei Rechtsordnungen, die das französisch-romani-sche Modell umsetzen, für die Annahme einer vollendeten gesellschaftsrechtlichenUntreue einen Taterfolg. Wie dieser auszusehen hat, ist dann recht unterschiedlichgeregelt. Während der italienische Tatbestand und die spanische Regelung jeden-falls in der Verpflichtungsvariante hierfür ausdrücklich einen Vermögensschadenbzw. einen „wirtschaftlich messbaren Nachteil“ fordern, begnügt sich der Tatbe-stand des abus de biens sociaux mit einer „interessenwidrigen Verwendung“. DieCour de Cassation legt diesen Begriff weit aus und bezieht in der Sache auchabstrakte Gefährdungen mit ein, so dass der Tatbestand von einigen als reinesTätigkeitsdelikt eingestuft wird97. Dass dies als Vorschlag für einen restriktiv for-mulierten (allgemeinen) Untreuetatbestand keine Lösung sein kann, liegt auf derHand. Hiermit würde gesetzlich festgeschrieben, was in Bezug auf den § 266 StGBgerade Gegenstand heftiger Kritik ist: die Schadensausweitung durch Einbezie-hung abstrakter Vermögensgefährdungslagen98. Auf die einschlägige Kritik amenglischen Modell, das ebenfalls auf einen Unrechtserfolg verzichtet, sei hier aus-drücklich verwiesen.

Richtig ist vielmehr, den Vermögensschaden als Erfolgsmerkmal der Untreuebeizubehalten. Darunter fallen auf der Basis eines wirtschaftlichen Vermögens-und Schadensbegriffs dann auch Gefährdungsschäden, sofern das geschützte Ver-mögen aufgrund der Tathandlung tatsächlich an Wert eingebüßt hat99. Dass in derPraxis bei der Feststellung des Vermögensschadens vieles im Argen liegt, ändert ander zutreffenden gesetzlichen Ausgangslage nichts. Da hilft es auch wenig, wenn inÖsterreich die h.M. als Vermögensnachteil i.S.v. § 153 öStGB nur einen „effektivenVerlust an Vermögenssubstanz“ anerkennt100, gleichzeitig aber die Untreue auchim Versuch strafbar ist (vgl. § 15 Abs. 1 öStGB). Die Unsicherheiten, die im spa-

95 Näher Anders, ZStW 114 (2002), S. 467, 477 ff.; auch Schramm (Anm. 7), S. 259.96 Vgl. dazu Anders, ZStW 114 (2002), S. 467, 477 ff. und Foffani, Festschrift für Tiedemann,

S. 767, 779 – jew. m.w.N.97 So etwa Anders, ZStW 114 (2002), S. 467, 489 (nach Auswertung der Rechtsprechung auf den

S. 482 ff.).98 Statt vieler Saliger, ZStW 112 (2000), S. 563, 565 ff.; ders., HRRS 2006, 10, 12 ff.99 Vgl. nur Schünemann (Anm. 1), Rdn. 146 ff. und Fischer (Anm. 9), Rdn. 150 ff. – beide

m.w.N.100 Nachweise bei Vrzal (Anm. 7), S. 121.

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nischen Strafrecht bei der Behandlung des Schadens nach Art. 295 CP herrschen,scheinen mir zu einem guten Teil aus den Meinungsverschiedenheiten hinsichtlichdes geschützten Rechtsgutes der Norm sowie der Aufzählung einer einigermaßenheterogenen Gruppe von Betroffenen, die durch die Eingehung von Verpflichtun-gen einen Nachteil erleiden müssen, zu resultieren101. Es bleibt auch der Sinn einerRegelung dunkel, nach der ein Geschäftsführer bei missbräuchlicher Verpflichtungder Gesellschaft erst dann eine Untreue begeht, wenn etwa ein Aktienbesitzer, derdurch die Gesellschaft seine Wertpapiere verwalten lässt, unmittelbar einen Nach-teil erleidet. Die Aktienverwaltung scheint hier eine Art Treueverhältnis auch zumGeschäftspartner der Gesellschaft herzustellen. Tatsächlich geht es aber doch wohlum (besonderen) Gläubigerschutz. Diese Schwierigkeiten lassen sich jedenfallsdurch eine klare Rechtsguts- und Schadenskonzeption vermeiden.

cc) Im subjektiven Tatbestand

Eine international viel eingesetzte Methode zur Einschränkung ausufernder all-gemeiner, aber auch spezieller Untreuetatbestände besteht darin, den subjektivenTatbestand der durchweg als Vorsatzdelikt ausgestalteten Normen um zusätzlicheMerkmale anzureichern. So fordern die einschlägigen Strafvorschriften in Frank-reich, Spanien und Italien, aber etwa auch in Dänemark, Norwegen, Japan oder derSchweiz (hier nur in der Missbrauchsvariante) eine Eigen- bzw. Drittbereiche-rungsabsicht (als überschießendes subjektives Element), wobei die angestrebteVorteilserlangung teilweise noch rechtswidrig sein muss (so in Italien, Dänemarkund Norwegen)102. Nicht wenige Untreuenormen setzen eine Absicht in Form desdolus directus 1. oder 2. Grades in Bezug auf die Pflichtverletzung und/oder denSchaden voraus, manchmal – etwa in Italien – sogar neben der Bereicherungsab-sicht. Was ist nun von diesen Restriktionsansätzen zu halten?

Zunächst einmal – und ganz praktisch – kämpfen Einschränkungen im sub-jektiven Tatbestand immer damit, dass sie vom Normanwender durch eine weiteAuslegung unterlaufen werden. Wenn für die Schädigungsabsicht jede Vorsatz-form ausreichen soll103 und die angestrebten Vorteile nicht nur materieller, son-dern mit Reputationsgewinnen und der Förderung der eigenen Familie auch im-materieller Art sein können – wie aus der französischen obergerichtlichen Recht-sprechung berichtet wird104 –, erbringen diese Merkmale fast keine Tatbestands-

101 Zu beiden Aspekten Luzón Peña/Roso Cañadillas, ZStW 122 (2010) S. 354, 356 ff., 364 ff.102 Abdruck der entsprechenden ausländischen Normtexte bei Cappel (Anm. 11), S. 273 ff.;

darüber hinausgehende Auflistung von Tatbeständen mit einschränkenden Merkmalen beiFoffani, Festschrift für Tiedemann, S. 767, 775. Auch in Vorschlägen zur Reform des deut-schen Untreuetatbestandes findet sich die Eigen- oder Drittbereicherungsabsicht gelegentlich,so etwa im AE-BT (Anm. 7), S. 60 f. sowie bei Labsch (Anm. 7), S. 344 f.; häufiger enthalten inden Entwurfsfassungen zur Untreue ab 1869 (dazu Rentrop [Anm. 7], S. 301 f.); als Straf-schärfungsgrund war sie geltendes Recht in § 266 Abs. 2 RStGB 1871.

103 So die h.M. zu § 266 RStGB 1871 bis zur Gesetzesänderung 1933; dazu Freudenthal(Anm. 11), S. 105, 117 f. m.w.N. und Rentrop (Anm. 7), S. 264.

104 Vgl. Anders, ZStW 114 (2002), S. 467, 491 m.w.N.

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begrenzung mehr. Das law in the books und das law in action fallen hier zu Lastendes Normadressaten auseinander105. Andererseits gibt es bei komplexeren subjek-tiven Tatbeständen für die Justiz auch große Schwierigkeiten, Täterabsichten ge-richtsfest nachzuweisen106, so dass bei Beachtung des in dubio pro reo-Grundsatzesein „Leerlaufen“ der Tatbestände droht.

Aber es gibt auch grundsätzliche dogmatische Einwände gegen die „Aufrüs-tung“ des subjektiven Untreuetatbestandes. So ist unübersehbar, dass die Aufnah-me einer Eigen- bzw. Drittbereicherungsabsicht die Schutzrichtung des Tatbe-standes verändert. Aus einem Vermögensschädigungsdelikt wird ein Vermögens-verschiebungsdelikt mit der Folge bedenklicher Strafbarkeitslücken107. Wer mitmir der Meinung ist, dass ein evident unsorgfältiger und schadensträchtiger Um-gang mit anvertrautem Vermögen wie z. B. eine unvertretbar riskante Kreditver-gabe ebenso strafwürdig ist wie das Handeln eines raffgierigen Diebes oder Be-trügers, kann eine solche Lösung nicht gutheißen. Die in vielen Ländern prakti-zierte extensive Auslegung insbesondere des Unterschlagungstatbestandes schafftes nicht, diese Lücke zu schließen, will sie nicht das für eine Zueignung erforder-liche Aneignungsmoment vollständig aufgeben. Es wundert mich daher nicht, dassin Staaten, die keinen allgemeinen Untreuetatbestand kennen oder kannten, Recht-sprechung und Strafrechtswissenschaft den Gesetzgeber immer wieder aufgefor-dert haben, doch endlich ein solches Vermögensdelikt zu schaffen108.

Bedenkenswert ist es dagegen, als Untreuetäter nur den einzustufen, der zu-mindest wissentlich seine Treupflichten verletzt und/oder wissentlich das anver-traute Vermögen schädigt109. Diese verschärften Vorsatzanforderungen schließen

105 Gleichzeitig ist die tatrichterliche Feststellung des Vorsatzes – in welcher Form auch immer –schwer überprüfbar; es besteht latent die Gefahr beschuldigtenunfreundlicher Unterstel-lungen. Nicht ohne Grund hat sich in Verteidigerkreisen die Einsicht gebildet, dass „dieVerteidigung im Subjektiven die schwächste sei!“.

106 Vgl. nur Foffani, Festschrift für Tiedemann, S. 767, 784 Fn. 87.107 Ablehnend daher Bacigalupo (Anm. 46), S. 201, 208; Haas (Anm. 7), S. 55; auch Schramm

(Anm. 7), S. 266 (der aber – zu Unrecht – das Einschränkungspotenzial bezweifelt, da diemeisten Untreuetäter ohnehin mit Eigen- oder Drittbereicherungsabsicht handelten); dage-gen mit der Einführung einer Bereicherungsabsicht sympathisierend Cappel (Anm. 11),S. 259 f.

108 So Bacigalupo (Anm. 46), S. 201, 208; für Italien berichtet das Foffani (Anm. 12), S. 83, 85 f. alsForderung seines Doktorvaters Franco Bricola: Einführung eines Untreuetatbestandes als„alter ,Traum’ der italienischen Strafrechtslehre“.

109 S. dazu z.B. die Gesetzeslage in Portugal (Art. 224 portStGB): „… Interessen absichtlichdurch eine schwerwiegende Pflichtverletzung einen erheblichen Schaden zufügt“), Österreichund Liechtenstein (jew. § 153 StGB: „wissentlich missbraucht“) sowie mit dem Erforderniseiner Schädigungsabsicht in Italien (Art. 2634 c.c.), Norwegen (§ 275 norwStGB) und Japan(Art. 247 japStGB) – dazu die Nachw. bei Cappel (Anm. 11), S. 274 ff. und Foffani, Festschriftfür Tiedemann, S. 767, 775 f. Fn. 47 sowie 52. Eine Schädigungsabsicht enthielt auch derUntreuetatbestand des RStGB 1871 (bis 1933); gefordert in § 263 des E 1962 (abgedruckt beiHaas [Anm. 7], S. 119); ebenfalls zur Tatbestandseingrenzung jüngst erwogen von Perron,NStZ 2008, 517, 519. Für Wissen bzw. Absicht bezogen auf die Tathandlung plädiert in seinenVorschlägen (zu §§ 266, 266b StGB) Labsch (Anm. 7), S. 345; ablehnend dazu Schramm

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es – jedenfalls nach Wortlaut – aus, dass die Vornahme riskanter Geschäfte, die fürdas Wirtschaftsleben nun einmal typisch sind und in letzter Zeit immer wieder dieGerichte beschäftigt haben110, generell unter einem Untreueverdacht stehen. Denndas nur für möglich Halten und Billigen von Pflichtverletzung und Schadensein-tritt reichte danach für die Begehung einer Untreue nicht mehr aus; der Tätermüsste vom Vorliegen eines der oder beider Merkmale zumindest sicher wissen.Damit entfiele eine Untreuestrafbarkeit regelmäßig in Fällen der unordentlichenBuchführung oder der Schmiergeldzahlung im Unternehmensinteresse (jedenfallsbei wirtschaftlicher Schadensbetrachtung) ebenso wie bei vielen riskanten Kredit-vergaben, die nicht ersichtlich unter Verstoß gegen Vergabevorschriften und inhöchst angespannten wirtschaftlichen Verhältnissen des Kreditnehmers erfolgen –ein Ergebnis, welches sich auch vor dem Hintergrund der jüngsten deutschenDebatte um Begrenzungen des Untreuetatbestandes gut vertreten lässt. Dass dieVerschärfung der Vorsatzanforderungen im System der Vermögensdelikte jeden-falls in der deutschen Strafrechtsdogmatik einen „Fremdkörper“ darstellen würde,ließe sich mit Blick auf die erwünschte Tatbestandseinschränkung verschmerzen,auch, dass bei anderen Pflichtdelikten wie den §§ 170, 171 StGB dolus eventualisgenügt111. Es bleiben natürlich die anfänglich skizzierten Probleme, die allgemeinmit Einschränkungen im subjektiven Tatbestand einhergehen.

dd) Sonstiges

Wenn Spanien und auch Italien ihre gesellschaftsrechtlichen Untreuetatbeständeals relatives oder gar absolutes Antragsdelikt ausgestaltet haben, halte ich das fürnicht nachahmenswert. Der deutsche Untreuetatbestand kennt eine Einschrän-kung der Verfolgbarkeit bisher nur bei der Haus- und Familienuntreue (§ 266Abs. 2 i.V.m. § 247 StGB). Der Grund für das Antragserfordernis liegt darin,dass Konflikte im häuslich-familiären Bereich möglichst intern erledigt und derFamilienfriede gewahrt werden soll112. Diese Argumentation lässt sich gerade aufden Bereich der gesellschaftsrechtlichen Untreue schwerlich übertragen. Wenn derTatbestand den Schutz des anvertrauten Vermögens vor Übergriffen eines effektivkaum zu kontrollierenden Managements gewährleisten soll, muss auch die Mög-lichkeit der Strafverfolgung im Falle der Tatentdeckung losgelöst von einem An-trag gesichert sein. Angesichts der überragenden Bedeutung von Wirtschaftsun-ternehmen in unserer Gesellschaft ist das öffentliche Interesse an Aufklärung derStraftaten – gerade in Korruptionsfällen – immens; eine Gleichbehandlung – unddamit eine Privilegierung – mit einem häuslich-familiären Konflikt verbietet sichhier. Die Untreue würde ihre wichtige Vermögenssicherungsfunktion in der Praxis

(Anm. 7), S. 267; krit. zur Forderung der Wissentlichkeit wegen möglicher Beweisproblemeauch Beck (Anm. 89), S. 169 m.w.N.

110 Pars pro toto BGH wistra 2010, 21 – „WestLB“.111 Einwände vorgetragen von Schramm (Anm. 7), S. 267; zustimmend Cappel (Anm. 11), S. 261.112 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder (Anm. 38), § 247 Rdn. 1; Kindhäuser (Anm. 44), § 247 Rdn. 1.

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weitgehend verlieren, wenn sie nicht mehr von Amts wegen verfolgt würde113.Erfahrungen in Deutschland – etwa mit dem Tatbestand der Angestelltenbeste-chung, der als absolutes Antragsdelikt bis zur Umsiedlung ins StGB 1997 keinepraktische Relevanz hatte – können diese Erwartungen untermauern114.

Die im französischen bzw. italienischen Recht vorfindliche Sonderdogmatikbzw. -regelung für Konzerne, wonach bei Vermögenszuwendungen innerhalbeines Konzernverbundes, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, die treupflich-tigen Geschäftsleiter gerechtfertigt handeln115, habe ich bewusst ausgeklammert.Sie erschien mir für allgemeine rechtsvergleichende Überlegungen in einem nur45 minütigen Vortrag zu speziell und komplex, als neuartiger Typus einer Art„safe-harbour-Regelung“ aber unbedingt diskussionswürdig.

IV. Abschließende Bemerkungen und Fazit

Fasse ich den Extrakt meiner – notwendig kursorischen – vergleichenden Über-legungen zum Untreuetatbestand zusammen, ergibt sich Folgendes:

Die Not, in der sich der deutsche Untreuetatbestand wegen seiner Weite undUnbestimmtheit befindet, lässt sich unter Rückgriff auf die in den Rechtsvergleicheingezogenen Rechtsordnungen nur begrenzt lindern. Mit dem englischen Rechtauf einen echten Untreuetatbestand zu verzichten, scheint mir keine ernsthafteAlternative zu sein. Zu groß sind die dadurch entstehenden Strafbarkeitslücken, zustark müsste in methodisch zweifelhafter Weise versucht werden, die Schutzlückenzumindest teilweise auf Kosten anderer Tatbestände zu schließen. Die gesell-schaftsrechtlichen Sondertatbestände des französisch-romanischen Modellshaben den Vorzug, dass sie den Täter- und Opferkreis klar umreißen und bereichs-spezifische Besonderheiten besser berücksichtigen können. Ohne einen flankie-renden allgemeinen Untreuetatbestand entsteht aber auch hier das Problem inak-zeptabler strafrechtsfreier Räume. Warum sich Geschäftsführer von Unternehmenbeim Missbrauch anvertrauter Herrschaft strafbar machen können, sonstige Pri-vate in vergleichbarer Funktion aber nicht, lässt sich überzeugend nicht begrün-den116. Anzuregen ist allerdings, in einem neu (und enger) zu fassenden allgemei-nen Untreuetatbestand den Typus des tauglichen Täters als „Vermögensverwal-ter“ oder „Geschäftsbesorger“ (i.S.v. § 675 BGB) stärker herauszustellen117. Die

113 Hohe Skepsis gegenüber der Leistungsfähigkeit der italienischen Vorschrift zur Gesell-schaftsuntreue wegen ihres Charakters als Antragsdelikt daher bei Foffani, Festschrift fürTiedemann, S. 767, 784.

114 Vgl. Rönnau, in: Achenbach/Ransiek (Anm. 1), III 2 Rdn. 3 f. m.w.N.115 Dazu die Nachweise in Anm. 71.116 Ebenso Bacigalupo (Anm. 46), S. 201, 207; Ludwig, Betrug und betrugsähnliche Delikte im

spanischen und deutschen Strafrecht, 2002, S. 217 f.117 So u.a. Nelles (Anm. 19) mit eigenem Gesetzesvorschlag auf S. 540; Otto (Anm. 12), S. 353,

363; Schramm (Anm. 7), S. 252 f. (mit einer Kombination aus [allgemeiner] Typusvorgabe

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Schwierigkeiten einer Konkretisierung der Tathandlung118 haben auch die auslän-dischen Strafrechte nicht wirklich bewältigen können. Verschiedene als Einschrän-kung gedachte Tatbestandskautelen halten nicht das, was sie versprechen. Dasseine vollendete Untreue einen Vermögensschaden voraussetzt, ist internationalbreit akzeptiert. Wer hier auf Gesetzesebene Abstriche macht, reicht einer ufer-losen Ausweitung des Tatbestandes auf Schadensseite die Hand, die ohnehin prak-tisch eines der größten Probleme des Untreuetatbestandes darstellt. Die Einfüh-rung einer Eigen-/ Drittbereicherungsabsicht ist nicht zu unterstützen, nimmt siedem Untreuetatbestand doch seine ganz besondere Schutzfunktion. Dagegen isteine Verschärfung der Vorsatzanforderungen hinsichtlich Tathandlung und -er-folg zu befürworten – vorbehaltlich allerdings der aus tiefergehenden Untersu-chungen gewonnenen Erkenntnis inakzeptabler Straflosigkeit bei wichtigen Fall-gruppen. Sie würde eine Reihe praxisrelevanter Problemfälle aus der „Strafbar-keitslinie“ nehmen. Die Untreuestrafbarkeit von einem Antrag abhängig zu ma-chen, ist mangels nicht zu rechtfertigender Verfolgungshemmnisse abzulehnen.

Letztlich hängt natürlich alles von der Einschätzung darüber ab, welches Un-recht so schwer wiegt, dass darauf mit Strafrecht reagiert werden muss, und wel-ches in der Aufarbeitung getrost dem Zivil- oder Öffentlichen Recht überlassenwerden kann. Der Preis für einen Tatbestand, der strafwürdiges Untreueverhaltenvollständig erfasst, ist eine einigermaßen weite und nur leidlich bestimmte Straf-norm119. Ob dieser Preis zu hoch ist, darüber lässt sich bekanntlich trefflich strei-ten.

[„Geschäftsbesorgung“] und der beispielhaften Angabe konkreter Tätergruppen [„nament-lich das vertretungsberechtigte Organ, der Betreuer usw.“]; krit. dazu Cappel [Anm. 11],S. 254); vgl. auch die Deliktsbezeichnung in der Schweiz „Art. 158 StGB: Ungetreue Ge-schäftsbesorgung“. Dass eine Präzisierung des Täterkreises der Untreue durch einen numerusclausus tauglicher Täter (wie im RStGB in der Zeit von 1871–1933) bisher nicht überzeugendgelungen und wohl auch unmöglich ist (veraltete Gesetzestechnik, die in kasuistischer Maniermonströsen Tatbestand entstehen ließe, der dennoch nicht alle geeigneten Täter enthielte), istmittlerweile Allgemeingut; vgl. nur Schramm (a.a.O.), S. 251 f.; Haas (Anm. 7), S. 133;Maiwald (Anm. 14), Rdn. 8 (“eine in ihrer Kasuistik tragikomische Aufzählung von Be-rufspflichten mit Treupflicht kraft Amtes“).

118 Den Versuch einer genaueren Umschreibung der einzelnen Pflichtverstöße präsentiert Labsch(Anm. 7), S. 345 in Form eines Gesetzesvorschlags (§ 266b StGB); ablehnend – aus dengleichen Gründen wie bei der bisher nicht gelungenen Täterkreiseinschränkung – etwa dieVerf. des AE-BT (Anm. 7), S. 127; Weber, Festschrift für Dreher, S. 555, 565 f.; Zech(Anm. 73), S. 42; Haas (Anm. 7), S. 134; Schramm (Anm. 7), S. 262 ff. (denkbar aber, nurbesonders schwere Pflichtverstöße bzw. besonders gewichtige Vermögensschädigungenausreichen zu lassen).

119 Nach Rentrop (Anm. 7), S. 286 zeigt die „ historische Beleuchtung der auf die Untreuenormbezogenen Reformdiskussion (…) in aller Deutlichkeit die ,faktische Unmöglichkeit’ derHerstellung einer im Sinne des Bestimmtheitsgebots des Art. 103 Absatz II GG ,idealen’Strafvorschrift.“

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