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BMBF STUDIE Herausforderung Klimawandel

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Impressum

HerausgeberBundesministeriumfür Bildung und Forschung (BMBF)Referat Öffentlichkeitsarbeit53170 Bonn

BestellungenSchriftlich an den HerausgeberPostfach 30 02 3553182 Bonn

oder telefonisch unter derRufnummer 01805-BMBF02bzw. 01805-262302Fax: 01805-BMBF03 bzw. 01805-2623030,12 Euro/Min.

E-Mail: [email protected]: http://www.bmbf.de

Berlin, 2003

Gedruckt auf Recyclingpapier

TitelbildmontageMichael Böttinger,

Deutsches Klimarechenzentrum(Klimarechner des DKRZ)

Joachim Biercamp,Deutsches Klimarechenzentrum(Simulation der Änderung dermittleren Temperatur in 2 m Höheim Vergleich zum Jahr 1860)

Dr. Annette Münzenberg, DLR Projektträger,Umweltforschung und -technik(Sedimentgestein)B

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Mitglieder des Sachverständigenkreises„Globale Umweltaspekte“ (SV GUA) des BMBF:

Prof. Dr. R. Zellner, Universität Essen (Vorsitz)

Prof. Dr. G. Brasseur, Max-Planck-Institut für Meteorologie Hamburg

Prof. Dr. M. Claussen, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Prof. Dr. N. Jürgens, Universität Hamburg

Prof. Dr. J. Negendank, Geoforschungszentrum Potsdam

Prof. Dr. U. Platt, Universität Heidelberg

Prof. Dr. W. Seiler, Forschungszentrum Karlsruhe, Garmisch-Partenkirchen

Prof. Dr. G. Stephan, Universität Bern

Prof. Dr. H. von Storch, GKSS Forschungszentrum,Geesthacht

Prof. Dr. J. Thiede, Alfred-Wegener-Institut, Bremerhaven

Prof. Dr. D. Wegener, Universität Dortmund

Prof. Dr. P. Weingart, Universität Bielefeld

Mitglieder des ad hoc Arbeitskreises„Klimadiskussion“ des Sachverständigenkreises „Globale Umweltaspekte“ (SV GUA) des BMBF:

Prof. Dr. R. Zellner, Universität Essen (Vorsitz)

Dr. U. Berner, Bundesanstalt für Geowissenschaftenund Rohstoffe, Hannover

Prof. Dr. G. Brasseur, Max-Planck-Institut für Meteorologie Hamburg

Prof. Dr. M. Claussen, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Prof. Dr. U. Cubasch, Freie Universität Berlin

Prof. Dr. J. Thiede, Alfred-Wegener-Institut, Bremerhaven

Prof. Dr. H. von Storch, GKSS Forschungszentrum,Geesthacht

Organisation:Dr. Annette Münzenberg, DLR Projektträger Umweltforschung und -technik des BMBF, Bonn

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Inhalt

VORBEMERKUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

ZUSAMMENFASSUNG DER WICHTIGSTEN AUSSAGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

1. WAS IST KLIMA UND WODURCH WIRD ES BESTIMMT? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111.1 Klima und Wetter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111.2 Das Klimasystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131.3 Mechanismen des Klimaantriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141.4 Klimavariabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191.5 Wechselwirkungen im Klimasystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211.6 Klimamodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251.7 Resumée . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

2. WIE SAH DAS KLIMA IN DER ERDGESCHICHTE SOWIE IN DEN LETZTEN 100 JAHREN AUS? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

2.1 Informationen aus Klimaarchiven und historischen Klimaaufzeichnungen . . . . . . . . . . . . 302.2 Reproduktionen des Klimas durch Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392.3 Resumée . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

3. WIE WIRD DAS KLIMA IN DER ZUKUNFT AUSSEHEN? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443.1 Klimavorhersage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443.2 Sozioökonomische Szenarien oder: Was bringt Kyoto? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453.3 Globales Klima . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473.4 Regionales Klima . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493.5 Resumée . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

4. WIE GEHEN WIR MIT DEM BEVORSTEHENDEN KLIMAWANDEL UM? . . . . . . . . . . . . . 524.1 Vermeidung und Anpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524.2 Klimaforschung als sozialer/kultureller Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534.3 Resumée . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

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Die Elbeflut 2002, Hitze-rekorde, Dürre undWaldbrände in weitenTeilen Europas in diesemSommer haben die Frage nach einem Klima-wandel erneut in denMittelpunkt öffentlichenInteresses gerückt.

Immer wieder wird nach den Ursachen dieserteils mit gravierenden Auswirkungen auf Wirt-schaft und Gesellschaft verbundenen extremenWetterereignisse und nach geeigneten Gegen-bzw. Anpassungsmaßnahmen gefragt.

Die Klimaforschung hat sich bereits seit mehrals 10 Jahren mit der Untersuchung des globa-len Klimasystems, seiner Beeinflussbarkeit durchden Menschen und möglicher Auswirkungenkommender Klimaänderungen beschäftigt. Viele Antworten auf die Fragen nach grundsätz-lichen Mechanismen und Entwicklungstenden-zen sind in den letzten Jahren wesentlich klarergeworden. Dies ist auch ein Verdienst intensiverForschungsförderung des BMBF auf diesemGebiet im Rahmen der institutionellen BMBF-Förderung, vor allem der Einrichtungen derHelmholtz-Gemeinschaft, der Wilhelm-Leibniz-und Max-Planck-Gesellschaft, aber auch durchzahlreiche Projektförderprogramme, wie beispielsweise das Deutsche Klimaforschungs-programm DEKLIM.

Viele Fragen sind aber auch noch heute nichtoder unvollständig beantwortet, und dies eröff-net Ansatzpunkte, inzwischen eingeleitete Maß-nahmen zum Klimaschutz immer neu zu bewer-ten. Welche Schritte zur weiteren Emissions-minderung von Treibhausgasen müssen in Wirt-schaft und Gesellschaft, wann und zu welchenKosten umgesetzt werden? Wie können wirschon heute mit Klimaschwankungen oder denangesprochenen Wetterextremen besser umge-hen, um wirtschaftliche Verluste und mensch-liches Leid zu mindern? Dies sind Fragen, zuderen Beantwortung Forschung, technologischeEntwicklung und Innovation erhebliche Beiträgeliefern können.

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Edelgard BulmahnBundesministerin für Bildung und Forschung

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Vorbemerkung

Das Klima der Erde hat einen wesentlichen Ein-fluss auf die Lebensbedingungen von Mensch-heit und belebter Natur. Die Diskussion übermögliche künftige Klimaänderungen, die zueiner beträchtlichen Veränderung des täglichenWetters führen könnten, hat alle Schichtenunserer Gesellschaft erreicht und beeinflusst invielen Bereichen politisches und wirtschaftli-ches Handeln, national wie global. Der Wissens-stand der internationalen Klimaforschung ist inden Sachstandsberichten des Intergovernmen-tal Panel on Climate Change (IPCC) zusammen-gefasst (www.ipcc.ch).

Danach besteht unter den Klimaforschern Kon-sens darüber, dass neben jener Klimaentwick-lung, die durch natürliche Ursachen bedingtund daher grundsätzlich nicht zu vermeiden ist,auch anthropogen bedingte Klimaänderungenin zunehmendem Maße möglich sind. Die im20. Jahrhundert beobachtete Temperaturer-höhung wird bereits zum größeren Teil aufanthropogene Ursachen zurückgeführt. Auf-grund des Bevölkerungswachstums, des zuneh-menden Verbrauchs an fossilen Brennstoffensowie der fortschreitenden Landnutzungsände-rung wird sich diese Tendenz mit hoher Wahr-scheinlichkeit in Zukunft verstärkt fortsetzen.Temperatur und Meeresspiegel werden wahr-scheinlich weiter ansteigen, Vegetationszonenund Niederschlagsmuster könnten sich verschie-ben bzw. ändern. Es ist auch wahrscheinlich,dass sich der Wasserkreislauf in mittleren Brei-ten intensiviert und zu einer Zunahme von eini-gen Wetterextrema führt. Kontrovers diskutiertwird unter Klimaforschern allerdings, welchesAusmaß die zu erwartenden Veränderungenannehmen werden und welche Auswirkungendies in verschiedenen Regionen der Erde habenwird. Aussagekräftig sind dabei nicht Einzel-ereignisse, sondern Trends in den statistischenGrößen, z.B. den Mittel- und Extremwerten.

Daraus folgt zum Beispiel: Ein kausaler Zusam-menhang eines einzelnen Extremereignisses(wie etwa der Flutkatastrophen des Sommers2002 in weiten Teilen Deutschlands und Euro-pas) mit einer beginnenden Veränderung desGlobalklimas ist wissenschaftlich nicht belegbar.

Der Klimawandel wird die menschlichen Lebens-verhältnisse und die Ökosysteme deutlich verän-dern. Das Ausmaß dieser Veränderung hängtaber davon ab, wie stark und wie schnell dieserWandel eintritt und welche Fähigkeiten dieGesellschaft und die Ökosysteme entwickeln,um sich anzupassen. Eine realistische Voraussa-ge von Ausmaß und Wirkung von Klimaverände-rungen – global und regional – ist deshalb einegroße Herausforderung für die Wissenschaft,die hohe gesellschaftliche Relevanz besitzt.

Zu den seit langem bekannten, aber immernoch weiter bestehenden Herausforderungender Wissenschaft gehören bestimmte Prozesseim Strahlungshaushalt der Atmosphäre sowiedie Frage, wie empfindlich diese gegenüber sichändernden Konzentrationen von Treibhaus-gasen und Aerosolen sind. Nicht abschließendgeklärt ist darüber hinaus, wie groß die Variabi-lität einerseits von natürlichen Antriebsfaktorendes Klimas ist, zum Beispiel der Leuchtkraft derSonne oder der Vulkanaktivität, sowie anderer-seits von verschiedenen internen Rückkopp-lungsmechanismen des Klimasystems ein-schließlich der biogeochemischen Stoffkreisläu-fe. Die Frage nach dem Ausmaß der regionalenoder gar lokalen Ausprägung von Klimawandelund die Zuordnung seiner Ursachen ist einebekannte, aber längst nicht abschließendbeantwortete Frage.

Neue Herausforderungen für Wissenschaft undGesellschaft liegen auch darin, einerseits dieVermeidbarkeit von anthropogen induziertemKlimawandel sowie andererseits die Folgen vonKlimawandel und der begleitenden Verletzlich-keit der Natur und der menschlichen Gesell-schaft abzuschätzen. Es erscheint ausgeschlos-sen, dass ein anthropogener Klimawandel in

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den nächsten Jahrzehnten vollständig oderauch nur überwiegend vermieden werden kann.Darüber hinaus tritt Klimawandel ohnehin auchnatürlich auf, wenngleich vermutlich in geringe-rem Maße als der anthropogene Klimawandel.Daher muss erhebliches Augenmerk auf denAnpassungsbedarf und die Anpassungsmöglich-keiten gerichtet werden. Die Balance zwischenVermeidung und Anpassung ist Gegenstandaktueller Forschung. Dabei ist besonders zubeachten, dass die Folgen der Klimaänderungerst durch den sozialen und ökonomischenZustand der jeweils betroffenen Gesellschaftzum Problem, d.h. zu Risiken und schließlichSchäden werden und deshalb z.B. in den Ent-wicklungs- und Schwellenländern anders ausfal-len als in den Industrienationen.

Moderne Klimaforschung ist damit nicht mehrnur eine wissenschaftliche, sondern zunehmendeine gesellschaftspolitische Herausforderung.Da Unsicherheiten der klimatologischen For-schung verbleiben werden und teilweise auchunvermeidlich sind, ist längst deutlich gewor-den, dass die notwendigen Maßnahmen – Ver-meidung von oder Anpassung an Klimawandel –eine gesellschaftliche Aufgabe darstellen, diegemeinsam mit Gesellschafts- und Wirtschafts-wissenschaftlern und im politischen Konsensgelöst werden muss. Themen wie die Definitionvon Umweltschutzzielen und deren Umsetzung,Nachfrageänderungen bei den fossilen Primär-energieträgern, Energieeinsparung oder Förde-rung erneuerbarer Energien, aber auch Ände-rungen von individuellen Gewohnheiten undVerhaltensmustern können nur im gesellschaft-lichen Dialog unter der Beteiligung vieler Diszi-plinen bearbeitet werden.

Obwohl der Sachverständigenkreis GlobaleUmweltaspekte des BMBF in Gänze die Notwen-digkeit erkannt hat, dass naturwissenschaftlicheKlimaforschung durch Wirtschafts- und Sozial-wissenschaften ergänzt werden muss, ist dienachfolgende Darstellung im Wesentlichen aufnaturwissenschaftliche Aspekte beschränkt. Der

Grund ist, dass die bisherige Klimaforschunghauptsächlich naturwissenschaftlich geprägtwar und die Ergebnisse dieser Forschung unver-zichtbar für alle anderen Disziplinen sind. Hinzukommt, dass zum Beispiel sozialwissenschaft-liche Ansätze wegen der geringeren Rationalitätder verfügbaren Daten nicht mit denselben Kriterien gemessen werden können.

Anlass für den vorliegenden Bericht war u.a. einnational und international wahrzunehmendesUnbehagen an bestimmten Ergebnissen dernaturwissenschaftlichen Klimaforschung, dievon der Öffentlichkeit und Politik bereits alssicher aufgefasst werden. In Deutschland wurdedie Klimadiskussion erneut durch eine KleineParlamentarische Anfrage der AbgeordnetenA.E. Fischer u.a. an die Bundesregierung zuStand, Ergebnissen und Perspektiven der Paläo-klimaforschung (Bundestagsdrucksache14/6529) angefacht, die auf das Buch „Klimafak-ten” (Herausgeber: Berner und Streif, 2001)Bezug nahm. Hintergrund dieser Anfrage ist dieVermutung, dass in den heutigen Computer-modellen, die für Szenarien zukünftiger Klima-entwicklungen verwendet werden, einige Ein-flussgrößen des Klimasystems bislang nicht mithinreichender Genauigkeit abgebildet sind. Insbesondere wird – im Gegensatz zu einem Teilder Ergebnisse der international durchgeführ-ten Klimamodellierung – der Einfluss desanthropogenen CO2-Zuwachses auf die Tempe-raturentwicklung der letzten 100 Jahre schwä-cher eingeschätzt.

Die vorliegende Dokumentation gibt zunächsteine knappe Darstellung des gegenwärtigenWissensstandes über das Klimasystem, seinerhistorischen Variabilität und seiner Beeinfluss-barkeit durch den Menschen sowie Szenariender Klimazukunft. Diese soll und kann umfang-reiche Darstellungen wie zum Beispiel den drit-ten Sachstandsbericht des IPCC aus dem Jahre2001 nicht ersetzen, soll aber gesicherteErkenntnisse einerseits und offene Fragen ande-rerseits besonders hervorheben. Eine weitere

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Absicht dieser Dokumentation besteht darin,unterschiedliche Interpretationen von Ergebnis-sen der Klimaforschung zu akzentuieren.Schließlich soll dargestellt werden, welche Kon-sequenzen die derzeitigen Ergebnisse der Klimaforschung für Gesellschaft und Politiknach sich ziehen.

Der vorliegende Bericht hat deshalb auch zumZiel, die von der Öffentlichkeit wahrgenomme-nen und in den Medien oft übertrieben undfalsch dargestellten vermeintlichen Widersprü-che in den Aussagen der Klimaforschung aufzu-lösen. Er soll orientierende Hilfestellung für dieEntscheidungsträger in Politik und Gesellschaftsein, aber auch dazu beitragen, den unter-schiedlichen Wissenschaftsdisziplinen der Kli-maforschung Mut und Unterstützung zu geben,sich den gesellschaftlichen Herausforderungendes Klimaschutzes durch neuartige interdiszipli-näre Forschungsansätze anzunehmen.

ZUSAMMEN-FASSUNGDER WICHTIGSTENAUSSAGEN

Klima ist nichts Konstantes

Das Klima der Erde verändert sich ständig –auch ohne den Einfluss des Menschen. Die Ursache hierfür sind die verschiedenen Antriebs-mechanismen: Geologische Prozesse auf erdge-schichtlicher Zeitskala ebenso wie die Stellungder Erde zur Sonne sind für lang- bis mittelfristi-ge Klimawechsel verantwortlich. Sie haben auchdie heutige Warmzeit verursacht, in der wir seitca. 11.600 Jahren leben. Andererseits schwanktdas Klima aber auch allein aufgrund seiner inne-ren Dynamik: Die Subsysteme des Klimas wieAtmosphäre, Ozeane, Biosphäre und Eismassensind so genannte nicht-lineare dynamischeSysteme, die als Folge kleinster Störungen großeVeränderungen zeigen können. Trotz diesernatürlichen Variabilität des Klimas besteht Kon-sens in der Wissenschaft, dass das Klima auchdurch den Menschen, also anthropogen, verän-dert wird.

Anthropogener Klimawandel findet statt

Die globale Jahresmitteltemperatur der boden-nahen Luft ist seit 1860 um 0,6 ± 0,2°C ange-stiegen. Dieser Anstieg hatte sowohl natürlicheals auch anthropogene Ursachen. Nach demgegenwärtigen Stand der Forschung kann mandavon ausgehen, dass die Erwärmung in denletzten drei Dekaden wesentlich durch dieZunahme der anthropogenen Treibhausgase,insbesondere Kohlendioxid (CO2), verursachtworden ist. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhun-derts dagegen haben vor allem natürliche Fak-

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toren wie die Zunahme des solaren Energieflus-ses und der Rückgang der Vulkanaktivität zurErwärmung beigetragen. Welchen genauerenAnteil allerdings natürliche und anthropogeneUrsachen am Klimawandel im 20. Jahrhunderthaben, darüber besteht in der Wissenschaftnoch keine einheitliche Meinung.

Klima ist nicht Wetter:Starkniederschläge sind allein keinAnzeichen einer Klimaänderung

Der momentane Zustand der Atmosphäre aneinem bestimmten Ort wird als Wetter bezeich-net. Unter Klima hingegen wird der langjährige– im Allgemeinen 30-jährige – Mittelwert sowiedie Variabilität des Wetters verstanden. Klima istdie Statistik des Wetters; Klimaänderungen sinddemzufolge Änderungen der Wetterstatistik.Daher kann auch von einem einzelnen Wetter-ereignis nicht auf eine Klimaänderung geschlos-sen werden. Das Auftreten z.B. eines einzelnenStarkniederschlages kann also grundsätzlichnicht als Signal für eine Änderung des Klimasinterpretiert werden.

Schnelle Klimaänderungen sind erdgeschichtlich nichts Neues

Das Klima der letzten 100.000 Jahre vor demEinsetzen der jetzigen Warmzeit war durch relativ schnelle Temperaturwechsel geprägt.Untersuchungen von Eiskernen in Grönland z.B.zeigen, dass es regional zahlreiche Temperatur-sprünge von mehreren Grad innerhalb wenigerJahre gegeben hat. Welche Prozesse diese star-ken sprunghaften Klimaänderungen ausgelösthaben, ist bis heute nicht geklärt, doch deutetVieles auf sprunghafte Änderungen der Meeres-strömungen hin. Auch in der jetzigen Warmzeit,die vor ca. 11.600 Jahren begann, gab es ab-wechselnd Erwärmungen und Abkühlungen; die Klimaveränderungen waren aber bei weitemnicht so dramatisch und so schnell wie in dervorangegangenen Kaltzeit. Ob der derzeit

beobachtete anthropogen beeinflusste Klima-wandel stärker ausfallen könnte als die natür-lichen Temperatursprünge innerhalb der derzei-tigen Warmzeit, wird in der Wissenschaft kon-trovers diskutiert.

CO2 und Temperatur beeinflussen sich gegenseitig

Obgleich die Erforschung der Klimageschichteim Laufe der letzten Jahrzehnte deutliche Fort-schritte gemacht hat, ist es bis heute nicht mög-lich, Änderungen der atmosphärischen CO2-Kon-zentration im Verlauf der weit zurückliegendenErdgeschichte mit hinreichender Sicherheit zurekonstruieren. Für die letzten 400.000 Jahrewurde ein bemerkenswerter Gleichlauf von CO2

und Temperaturänderungen im Wechsel vonKalt- und Warmzeiten gefunden. Aus dieser Ähn-lichkeit im Verlauf kann aber nicht geschlossenwerden, dass CO2 die Temperaturänderungenangetrieben hat oder umgekehrt. Die atmo-sphärische CO2-Konzentration ergibt sich ausder Wechselwirkung zwischen den Kohlenstoff-reservoirs der verschiedenen Komponenten imKlimasystem. Diese Wechselwirkung hängtunter anderem von der Temperatur ab, diewiederum – neben zahlreichen anderen Prozes-sen im Klimasystem – auch über den Treibhaus-effekt von der CO2-Konzentration bestimmtwird. Als sehr wahrscheinlich gilt, dass die heuti-ge CO2-Konzentration erheblich höher ist alsjemals zuvor in den vergangenen 400.000 Jah-ren. Zu dem heutigen Anstieg der atmosphäri-schen CO2-Konzentration hat der Mensch durchdie Verbrennung fossiler Energieträger deutlichbeigetragen und damit den Treibhauseffekterhöht.

Vertieftes Klimaverständnis durch Klimamodellierung

Um die Wechselwirkungen der verschiedenenMechanismen des Klimaantriebs und ihrer Rück-kopplungen zu verstehen und um Aussagen

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über die zukünftige Klimaentwicklung zu ma-chen, werden Klimamodelle entwickelt. Klima-modellierung ist der Versuch, das reale Klima inmathematischen Modellen abzubilden unddabei alle bekannten klimarelevanten physikali-schen Prozesse zu berücksichtigen. Einige Pro-zesse im Klimasystem, wie z.B. die Wirkung vonWolken und Aerosolen oder der veränderlichensolaren Leuchtkraft, sind in gegenwärtigen Klimamodellen bisher noch nicht zufriedenstel-lend dargestellt. Daher müssen Klimamodelleständig weiter entwickelt und verbessert wer-den. Hierbei sollte die begonnene fruchtbareZusammenarbeit zwischen der Klimamodellie-rung und jenen Disziplinen, die sich der Rekon-struktion des Klimas widmen, fortgesetzt undintensiviert werden.

Klimaszenarien und die Auswirkungdes Kyoto-Protokolls

Klimamodelle sind die wichtigsten wissen-schaftlichen Instrumente, um die Reaktion desKlimasystems auf Änderungen verschiedenerAntriebe, wie z.B. der CO2-Konzentration, zuuntersuchen. Wie sich die Emissionen künftigentwickeln könnten, ist in Szenarien formuliert,die jeweils unterschiedliche Annahmen über dieEntwicklung der Weltbevölkerung, ihres Lebens-standards und Energieverbrauchs machen. Allediese so genannten SRES-Szenarien zeigen bis2030 etwa die gleiche Entwicklung der globa-len Mitteltemperatur; erst danach laufen sieauseinander. Die Spannbreite des projiziertenTemperaturanstiegs bis 2100 liegt zwischen 1,4und 5,8 Grad. Zu den im Kyoto-Protokoll verein-barten Reduktionszielen der Treibhausgasemis-sionen liegen ebenfalls Modellrechnungen vor,die, extrapoliert bis 2050, nur eine äußerstgeringfügige Änderung (weniger als ein ZehntelGrad) gegenüber der sonstigen Temperaturent-wicklung errechnen. Daher ist das Protokoll inseiner jetzigen Form kaum dazu geeignet, dasKlima zu stabilisieren. Seine Wirkung ist eher impolitischen Bereich zu finden, da es die einzige

völkerrechtliche Basis für weitergehende Maß-nahmen darstellt.

Die regionale Ausprägungvon Klimawandel ist noch unsicher

Klima wird von den Menschen nicht global, son-dern regional bzw. lokal erfahren. Für die Wahr-nehmung von Klimawandel spielt deshalb nichtdie Änderung von globalen Mittelwerten, son-dern die regionale bzw. lokale Ausprägung sol-cher Mittelwerte die entscheidende Rolle. Diesgilt insbesondere für die Zunahme von Extrem-ereignissen, wie z.B. Dürren, Stürmen oderStarkniederschlägen. Einer Klimamodellierungmit regionaler Auflösung, also mit Aussagen fürmöglichst kleine Regionen, kommt deshalb einezunehmende Bedeutung zu. Die bislang vorlie-genden Ergebnisse der regionalisierten Model-lierung zeigen für die Regionen Mittel- undNordeuropa übereinstimmend, dass sich dieTemperatur in Zukunft im Winter erhöhen wird.Weniger übereinstimmend dagegen sind dieErgebnisse noch im Hinblick auf die Änderun-gen der Niederschläge in diesen Regionen.

Anpassung an den Klimawandel istunumgänglich

In Anbetracht der Entwicklung der letzten Jahreist es sehr wahrscheinlich, dass die Emission vonTreibhausgasen in den nächsten Jahrzehntenweiter anwächst. Dass sich die Emissionen aufgegenwärtigem Niveau oder gar auf einemNiveau des Jahres 1990 in näherer Zukunft sta-bilisieren, ist unwahrscheinlich, so dass sich dasKlima in den kommenden Jahrzehnten auch alsFolge menschlicher Aktivitäten weiter ändernwird. Diese Änderung lässt sich nur in gewissemUmfang und auch eher nur langfristig durchgeeignete Strategien vermindern. Daher sehensich Gesellschaft und Politik vor der wichtigenAufgabe, die Menschen und auch die Wirtschaftauf Veränderungen im Klima vorzubereiten.Dazu gehört vor allem die Entwicklung von

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Technologien und Methoden, die dabei helfen,mit einer sich verändernden Umwelt umzuge-hen. Die Diskussion um Anpassung an möglicheKlimaänderungen muss im politischen Diskursgrößeres Gewicht erhalten.

Klimaforschung als sozialer Prozess

Klimaforschung ist von hoher gesellschaftlicherRelevanz, aber mit großer Unsicherheit ver-knüpft. Die Unsicherheit kann in gewissemMaße durch weitere Forschung vermindert wer-den. Wenngleich Forschung unser Wissen überdie relevanten Fragen vermehrt, tauchen in derRegel gleichzeitig weitere ungeklärte Fragenauf, und weitere mögliche Wirkungsketten wer-den erkannt. In dieser Situation ist Wissenschaftnicht der einzige und auch nicht der wichtigstegesellschaftliche Ratgeber: Naturwissenschaftli-che Argumente sind nicht die einzigen, die inden Köpfen der Menschen wirken. Forschung imBereich Klima und Klimawirkung bezüglichUmwelt, Mensch und seiner Wirtschaft wirddamit zu einem sozialen Prozess. Bislang wurdeKlimaforschung weitgehend disziplinär vonNaturwissenschaftlern betrieben. Es ist aber ander Zeit, die bereits existierenden Ansätze derKlimaforschung im Verbund von Natur- undSozialwissenschaften weiter voranzutreiben.

1. WAS IST KLIMA UNDWODURCH WIRD ES BESTIMMT?In der öffentlichen Diskussion über Klima, Kli-maschutz und Klimafolgen treten Fragen auf,die zum Teil auf Unkenntnis des Diskussions-gegenstandes und des gegenwärtigen For-schungsstandes zurückzuführen sind. Zum Teilspiegeln sie aber auch den tatsächlichen wissen-schaftlichen Dissens bzw. Forschungsbedarfwider. Zum ersten Themenbereich gehören dieVerwechslung der Begriffe Klima und Wetter,die Interpretation einzelner Wetterextreme alsSignal eines Klimawandels, die Behauptung, es gäbe keinen Treibhauseffekt, sowie die Ver-mutung, CO2 wäre auch in der Vergangenheitdurchgehend der Antrieb für Klimaänderungengewesen. In der Klimaforschung dagegen wer-den u.a. folgende Punkte immer noch kontro-vers diskutiert: Wie stark beeinflussen die natür-lichen Klimaantriebe, wie z.B. Änderung derSonnenaktivität und Vulkanismus, die Klima-variabilität im Vergleich zu anthropogenemAntrieb, wie stark sind die internen Rückkopp-lungsprozesse wie z.B. der Wasserkreislauf ein-schließlich Wolken und dem positiven wie auchnegativen Effekt des Wasserdampfes im Strah-lungshaushalt der Atmosphäre? Wie wirkt sichdie Klimaänderung auf den Austausch von Treibhausgasen zwischen der Biosphäre und der Atmosphäre aus? Wie zuverlässig ist das Klima modellierbar, ist es gar vorhersagbar, und wie belastbar sind Vorhersagen der Klima-modelle?

1.1 Klima und WetterDer momentane Zustand der Atmosphäre aneinem Ort wird als Wetter bezeichnet. Unterdem Begriff Klima werden hingegen der lang-jährige – im Allgemeinen 30-jährige – Mittel-wert des Wetters sowie die Variabilität des Wet-ters im Mittel über einen längeren Zeitraum ver-standen. Klima ist somit die Statistik des Wet-ters. Messbare Größen, die das Klima beschrei-ben, werden Klimaelemente genannt. Hierzu

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zählen sämtliche meteorologischen Größen wieTemperatur, Windgeschwindigkeit, Nieder-schlagsmenge, Art des Niederschlags, Sonnen-scheindauer usw. Die Klimaelemente werden alsstatistische Kenngrößen angegeben wie Jahres-mittel oder Monatsmittel des Niederschlagsoder Eintrittswahrscheinlichkeit und die Häufig-keit von Ereignissen wie z.B. mittlere Dauer vonDürren, d.h. Tagen ohne Niederschlag, oder Auftreten von Extremereignissen, wie z.B. Stark-niederschlag, Sturm, etc.

Da von einem einzelnen zufälligen Ereignisnicht auf die statistischen Eigenschaften derGrundgesamtheit, der dieses Ereignis zuzuord-nen ist, geschlossen werden kann, ist es unmög-lich, die Dynamik des Klimas aus einem einzel-nen Wetterereignis abzuleiten. Das Auftretenz.B. eines einzelnen Starkniederschlages kannalso prinzipiell nicht als Klimaänderungssignalinterpretiert werden. Als Beispiel sei hier die Zeit-reihe der Jahresmitteltemperaturen der boden-nahen Luftschicht in etwa 2 m Höhe angeführt(siehe Abb. 1), die an der Säkularstation Pots-dam aufgenommen wurde. (Als Säkularstatio-nen werden meteorologische Messstationenbezeichnet, an denen seit mehr als hundert Jah-

ren meteorologische und klimatologische Auf-zeichnungen durchführt werden. Für weitereInformationen siehe www.klima-potsdam.de).

Die Potsdamer Zeitreihe zeigt ein sehr warmesJahr 2000 und ein sehr kaltes Jahr 1996 (DerWinter 1995/96 war außergewöhnlich kalt undlangandauernd). Die Jahre 2000 und 1996 kön-nen bezüglich der Jahresmitteltemperatur alsExtremereignisse angesehen werden, dochweder kündigt das Jahr 2000 den Beginn einerbesonderen Warmzeit, noch das Jahr 1996 denBeginn einer neuen Eiszeit an. Die Zeitreihe derJahresmitteltemperaturen von 1893 bis 2002zeigt eine ansteigende Jahresmitteltemperaturvon etwa 1°C in 100 Jahren. Daher ist zu erwar-ten, dass mit fortschreitender Zeit sehr warmeJahre als Extremwert, z.B. als wärmstes Jahr seitBeginn der Messung, erscheinen. Auch das sehrkalte Jahr 1996 erscheint in der hundertjährigenMessreihe wärmer als die Jahre 1893, 1894,1902, 1922, 1940, 1941 und 1956. Definiertman die Jahresmitteltemperatur des Jahres1996 als Schwellenwert, unterhalb dessen einJahr als extrem kalt bezeichnet werden kann, sostellt sich heraus, dass die Anzahl kalter Jahre inder ersten Hälfte der Jahrhundertreihe dreimalgrößer ist als in der zweiten Hälfte. Eine statisti-sche Absicherung dieser Aussage ist aufgrundder geringen Anzahl extrem kalter Jahre in die-sem 100-Jahres-Abschnitt sehr unsicher. Gene-rell gilt, dass zur statistischen Betrachtung vonExtremereignissen wesentlich längere Zeitrei-hen zur Verfügung stehen müssen als zurBeschreibung einfacher statistischer Kenngrö-ßen wie Mittelwert und Varianz.

Die Aussagen bezüglich der statistischenBehandlung von Extremereignissen in einerMessreihe gelten analog für die Betrachtungvon räumlichen Mittelwerten und an verschie-denen Orten gemessenen einzelnen Zeitreihen.Grundsätzlich kann nicht von der Messung aneinem Ort auf den globalen Trend geschlossenwerden. Während die Messreihe in Potsdameinen Anstieg der Jahresmitteltemperatur von

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Abbildung 1Jahresmitteltemperatur der bodennahen Luftschicht ge-messen an der Säkularstation Potsdam von 1893 bis 2001(siehe auch www.klima-potsdam.de). Die blaue Kurvekennzeichnet die Zeitreihe von Mittelwerten, bei derneben dem aktuellen Jahr auch die vier Jahre davor unddanach in die Berechung mit einbezogen wurden.Quelle: Säkularstation Potsdam (Deutscher Wetterdienst)

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etwa 1°C in den letzten hundert Jahren zeigt,wird im globalen Mittel ein Anstieg von 0,6 ± 0,2°C berechnet. Es gibt, wie detaillierteAnalysen zeigen, Gebiete auf der Erde, in denendie Temperatur der bodennahen Luftschicht indiesem Zeitraum sogar abgenommen hat. Dafürhat die Temperatur in anderen Gebieten stärkerzugenommen als im globalen Mittel. Die Anga-be ±0,2°C ist als Unsicherheit der Abschätzun-gen des Temperaturanstieges zu interpretieren.Diese Unsicherheit entsteht dadurch, dass nichtan allen Orten auf der Welt die Lufttemperaturregistriert wird. Insbesondere über den Ozea-nen gibt es immer noch große Messlücken, diedurch aufwendige Interpolationsverfahren ge-schlossen werden. Dies gilt erst recht für einenReferenzzeitraum vor etwa 100 Jahren, in demnur in Europa, an den Küstenzonen Nordameri-kas und Ostasiens sowie entlang der großenSchifffahrtslinien die bodennahen Temperatu-ren regelmäßig gemessen wurden.

1.2 Das KlimasystemWenngleich das Klima von den Menschen alsatmosphärischer Zustand wahrgenommen wird,so ist die Dynamik des Klimas nicht allein durchdie Atmosphäre verursacht. Unter Klimadynamikverstehen wir Mechanismen, die den mittlerenZustand und die Schwankungen in der Atmo-sphäre verursachen. Die längerfristigen Verän-derungen der Atmosphäre werden wesentlichdurch die Wechselwirkung der Atmosphäre mitdem Ozean und den Landoberflächen sowie derVegetation und den Eismassen geprägt.

Das Klimasystem (Abb. 2) besteht aus verschie-denen Untersystemen: der Atmosphäre, derHydrosphäre (Ozeane, Flüsse, Seen, Regen,Grundwasser), der Kryosphäre (Inlandeismassen,Meereis, Schnee, Permafrost), der marinen undterrestrischen Biosphäre, dem Erdreich, und,wenn Zeitskalen über viele Jahrtausendebetrachtet werden, der Erdkruste und dem obe-ren Erdmantel. Diese Unterteilung erfolgt imWesentlichen aufgrund der beteiligten Medien(gasförmig, flüssig, fest) und der Zeitskalen, diefür typische Änderungen in den Untersystemenbeobachtet werden können (siehe Tab. 1). DieUntersysteme sind über Energie-, Massen- undImpulsflüsse miteinander gekoppelt.

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Abbildung 2Schematische Darstel-lung der verschiede-nen Komponenten desKlimasystems und der sie verbindenden Flüsse.

Quelle:Claussen (2003)

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Aus der Tabelle ist zu ersehen, dass unterschied-liche Prozesse auf zum Teil deutlich verschiede-nen Zeitskalen ablaufen, so dass auch Klima-änderungen auf unterschiedlichen Zeitskalenmöglich sind. So ist z.B. das Entstehen und Vergehen von Eiszeiten über Jahrhunderttau-sende und das Auftreten der so genannten„Kleinen Eiszeit” (siehe Abschnitt 2.1) vor eini-gen hundert Jahren durch unterschiedliche Pro-zesse hervorgerufen worden. Diese könnendaher auch nicht direkt miteinander verglichenwerden.

1.3 Mechanismen des KlimaantriebsDie Sonne ist der Motor unseres Klimasystems.Ihr Antrieb ist jedoch nicht immer gleich, son-dern ändert sich durch verschiedene Faktorenauf unterschiedlichen Zeitskalen.

• Die Leuchtkraft der Sonne ändert sich aufnahezu allen Zeitskalen. Der Energiefluss vonder Sonne zur Erde nimmt im Laufe von Jahr-milliarden Jahren allmählich zu (etwa 10% proMilliarde Jahre). Für die Betrachtung der Klima-dynamik im Laufe der letzten hunderttausendJahre sind die solaren Aktivitätsänderungen

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Tabelle 1 Klimauntersysteme und typische Zeitskalen ihrer Prozesse

Komponente Prozess ZeitskalaAtmosphäre Wetterdynamik in der Troposphäre 1–10 Tage

(etwa 0 –10 km)

Wellenbewegung in der Stratosphäre 100 Tage bis etwa 2 Jahre(etwa 10 – 50 km)

Hydrosphäre Wärmeausbreitung im oberen Ozean Monate(nur Ozeane) (0 –100 m)

Durchmischung des tiefen Ozeans Jahrhunderte bis Jahrtausende

Kryosphäre Ausdehnung des Meereises Jahre bis Jahrzehnte

Aufbau und Schmelzen von Talgletschern Jahrzehnte bis Jahrhunderte

Eisströme im Inlandeis Jahrhunderte

Aufbau und Zerfall von Permafrost und Jahrzehntausende bis Inlandeismassen (vermutlich) Jahrmillionen

Biosphäre Aktivität der Photosynthese Minuten

Mineralisation von Biomasse Monate bis Jahrhunderte

Änderung in der Zusammensetzung Jahrzehnteeines Bestandes

Wandern von Vegetationszonen Jahrhunderte

Pedosphäre Erwärmung des Bodens Tage bis Jahre

Grundwasserneubildung Jahre bis Jahrtausende

Lithosphäre Vertikale Ausgleichsbewegung, kontinuierlichEntgasen von CO2, Wasser etc.

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der Sonne im Bereich von etwa 11, 22, 78 undvermutlich auch 208, 1500 und 2500 Jahreninteressant. Der Energiefluss von der Sonne ein-schließlich seiner Schwankungen kann erst inden letzten etwa 20 Jahren von Satelliten ausgemessen werden. Für die Zeit davor werdendie solaren Schwankungen aus Beobachtungender Änderungen der Sonnenflecken oder ausKonzentrationsänderungen kosmogener Iso-tope abgeschätzt. Während die Tatsache, dassSchwankungen des solaren Energieflusses Klimavariabilität hervorrufen, nicht umstrittenist, wird über die Größe dieses Effektes im Ver-gleich zu anderen Antrieben weiterhin disku-tiert (siehe Kapitel 2).

• Zusammen mit dem Magnetfeld der Erdeschirmt das Magnetfeld der Sonne die Atmo-sphäre vor kosmischer Partikelstrahlung ab.Wenn die Magnetfelder sich ändern, ändert sichauch der Strom kosmischer Partikel in die Atmo-sphäre. Diese Partikel führen zur Bildung vonIonenclustern, die als Kondensationskeime heranwachsen und damit die Wolkenbildungverstärken können. Die Klimarelevanz kosmi-scher Partikelstrahlung und des Erdmagnetfel-des wird zur Zeit kontrovers diskutiert.

• Die Erdbahn um die Sonne ist ständigenÄnderungen unterworfen und führt zu nennens-werten Verschiebungen in der regionalen Ver-teilung der solaren Einstrahlung auf Zeitskalenvon 19.000 bis zu 413.000 Jahren. Diese zykli-schen, zumeist mit dem Namen Milankovitchverbundenen Schwankungen verursachen signi-fikante Klimaschwankungen. Während der letz-ten 1 Millionen Jahre treten die stärkstenerstaunlicherweise bei dem 100.000-jährigenZyklus auf, der mit der veränderlichen Exzentri-zität der Erdbahn und damit nur mit marginalenSchwankungen im solaren Energieangebot ein-hergeht.

Neben den Faktoren, die die Sonnenintensitätan jedem Punkt der Erdoberfläche bestimmen,gibt es noch weitere natürliche Einflüsse auf dasKlimageschehen:

• Langsame Konvektionsbewegungen im Erd-mantel führen zu tektonischen Prozessen, wieKontinentaldrift, Auffaltung von Gebirgen,Änderung des Ausgasens von CO2 aus demErdinneren. Sie spielen für die langfristige Kli-madynamik im Rahmen von Millionen Jahreneine prägende Rolle.

• Für kurzfristige klimatische Einflüsse ist die antektonische Prozesse gekoppelte Vulkantätig-keit mitverantwortlich. Durch Vulkanaktivitätgelangen gasförmige und partikelförmige Spu-renstoffe in die Atmosphäre, die den Strahlungs-haushalt der Atmosphäre ändern (siehe hierzuauch unten, Treibhauseffekt).

• Ein in seiner Variabilität nur unzulänglichabzuschätzender Klimaantrieb sind Einschlägegrößerer Meteoriten. Für die Diskussion dergegenwärtigen Klimaänderung spielt dieserFaktor allerdings keine Rolle.

Das wohl prominenteste Thema in der Klima-diskussion ist der so genannte Treibhauseffekt.Der Treibhauseffekt ist rein atmosphärischerNatur. Er ist zunächst nicht etwas mensch-gemachtes, sondern etwas ganz natürliches (siehe Kasten „Der Treibhauseffekt....“, Seite 16).Ohne diesen so genannten primären Treibhaus-effekt wäre Leben auf der Erde nicht möglich.

Seit Beginn des Industriezeitalters verändert derMensch die Konzentration der klimarelevantenSpurengase in der Atmosphäre und bewirktdamit einen zusätzlichen, sekundären Treib-hauseffekt. Die wichtigsten Treibhausgase sinddas Kohlendioxid, Methan, Distickstoffoxid unddie FCKWs, die durch unterschiedliche mensch-liche Aktivitäten in die Atmosphäre emittiertwerden (vgl. Tabelle 3). Die Wirksamkeit deranthropogenen Beiträge hängt unter anderemdavon ab, wie stark die jeweiligen Absorptions-banden der natürlichen Treibhausgase bereitsgesättigt sind. Bei einigen anthropogenen Treib-hausgasen sind die natürlichen Absorptionsban-den nur bis zu einem geringen Grad bzw. garnicht gesättigt wie bei den FCKWs. Die Folge ist,dass ein zusätzliches Molekül dieser Gase eine

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Der Treibhauseffekt, Klimawirkungvon Gasen und AerosolenVon entscheidender klimatischer Bedeutung bei den Strahlungsvorgängen in der Atmosphäre ist,dass die langwellige Wärmestrahlung der erwärmten Erdoberfläche die Atmosphäre größtenteilsnicht auf direktem Wege verlässt, sondern von atmosphärischen Spurengasen, den natürlichenTreibhausgasen, und von Wolken zunächst teilweise absorbiert wird. Spurengase und Wolkenemittieren diese Energie einerseits in den Weltraum und andererseits in Richtung Erdoberflächezurück, die dadurch zusätzlich aufgeheizt wird. Der auf diese Weise hervorgerufene Wärmestauin der unteren Atmosphäre bewirkt einen Temperatureffekt von +33°C bzw. eine Erwärmung von–18°C (bei Annahme einer Atmosphäre ohne Wolken und Spurengase) auf +15°C und ermöglichtdamit überhaupt erst Leben auf der Erde. In Anlehnung an das Garten-Treibhaus bezeichnet manden Wärmestau in der unteren Atmosphäre als „Treibhauseffekt“.

Die eigentlichen Verursacher desTreibhauseffekts sind eine Reihe vonSpurengasen wie Wasserdampf(H2O), Kohlendioxid (CO2), Methan(CH4), Distickstoffoxid (N2O), Ozon(O3) u.a., deren Anteil an der Ge-samtmasse der Atmosphäre zusam-men weniger als 1% ausmacht. DieseTreibhausgase lassen die kurzwelligeSolarstrahlung weitgehend passie-ren, absorbieren aber die langwel-lige Wärmestrahlung der Erd-oberfläche im Infrarotbereich in

Wellenlängenbereichen ab etwa 3 µm. Dabeiabsorbieren die einzelnen Spurengase in un-terschiedlichen Absorptionsbanden.

Das wichtigste natürliche Treibhausgas istWasserdampf, das für fast zwei Drittel desnatürlichen Treibhauseffekts verantwortlichist. Es absorbiert in breiten Spektralbereichenum 3 µm, 5 µm und 20 µm nahezu vollständig.Es lässt aber in anderen Wellenlängenbe-reichen wie um 4 µm und um 10 µm die Infra-rotstrahlung nahezu ganz passieren. In diesenSpektren setzen die anderen Treibhausgasean. So absorbiert das zweitwichtigste natür-liche Treibhausgas, das Kohlendioxid, gerade

Abbildung 3 Mechanismus des Treibhauseffekts(Quelle: IPCC, Third Assessment Report, 2001)

Tabelle 2 Beitrag von natürlichenSpurengasen der Atmosphäre zumnatürlichen Treibhauseffekt

Treibhausgas Beitrag zum natürlichenTreibhauseffekt [%]

Wasserdampf (H2O) 62

Kohlendioxid (CO2) 22

Ozon, bodennah (O3) 7

Distickstoffoxid (N2O) 4

Methan (CH4) 2,5

andere 2,5Quelle: Kondratyev und Moskalenko (1984)

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wesentlich höhere Treibhauswirkung hat als einzusätzliches CO2-Molekül. So besitzt etwa einMethan-Molekül das 23-fache und ein FCKW11-Molekül das 4600-fache Treibhauspotentialeines CO2-Moleküls.

Neben den Strahlungseigenschaften hängt dieWirkung der Treibhausgase im Klimasystemauch von der Verweilzeit der Treibhausgase inder Atmosphäre ab. Das durch menschliche Akti-vitäten in die Atmosphäre emittierte Kohlendio-xid wird durch die Bildung von Biomasse unddie Lösung von CO2 im Ozean wieder aus derAtmosphäre entfernt. Aufgrund der Dynamikder genannten Prozesse kann die Verweildauerdes anthropogenen Kohlendioxids nur nähe-rungsweise angegeben werden. Nach gegen-wärtigen Abschätzungen liegt sie im Bereichvon 50 bis 200 Jahren. Demgegenüber wirdetwa die atmosphärische Lebensdauer vonMethan fast ausschließlich durch die Oxidationmit OH in der Atmosphäre kontrolliert, worausein mittlerer Verbleib in der Atmosphäre von 12 Jahren resultiert. Die lange Verweilzeit vonDistickstoffoxid von 114 Jahren erklärt sich dar-aus, dass dieses Treibhausgas hauptsächlichdurch Photolyse in der Stratosphäre entferntwird.

Dem anthropogenen Treibhauseffekt entgegenwirkt die vom Menschen verursachte Erhöhungder Aerosolkonzentration in der Atmosphäre.Diese hat ihre Ursache hauptsächlich in der Nutzung fossiler Energierohstoffe, in der Ver-brennung von Biomasse und in Emissionen derLandwirtschaft. Bei diesen werden Schwebstoffewie Ruß, Verbrennungsaerosole oder auchGase gebildet (Schwefeldioxid, Stickoxide,Ammoniak), deren Oxidation in der Atmosphäreselbst ebenfalls zu Aerosolen führt. BedeutendeMengen von Aerosolen stammen aber auch ausder natürlichen Aufwirbelung von Böden(Mineralaerosole) und der Meeresoberfläche(Seesalzaerosole) sowie aus der Oxidation vonbiogen produzierten Kohlenwasserstoffen(Terpene). Aufgrund der räumlichen und zeit-lichen Veränderung der Quellstärken von Aero-solen sowie ihrer begrenzten Lebensdauer istdie Beladung der Atmosphäre mit Aerosolenräumlich und zeitlich ebenfalls sehr variabel. Bezüglich ihrer Klimawirkung haben Aerosolezwei unterschiedliche Eigenschaften: Sie sinderstens direkt strahlungsaktiv, indem sie Son-nenlicht reflektieren, und zweitens indirekt, dasie einen Einfluss auf die Wolkenbildung besit-zen (vgl. Kasten).

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um 4 µm und 15 µm. Ozon, Distickstoffoxid und Methan füllen weitere Lücken des Wellenlän-genspektrums.

Neben den Treibhausgasen sind Aerosole*) für das Klimasystem von Bedeutung. Sie gelangendirekt, beispielsweise durch Sandstürme oder bei Vulkanausbrüchen, in die Atmosphäre. Sie wer-den auch aus gasförmigen Vorläufersubstanzen in der Atmosphäre gebildet. Aerosole beeinflus-sen das Klimasystem sowohl direkt aufgrund ihrer Wechselwirkung mit der Strahlung als auchindirekt aufgrund ihrer Rolle als Wolkenkondensationskerne. Optische Eigenschaften und dieFähigkeit einzelner Partikel, als Wolkenkondensationskern aktiviert zu werden, sind durch Parti-kelgröße, chemische Zusammensetzung und der Menge des am Aerosol gebundenen Wassersbestimmt. Beispielsweise Schwefelaerosol absorbiert kaum im sichtbaren Spektralbereich, so dassStreuvorgänge dominieren. Diese Reflektion von Solarstrahlung bedeutet eine Abkühlung desSystems Erde-Atmosphäre. Dahingegen führt die Absorption von Solarstrahlung durch Rußaerosolzu einer Erwärmung der Atmosphäre.

*) Das atmosphärische Aerosol ist definiert als die Gesamtheit aller in einem Luftvolumen befindlichen Partikel unterschiedlichster Form, Textur, chemischer Zusammensetzung und Größe.

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Eine detaillierte Darstellung der verschiedenendurch den Menschen seit Beginn der Industriali-sierung hervorgerufenen Antriebe im Klimasy-stem findet man in Abb. 4. Aus dieser Abbildungist zu erkennen, dass die langlebigen undgleichmäßig verteilten Treibhausgase zusam-men zu einem Strahlungsantrieb von 2,45 Wm-2

seit Anfang des Industriezeitalters geführthaben, wovon mehr als die Hälfte auf das Koh-lendioxid entfällt. Die Beträge zum Strahlungs-antrieb der anderen Faktoren (stratosphärischesOzon, troposphärisches Ozon, Aerosole, Flugver-kehr, Landnutzungsänderung und Sonnenein-strahlung) sind jeweils vergleichsweise klein undhaben sowohl positive als auch negative Vorzei-chen. Es ist aber zu beachten, dass der wissen-

schaftliche Kenntnisstand bezüglich der Strah-lungsantriebe sehr unterschiedlich ist. Er istallein hoch bei den Treibhausgasen und wirdniedrig bzw. sehr niedrig beim Effekt der Aero-sole und anderer. Insbesondere ist beim indirek-ten Effekt der Aerosole nur das Vorzeichen klar,nicht aber die Größe; bei dem Effekt des mine-ralischen Aerosols nicht einmal das Vorzeichen.Es ist deshalb denkbar, dass die gesamten unbe-kannten Effekte zusammen genommen denanthropogenen Effekt durch die Treibhausgasemehr als kompensieren.

Klimarelevant sind darüber hinaus Änderungenin der Landnutzung. Insbesondere die Überfüh-rung großer Flächen in landwirtschaftliche Nut-

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Tabelle 3Anthropogene Treibhausgase: Die Emissionsmenge, das relative Treibhauspotential unddie atmosphärische Verweilzeit bestimmen den Anteil der einzelnen Gase am gesamtenzusätzlichen Treibhauseffekt.

Kohlendioxid Methan Distickstoffoxid FCKW-11

Vorindustrielle atmo-sphärische Konzentration ca. 280 ppmv ca. 700 ppbv ca. 275 ppbv 0

Konzentration im Jahr 20001) 369 ppmv 1753 ppbv 314 ppbv 265 pptv

Anthropogene Emissionenpro Jahr2) 26 Gt 600 Mt 16,4 Mt 3)

Konzentrationszunahmepro Jahr 4) 1,5 ppmv 7,0 ppbv 0,8 ppbv –1,4 pptv

Mittlere Verweilzeit in Jahren 50-200 12 114 45

Relatives Treibhauspotential5) 1 23 296 4600

Beitrag zum anthropogenen Treibhauseffekt in Prozent 6) 60,2 19,8 6,2 2,9

1) Volumenmischungsverhältnisse in Einheiten von 10-6 (ppmv), 10-9 (ppbv) und 10-12 (pptv). Die Konzentration von FCKW-11 ist aufgrund des Montrealer Protokolls seit Mitte der neunziger Jahre rückläufig.

2) Zeitraum 1990 –1999.3) Die Emissionen von FCKW-11 sind aufgrund des Montrealer Protokolls seit 1990 stark rückläufig.4) Für den Zeitraum 1990-1999. Für FCKW-11 seit Mitte der neunziger Jahre.5) Relatives molekulares Treibhauspotential gemessen an der Treibhauswirkung von CO2 (=1) über 100 Jahre.6) Der Rest entfällt auf andere FCKW sowie auf das troposphärische Ozon.

Quelle: IPCC, Third Assessment Report (2001)

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zung sowie die Entwaldung hat zweifelsfrei Aus-wirkungen auf das lokale Klima. Der Mecha-nismus hinter dieser Veränderung ist die Modifi-kation der Bodenreibung und des Energie- undWasseraustausches zwischen atmosphärischerGrenzschicht und Boden sowie die Veränderungder Albedo. Durch Landnutzungsänderungenwerden ebenfalls Treibhausgase emittiert.Inwieweit Landnutzungsänderungen auf einergroßen Skala etwa kontinentale Klimaänderun-gen verursachen können, ist nicht einwandfreigeklärt.

Eine extreme und lokalisierte Form der Landnut-zung stellt die Verstädterung dar, die zu loka-len „Wärmeinseln” und veränderten Nieder-schlags- und Windverhältnissen führt. Gemein-sam mit zum Teil dramatischen Erhöhungen derlokalen Emissionen von Schadgasen kommt esin den Städten in verstärktem Maße zu Verände-rungen der lokalen Umweltbedingungen. Pro-bleme der Verstädterung einschließlich dermöglichen Versorgungsdefizite mit Frischwassersind besonders ausgeprägt in den so genannten„Megacities” der Schwellen- und Entwicklungs-länder.

1.4 KlimavariabilitätKlima ist nichts Konstantes, es variiert ständig.Ursache hierfür sind zum einen die in Kapitel 1.3besprochenen Antriebsmechanismen, die ihrer-seits ebenfalls Schwankungen unterworfen sind.Andererseits schwankt das Klimasystem auchbei konstanten externen Antrieben. Hintergrunddieses Phänomens ist die innere Dynamik desKlimasystems. So kann zwar ein besondersfeuchter Sommer durch eine Häufung einer cha-rakteristischen Wetterlage gedeutet, die Häu-fung dieser Wetterlage selbst jedoch kann in derRegel nicht erklärt werden.

Über lange Zeit galt die Argumentation überveränderliche externe Faktoren als einzig Akzep-table. Dies erklärt die ungeheure Popularitätder Sonnenfleckenzyklen, die seit Jahrhunder-ten die Menschen fasziniert haben und immerwieder in Relation zu Klimaschwankungengestellt wurden. Generell ist auch immer wiederversucht worden, Klimaschwankungen als perio-dische Phänomene zu verstehen. Die Erfindungder harmonischen Analyse, mit der alle Zeit-serien in periodische Komponenten zerlegt wer-den können, ergab eine Flut von angeblichenPeriodizitäten, die selbst in einschlägigen Lehr-

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Abbildung 4Der Strahlungsantriebdes Klimasystems imJahr 2000 relativ zumJahr 1750. Änderungenin den Strahlungsantrie-ben rühren von Ände-rungen in der Zusam-mensetzung der Atmo-sphäre, von Veränderun-gen in der Landnutzungund von der Verände-rung der Sonnenein-strahlung her. Mensch-liche Aktivitäten beein-flussen jeden Faktor mitAusnahme der Sonnen-aktivität.

Quelle:IPCC, Third AssessmentReport (2001)

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büchern der 1930er Jahre mehrere Seiten füllten.Diese Vorstellungen leben in der Öffentlichkeitweiter und mischen sich immer wieder in diegegenwärtige wissenschaftliche Debatte, so dassman noch in den 1990er Jahren erleben konnte,wie mit Hilfe der harmonischen Analyse Progno-sen für mehrere Jahre versucht worden sind.

Inzwischen ist das mathematische Verständnisüber das Verhalten komplexer Systeme mit sehrvielen Freiheitsgraden erheblich angewachsen.In den 1960er Jahren wurde klar, dass nichtline-are Systeme wie Atmosphäre, Ozean und damitauch das Klima auf kleinste Störungen hin eindeutlich verändertes Verhalten zeigen können,so dass die Entwicklung dieser Systeme nur fürkurze Zeit vorhersagbar ist. Nur wenn einSystem wenige Freiheitsgrade hat, ergeben sichzwar komplexe, aber doch regelmäßige Struktu-ren. Die Klimakomponenten sind aber nicht auswenigen Komponenten aufgebaut, sondern ausunendlich vielen, in mannigfaltiger Größe undverschiedenster Dynamik, vom Wirbel in derGrenzschicht, dem Kondensationsverhalten inWolken bis hin zur Möglichkeit, bei gleichemgroßskaligen Zustand verschiedene Intensitätenz.B. des Golfstroms zu haben. Die Wirkung die-ser unendlich vielen Komponenten ist, dass dasSystem in mancher Hinsicht nicht vom mathe-matischen Konstrukt eines trägen Zufallsprozes-ses zu unterscheiden ist. Solche Prozesse zeigennicht nur schnell fluktuierende Schwankungenwie das Wetter, sondern auch teilweise sehrlangsame, unregelmäßige Fluktuationen vonJahrzehnt zu Jahrzehnt und länger. Über end-liche Zeitintervalle können sich Wetterfluktua-tionen zufälligerweise zu signifikanten langlebi-gen Anomalien, z.B. im Ozean, aufaddieren, dieerheblich länger andauern als die Wetterfluktu-ationen selbst. Das Zusammentreffen vonschnell und langsam veränderlichen Klima-systemkomponenten bildet die wesentliche Vor-aussetzung für dieses Verhalten.

Einzelne Zustände in näherer Zukunft – wie dasWetter eines Tages – sind daher nicht vorhersag-

bar – wohl aber die langsame Entwicklung statis-tischer Parameter wie Mittelwert und Standar-dabweichung wichtiger Klimagrößen (Klima =Statistik des Wetters!), die durch Größen wie Erd-bahnparameter, Konzentration von Treibhaus-gasen etc. beeinflusst werden. Je kürzer die Zeitskala, desto wichtiger die Wirkung der stochastischen Vorgänge, die Schwankungen„ohne Ursache” generieren. In welchem Maße bei längeren Zeitskalen die Bedeutung der Stochastik abnimmt und die der externen Fakto-ren zunimmt, ist nicht abschließend geklärt.

Die Abbildung 5 zeigt eine Skizze der Variabilitätder bodennahen Lufttemperatur in Form einesSpektrums. Ein Spektrum zeigt die Varianz derSchwankungen in Abhängigkeit von einer Zeits-kala. Spektren wie in Abbildung 5 sind in vielenKlimaarchiven zu finden. Eine Anzahl von heraus-ragenden Maxima („peaks”) sind in der Skizze zuerkennen, die als direkte Antwort des Klima-systems auf äußere Klimaantriebe interpretiertwerden können, wie z.B. der Tagesgang und derJahresgang als direkte Reaktion auf den periodi-schen Antrieb des solaren Energieflusses. AndereMaxima liegen zwischen 100.000 und 20.000Jahren. Diese werden auf Änderungen in der geo-graphischen Verteilung des solaren Energieflus-ses aufgrund von Änderungen der Erdbahn umdie Sonne zurückgeführt. In realen Klimaarchiventreten neben den hier skizzierten Maxima nochandere auf, die zum Teil mit externen Antrieben,wie z.B. Intensitätsschwankungen des solarenEnergieflusses, oder interner Variabilität, sozusagen den Eigenschwingungen des Klima-systems, in Verbindung gebracht werden.

In der Debatte über die Klimavariabilität beob-achtet man immer wieder, dass überholte bzw.zu simple Konzepte zur Interpretation herange-zogen werden. Hier ist vor allem die schonerwähnte harmonische Analyse zu nennen, aberauch die Theorie nichtlinearer Systeme mitwenigen Freiheitsgraden, die zu Konfusion inder Frage der Vorhersagbarkeit von Klima führt.Ein weiteres Missverständnis ist die leider weit

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verbreitete Vorstellung, dass es für Wetterextre-me, also einzelne Wind- oder Regenstürme oderbesonders warme Sommer oder verregnete Win-ter, eine „Ursache” geben müsse, für die dannallzu oft diverse menschliche Aktivitäten herhal-ten müssen.

1.5 Wechselwirkungen im KlimasystemWie in den vorangegangenen Kapiteln ausge-führt, bestimmen verschiedene Prozesse im Kli-masystem seine Variabilität und seine Reaktionauf externe Anregungen. Wechselwirkungenkönnen die ursprüngliche Anregung verstärken(positive Rückkopplung) oder dämpfen (negati-ve Rückkopplung). Ihre Darstellung ist deshalbwichtig für die realistische Interpretation derKlimaentwicklung.

Eine wichtige Diskussion in der Klimaforschungist, inwieweit alle wesentlichen Prozesse berück-sichtigt und ob die wesentlichen Wechselwir-kungen zwischen diesen Prozessen realistischbeschrieben sind. Man geht heute davon aus,dass die meisten wichtigen Prozesse und Rück-kopplungen im Klimasystem bekannt sind undin den Modellen zumindest im Ansatz richtigdargestellt werden. Allerdings gibt es signifikan-te Kenntnislücken auch bei diesen grundlegen-den Prozessen und Wechselwirkungen, wie etwader Aerosol-Wolken-Wechselwirkung, die zwar

qualitativ, aber nicht quantitativ verstanden ist.Trotz dieser positiven Einschätzung kann nichtausgeschlossen werden, dass einige relevanteProzesse und Wechselwirkungen bisher überse-hen worden sind.

Einer der wichtigsten Rückkopplungsmechanis-men, der verantwortlich für einen Großteil derErwärmung ist und den man als Reaktion aufeinen Anstieg der atmosphärischen CO2-Kon-zentration verzeichnet, ist die Zunahme desatmosphärischen Wasserdampfes. Mit demAnstieg der Temperatur in der Atmosphäreerhöht sich auch ihre Fähigkeit, Wasserdampfaufzunehmen. Da Wasserdampf ebenfalls einTreibhausgas ist, könnte es damit, unabhängigvon der Wolkenbildung, zu einer positiven Rückkopplung kommen.

Klima wird auch in erheblichem Maße durchWolken beeinflusst. Die Wolkenbildung und dieStrahlungseigenschaften der Wolken hängenvon der Verteilung des Wasserdampfes, der Was-sertröpfchen, der Eispartikel und der Aerosoleab.

Eine Erwärmung der Atmosphäre hat einen Ein-fluss auf den Grad der Wolkenbedeckung unddie Höhe der Wolken. Bei höheren Temperatu-ren können Wolken austrocknen und sich auchteilweise auflösen. Damit ist aber der Weg füreine effizientere Emission von Infrarotstrahlungin den Weltraum frei, es findet also eine Abküh-lung statt – somit hätte man eine negative Rückkopplung. Gleichzeitig nimmt jedoch dieSonneneinstrahlung zu, die vom Klimasystemder Erde aufgenommen wird, da weniger Wol-ken sie reflektieren. Es gibt keine einfacheMethode, zu bestimmen, welche Rückkopplungüberwiegt. Durch eine generelle Erwärmung istdarüber hinaus die Verschiebung einer Wolken-schicht in höhere und damit auch kältereRegionen möglich. Kältere Wolken emittierenandererseits weniger langwellige Strahlung (= Wärme) als wärmere, das heißt, es bleibt durchdiesen Effekt mehr Wärme im System. Hier kämees also zu einer positiven Rückkopplung.

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Abbildung 5Schematische Darstellung des Spektrums atmosphärischer Temperaturvarianz.Quelle: Crowley und North (1992), mit Ergänzungen (Claussen, 2003)

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Es wird vermutet, dass durch die globale Erwär-mung auch der so genannte Thermostateffektausgelöst werden könnte. Durch die zunehmen-de Konvektion in den Tropen bei einer globalenErwärmung kommt es zu der Ausbreitung einesCirrusschirmes, an dem die eingehende Solar-strahlung reflektiert wird. Dieses führt zu einerAbkühlung und damit zu einer negativen Rückkopplung. Auch die Wechselwirkung zwischen Aerosolen und Wolken ist wichtig: Mehr Aerosole können zu kleineren Wolkent-röpfchen und damit zu einer Erhöhung derAlbedo führen.

Wolken sorgen über Konvektion außerdem füreine Umverteilung des Wasserdampfes in derErdatmosphäre und beeinflussen in großemMaße die vertikale Temperaturverteilung. Hier-mit spielen die Wolken in die Wasserdampf-rückkopplung mit hinein.

Insgesamt sind die Rückkopplungen bei Wolkensehr komplex, da sie positive und negative Vor-zeichen annehmen können. Summiert man überalle Effekte, so kommt man nach dem derzeiti-gen Erkenntnisstand auf eine leicht positiveRückkopplung.

Auch Änderungen in der Stratosphäre und diein ihr ablaufenden dynamischen, chemischenund strahlungsbedingten Vorgänge beeinflus-sen das Klimasystem. Umgekehrt haben auchVeränderungen im Klimasystem einen Einflussauf die Stratosphäre und insbesondere auf denOzongehalt. Seit nunmehr zwei Jahrzehntennimmt der Ozongehalt der Stratosphäre syste-matisch ab mit den größten Veränderungen inden Polarregionen. Diese Ozonveränderungenhaben auch zu einer Kühlung der Stratosphäregeführt, die wiederum zu einer verändertenDynamik des Austausches zwischen Stratosphä-re und Troposphäre führen kann. Umgekehrtwandern dynamische Wellen, die in der Tropo-sphäre erzeugt werden, in die Stratosphäre. DasAusmaß dieser Wellenanregung ist auch von derTemperaturstruktur der Troposphäre abhängigund damit kann eine Klimaänderung auf die

Struktur und Dynamik der Stratosphäre zurück-wirken.

Wegen seiner großen thermischen Trägheit, sei-ner Speicherfähigkeit und seiner Effizienz immeridionalen Transport ist der Ozean einwesentlicher Faktor im Klimageschehen. Das ElNiño-Phänomen, das mit signifikanten Wetter-anomalien in den Tropen auf der Skala vonwenigen Jahren einhergeht und so direkt vomMenschen erfahren wird, beruht auf Verände-rungen in der Zirkulation des tropischen Pazifik,die über eine positive Rückkopplung mit derAtmosphäre verbunden sind. Die thermohalineZirkulation im Atlantik (THC *)) ist verantwortlichfür den größten Teil des meridionalen ozeani-schen Wärmetransportes. Dieses kann Auswir-kungen auf das regionale und globale Klimahaben, auch auf dekadischen und Jahrhundert-Zeitskalen. Auch ist der Ozean ein ganz wesent-licher Speicher für anthropogenes CO2. Generellgibt es wenig Kontroversen innerhalb der Wis-senschaft über die Rolle des Ozeans im Klima-system, wohl aber viele offene Fragen. SolcheFragen betreffen etwa die Konvektion, dieAnbindung von Randmeeren (z.B. Mittelmeer)an die großen Becken und auch den Einfluss derTemperatur auf die Speicherfähigkeit füranthropogenes CO2. Ein kritischer Aspekt istaber die Rolle der Wirbel im Ozean auf längerenZeitskalen, die bisher nur über kürzere Zeitenund für regionale Meere untersucht wurden.Von der Beantwortung wird aber keine wesent-liche Veränderung der bisherigen Einschätzungder Klimarelevanz des Ozeans erwartet.

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*) Die THC wird durch Dichteunterschiede, die durch Tempera-tur- und Salzgehaltseffekte hervorgerufen werden, angetrie-ben. Im Nord-Atlantik fließt warmes Wasser an der Oberflächenach Norden und kaltes Wasser in der Tiefe gen Süden. DieTHC wird durch Veränderungen in ihrer Dichtestruktur, diedurch Niederschlagsänderungen, Verdunstungsänderungen,durch geänderten Süßwasserzustrom aus Flüssen, durch Meereisveränderung und veränderten Wärmeaustausch her-vorgerufen werden, beeinflusst.

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Die Gegenden der Erde, die jahreszeitlich oderganzjährig von Schnee und Eis bedeckt sind,werden unter dem Begriff der Kryosphärezusammengefasst. Meereis ist wichtig, weil esdie einfallende Solarstrahlung stärker reflektiertals die Meeresoberfläche, und es isoliert denOzean gegen den Wärmeverlust an die Atmo-sphäre während des Winters. Eine Verringerungder Meereisbedeckung führt also zu einer posi-tiven Rückkopplung. Da das Meereis auch weni-ger Salz enthält als das Meerwasser, nimmt inden obersten Schichten der Salzgehalt bei derBildung von Meereis zu. Dieses führt zu einemvermehrten Austausch des Oberflächenwassersmit den Wassermassen des tiefen Ozeans undbeeinflusst damit die gesamte ozeanische Zirku-lation. Das Abbrechen von Eisbergen undAbschmelzen des Schelfeises bringen Süßwasserzurück in den Ozean. Eine Änderung in diesenProzessen verändert den Salzgehalt im Ozeanund kann die Ozeanzirkulation modifizieren.Etwa 25% der Landoberfläche wird von bis zu1,5 km mächtigem und vermutlich weiträumiggashydrathaltigem Permafrost unterlagert. Diegrößten Permafrostgebiete finden sich im nörd-lichen Eurasien und Nordamerika. Über dieGeschichte seiner Bildung ist nur wenig be-kannt. In weiten Gebieten Nordeurasiens und -amerikas scheint er derzeit langsam zu zerfal-len, was zu schneller Erosion entlang der Küstenund einer Aufweichung der Landoberflächenmit entsprechender Zerstörung der technischenInfrastruktur in menschlich genutzten Gebietenführt. In welchem Umfang das TreibhausgasMethan aus pedogenen Stoffumsätzen oder ausdem Zerfall von Gashydraten freigesetzt werdenkann, ist zur Zeit Gegenstand umfangreicherForschungsprojekte.Die Wechselwirkung der Atmosphäre mit Land-oberflächen und Böden erfolgt auf zwei unter-schiedlichen Wegen: Prozesse, die die boden-nahen Energie-, Massen- und Impulsflüsse direktbeeinflussen, also etwa Änderungen der Vegeta-tionsbedeckung und Vegetationsstruktur, wer-den als biogeophysikalische Wechselwirkungen

bezeichnet. Diese wirken sich über die Ände-rung des Reflexionsvermögens solarer Strahlung(Albedo) auf die Strahlungsbilanz oder über dieÄnderung der Rauhigkeit der Landoberflächeauf die Verdunstung und den vertikalen Flussfühlbarer Wärme aus.

Austauschprozesse zwischen Atmosphäre undOberfläche, die die chemische Zusammenset-zung der Atmosphäre ändern, sind biogeoche-mische Wechselwirkungsprozesse. Dazu zähleninsbesondere der Austausch von Treibhausgasenwie CO2 und CH4. Biogeophysikalische und bio-geochemische Prozesse wirken in der Naturzusammen. So ändert sich z.B. mit der Photosyn-these nicht nur der CO2-Austausch, sondernauch die Transpiration, also der Wasserdampf-fluss aus der Biosphäre in die Atmosphäre. BeideProzesse werden von der Vegetation über dieBlattöffnungen (die Stomata) gesteuert, wobeidiese Steuerung auch als Rückkopplungsprozessanzusehen ist, da die Blattöffnungen auf dasLichtangebot, also Sonnenstand und Bewöl-kung, und den momentanen Zustand derbodennahen Luftschicht, im Wesentlichen dieTrockenheit oder Wasserdampfaufnahmefähig-keit der Luft, und das Wasserangebot der ober-flächennahen Bodenschicht reagiert.

Im letzten Sachstandsbericht des IPCC wurdeden biogeophysikalischen und biogeochemi-schen Wechselwirkungsprozessen im Klimasy-stem sowie dem Einfluss von Landnutzungsän-derungen auf die Klimadynamik im Vergleich zuanderen Klimaprozessen relativ wenig Beach-tung geschenkt. Neuere Berichte, insbesondereder sich in Veröffentlichung befindliche Synthe-sebericht des IGBP-Kernprojektes BAHC, zeigenjedoch, dass Änderungen der Landoberflächenerhebliche Auswirkungen zumindest auf dasregionale, aber vermutlich auch das globale Kli-ma haben, die der Größenordnung nach denendurch Emission von Treibhausgasen angeregtengleich kommen können.

Von großer Bedeutung für das Klimasystem istder Kohlenstoffkreislauf. An diesem sind als

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klimawirksame Gase das CO2 und das Methanbeteiligt. Beide sind über ihre biogeochemi-schen Zyklen an die marinen und terrestrischenQuellen gekoppelt.

Die Anreicherung von CO2 in der Atmosphärehängt davon ab, wie viel CO2 in die Atmosphäreemittiert und wie viel von der Landoberflächeund der Ozeanfläche aufgenommen wird.

Die anthropogene Kohlendioxidemission, dieaus der Verbrennung von fossilen Energieträ-gern, der Zementproduktion und der sichändernden Landnutzung resultiert, beträgt der-zeit ca. 30 Mrd. Tonnen Kohlendioxid oder ca. 8 Mrd. Tonnen Kohlenstoff pro Jahr. Von diesemzusätzlichen Kohlendioxid verbleiben heute ca.40% in der Atmosphäre, ca. 60% werden durchSenken wie die Ozeane und die Landvegetationaufgenommen.

Es existieren allerdings große Unsicherheitenüber die jährlichen Mengen, die z.B. von denOzeanen aufgenommen werden. Ozeanographi-sche und atmosphärische Messungen sowieergänzende Modellierungen legen nahe, dassdie jährliche Aufnahme von anthropogenemCO2 hoch variabel ist und im Zeitraum 1990 bis1999 zwischen jährlich 2 und 9 Mrd. Tonnengeschwankt hat. CO2 wird auch durch Landöko-systeme aufgenommen, wobei die borealenWälder der Nordhemisphäre eine herausragen-de Rolle einnehmen. Wie groß die Menge desaufgenommenen anthropogenen Kohlendioxidstatsächlich ist, lässt sich zur Zeit nur ungenü-gend abschätzen. Derzeit deuten forstwirt-schaftliche Befunde auf eine Zunahme des jähr-lichen Holzwachstums hin und Satellitenbeob-achtungen zeigen eine stärkere Begrünung dernordhemisphärischen Wälder seit 1980, beidesmöglicherweise Auswirkungen des vermehrtenStickstoffeintrages, aber auch der so genanntenKohlendioxiddüngung und der Temperaturzu-nahme. Im Verlauf der letzten 150 Jahre istgenerell eine Zunahme der Senkenstärke zu ver-zeichnen. Es ist derzeit aber noch unklar, ob die-ser Trend auch in der Zukunft anhalten wird.

Die im Boden vorhandene Biomasse (Humusund anderes organisches Material) wird auf min-destens das Vierfache der oberirdischen Vegeta-tion geschätzt. Anthropogene Einflüsse, z.B.durch Bewirtschaftung von Böden und vermehr-ten Eintrag von Stickstoff, führen zu einer Ände-rung der terrestrischen Senkenstärke. Mit derlandwirtschaftlichen Bodenbearbeitung (wiedem Pflügen) setzt z.B. eine Zersetzung derorganischen Bodensubstanz ein, die zu einerReduzierung der ursprünglichen Menge desorganischen Materials von bis zu 40% führenkann. Hierdurch gelangen entsprechende Men-gen Kohlendioxid in die Atmosphäre. Ein ent-scheidender Unsicherheitsfaktor bei derAbschätzung von Senken in der Landbiosphäreist die Reaktion der Abbauprozesse im Bodenauf Klimaänderung, Kohlendioxidanstieg undStickstoffeintrag.

Aufgrund dieser in den obigen Abschnitten auf-geführten Unsicherheiten bei der Berechnungder Kohlendioxidflüsse kann die Verweildauervon CO2 in der Atmosphäre, wie im Kapitel 1.3erwähnt, nur auf 50-200 Jahre grob abgeschätztwerden.

Die Klimarelevanz der erst kürzlich entdeckten„tiefen Biosphäre” in den oberen Schichten derErdkruste ist bisher nicht Gegenstand der For-schung gewesen. Die jüngsten Ergebnisse ausTiefseebohrungen deuten darauf hin, dass dieMenge lebender organischer Materie innerhalbder tiefen Biosphäre derjenigen der terrestri-schen und ozeanischen Biomasse nahe kommt.Über ihre Energie- und Stoffumsätze ist jedochkaum etwas bekannt, obwohl vermutet wird,dass sie relativ langsam sind. Ebenso unbekanntund unverstanden sind Phänomene wie das Aus-treten von Methan aus dem Erdmantel.

Eine weitere Komponente des Kohlenstoffkreis-laufs bildet das Methan. Es kann bei einemschnellen Klimaübergang einen Risikofaktordarstellen, weil Methanhydrate, die gefroren imKontinentalschelf und in der Tundra gebundensind, bei einer hinreichend großen globalen

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Erwärmung freigesetzt werden können. Diesbetrifft besonders die Methanreserven der Tun-dra. Ein Teil des Methans wird in einem solchenFall zwar im Tundraboden durch bakterielleUmsetzung in Kohlendioxid umgewandelt,jedoch könnte das restliche Methan als Spuren-gas in die Atmosphäre gelangen. Letztereskönnte zu einer weiteren Temperaturerhöhungführen, da Methan ein starkes Treibhausgas ist.

Der bei weitem größte Anteil der Hydratvorkom-men liegt im Bereich der marinen Kontinental-ränder, wo schnelle Sedimentationsraten undein hoher Gehalt an organischem Material fürdie erforderliche (überwiegend bakterielle)Methanbildung hinreichende Bedingungenschaffen. Tektonische Bewegungen wie auchÄnderungen des Meeresspiegels führen zu Ver-schiebungen des Stabilitätsfeldes der marinenMethanhydrate, so dass auf diese Weise großeMengen an Methan freigesetzt werden können.Es ist derzeit aber noch nicht abschätzbar, obdie aus marinen Sedimenten freigesetztenMethanmengen in ihrer Gesamtheit atmosphä-renwirksam werden oder ob oxidierende bakte-rielle Prozesse im Sediment oder in der Wasser-säule den Methanfluss in die Atmosphäre dämp-fen oder gar unterbinden. Auch lassen sich dieGeschwindigkeiten dieser Prozesse nach dembisherigen Kenntnisstand nur ungenau einschät-zen.

Die Wechselwirkungsprozesse zwischen den Klimasystemkomponenten sind im Allgemeinennicht-lineare Ereignisse, d.h. das Klimasystemreagiert disproportional auf eine Antriebsände-rung. Insbesondere sind plötzliche schnelle Klimaänderungen möglich, ebenso wie ver-schiedene Gleichgewichtszustände, die mit einund derselben gegebenen Konfiguration vonAntrieben vereinbar sind.

In den Klimaarchiven finden sich zahlreiche Hinweise auf rasche Klimaänderungen, die alsnicht-lineare Ereignisse oder nicht-lineare Reak-tionen auf Antriebsänderungen interpretiertwerden können. Dazu zählen die so genannten

Dansgaard-Oeschger-Zyklen und Heinrich-Ereig-nisse während des letzten Glazials, die mitÄnderungen der Jahresmitteltemperatur vonmehreren Grad innerhalb weniger Jahre oderJahrzehnte einhergehen. Dansgaard-Oeschger-Zyklen werden als rasche Übergänge in der ther-mohalinen Zirkulation und damit des meridio-nalen Wärmetransports im Atlantik interpre-tiert. Die Heinrich-Ereignisse werden auf dasKalben größerer Inlandeismassen des nordame-rikanischen (laurentidischen) Eisschilds zurück-geführt. Während das Inlandeis sich über meh-rere Jahrtausende aufbaut, geschieht das Kal-ben größerer Eismengen wesentlich schneller,innerhalb weniger Jahrhunderte oder gar Jahr-zehnte, sobald das Inlandeis eine kritische verti-kale Mächtigkeit erreicht hat.

Auch die Verschiebung von Vegetationszonenkann im Vergleich zu den das Klima antreiben-den Prozessen rasch verlaufen. So deutenRekonstruktionen der VegetationsbedeckungWestafrikas auf eine schnelle Ausdehnung derSahara (auf ihren heutigen Umfang) vor etwa5.500 Jahren hin. Dagegen hat sich der externeAntrieb, im Wesentlichen die durch die Erdbahnum die Sonne bestimmte solare Strahlung unddamit der Temperaturkontrast zwischen Konti-nent und Ozean, der den Sommermonsun steu-ert, während der letzten Jahrtausende stetigund allmählich geändert.

1.6 KlimamodelleUm die sehr komplexen Wechselwirkungen desKlimasystems zu verstehen und um quantifizier-bare Aussagen über das zukünftige Klima zumachen, werden Klimamodelle entwickelt. Sol-che Klimamodelle sind mit der Zunahme derLeistungsfähigkeit der Computer immer kom-plexer geworden (siehe Kasten „Klimamodelle“).

Die Reaktion der Öffentlichkeit auf Klimamodel-le ist sehr unterschiedlich. Sie reicht von blin-dem Vertrauen – ob des Einsatzes effizienterRechenmethoden – bis zu großem Misstrauen –ob des Verlustes an Durchschaubarkeit und die

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ständig erfahrene Wahrnehmung, dass meteo-rologische Ereignisse, wie z.B. das Wetter,grundsätzlich nur innerhalb gewisser Erwar-tungswerte und innerhalb gewisser Zeitskalenvorausgesagt werden können. Dieses wirddadurch verständlich, dass in der Laien- undWissenschaftssprache der Begriff „Modell” viel-seitig verwendet wird. Jede Disziplin hat einenanderen Begriff; so nennen Physiker Vorformenvon Theorie ein „Modell”; für einen Geologen istauch eine kartographische Darstellung ein„Modell”, für einen Statistiker die Annahmeeiner Verteilung, und für viele ist es im Wesent-lichen ein an empirisch erhobene Daten ange-passtes Regressionsmodell. In der Klimafor-schung ist ein Klimamodell eine mehr oderweniger gute mathematische Beschreibung desKlimasystems. Es darf dabei aber nicht mit derRealität verwechselt werden.

In der Klimaforschung werden zwei verschiede-ne Arten von Modellen verwendet. Zum einenstark vereinfachende konzeptionelle Modelle,die komplexe Vorgänge auf einige wenige domi-nierende Sachverhalte reduzieren. Zu diesenModellen gehört das so genannte Energie-bilanzmodell. Mit ihm kann die Temperatur inBodennähe berechnet werden, wenn z.B. dieeinfallende Sonnenstrahlung und die Wärmeab-strahlung der Erde sowie eine absorbierendeund abstrahlende Atmosphäre mit seinen Treib-hausgasen die einzigen bestimmenden Prozessewären. Um ein realitätsnäheres Bild zu bekom-men, werden daher in einer zweiten Art vonModellen möglichst viele Prozesse gleichzeitigberücksichtigt (siehe Kasten). Diese Modellebasieren auf Wettervorhersagemodellen, derenhorizontale Auflösung reduziert worden ist, ummit der verfügbaren Rechnerkapazität auszu-kommen, und in die zusätzliche Komponentenwie Ozean und Biosphäre eingebaut wordensind, um Klimafragen behandeln zu können.Derartige Modelle repräsentieren eine Art„Ersatzrealität”, ein „virtuelles Labor”, in demdie anderweitig unmöglichen Experimente mitdem Klimasystem durchgeführt werden können.

Simulationen mit solchen Modellen werden„numerische Experimente” genannt. Die Vorbe-reitung, Durchführung und Bewertung solcherExperimente erfordert ähnliches Geschick wiedie Durchführung „richtiger” Laborexperimente,in denen ja auch anhand idealisierter „Modelle”das Verhalten realer Systeme nachempfundenwird. In den letzten Jahrzehnten sind Modelleder Hauptkomponenten des Klimasystems(Atmosphäre, Ozean, Meereis, Landoberflächen)individuell entwickelt und zusammen geführtworden. Die weitere Entwicklung und die Kopp-lung der Modellsysteme ist aber immer nochGegenstand der Forschung.

Wie in Kapitel 1.5 bereits angesprochen, habenviele Aspekte des Klimasystems eine chaotischeNatur. Seine Entwicklung hängt stark von kleinen Störungen in den Anfangsbedingungendes Systems ab. Diese Sensitivität begrenzt dieSimulation der detaillierten Entwicklung desWetters auf etwa zwei Wochen. Die Vorhersag-barkeit des Klimageschehens ist nicht sobegrenzt, da hier die langsam veränderlichenAnteile des Klimasystems dominieren. Um dieModellunsicherheiten und die Anfangswert-problematik festzustellen, ist es notwendig,mehrere Klimasimulationen von verschiedenenAnfangsbedingungen und mit verschiedenenModellen durchzuführen. Ein derartiges Ensemble ergibt die Grundlage für eine Wahr-scheinlichkeitsabschätzung einer Klimaände-rung.

Vollständige Klimamodelle sind sehr komplexund stellen große Anforderungen an dieRechenleistung. Um verschiedene Szenarienund die Sensitivität auf verschiedene Parameterauszutesten, werden vereinfachte Modelle ein-gesetzt. Diese Vereinfachungen können in grö-ßeren Gitterabständen und Vereinfachungen inden physikalischen und dynamischen Prozessenbestehen. Diese vereinfachten Modelle, Modellemittlerer Komplexität und komplexe Modelleformen eine Hierarchie, die notwendig ist, dieKlimamodelle vollständig auszutesten.

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KlimamodelleDie komplexen Klimamodelle basieren auf wohlbekannten physikalischen Gesetzen (Bewegungs-gleichungen nach Newton, 1. und 2. Hauptsatz der Thermodynamik, Gasgleichung, Kontinuitäts-gleichung), die auf einem drei-dimensionalen Gitter, das den Globus umspannt (wie z.B. in Abb. 6),gelöst werden. Für Klimasimulationen müssen die einzelnen Klimasystemkomponenten (Atmo-sphäre, Ozean, Landoberflächen, Kryosphäre und Biosphäre) sowie die gegenseitigen Wechselwir-kungen berechnet werden. Für die Berechnung der Atmosphäre benutzt man in der Praxis häufigWettervorhersagemodelle, die für Fragestellungen der Klimaforschung angepasst wurden. DieseModelle haben den Vorteil, dass sie tagtäglich eingesetzt werden, die Programme also gut ausge-testet sind. Im Gegensatz zu der Wettervorhersage berechnet man bei Klimaprojektionen nicht dasvom Anfangszustand abhängige Wetter der nächsten 3 bis 7 Tage, sondern die Änderung des Kli-mas, d.h. das statistische Mittel über viele Wetterereignisse, als Reaktion auf Veränderungen derRandbedingungen.

Die meisten Modelle enthalten zwar eine Darstellung aller Klimasubsysteme und der wichtigenProzesse, aber teilweise nur in vereinfachter Form. In globalen Klimamodellen sind Atmosphä-ren- und Ozeanmodelle gekoppelt worden. In dem Atmosphärenmodell werden z.B. Gleichungengelöst, die die großskalige Entwicklung und den Transport von Impuls (Wind), Wärme undFeuchtigkeit beschreiben. Ähnliche Gleichungen werden im Ozean berechnet. Zur Zeit liegt dieAuflösung der atmosphärischen Komponente der Modelle bei 250 km in der Horizontalen und1 km in der Vertikalen (oberhalb der bodennahen Grenzschicht, die höher aufgelöst wird). Dietypische Auflösung eines Ozeanmodells liegt bei 200 bis 400 m in der Vertikalen und bei 125 bis250 km in der Horizontalen. Die Gleichungen werden etwa in halbstündigen Zeitschritten gelöst.Viele Prozesse, wie z.B. Wolkenbildung oder Ozeankonvektion, finden auf kleineren Skalen alsdie Modellgitterabstände statt und können deshalb nicht explizit berechnet werden. Ihr mittlererEffekt wird durch eine auf physikalischen Prinzipien beruhende Beziehung zwischen der groß-räumigen Strömung und diesen Vorgängen dargestellt, man spricht hier von Parametrisierung.

Klimasimulationen werden nach folgender Strategie durchgeführt:

Zuerst wird eine Kontrollsimulation mit dem Modell berechnet, die das heutige Klima widerspie-gelt. Hier wird das Modell mit den derzeit herrschenden Bedingungen verglichen. Dann wird einKlimaänderungsexperiment durchgeführt, z.B. mit einem Anstieg der Kohlendioxidkonzentra-

Abbildung 6Das Gitter in einem Atmosphärenmodell

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Klimamodelle bilden das Klimasystem in mathe-matischen Gleichungen ab, die zum großen Teilauf physikalischen Gesetzen beruhen, aber auchsemi-empirische Komponenten enthalten. Siebilden die einzige Möglichkeit, zukünftige Ent-wicklungen des Klimas abzuschätzen. Dass siedas heutige und historische Klimageschehenrealistisch wiedergeben, gibt Vertrauen in ihreFähigkeit, zukünftige Klimaentwicklungen zusimulieren. Allerdings hängt die Güte derModellergebnisse auch entscheidend von denEingabegrößen ab. So ist z.B. die Prognose derEntwicklung der anthropogenen CO2-Emissio-nen unsicher.

1.7 Resumée• Was ist Klima und warum verändert es sich ständig?

Klima wird allgemein als Statistik des Wettersdefiniert. In der Klimaphysik wird der Begriffjedoch weiter gefasst und das Klima als Statistikdes gesamten Klimasystems (Atmosphäre, Bio-sphäre, Eismassen, Ozean) aufgefasst. Klimawird durch eine Vielzahl von internen und exter-nen Prozessen „angetrieben”. Änderungen sol-

cher Antriebe, wie z.B. in der Stärke des solarenEnergieflusses oder in der geographischen Ver-teilung des solaren Energieflusses, die durch dieÄnderung der Erdbahn um die Sonne bedingtsind, machen sich proportional (linear) oder dis-proportional (nicht-linear) in Klimaänderungenbemerkbar. Die verschiedenen Komponentendes Klimasystems haben ihre eigenen charakte-ristischen Zeitskalen. Sie sind durch Energie-,Impuls- und Stoffkreisläufe miteinander gekop-pelt. Dies führt auch bei konstanter Änderungdes Antriebs, wie zum Beispiel dem Jahresgangdes solaren Energieflusses, zu interner, vom Klimaantrieb scheinbar entkoppelter Klima-variabilität.

• Was bedeutet die globale Mitteltemperatur?

Die globale Mitteltemperatur wird durch dieInterpolation von Temperaturmessungen an ein-zelnen Klimastationen auf großräumige Tempe-raturmuster berechnet, aus denen schließlichdurch Flächenmittelung die Mitteltemperaturgewonnen wird. Aufgrund der zeitlichen undräumlichen Zunahme von Temperaturmessun-

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tion in der Atmosphäre. Beide Simulationen werden zueinander in Beziehung gesetzt, um die Kli-maänderung zu bestimmen. Dieses Verfahren führt man nicht nur einmal durch, da es sich nichtum eine Vorhersage im klassischen Sinne handelt, sondern mit möglichst vielen Hochrechnun-gen, um ein statistisches Ensemble und damit auch eine Aussage über die Unsicherheit zu erhal-ten.

Dieses Verfahren liegt z.B. der Abb. 12 zugrunde, in der die Modellunsicherheit, die durch vieleModellexperimente abgeschätzt wurde, durch ein graues Band dargestellt wird. Es ist grundsätz-lich unmöglich, eine genauere Aussage zu treffen, da die Modelle keine deterministische Aussagemachen können. Man kann nur eine Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion berechnen, die mitzunehmender Anzahl der Simulationen aussagekräftiger wird.

Derzeit arbeitet man an der Ankopplung des Kohlenstoffkreislaufs über Land und in den Ozea-nen. Die chemischen Wechselwirkungen werden gerade in die Klimamodelle eingebracht, aberes liegen noch keine gekoppelten Klimahochrechnungen mit einem derartigen Modell vor. Letzt-endlich möchte man so viele Aspekte des Klimasystems wie möglich einbauen, so dass alle Kom-ponenten miteinander in Wechselwirkung treten können.

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gen im letzten Jahrhundert ist die globale Mit-teltemperatur heute eine gut zu bestimmendeGröße. Für viele Klimaprozesse, wie zum Bei-spiel für den Treibhauseffekt, ist die Änderungder globalen Mitteltemperatur der vielleichtwichtigste Indikator.

• Sind Extremereignisse wie z.B. HochwasserAnzeichen für einen Klimawandel?

Einzelne Wetterereignisse, also auch einzelneextreme Ereignisse, sind für sich genommen kei-ne Anzeichen für einen Klimawandel. Erst, wennsich die Statistik der Extremereignisse ändert,spricht man von einem Klimawandel. Eine glo-bale Zunahme extremer Niederschläge als Folgeder Zunahme der bodennahen, global gemittel-ten Lufttemperatur ist physikalisch zwar plausi-bel; eine allgemein anerkannte Theorie stehtwegen der Unsicherheit der Klimamodellebezüglich der Beschreibung von extremenNiederschlägen jedoch noch aus. Tatsächlichzeigen statistische Untersuchungen von Nieder-schlagsintensitäten in einigen Regionen derWelt, wie z.B. in den USA oder an der StationHohenpeißenberg (Bayern) des Deutschen Wet-terdienstes, dass die Häufigkeiten von Extrem-niederschlägen kaum oder nicht mit der boden-nahen Temperatur korreliert sind. Dies wider-spricht aber nicht der physikalisch plausiblenErwartung solcher Korrelationen, da sich diesenicht notwendigerweise auch regional einheit-lich ausprägen.

• Gibt es einen Treibhauseffekt?

Der natürliche Treibhauseffekt ist das natürlicheLebenselixier auf der Erde. Ohne die natürlichenTreibhausgase (Wasserdampf, CO2, CH4, Ozon,N2O) läge die bodennahe globale Durchschnitts-Temperatur der Luft nur bei –18°C anstelle dertatsächlichen +15°C. Dem natürlichen Treib-hauseffekt überlagert ist der anthropogeneTreibhauseffekt. Dieser entsteht dadurch, dasszusätzlich Treibhausgase wie CO2, CH4 oderFCKW in die Atmosphäre eingebracht werden.

Allein die CO2-Konzentration ist seit Beginn derIndustrialisierung von ca. 280 ppm auf 370 ppmangestiegen.

• Wie wirken sich Wasserdampf, CO2, Wolkenund Aerosole aus?

Der Gehalt an Wasserdampf in der Atmosphärenimmt zu, wenn es wärmer wird. Da Wasser-dampf ein Treibhausgas ist, wird also der Treib-hauseffekt verstärkt. Zur Zeit wird dagegennoch kontrovers diskutiert, ob und in welchemAusmaß Wolken den anthropogenen Treibhaus-effekt verstärken. Es hängt davon ab, in welcherHöhe sie auftreten, welche Fläche sie überdek-ken und wie stark die Aerosole auf die Wolken-bildung Einfluss nehmen. Aerosole, wie z.B. dieSulfatteilchen, dämpfen den Treibhauseffektaufgrund der verstärkten Rückstreuung der Son-nenstrahlung. Bei Rußaerosolen geht man voneiner erwärmenden Wirkung aus – aber auchhier sind die Unsicherheiten groß.

• Wie groß ist der Anteil natürlicher Faktoren(z.B. Sonne) am Klimawandel?

Nach allem, was man über die beteiligten Strah-lungsprozesse heute weiß, und aufgrund derphysikalischen Interpretation vergangener Kli-maänderungen (siehe Kapitel 2) waren Schwan-kungen des solaren Energieflusses und der Vul-kanaktivität die wichtigsten Antriebsfaktorenfür Klimaänderungen der letzten Jahrhunderte.Über längere Zeiträume von Hunderttausendenvon Jahren spielt die Änderung der Erdbahn umdie Sonne und die damit verbundene Änderungin der geographischen Verteilung des solarenEnergieflusses eine dominierende Rolle.

• Wie groß ist der Anteil des Menschen am Klimawandel?

Nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand müs-sen wir davon ausgehen, dass die Klimaände-rung des letzten Jahrhunderts sowohl durchnatürliche Faktoren als auch durch den Men-schen verursacht worden ist. Während der letz-

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ten drei Jahrzehnte wird vermutlich der Beitragdes Menschen sogar dominant gewesen sein.Die wesentlichen Ursachen sind die Emissionenvon Treibhausgasen und Aerosolen sowie dieveränderte Landnutzung.

• Was sind Klimamodelle?

Die im Klimasystem ablaufenden Prozesse wer-den in Klimamodellen mittels mathematischerGleichungen dargestellt. Sie sind die einzigeMöglichkeit, auch zukünftige Klimabedingun-gen vorauszusagen. Klimamodelle sind modifi-zierte, auf Klimabedingungen angepasste Wettervorhersagemodelle. Fehler entstehen einerseits dadurch, dass bestimmte Prozesse,die im Klimasystem ablaufen, noch unzurei-chend verstanden sind, und andererseits, weilwegen der beschränkten Rechnerkapazitätendie Lösung der Gleichungen mathematischnicht exakt ist. Zusätzliche Einschränkungen inder Abbildung des Klimas kommen aus der chaotischen Natur des Klimasystems selbst.

2. WIE SAH DAS KLIMA IN DERERDGESCHICHTE SOWIE IN DENLETZTEN 100 JAHREN AUS?Klima und Klimaänderungen hat es während dergesamten geologischen Geschichte des Plane-ten Erde gegeben. Sie haben ihren Niederschlagin den Fossilien und Gesteinen aller Periodender Erdgeschichte gefunden. Während der letz-ten Millionen Jahre sind globale Klimaeigen-schaften zusätzlich in den großen Eisschildender Antarktis und Arktis dokumentiert worden.Die Untersuchung des Klimas in der geologi-schen Vorzeit ist von großem Interesse, weildamals – im Gegensatz zu den letzten 150 Jah-ren – Klimaänderungen ausschließlich auf natür-liche Ursachen zurückzuführen waren.

2.1 Informationen aus Klimaarchiven undhistorischen KlimaaufzeichnungenViele Eigenschaften des Klimas lassen sich ausseiner Geschichte ableiten, die in so genanntengeologischen Archiven bewahrt werden. In denGeowissenschaften werden Ablagerungen ausdem Meer und aus Seen, das Eis von Gebirgs-gletschern, der Antarktis und Grönland sowieBaumringe untersucht. Aus diesen Befundenwird das Klima der Vergangenheit rekonstruiert(siehe Kasten „Klimaarchive und Methoden“).Nur durch die Untersuchung dieser Klimaarchivesowie der modelltheoretischen Interpretationkann es gelingen, die Grundzüge der natürlichenKlimaeigenschaften zu bestimmen und vommodernen, anthropogenen Einfluss auf Klima-änderungen in der heutigen Zeit zu trennen.

Die letzten 570 Millionen Jahre und die Entwicklung des LebensDie Vielfalt des heutigen pflanzlichen und tieri-schen Lebens hat sich nach bescheidenenAnfängen während der letzten 570 MillionenJahre entwickelt, wobei zwischen den Klima-eigenschaften und Klimaänderungen sowie derEntwicklung des Lebens (dabei auch des Men-schen) engste Wechselbeziehungen bestehen.

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Klimaarchive und MethodenUnterschiedlichste Methoden stehen bereit, um Aufschluss über Klimabedingungen früherer Zei-ten zu gewinnen. So ist es heute z.B. möglich, die Wassertemperaturen ehemaliger Ozeane, dieLuftfeuchtigkeit bzw. Trockenheit untergegangener Kontinente oder die Gaszusammensetzungeiner früheren Atmosphäre zu rekonstruieren.

Neben langen Messreihen (etwa für die letzten 150 Jahre) und einzelnen schriftlichen Dokumen-ten (etwa für die letzten 3000 Jahre) gibt es natürliche terrestrische und marine Klimaarchive, ausdenen mit Hilfe von Proxies Klimaeigenschaften abgeleitet werden können. Im Zuge der fortlau-fenden Weiterentwicklung verfeinerter Datierungstechnik kann heute das globale Paläoklimaund seine Veränderungen über lange geologische Zeiträume für eng definierte Zeitscheiben undfür Zeitserien dargestellt werden, wobei deren zeitliche Auflösung von der Natur des bewahrten„Klimasignals” abhängig ist und sich von täglichen Wachstumsrhythmen in biogenen Materia-lien über saisonale zu jährlichen und mehrjährigen Klimaänderungen erstrecken kann.

Komplexe isotopische (z.B. von Sauerstoffisotopenverhältnissen in Eiskernen)und biogeochemische (z.B. von temperaturabhängigen Alkenonen in marinenSedimenten) Analysen ermöglichen gerade für die jüngsten geologischen Zeit-räume die Rekonstruktion klimabedingter Umweltbedingungen in höchstemDetail. Es hat sich gezeigt, dass z.B. die Vergesellschaftung verschiedenerKleinstlebewesen der Meere von den Temperaturen des Oberflächenwassersabhängt, so dass man in der Lage ist, über statistische Bewertungen mathe-matische Funktionen zu ermitteln, die es erlauben, aus der beobachtetenPopulationsökologie auf Temperaturverhältnisse zu schließen.

Ein Beispiel für eine solche Detailtreue sind Ablagerungen in Seen. Hier sam-meln sich Bodenpartikel, Pollen, Blätter und Staub. In den oft meterdickenSeeablagerungen ist die Klima- und Vegetationsgeschichte einer Region überJahrtausende Schicht für Schicht aufgezeichnet. Unter besonders günstigenAblagerungsbedingungen bildet sich sogar eine Jahresschichtung aus. DieseKlimachroniken enthalten Jahresaufzeichnungen, die noch exaktere Zeitmar-ken sind als der Historiker sie für die Rekonstruktion der Menschheitsge-schichte bis zur Zeit der Pharaonen zur Verfügung hat.

Von besonderer Bedeutung sind neben dem Klimaarchiv der Meeres- undSeenablagerungen die Informationen aus den Kernen von Eisbohrungen.Untersuchungen an Eiskernen zeigen die natürliche Variabilität des atmo-sphärischen Kohlendioxids über die vergangenen 400.000 Jahre mit höhererVerlässlichkeit als Sedimentkerne, da die Zusammensetzung der im Eis einge-schlossenen Luft direkt gemessen werden kann.

Abbildung 7„Cloudy-bands” im glazialen Eis aus GrönlandQuelle: Alfred-Wegener-Institut, Bremerhaven

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Es zeichnet die Erde vor allen anderen Himmels-körpern aus, dass das Klima innerhalb von Gren-zen schwankte und dass Leben auf der Erdedadurch zwar beeinflusst, aber nie vollständigzerstört wurde.

Unser Verständnis von Klimaeigenschaften undihren Veränderungen hängt auf vielfache Weisevon den über die Erdgeschichte bewahrten Kli-maarchiven ab. Weil sich grundlegende Eigen-schaften der globalen Umwelt radikal veränderthaben, ist es außerordentlich schwierig, die Kli-mate der frühen Erdgeschichte zu verstehenund mit dem heutigen Klima zu vergleichen.

Die Rekonstruktionen des Klimas sind außer-ordentlich unsicher. Es bestehen erhebliche Pro-bleme bei der zeitlichen Zuordnung in den Kli-maarchiven. Über die Funktion des Kohlenstoff-kreislaufes gibt es unterschiedliche Hypothesen.Gesichert ist, dass die Plattentektonik, u.a. dieVeränderung des Ausgasens von CO2 aus demErdinneren, die sich im Laufe der Jahrmillionenändernde Verwitterung und die Evolution derBiosphäre den CO2-Haushalt nachhaltig beein-flusst haben. Da diese verschiedenen Prozesseteilweise gegenläufig wirken, ist ein direkterZusammenhang zwischen Temperatur undatmosphärischer CO2-Konzentration nicht zwin-gend notwendig. In der Tat zeigen paläoklima-tologische Befunde in manchen Zeitabschnitten

keinen und in anderen einen deutlichen Gleich-lauf. Auch bezüglich des Klimaantriebs beste-hen noch große Unsicherheiten, denn in diesemZeitraum können auch beispielsweise Einschlä-ge von größeren Meteoriten und Änderungen inder kosmischen Partikelstrahlung eine Rollegespielt haben. Daher ist ein Vergleich von lang-fristigen Klimaänderungen mit den Klimaände-rungen der letzten Jahrtausende nur bedingtmöglich.

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Die Rekonstruktionen der früheren Umweltbedingungen und damit der früheren Klimawandelunterscheiden sich in den Skalen ihrer zeitlichen und räumlichen Auflösung, je nachdem, ob z.B.Baumringe oder jährlich geschichtete Seesedimente, Anwachsstreifen von Korallen/Mollusken,Eiskerne, Tiefseesedimentkerne oder Meeresspiegelstände als Klimaarchive untersucht werden.

Abbildung 7 zeigt ein 50 cm langes Eissegment des NGRIP-Eisbohrkerns*) aus 2700 m Tiefe desgrönländischen Eisschilds im Durchlicht. Das Eissegment ist auf 84.870 Jahre vor heute datiertund umfasst eine Zeitspanne von ca. 50 Jahren. Die Grauwerte sind invertiert, d.h. vollständigtransparentes Eis erscheint schwarz. Das Eis offenbart eine regelmäßige Abfolge von weißenSchichten, den sogenannten „cloudy bands”, an denen das Licht stark gestreut wird. Ursachedafür ist ein erhöhter Staubanteil im sommerlichen Schneefall im Glazial.

*) NGRIP: North Greeland Ice Core Projekt 1996–2000, Bohrlokation: 75° N, 45° W, absolute Eismächtigkeit am Bohrpunkt ca. 3100 m.

Abbildung 8Rekonstruktion des globalen Meeresspiegels, der Vulkan-aktivität und der über mehrere Jahrtausende geglättetenglobalen Mitteltemperatur der letzten 570 Millionen Jah-re (nach Frakes et al., 1992).

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Abbildung 9Atmosphärische CO2-Konzentration undlokale Temperaturände-rungen an der For-schungsstation Vostok(Antarktis) über die letz-ten 400.000 Jahre,gewonnen aus Eisbohr-kernanalysen.

Quelle: Petit et al., 1999,mit Ergänzungen (Claussen, 2003)

Die letzten 2 Millionen Jahre und die Milankovitch-KlimazyklenIn der jüngsten geologischen Vergangenheit hat sich wieder eine kalte Phase des Klimas ent-wickelt, die aufgrund der Verteilung von Landund Meer zur Bildung von eisbedeckten Gebie-ten in beiden Polarregionen geführt hat. Konti-nentaldrift (Plattentektonik und Ozeanboden-spaltung) und die sich ergebende Wanderungvon Kontinenten in Polarregionen hat die Polevom „ozeanisch-atmosphärischen Wärmeaus-tauscher“ isoliert und somit Orte möglicherAbkühlung durch Strahlungsprozesse geschaf-fen. Dabei liegt ein kleiner Kontinent, der voneinem ringförmigen Ozean umgeben wird, überdem Südpol, während sich der Nordpol in einemkleinen von Kontinenten umgebenden Ozean-becken mit einem sehr eingeschränkten Wasser-austausch mit den Weltmeeren befindet. ImErgebnis hat sich deshalb ein Klimasystem mitgroßen Temperaturunterschieden zwischen denTropen und den Polargebieten entwickelt.

Innerhalb der letzten wenigen Millionen Jahrependelte das Klima zwischen kälteren und wär-meren Phasen. Dabei leben wir heute unter demEinfluss eines bereits ca. 10.000 Jahre andauern-den warmen Klimas. Die Wechsel zwischen war-men und kalten Klimaphasen (im so genannten„Quartär”) vollzogen sich im Rhythmus derÄnderungen der Erdbahn um die Sonne, den sogenannten Milankovitch-Zyklen. In Abhängigkeit

der Geometrie der Erdbahn um die Sonne wech-selten warme und kalte Klimaphasen in Abstän-den von 40.000 bis 100.000 Jahren. Währendder letzten 800.000 Jahre sind die Extreme derwarmen und kalten Klimaphasen im Rhythmusvon ca. 100.000 Jahren aufeinander gefolgt,etwa gleichzeitig mit den Schwankungen derExzentrizität der Erdbahn um die Sonne (vgl.Kapitel 1). Die zwischen den Extremen liegen-den Zeitintervalle waren meist durch ein relativkühles Klima geprägt, so dass das Klima derjüngsten geologischen Vergangenheit wesent-lich länger kühl als warm war. Ähnliche „rhyth-mische” Änderungen sind für viele der früherenZeitalter in Sedimentbecken beobachtbar undwerden als Milankovitch-Zyklen interpretiert.

Untersuchungen an Eiskernen aus der Antarktis,in denen die Atmosphäre früherer Zeiten inForm von Luftbläschen erhalten ist, habengezeigt, dass sich nicht nur die Temperatur inregelmäßigen Abständen, sondern auch gleich-zeitig die Konzentrationen der Treibhausgase inder Atmosphäre änderten. Hohe Konzentratio-nen von z.B. Methan und CO2 sind an warme Klimaphasen gebunden, während sie in kaltenKlimaphasen immer wieder auf niedrige Wertezurückfielen (vgl. Abb. 9). Die Bestimmung derProzesse, die den globalen Kohlenstoffumsatzkontrollieren und die bisher nur unvollständigverstanden sind, haben daher eine hohe wissen-schaftliche Priorität.

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Die letzten 100.000 Jahre und sprunghafte KlimaänderungenDas Klima vor dem Einsetzen der jetzigen war-men Klimaphase, in der Zeit von etwa 80.000bis 11.500 Jahren vor heute, war durch den imgeologischen Maßstab schnellen Wechsel vonTemperaturen geprägt. Die besten Beispieledafür sind in den Eiskernen von Grönland gefun-den worden, die mit ihrer jährlichen Schichtungdie Dauer der Wechsel bestimmen lassen. Während der gesamten letzten kalten Klima-phase, der so genannten Weichsel-Eiszeit, hat es in Grönland zahlreiche Sprünge zwischendramatischer Erwärmung und Abkühlung vonmehr als 10°C innerhalb von wenigen Jahrzehn-ten gegeben. Ähnliche Wechsel haben sich inzeitlich hoch auflösenden Meeresablagerungenbeobachten lassen, die schnelle Veränderungender Eigenschaften der Wassermassen des Welt-meeres belegen. Der Verlauf dieser Veränderun-gen scheint ebenfalls einer zyklischen Entwick-lung zu folgen (Dansgaard-Oeschger-Zyklen, vgl. Abb. 10), nur erfolgen die Wechsel von kaltzu warm fast sprunghaft, innerhalb von einigenJahrzehnten. Welche Prozesse diese sprunghaf-ten globalen Klimaänderungen ausgelösthaben, ist bis heute nicht eindeutig geklärt.

Während der letzten Eiszeit erreichten dieInlandeismassen ihre größte flächenhafte Aus-dehnung vor etwa 21.000 Jahren. Die Gletscherreichten damals bis ins mittlere Schleswig-Hol-stein, Mecklenburg-Vorpommern undBerlin/Brandenburg. Auch der Rückgang der Eis-massen am Ende der Eiszeit war von sprunghaf-ten Klimaänderungen begleitet. Die Durch-schnittstemperaturen über dem Nordatlantikund Nordeuropa stiegen vermutlich innerhalbweniger Jahre um 10 bis 15 Grad.

Die letzten 10.000 Jahre und das relativ stabile Klima des HolozänsDie jüngste warme Klimaphase war zwar nichtfrei von Abkühlungen und Erwärmungen, aberihre Klimaumschwünge waren bei weitem nichtso dramatisch wie in der vorangegangenen Kalt-zeit. Dennoch waren sie markant genug, um inhistorischen Zeiten die soziale und ökonomischeEntwicklung der menschlichen Kulturen zubeeinflussen. Ein Beispiel für das Ausmaß derdamaligen Klimafluktuationen in Europa zeigtdie Rekonstruktion der Gletscherstände in denAlpen. Es gibt deutliche Belege anhand der Vege-tationsverbreitung, dass die Alpen wiederholtnahezu frei von Gletschern waren, und dies nichtnur zur Zeit des holozänen Klimaoptimums.

Die wärmste Phase der letzten 10.000 Jahre fin-det sich im so genannten holozänen Optimum,dem so genannten Atlantikum, 9200 bis 5600Jahre vor heute. Temperaturrekonstruktionen anSedimenten aus den Subtropen und die Varia-tion der Schmelzereignisse auf Grönland zeigendie globale Ausprägung dieser wärmsten Phasedes Holozäns.

Neuere Klima-Rekonstruktionen an Höhlensin-tern des Oman legen eine Verbindung zwischenNiederschlagsgeschehen/Monsun und den sola-ren Aktivitätsänderungen während des holozä-nen Klimaoptimums nahe. Die Rekonstruktionder Eisbergdrift im Atlantik zeigt ebenfalls eineauffällige Korrelation mit solaren Aktivitäts-änderungen im gesamten Verlauf der letzten11.000 Jahre (vgl. Abb. 11).

Abbildung 10Temperaturschwankungen über Grönland aus Messun-gen in dem GISP (Greenland Ice Sheet Project, Grootes etal., 1993) Eisbohrkern. Die Zahlen kennzeichnen dieWarmphasen während der letzten Eiszeit und dieschwarzen Punkte (H1, ..., H5) die so genannten Hein-rich-Ereignisse, während der große Mengen des Eisschil-des über Nordamerika abgebrochen und in den Nord-atlantik verdriftet worden sind.Quelle: nach Ganopolski und Rahmstorf (2001) mitVeränderungen (Claussen, 2003)

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Die letzten 1000 Jahre, das mittelalterlicheKlima-Optimum und die Kleine EiszeitEisbohrkerne und eine Vielzahl von weiterenRekonstruktionen, aber auch schriftliche histori-sche Aufzeichnungen belegen weltweit, welcheDynamik in der Temperatur- und Klimaentwick-lung der letzten 1000 Jahre stecken. Vom Klima-

optimum des Hochmittelalters erfolgt derAbstieg des Klimas zur so genannten „KleinenEiszeit” im 14. Jahrhundert, die, immer wiederunterbrochen durch wärmere Phasen, bis Mittedes 19. Jahrhunderts andauerte und dann in der Neuzeit in die nächste warme Phase des Klimas überging (siehe Abb. 12).

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Abbildung 1114C Produktionsrate(rote Kurve), ein Maßfür die Intensität derHöhenstrahlung unddamit für die Aktivitätder Sonne, und Menge– in relativen Ein-heiten – des durch Eisberge verdriftetenGesteinsmaterials west-lich von Irland (schwarze Kurve) alsFunktion der Zeit, ein-mal als Kalenderjahrevor heute und einmalals Jahre vor und nachChristus dargestellt.Diese Kurve wurde invereinfachter Form vonBond et al. (2001) über-nommen.

Abbildung 12Vergleich von rekonstruiertem undmodelliertem Verlauf der Jahresmit-teltemperatur der bodennahen Luft-schicht gemittelt über die Nord-hemisphäre. Die grau schattierteFläche gibt die Unsicherheit derRekonstruktionen wieder. Grüne Kurve: Rekonstruktion derSommertemperatur über den außer-tropischen Kontinenten. SämtlicheKurven sind mit einem zeitlichenMittel über 40 Jahre geglättet. Nach Mann (2002).

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Eisbohrkerne zeigen uns, wie sich das atmo-sphärische Kohlendioxid im Verlauf der letzten1000 Jahre entwickelt hat: Nahezu gleich blei-bende Konzentrationen bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts, gefolgt von einem rapidenAnstieg, der durch die menschlichen Emissionenverursacht wurde. Auch wenn der Mensch seitden frühen Stadien seiner Entwicklung begon-

nen hat, auch die Eigenschaften der Landober-flächen stark zu verändern und somit Einflussauf das Klimasystem zu nehmen, nimmt mandoch an, dass die Klimaschwankungen der letz-ten tausend Jahre bis zum Einsetzen der intensi-ven Industrialisierung im Wesentlichen aufnatürliche Klimaänderungen zurückzuführensind.

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Historische KlimaaufzeichnungenDirekte Messungen von klimatischen Parametern existieren etwa für die letzten 150 Jahre. Möch-te man Informationen über den Klimaverlauf vor dieser Zeit, so ist man auf die Auswertung vonhistorischen Dokumenten angewiesen. Sie enthalten eine Vielzahl von klimarelevanten Hinwei-sen, die sich auf Naturkatastrophen, Witterungsverläufe und das tägliche Wetter beziehen. Sowurden Wasserstände und Vereisungen von Flüssen und Seen protokolliert, teilweise brachteman sogar Wasserstandsmarken an. Man beschrieb zudem in Mitteleuropa den Schneefall unddie Schneebedeckung. Belege sind hierfür auch die Bilder der holländischen Meister aus dem17. Jahrhundert (vgl. Abb. 13). Historische Dokumente vermitteln auch einen recht guten Über-blick über Ernteerträge (z.B. Getreide und Wein) inklusive der Reifezeit verschiedener Pflanzen.Kirchliche Quellen geben Hinweise auf klimatische Sondersituationen, wenn z.B. Bittprozessio-nen gegen eine Dürre beschrieben werden.

Die Hochwasserflutwelle der Elbe und seiner Nebenflüsse des Jahres 2002 hatte die Größen-ordnung eines Jahrhunderthochwassers erreicht. Wie historische Quellen zeigen, war diesesHochwasser aber nur eines von mehreren solchen Ereignissen während der letzten eintausendJahre. Eine extreme Hochwasserkatastrophe ereignete sich z.B. 1784, die unter anderem die „AlteBrücke” in Heidelberg zerstörte. Das Superereignis allerdings war die Überschwemmungs-katastrophe von 1342, die in allen mitteleuropäischen Flussgebieten ungeheuere Schäden hinter-ließ und als das eigentliche Jahrtausendereignis bezeichnet werden kann.

Die historischen Daten lassen sich oft in quantitative „Klimaindizes”, z.B. saisonale Nieder-schlagssummen oder saisonal gemittelte Temperaturen, überführen. Dazu werden die gleichenVerfahren benutzt wie im Falle der natürlichen Klimaarchive (wie Baumringe oder Eiskerne). Mitder Hilfe historischer Informationen ist es z.B. gelungen, die Variation des mittelalterlichen Kli-mas und den Übergang in die Neuzeit für Mitteleuropa zu rekonstruieren.

Abbildung 14 zeigt die Rekonstruktion der Klimaanomalien der Winterhalbjahre in der Schweizseit 1496 nach einer Klimaklassifikation von Pfister.

Die historische Klimarekonstruktion hat gegenüber den natürlichen Klimaarchiven den Vorteil,dass die Datierung meist unproblematisch ist. Andererseits stehen die historischen Daten unterdem Vorbehalt der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Praxis, die sich ebenfalls innerhalbweniger Jahre ändern kann und sicher oft geändert hat.

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Abbildung 13Die „Kleine Eis-zeit“ in der Male-rei: Eislandschaftmit Schlittschuh-läufern (1643),gemalt von Jan van Goyen(1596–1656).

Abbildung 14Temperatur-bedingungen inder Schweiz, nachder Klassifikationvon Pfister (Pfister, 1999).

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Die letzten 100 Jahre und die IndustrialisierungDie globale bodennahe Lufttemperatur ist seitdem späten 19. Jahrhundert um 0,6°C ± 0,2°Cangestiegen. Die 1990er Jahre waren die wärm-ste Dekade und 1998 das wärmste Jahr seitBeginn der instrumentellen Aufzeichnungen imJahre 1861. Wie man Abb. 15 entnehmen kann,trat das Anwachsen der globalen Temperatur inzwei Phasen auf: 1910 bis 1945 und seit 1976.Die Temperaturanstiegsrate betrug in beidenPerioden ungefähr 0,15 K pro Dekade. In derjüngsten Zeit erwärmen sich Landgebieteschneller als die Ozeane. Zwischen 1950 bis1990 nahm die Ozeanoberflächentemperaturnur halb so stark zu wie die mittlere Landtempe-ratur. Die bisher absolut höchste Globaltempe-ratur 1997 bis 1998 wurde durch ein El Niño-Ereignis hervorgerufen.

Die Erwärmungsmuster haben sich im Laufe des 20. Jahrhunderts verändert. Am Ende des 20. Jahrhunderts fand das stärkste Anwachsender Temperatur auf den Kontinenten der mittle-ren und hohen Breiten der Nordhalbkugel statt;in der Südhemisphäre dagegen war die Erwär-mung schwächer. Eine Abkühlung findet manim Nordatlantik und Nordpazifik. Allerdings hat

sich dieser Effekt im Nordatlantik in den letztenJahren nicht fortgesetzt, sondern eine Erwär-mung hat wieder eingesetzt. Die neueren Ände-rungsmuster hängen wahrscheinlich von derNordatlantik-Oszillation und der dekadischenPazifik-Oszillation ab. Regionale Temperaturän-derungen von wenigen Dekaden Länge hängendaher sehr von der regionalen Variabilität im Kli-masystem ab und können sich deshalb deutlichvom globalen Mittelwert unterscheiden.

Neue Analysen zeigen, dass sich der globaleWärmeinhalt der Ozeane in der Tiefsee seit1950 deutlich erhöht hat. Die Hälfte diesesAnstieges ist in den obersten 300 m der Ozeanezu sehen, was einem Temperaturanstieg von0,04°C pro Dekade entspricht. Die Tag-Nacht-Unterschiede der Temperatur in der bodenna-hen Luftschicht über Land nehmen seit 1950 ab.Die Minimaltemperaturen nehmen ungefährdoppelt so schnell zu (0,2°C/Dekade) wie dieMaximaltemperaturen (0,1°C).

Nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung,d.h. nach dem gegenwärtigen Stand unseresProzessverständnisses, müssen wir davon ausge-hen, dass die globale Erwärmung der bodenna-hen Luftschicht in den letzten Dekaden durchdie Zunahme der anthropogenen Treibhausgas-

Abbildung 15Die bodennahe Lufttem-peratur im Jahresmittel(rote Balken) und über 10 Jahre gemittelt(schwarze Linie). DieIntervallstriche an denroten Balken repräsentie-ren das 95% Vertrauens-niveau. Es gibt die Unsicherheiten an, diedurch Datenlücken,Instrumentenfehler, sowieFehler durch das Korrek-turverfahren bei denOzeandaten und für dieVerstädterung entstehen.

Quelle: IPCC, ThirdAssessment Report (2001)

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emissionen angestoßen worden ist. Insbesonde-re in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundertshaben dagegen auch natürliche Klimaantriebewie eine Zunahme des solaren Energieflussesund Rückgang der Vulkanaktivität zur Erwär-mung beigetragen. Aufgrund der zufälligeninternen Klimavariabilität und der Wechselwir-kungen zwischen den Klimasystemkomponen-ten (vgl. Kapitel 1) ist eine eindeutige quantita-tive Zuordnung der beobachteten Erwärmungzu den verschiedenen Klimaantrieben, ein-schließlich des Beitrags der anthropogenenTreibhausgase, allerdings nur bedingt möglich.

2.2 Reproduktionen des Klimas durch ModelleUm die aus paläoklimatologischen Archivengewonnenen Daten physikalisch interpretierenzu können, werden ebenfalls Klimamodellebenötigt. Umgekehrt dienen paläoklimatologi-sche Daten aber auch der Validierung der Klima-modelle. Validierung und Interpretation werdenmit jeweils verschiedenen Datensätzen durch-geführt.

Im Rahmen der Paläoklimamodellierung gibt eszwei verschiedene Modellierungsstrategien:Modelle können im so genannten Zeitscheiben-modus oder im transienten Modus benutzt wer-den. Im Zeitscheibenmodus werden die Rand-bedingungen, mit Ausnahme des Tages- undJahresgangs der solaren Einstrahlung, konstantgelassen. Im transienten Modus werden zeitlichsich ändernde Randwerte (z.B. die Änderung derErdbahn um die Sonne) aus Rekonstruktionenvorgegeben. Simulationen mit komplexen Klimasystemmodellen wurden bisher lediglichüber den Zeitraum der letzten maximal 10.000Jahre beschrieben.

Die letzten 10 000 JahreAls wesentliches Ergebnis der Klimasimulatio-nen kann hervorgehoben werden, dass Klima-modelle, die lediglich die Atmosphäre und denOzean als dynamische Klimasystemkomponen-ten enthalten, die wesentlichen Strukturen der

holozänen Klimaentwicklung nur unzureichendwiedergeben. Z.B. fällt die Änderung des nord-afrikanischen Sommermonsuns in diesen Model-len zu schwach aus, ebenso die Temperatur- undMeereisänderung der arktischen Klimazone. Nur die Modelle, in denen die Vegetation alsinteraktive Systemkomponente eingebundenist, vermögen die drastischen Klimaänderungenin den Subtropen und der Arktis nachzuvollzie-hen. Insbesondere können die vollständiggekoppelten Modelle den Rückgang der Saharaim frühen Holozän vor gut 10.000 Jahren unddie Verschiebung der arktischen Baumgrenzequalitativ richtig darstellen. Als weiteres Ergeb-nis zeigen transiente Modellexperimente, dassbezüglich der Klimaänderungen im globalenund hemisphärischen Mittel die Änderung derErdbahn wesentlich wichtiger ist als die Ände-rung der Solarkonstante.

Die letzten 1000 JahreIn einer kürzlich durchgeführten Klimasimula-tion wurden die letzten 450 Jahre nachgerech-net. Man geht dabei davon aus, dass zu Beginndieses Zeitraums der Einfluss des Menschen,jedenfalls global gesehen, gering war; als äuße-re Antriebe werden Sonnenaktivität, Vulka-nismus sowie die Treibhausgase vorgeschrieben,die bis zum Beginn der Industrialisierung über-wiegend natürlichen Ursprungs waren. Wertund Verlauf dieser Antriebe leitet man aus sogenannten „Stellvertreter”-Daten („Proxies”) her,da sie, ebenso wie die Temperaturen und ande-re Klimaelemente, damals nicht direkt gemes-sen wurden. Aus solchen Proxy-Daten wie Baum-ringen und Sedimentbohrkernen und einer Viel-falt von Aufzeichnungen (Ernteerträge, Deich-reparaturkosten, Segelzeiten von Schiffen) kannman aber auch den Verlauf des historischen Kli-mas rekonstruieren. Das numerische Experimentzeigt, dass das Klimamodell die so rekonstruier-te globale Klimaentwicklung (Abb. 16) und ins-besondere das Phänomen der sogenannten„Kleinen Eiszeit” in Europa recht realistisch zusimulieren vermag.

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Die Klimaberechnung zeigt auch, dass beson-ders während des „Späten Maunder Minimums”(1675-1715), einer Zeit verringerter Sonnenakti-vität und nahezu verschwindender Sonnenflek-kenaktivität, das Klima global kälter war als heu-te. Diese Kältephase - ein Höhepunkt der Klei-nen Eiszeit - ist durch historische Aufzeichnun-gen für Europa dokumentiert; wir kennen siez.B. aus den berühmten Winterlandschaftenzeitgenössischer holländischer Meister. Ein Ver-gleich der Klimarekonstruktion mit der Modell-simulation zeigt für Mitteleuropa eine guteÜbereinstimmung (Abb. 17), während man inNordeuropa deutliche Unterschiede sieht; diesekönnten aber auch auf die schlechte Datenlagein diesen Gebieten zurückzuführen sein.

Das Klima im Zeitalter der IndustrialisierungEine häufig in der Öffentlichkeit gestellte Frageist, inwieweit die Sonne und die Vulkane an den

in den letzten 150 Jahren beobachteten Klima-veränderungen beteiligt sind, oder ob diese primär durch den Menschen bzw. die Industria-lisierung hervorgerufen wurden. Klimamodellekönnen helfen, die vielfach umstrittenen Ursachen für diese Klimaveränderungen zuidentifizieren.

Hierzu hat man mehrere Klimamodellexperi-mente durchgeführt: In einem ersten Experi-ment berücksichtigte man im Modell nur natür-liche Klimaantriebe bzw. deren Schwankungen,in einem zweiten nur die anthropogenen und ineinem dritten die natürlichen und die anthropo-genen. Die Ergebnisse solcher Klimaexperimen-te sind in Abb. 18 wiedergegeben. Wie man ausdieser Abbildung erkennen kann, muss man bei-de ursächlichen Anteile berücksichtigen, umeine Übereinstimmung von Simulation undBeobachtung zu erhalten.

Abbildung 16Änderung der globalgemittelten bodennahenLufttemperatur bezogenauf das Jahr 1990. Für denZeitraum 1000 bis 1860wurden nur Werte aus derNordhemisphäre, ermitteltaus Baumringen, Korallen,Eisbohrkernen und histori-schen Überlieferungenhergeleitete Daten, ver-wendet. Der Zeitraum von1860 bis 2000 basiert aufdirekten atmosphärischenMessungen. Ebenfallsgezeigt ist das Ergebniseiner Klimasimulation fürdie letzten 450 Jahre (fürdie Nordhalbkugel: beigeKurve; globales Mittel:schwarze Kurve:). Die Tem-peraturhochrechnung biszum Jahr 2100 erfolgteanhand verschiedener Sze-narien (siehe Kap. 3).

Quelle:IPCC, Synthesebericht desThird Assessment Reports(2001)

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Die Klimamodelle sind für das Klima in diesemZeitabschnitt jedoch nicht primär gerechnetworden, um das Klima darzustellen. Vielmehrwurden die Modellexperimente in erster Liniedazu benutzt, sie mit den Beobachtungen zuvergleichen, um die Güte der Simulation zu prü-fen. In vielen internationalen Modellvergleichenwurde festgestellt, dass die Modelle in der Lagesind, das heutige Klima in seinen wesentlichenZügen wiederzugeben. Es gibt jedoch nicht „dasperfekte Modell”; vielmehr haben alle Modelleihre eigenen Schwächen und Stärken. Insbeson-dere sei daraufhingewiesen, dass derzeitige Klimamodelle aufgrund unvollständiger Pro-zessverständnisse das reale Klima nur unvoll-kommen abzubilden in der Lage sind. Dies giltinsbesondere auch für die Einbeziehung derAerosole, deren Wirkung im Klimasystem nur für

Abbildung 17Die Temperaturabweichung während des „Späten Maun-der Minimums” (1675–1715). Oben: Modellsimulation;unten: rekonstruiert aus historischen Überlieferungen.Die Schraffierung gibt den Grad der Signifikanz wieder.Nach Zorita et al. (2003)

Abbildung 18Ergebnisse numerischerKlimaexperimente. InAbbildung a) werden nurdie natürlichen Antriebe,d.h. die solare Varia-bilität und der Vulka-nismus, berücksichtigt,in Abbildung b) nur dieanthropogenen Anteile(Treibhausgase und Sul-fat-Aerosole (nur direkterEffekt, siehe Text)). In Abbildung c) werdensowohl natürliche alsauch anthropogene Fak-toren in ein Klimamodelleingebracht. Das blaue Band gibt dieModellhochrechnungeneinschließlich einer Abschätzung ihrer Un-sicherheiten wieder, die rote Kurve den beobachteten Klimaverlauf. Diese Abbildung zeigt deutlich, dass das Klima-modell in der Lage ist, nicht nur das beobachtete Klima zu reproduzieren, sondern auch die verschiedenen Einfluss-faktoren zu separieren. Quelle: IPCC, Third Assessment Report (2001)

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die direkte Rückstreuung des Sonnenlichts (dem so genannten direkten Effekt) hinreichendgut verstanden ist. Der indirekte Effekt, der denEinfluss des Aerosols auf die Wolkenbildungberücksichtigt, ist höchst unsicher.

2.3 Resumée• Warum beschäftigen wir uns mit der Klima-geschichte?

Die Erforschung der Klimageschichte trägt dazubei, das Klimasystem und seine natürliche Varia-bilität zu verstehen. Die Klimageschichte liefertdarüber hinaus den Basiszustand, der vor derEinwirkung des Menschen das Klima bestimmthat. Klimageschichte dient aber auch dazu, dieGüte von Klimamodellen über längere Zeiträu-me zu überprüfen.

• Wie rekonstruieren wir Klima in der Erdgeschichte?

Bei der Rekonstruktion des Klimas der Erdge-schichte ist man auf indirekte Klimadaten ange-wiesen, die aus so genannten Klimaarchivenhergeleitet werden. Klimaarchive sind z.B. Eis-bohrkerne, Baumringe, Sedimentablagerungensowie eine Vielfalt von historischen Aufzeich-nungen (Ernteerträge, Deichreparaturen, Segel-zeiten von Schiffen). Die aus Klimaarchivengewonnenen so genannten Stellvertreterdaten(Proxies) geben indirekt die Temperatur oderandere Klimaelemente wieder. Validierte undaufbereitete Proxydaten dienen auch als Einga-bedaten für Klimamodelle. Seit einigen Jahrenwerden auch Klimamodelle mit zunehmendemErfolg zur Rekonstruktion des Klimas der Erdge-schichte eingesetzt, insbesondere was die Zeit-spanne seit der letzten Eiszeit und die letztenJahrhunderte angeht.

• Temperatur und CO2: Wer hat wen gesteuert?

Die Rekonstruktion von Änderungen der atmo-sphärischen CO2-Konzentration im Verlauf der

weit zurückliegenden Erdgeschichte ist nochmit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Fürdie letzten 400.000 Jahre wurde aber einbemerkenswerter Gleichlauf von CO2 und Tem-peratur im Wechsel von Kalt- und Warmzeitengefunden. Aus dieser Ähnlichkeit im Verlaufkann aber nicht geschlossen werden, dass CO2

die Temperaturänderungen antreibt oder umge-kehrt. Die atmosphärische CO2-Konzentrationergibt sich aus der Wechselwirkung zwischenden Kohlenstoffreservoirs der verschiedenenKomponenten im Klimasystem. Diese Wechsel-wirkung hängt unter anderem von der Tempera-tur ab, die wiederum – neben zahlreichen ande-ren Prozessen im Klimasystem – auch über denTreibhauseffekt durch die CO2-Konzentrationbestimmt wird. Als sehr wahrscheinlich gilt, dassdie heutige CO2-Konzentration erheblich höherist als jemals zuvor in den vergangenen 400.000Jahren.

• Welchen Einfluss hatte die Sonne?

Die Sonne hatte in der Klimageschichte insge-samt einen dominierenden Einfluss. In manchenPerioden lässt sich die Variabilität des solarenEnergieflusses deutlich in den Klimaarchivenablesen. So kann man z.B. die Klimageschichteder letzten 1000 Jahre vor der Industrialisierungnicht ohne die Schwankungen des solaren Ener-gieflusses erklären. Auch die Temperaturzunah-me der letzten 100 Jahre ist trotz eines deut-lichen anthropogenen Beitrags ohne den Ein-fluss der Sonne nicht verständlich. Nach demgegenwärtigen Kenntnisstand könnte sich derEinfluss der Sonne und des Vulkanismus aberschwächer als der menschliche Beitrag ausge-wirkt haben. Es gibt allerdings auch statistischeAnalysen, die nahe legen, dass es einenZusammenhang gibt zwischen der von der Son-ne beeinflussten kosmischen Strahlung undatmosphärischen Parametern, wie z.B. der Wol-kenbildung. Dies würde bedeuten, dass die Son-ne auch indirekt auf das Klima Einfluss nimmt.Für eine solche Annahme fehlt aber noch derexakte physikalische Nachweis.

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• Was sagen uns Gletscher und das Polareisüber die Klimageschichte?

Das Eis in den großen Schilden der hohen Brei-ten der nördlichen und südlichen Hemisphäresowie in den Gletschern niedriger Breiten bildetsich aus jahreszeitlich wechselndem Schneefall.Dieser hängt von wichtigen physikalischen undchemischen Eigenschaften der Atmosphäre abund führt in vielen Fällen auch zu einer erhalte-nen Jahres-, ja sogar Jahreszeitenschichtung imSchnee, Firn und Eis. Bohrkerne aus den Schich-ten dieser Eismassive sind daher vorzügliche Klimaarchive. Gletschervorstoß und -rückzugwaren in der Vergangenheit natürliche Prozesse,so beispielsweise auch in den Alpen. Rekon-struktionen belegen, dass die Alpen währendder letzten zehntausend Jahre wiederholt nahe-zu frei von Gletschern waren. Wenn die Eisschil-de in den hohen Breiten wachsen, fällt der glo-bale Meeresspiegel. Während der Eiszeiten zumBeispiel lag der Meeresspiegel bis zu 140 m nie-driger. Würden alle Gletscher der Erde dagegenschmelzen, würde der globale Meeresspiegelum bis zu 80 m ansteigen.

• Ist das Klima der letzten Jahrzehnte ungewöhnlich?

Die Frage, ob ein Klimazustand ungewöhnlichist oder nicht, hängt sehr stark vom betrachte-ten Zeitraum ab. Bezieht man lediglich die letz-ten 150 Jahre ein, so ist die Häufung hoher Tem-peraturen (im globalen Mittel) innerhalb desletzten Jahrzehnts durchaus signifikant, insbe-sondere was die Geschwindigkeit dieser Ände-rung angeht. Auf noch längeren Zeitskalen wer-den Aussagen dieser Art unsicherer. Dass esRegionen gibt, in denen die Temperatur in derVergangenheit deutlich über den heutigen lag,ist nicht auszuschließen. Ob es aber im letztenJahrzehnt im globalen Mittel wärmer war alsjemals zuvor in den letzten 1000 Jahren, istnoch Gegenstand von Untersuchungen.

• Gab es früher bereits schnelle Klimaänderungen?

Viele, zeitlich hoch auflösende Klimaarchivebelegen dramatisch starke und schnelle Klima-wechsel. Die Eisschichten, die sich auf Grönlandwährend der letzten Eiszeit und in der nacheis-zeitlichen Warmzeit gebildet haben, zeigen,dass der Klimaumschwung von der letzten Eis-zeit zur nacheiszeitlichen Warmzeit nur 20 bis50 Jahre gedauert hat. Jahresschichten in nord-deutschen Seen zeigen einen noch schnellerenTemperaturwechsel um mindestens 5 Gradinnerhalb von 10 bis 15 Jahren.

• Gibt es Regionen auf der Erde, diebesonders empfindlich auf Änderungen imexternen Klimaantrieb reagiert haben?

Geologische Rekonstruktionen und Klima-modelle stimmen dahingehend überein, dassdie polaren und subpolaren Klimazonen derErde besonders anfällige Gebiete für Klima-wechsel sind. Dieses betrifft insbesondere Euro-pa, das heute unter dem Einfluss des Golfstromsim Vergleich zu anderen Gebieten gleicher Brei-tengrade in einer sehr milden Klimazone liegt.Jede signifikante Veränderung des großräumi-gen ozeanischen und atmosphärischen Zirkula-tionsmusters im Nordatlantik würde zu einernachhaltigen Veränderung der Lebensbedin-gungen in Europa führen. Abrupte Klimaände-rungen sind auch für das nördliche Afrika (Aus-dehnung der Sahara) und für den östlichenNordatlantik sowie Grönland bekannt. Obwohlmittlerweile abrupte Klimaänderungen wäh-rend der letzten Eiszeit in nahezu allen Teilender Welt nachgewiesen wurden, gelten diegenannten Regionen als „hot spots”. Nach wei-teren empfindlichen Regionen wird nochgeforscht.

• Können die heutigen Klimamodelle die Klimageschichte abbilden?

Erst seit wenigen Jahren hat man begonnen, mitModellen das Klima der Vergangenheit zu unter-

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suchen. Die letzten 100 Jahre sind relativ gutreproduzierbar und auch anhand von Daten zuvalidieren. Je weiter man in die Erdgeschichtezurückschaut, d.h. je länger die Zeitskalen sind,desto unsicherer werden die Ergebnisse. Diesberuht darauf, dass zum einen nicht genügendDaten verfügbar sind, zum anderen dass diebeteiligten Prozesse noch nicht hinreichend ver-standen sind. Allerdings ist es bereits gelungen,einige paläoklimatologische Befunde, z.B. dendrastischen Rückgang der Sahara vor einigentausend Jahren, zu erklären.

3. WIE WIRD DAS KLIMA IN DERZUKUNFT AUSSEHEN?Die Frage, wie das Klima in der Zukunft aussehenkönnte, ist sowohl von wissenschaftlichem alsauch von großem gesellschaftlichem Interesse.Nicht zuletzt wird bereits durch einfache quali-tative Abschätzungen über die Wirkung desTreibhauseffektes eine deutliche Temperaturzu-nahme bei wachsender CO2-Emission vorausge-sagt. Die heutige Klimawissenschaft verwendetkomplexe Modelle, in denen alle bekannten phy-sikalischen Prozesse berücksichtigt sind und mitdenen so genannte „Klimaszenarien” getestetwerden. Solche Szenarien sind keine Prognosen,sondern nur ein Spektrum von Annahmen überzukünftige Entwicklungen und des begleitendenEinflusses auf das globale Klima.

Eine wesentliche Frage, die die Klimawissen-schaft zu beantworten hat, ist die der Extrem-ereignisse, da diese gesellschaftlich am stärk-sten erfahren werden.

Klimamodellierung wird in der Öffentlichkeit oftmit großer Skepsis wahrgenommen. Sind dieErgebnisse unterschiedlich, werden sie verständ-licherweise nicht akzeptiert, sind sie dagegenähnlich, steigt die Akzeptanz dennoch nichtautomatisch, weil der Verdacht besteht, das sichdie Klimaforscher untereinander „abgestimmt”haben.

3.1 KlimavorhersageIn der theoretischen Klimatologie werden zweiverschiedenen Typen von Klimavorhersagenunterschieden. Zum einen die Klimavorhersageerster Art, bei der von einem bestimmten Zeit-punkt ausgehend die weitere Klimaentwicklungberechnet wird. Diese Art der Vorhersage ent-spricht im Prinzip der Wettervorhersage, nur mitdem Unterschied, dass bei der Klimavorhersagedie statistischen Kenngrößen des Klimasystemsfür einen bestimmten Zeitbereich in derZukunft berechnet werden und bei der Wetter-vorhersage der Zustand der Atmosphäre (vgl.

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hierzu auch Kapitel 1). In beiden Fällen werdenneben den Erwartungswerten (z.B. Jahressum-me des Niederschlages oder Eintrittswahr-scheinlichkeit von Starkniederschlägen bei derKlimavorhersage oder Regenwahrscheinlichkeitdes nächsten Tages bei der Wettervorhersage)auch die Unsicherheit der Abschätzung angege-ben - obwohl dies bei der täglichen Wettervor-hersage in den Medien meist nicht erkennbarist.

Bei der Klimavorhersage erster Art wird davonausgegangen, dass die Entwicklung der Rand-bedingungen bekannt ist. Es wird also imWesentlichen die interne Klimavariabilität pro-gnostiziert (siehe Kapitel 1). Bei der Klimavor-hersage der zweiten Art dagegen steht nicht dieKlimaentwicklung oder das Klima zu einembestimmten Zeitpunkt in der Zukunft im Vorder-grund, sondern die Reaktion des Klimasystemsauf Veränderungen verschiedener hypotheti-scher Antriebe, z.B. CO2. Es wird auf diese Weisedie dynamische Struktur und die Belastbarkeitdes Klimasystems erkundet.

Für die Diskussion der Klimaentwicklung in die-sem Jahrhundert spielt die Klimavorhersageerster Art eine untergeordnete Rolle. In der Klimaforschung wird daher oft von Projektionenoder Szenarien gesprochen – gemeint ist damitdie Klimavorhersage zweiter Art, also die Analy-se möglicher Klimaänderungen bei verschiede-nen Belastungszuständen. Diese Klimaverände-rungen werden mit den in Kapitel 1.6 vorgestell-ten Modellen berechnet.

3.2 Sozioökonomische Szenarien oder: Was bringt Kyoto?Um realistisch abzuschätzen, wie sich das Klimain der Zukunft entwickeln wird, werden sogenannte Szenarien entwickelt. Die Szenariensind keine Prognosen, sondern ein Spektrumvon Annahmen über zukünftige Entwicklungen,so z.B. die Weltbevölkerung, den Lebensstan-dard, den sie erreichen könnte, wie viel Energieverbraucht werden könnte und welche Energie-

träger man dafür nehmen würde. Die von derUN und dem IPCC in Auftrag gegebene Studieüber mögliche zukünftige Entwicklungen derWeltbevölkerung und der Weltwirtschaft, die sogenannten SRES Szenarien (Special Report onEmission Scenarios), sind die zur Zeit gängig-sten Szenarien zur Modellierung einer mög-lichen zukünftigen Klimaentwicklung. Sie zei-gen mögliche Entwicklungspfade auf und sollenkeine politischen Maßnahmen empfehlen („nonpolicy prescriptive”). Aus diesem Grunde gibt esauch kein Szenarium, das die Emissionsvorga-ben des Kyoto-Protokolls, welches einen politi-schen Charakter hat, implementiert.

Offiziell sind laut IPCC-Bericht alle Standardsze-narien und die individuellen Szenarien gleichwahrscheinlich oder unwahrscheinlich. Jedochsind auch einige Szenarien entwickelt worden,welche sehr extreme zukünftige Entwicklungendarstellen und deren Eintritt deshalb wenigwahrscheinlich ist. Hierzu gehört z.B. ein Szena-rium, in dem ausschließlich fossile Brennstoffeals Energieträger genutzt werden, obwohl diedabei verbrauchte Menge die heute als gewinn-bar nachgewiesene Menge an fossilen Energienvermutlich übersteigt.

In internationalen Gremien hat man sich auf ca.35 Szenarien geeinigt. Diese Szenarien werdenin 4 Szenarienfamilien unterteilt, und werdendurch 6 Standardszenarien repräsentiert (vgl.fett gedruckten Text im Kasten „Szenarien“).

Da die Klimasimulationen sehr aufwendig sind,hat man sich auf 4 „Marker”-Szenarien geeinigt,die von jeder Forschergruppe mit den komple-xen Klimamodellen hochgerechnet werden.Damit hat man eine direkte Vergleichsmöglich-keit der Ergebnisse.

Das Szenarium, welches dem Kyoto-Protokollam ehesten entspricht, ist das A2 Szenarium. ImGegensatz zum Kyoto-Protokoll sieht diesesjedoch keine Stabilisierung der Treibhausgas-Emissionen vor. Eine Analyse hat gezeigt, dassbis zum Jahre 2030 die Temperaturentwicklungbei nahezu allen Szenarien in etwa gleich ist,

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SzenarienA1: Die A1-Szenarienfamilie beschreibt eine Welt mit sehr schnellem Wirtschaftswachstum, einerWeltbevölkerung, die in der Mitte des nächsten Jahrhunderts ihr Maximum erreicht und danachabnimmt, und die schnelle Einführung neuer und effizienterer Technologien. Regionale Unter-schiede im Lebensstandard und Einkommen werden ausgeglichen. Diese A1-Familie kann in dreiGruppen unterteilt werden, welche die technologischen Möglichkeiten der Energiegewinnungberücksichtigen: A1FI (fossil intensive) sieht den Schwerpunkt auf fossilen Brennstoffen (Kohle, Öl,Erdgas), bei der Gruppe A1T geht man von nicht-fossilen Energieträgern aus, und bei A1B voneiner Mischung von verschiedenen Energieträgern.

A2: Die A2-Szenarien-Familie beschreibt eine sehr heterogene Welt. Man geht von einer gewissenregionalen Autarkie und dem Erhalt lokaler Unterschiede aus. Die Weltbevölkerung nimmt kon-tinuierlich zu. Die ökonomische Entwicklung, der Lebensstandard und die Einkommen sindregional sehr unterschiedlich, der technologische Wandel geht nur langsam voran.

B1: Die B1-Szenarien-Familie geht wie A1 von einer Weltbevölkerung aus, die nur bis Mitte desnächsten Jahrhunderts anwächst. Die ökonomische Entwicklung geht aber mehr in eine Dienst-leistungs- und Informationsgesellschaft mit weniger Materialverbrauch und der Einführung vonsauberen und effizienten Technologien. Das Gewicht liegt auf globalen nachhaltigen Lösungender ökonomischen, sozialen und Umweltprobleme.

B2: Die B2-Szenarien-Familie nimmt eine Welt an, in der lokale nachhaltige Lösungen zu ökono-mischen, sozialen und Umwelt-Problemen gefunden werden. Die Bevölkerung steigt kontinuier-lich an, aber langsamer als in A2. Es gibt eine weniger schnelle ökonomische Entwicklung undeine stärker unterschiedliche technologische Entwicklung als in den anderen Szenarien. DerSchwerpunkt liegt auf Umweltschutz und sozialer Gerechtigkeit, aber mehr auf lokaler und regio-naler Ebene.

Abbildung 19Die Marker-Szenarien des Second Report onEmission Scenarios (SRES)

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erst danach laufen sie auseinander. Die Stabili-sierung durch das Kyoto-Protokoll scheint erstnach 2070 einen Effekt zu haben, der sich danneher längerfristig auswirkt.

3.3 Globales KlimaDie Ergebnisse der Szenarienrechnungen desIPCC sind wie unten folgend zusammengestellt.Die Auswertung ist noch sehr lückenhaft undheterogen, d.h. ein Vergleich der Ergebnisseunterschiedlicher Modelle hat nur bei einigenGrundgrößen wie Temperatur und mittleremNiederschlag stattgefunden. Andere Analysen,wie die der Sturmhäufigkeit oder von Extrem-ereignissen, sind von einzelnen Forschergrup-pen nur an einzelnen Modellergebnissen durch-geführt worden, nicht jedoch an den Ergebnis-sen aller Modelle.

Temperatur: Es wird hochgerechnet, dass dieglobal gemittelte bodennahe Lufttemperaturum 1,4 bis 5,8°C über den Zeitraum von 1990bis 2100 ansteigt. Dieses Resultat umspannt alle35 SRES Szenarien und basiert auf mehreren Klimamodellen (Abb. 16). Damit wird eine Temperatur erreicht, die höher ist als die, dieman im 20. Jahrhundert beobachtet hat undsehr wahrscheinlich die höchste der letzten10.000 Jahre ist.

Niederschlag: Der globale Wasserdampfgehaltin der Atmosphäre wird ansteigen. In der zwei-ten Hälfte des 21. Jahrhunderts wird der Nieder-schlag in den mittleren und hohen Breiten derNordhemisphäre zunehmen. Dort wird auch dieVariabilität (Niederschlagsdauer und -intensität)anwachsen (siehe Abb. 20).

Extremereignisse: Durch eine Zunahme dermittleren Temperatur und des mittleren Nieder-schlags nimmt schon aus einfachen statistischenErwägungen die Wahrscheinlichkeit von ent-sprechenden Extremereignissen zu. Bei vielenanderen Parametern wie der Sturmintensitätund -häufigkeit ist die Lage nicht so einfach. DieErgebnisse werden in Tabelle 4 zusammenge-

fasst. Die Definition der Unsicherheitsgrenzenentspricht denen des IPCC und gibt eine Exper-tenabschätzung wieder, die auf Auswertungender jeweils relevanten Veröffentlichungenbasiert.

Die Ereignisse sind bisher nur für einebeschränkte Anzahl von Regionen analysiertworden, und viele Extreme in anderen Größensind noch überhaupt nicht erfasst worden. Diesbedeutet, dass derartige Analysen für die Indu-strieländer vorliegen, aber nicht für die dritteWelt. Für Stürme gibt es nur Studien einzelnerModelle, aber keinen zusammenhängenden Vergleich. Viele sehr kleinräumige Phänomene(z.B. Tornados, Gewitter) können allerdingswegen der groben Auflösung der Modelle nichtberechnet werden.

El Niño: Die meisten Modelle sind noch nicht inder Lage, El Niño-Ereignisse hinreichend genauzu simulieren, so dass sie keine Prognose abge-ben können. Das Hamburger Modell sagt eineZunahme voraus, das Modell des englischenHadley-Centers dagegen eine gleichbleibendeHäufigkeit. Beide Modelle sind von ihrer Qua-lität her vergleichbar.

Monsun: Es ist wahrscheinlich, dass die Varia-bilität des Indischen Sommermonsuns zu-nehmen wird. Veränderungen seiner Stärke undDauer hängen sehr stark vom jeweiligen Szena-rium ab.

Thermohaline Zirkulation: Die meisten Model-le zeigen eine Abschwächung der thermohali-nen Zirkulation und damit des Golfstroms (THC,vgl. Kapitel 1.5) im 21. Jahrhundert, wodurchweniger Wärme in den europäischen Raumtransportiert würde. Aber selbst in den Berech-nungen, in denen die THC stark abnimmt, findetman immer noch eine Erwärmung durch dieZunahme der atmosphärischen Treibhausgas-konzentration. In den folgenden Jahrhundertenbesteht die Möglichkeit eines Zusammenbruchsder THC, wenn die Erwärmung stark und langanhaltend genug ist.

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Vertrauenswürdigkeit Änderungen Vertrauenswürdigkeitbeobachteter des projizierterÄnderungen Phänomens Änderungen(zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts) (im 21. Jahrhundert)

Wahrscheinlich Höhere Temperaturmaxima Sehr wahrscheinlichund mehr Hitzetage übernahezu allen Landmassen

Sehr wahrscheinlich Höhere Temperaturminima, Sehr wahrscheinlichweniger Kälte- und Frosttageüber nahezu allen Landmassen

Sehr wahrscheinlich Geringerer täglicher Sehr wahrscheinlichSchwankungsbereich der Temperatur über den meisten Landmassen

Wahrscheinlich, Ansteigen des Hitzeindexes Sehr wahrscheinlich,über vielen Gebieten über Landmassen über vielen Gebieten

Wahrscheinlich, über vielen Häufigere intensive Sehr wahrscheinlich,Landmassen mittlerer bis hoher Niederschlagsereignisse über vielen GebietenBreiten der Nordhemisphäre

Wahrscheinlich, Ansteigen der kontinentalen Wahrscheinlich, überin wenigen Gebieten Sommertrockenheit und der den meisten

damit verbundenen Dürregefahr innerkontinentalenLandmassen mittlererBreiten (anderswo feh-len übereinstimmendeHochrechnungen)

Wurde in den wenigen Zunahme der Spitzen- Wahrscheinlich, übervorliegenden Analysen nicht windgeschwindigkeiten in einigen Gebietenbeobachtet tropischen Zyklonen

Datenlage für Beurteilung Zunahme der mittleren Wahrscheinlich, über nicht ausreichend und maximalen Niederschlags- einigen Gebieten

intensitäten in tropischenZyklonen

Tabelle 4Wahrscheinlichkeiten beobachteter und prognostizierter Veränderungen extremer Wetter-und Klimaereignisse. Quelle: IPCC, Third Assessment Report (2001). Nach IPCC bedeutet hier„wahrscheinlich“ eine Wahrscheinlichkeit von 66-90%, „sehr wahrscheinlich“ eine Wahr-scheinlichkeit von 90-99% nach einer Expertenabschätzung der Literaturergebnisse.

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Schnee und Eisbedeckung: Die Schnee- undEisbedeckung auf der Nordhalbkugel wird wei-ter abnehmen. Auch die Gletscher und Eiskap-pen werden sich weiter zurückziehen. Die süd-polare Eiskappe wird wegen des größerenNiederschlags leicht an Masse gewinnen, während das Grönlandeis an Masse verlierenwird, weil die Zunahme durch die Niederschlägedurch das vermehrte Abschmelzen über-kompensiert wird.

Meeresspiegel: In den Szenarienrechnungengeht man davon aus, dass der Meeresspiegel inden nächsten 100 Jahren um 0,09 bis 0,88 mansteigen wird. Diese Bandbreite erklärt sichdadurch, dass der Anstieg in erster Linie aufWärmeausdehnung und das Abschmelzen derGletscher zurückzuführen ist, die beide von derUnsicherheit in der Temperaturprojektionabhängen (siehe oben). Zur Veranschaulichung:Sollte Grönland vollständig abschmelzen, wasdann möglich wäre, wenn die Temperaturände-rung auf 7°C anstiege und für 1000 Jahreerhöht bliebe, so höbe sich der Meeresspiegelum sieben Meter, das Westantarktische Eisschildwürde dann noch einmal drei Meter beitragen,so dass man auf etwa zehn Meter käme.

3.4 Regionales Klima„Klima“ wird regional bzw. lokal erlebt. Deshalbgeschieht auch die Anpassung an realisierte Klimaänderungen lokal und regional.

Die Beschreibung des regionalen Klimas gelingtmit globalen Modellen nur eingeschränkt, weildie horizontale Auflösung dieser Modelle nurStrukturen ab einer gewissen Größe darstellt.Nach dem dritten IPCC Sachstandsbericht kannman bisher nur konsistente Aussagen überRegionen einer Größe von 1000 x 1000 km2 undmehr machen. Allerdings gibt es auf dem japa-nischen „Earth Simulator”-Computer erste Hoch-rechnungen, die auf globalem Maßstab Auflö-sungen von 10 x 10 km2 erreichen.

Um das regionale Klima und seine Änderungenauf feineren Skalen zu beschreiben, bedient

man sich dynamischer oder empirischer Metho-den. In beiden Fällen kommt das so genannte„downscaling“-Konzept zum Einsatz, wonachdas regionale Klima Ausdruck eines Wechsel-spiels großskaligen Klimas (kontinentale bis subkontinentale Skala) und regionaler physio-graphischer Details ist.

Dynamische Methoden verwenden prozess-basierte numerische Modelle; sie liefern dyna-misch konsistente vollständige regionale Dar-stellungen von atmosphärischen Zustandsgrö-ßen. Empirische Methoden verwenden statisti-sche Modelle, die zumeist lokale, nicht notwen-digerweise physikalische Größen, wie z.B. phänomenologische oder biogeochemischeDaten, in Beziehung zu großräumigen analysier-ten Zuständen stellen.

Obwohl sich die Anwendungen verändern kön-nen und werden, wird es für beide Methodenauf Dauer Bedarf geben. Veränderungen er-geben sich aus der stetig verbesserten Auflö-sung der globalen Klimamodelle; neue Möglich-keiten werden sich für empirische Methodenaufgrund neuer regionaler und lokaler Daten-sätze ergeben.

Die Modellergebnisse des englischen HADCM-und des deutschen ECHAM-Modells für dieRegionalisierung von „CO2-Verdopplungsszena-rien“ sind in Abbildung 20 gezeigt. BeideModelle zeigen eine winterliche Temperatur-erhöhung in Mittel- und Nordeuropa, wobei dieErwärmung im ECHAM-Modell stärker ausfälltals im HADCM-Modell. Auch sind sich beide Sze-narien einig in einer winterlichen Erhöhung desNiederschlags über Skandinavien, aber im Hin-blick auf Mitteleuropa gibt es widersprüchlicheEinschätzungen.

Systematisch vergleichbare Szenarien werdenderzeit erst im Rahmen des europäischen Pro-jektes PRUDENCE zusammengestellt. BisherigeErgebnisse deuten an, dass der von den globa-len Modellen angebotene großskalige Antriebnoch von Modell zu Modell zu unterschiedlichist, um robuste, konsistente Szenarien auf der

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regionalen Skala mit Gitterzellen im Bereich von10 bis 40 km zu erlauben.

3.5 Resumée• Kann man Klima vorhersagen?

Klimavorhersage ist nicht Wettervorhersage, danicht einzelne Zustände des Systems, sondernnur Mittelwerte und Varianzen berechnet wer-den können. Eine exakte Klimavorhersage setztvoraus, dass man die Entwicklung aller Klima-antriebe (solare Aktivitätsänderung, Vulkanakti-vität, menschliche Einflüsse) kennt. Klimavorher-sage für einzelne Regionen oder einzelne Klima-systemkomponenten wird darüber hinaus

dadurch begrenzt, dass Klimamodellgleichun-gen einen nichtlinearen Charakter besitzen unddaher eine chaotische Dynamik aufweisen. Nachdem gegenwärtigen Kenntnisstand verhält sichdas global gemittelte Klima in der Nähe des ge-genwärtigen Klimazustands nahezu linear underscheint daher prinzipiell und im Rahmen deroben erwähnten Unsicherheiten vorhersagbar.

• Sind die Ergebnisse von Klimamodellen„robust”?

Klimamodelle sind nach gegenwärtigem Kennt-nisstand hinsichtlich globaler Mittelwerte undausgedehnter Strukturen (d.h. Kontinente und

Abbildung 20Änderung von Niederschlag (oben, in %) und Temperatur (unten, in K) in Nordeuropa aufgrund des

Szenarios einer CO2-Verdopplung. Simulationen mit dem Regionalmodell des Rossby-Centers.Links: Antrieb des Modells mit Daten des HADCM3-Modells,

rechts: Antrieb des Modells mit Daten des ECHAM3/OPYC-Modells.Nach Bergström et al. (2001)

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größer) von Temperatur und Niederschlag aus-sagekräftig („robust”). Dies gilt nicht für dieregionale Ausprägung von Temperatur undNiederschlag: Im kleinräumigen Maßstab sindrobuste Aussagen aufgrund des nichtlinearenCharakters der mathematischen Struktur unddes zu groben großskaligen Antriebs zur Zeitnicht möglich.

• Nehmen die Extremereignisse zu?

Nach Aussagen der Klimamodellierung werdenExtremereignisse von Temperatur, Niederschlag(Starkregen, Dürren) und Windgeschwindig-keiten in Zukunft häufiger auftreten. Die Ergeb-nisse sind jedoch umstritten, da in vielen Fällendie Statistik noch nicht ausreicht, um allgemein-gültige Aussagen zu machen.

• Wann kommt die nächste Eiszeit und/oder gibt es in absehbarer Zeit andere„Überraschungen”?

Wir leben heute in einer Warmzeit, die vor etwa11.600 Jahren begann und etwa 15.000 bis20.000 Jahre dauern sollte, wenn man die Län-gen der letzten vier Warmzeiten statistisch be-wertet. Neue physikalische Überlegungen, basierend auf der astronomischen Theorie derEiszeiten, zeigen allerdings, dass die heutigeWarmzeit durchaus auch 50.000 Jahre andauernkönnte. Die meisten Klimamodelle zeigen eineAbschwächung der thermohalinen Zirkulation(THC) und damit des Golfstroms im 21. Jahrhun-dert; infolgedessen würde weniger Wärme inden europäischen Raum transportiert. Aberselbst unter diesen Bedingungen ist es möglich,dass sich diese Region in Folge einer Zunahmeder atmosphärischen Treibhausgaskonzentra-tion erwärmt. In den folgenden Jahrhundertenbesteht aber auch durchaus die Möglichkeiteines Zusammenbruchs der THC. Dies bedeutet,dass man in den nächsten 100 Jahren in Europanicht mit einer Eiszeit rechnen muss, sehr lang-fristig jedoch auch eine regionale Abkühlungtrotz Zunahme der Treibhausgase erfolgenkönnte.

• Was bringt Kyoto?

Die Auswirkungen des Kyoto-Protokolls sind nur vereinzelt hochgerechnet worden. Danachscheint die im Kyoto-Protokoll vorgesehene Re-duktion der Treibhausgas-Emissionen der Indu-strieländer nur einen geringen Effekt auf dieTemperaturentwicklung zu haben. Auf der Zeit-skala bis etwa 2050 ist sogar durch das Kyoto-Protokoll keinerlei Veränderung gegenüber dem„business-as-usual”-Szenarium zu erkennen.

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4. WIE GEHEN WIRMIT DEM BEVORSTEHENDENKLIMAWANDEL UM?Dass die Diskussion des Klimawandels auchunsere Gesellschaft erreicht hat, ist unumstrit-ten. In der öffentlichen Diskussion dominiert dieFrage, ob es überhaupt einen Einfluss des Men-schen auf das Klimageschehen gibt oder nicht.In relativ undifferenzierter Weise wird deranthropogene Klimawandel als schlecht bis katastrophal wahrgenommen oder als irrealabgetan. Die öffentliche Aufmerksamkeit undAnstrengung gilt vor allem der Vermeidung der„Klimakatastrophe”. Insofern spielen das Kyoto-Protokoll und sein ausbleibender Erfolg einewichtige Rolle in der öffentlichen Diskussion.Genauso wichtig ist die Frage nach den Kostenund der volkswirtschaftlichen Verträglichkeit.

4.1 Vermeidung und AnpassungNach den Erfahrungen der vergangenen Jahre istes sehr wahrscheinlich, dass die Emissionen vonTreibhausgasen in den nächsten Jahrzehntenweiter zunehmen werden. Eine Stabilisierung innäherer Zukunft auf gegenwärtigem Niveauoder gar auf einem Niveau etwa des Jahres 1990ist unwahrscheinlich. Die bisher diskutierten undpolitisch durchsetzbaren Formen der moderatenMäßigung von Treibhausgasemissionen beein-flussen den Klimawandel nur in einem geringenMaße. Ein weiterer anthropogener Klimawandelkann nur vermieden werden, wenn der Ausstoßvon Treibhausgasen kurzfristig um etwa siebzigProzent reduziert wird.

Es ist daher wahrscheinlich, dass sich das Klimain den kommenden Jahrzehnten als Folge derweiter ansteigenden Emissionen von Treibhaus-gasen und anderen klimarelevanten Substanzenändern wird. Ebenso wahrscheinlich ist, dass alsFolge eines Klimawandels auch Veränderungenin den Gesellschaften stattfinden werden.Gesellschaft und Wirtschaft werden sich an dieKlimaänderungen anpassen müssen und zwarauf Zeitskalen von wenigen Jahrzehnten.

Demnach sehen sich die Gesellschaft und diePolitik vor zwei wesentlichen Aufgaben:

• Die Vermeidung der Nutzung der Atmosphäreund anderer Umweltkompartimente zur Ent-sorgung von ungewollten Nebenproduktendes modernen Lebens im Rahmen des wirt-schaftlich Vertretbaren, politisch Machbarenund gesellschaftlich Akzeptablen. Dies betrifftinsbesondere das Kyoto-Protokoll zur Vermin-derung der Emission von Treibhausgasen indie Atmosphäre.

• Die Vorbereitung und Vorsorge von Gesell-schaft und Wirtschaft auf Veränderungen imKlima. Diese Veränderungen erfordern Anpas-sungen nicht nur in der Nutzung und demManagement der Umwelt (einschließlich derbewirtschafteten Ökosysteme), sondern auchder Lebensverhältnisse sowie das frühzeitigeErkennen veränderter Möglichkeiten.

Bisher wurde die Debatte über Klimawandel aufdie Verminderung von Emissionen fokussiert,während der Aspekt der Anpassung kaum thematisiert wurde. Die bisherige pauschaleAnnahme, dass Klimaänderungen „negativ” zusehen seien, sollte durch eine vorurteilsfreieSicht ersetzt werden, da es nicht um „gut” und„schlecht” geht, sondern darum, wie mit dem,was da kommt, rational umgegangen wird.

Beide Aspekte, Vermeidung und Anpassung,sind vor dem Hintergrund einer sich ohnehindramatisch verändernden Gesellschaft und ihrerUmweltnutzung zu sehen. Diese gesellschaft-lichen und wirtschaftlichen Veränderungen wer-den für die Zukunft der Menschen vermutlichvon zumindest ähnlich großer Bedeutung seinwie klimatische Veränderungen. Aufgabe derPolitik wird es sein, einen Entwicklungsrahmenfür die gesellschaftlichen und wirtschaftlichenVeränderungen und ihre Akzeptanz zu schaffen,so dass gleichzeitig die Emissionen von Treib-hausgasen und anderer umweltrelevanter Substanzen in Atmosphäre und Ozean ein-geschränkt werden und Gesellschaft und Wirt-schaft zukünftig weniger empfindlich gegen-

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über gegenwärtigen Klimaextremen und zu-künftigen Klimaveränderungen sind. Dabei istzu bedenken, dass in den kommenden Jahrenund Jahrzehnten auch noch andere Umwelt-gefahren entdeckt werden könnten, die gleichermaßen die gesellschaftliche und politi-sche Aufmerksamkeit erfordern werden.

Die Entwicklung nicht nur von emissionsmin-dernden und -vermeidenden Maßnahmen, son-dern auch von Technologien und Methodenzum Umgang mit einer sich veränderndenUmwelt ist nicht nur eine Herausforderung, son-dern gleichzeitig eine Chance für ein Hochtech-nologieland wie Deutschland, das durch dieBereitstellung entsprechender Technologieneine internationale Führungsrolle übernehmenkann. Darüber hinaus sollte die bisherige Per-spektive des „Klimaschutzes” komplettiert wer-den durch die Perspektive des „Gesellschafts-schutzes”. Hier geht es insbesondere um denSchutz vor bzw. den Umgang mit Wetterextre-men. Letzteres ist insbesondere sinnvoll, da sig-nifikante Risiken und Schäden schon von gegen-wärtigen Extremen ausgehen.

Aus Extremen werden nur dann Katastrophenmit großen Schäden, wenn die Gesellschaft aufdiese nicht hinreichend vorbereitet ist und ent-sprechende Vorsorge einleitet. Die Entwicklungvon Strategien und Techniken zum Umgang mitExtremen ist also auf jeden Fall angesagt, ganzunabhängig davon, ob sich die Extreme inZukunft verschärfen oder nicht. Mit anderenWorten:

• Die Anpassung an herrschende Risiken ist kon-sistent mit Anpassungsnotwendigkeiten anzukünftige Risiken.

• Anpassung vermindert die Verletzbarkeit.

• Anpassung ist politisch durchsetzbar.

• Anpassungs- und Vermeidungsprozesse kön-nen zum Motor nachhaltigen Wirtschaftenswerden.

4.2 Klimaforschung als sozialer/kultureller ProzessEine andere für die öffentliche Debatte und denpolitischen Entscheidungsprozeß relevante Tat-sache ist die Einbettung der Klimadebatte und -forschung in einen kulturellen und sozialenRahmen. „Klima“ ist sowohl ein naturwissen-schaftliches Konzept als auch ein zumindest inder westlichen Kultur fest verankertes sozialesund kulturelles Konstrukt. Beide Konzepte kon-kurrieren in der politischen Arena miteinander.

Bemerkenswerterweise herrscht in der öffent-lichen Debatte ein Widerspruch. Die wissen-schaftliche Einsicht, dass sich die Statistik globa-ler Größen, also insbesondere die „globalgemittelte Temperatur”, ändert, erhält einenzentralen symbolischen Wert für die öffentlicheDebatte. Da Klimawandel per se als „schlecht”angesehen wird, reicht der Nachweis, dass esihn irgendwo gibt. Andererseits ist die „globalgemittelte Temperatur” eine für Ökosysteme,Gesellschaft und Wirtschaft irrelevante Größe,weil Klimaimpakt regional bzw. lokal stattfin-det. Die Verbindung zwischen Klimawandel undUmweltwandel auf der lokalen Skala ist kaumuntersucht. Die Politik und die Klimaforschungsollten hier eine andere Sichtweise fördern. Die Untersuchung der Veränderungen derRegional- und Lokalklimate und die Unterschei-dung großklimatischer und lokaler Ursachensind erforderlich, um diese Versachlichung zufördern.

Klimaforschung ist „postnormal science”, d.h.große Unsicherheit und hohe Risiken sind mit-einander gekoppelt. Die Unsicherheit kann nurin einem beschränkten Maße durch weitere For-schung vermindert werden; oftmals erhöht dieForschung die Unsicherheit im Umgang mit demProblem als Ganzes. Die Wissenschaftstheoriesagt für diesen Fall die Konkurrenz von verschie-denen Wissensformen voraus, und dies lässt sichim Falle der Klimaproblematik auch gut beob-achten. Wissenschaft ist nicht mehr der wichtig-ste gesellschaftliche Ratgeber, und wissen-

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schaftliche Argumente sind nicht die einzigen,die in den Köpfen der Wissenschaftler wirken.Klimaforschung wird damit zu einem sozialenProzess, und in einem demokratischen Systemist es angezeigt , den Beratungsprozess und sei-ne Dynamik im Hinblick auf vorgefasste Meinun-gen und sozio-kulturell geprägtes Wissen zuanalysieren.

Bisher wurde die Klimaforschung weitgehenddisziplinär von physikalisch ausgebildeten Meteorologen und Ozeanographen betrieben.Es ist an der Zeit, die Forschung programma-tisch neu zu gestalten, d.h. in einem genuinentransdisziplinären Verbund, um Öffentlichkeitund Politik über die Problematik der Klima-änderung „holistisch” beraten zu können.

4.3 Resumée• Welche gesellschaftlichen Implikationengab es in der Vergangenheit durch Klima?

Es erscheint durchaus plausibel, und es ist sogarin einigen Fällen dokumentiert, dass die Klima-entwicklung – zumindest regional begrenzt undkurzfristig – einen Einfluss auf die menschlicheGesellschaft genommen hat. Ein dokumentier-tes Beispiel ist die Aufgabe der Besiedlung Grön-lands im späten Mittelalter. Die langfristige Ent-wicklung der sozialökonomischen und techni-schen Struktur der menschlichen Gesellschaft inder Neuzeit ist aber durch Klimaänderungenpraktisch nicht aufgehalten worden.

• Können wir den Klimawandel vermeiden?

Wenn man voraussetzt, dass die derzeit beob-achteten Temperaturänderungen tatsächlichAnzeichen für einen anthropogenen Klima-wandel sind, dann ist ein weiterer Klimawandelnicht zu vermeiden. Dies gilt zumindest dann,wenn man sich auf Vermeidungsmaßnahmenbeschränken will, die sozialverträglich sind undnicht regional oder global zu Verzerrungen derderzeitigen sozialökonomischen Struktur füh-ren. Für eine Begrenzung zukünftiger Klima-

änderungen auf ein noch tolerierbares Niveaugibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten.

• Ist der Klimawandel “schlimm”?

Klimawandel ist ein ernstzunehmendes Pro-blem, insbesondere in Ländern mit hoher Bedro-hung und geringem Anpassungspotential. Es istaber dringend erforderlich, das Phänomen Klimawandel auf regionaler Skala weiter zu kon-kretisieren, selbst auf die Gefahr hin, dass sichdaraus folgend Gewinner- und Verliererlager bilden. Der Dissens zwischen solchen Lagernkönnte allerdings eine weltweit einheitlicheStrategie verhindern oder zumindest verzögern.

• Können wir uns dem Klimawandel anpassen?

Grundsätzlich muss davon ausgegangen wer-den, dass die Bevölkerung anpassungsfähig,unter Umständen sogar verzichtbereit ist.Anpassung kann auch bedeuten, dass die Men-schen willens sind, ihre Lebensgewohnheiten zuverändern. Eine solche Anpassung ist aber amehesten über Generationen hinweg, also übereinen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten zuerreichen. Erfolgreich und wirksam ist dies abernur dann, wenn Klimawandel und Anpassungsich in vergleichbarem Tempo vollziehen.Soweit Verzicht erforderlich ist, muss er abersozial verträglich umgesetzt werden.

• Wird Klimawandel im Nord-/Südgefälle verschärft?

In den Entwicklungsländern sind extreme Ereig-nisse des Klimas schon heute mit größeren Fol-gen verbunden als in den Industrieländern, weilderen Gesellschaften schlechter geschützt sindund daher eine höhere Verletzlichkeit aufwei-sen. Auch ohne weiteren Klimawandel sind man-che Entwicklungsländer durch Wetterextremaschon jetzt regelmäßig und hochgradigbedroht. Jeder weitere Klimawandel wird dieseProbleme zusätzlich verschärfen.

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• Welchen Einfluss haben Unsicherheiten inden Emissionsszenarien?

Alle Klimaszenarien beinhalten hohe Unsicher-heiten hinsichtlich der zukünftigen Emissionvon klimawirksamen Substanzen, da die techno-logische, demographische und sozioökonomi-sche Entwicklung nur schwer vorhersagbar ist.Ergebnisse von Klimaszenarienrechnungen sinddeshalb keine Prognosen, sondern nur Band-breiten, in denen sich die Klimaentwicklung ver-

mutlich bewegen wird, sofern man die Extrem-szenarien ausklammert. Da alle derzeit disku-tierten Szenarien eine globale Temperatur-erhöhung prognostizieren, können die Un-sicherheiten in den Szenarien nicht als Argu-ment dienen, die Diskussion über den bevorste-henden Klimawandel zu beenden. Sie müsseneher Motivation für weiterführende Forschungsein, um die Gesellschaft auf bevorstehende Klimaänderungen besser vorzubereiten.

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