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Vorlesung Verfassungsrecht I „Grundrechte“ Materielle Grundrechte Universität Wien Sommersemester 2011 © ao. Univ.Prof. Dr. Hannes Tretter Institut für Staats- und Verwaltungsrecht Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte (BIM) gem. mit Ass.Prof. Dr. Barbara Weichselbaum und Ass.Jur. Jana Messerschmidt

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Vorlesung Verfassungsrecht I „Grundrechte“

Materielle Grundrechte

Universität WienSommersemester 2011

©ao. Univ.Prof. Dr. Hannes Tretter

Institut für Staats- und VerwaltungsrechtLudwig Boltzmann Institut für Menschenrechte (BIM)

gem. mit Ass.Prof. Dr. Barbara Weichselbaum undAss.Jur. Jana Messerschmidt

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Menschenwürde I

• Menschenwürde ist kein Rechtsgut , das mit anderen abwägbar wäre, sondern eine „unhintergehbare Prämisse rechtlichen Denkens und Argumentierens überhaupt“ (Bielefeldt, 2007)

• Prinzip der Achtung der Menschenwürde kann daher auch als ein kategorischer Imperativ formuliert werden

• Begründung der Menschenrechte (Freiheit und Gleichheit) aus dem Postulat der unantastbaren Menschenwürde

• Achtung der Menschenwürde ist ein Definitionsmerkmal des Rechtsstaats

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Menschenwürde II

• In der österreichischen Rechtsordnung nicht explizit garantiert, aber vorausgesetzt (§ 16 ABGB, Art 3 EMRK) und in Art 1 Abs 1 PersFrG erwähnt, hingegen:

• Art 1 Abs 1 GG: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schüt-zen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

• VfGH: Menschenwürde ist „allgemeiner Wertungsgrundsatz“ der Rechtsordnung, der bedeutet, „dass kein Mensch jemals als bloßes Mittel für welche Zwecke immer betrachtet und behandelt werden darf“ (VfSlg 13.635/1993)

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Kategorien der Grundrechte• Gleichheitsgebote, Diskriminierungsverbote• Existentielle Rechte• Persönliche Freiheitsrechte und Rechte auf

Freizügigkeit• Rechte des Privat- und Familienlebens• Geistige und religiöse Rechte• Politische Rechte• Kulturelle Rechte• Ökonomische Rechte• Soziale Rechte• Kinderrechte• Rechte ethnischer Minderheiten• Prozessuale Rechte

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GrundrechtsprüfungGrundsatz der Verhältnismäßigkeit

• Absolute und unter Gesetzes/Eingriffsvorbehalt stehende Grundrechte

• Materiell determinierte Eingriffsschranken(„Schrankenschranken“)

• Der Prüfungsmaßstab der „demokratischen Gesellschaft“

• Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit– Eingriff gesetzlich vorgesehen– Von materiellen Eingriffsschranken gedeckt– Geeignetes Mittel zur Zweckerreichung– Gelindestes Mittel zur Zweckerreichung– Verhältnismäßiges Mittel (Angemessenheit)

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Recht auf Leben I (Art 2 EMRK)� Fundamentalgarantie ���� Voraussetzung aller

anderen Konventionsrechte� Abs 1 1. Satz verpflichtet den Staat zu gesetzlichen

Schutzmaßnahmen � weiter Ermessensspielraum� Schutz des Art 2 EMRK bezieht sich nicht auf

ungeborenes Leben (VfSlg 7400/1974) �� In der Straßburger Rsp nicht abschließend geklärt

� Art 2 garantiert kein Recht, das eigene Leben zu beenden (ev. aus Art 8 EMRK ableitbar) �

� Daher auch kein Recht auf Sterbehilfe �

� Staat hat Leben zu schützen: EGMR Pretty gg UK (2002)� Staatliche Verpflichtung, Beihilfe zum Selbstmord oder

Tötung auf Verlangen zu verbieten? (EGMR lässt offen)

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Recht auf Leben II (Art 2 EMRK)

� Verbot nicht absolut garantiert ���� Gesetzes-vorbehalte in Abs 2

� Verbot absichtlicher Tötung , außer Todesstrafe

� Tötung zulässig , wenn sie durch unbedingt erfor-derliche Gewaltanwendung verursacht wird bei:� Verteidigung gegen rechtswidrige Gewalt � Tötung als

Folge der Gewaltanwendung für bestimmte Zwecke („finaler Rettungsschuss“) zulässig!

� rechtmäßiger Festnahme oder Hinderung an Flucht� Niederschlagung eines Aufruhrs oder Aufstands

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Recht auf Leben III (Art 2 EMRK)

� Differenzierung hinsichtlich Verantwortlichkeiten der Einsatzleitung und der Anti-Terroreinheit �� EGMR McCann ua gg England (1995)

� Lebensgefährdender Schusswaffengebrauchist unter Art 2 EMRK zu prüfen �� VfGH: WaffGG ist einzuhalten (VfSlg 15.046/1997)

� EGMR zum Schusswaffengebrauch bei Geiselnahme: � Andronicou und Constantinou gg Zypern (1997)

� Verletzung des Art 2 EMRK kann auch von Hinterbliebenen geltend gemacht werden �� VfSlg 16.109/2001 (Fall „Omofuma“)

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Recht auf Leben IV (Art 2 EMRK)

� Schutz- und Untersuchungspflichten:� Verpflichtung zum präventiven Schutz vor kriminellen

Handlungen (EGMR Osman gg UK, 1998)� Verletzung, wenn ein gefährlicher Rückfalltäter Freigang

erhält und dabei Morde begeht (EGMR Maiorano ua ggItalien, 2009)

� Schutz vor Naturkatastrophen (EGMR Budayeva ggRussland, 2008), auch Informationspflichten

� Staat verpflichtet, effektive Untersuchungen zur Aufklärung der Tötung von Menschen durchzuführen (EGMR McCann gg UK, zahlreiche Urteile gg Türkei ua)

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Verbot der Todesstrafe (6., 13. ZPEMRK)

� 6. ZP: Verbot der Todesstrafe nur für Friedenszeiten � von allen MS ratifiziert mit Ausnahme Russlands

� 13. ZP: vollständige Abschaffung der Todesstrafe, auch in Kriegszeiten� Von 16 MS nicht ratifiziert� EGMR nimmt trotzdem an, dass die Todesstrafe für alle

MS nunmehr ausnahmslos abgeschafft ist

� In Österreich durch Art 85 B-VG vollständig abgeschafft � kein Organ darf daran mitwirken, dass jemand der Todesstrafe unterworfen wird

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Verbot von Folter I (Art 3 EMRK)

� Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe absolut garantiert � Angriff auf die Menschenwürde = übergeordnetes Prinzip, nicht abwägbar

� Dreistufigkeit des Verbots (EGMR):• Folter: absichtliche Zufügung schwerster, grausamer

physischer oder psychischer Leiden• Unmenschliche Behandlung: Zufügung schwerer

physischer oder psychischer Leiden � EGMR im Nordirland-Fall, 1978 („five deep interrogationtechniques“, EKMR: Folter)

• Erniedrigende Behandlung: Demütigung, Missachtung der Persönlichkeit

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Verbot von Folter II (Art 3 EMRK)

VfGH zur unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung:� Liegt vor , wenn darin „eine die Menschenwürde

beeinträchtigende gröbliche Missachtung des Betroffenen als Person“ zum Ausdruck kommt� zB VfSlg 8145/1977 und 17.102/2002

� Differenziert nach Umständen � Prüfung der Verhältnismäßigkeit

� Anwendung des WaffGG � wenn Waffengebrauch notwendig und maßhaltend, dann keine Verletzung des Art 3� zB VfSlg 8082/1977 und 13.154/1992

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Verbot von Folter III (Art 3 EMRK)� Differenziert nach Umständen � Prüfung der

Verhältnismäßigkeit� Anwendungsbereiche ua:

� Gefahrenabwehr und Freiheitsentzug� Polizeiliche Anhaltung und Strafvollzug (inkl. medizinischer

Versorgung und Zwangsbehandlung)� Besondere Rechtsverhältnisse� Gerichtliche Strafen� Refoulement-Verbot

� Untersuchungspflicht des Staates� Beweislastumkehr zugunsten des Opfers

� EGMR Tomasi gg Frankreich (1992), Ribitsch ggÖsterreich (1995)

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Verbot von Folter IV (Art 3 EMRK)

• Fallbeispiele aus Österreich:– Fall Marcus Omofuma (Tod durch Fesselung und

Knebelung während eines Abschiebefluges)– Fall Cheibani Wague (Tod durch Fixierung am

Boden nach Festnahme)– Fall Bakary Jassey (Folterung nach einer

verhinderten Abschiebung mit dem Flugzeug)– Fall Naser Palushi (Unmenschliche Behandlung

durch Misshandlung und verspätete medizinische Versorgung in der Schubhaft)

• Verurteilung Österreichs durch den EGMR 2009

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Art 3 EMRK – Refoulement-Verbot I• Abschiebender Staat verantwortlich für Menschen-

rechtsverletzung im Aufnahmestaat? �• EGMR Soering gg UK (1989):

– „Ziel und Zweck der Konvention als ein Instrument zum Schutz des Individuums verlangen deshalb, dass ihre Vorschriften als Schutzgarantien praktisch wirksam und effektiv gestaltet, verstanden und angewendet werden.“

• Bei begründeten Anhaltspunkten für Foltergefahrsteht eine Auslieferung oder Abschiebung im Widerspruch zu Sinn und Zweck des Art 3 EMRK– (EGMR im Fall Soering)

• EGMR MSS gg Belgien und Griechenland (2011)– Zusammenbruch des Asylsystems in GR, Schengen-VO II

muss durch B konventionskonform ausgelegt werden

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Art 3 EMRK – Refoulement-Verbot II• Weitere EGMR-Rechtsprechungsbeispiele:• Wenn einem Flüchtling im Heimatstaat ernsthaft eine

Verletzung des Art 3 EMRK droht, darf eine Abschiebungnicht allein mit einer begangenen Straftat begründet werden (bzgl. Somalia: EGMR Ahmed gg Österreich, 1996)

• Verletzung des Art 3 EMRK bei Abschiebung eines AIDS-Kranken in seinen Heimatstaat, wenn dort keine entsprechende medizinische Versorgung erwarten kann (EGMR D gg UK, 1997, gegenteilig aber N gg UK, 2008)

• Fluchtalternativen im Herkunftsland sind nur zu berücksichtigen, wenn die Person in der Lage ist, in das betroffene Gebiet zu reisen, Zutritt zu diesem zu erhalten und sich dort niederzulassen (EGMR Salah Sheekh gg NL, 2007)

• Refoulement-Verbot gilt auch, wenn die Gefahr von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht (EGMR Salah Sheekh ggNL, 2007)

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Recht auf persönliche Freiheit I (Art 5 EMRK, BVG PersFr, Art 8 StGG)

• Art 5 Abs 1 EMRK erlaubt Freiheitsentzug nur in gesetzlich vorgeschrieben Fällen,– Nach einer Verurteilung durch ein Gericht– Festnahme zur Erzwingung einer gesetzlichen

Verpflichtung– Vorführung vor Gericht bei Verdacht einer strafbaren

Handlung oder zur Prävention– Überwachte Erziehung von Minderjährigen– Bei ansteckenden Krankheiten, Geisteskrankheiten,

Alkoholismus, Rauschgiftsucht, Landstreicherei– Verhinderung rechtswidrigen Einreise und bei

Auslieferungs- und Ausweisungsverfahren

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Recht auf persönliche Freiheit II (Art 5 EMRK, BVG PersFr, Art 8 StGG)

�Schutz vor rechtswidriger Verhaftung, Anhaltung und Freiheitsstrafe� „klassischer Freiheitsentzug“; aber auch zwangsweise

durchgesetztes Verbot, bestimmte Orte nicht verlassen zu dürfen (Form, Intentionalität ?)

�zB Internierung (EGMR Guzzardi gg Italien, 1980), Disziplinarhaft (EGMR Engel gg NL), Eskortierung durch Polizei, Anhaltung („Sondertransit“) am Flughafen

�Abgrenzung zum Recht auf Freizügigkeit (Art 4 StGG, Art 2 4. ZPEMRK)�zB Platzverweise, Versammlungsauflösung

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Recht auf persönliche Freiheit III (Art 5 EMRK, BVG PersFr, Art 8 StGG)

� Informationsrecht (Abs 2)– Mitteilung der Gründe für die Festnahme und der

Beschuldigungen– Innerhalb möglichst kurzer Frist in verständlicher Sprache

�Richterliche Vorführung und Haftdauer (Abs 3)– unverzügliche Vorführung vor den Richter (24 bis 48h) – Durchführung eines zügigen Verfahrens

�Recht auf richterliche Haftprüfung (Abs 4)– „Habeas Corpus-Doktrin“– bei Inhaftierung durch Verwaltungsbehörden und U-Haft

�Anspruch auf Entschädigung für konventions-widrige Haft (Abs 5)

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Recht auf persönliche Freiheit IV (Art 5 EMRK, BVG PersFr, Art 8 StGG)

• BVG PersFr 1988 erlassen, um Rechtsbestand mit Art 5 EMRK in Einklang zu bringen

• Grund: Rücknahme des Vorbehalts zu Art 5 �nach wie vor nicht geschehen wegen verwaltungsrechtlichen Freiheitsstrafen und fraglicher Tribunalqualität des VfGH & VwGH

• EMRK unberührt � Günstigkeitsprinzip

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Recht auf persönliche Freiheit V (Art 5 EMRK, BVG PersFr, Art 8 StGG)

• BVG PersFr:– Bindung des Gesetzgebers durch besonderen

Gesetzesvorbehalt � Gesetz muss Weise des Freiheitsentzugs vorschreiben, dieser

– muss verhältnismäßig und ultimo ratio sein– Zulässig ist der Freiheitsentzug in taxativ

aufgezählten Fällen (Art 2), ua• Freiheitsstrafe (gerichtliche und verwaltungs-

behördliche)• Untersuchungshaft• Verdacht einer Verwaltungsübertretung

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Recht auf persönliche Freiheit VI (Art 5 EMRK, BVG PersFr, Art 8 StGG)

• Beschränkung,– wenn im Zuge einer Amtshandlung Ortsverände-

rungen intentional unter Anwendung von Zwang überhaupt oder auf bestimmte, nach allen Seiten hin begrenzte Örtlichkeiten oder Gebiete, die nicht verlassen werden dürfen, unterbunden werden (zBVfSlg 11.930/88);

– wenn ein Fahrzeug von der Polizei auf eine bestim-mte Fahrtroute eskortiert wird (VfSlg 13.063/92);

– kurzfristige Beschränkung bei Amtshandlungen, die auf Fortbeförderung zielen, fallen nicht darunter

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Recht auf persönliche Freiheit VII (Art 5 EMRK, BVG PersFr, Art 8 StGG)

• Keine Beschränkung,– wenn jemand freiwillig der folgt (VfSlg 11.816/88), nicht

aber wenn dabei Zwang angedroht wird– wenn Maßnahme nicht primär auf Freiheitsentzug, sondern

auf anderes Ziel gerichtet ist, zB Verneh-mung als Zeuge oder bei Personendurchsuchung � „Beschränkung sekundäre Folge der Anwesenheitspflicht“ (zB VfSlg10.378/85)

– durch Verbot des Verlassens des Transitraums, wenn Möglichkeit der Ein- oder Weiterreise besteht (EGMR Amuur gg Frankreich, 1996; auch VfGH)

• Verhältnis zum Recht auf Freizügigkeit– Führerscheinentzug, Fahrverbote keine Verletzung (VfGH)

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Privat&Familienleben I (Art 8 EMRK)

� Liberales „Auffanggrundrecht“ ���� Schutz der unmittelbaren Persönlichkeitssphäre:– Recht auf physische und psychische Integrität– Individuelle Selbstbestimmung, inkl. sexueller

(strafrechtlicher Schutz!)– Recht auf Namen und Kenntnis eigener Abstammung– Informationelle Selbstbestimmung � Datenschutz

� Schutz von Privatheit und Persönlichkeit:– Privatsphäre in Öffentlichkeit – Sphärentheorie, Fall

Caroline von Hannover gg Deutschland– Schutz der Ehre und des Bildes � Fälle Lingens und

Oberschlick gg Österreich

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Privat&Familienleben II (Art 8 EMRK)

�Familienleben:– Recht auf Familieneinheit und Zusammenleben

(Kernfamilie, aber auch de-facto-Familie)– kein allgemeines Freizügigkeits/Aufenthaltsrecht oder

Recht auf Familienzusammenführung � Prüfung im Einzelfall , ob rechtlich/faktisch Führung eines Familien-lebens möglich ist � so kann Entzug oder Nichtzuer-kennung einer Aufenthaltsberechtigung Eingriff sein �aber staatliches Interesse an geregelter Zuwanderung legitim

– Recht auf Kenntnis der Eltern und Kontakt zu ihnen– Obsorgerecht (Recht auf Parteistellung)

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Privat&Familienleben III (Art 8 EMRK)

�Schutz vor Vertreibung und Zerstörung von Dörfern– EGMR Moldovan gg Rumänien, türkische Fälle

�Minderheitenkultur– EGMR Buckley gg England (Gipsy-Kultur)– EKMR Inuit-Fälle

�Ansätze: Recht auf Umweltschutz– EGMR Guerra gg Italien, López Ostra gg Spanien

(gewerbliche Betriebsanlagen)– EGMR Hatton gg UK (Flughafen Heatrow)

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Privat&Familienleben IV (Art 8 EMRK)

�VfGH: Bescheid verletzt Art 8 wenn�ohne Rechtsgrundlage erlassen,�auf Art 8 widersprechendem Gesetz beruht,�Gesetz denkunmöglich angewendet wurde (zB VfSlg

15.051/97) ��Gebot grundrechtskonformer Gesetzesanwendung, d.h.

insbesondere Interessenabwägung (Fremdenrecht!, zBVfSlg 16.149/01)

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Brief- und Fernmeldegeheimnis (Art 10 und 10a StGG, Art 8 EMRK)

• Beschlagnahme von Briefen im Zuge einer gesetz-mäßigen Hausdurchsuchung oder Verhaftung gemäßArt 10 StGG unter Richtervorbehalt (§ 135 StPO, VfSlg 13.715/94)

• Öffnen eines Briefes muss Art 8 EMRK beachten

• Fernmeldegeheimnis (Art 10a StGG: „optische und akustische Überwachung“) erlaubt Eingriffe nur aufgrund richterlichen Befehls (§ 136 StPO) � nur Inhalts- oder auch Rufdaten geschützt?

• Art 8 EMRK schützt jedweden Eingriff in die Privatsphäre

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Recht auf Datenschutz (Art 8 EMRK, § 1 DSG)

• Umfasst Recht auf– Geheimhaltung– Auskunftserteilung– Richtigstellung und Löschung– Information über Datenverwendung

personenbezogener Daten (auch Wirtschaftsdaten � schützt juristische Personen)

• Dritt(Horizontal)wirkung!• Interessenabwägung erforderlich, besonders

schutzwürdig „sensible Daten“– Speicherung von DNA-Daten nach Freispruch = Verletzung

• Aktuell: Vorratsdatenspeicherung

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Schutz des Hausrechtes I (Art 8 EMRK, Art 9 StGG iVm HRG 1862)• Schutz nur vor Hausdurchsuchungen

– „Suchen nach Personen oder Gegenständen, von denen unbekannt ist, wo sie sich befinden (VfSlg 14.864/97)

• Liegt nicht vor bei Zustimmung (auch konkludenter)• „Bloßes Betreten“ fällt nicht darunter• „Wohnungen oder sonstige zum Hauswesen gehörige

Räume“ im weiteren Sinn– Auch beruflich genutzte Räume und Wohnwägen, nicht

aber öffentliche Gebäude

• Richterlicher Befehl erforderlich (24h), nicht aber:– bei Gefahr aus Verzug oder aus eigener Macht unter den in

§ 2 HRG genannten Voraussetzungen

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Schutz des Hausrechtes II (Art 8 EMRK, Art 9 StGG iVm HRG 1862)• Gesetzesvorbehalt:

– für Zwecke der polizeilichen (SPG) und finanziellen (FinStrG) Aufsicht,

– ergänzt um materiellen Vorbehalt des Art 8 Abs 2 EMRK– VfGH: keine Ausnahme vom Richtervorbehalt!

• Rechtsschutz– Bescheinigung bzw Bestätigung– Hausdurchsuchungen aufgrund richterlichen Befehls = Akte

der Gerichtsbarkeit � ordentliche Gerichte zuständig– Soweit nicht vom richterlichen Befehl gedeckt („Exzess“) �

zuständig unmittelbare behördliche Befehls- und Zwangsgewalt � UVS und GH öffentlichen Rechts

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Meinungsfreiheit (Art 10 EMRK)• Art 10 EMRK schützt das Recht , eine Meinung zu

bilden und zu haben, sowie jede zwischen-menschliche Kommunikation bzw. Manifestation, einschließlich der Weitergabe und des Empfangs von Informationen (aktive & passive Informationsfreiheit), wie etwa politische und kommerzielle Werbung.

• Jede Kommunikationsform wird erfasst (Sprache, Laute, Bild, Symbole, faktisches Verhalten, etc), jedoch nicht die „bloße soziale Interaktion“.

• Auch unwahre Tatsachenmitteilungen sind vom Schutzbereich umfasst.

• Werturteile sind frei � Grenze ?

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Formen der Meinungsfreiheit I

Meinungs- und Informationsfreiheit• Meinungsbildungsfreiheit � Staat hat

indoktrinierungsfreien Rahmen dafür zu schaffen• Aktive Informationsfreiheit � ident mit

Meinungsäußerungsfreiheit• Passive Informationsfreiheit � Recht auf

ungehinderten Zugang zu (allgemein zugänglichen) Informationen

• Kein Anspruch darauf, informiert zu werden, dies kann sich aber aus anderen Rechten ergeben (zBGewährleistungspflicht nach Art 8 EMRK)

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Formen der Meinungsfreiheit II

Medienfreiheit (auch „Pressefreiheit“)• Hinsichtlich Printmedien � periodisch erscheinende

Druckwerke (also nicht Bücher, Plakate, Flugblätter etc)

• Rundfunkfreiheit � Radio, Fernsehen, inkl. Diensteanbietern

• Geschützt sind Herausgeber, Verleger wie Journalisten, auch in ihrem Innenverhältnis

• Geschützte Tätigkeiten � organisatorische Rahmenbedingungen und inhaltliche Arbeit

• Vorzensurverbot � Art 13 StGG iVm Beschluss ProvNV 1918, konzessionsfrei

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Formen der Meinungsfreiheit III

Wissenschaftsfreiheit (Art 17 StGG)• schützt Forschung und Lehre unter Einschluss einer

institutionellen GarantieKunstfreiheit (Art 17a StGG)• vorbehaltlos garantiert, dennoch nicht grenzenlos• kein „Privileg“, aber wichtige Funktion in einer

demokratischen Gesellschaft (ähnlich den Medien), sie „begünstigt“ daher funktional diejenigen, die sie in Anspruch nehmen

• sie ist somit ein Markierungspunkt in der Entwicklung „materieller Gleichheit“.

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Bedeutung der Meinungsfreiheit

• Meinungsfreiheit gehört zu den Grundfesten einer demokratischen Gesellschaft ,

• die nicht nur für Informationen gilt, die Zustimmung finden, sondern auch für solche, die verletzend, beleidigend, schockierend oder beunruhigendwirken.

• Dies gebieten Pluralismus, Toleranz und Aufgeschlossenheit in einer Demokratie , für die eine lebendige, offene Diskussion essentiell ist.

• Daher obliegt es den Medien , die Öffentlichkeit zu informieren und die Funktion eines „public watchdog“ auszuüben

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Mögliche Interessenskollisionen• Die Meinungsfreiheit gerät oftmals mit

– Rechten und Freiheiten anderer (zB Recht auf Achtung des Privatlebens iSd Art 8 EMRK) sowie mit

– öffentlichen Interessen iSd Art 10 Abs 2 EMRK in Konflikt.

• Bei einer Interessenkollision ist über die jeweiligen grundrechtlichen Ausnahmetatbestände anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ob der Eingriff – „in einer demokratischen Gesellschaft“ (die von Pluralismus,

Toleranz und Offenheit geprägt ist),– einem „dringenden sozialen Bedürfnis“ entspringt,– eine „faire Balance“ schafft.

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Meinungsfreiheit im politischen Diskurs• Ausrichtung der EMRK an „demokratischer

Gesellschaft“ , für die die öffentliche Debatte essentiell ist (Kriterium u.a.: Publikum)

• Weite Grenzziehung für politische Meinungsäußerungen, die regelmäßig von Allgemeininteresse sind.

• Besonders weit reichende Kritik darf anRegierungsmaßnahmen geübt werden, aber auch gegenüber Politikern , soweit es um ihre politische Funktion geht.

• Politiker müssen als „public figures“ mehr Kritik hinnehmen als Privatpersonen.

• Gerichte genießen einen erhöhten Schutz

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Meinungsfreiheit und Hasssprache I

Gefährdungen durch Hasssprache : • Aufruf zur Begehung von Gewalttaten gegen (oftmals

benachteiligte) Gruppen,• Missachtung vorherrschender moralischer Grundsätze oder

sozialer Überzeugungen,• Missachtung, Verhöhnung oder Geringschätzung kultureller

oder ethnischer Eigenschaften von Menschen oder ihrer/s religiösen Werte/Glaubens

• Verunglimpfung und Herabwürdigung benachteiligter Gruppen aufgrund bestimmter (vermeintlicher) kollektiver Merkmale.

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Meinungsfreiheit und Hasssprache II• EU Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von

Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vom 28. November 2008 und CoE Rec 1997/20 on Hate Speech:

• „Hasssprache“ umfasst Ausdrucksformen,– die Rassenhass, Fremdenfeindlichkeit oder Antisemitismus verbreiten,

fördern, rechtfertigen oder dazu anstiften– oder andere auf Hass gegründete Formen von Intoleranz (inkl.

aggressiver Xenophobie)

• Gesetzgebung und Vollziehung nötig• Beschränkungen der Meinungsfreiheit

– eng umschrieben und auf objektiven Kriterien

• Strafrechtliche Sanktionen und zivilrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen

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Ö: Terrorismuspräventionsgesetz

• Strafbarkeit (bis 2 Jahre) von:– Anleitung zur Begehung einer terroristischen Straftat– Aufforderung zu terroristischen Straftaten und

Gutheißung terroristischer Straftaten– Neufassung des Verhetzungstatbestands

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Missbrauchsverbot des Art 17 EMRK I

• Art 17 EMRK:– EMRK nicht so auszulegen, „als begründe sie für einen

Staat, eine Gruppe oder eine Person das Recht, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen, die darauf abzielt, die in der Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten abzuschaffen oder sie stärker einzuschränken, als es in der Konvention vorgesehen ist“.

• � Grundlegende Werte (nicht nur Rechte) der EMRK dürfen unter Berufung auf die Meinungsfreiheit nicht angegriffen werden

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Missbrauchsverbot des Art 17 EMRK II

• Verbale Attacken auf Muslime– durch eine rechtsradikale Partei nach 9/11 („Islam out of

Britain – Protect the British People“) � kein Schutz durch Art 10 EMRK (Norwood v. UK, 2003)

• Forderung nach Einführung der Sharia– durch Führer einer islamischen Sekte im Zuge eines TV-

Interviews keine Hasssprache, weil nicht zu Gewalt aufgerufen wurde (Gündüz v. Turkey, 2003)

• Leugnung des Holocaust– bedeutet den Vorwurf an die Opfer, historische Tatsachen

zu verfälschen � mit Demokratie unvereinbar, weil damit Menschenrechte anderer verletzt werden � Holocaust-Leugnung fällt daher unter das Verbot des Art 17 EMRK und ist durch Art 10 EMRK nicht gedeckt (EKMR-Entscheidungen 80er-Jahre)

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Vereins- und Versammlungsfreiheit (Art 12 StGG, Art 11 MRK)

• VfGH wendet primär Art 12 StGG an, Art 11 MRK nur dann, wenn Schutzbereich weitreichender

• Verhältnis der Gesetzesvorbehalte: – Ausgestaltungsvorbehalt des Art 12 StGG (d.h. jede

Verletzung des jeweiligen Ausführungsgesetzes ist im Prinzip eine Grundrechtsverletzung)

– materieller Gesetzesvorbehalt des Art 11 MRK

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Vereins/Vereinigungsfreiheit• Vereins/Vereinigungsfreiheit

– Definition des Vereins im VereinsG 2002 �Beschränkung auf sog. ideelle Vereine

– Vereinigung im Sinne des Art 11 MRK weiter, da auch auf Gewinne gerichtete Vereine geschützt

• Geschützt wird– Freiheit der Vereinsbildung/Vereinigung– Freiheit der Vereinstätigkeit– Recht auf den Bestand des Vereins/der Vereinigung– durch Art 11 MRK zusätzlich die negative Vereinsfreiheit

gewährleistet– Koalitionsfreiheit � Schutz der Gründung und Tätigkeit

von Gewerkschaften, umfasst auch das Recht auf den Abschluss von Kollektivverträgen

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Versammlungsfreiheit• Versammlungsfreiheit

– Definition VfGH gemäß Art 12 StGG: Versammlung isteine Zusammenkunft mehrerer Menschen, wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken zu bringen, so dass eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht � ein bloß zufälliges Zusammentreffen von Menschen reicht nicht aus!

– Durch Art 11 MRK wird jede organisierte einmalige Versammlung mehrerer Menschen zu einem gemeinsamen Ziel an einem bestimmten Ort geschützt

– Schutz vor rechtswidriger Auflösung einer Versammlung– Anzeigepflicht für Versammlungen nach dem

VersammlungsG, aber Untersagungsmöglichkeit– Spontanversammlungen möglich– Pflicht der Behörden zum Schutz nicht untersagter

Versammlungen

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Eigentumsfreiheit I• Art. 1 1. ZPEMRK, Art. 5 StGG• Rechtsträger natürliche und jur. Personen• Eigentum � alle vermögenswerten Rechte

• Öffentlich-rechtliche Ansprüche , jedenfalls sofern Leistungsaustausch besteht– EGMR Gaygusuz (A) und Poirrez (F) (Notstandshilfe)– VfGH (öffentlich-rechtliche Gehaltsansprüche)

• Schutz der Privatautonomie � Recht zum Abschluss privatrechtlicher Verträge– jede gesetzliche Maßnahme, die Erwerb oder Nutzung des

Eigentums regelt, greift in Eigentumsfreiheit ein (EGMR: kein Recht auf Erwerb von Eigentum ?)

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Eigentumsfreiheit II

• Enteignung liegt vor, wenn– Sache durch Verwaltungsakt oder Gesetz („Legal-

Enteignung“) zwangsweise entzogen und auf eine andere Person übertragen wird, und

– wenn im öffentlichen Interesse gelegen

• Nach VfGH Enteignung nur zulässig:– wenn ein konkreter Bedarf vorliegt, dessen

Deckung im öffentlichen Interesse ist,– das Objekt zur Deckung des Bedarfs geeignet ist,– es unmöglich ist, den Bedarf anders als durch

Enteignung zu decken

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Eigentumsfreiheit III

• Eigentumseingriffe � Beschränkung der Nutzung des Eigentums– vielfältig durch zivil- und öffentlich-rechtliche

Regelungen,– muss im Allgemeininteresse erfolgen oder– für Sicherung von Steuern, Abgaben und Geldstrafen

erforderlich sein

• Entschädigungspflicht – bei Enteignung und wesentlichen

Eigentumsbeschränkungen,– abgeleitet aus Art 1 1. ZPEMR

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Erwerbsfreiheit (Art 6 StGG) I• geschützt wird jede Tätigkeit, die auf einen

wirtschaftlichen Erfolg gerichtet ist

• umfasst den Antritt und die Ausübung der Erwerbsbetätigung

• Beschränkungen des Erwerbsantritts:– objektive (zB Bedarfsprüfung) = grundsätzlich schwerer

Eingriff in das Grundrecht der Erwerbsfreiheit– subjektive (zB Befähigungsnachweis) = größerer

Spielraum für den Gesetzgeber

• unmittelbare Betroffenheit ist für Geltendmachung der Erwerbsfreiheit erforderlich � nur faktische Nebenwirkung ist nicht ausreichend!

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Erwerbsfreiheit (Art 6 StGG) II

• formeller Gesetzesvorbehalt , dennoch Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderlich– d.h. Beschränkungen der Erwerbsausübungsfreiheit sind

nur dann zulässig, wenn sie durch ein öffentliches Interesse geboten, zur Zielerreichung geeignet, adäquat und auch sonst sachlich gerechtfertigt sind

• Untersagung der Erwerbsausübung im Rahmen der Vollziehung rechtswidrig, wenn– Behörde gesetzlos handelt,– Gesetzesanwendung denkunmöglich oder– angewendete Rechtsvorschrift verfassungs- oder

gesetzeswidrig ist

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Wahlrecht (Art 23a, 26, 60, 95 und 117 Abs 2 B-VG, Art 3 1. ZPMRK)

• Aktives und passives Wahlrecht– subjektives Recht aller Staatsangehöriger in allgemeine

demokratische Vertretungskörper �– frei, gleich, unmittelbar, geheim und persönlich (Problem

Briefwahl)

• Ausländische Unionsangehörige � Wahlen zum Europäischen Parlament und Kommunalwahlen

• Verletzung des aktives Wahlrechts:– zB durch rechtswidrige Streichung oder Verweigerung

der Eintragung in das Wählerverzeichnis

• Verletzung des passiven Wahlrechts:– zB rechtswidrige Erklärung des Mandatsverlustes durch

eine Verwaltungsbehörde per Bescheid

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Erwerbsfreiheit (Art 6 StGG) II

• formeller Gesetzesvorbehalt , dennoch Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderlich– d.h. Beschränkungen der Erwerbsausübungsfreiheit sind

nur dann zulässig, wenn sie durch ein öffentliches Interesse geboten, zur Zielerreichung geeignet, adäquat und auch sonst sachlich gerechtfertigt sind

• Untersagung der Erwerbsausübung im Rahmen der Vollziehung rechtswidrig, wenn– Behörde gesetzlos handelt,– Gesetzesanwendung denkunmöglich oder– angewendete Rechtsvorschrift verfassungs- oder

gesetzeswidrig ist