W. Giese Heinrich I, Begründer der ottonischen Herrschaft

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    W. Giese: Heinrich I. 2008-2-108

    Giese, Wolfgang: Heinrich I. Begrnder der otto-nischen Herrschaft. Darmstadt: Primus Verlag2008. ISBN: 978-3-89678-596-1; 247 S.

    Rezensiert von:Claudia Moddelmog, Insti-tut fr Geschichtswissenschaften, Humboldt-

    Universitt zu Berlin

    Heinrich I. ist einer der populrsten mittelal-terlichen Knige. Trotzdem ist es eine Heraus-forderung, ihm eine moderne Biographie zuwidmen: Wir wissen ja fast nichts. Und mehrnoch, die sprlichen Nachrichten ber denersten schsischen Knig entstammen haupt-schlich einer berlieferung, auf der in be-sonderer Weise ein Verdacht liegen muss

    jener Generalverdacht, den Johannes Friedin seiner Memorik vor wenigen Jahren alsmethodisches Postulat im Umgang mit allenQuellen formuliert hat, die von den konstruie-renden Aktivitten menschlicher Erinnerungverformt sind.1 Widukind von Corvey, Hrots-vit von Gandersheim und die spteren Ge-schichtsschreiber wie erinnerten sie einenKnig, der schon Jahrzehnte zuvor gestorbenwar? Vielleicht ist deshalb kein Zufall, dasses ein lterer Forscher ist, der neben Kenner-schaft auch ein Stck Gelassenheit mitbringt,

    um die Herausforderung zu wagen. WolfgangGiese tut es sehenden Auges.

    Er hebt an mit einer kleinen Quellenkun-de, in der neben den einschlgigen mittel-alterlichen Autoren die jngere Forschungwie im Ritterturnier auf den Plan tritt: Dasteht mit Polterton und Sticheleien Carl-richard Brhl gegen Widukind auf und fin-det in Johannes Fried einen noch radika-leren Bundesgenossen gegen den Corvey-er Mnch (S. 12). Vor dem verdstertenHorizont kommt Gerd Althoff zu Hilfe, ge-

    folgt von Hagen Keller (S. 13). Doch ber-zeugen die von Giese gegen Fried aufgeru-fenen Helfer nicht. Um eine Einzelfallpr-fung der Quellenpassagen wird nicht herum-zukommen sein. Allerdings scheint es in derderzeit aufgeheizten Debatte kein geringesVerdienst, dass Wolfgang Giese und dies giltfr das ganze Buch es bei stumpfen Waffenbelsst: kein Gegner braucht das Schlimmstezu frchten, jedem wird Gehr verschafft undauf den sich wandelnden Schaupltzen darfund muss er sich aufs Neue beweisen.

    Dem berblick ber die Quellenproble-matik lsst Giese einen Abriss der deutsch-sprachigen Forschung folgen und errtert, ineinem Buch ber Heinrich I. wohl unver-

    meidlich, die Frage nach dem Beginn desdeutschen Reiches. Dieser Einfhrung fol-gen in gemischt chronologisch-systematischerFolge die Hauptkapitel, wobei Giese sichan klassisch gewordenen Problemkernen ori-entiert. Stichworte mssen gengen: De-signation und Knigserhebung Heinrichs,Arrangement mit den sddeutschen Herz-gen, schrittweiser Erwerb Lotharingiens, Un-garneinflle, Burgenbau und Slawenfeldz-ge, innere Strukturen des Reiches (Worm-ser Hoftag, Hausordnung, Francia-Saxonia-

    Struktur) und Kontakte nach auen.Viel berraschendes in der Gesamtbeur-teilung Heinrichs I. werden Spezialisten beiGiese nicht finden, auch wenn der Mnch-ner Historiker durchaus eigene Akzente setzt,etwa militrgeschichtliche Forschungen rechtbreit behandelt oder die Frage aufwirft, wieviel Planmigkeit, wie viel auf das ganzeReich bezogenes Konzept man dem schsi-schen Knig unterstellen darf. Ein Grund-problem der biographischen Darstellung, dieKonturierung des Individuums Heinrich vor

    dem Hintergrund seiner Zeit, lst Giese ganzbeilufig: Die Zuschreibung eines Entwick-lungsprozesses allein auf seine Person [...]fungiert letztlich nur als Formulierungsbe-helf. (S. 185)

    Nach der Lektre bleibt zu konstatieren,dass Wolfgang Giese ein Kunststck gelungenist. Er hat eine politische Biographie HeinrichsI. und ein Handbuch geschrieben, eine gutlesbare, geschichtengesttigte Erzhlung undein Lehrbuch fr die analytisch-methodischeArbeitsweise des Historikers. Parallelber-

    lieferung, bersetzungsprobleme, Plausibili-ttserwgungen und anderes mehr errtert er(von dem oben zur Sprache gebrachten Ein-wand abgesehen) ebenso gekonnt und un-terhaltsam wie die Thesenbildung modernerHistoriker. Er macht die Leer- oder Schwach-stellen der Amicitia-Forschungen Gerd Alt-hoffs dem er zustimmt (S. 151) ebensokenntlich wie die der Schmidschen Designa-tionsthese die er ablehnt (S. 178). In gleicher

    1 Fried, Johannes, Der Schleier der Erinnerung. Grund-

    zge einer historischen Memorik, Mnchen 2004.

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    Weise erkennbar bleibt Gieses Position, wo sieauf eigener Forschung beruht etwa seineThese, Heinrich habe nach einem Aushand-lungsprozess mit Eberhard von Franken auf

    die Knigssalbung verzichten mssen (S. 65)oder diejenige, Heinrichs Slawenfeldzge sei-en zum Gutteil der Notwendigkeit geschuldetgewesen, den schsischen Adel bei Launezu halten (S. 173).

    Die ltere Darstellung Heinrich I. und Ot-to der Groe von Gerd Althoff und Ha-gen Keller ist mit Gieses Buch gewisserma-en eingeholt.2 Wer sich strker auch fr kul-turgeschichtliche Fragen und Anstze inter-essiert, wird wohl weiter Der Weg in dieGeschichte von Johannes Fried bevorzugen.3

    Beiden Werken voraus hat die vorgelegte Bio-graphie ihre vorzglich erschlieende Funk-tion fr die praktische Arbeit, was auch demVerlag zu danken ist. Zustzlich zur Darstel-lung selbst erlauben die zahlreichen Anmer-kungen eine schnelle Zuordnung von Quel-lenbelegen und Forschungsergebnissen. Gie-se bietet einem breiten Publikum anregendeLektre: den interessierten Laien, den Studie-renden, die sich einarbeiten wollen, aber auchden Experten, die Einzelfragen vielleicht neuberdenken werden.

    Zuletzt ist Gieses Heinrich I. ein gegen-wartsbezogener Held, der Popularitt ver-dient. Der Mann der Stunde war er, weil er inder verfahrenen politischen Situation, mit derer als Knig konfrontiert wurde, Neues den-ken, tun oder zulassen konnte. Das ist, wasWolfgang Giese, gewiss mit dem Blick auf un-sere Zeit, als grte Leistung seines Protago-nisten wrdigt.

    HistLit 2008-2-108 / Claudia Moddelmogber Giese, Wolfgang:Heinrich I. Begrnder derottonischen Herrschaft. Darmstadt 2008, in: H-Soz-u-Kult 14.05.2008.

    2 Althoff, Gerd; Keller, Hagen, Heinrich I. und Otto derGrosse. Neubeginn auf karolingischem Erbe. 2., verb.Aufl., Gttingen 1994.

    3 Fried, Johannes, Der Weg in die Geschichte. Die Ur-sprnge Deutschlands bis 1024, Berlin 1994.

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