WALTER BRUNNER Das Christentum kam mit Gottesurteilen …...Buch Samuel 10, 17ff). Gottesurteile gab...

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Blätter für Heimatkunde 80 (2006) WALTER BRUNNER „... damit alle dem Urteil Gottes ohne Zweifel glauben!" Gottesurteile als magisches Mittel der Wahrheitsfindung im Südostalpenraum Geschichte und Gottesurteile als Mittel der Wahrheitsfindung sind auch bei uns bis ins 13. Jahr- Formen des hundert nachweisbar. Die Bezeichnung „Gottesurteil" oder „Ordal" ist die deut- Gottesurteils sehe Übersetzung der im Mittellateinischen gebräuchlichen Begriffe iudicium dei oder iudicium divinum. Aus dem Althochdeutschen stammt das Wort ordel - or- deal, was das „Urteil" oder auch den „Ur-Sprung" bezeichnet. Dem Gottesurteil liegt die Vorstellung zugrunde, ein höheres Wesen greife im Zusammenhang eines Rechtsfindungsprozesses ein, um den Sieg der Gerechtigkeit zu garantieren. Das Ordal ist somit ein Mittel sakraler Rechtsfindung, beruhend auf der Vorstellung, dass Gott als Hüter des Rechts in Fällen der Unergründlichkeit einer Rechtslage durch Zeichen Hinweise auf Schuld oder Unschuld gibt. : Die Geschichte der Gottesurteile reicht weit in die Anfänge menschlicher Zivilisation zurück.' Erste schriftlich überlieferte Beschreibungen von Gottesur- teilen bzw. Ordalen sind aus Mesopotamien für die Zeit um 2100 v. Chr. vom sumerischen König Urnammu von Ur bekannt; es war ein Flussordal, also eine Art Wasserprobe. Im Gesetzbuch von Hammurabi aus dem 18. Jahrhundert v. Chr. sind ebenfalls Gottesurteile mit Hilfe des Wassers angeführt. Auch das Alte Testament kannte die Anwendung von Gottesurteilen (Lev. 5, 21ff. oder 1. Buch Samuel 10, 17ff). Gottesurteile gab es im alten China, in Japan, Indien und Ägypten, aber auch bei den Kelten und Slawen, mitunter auch bei den Griechen und Römern. Auch in Volkserzählungen Tibets finden sich Gottesurteile als Mit- tel der Wahrheitsfindung. 4 Im frühen Mittelalter waren Gottesurteile bei den noch nicht christianisierten Germanen, den Dänen, Burgundern, Franken, Angelsachsen und Wikingern ge- bräuchlich, blieben aber auch nach deren Christianisierung bei Rechtsfindungs- prozessen, bei denen ein Geständnis oder Zeugen fehlten, üblich/ Eid und Zwei- kampfgehörten bei den Germanen als Gottesurteile zum alten sakralen Weltbild. WOLFGANG SCHILD, Alte Gerichtsbarkeit. Vom Gottesurteil bis zum Beginn der modernen Rechtssprechung. München 1980. 2 H.-J. BECKER, Gottesurteil. In: Lexikon des Mittelalters, 4. Band (1989), 1594f. ' Allgemein vgl. dazu GEORG W OESTERDICKHOFF, Das archaische Prozess- und Beweisrecht und die „immanente Gerechtigkeit". Erklärung von Struktur, Entwicklung und Untergang ordalförmiger Konfliktregelungen. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abt., Bd. 119, 2002, 175-192. 4 Vgl. dazu: The Ordeals of a Prince and a Princess. In: NORBU CHOPHEL (Hg.). Folk Tales of Tibet (Library of Tibetan Works and Archives), Dharamsala 1972, 122-133. s VERONIKA SCHÖNEGGER, Die Rechtsinstitution der Gottesurteile im frühen Mittelalter. Diplomarbeit Universität Innsbruck 2000. „... damit alle dem Urteil Gottes ohne Ziveifel glauben! 69 Das Christentum kam mit Gottesurteilen in besonderer Weise in Berührung, als die germanischen Nachfolgestaaten auf römischem Reichsboden erstarkten. Der allgemeinen Lehre der Kirche war das Gottesurteil fremd, weil es kein Recht des Menschen gebe, von Gott prozessual Wunder zu verlangen nach dem biblischen Grundsatz: „Du sollst den Herrn deinen Gott nicht versuchen!" Trotzdem griff" der germanische Klerus ordnend bei den Gottesurteilen ein und gestaltete Rituale aus, entwickelte etwa mit der Kreuzprobe neue Formen, bekämpfte jedoch grund- sätzlich den Zweikampf. Es wird angenommen, dass Gottesurteile bereits zur Zeit der christianisierten Merowinger als letztes Mittel der Wahrheitsfindung bzw. des Unschuldsbeweises in die Rechtssprechung Eingang gefunden haben. Karl der Große ordnete in durchaus christlichem Sinn in einem Kapitulare an, dass jedermann dem Gottes- urteil ohne Zweifel Glauben schenken müsse: ut omnes iuditium Dei credant absque dubitatione.' Der Beschluss einer Synode von Tribur im Jahr 895, der für Vorbestrafte die Feuerprobe mit Eisen oder Wasser vorsah, ist in das Dekret Gratians und damit in die kirchliche Praxis aufgenommen, mit kirchlichen Riten umgeben und von der Kirche mit Hinweis auf biblische Vorbilder - zum Beispiel die drei Jünglinge im Feuerofen - sanktioniert worden. Durch Fasten und Beten bereiteten sich die Priester und der oder die Angeklagte vor, gefolgt von Messe und Kommunion. Darauf folgte eine gegen die teuflische Verhärtung gerichtete Beschwörung des Angeklagten, die Schuld zu gestehen sowie eine Segnung des reinigenden Elemen- tes. Daran schloss sich die eigentliche Probe. Die Päpste hielten sich bezüglich der Gottesurteile weitgehend zurück und be- kämpften sie ab dem 10. Jahrhundert gemeinsam mit gelehrten Theologen als Aberglauben. Einzelne Verbote der Gottesurteile wie jenes von Valence im Jahr 855 zeigten wenig Wirkung. Gesamtkirchlich wurden die Gottesurteile nie gebilligt und vielfach als verabscheuungswürdige, dem gesunden Menschenverstand widerspre- chende Versuchung Gottes verurteilt. 8 Durch die Bestimmungen des vierten Late- rankonzils (1215) wurde die Teilnahme von Geistlichen an solchen Gottesurteilen untersagt, was den Rückgang und bald das Verschwinden dieser Form der Wahr- heitsfindung aus dem Rechtsleben bedeutete;' man hielt es für vermessen, Gott gleichsam einem Zwang zur Wahrheitsoffenbarung zu unterwerfen.'' Theologen des Spätmittelalters verdammten Gottesurteile als Erfindungen des Teufels und sünd- hafte Versuchungen Gottes. Gottesurteile finden sich jedoch weiterhin in Rechts- kodifikationen (Sachsenspiegel, Schwabenspiegel) wie in spätmittelalterlichen Weistümern. Der Eid sollte als Ersatz dafür dienen, doch fanden die primitiv-ma- MG Capitularia I, 150, 2. Corpus iuris canonici, hg. v. FRIEDBERG, 1879, I, 459. Vgl. dazu den entsprechenden Artikel in: Lexikon für Theologie und Kirche. Durch die Veröffentlichung der Dekretalen verbot Papst Gregor IX. 1234 endgültig Gottesurteile in der Kirche bzw. durch den Klerus. OESTERDIEKHOFF, Prozess- und Beweisrecht (wie Anm. 3). Vgl. dazu GERHARD KÖRBLER, Welchen Gottes Urteil ist das Gottesurteil des Mittelalters? In: Vom mittelalterlichen Recht zur neuzeitlichen Rechtswissenschaft. Bedingungen, Wege und Probleme der europäischen Rechtsgeschichte. Winfried Trusen zum 70. Geburtstag. Paderborn-München-Wien-Zürich 1994, 89-109.

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Blätter für Heimatkunde 80 (2006)

WALTER BRUNNER

„... damit alle dem Urteil Gottes ohne Zweifel glauben!" Gottesurteile als magisches Mit tel der Wahrhei tsf indung im Südostalpenraum

Geschichte und Gottesurteile als Mittel der Wahrheitsfindung sind auch bei uns bis ins 13. Jahr-Formen des hundert nachweisbar. Die Bezeichnung „Gottesurteil" oder „Ordal" ist die deut-

Gottesurteils sehe Übersetzung der im Mittellateinischen gebräuchlichen Begriffe iudicium dei oder iudicium divinum. Aus dem Althochdeutschen stammt das Wort ordel - or-deal, was das „Urteil" oder auch den „Ur-Sprung" bezeichnet. Dem Gottesurteil liegt die Vorstellung zugrunde, ein höheres Wesen greife im Zusammenhang eines Rechtsfindungsprozesses ein, um den Sieg der Gerechtigkeit zu garantieren. Das Ordal ist somit ein Mittel sakraler Rechtsfindung, beruhend auf der Vorstellung, dass Gott als Hüter des Rechts in Fällen der Unergründlichkeit einer Rechtslage durch Zeichen Hinweise auf Schuld oder Unschuld gibt. :

Die Geschichte der Gottesurteile reicht weit in die Anfänge menschlicher Zivilisation zurück.' Erste schriftlich überlieferte Beschreibungen von Gottesur­teilen bzw. Ordalen sind aus Mesopotamien für die Zeit um 2100 v. Chr. vom sumerischen König Urnammu von Ur bekannt; es war ein Flussordal, also eine Art Wasserprobe. Im Gesetzbuch von Hammurabi aus dem 18. Jahrhundert v. Chr. sind ebenfalls Gottesurteile mit Hilfe des Wassers angeführt. Auch das Alte Testament kannte die Anwendung von Gottesurteilen (Lev. 5, 21ff. oder 1. Buch Samuel 10, 17ff). Gottesurteile gab es im alten China, in Japan, Indien und Ägypten, aber auch bei den Kelten und Slawen, mitunter auch bei den Griechen und Römern. Auch in Volkserzählungen Tibets finden sich Gottesurteile als Mit­tel der Wahrheitsfindung.4

Im frühen Mittelalter waren Gottesurteile bei den noch nicht christianisierten Germanen, den Dänen, Burgundern, Franken, Angelsachsen und Wikingern ge­bräuchlich, blieben aber auch nach deren Christianisierung bei Rechtsfindungs-prozessen, bei denen ein Geständnis oder Zeugen fehlten, üblich/ Eid und Zwei­kampfgehörten bei den Germanen als Gottesurteile zum alten sakralen Weltbild.

WOLFGANG SCHILD, Alte Gerichtsbarkeit. Vom Gottesurteil bis zum Beginn der modernen Rechtssprechung. München 1980.

2 H.-J. BECKER, Gottesurteil. In: Lexikon des Mittelalters, 4. Band (1989), 1594f. ' Allgemein vgl. dazu GEORG W OESTERDICKHOFF, Das archaische Prozess- und Beweisrecht

und die „immanente Gerechtigkeit". Erklärung von Struktur, Entwicklung und Untergang ordalförmiger Konfliktregelungen. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abt., Bd. 119, 2002, 175-192.

4 Vgl. dazu: The Ordeals of a Prince and a Princess. In: NORBU CHOPHEL (Hg.). Folk Tales of Tibet (Library of Tibetan Works and Archives), Dharamsala 1972, 122-133.

s VERONIKA SCHÖNEGGER, Die Rechtsinstitution der Gottesurteile im frühen Mittelalter. Diplomarbeit Universität Innsbruck 2000.

„... damit alle dem Urteil Gottes ohne Ziveifel glauben! 69

Das Christentum kam mit Gottesurteilen in besonderer Weise in Berührung, als die germanischen Nachfolgestaaten auf römischem Reichsboden erstarkten. Der allgemeinen Lehre der Kirche war das Gottesurteil fremd, weil es kein Recht des Menschen gebe, von Gott prozessual Wunder zu verlangen nach dem biblischen Grundsatz: „Du sollst den Herrn deinen Gott nicht versuchen!" Trotzdem griff" der germanische Klerus ordnend bei den Gottesurteilen ein und gestaltete Rituale aus, entwickelte etwa mit der Kreuzprobe neue Formen, bekämpfte jedoch grund­sätzlich den Zweikampf.

Es wird angenommen, dass Gottesurteile bereits zur Zeit der christianisierten Merowinger als letztes Mittel der Wahrheitsfindung bzw. des Unschuldsbeweises in die Rechtssprechung Eingang gefunden haben. Karl der Große ordnete in durchaus christlichem Sinn in einem Kapitulare an, dass jedermann dem Gottes­urteil ohne Zweifel Glauben schenken müsse: ut omnes iuditium Dei credant absque

dubitatione.' Der Beschluss einer Synode von Tribur im Jahr 895, der für Vorbestrafte die

Feuerprobe mit Eisen oder Wasser vorsah, ist in das Dekret Gratians und damit in die kirchliche Praxis aufgenommen, mit kirchlichen Riten umgeben und von der Kirche mit Hinweis auf biblische Vorbilder - zum Beispiel die drei Jünglinge im Feuerofen - sanktioniert worden. Durch Fasten und Beten bereiteten sich die Priester und der oder die Angeklagte vor, gefolgt von Messe und Kommunion. Darauf folgte eine gegen die teuflische Verhärtung gerichtete Beschwörung des Angeklagten, die Schuld zu gestehen sowie eine Segnung des reinigenden Elemen­tes. Daran schloss sich die eigentliche Probe.

Die Päpste hielten sich bezüglich der Gottesurteile weitgehend zurück und be­kämpften sie ab dem 10. Jahrhundert gemeinsam mit gelehrten Theologen als Aberglauben. Einzelne Verbote der Gottesurteile wie jenes von Valence im Jahr 855 zeigten wenig Wirkung. Gesamtkirchlich wurden die Gottesurteile nie gebilligt und vielfach als verabscheuungswürdige, dem gesunden Menschenverstand widerspre­chende Versuchung Gottes verurteilt.8 Durch die Bestimmungen des vierten Late­rankonzils (1215) wurde die Teilnahme von Geistlichen an solchen Gottesurteilen untersagt, was den Rückgang und bald das Verschwinden dieser Form der Wahr­heitsfindung aus dem Rechtsleben bedeutete;' man hielt es für vermessen, Gott gleichsam einem Zwang zur Wahrheitsoffenbarung zu unterwerfen.'' Theologen des Spätmittelalters verdammten Gottesurteile als Erfindungen des Teufels und sünd­hafte Versuchungen Gottes. Gottesurteile finden sich jedoch weiterhin in Rechts­kodifikationen (Sachsenspiegel, Schwabenspiegel) wie in spätmittelalterlichen Weistümern. Der Eid sollte als Ersatz dafür dienen, doch fanden die primitiv-ma-

MG Capitularia I, 150, 2. Corpus iuris canonici, hg. v. FRIEDBERG, 1879, I, 459. Vgl. dazu den entsprechenden Artikel in: Lexikon für Theologie und Kirche. Durch die Veröffentlichung der Dekretalen verbot Papst Gregor IX. 1234 endgültig Gottesurteile in der Kirche bzw. durch den Klerus. OESTERDIEKHOFF, Prozess- und Beweisrecht (wie Anm. 3). Vgl. dazu GERHARD KÖRBLER, Welchen Gottes Urteil ist das Gottesurteil des Mittelalters? In: Vom mittelalterlichen Recht zur neuzeitlichen Rechtswissenschaft. Bedingungen, Wege und Probleme der europäischen Rechtsgeschichte. Winfried Trusen zum 70. Geburtstag. Paderborn-München-Wien-Zürich 1994, 89-109.

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gischen Vorstellungen in der Folter, die in den Landgerichtsordnungen des 16. und 17. Jahrhunderts als Rechtsmittel vorgeschrieben und erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verboten wurde, eine grausame Fortsetzung."

Unter den „einseitigen Ordalen" fasst man alle jene zusammen, bei denen der vermeintliche Rechtsbrecher oder Angeklagte sich alleine einem Gottesurteil unterziehen muss und lediglich mit den Elementen, vor allem mit Wasser, Feuer und Erde, oder mit heiligen Gegenständen in Kontakt tritt. Das waren: Wasser-probe mit heißem (Kesselfang) oder kaltem Wasser (Untertauchen), Feuerprobe durch Tragen eines glühenden Eisenstückes,l; die Probe mit besonders geheiligten Hostien, wobei Erkrankung oder Tod als Schulderweis galt, oder mit vergifteten Speisen; erkrankte man nach deren Genuss, galt man als schuldig.

Das wohl älteste Ordal ist ohne Zweifel die Feuerprobe, die auch den alten Griechen in Verbindung mit dem Eid vertraut war und beispielsweise in der ,Antigone" von Sophokles als Unschuldsbeweis angeboten wird: „Glühend Eisen mit der Hand zu fassen und durch Feuer durchzugehen und Eid zu schwören bei den Göttern, dass er's nicht getan." Das Feuer als reinigende Vernichtung wird als die magische Kraft angerufen, die über Schuld und Unschuld zu entscheiden vermag, indem sie auf wunderbare Weise auf ihre natürliche Wirkung verzichtet. Im Sprichwort „Dafür halte ich meine Hand ins Feuer" ist die Erinnerung an das Gottesurteil der Feuerprobe bis heute lebendig geblieben. Vielfach war es Rechtsbrauch, Wunden nach der Feuerprobe zu versiegeln und nach drei Tagen zu untersuchen: War eine Heilung erkennbar, galt dies ebenfalls als Beweis der Un­schuld.

Ein Beispiel für eine hochmittelalterliche Feuerprobe: Im Jahr 1172 wurde in Arras ein Kleriker namens Robert der Ketzerei beschuldigt. Beim Verhör durch den Erzbischof von Reims wurde Robert nicht nur Häresie, sondern auch Begüns­tigung anderer Häretiker vorgeworfen. Um sich von diesem Verdacht zu reinigen, unterwarf er sich der Feuerprobe mit dem heißen Eisen. Er bestand sie nicht, denn er erlitt nicht nur an der rechten Hand, mit der er das Eisen trug, sondern auch an der linken Hand, an Füßen und am Bauch Verbrennungen; er wurde ver­brannt.13

Gottesurteile in Für die Steiermark ist am frühesten das Gottesurteil des glühenden Eisens der Steiermark schriftlich in Admont nachweisbar: Der fromme Abt Wolfhold (1115-1137),

und in Kärnten Gründer des Admonter Frauenklosters, soll sich durch häufige Besuche bei den Nonnen verdächtig gemacht haben und unterzog sich zum Beweis seiner Unschuld dem Gottesurteil der Feuerprobe." Er „ließ die Ofenbrust (des Schmelzofens)

1 HERMANN NOTTARP, Gottesurteilstudien (= Bamberger Abhandlungen und Forschungen 2), München 1956. - Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 1. Band, Berlin 1971, Sp. 1769-1773.

- ALFONS BÜRGE, Realität und Rationalität der Feuerprobe. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgcschichte, Germanistische Abt. Bd. 100, 1983, 257-259.

13 MGSS XVII: Annales Colonienses Maximi ad a. 1172, 784f. 14 GREGOR FUCHS, Geschichte des Benedictinerstiftes Admont, 1859, 18-19. - HUBERT PRESS­

LINGER und JÖRG KÖSTLER, Zur Geschichte des Eisenerzbergbaues am Blahberg bei Admont. In: res montanarum 28, 2002, 21-26. - SUSANNA KLEMM, WOLFGANG SCHEIBLECHNER und GERHARD SPERL, Eisenerzeugung im mittelalterlichen Rennofen. Ein Schmelzversuch beim Museumsfest auf Schloss Trautenfels 2001. In: Da schau her, 23. Jg.. Heft 2, 2002, 16.

damit alle dem Urteil Gottes ohne Zweifel glauben!'

öffnen die Eisenmaß mit Zangen herausnehmen und auf einen Amboss legen'; dann bewies er seine Unschuld, indem er den glühenden Klumpen in die Hände nahm und unverletzt blieb." Die Sage „Das Gottesurteil am Blahberg" berichtet ebenfalls von diesem Abt und wie er seine Unschuld bewies.'6

Von der hl. Kunigunde, der frommen Gemahlin Kaiser Heinrichs IL ( 1002-1024), berichtet die Legende, sie sei von Verleumdern beim Kaiser bezichtigt worden, unerlaubten Umgang mit anderen Männern zu haben. Um den Argwohn ihres Gemahls zu zerstreuen, erbot sich die Kaiserin, sich einem Gottesurteil zu unterwerfen und vor allem Volk die Feuerprobe zu bestehen: sie betete zu Gott, er möge ihre Unschuld bezeugen, ging mit bloßen Füßen über glühende Pflug­scharen - und blieb unverletzt. In der Steiermark sind einige Kirchen der hl. Kunigunde geweiht, so die Leechkirche in Graz, jene zu Miesenbach, Wald am Schoberpaß und Mürzzuschlag. In der Karchau (pol. Bezirk Murau) ist eine spät­gotische Plastik der hl. Kunigunde im Aufsatz des Hochaltars erhalten geblieben. Die dem hl. Martin geweihte Filialkirche Karchau war noch 1461 und 1494 der hl. Kunigunde geweiht!'7 Barocke Statuen dieser Heiligen gibt es in Waldbach und in der Leechkirche. Auch in die Sagenüberlieferung hat dieses Gottesurteil der hl. Kunigunde Eingang gefunden. s Barocke Gemälde und Plastiken der hl. Kunigun­de weisen häufig mit dem Attribut der Pflugschar auf dieses Ordal hin, so bei­spielsweise in der Pfarrkirche von Wolfsberg in Kärnten in einem Gemälde aus dem Jahr 1667."

Die Kaltwasserprobe lief nach festgelegten kirchlichen Riten ab: Nach Vorbe­reitung des Prüflings mit Fasten und Beten folgten eine hl. Messe mit Opfer, Kommunion, Weihwassertrinken des Probanden, dessen Beschwörung durch den Geistlichen zum Bekenntnis der Wahrheit, Zug zum Ordalort, Segnung des Was­sers mit Weihwasser und Weihrauch, um Teufelsspuk auszuschließen, Entklei­dung, Kuss des Prüflings auf Evangelium und Kreuz und Segnung. Dann wurde der dem Ordal Unterworfene an Händen und Füßen gefesselt und mit einem um den Leib geschlungenen Strick ins Wasser getaucht, wobei ursprünglich das Un­tergehen als Beweis der Unschuld galt. Hierauf wurde er wieder aus dem Wasser gezogen. Hielt er sich jedoch an der Oberfläche, galt er als überführt, da nach damaliger magischer Anschauung das reine Element Wasser nichts Unreines und

13 Eintrag in den Annales Admontienses (= Codex 501 im StiA Admont). - Vgl. dazu die unpublizierte Arbeit von SUSANNE KLEMM, Ausstellung und Präsentation des Schulprojektes mit der Hauptschule Weißenbach an der Enns unter dem Titel „Wolfholds Gottesurteil in der Eisenhütte", 2001.

"' Zuletzt publiziert von HEINRICH und JOSEFINE LUMPE. Zum Lindwurm und zurück. 100 Volkssagen aus dem Alpenland zwischen Dachstein und Hochschwab. Liezen 1990, 108f.

1 Vgl. dazu HANS PIRCHEGGER, Die kirchliche Einteilung der Steiermark vor 1783 (= Erläu­terungen zum historischen Atlas der österreichischen Alpcnländer II. Abteilung: Die Kir­chen- und Grafschaftskarte, 1. Teil Steiermark), Wien 1940, 56. - StiA St. Lambrecht, Urbar von 1461 Amt Karchau: Von der Tafern bei St. Kunigunden im Karcher zinst Pörtl Mesner. - Urbargrundbuch 1494: eine Taferne bei St. Kunigund gelegen ... In: Deutsche Sagen. Hg. von den Brüdern GRIMM. Vollständige Ausgabe nach dem Text der 3. Auflage von 1891, 2. Band, Darmstadt 1981. 455- - Univ.-Prof. Dr. Günther Jontes, Leoben, danke ich herzlich für vielfältige Literaturhinweise.

" Diesen Hinweis verdanke ich Univ.-Prof. Dr. Günther Jontes.

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Gottesurteil mit glühendem Eisen. Miniatur (20,4 x 8,6 cm) in der Würzburger Bischofschronik aus dem 16. Jahrhundert.1"

Böses in sich dulde.-' Später wurde die Probe mit umgekehrter Bewertung vorge­nommen und der Untergehende als schuldig angesehen. Gegebenenfalls konnte diese Kaltwasserprobe auch in einem großen Bottich durchgeführt werden. Bei der Heißwasserprobe war der Ausgang in der Regel auch vorhersehbar: Beim Kessel-fangordal musste mit der Hand ein Ring oder Stein aus einem Kessel kochenden Wassers geholt werden."

Die für den Angeklagten weniger verhängnisvolle Prüfung der Bahrprobe ist nur literarisch, aber nicht durch Urkunden belegt, so beispielsweise im Nibelun­genlied. Die Bahrprobe scheint im Spätmittelalter und in früher Neuzeit im weltlichen Gericht besonders verbreitet gewesen zu sein. Beim Verdacht eines vermuteten, aber nicht bewiesenen Mordes wurde der Verdächtigte an die Bahre des Toten geführt; war er der Mörder, so sollten die Wunden des Ermordeten zu

:o Die Darstellung bezieht sich auf ein Gottesurteil im Jahr 1131: Das Dorf Obersaiz sei unter dem Würzburger Bischof Adalbero von Lambach-Wels (1045-1090) dem Stift Würzburg zuerkannt worden und in der Folge an die Domkustodie gekommen, doch habe Dompropst Otto 1131 einige Bewohner an die Propstei ziehen wollen. Als sich diese widersetzten, wurde ein Gottesurteil herbeigeführt. Um ihr Recht zu beweisen, trug einer der betroffenen Unter­tanen - Konrad von Wittighausen - unbeschadet ein glühendes Eisen. Die Darstellung zeigt Konrad, der an seinem einfachen Wams als Mann aus dem Volk zu erkennen ist, wie er mit bloßen Händen eine rot glühende Pflugschar hält. Links davon stehen sieben Zeugen, von denen drei durch Birett und bodenlange Schaube als Geistliche zu erkennen sind. Unter den vier Laienzeugen sind zwei einfach gekleidete Personen, die hinter den Geistlichen und den besser gekleideten Personen stehen (aus: LORENZ FRIES, Chronik der Bischöfe von Würzburg 742-1495, Band VI: Die Miniaturen der Bischofschronik [= Fontes Herbipolenses. Editionen und Studien aus dem Stadtarchiv Würzburg]. Würzburg 1996, 37, Miniarur Nr. 46).

!l Vgl. dazu auch GERNOT KOCHER, Wasser und Recht. In: Wasser. Hg. von GERHARD M. DIENES und FRANZ LEITGEB. Graz 1990, 194-202, bes. 200. - HELFRIED VALENTINITSCH,

Wasserstrafen - Tod durch Wasser. In: Ebd. 300-310, bes. 308. 12 GERNOT KOCHER, Das Feuer im Rechtsleben der Vergangenheit. In: HELFRIED VALENTI­

NITSCH und MICHAEL PERSCHY (Red.), Feuerwehr gestern und heure. Burgenländische Landesausstellung 1998, 41 .

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bluten beginnen. Noch aus dem Jahr 1577 ist eine solche Bahrprobe für den Markt Spittal an der Drau nachweisbar.23 Eine mildere Form war das Kreuzordal, bei dem beide Parteien mit erhobenen Armen - also in Kreuzpose - während der Messe, oder bis eine bestimmte Anzahl von Gebeten gesprochen war, verharrten, und wer zuerst einen Arm sinken ließ oder diesen nur bewegte galt als überführt.

Ohne Zweifel zu den frühesten Formen der Rechtsentscheidung durch Eingrei­fen einer höheren Macht gehört der Zweikampf, in dem der Unschuldige hoffte, auf magische Einwirkung oder durch die Hilfe Gottes gerechtfertigt zu werden. Dass der Zweikampf als eine archaische Form des Gottesurteils noch im 12. Jahr­hundert durchaus, vom Landesfürsten allerdings bekämpfte, Rechtswirklichkeit war, klingt auch in der Georgenberger Handfeste vom Jahr 1186, der „magna charta" der steirischen Landstände, an, wenn es dort heißt: Wenn unter Steirern ein Streit oder eine Auseinandersetzung über irgendeine Angelegenheit entstanden ist, soll darüber nicht durch Zweikampf, sondern nach dem glaubwürdigen Zeug­nis erprobter und zuverlässiger Männer entschieden werden: ... tum campione sed probabilium et certarum personarum credibili dirimatur testimonio.14 Diese Bestim­mung dürfte den Angehörigen des steirischen Adels nicht sehr gefallen haben, denn der Zweikampf als Beweismittel war durchaus geläufig und blieb es auch nach 1186. Der steirische Herzog war damit mehr der kirchlichen Reform- und Gottesfriedensbewegung gefolgt als den Gepflogenheiten seiner Gefolgsleute.2' Noch im Österreichischen Landrecht ist der Zweikampf selbstverständlich und in der gleichzeitigen Landhandfeste Kaiser Friedrichs II. von 1237 wird er nicht ausdrücklich verboten, jedoch an seiner Stelle der Zeugenbeweis vor den gesetzten Richtern empfohlen.

Die Vornahme von Gottesurteilen war in urkundlich dokumentierbarer Zeit Kirche und des Hochmittelalters ein Vorrecht der plebs, der Haupt- oder Mutterpfarre. Es ist Gottesurteile wohl vorrangig eine Frage der geringen archivalischen Überlieferung und des frühen Endes der Ordale, dass wir für unseren Raum wenige Nachrichten darüber besitzen. Für die Steiermark sind nur wenige Beispiele bekannt. Den frühesten Nachweis für dieses Recht des Pfarrers an Mutterkirchen in der Steiermark bietet uns eine Urkunde des Jahres 1195, mit der Erzbischof Adalbert von Salzburg dem Stift Admont Schenkungen und Stiftungen bestätigte. Die Pfarrkirche St. Micha­el, hervorgegangen aus dem karolingischen Gutshof „ad Liestinicham", den König Ludwig der Deutsche 860 dem Erzbischof von Salzburg geschenkt hatte,2'' war eine der großen Ur- oder Mutterpfarren der Steiermark, eine plebs im kirchenrecht­lichen Sinn des Früh- und Hochmittelalters, die der Erzbischof 1187/88 mit allen Pfarrrechten an das Stift Admont übertrug. Im Jahr 1195 bestätigte der Erzbischof von Salzburg deren Rechte, aber auch die Rechte der aus dieser Altpfarre hervor­gegangenen Tochterpfarren, darunter auch solche mit Tauf- und Begräbnisrecht

21 WALTER FRESACHER, Eine Bahrprobe aus Kärnten. In: Carinthia I, 126. Jg., 1936, 117-121. 24 KARL SPREITZHOFER, Georgenberger Handfeste. Entstehung und Folgen der ersten Verfas­

sungsurkunde der Steiermark (= Steiermärkisches Landesarchiv, Sryriaca Neue Reihe, hg. v. GERHARD PFERSCHY, Bd. 3), Graz 1986, 15.

K Ebd., 64. 2'' HERWIG EBNER, Das salzburgische Gut „ad Liestinicham" des Jahres 860. In: Blätter für

Heimatkunde 29. Jg., 1955, 12-23.

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und sogar mit eigener Zuständigkeit für die Buße wegen schwerer Sünden sowie für das sonst in der Regel der Mutterpfarre vorbehaltene Recht auf das Gottes­gericht der Wasser- und Eisenprobe. Die zwei herzoglichen Eigenkirchen St. Peter bei und St. Jakob zu Leoben waren bereits von der Mutterkirche St. Michael exemt, ausgenommen die Versammlung zum kirchlichen Sendgericht; damit war ihnen - auch wenn dies nicht ausdrücklich ausformuliert ist - de facto auch die Buße für schwere Vergehen und das Recht des Gottesgerichtes überlassen.2" Dass diese Annahme nicht aus der Luft gegriffen ist, lesen wir in der genannten Urkunde von 1195 wenige Zeilen weiter unten, denn es wird ausdrücklich festgehalten, dass die Kirchen des Frauenstiftes Goß und von St. Veit in Proleb weiterhin dem kirch­lichen Sendgericht bei der Mutterpfarre St. Michael an der Liesing, das für Kir­chenstrafen nach schweren Verbrechen sowie für Gottesgerichte des Eisens und Wassers zuständig war, unterworfen bleiben.28

Als im Jahr 1202 die Kirche St. Jakob in der Wiegen bei Dürnstein in der Steiermark von der Mutterpfarre —plebs - Friesach ausgepfarrt wurde, behielt sich der dortige Pfarrer von den Pfarrrechten nur das Gottesurteil des heißen Eisens und des Wassers vor; er trat alle sonstigen Rechte ab: ... omne ius plebis preter ignitum ferrum et iudicium aque.1'

Die Probe mit heißem Eisen als Gottesurteil ist verschiedentlich auch literarisch überliefert. In einer Handschrift der Grazer Universitätsbibliothek, verfasst von Jakob von Lausanne, der um 1300 gelebt hat, ist - allerdings ohne erkennbaren Bezug zur Steiermark - ein Fall des Gottesurteils mit dem glühenden Eisen auf­gezeichnet: Eine Frau, von ihrem Ehemann der Untreue verdächtigt, wurde von ihm gedrängt, sich der Gottesprobe des glühenden Eisens zu unterziehen. Nach abgelegter Beichte trug sie das glühende Eisen - wegen der Gnade Christi und der Kraft des Sakramentes - unverletzt. Die Unselige vergaß später jedoch die ihr zureil gewordene Wohlrat, fiel in die Sünde mit ihrem Liebhaber zurück, sah vor sich ein kaltes Stück Eisen, ergriff es und sagte scherzend zu ihrem „Ribaldus" (dummen, einfältigen Freund): „Sieh das Eisen, das ich ganz rot in die Hände genommen und das mir nicht geschadet hat." Und auf der Stelle wurde sie vom kalten Eisen verbrannt."1

KARL AMON, Neue Kirchenstrukturen im Hochmittelalter. In: Kirchengeschichte der Steier­mark. Hg. von KARL AMON und MAXIMILIAN LIEBMANN. Graz 1993, 74-77. StUB II (1879), 27, Nr. 10: ...Gossensis vero et Prielebensis ecclesie inplacito Christianitatis et in excessum satisfactione, in iudiciis ferri et aque matricem ecclesiam Liessinich respicere tenentur cm etiam antiquo et canonico iuri nullatenus refragentur. - KARL AMON, Vom Archipresbyte-rat zur „Urpfarre". Das Landarchipresbyterat als Ursprung der Pfarre in der alten Diözese Salzhurg. In: Forschungen zur Landes- und Kirchengeschichte. Festschrift für Helmut J. Mezler-Andelberg zum 65. Geburtstag. Hg. v. HERWIG EBNER u. a., Graz 1988, 29-30. Mon. Car. I, 287, Nr. 392. - Beschrieben auch bei WALTER BRUNNER, Dürnstcin-Wildbad hinod, 1982, 55. - Vgl. dazu auch KARL AMON, Vom Archipresbyrerat (wie Anm. 28), 3lf.

WILHELM NEUMANN, Gottesurteile und Eigenkirchen in Gurker Urkunden zwischen 1176 und 1218. In: Carinthia I, 179. Jg., 1989, 144-145. - CHARLOTTE LEITMAIER, Die Kirche und die Gottesurteile. Eine rechtshistorische Studie (= Wiener rechtsgeschichrliche Arbeiten 2), Wien 1953, 12. &

ANTON E. SCHÖNBACH, Miscellen aus Grazer Handschriften. In: Mitteilungen des Histori­schen Vereines für Steiermark, 48, 1900, 186.

. . . . damit alle dem Urteil Gottes ohne Zweifel glauben! 75

Aus Kärnten sind ebenfalls einige Gottesurteile urkundlich nachweisbar. Als 1195/96 Abt Hilteward von Ossiach sich mit dem Pfarrer der Mutterpfarre St. Ruprecht am Moos (nördlich Villach), in deren Pfarrbereich das Kloster lag, wegen der auf Klostergrund gelegenen Filialkirche in Gratschach verglich und den Mön­chen das Recht der Messfeier - jedoch ohne Volk - gestattete, erlaubte er dem Kloster die Durchführung des Gottesurteils mit kaltem Wasser innerhalb des

Klosters.31

In Urkunden des Stiftes bzw. Bistums Gurk finden sich zwischen 1176 und 1218 sechs Hinweise und Aufzeichnungen über Gottesurteile verschiedener Art. In drei Fällen wird als Ortsangabe bei Grundtausch- und Schenkungsverträgen ein Gerichtswasser bzw. Gerichtsbrunnen genannt: Bischof Roman 11. von Gurk gab 1176 dem Gurker Domkapitel das Lehen eines Purchard in Gurke iuxta aquam iudicariam, 1187 vertauschte Bischof Dietrich I. dem Kapitel zwei Wiesen, von denen eine mit iuxta iudicium aque frigide näher beschrieben wird. 1192 wird ein Grundstück aput fontem iudicialem erwähnt. Es handelt sich dabei, wie noch aus einer Aufzeichnung von 1709 hervorgeht, um den so genannten geweihten Brun­nen bei Straßburg im Gurktal, der mit dem sagenumwobenen Römerbrunnen identisch ist: eine kreisrunde, schön ausgemauerte, einige Meter tiefe Zisterne,32

die im 17. und 18. Jahrhundert als Prun an der Haiden fassbar ist.33

Im Zusammenhang mit dem „geweihten Brunnen" im Gurktal drängt sich ein Bezug zu jener Urkunde vom 4. September 898 auf, mit der Kaiser Arnulf dem Stift Gurk mehrere Güter schenkte, deren Grenze u. a. von den Almen Glödnitz (westlich Gurk) zu den Öden Almen und zum Schwarnbrunn verlief: ...ab alpi-bus Glodnizze ad Desertas alpes ad Coniuratum fontem . . ." Dieser „beschworene Brunnen" des Jahres 898 ist mit dem bereits auf steirischem Gebiet liegenden so genannten „Schwarnbrunn" auf der Prankheralm im Paalgraben südlich Murau gleichzusetzen, der nun jedoch schon seit vielen Jahrzehnten versiegt ist. Dem Volksglauben zufolge treffen sich dort alljährlich am Fest des hl. Bartholomäus (24. August) die Zauberer, um von ihrem Meister ausbezahlt zu werden. Die Wetterzauberlehrbuben, die ihr Geschäft noch nicht richtig gelernt haben, muss­ten nachdienen, weshalb es mit dem Wetter nach diesem Festtag keinen rechten „Schick" (Geschick, Ordnung) habe. Wäre es nicht denkbar, dass bei diesem „be­schworenen Brunnen" in dieser Frühzeit ebenfalls Gottesurteile in Form des Wasserordals vorgenommen wurden?

Als im Jahr 1218 der Kirche St. Ulrich in der Reichenau (Kärnten) vom Mut­terpfarrer in Weitensfeld Pfarrrechte abgetreten wurden, sollten weiterhin die kirchliche Rechtssprechung, die Kaltwasserprobe und das Tragen des glühenden Eisens dem Pfarrer von Weitensfeld vorbehalten bleiben. Das ist einer der letzten urkundlichen Nachweise für kirchliche Ordale im Rahmen der Pfarrseelsorge.

Mon. Car. III, Nr. 1449: ... De examine figidae aquae, in quo cessit plebanus ita tarnen, quod liceat eis ofßeiales suos infra cellam examinare. - Vgl. dazu auch WILHELM NEUMANN, Die Kirche in Gratschach bei Villach und das Kloster Ossiach 1195/96. Eigenkirche, Zehent­rechte, Wallfahrten und Gottesurteile. In: Neues aus Alt-Villach, 26. Jahrbuch des Museums der Stadt Villach, 1989.

32 NEUMANN, Gottesurteile (wie Anm. 29), 141 f. 33 KARL BURKART, Mündliche und schriftliche Überlieferungen zum Gurker Gerichtsbrunnen

auf der Heiden. In: Carinthia 1, 179. Jg., 1989, 149-151. "' StUB I, Nr. 12.

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76 Walter Brunner

Weiterleben Ordale lebten in ihrer Grundidee noch in der Praxis der Folter sowie in der des Got tes- Hexenprobe des „Hexenhammers" aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts

urteils im Spät- weiter, doch befürchtete man, dass die erwartete göttliche Wunderwirkung durch mittelalter und die zauberkundigen Hexen auf teuflische Weise verhindert werden könnte. Bei der in der Neuzei t Vornahme eines solchen „Hexenbades" der frühen Neuzeit lebte die kalte Wasser­

probe wieder auf: der Henker band der Verdächrigten die Hände an die Beine und warf sie so ins Wasser; schwamm die Geprüfte „wie eine Gans" auf dem Wasser, war sie der Zauberei überführt und wurde der Folter untetzogen.!1 Bei Ketzerpro­zessen wurde gelegentlich auch noch die Feuerprobe angewandt."' Letztendlich ist auch der Zweikampf, der im Duell noch während der letzten Zeit der Monarchie in Offizierskreisen üblich war, eine Art Gottesurteil. Das Gottesurteil kann aber auch als eine Art Begnadigungsrecht angesehen werden, so wie mitunter das Miss­lingen einer Hinrichtung als ein Zeichen der Gnade, eines Gottesurteils, aufgefasst wurde.

Im städtischen Rechtsleben blieben Reste des Glaubens an die Beweisbarkeit von Schuld oder Unschuld durch Gottesurteile bis gegen Ende des 15. Jahrhun­derts üblich, auch wenn wir dies nur vereinzelt anhand von Urkunden dokumen­tieren können. Der Urfehdebrief des Schustergesellen Andre Suechentrunkch aus Waidhofen an derThaya vom Jahr 1445 beweist exemplarisch, dass Reste des alten Gottesurteildenkens noch im Spätmittelalter lebendig waren. Dieser Schusterge­selle war nachts in die Judenburger Schule eingedrungen und hatte dort - nach Meinung des Gerichtes - einen Studenten erstochen, womit er das Freiungs- oder Asylrecht der Schule verletzt hatte. Suechentrunkch wurde verhaftet und während der Gerichtsverhandlung über den Leichnam des Ermordeten geführt. Offensicht­lich war dies der Versuch, die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu beweisen, wenn die Wunden des Ermordeten zu bluten begannen bzw. nicht aufbrachen. Suechentrunkch hatte behauptet, nicht er habe den tödlichen Stich geführt, son­dern ein anderer. Vermutlich haben die Wunden im Zuge dieses Gottesurteils nicht zu bluten begonnen, und man scheint der Aussage des Schustergesellen und seinen Unschuldsbeteuerungen - wenn auch nicht zur Gänze — Glauben geschenkt zu haben: Er musste einen Urfehdebrief ausstellen und eine ganze Reihe ehrbarer Leute - Ratsbürger, Priester, Knechte, edle und unedle Frauen - als Fürbitter bzw. Bürgen aufbieten und zur Sühne eine Wallfahrt nach Rom und nach Aachen unternehmen.3"

Ein seltsamer Gerichtsbrauch, der unverkennbar Anklänge an die Bahrprobe aufweist, wird zum Jahr 1674 aus Birkfeld berichtet, als Zweifel bestanden, ob es sich bei einem Toten um einen Selbstmörder oder um das Opfer eines Verbrechens handelte; es heißt im diesbezüglichen Aktenstück: Zu merkhen, wenn ein totte Persohn in einen Landtgericht gefunden würdt, und selber verzweiflet und das Landt-gericht begehrt wird durch schrift- oder mündliche Potschaft ... Wann sich selber ainer erhenckhet oder thuet ihm den Todt selbsten an, es sey wie es wöll, ist das Landtgericht

" HANS BÄCHTOLD-STÄUBLI, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. III, Leip­zig 1930/31, Sp. 1030.

56 LEITMAIER, Die Kirche und die Gottesurteile (wie Anm. 29), 139ff. " Vgl. dazu StLA, A. Popelka 15/349: Ein Gottesurreil im alren Judenburg. Typoskript von

Fritz Popelka, 4 Seiten.

. . . . damit alle dem Urteil Gottes ohne Zweifel glauben!" 77

schuldig, den verzweifelten Menschen mit dem Gerichtshammer zu berühren aufsein bloßes Herz und also mit diesen Worten bey seinem eignen Namen genant dreymall aufeinander oder nacheinander gesagt, wie volgt: „Ich berühre Dich im Nahmen Gottes Vatters, Gottes Sohnes und Gott des heiligen Geist und bey dem heiligen Evan­gelium. Ist ein Mensch an deinem Todt schuldig, so gib ein Wahrzeichen von dir. Diß dreymahl. Ist ein Mensch an seinen Todt schuldig, so bliett ihm Mundt und Nasen, und wirdt begraben, sech der zu am jüngsten Gericht, gibt er aber kein Wahrzeichen, so laß ihn das Landtgericht vertilgen mit dem Feuer zu Staub und Aschen.,s Selbst­mörder wurden gleich Schwerverbrechern nicht im Friedhof begraben sondern verbrannt.

Als Motiv finden sich einzelne Formen des Gottesurteils vom Spätmittelalter bis weit in die Neuzeit herauf in Romanen und Dramen. Auf die Bahrprobe im Nibelungenlied wurde bereits hingewiesen. Ebenfalls im Nibelungenlied findet sich das Motiv des Kesselfangs: Gudrun wird von Herkja, der Magd und Gelieb­ten Atlis, des Ehebruchs mit Thiodrek beschuldigt und erweist durch ein Gottes­urteil ihre Unschuld, indem sie Steine aus kochendem Wasser holt. Herkja besteht diese Probe nicht und wird im Moor errränkt.

Im „Tristan" Gottfrieds von Straßburg besteht Isolde ohne Verbrennungen die Eisenprobe und wird damit als unschuldig erkannt.3<) Heinrich von Kleist behan­delt in „Der Zweikampf die Frage nach dem Mörder des Herzogs Wilhelm von Breysach bzw. nach der Unschuld der verwitweten Littegarde durch göttliches Schiedsurteil im Zweikampf.4"

Auch in der Volksüberlieferung wusste man von dieser Bahr- oder Totenprobe, wie die folgende Sage aus dem Bezirk Judenburg zeigt: „Vor vielen Jahren hatte der Scheibmoar in der Scheiben bei St. Georgen ob Judenburg unter seinen Knechten einen verwegenen Gesellen, der zu allem Möglichen fähig war. Eines Tages ging er mit seinen Mitknechten hinauf auf den Berg, um Holz zu fällen. Als sie am Abend mit ihren Äxten nach Hause gingen, begegnete ihnen ein Hausierer mit seiner Kraxen. Da sagte der unheimliche Knecht zu den anderen, sie sollten nur weitergehen, er komme gleich nach - und verschwand im Gestrüpp, lauerte dem Kraxenträger auf, erschlug ihn, nahm sein Geld und etliche Kramerwaren an sich und lief hinab zum Bauernhof. Einige Wochen später regnete es eines Abends besonders heftig, so daß vom Betghang Erde und Geröll zu Tal geschwemmt wurden. Der Regen spülte auch den Kopf des Ermordeten bis hinab nach Schei­ben; alle, die am Sonntag zur Kirche am Totenkopf vorbei gingen, sahen ihn und stießen daran, aber nur bei jenem Knecht, der ihn ermordet hatte, begann der Totenkopf zu bluten. Da erinnerte man sich der Umstände, unter denen die

Das Go t t e s ­urteil in der Li teratur u nd in der Volks­über l ie ferung

1 Heimgarten. Hg. von PETER ROSEGGER, Nr. 40, 1916, 76.

' ROSEMARY NORAH, Das Recht im „Tristan" Gottfrieds von Srraßburg. In: Philologische Studien und Quellen, H. 15, Cambrigde 1964, 83ff. - RÜDIGER SCHNELL, Rechtsgeschich­te und Literaturgeschichte. Isoldes Gottesurteil. In: Akten des VI. Internationalen Germa­nistenkongresses Brüssel, Teil 4, Frankfurt am Main 1980, 307ff.

' Vgl. dazu ROLAND REUSS, Mit gebrochenen Worten. Zu Kleists Erzählung „Der Zwei­kampf. In: Brandenburger Kleist-Blätter 7, Leipzig 1994, S. 3ff. - Zu Duell und Zweikampf allgemein vgl. UWE SCHULTZ, Das Duell. Der rödliche Kampf um die Ehre. Frankfurt am Main 1996.

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Walter Brunner

Holzfäller den Hausierer das letzte Mal gesehen hatten und überlieferten den Mörder der Hand der Gerechtigkeit."4'

Aus der Weststeiermark wird von einer die Wahrheit an den Tag bringenden „Frevlerbirke" erzählt: Auf der Kuppe des Kruckenkogels südlich der Bezirkshaupt­stadt Deutschlandsberg liegt eine dem hl. Wolfgang geweihte Kirche. Von einem Stein bei dieser Kapelle wird erzählt, daß aus ihm eine heilkräftige Quelle ent­sprungen sei, und eine dort befindliche heilige Birke entlarve jeden Frevler, der sie berührt, denn dieser würde auf der Stelle tot umfallen. Der Propst von Stainz und der Pfarrer von Groß St. Florian sollen sich einst gegen diesen Aberglauben ge­wandt und dem Bischof von Lavant, dem diese Kirche unterstand, darüber be­richtet haben. Der Bischof entsandte eine Kommission dorthin, die diesen Volks­glauben als Unsinn und Aberglauben beurteilte. Der Stein wurde zerschlagen, die Birke gefällt, das Bild des hl. Wolfgang dem Bischof übergeben, bei dem es in Vergessenheit geriet.42

Gottesurteile als Sagenmotiv finden wir in den Volkserzählungen vieler Völker; auf Tibet wurde schon hingewiesen. Mit der Sage von der „Königin im Wachs­hemd" wird ein Gottesurteil in die Zeit der Karolinger zurück verlegt: das ange­zündete Wachshemd der Königin verletzt sie nicht! Auf dem Fürstentag zu Goslar soll Graf Huno von Oldenburg — als Aufrührer verleumdet — durch den Kampf mit Löwen ein Gottesurteil herbeigeführt haben.43

Anschrift des Verfassers: Hofrat tit. Univ.-Prof. Dr. Walter Brunner, Thal-Oberbichl 205, 8051 Graz

WALTER BRUNNER, Türken, Pesr und Habergeiß. Volkssagen aus dem Aichfeld und seinen Nebentälern. Graz 1986, Nr. 163. Bericht in der „Neuen Zeit" vom 8. Juli 1984 unter dem Titel „Die Frevlerbirke als tödlicher Test für alle Schurken". - Für diesen Hinweis danke ich Herrn Herbert Blatnik aus Eibiswald herzlich. GRIMM, Sagen (wie Anm. 18), 2. Bd., 437-438, Nr. 465; 548-549, Nr. 548. - Für den Hinweis danke ich Herrn Univ.-Prof. Dr. Günther Jontes.

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