Wartezeit und Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten als Leiharbeitnehmer

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Zitiervorschlag: Langohr-Plato, jurisPR-ArbR 27/2015 Anm. 1 ISSN 1860-1553 juris GmbH, Gutenbergstraße 23, D-66117 Saarbrücken, Tel.: 0681/5866-0, Internet: www.juris.de, E-Mail: [email protected] Der juris PraxisReport sowie die darin veröffentlichten Anmerkungen sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil darf (auch nicht auszugsweise) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert werden. © juris GmbH 2015 Herausgeber: Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D. Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D. 27/2015 Erscheinungsdatum: 08.07.2015 Erscheinungsweise: wöchentlich Bezugspreis: 10,- € monatlich zzgl. MwSt. Inhaltsübersicht: Anm. 1 Betriebsrentenanpassung im Konzern Anmerkung zu BAG, Urteil vom 10.03.2015, 3 AZR 739/13 von Dr. Uwe Langohr-Plato, RA Anm. 2 Einstweilige Verfügung auf tatsächliche Weiterbeschäftigung nach Freistellung? Anmerkung zu LArbG Hamm, Urteil vom 13.02.2015, 18 SaGa 1/15 von Ulrich Fischer, RA und FA für Arbeitsrecht, Frankfurt am Main Anm. 3 Wartezeit und Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten als Leiharbeitnehmer Anmerkung zu BAG, Urteil vom 20.02.2014, 2 AZR 859/11 von Dr. André Zimmermann, RA und FA für Arbeitsrecht, King & Wood Mallesons LLP, Frankfurt am Main / Kerstin Ringling, Wissenschaftliche Mitarbeiterin Anm. 4 Probezeitverlängerung durch längere Kündigungsfrist Anmerkung zu LArbG Stuttgart, Urteil vom 06.05.2015, 4 Sa 94/14 von Dr. Lisa Käckenmeister, RA'in und FA'in für Arbeitsrecht, KasperKnacke Rechtsanwälte, Partnerschaftsgesellschaft mbH, Stuttgart Anm. 5 Betriebsratsarbeit als Arbeitszeit im Sinne des ArbZG? Anmerkung zu LArbG Hannover, Beschluss vom 20.04.2015, 12 TaBV 76/14 von Dr. Martin Wolmerath, RA Anm. 6 Abgrenzung von Werkvertrag und (unerlaubter) Arbeitnehmerüberlassung Anmerkung zu LArbG Hannover, Urteil vom 19.01.2015, 8 Sa 643/14 von Jacek Kielkowski, LL.M., RA, Noerr LLP, Frankfurt am Main / Dominik Zweigler, RA

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Zitiervorschlag: Langohr-Plato, jurisPR-ArbR 27/2015 Anm. 1ISSN 1860-1553

juris GmbH, Gutenbergstraße 23, D-66117 Saarbrücken, Tel.: 0681/5866-0, Internet: www.juris.de, E-Mail: [email protected] juris PraxisReport sowie die darin veröffentlichten Anmerkungen sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil darf (auch nichtauszugsweise) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert werden.© juris GmbH 2015

Herausgeber: Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D.

27/2015

Erscheinungsdatum:08.07.2015 Erscheinungsweise:wöchentlich Bezugspreis:10,- € monatlichzzgl. MwSt.

Inhaltsübersicht:

Anm. 1 Betriebsrentenanpassung im KonzernAnmerkung zu BAG, Urteil vom  10.03.2015, 3 AZR 739/13von Dr. Uwe Langohr-Plato, RA

Anm. 2 Einstweilige Verfügung auf tatsächliche Weiterbeschäftigung nachFreistellung?Anmerkung zu LArbG Hamm, Urteil vom  13.02.2015, 18 SaGa 1/15von Ulrich Fischer, RA und FA für Arbeitsrecht, Frankfurt am Main

Anm. 3 Wartezeit und Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten alsLeiharbeitnehmerAnmerkung zu BAG, Urteil vom  20.02.2014, 2 AZR 859/11von Dr. André Zimmermann, RA und FA für Arbeitsrecht, King & Wood Mallesons LLP,Frankfurt am Main / Kerstin Ringling, Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Anm. 4 Probezeitverlängerung durch längere KündigungsfristAnmerkung zu LArbG Stuttgart, Urteil vom  06.05.2015, 4 Sa 94/14von Dr. Lisa Käckenmeister, RA'in und FA'in für Arbeitsrecht, KasperKnacke Rechtsanwälte,Partnerschaftsgesellschaft mbH, Stuttgart

Anm. 5 Betriebsratsarbeit als Arbeitszeit im Sinne des ArbZG?Anmerkung zu LArbG Hannover, Beschluss vom  20.04.2015, 12 TaBV 76/14von Dr. Martin Wolmerath, RA

Anm. 6 Abgrenzung von Werkvertrag und (unerlaubter) ArbeitnehmerüberlassungAnmerkung zu LArbG Hannover, Urteil vom  19.01.2015, 8 Sa 643/14von Jacek Kielkowski, LL.M., RA, Noerr LLP, Frankfurt am Main / Dominik Zweigler, RA

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Betriebsrentenanpassung im Konzern

Leitsätze:

1. Das Bestehen eines Beherrschungsver-trags schafft eine Gefahrenlage für dasdurch § 16 Abs. 1 BetrAVG geschützte Inter-esse der Betriebsrentner am Werterhalt lau-fender Leistungen der betrieblichen Alters-versorgung. Dies rechtfertigt einen Berech-nungsdurchgriff auf die wirtschaftliche La-ge des herrschenden Unternehmens, wennsich die durch den Beherrschungsvertrag fürdie Versorgungsempfänger begründete Ge-fahrenlage verwirklicht hat.

2. Im Prozess hat der Versorgungsempfän-ger zunächst darzulegen und ggf. zu be-weisen, dass ein Beherrschungsvertrag be-steht. Darüber hinaus muss er lediglich diebloße Behauptung erheben, die dem Beherr-schungsvertrag eigene Gefahrenlage habesich verwirklicht. Einer bespielhaften Dar-legung von im Konzerninteresse erfolgtenWeisungen bedarf es nicht.

3. Der Arbeitgeber hat dann im Einzelnensubstantiiert und unter Benennung der Be-weismittel nachvollziehbar darzulegen, dasssich die im Beherrschungsvertrag angeleg-te Gefahrenlage nicht verwirklicht oder sei-ne wirtschaftliche Lage nicht in einem fürdie Betriebsrentenanpassung maßgeblichenUmfang verschlechtert hat.

Anmerkung zu BAG, Urteil vom  10.03.2015,3 AZR 739/13von Dr. Uwe Langohr-Plato, RA

A. Problemstellung

Der Ruhegeldsenat des BAG hatte sich im Zu-sammenhang mit der Anpassungsprüfung lau-fender Betriebsrenten nach §  16 BetrAVG mitder Frage zu befassen, ob die Einbindung deszur Anpassungsprüfung verpflichteten Arbeit-gebers in einen Vertragskonzern im Hinblickauf einen bestehenden Beherrschungsvertragallein schon ausreicht, um für die prüfungsrele-vante Frage der wirtschaftlichen Lage des Ver-

sorgungsschuldners auf das herrschende Kon-zernunternehmen abzustellen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger bezieht seit dem 01.04.1999 von derBeklagten eine monatliche Betriebsrente i.H.v.584  DM (= 298,59 Euro). Die wirtschaftlicheSituation der Beklagten hatte sich bereits vorRentenbeginn des Klägers verschlechtert. DieBilanzjahre 1995 und 1996 wurden mit einemnegativen Jahresergebnis in Millionenhöhe ab-geschlossen. Konsequenz waren zunächst einInteressenausgleich und ein zur Kündigung ei-ner Vielzahl von Arbeitsplätzen führender Sozi-alplan sowie – im Jahre 1999 – die vollständigeEinstellung von Produktion und Vertrieb. Seit-dem werden keine Arbeitnehmer mehr beschäf-tigt.

Die Beklagte war in einen Konzern eingebun-den. Innerhalb dieses Konzerns war sie durch-gängig aufgrund von Beherrschungs- und Ge-winnabführungsverträgen mit diversen, im Zeit-ablauf wechselnden, sie beherrschenden Unter-nehmen – zuletzt der G Group AG – verbunden.

Das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätig-keit der Beklagten war in den Jahren 1997 bis2006 durchgängig negativ. 2007 und 2008 er-zielte sie ein Ergebnis der gewöhnlichen Ge-schäftstätigkeit i.H.v. 128.000 Euro bzw. i.H.v.465.000 Euro. Die positiven Jahresergebnisseresultierten im wesentlichen aus der Ergebnis-übernahme von einer Tochtergesellschaft, derG GmbH, aufgrund eines mit dieser bestehen-den Beherrschungs- und Gewinnabführungsver-trags. Dieses Unternehmen wurde im Jahr 2010geschlossen. Im Jahr 2009 war das Ergebnis dergewöhnlichen Geschäftstätigkeit der Beklagtenneuerlich negativ. Im Jahr 2010 beliefen sich dieVerluste der Beklagten auf 2,1 Mio. Euro, undim Jahre 2011 erwirtschaftete sie ein Ergebnisder gewöhnlichen Geschäftstätigkeit i.H.v. mi-nus 111.000 Euro.

Vor diesem Hintergrund hat die Beklagte diezum 01.07.2011 anstehende Anpassungsprü-fung negativ beschieden und dem Kläger ge-genüber eine Anpassung seiner Betriebsren-te verweigert. Hiergegen richtet sich die Leis-tungsklage des Klägers, der unter Hinweis aufden zur G Group AG bestehenden Beherr-schungs- und Gewinnabführungsvertrag den

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vollen Inflationsausgleich seiner Rente bean-sprucht.

Das BAG hat die noch vom LArbG Hamm zu-gesprochene Klage aufgehoben, da die zweit-instanzliche Urteilsbegründung, die im wesent-lichen allein die Existenz des Beherrschungs-vertrages mit der G Group AG als anspruchs-begründend anerkannt hatte, nach Ansicht desBAG gerade nicht ausreicht, um einen auf einenkonzernrechtlichen Haftungsdurchgriff gestütz-ten Anpassungsanspruch auszulösen.

Stelle man allein auf die eigene wirtschaftlicheLage der Beklagten ab, die nach § 16 Abs. 1 Be-trAVG zu berücksichtigen sei, so stünde dieseaufgrund der unstreitigen seit Mitte der 90er-Jahre negativen Entwicklung einer Anpassungder Betriebsrente des Klägers entgegen.

Eine gleichwohl bestehende Anpassungsver-pflichtung könne sich daher allenfalls unter Kon-zernhaftungsaspekten im Hinblick auf den zwi-schen der G Group AG als herrschendem Un-ternehmen und der Beklagten bestehenden Be-herrschungsvertrags ergeben. Insoweit hat dasBAG – unter Aufgabe seiner bisherigen Recht-sprechung – entschieden, dass allein das Beste-hen eines Beherrschungsvertrags für sich ge-nommen noch keinen entsprechenden Berech-nungsdurchgriff rechtfertigt.

Nach § 16 Abs. 1 BetrAVG habe der Arbeitgeberüber die Anpassung der laufenden Leistungennach billigem Ermessen zu entscheiden. DiesePflicht treffe dasjenige Unternehmen, das als Ar-beitgeber die entsprechende Versorgungszusa-ge erteile oder im Wege der Rechtsnachfolgeübernommen habe; auf seine wirtschaftliche La-ge komme es an. Dies gelte auch dann, wennder Arbeitgeber in einen Konzern eingebundensei. Die Konzernverbindung allein ändere we-der etwas an der Selbstständigkeit der betei-ligten juristischen Personen noch an der Tren-nung der jeweiligen Vermögensmassen. Etwasanderes gelte, wenn dem Versorgungsschuld-ner die günstige wirtschaftliche Lage eines an-deren Konzernunternehmens im Wege des Be-rechnungsdurchgriffs zugerechnet werde. DerBerechnungsdurchgriff führe dazu, dass ein Un-ternehmen, das selbst wirtschaftlich nicht zurAnpassung der Betriebsrenten in der Lage sei,gleichwohl eine Anpassung vornehmen müs-se, wenn die wirtschaftliche Lage des anderenKonzernunternehmens dies zulasse (vgl. BAG,

Urt. v. 29.09.2010 - 3 AZR 427/08 - BAGE 135,344 Rn.  31  f.). Er ändere aber nichts an derSchuldnerstellung. Schuldner der Anpassungs-prüfung und -entscheidung nach § 16 BetrAVGbleibe auch beim Berechnungsdurchgriff derVersorgungsschuldner (BAG, Urt. v. 18.03.2014- 3 AZR 899/11 Rn. 46).

Das Bestehen eines Beherrschungsvertragsrechtfertige nicht ohne weiteres einen Berech-nungsdurchgriff. Die sich aus einem Beherr-schungsvertrag ergebende Gefahrenlage fürdie Betriebsrentner rechtfertige dann keinenBerechnungsdurchgriff, wenn sie sich nichtverwirklicht habe. Die gegenteilige Rechtspre-chung des BAG in den Urteilen vom 26.05.2009(3 AZR 369/07 - BAGE 131, 50 Rn. 31) und vom17.06.2014 (3 AZR 298/13 - BetrAV 2014, 667Rn. 80) hat der Ruhegeldsenat aufgegeben.

Die vormalige Rechtsprechung des Ruhegeldse-nats beruhte auf der Überlegung, bei Besteheneines Beherrschungsvertrags werde unwider-leglich vermutet, das herrschende Unterneh-men habe bei der Ausübung der Leitungsmachtauf die Belange des abhängigen Unternehmenskeine angemessene Rücksicht genommen. Dadie Möglichkeit einer fast schrankenlosen Dis-position über die Geschäftspolitik und das Ver-mögen der verbundenen Gesellschaft beste-he, verliere das verbundene Unternehmen um-fassend seine wirtschaftliche Selbstständigkeit.Der Beherrschungsvertrag führe bei wertenderBetrachtung mithin zu einer „Fusion auf Zeit“.

In Rechtsprechung und Literatur ist die Ent-scheidung des Ruhegeldsenats vom 26.05.2009kontrovers diskutiert worden (vgl. etwa OLGFrankfurt, Urt.  v. 26.01.2015 - 16 U 56/14;Schäfer, ZIP 2010, 2025; Preu/Novara, NZA2011, 1263; Roth, EzA BetrAVG §  16 Nr.  55;Diller/Beck, DB 2011, 1052; Cisch/Kruip, NZA2010, 540; Forst/Granetzny, BetrAV 2011, 118).Vor diesem Hintergrund hat der Ruhegeldsenatnach erneuter Überprüfung die Anforderungenan einen Berechnungsdurchgriff beim Beherr-schungsvertrag modifiziert und lehnt nunmehreinen unmittelbar auf § 302 AktG abgeleitetenBerechnungsdurchgriff ausdrücklich ab.

Die Norm stellt nach Ansicht des BAG kei-ne Grundlage für einen ansonsten vorausset-zungslosen Berechnungsdurchgriff auf die wirt-

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schaftliche Lage des herrschenden Unterneh-mens dar.

§  302 AktG, der im GmbH-Konzern entspre-chend gelte, gebe der beherrschten Gesell-schaft lediglich einen Anspruch auf einen Aus-gleich der im Geschäftsjahr entstandenen Ver-luste. Bei der Anpassungsprüfung nach §  16BetrAVG rechtfertige die eigene wirtschaftli-che Lage des Versorgungsschuldners indes eineAblehnung der Betriebsrentenanpassung nichterst dann, wenn dem Unternehmen ein – imVertragskonzern ausgleichsfähiger – Jahresfehl-betrag drohe. Der Versorgungsschuldner kön-ne – unabhängig davon, ob er konzerngebun-den sei oder nicht – eine Anpassung der Be-triebsrenten vielmehr bereits dann verweigern,wenn er entweder keine angemessene Eigen-kapitalverzinsung erzielt habe oder seine Ei-genkapitalausstattung unzureichend sei. Damitseien durchaus Fälle denkbar, in denen eineauf die wirtschaftliche Lage des herrschendenUnternehmens gestützte Betriebsrentenanpas-sung im Ergebnis entweder gar nicht zu einemzum Ausgleich verpflichtenden Jahresfehlbetragoder zumindest nicht zu einem Jahresfehlbe-trag im Umfang der durch die Betriebsren-tenpassung verursachten Mehrbelastung führe.Der Verlustausgleichsanspruch nach § 302 AktGstimme der Höhe nach dann nicht mit den Mehr-aufwendungen überein, die dem Versorgungs-schuldner durch eine Anpassung der Betriebs-renten nach § 16 BetrAVG unter Rückgriff aufdie wirtschaftliche Lage des herrschenden Un-ternehmens entstünden. Ein Gleichlauf von Zu-rechnung und Innenhaftung, der eine Kongru-enz von Umfang der Mehrbelastung und Um-fang der Innenhaftung voraussetze, sei damitnicht gewährleistet. Dieser sei zur Vermeidungvon Nachteilen für den Arbeitgeber beim Be-rechnungsdurchgriff aber grundsätzlich erfor-derlich.

Darüber hinaus begründen die Wertungen der§§  302, 303 AktG auch keine unwiderlegba-re Vermutung einer nachteiligen Einflussnahmedurch die herrschende Gesellschaft auf die be-herrschte Gesellschaft. Eine dahingehende Re-gelung sei in den §§ 302, 303 AktG nicht getrof-fen. Für eine solche Vermutung fehle es daheran einer gesetzlichen Grundlage (so auch OLGFrankfurt, Urt. v. 26.01.2015 - 16 U 56/14; Rolfs/Heikel, NZA 2014, 1161, 1163).

Dies führe jedoch nicht dazu, dass auf einen Be-rechnungsdurchgriff beim Beherrschungsver-trag generell zu verzichten wäre. Ein Beherr-schungsvertrag begründe eine Gefahrenlagefür das durch § 16 Abs. 1 BetrAVG geschützte In-teresse der Versorgungsberechtigten am Wert-erhalt der Betriebsrente; bei Verwirklichungdieser Gefahrenlage erfolge ein Berechnungs-durchgriff auf die wirtschaftliche Lage des herr-schenden Unternehmens.

Arbeitnehmer und Betriebsrentner eines kon-zernverbundenen Unternehmens können be-sonderen Gefahren ausgesetzt sein. Ein wirt-schaftlich vernünftig handelnder, verständigerArbeitgeber bemühe sich im Eigeninteresse dar-um, die Liquidität seines Unternehmens zu er-halten und den Gewinn zu steigern. Diese An-nahme sei jedoch nicht mehr ohne weiteresgerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber von ei-nem anderen konzernverbundenen Unterneh-men mittels eines Beherrschungsvertrags be-herrscht werde. Es könne im Gesamtinteres-se des Konzerns sinnvoll sein, dem beherrsch-ten Unternehmen konzernspezifische Risikenaufzubürden, die über das hinausgehen, wasein unabhängiges Unternehmen am Markt vonWettbewerbern zu erwarten habe. Sich aus die-ser Zielrichtung ergebende Weisungen könnenunmittelbar oder durch ihre Auswirkungen ge-setzliche Rechte wirtschaftlich entwerten. Zudiesen Rechten gehöre auch § 16 BetrAVG.

Im Bereich der betrieblichen Altersversorgungsei von einem gesetzlich anerkannten beson-deren Schutzbedürfnis der Versorgungsberech-tigten auszugehen. Das Betriebsrentengesetzwolle eine Auszehrung der Betriebsrenten ver-meiden. So bestünden die „Belange der Versor-gungsberechtigten“ i.S.d. § 16 Abs. 1 und Abs. 2BetrAVG in der Wiederherstellung des ursprüng-lich vorausgesetzten Verhältnisses von Leistungund Gegenleistung. Dementsprechend sei derfrühere Arbeitgeber als Versorgungsschuldnerverpflichtet, den realen Wert der eingegange-nen Versorgungsverbindlichkeiten zu erhalten,wenn es ihm aufgrund seiner wirtschaftlichenLage zumutbar sei, die sich daraus ergebendenMehrbelastungen zu tragen. Auch § 4 Abs. 3 Be-trAVG in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fas-sung und § 4 Abs. 4 BetrAVG in der seit dem01.01.2005 geltenden Fassung zeigen, dass derGesetzgeber eine schleichende Entwertung derBetriebsrenten sogar bei einer Einstellung der

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Betriebstätigkeit und einer Liquidation des Un-ternehmens verhindern wolle.

Ein Beherrschungsvertrag eröffne grundsätzlichden Weg zum Berechnungsdurchgriff, weil erGefahren für das gesetzlich normierte Schutz-bedürfnis der Versorgungsempfänger eröffne.Nach §  308 Abs.  1 AktG gebe der Beherr-schungsvertrag der herrschenden Gesellschaftdie Möglichkeit, Weisungen auch zum Nachteilder beherrschten Gesellschaft zu erteilen. DasVerbot der Rückgewähr oder der Verzinsungvon Einlagen, wie es in § 57 AktG niedergelegtsei, greife nicht (vgl. §  291 Abs.  3 AktG). ImGmbH-Konzern gelte nichts anderes. Das in § 30Abs.  1 Satz 1 GmbHG enthaltene Verbot derAuszahlung des Stammkapitals entfällt nach§ 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG, wenn ein Beherr-schungsvertrag geschlossen sei. Damit begrün-de ein Beherrschungsvertrag Gefahren für dasdurch § 16 Abs. 1 BetrAVG geschützte Interesseder Versorgungsberechtigten an dem Erhalt desrealen Werts ihrer Versorgungsansprüche. Zwarsei ein die Belange des einzelnen Unterneh-mens im Konzerninteresse beeinträchtigendesVerhalten des herrschenden Unternehmens imVertragskonzern gesellschaftsrechtlich erlaubt;dies könne aber nicht dazu führen, dass dasbetriebsrentenrechtlich geschützte Werterhal-tungsgebot gegenüber den von der wirtschaftli-chen Ertragskraft des einzelnen Unternehmensabhängigen Versorgungsempfängern nachteiligverändert werde.

Ein im Interesse der Versorgungsempfängergebotener Berechnungsdurchgriff auf die wirt-schaftliche Lage des herrschenden Unterneh-mens erfordere allerdings die Verwirklichungder durch den Beherrschungsvertrag begründe-ten Gefahrenlage. Seien Weisungen der herr-schenden Gesellschaft, die das Eigeninteresseder beherrschten Gesellschaft außer Acht las-sen, nicht erteilt worden oder haben erteilteWeisungen nicht dazu geführt, dass sich diewirtschaftliche Lage des Versorgungsschuld-ners in einer Weise verschlechtert habe, dieeine Betriebsrentenanpassung ausschließt, be-stehe kein Grund für einen Berechnungsdurch-griff.

Nicht alle Maßnahmen der Konzernpolitik mitungünstigen Auswirkungen auf die wirtschaftli-che Lage eines abhängigen Unternehmens ge-hören dabei zu den Risiken, deren Verwirkli-chung einen Berechnungsdurchgriff rechtferti-

ge. Der Betriebsrentner solle durch die Kon-zernzugehörigkeit seines vormaligen Arbeitge-bers nicht bessergestellt werden, als er ste-hen würde, wenn dieser konzernunabhängigwäre. Grund für einen Berechnungsdurchgriffkönne daher nicht allein die Fehlerhaftigkeit ei-ner Entscheidung des herrschenden Unterneh-mens sein.

Vor diesem Hintergrund verteilt sich die Darle-gungs- und Beweislast wie folgt:

Die mit dem Beherrschungsvertrag entstande-ne Gefahrenlage stelle eine Ausnahmesituationdar, für die derjenige, der sich darauf beruft, dieDarlegungs- und Beweislast trägt. Es sei daherzunächst Aufgabe des Versorgungsempfängers,das Bestehen eines (im Handelsregister eintra-gungspflichtigen und daher dort nachvollzieh-baren) Beherrschungsvertrags darzulegen.

Darüber hinaus müsse er lediglich darlegen,dass sich die dem Beherrschungsvertrag eige-ne Gefahrenlage verwirklicht habe. Hierfür rei-che die bloße Behauptung einer entsprechen-den Gefahrverwirklichung aus. Einer beispiel-haften Darlegung von im Konzerninteresse er-folgten Weisungen bedürfe es nicht.

Der Arbeitgeber habe dann im Einzelnen nach-vollziehbar darzulegen, dass sich die im Beherr-schungsvertrag angelegte Gefahrenlage nichtverwirklicht habe. Der Arbeitgeber habe dabeiim Einzelnen substantiiert darzulegen, dass sichinfolge der erteilten Weisungen des herrschen-den Unternehmens die Gefahrenlage nicht ver-wirklicht oder seine wirtschaftliche Lage nichtmaßgeblich verschlechtert haben.

Macht der Arbeitgeber geltend, die herrschen-de Gesellschaft habe ihm keine Weisungenerteilt, genüge er seiner Darlegungslast nur,wenn er nachvollziehbar erläutere, aus welchenGründen der Beherrschungsvertrag geschlos-sen wurde, wie dieser in der Praxis gelebt wur-de und welche wirtschaftlichen Auswirkungener hatte.

Trägt der Arbeitgeber nichts vor, lässt er sichnicht substantiiert ein oder ist sein Sachvortragnicht nachvollziehbar, so gelte die Behauptungdes Versorgungsempfängers, die durch den Be-herrschungsvertrag geschaffene Gefahrenlagehabe sich verwirklicht, nach § 138 Abs. 3 ZPO alszugestanden. Damit stünde fest, dass die Ent-

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scheidung des Arbeitgebers, die Betriebsrentenicht anzupassen, nicht billigem Ermessen ent-spricht.

C. Kontext der Entscheidung

Mit seiner aktuellen Entscheidung hat das BAGseine Überarbeitung der Haftungsgrundsätzeim Konzern mehr oder weniger abgeschlossen.Anfang 2013 hat der Ruhegeldsenat beim quali-fiziert faktischen Konzern die insoweit geänder-te Rechtsprechung des BGH übernommen undeinen Haftungsdurchgriff in dieser Fallkonstella-tion von einer vorsätzlich sittenwidrigen Schä-digung i.S.v. § 826 BGB durch das herrschendeUnternehmen abhängig gemacht (BAG, Urt. v.15.01.2013 - 3 AZR 638/10 - NZA 2014, 87;Langohr-Plato, jurisPR-ArbR 24/2013 Anm.  6).In seiner Entscheidung vom 17.06.2014 (3 AZR298/13 - BetrAV 2014, 667; Langohr-Plato, juris-PR-ArbR 44/2014 Anm. 5) hatte das BAG zwarnoch für den Fall des Beherrschungsvertragesallein dessen Existenz als allein haftungsbe-gründendes Element ausreichen lassen und nurfür den bloßen Gewinnabführungsvertrag einedifferenzierte Betrachtung für erforderlich ge-halten, bei der auf die wirtschaftliche Situati-on des Versorgungsschuldners vor Gewinnab-führung abzustellen sei. Mit der nunmehr vorlie-genden Rechtsprechungsänderung (auch) zumBeherrschungsvertrag ist somit die Konzernhaf-tungsthematik innerhalb von knapp zwei Jahrenvollständig auf neue Grundlagen gestellt wor-den.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Rechtsprechungsänderung zum Beherr-schungsvertrag führt zu einer Haftungserleich-terung für beherrschte Unternehmen. Diesekonnten sich aufgrund der bislang geltendenunwiderlegbaren Vermutung eines haftungsre-levanten Verhaltens des herrschenden Unter-nehmens im Rahmen der Anpassungsprüfungs-pflicht nach § 16 BetrAVG generell nicht einerAnpassungspflicht entziehen. Da das BAG nun-mehr nur noch von einer widerlegbaren Ver-mutung ausgeht, hat das beherrschte Unter-nehmen die Möglichkeit, durch entsprechendenSachvortrag darzulegen, dass die Beherrschungkeinen negativen Einfluss auf seine wirtschaft-liche Lage hatte und diese wirtschaftliche Lageauch ohne die Beherrschung so eingetreten wä-re.

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Einstweilige Verfügung auf tatsächlicheWeiterbeschäftigung nach Freistellung?

Leitsätze:

1. Der erforderliche Verfügungsgrund für ei-ne einstweilige Verfügung, die auf Beschäf-tigung gerichtet ist, besteht nur dann, wennder Verfügungskläger besonderes Beschäf-tigungsinteresse geltend machen kann. DerUntergang des Beschäftigungsanspruchsdurch Zeitablauf genügt nicht.

2. Das Erfordernis eines besonderen Be-schäftigungsinteresses entfällt, falls dieRechtslage eindeutig ist und der Beschäf-tigungsanspruch unzweifelhaft besteht. Istdie Rechtslage schwierig und ungeklärt, sinddie Anforderungen an den Verfügungsgrundnicht abzuschwächen.

3. Eine AGB-Klausel, die ein Freistellungs-recht des Arbeitgebers nach dem Aussprucheiner Kündigung für die Dauer der Kündi-gungsfrist vorsieht, ist jedenfalls dann nichtoffensichtlich unwirksam, wenn es sich beidem freigestellten Arbeitnehmer um einenMitarbeiter in leitender herausgehobenerStellung handelt (hier: Chefarzt). In diesemFall kann eine auf Beschäftigung gerichteteeinstweilige Verfügung nur ergehen, sofernein besonderes Beschäftigungsinteresse be-steht.

4. Die Freistellung darf nur nach billigem Er-messen (§  106 Satz 1 GewO, §  315 Abs.  1BGB) erfolgen. Die Freistellung setzt zu-dem voraus, dass eine zuvor ausgesproche-ne Kündigung des Arbeitgebers nicht offen-sichtlich unwirksam ist (§  162 Abs.  2 BGBanalog).

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A. Problemstellung

„Arbeit macht das Leben süß, Faulheit stärktdie Glieder“ (so der Volksmund). Andererseits:„Faulheit ist aller Laster Anfang“ (Bertolt Brecht,

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Die Sieben Todsünden der Kleinbürger, GBFA,Bd. 4, S. 269). Angesichts des Wortlautes von§ 611 Abs. 1 BGB, der von einer Verpflichtungzur Erbringung der versprochenen Dienstleis-tung spricht, angesichts des Säulencharaktersdes Grundsatzes „pacta sunt servanda“ für un-sere Rechtsordnung, bin ich immer wieder er-staunt darüber, wie oft sich Gerichte mit derFrage auseinandersetzen müssen, ob der sichverpflichtet habende Arbeitnehmer auch tat-sächlich tun darf – nicht muss –, was er soll,nämlich arbeiten. Die Bereitschaft der Arbeit-geber, auf die Gegenleistung für ihre Vergü-tungszahlung zu verzichten, hält sich zwar inzeitlichen Grenzen, denn üblicherweise, so auchhier, erfolgen Freistellung von Arbeitsleistungenvor allem während einer ablaufenden, insbe-sondere längeren ordentlichen Kündigungsfrist.So wie in der besprochenen Entscheidung derZeitraum zwischen Kündigungsausspruch ge-genüber der klagenden Chefärztin eines kirchli-chen Krankenhauses und dem Ablauf der Kün-digungsfrist im vorliegenden Falle mehr als sie-ben Monate betrug, geht es in der arbeitsrecht-lichen Praxis nicht selten um erhebliche Zeiträu-me.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Das LArbG Hamm hatte sich im einstweiligenVerfügungsverfahren mit der vom Arbeitsge-richt bejahten Frage zu befassen, ob die gekün-digte und anschließend sofort freigestellte Chef-ärztin durch den Antrag auf Erlass einer einst-weiligen Verfügung bis zum Ablauf der Kündi-gungsfrist ihren Anspruch auf tatsächliche Be-schäftigung nach Maßgabe des zwischen denParteien bestehenden Arbeitsvertrages durch-setzen könne. Dies geschah vor dem vertrag-lichen Hintergrund, dass eine pauschale Rege-lung im Chefarzt-Dienstvertrag den Arbeitgeberberechtigte, „den Arzt unter Fortzahlung der Be-züge und unter Anrechnung etwaiger restlicherUrlaubsansprüche von der Arbeit freizustellen.“

Während das Arbeitsgericht den von der Kläge-rin geltend gemachten, tatsächlichen Beschäf-tigungsanspruch während der laufenden Kündi-gungsfrist mit der Begründung ernstgenommenhatte, denn es bestehe die Gefahr, dass die Klä-gerin, die als Chefärztin der Klinik für Neuro-chirurgie tätig war, bei einer Freistellungsperi-ode von mehr als sieben Monaten die „alltäg-liche Routine bei der Vornahme der Operatio-nen verliere“, außerdem liege in der Freistel-

lung jedenfalls in der Außenwirkung der Effekteiner fristlosen Kündigung, was „einen nicht un-erheblichen Verlust an Reputation“ beinhalte-te und zudem die Freistellung letztlich auch da-zu führe, dass die Klägerin die ihr gestatteteprivate Behandlung von Patienten nicht durch-führen könne, lehnte das LArbG Hamm die-se Argumente als nicht schwergewichtig genugab. Denn ein tatsächlicher Beschäftigungsan-spruch während einer laufenden Kündigungs-frist könne in der Regel nur dann im einstweili-gen Verfügungsverfahren durchgesetzt werden,wenn „ein besonderes Beschäftigungsinteres-se“ vorgetragen und glaubhaft gemacht werde.Der Untergang des Beschäftigungsanspruchsdurch Zeitablauf genüge demgegenüber nicht.So die apodiktische Aussage des Landesarbeits-gerichts.

C. Kontext der Entscheidung

Die hier besprochene Entscheidung ist gerade-zu paradigmatisch für den weit verbreiteten ar-beitsgerichtlichen Umgang mit dem Recht auftatsächliche Beschäftigung während eines be-stehenden Arbeitsverhältnisses, insbesondereim Falle einer Freistellung als Folge einer or-dentlichen, fristgerechten Kündigung des Ar-beitsverhältnisses. Wohl gemerkt, es geht hiernicht um den Weiterbeschäftigungsanspruch ei-nes gekündigten Arbeitnehmers nach Ablaufder Kündigungsfrist während eines Kündigungs-schutzprozesses. Nein, es geht schlicht undergreifend darum, dass die Erfüllung einesnicht nur bestandsgeschützten, sondern auchnoch bestehenden, wenn auch auslaufenden Ar-beitsverhältnisses vom Arbeitgeber verweigertwird. Nun ist allerdings zutreffend, dass keines-wegs jede, besser formuliert kaum eine „nor-male“, insbesondere finanzielle arbeitsvertrag-liche Verletzung mit einer einstweiligen Ver-fügung angegriffen werden kann. Die Hürden,die die §§ 935  ff. ZPO auch für das arbeitsge-richtliche Verfahren aufrichten, sind hoch. Den-noch überrascht es immer wieder, mit welcherLeichtigkeit die zur Entscheidung über einst-weilige Verfügungen ausschließlich berufenenTatsachengerichte beider Instanzen die Beson-derheiten des Beschäftigungsanspruchs im Ar-beitsverhältnis übergehen. Paradigmatisch da-für ist, das in dem besprochenen Urteil dasGrundgesetz nicht ein einziges Mal Erwähnungfindet, obwohl es doch gerade dieses das ge-samte soziale Leben prägende Verfassungssys-tem ist, dem der so genannte arbeitsrecht-

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liche Beschäftigungsanspruch seine Existenzverdankt. Diese Genese des Beschäftigungsan-spruchs scheint völlig in Vergessenheit gera-ten. Es sei deshalb daran erinnert, dass, be-ginnend mit der grundlegenden Entscheidungdes BAG vom 10.11.1955 (2 AZR 591/54 - APNr 2 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) undnachfolgend bestätigt durch die ständige Recht-sprechung des Gerichts, der Arbeitnehmer des-halb einen Anspruch darauf hat, im Rahmenseines Arbeitsvertrages beschäftigt zu werden,weil die Arbeit, wie sie auch immer im Einzelnengestaltet sein mag, eine wesentliche Ausprä-gung der gesellschaftlichen Stellung des Men-schen ist. Sie macht einen Großteil seiner Iden-tität aus und genießt deshalb den besonde-ren verfassungsrechtlichen Schutz seiner Per-sönlichkeit gemäß den Art. 1, 2 GG. Eine Frei-stellung von der Arbeit, so das BAG in allerEindeutigkeit, ist gegen den Arbeitnehmerwil-len nur in Ausnahmefällen zulässig. Zwar hatdas BAG im Rahmen seiner Beschäftigungs-rechtsprechung auch darauf hingewiesen, dasswährend des Laufs einer Kündigungsfrist häu-fig keine nennenswerten Beschäftigungsinter-essen des Arbeitnehmers bestehen. Denn nichtselten empfänden die betroffenen Arbeitneh-mer eine Freistellung in dieser Zeit als vorteil-haft, weil ihnen der Wechsel des Arbeitsplat-zes dadurch wesentlich erleichtert wird (BAG,Urt. v. 19.08.1976 - 3 AZR 173/75 - BAGE 28,168 Rn. 25). Dem ist sicherlich für eine Vielzahlvon Fällen zuzustimmen, in denen es auch imInteresse des Arbeitnehmers liegt, die psycholo-gischen Belastungen und konkreten Tätigkeits-auswirkungen infolge einer ausgesprochenenKündigung während der Kündigungsfrist durchFreistellung zu vermeiden. Aber das ist eben nurein Teil der Wirklichkeit. All zu leicht wird vonsei-ten der Arbeitsgerichte dieser Befund auch fürdie Fälle unkritisch übernommen, in denen dasgenaue Gegenteil durch die Beantragung ei-ner einstweiligen Verfügung dokumentiert wird,nämlich der Wunsch eines Arbeitnehmers, trotzeiner Kündigung, trotz der bestehenden Belas-tungen und Auswirkungen, weiter arbeiten zudürfen. Nicht selten drängt sich dann für denfachkundigen Beobachter und Prozessvertreterder Eindruck auf, ein freigestellter Arbeitneh-mer solle sich doch „nicht so haben“, viele an-dere an seiner Stelle wären froh, nicht arbei-ten zu müssen. Anders ist es meines Erachtensnicht zu verstehen, dass viele Tatsachengerich-te, wie hier das LArbG Hamm, der Auffassungsind, die zur Vermeidung von Missbrauch von

einstweiligen Verfügungen normalerweise völ-lig ausreichenden Mechanismen der §§ 935  ff.ZPO müssten dadurch verschärft werden, dassneben allem anderen auch noch „ein besonde-res Beschäftigungsinteresse geltend“ gemachtwerden müsse. Obwohl § 940 ZPO insbesonde-re „dauernde Rechtsverhältnisse“ zum Gegen-stand hat, obwohl ein „wesentlicherer“ Nachteilwohl kaum denkbar ist, als der völlige Unter-gang eines Rechts, hier des Rechts auf zeitbe-zogene Beschäftigung, postulieren die Arbeits-gerichte weiterhin unverdrossen: „Der Unter-gang des Beschäftigungsanspruchs durch Zeit-ablauf genügt nicht.“ Begründet wird das mitder Behauptung, die besondere Hürde sei des-halb erforderlich, weil der zur Weiterbeschäfti-gung verurteilte Arbeitgeber wegen des späte-ren Zeitablaufs nicht die Möglichkeit habe, imHauptsacheverfahren die vollzogene einstweili-ge Verfügung rückgängig zu machen.

Nicht einmal ansatzweise vermag diese Über-legung zu überzeugen: Zum einen vernachläs-sigt sie die sich aufdrängende wirtschaftlicheÜberlegung, dass der Arbeitgeber für die auchwährend der Freistellung gezahlte Vergütungnichts, demgegenüber bei Erlass einer Beschäf-tigungsverfügung die arbeitsvertragliche Leis-tung erhält. Von daher besteht ein wirtschaftli-ches Äquivalent, das keinen Raum für eine spä-tere Rückgängigmachung lässt. Der emotiona-le Aspekt einer gegen den Willen des Arbeit-gebers durchgesetzten Beschäftigung kann, so-wie ansonsten in der Rechtsordnung auch, nichtkompensiert oder rückgängig gemacht werden;denn Gefühle jeglicher Art und Güte sind nuneinmal nicht justitiabel, und das ist auch gutso. Zwar gilt auch umgekehrt, dass der Arbeit-nehmer seinen Beschäftigungsanspruch nichtmit der emotionalen Seite des Ausspruchs ei-ner Kündigung begründen kann, dennoch ver-kennt das Urteil des LArbG Hamm grundlegend,dass mit einer Freistellung in der Wahrnehmungnicht nur der allgemeinen, sondern in der Regelauch der betrieblichen Öffentlichkeit, ein Un-werturteil verbunden ist, das dem Makel eineraußerordentlichen, fristlosen Kündigung, jeden-falls faktisch, nahekommt. Denn für einen Au-ßenstehenden ist es in der Regel nicht möglich,die Gründe für ein plötzliches Fehlen des Ar-beitnehmers am Arbeitsplatz, sozusagen von ei-ner Stunde auf die andere, richtig nachzuvollzie-hen. Im Übrigen ist es merkwürdig, dass einer-seits das Zeitablaufargument zugunsten des Ar-beitnehmers keine Anwendung finden soll, bei

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der Betrachtung der Arbeitgeberseite jedoch ei-ne, ja die entscheidende Rolle spielt. Eine sach-liche Rechtfertigung für diese Disparität lässtsich nicht finden. Und schließlich verkennt die18. Kammer des LArbG Hamm, dass die rechtli-che Qualität und Fundierung der unterschiedli-chen Schutzebenen gegeneinander abgewogenwerden müssen. Da diese Abwägung unterblie-ben ist, blieb auch unberücksichtigt, dass nurauf der Seite des Arbeitnehmers ein unmittelba-rer grundrechtlicher Rechtebestand vorhandenist.

Ich verkenne keineswegs, dass bei der gericht-lichen Durchsetzung eines arbeitnehmerseiti-gen Beschäftigungsanspruchs auch die Belan-ge des Arbeitgebers und seiner Rechtssphärenin hinreichendem Maße Berücksichtigung fin-den müssen. Es ist keine Frage, dass Fallkon-stellationen denkbar sind, in denen entwederaus der Person des gekündigten Arbeitnehmersoder aus seinem Verhalten eine Freistellungnicht nur eine sinnvolle Reaktion des Arbeit-gebers auf eine das Arbeitsverhältnis trübendeKonstellation ist, sondern sogar zwingend ge-boten ist, um die eigenen berechtigten Interes-sen zu schützen. Der besprochene Fall bietetjedoch keinen Anlass, im einzelnen diese Fall-konstellationen allgemein und abstrakt zu be-nennen und abzugrenzen; denn der Arbeitgeberhatte zur Begründung seiner Freistellungsent-scheidung lediglich darauf verwiesen, bei demAusspruch der Kündigung hätten „erheblicheSpannungen, die jedenfalls auch auf das Ver-halten der Verfügungsklägerin zurückzuführenwaren“ bestanden, außerdem sei das Verhält-nis zur Geschäftsführung „belastet“ gewesen.Nun gibt es in der betrieblichen Praxis – immer-hin geht es um das Verhältnis von Menschenzueinander – recht häufig Konstellationen, diegenau mit den Attributen beschrieben werdenkönnen, die hier als Begründung für die Frei-stellung herangezogen wurden. Auch unter Be-rücksichtigung der Tatsache, dass es sich beider klagenden Chefärztin um eine fachlich be-sonders herausragende Führungskraft ging, er-schließt sich mir nicht, dass die vom Landes-arbeitsgericht für ausschlaggebend erachtetenPhänomene ein solches Gewicht haben könn-ten, um die Interessen des Arbeitgebers gegendie grundrechtlich geschützte Position der Ar-beitnehmerin im Sinne eines Überwiegens insFeld zu führen.

Das Erfordernis des Überwiegens stützt sich auffolgende Erwägungen: Von den Ausnahmen des§ 14 KSchG abgesehen, die hier offensichtlichnicht gegeben waren, ist das KSchG ein Be-standsschutzgesetz. Deshalb haben arbeitge-berseitige Auflösungsanträge unter Berücksich-tigung des Grundrechts aus Art. 12 GG zu Rechtsehr hohe Hürden zu überwinden (vgl. dazugrundlegend BVerfG, Beschl. v. 22.10.2004 - 1BvR 1944/01). Hinzu kommt, dass ein bestehen-des Arbeitsverhältnis höheren Bestandschutzbeinhaltet, der sich auch in der einzuhaltendenKündigungsfrist ausdrückt, es sei denn, es lä-gen Gründe i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB vor. Es müs-sen deshalb für die Freistellung Gründe gege-ben sein, die im Regelfall über die Anforderun-gen an eine ordentliche Kündigung deutlich hin-ausgehen und zumindest das Gewicht dessenerreichen, was § 9 Abs. 1 KSchG verlangt. Ent-weder die Kündigungsgründe sind so gewich-tig, dass sie die Anforderungen für eine außer-ordentliche, fristlose Kündigung erfüllen, dannbedarf es einer Freistellung nicht, oder aber derArbeitgeber geht – wie hier – den Weg der or-dentlichen Kündigung. Dann gibt er aber gleich-zeitig auch zu erkennen, dass ihm „unter Be-rücksichtigung aller Umstände des Einzelfallesund unter Abwägung der Interessen beider Ver-tragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnis-ses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist“, geradedoch noch zugemutet werden kann. Dabei ver-stehe ich unter „Fortsetzung des Dienstverhält-nisses“ eben nicht nur die Erfüllung der Vergü-tungsansprüche, sondern die Durchführung desVertragsverhältnisses im Ganzen, einschließlichder Beschäftigung. Dass während eines laufen-den Kündigungsrechtsstreites zusätzliche Grün-de entstehen können, die in der Gesamtbewer-tung dafür streiten, dass eine so schwere Be-einträchtigung der Interessen des Arbeitgebersentsteht, dass eine Freistellung gerechtfertigtist, ist für mich dabei selbstverständlich.

D. Auswirkungen für die Praxis

Auch wenn die besprochene Entscheidung einebesondere, herausgehobene und auch von denarbeitsvertraglichen Tätigkeitsbedingungen herspezifische Position betrifft, repräsentiert dieseRechtsprechung geradezu in klassischer Weisedie Schwierigkeit, den Beschäftigungsansprucheines Arbeitnehmers während einer auslaufen-den Kündigungsfrist tatsächlich durchzusetzen.Die Hürden, die von der Rechtsprechung aus

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Gründen, die leider im Dunkeln bleiben undüber die ich hier nicht spekulieren will, aufge-richtet werden, sind in der Regel so hoch, dassdie Erfolgsaussichten für die Arbeitnehmersei-te im Grunde nur dann bejaht werden können,wenn der vom Landesarbeitsgericht formulierte„Ausnahmesachverhalt“ vorliegt, nämlich eineoffensichtlich unwirksame Kündigung. Das mitdiesem unbestimmten Rechtsbegriff erheblicheWertungsspielräume verbunden sind, ist seiner-seits offensichtlich. Das Problem besteht letzt-lich darin, dass es hier um einen Sachverhaltgeht, der in extremer Weise zeitgebunden ist.Gerade das sollte allerdings die Tatsachenge-richte der Arbeitsgerichtsbarkeit dafür sensibili-sieren, dass dem Grundrechtsschutz des nichtbeschäftigten Arbeitnehmers ein deutlich höhe-res Gewicht zukommt als den üblicherweise vonder Arbeitgeberseite ins Feld geführten Interes-sen. Dafür ist der hier besprochene Fall ein gu-tes Beispiel. Die vorgetragenen Gründe sind imGrunde keine anderen als die, die für die Kündi-gung herangezogen wurden. Das Pech für die soim Regelfall unterliegenden Arbeitnehmer be-steht darin, dass sie – jedenfalls realistisch ge-sehen – keine Chance haben, ihr verfassungs-rechtliches Heil beim BVerfG suchen zu können,denn Kündigungsfristen, die so lang sind, dassRechtsschutz gefunden werden könnte, gibt esnicht.

So bleibt dem Rezensenten nur die Hoffnung,dass die Arbeitsgerichtsbarkeit aus sich herausihre restriktive Rechtsprechung kritisch über-denkt. Dass das BAG bei dieser Rechtsprechungnach § 72 Abs. 4 ArbGG außen vor bleiben muss,sollte kein Freibrief sein.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Ent-scheidung

Das LArbG Hamm folgt weder der von mir schonin NZA 2004, 233 aufgestellten These, dass ge-nerelle Freistellungsklauseln im Rahmen vonallgemeinen Geschäftsbedingungen in Arbeits-verträgen aus den oben bereits angeführtengrundrechtlichen Erwägungen einer Prüfung an§  307 Abs.  1 Satz 1 BGB nicht standhalten,noch stimmt es den gegenteiligen Meinungenoder differenzierenden Lösungen zu. Es ver-sucht, sich elegant aus der Affäre zu ziehen, in-dem es sich auf die letztlich nichtssagende Po-sition zurückzieht, es spreche „freilich einigesdafür“, dass eine arbeitsvertraglich vereinbar-te Freistellungsklausel im Kündigungsfalle bei

Arbeitnehmern „in leitender herausgehobenerStellung“ wirksam sei. Ich vermag dem nicht zufolgen. § 14 KSchG ist der Maßstab, der alleineine Differenzierung rechtfertigt. Der Begriff„leitende herausgehobene Stellung“ erscheintmir nicht geeignet, um eine Relativierung ver-fassungsrechtlicher Positionen zu rechtfertigen,ganz abgesehen von den sich aufdrängendenFragen der jeweiligen Abgrenzung. Wenn die18. Kammer des LArbG Hamm meint, die „prak-tische Erfahrung“ zeige, dass ein Arbeitsverhält-nis nach dem Ausspruch einer Kündigung häu-fig belastet sei, dann mag das zutreffen. Abge-sehen davon, dass diese Belastung durch dendie Kündigung aussprechenden Arbeitgeber je-denfalls maßgeblich mitverursacht wird, zeigtder eine einstweilige Verfügung beantragendeArbeitnehmer in einer an Deutlichkeit nicht zuübertreffenden Weise, dass er bereit und fä-hig ist, trotz dieser Belastung seiner vertrag-lichen Aufgaben zu erfüllen. Ich vermag nichtzu sehen, dass die Kündigungsfrist dazu da ist,den Arbeitnehmer in seiner beruflichen Tätig-keit „aufs Trockene“ zu setzen, um ihn so der„Todsünde“ der Faulheit und des Müßiggangsauszusetzen.

3

Wartezeit und Anrechnung vonVorbeschäftigungszeiten alsLeiharbeitnehmer

Leitsatz:

Zeiten, während derer ein Leiharbeitnehmerin den Betrieb des Entleihers eingegliedertwar, sind in einem späteren Arbeitsverhält-nis zwischen ihm und dem Entleiher regel-mäßig nicht auf die Wartezeit des § 1 Abs. 1KSchG anzurechnen.

Anmerkung zu BAG, Urteil vom  20.02.2014,2 AZR 859/11von Dr. André Zimmermann, RA und FA für Ar-beitsrecht, King & Wood Mallesons LLP, Frankfurtam Main / Kerstin Ringling, WissenschaftlicheMitarbeiterin

A. Problemstellung

Kündigungsschutz nach dem Kündigungs-schutzgesetz setzt voraus, dass das Arbeitsver-hältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen

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ohne Unterbrechung länger als sechs Monatebestanden hat (§  1 Abs.  1 KSchG). Sinn undZweck der Wartezeit ist, den Arbeitnehmer zuerproben.

Ob der Erprobungszweck auch bei einer Tätig-keit als Leiharbeitnehmer erreicht wird und da-mit frühere Beschäftigungszeiten als Leiharbeit-nehmer bei der Wartezeit zu berücksichtigensind, hatte der Zweite Senat des BAG zu ent-scheiden. Ein weiterer Schwerpunkt der Ent-scheidung ist die sehr praxisrelevante Frage, obund ggf. unter welchen Voraussetzungen einekonkludente Vereinbarung über die Anrechnungvon Vorbeschäftigungszeiten als Leiharbeitneh-mer angenommen werden kann.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einerordentlichen Kündigung.

Der Beklagte ist der Insolvenzverwalter überdas Vermögen der Schlecker XL GmbH (nach-folgend: Schlecker XL). Schlecker XL betriebbundesweit mehrere Drogeriemärkte und warrechtlich verflochten mit dem Unternehmen An-ton Schlecker e.K. (nachfolgend: Anton Schle-cker), das ebenfalls insolvent ist.

Die 1955 geborene Klägerin war seit 1997bei Anton Schlecker angestellt. Der Drogerie-markt, in dem die Klägerin tätig war, wurde zum31.10.2009 geschlossen. Am 02.11.2009 eröff-nete Schlecker XL auf der gegenüberliegendenStraßenseite einen neuen „XL“-Markt.

Im Oktober 2009 schloss die Klägerin – auf Be-treiben von Anton Schlecker – mit Anton Schle-cker einen Aufhebungsvertrag zum 31.10.2009.Mit Wirkung zum 01.11.2009 begründete sieein Arbeitsverhältnis mit der M.-GmbH (nach-folgend: M.), die als Verleiher im Sinne desAÜG tätig ist und ebenfalls zur Schlecker-Grup-pe gehörte. Eine Probezeit wurde nicht verein-bart. Etwaiger Resturlaub sollte nach dem Auf-hebungsvertrag „mit zu XL genommen“ wer-den. M. überließ die Klägerin Schlecker XL undsetzte die Klägerin in dem neuen „XL“-Marktein.

Nach rund drei Monaten schloss die Klägerin mitM. mit Wirkung zum 31.10.2010 einen Aufhe-bungsvertrag und mit Schlecker XL einen neu-en Arbeitsvertrag ab 01.02.2010, wobei sie wei-

terhin in demselben Drogeriemarkt tätig war.Eine Probezeit wurde wiederum nicht verein-bart. Schlecker XL kündigte Anfang Juli 2010und damit rund fünf Monate nach Anstellungs-beginn das Arbeitsverhältnis. Schlecker XL be-rief sich auf fehlenden Kündigungsschutz we-gen Nichterfüllung der Wartezeit; Kündigungs-gründe machte Schlecker XL nicht geltend. DieKlägerin erhob Kündigungsschutzklage. Sie ar-gumentierte, das vorangegangene Leiharbeits-verhältnis mit M. müsse für die Berechnung derWartezeit des §  1 Abs.  1 KSchG berücksich-tigt werden. Sie machte weiter geltend, das Ar-beitsverhältnis mit Schlecker XL habe bereitsab dem 02.11.2009 bestanden, da ein Betriebs-übergang nach § 613a BGB vorgelegen habe.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.Das BAG hat die Sache zurückverwiesen.

Der Senat betont, dass bei nahtlosem Anschlusseines neuen Arbeitsverhältnisses an ein vor-angegangenes mit denselben Arbeitsvertrags-parteien ein ununterbrochenes Arbeitsverhält-nis i.S.d. §  1 Abs.  1 KSchG vorliegt. Auch beieiner zeitlichen Zäsur solle das noch der Fallsein, sofern ein enger zeitlicher Zusammenhangbestehe und die Unterbrechung verhältnismä-ßig kurz sei. Sei der Arbeitnehmer hingegenals Leiharbeitnehmer in dem Betrieb des Entlei-hers tätig und schließe sich daran ein Arbeits-verhältnis zwischen diesen Parteien an, so fin-de die Vorbeschäftigungszeit als Leiharbeitneh-mer grundsätzlich keine Berücksichtigung beider Berechnung der Wartezeit. Daran ändereauch der Umstand nichts, dass der Arbeitneh-mer schon als Leiharbeitnehmer im selben Be-trieb eingesetzt wurde.

Das ergebe sich schon aus dem Gesetzeswort-laut des § 1 Abs. 1 KSchG, der gerade nicht aneine tatsächliche Beschäftigung in Betrieb oderUnternehmen anknüpfe, sondern an den unun-terbrochenen Bestand eines Arbeitsverhältnis-ses. Ferner sprechen aus Sicht des Zweiten Se-nats Sinn und Zweck der Wartezeit für diesesErgebnis. Der Entleiher nehme zwar zum TeilArbeitgeberpflichten wahr. Er habe aber keineEinsicht in die Erfüllung der Mitwirkungs- undNebenpflichten des Arbeitnehmers mit Blick aufLohnzahlung, Entgeltfortzahlung und Krankheit.Aufgrund dieser Unkenntnis sei eine ausrei-chende Erprobung nicht möglich.

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Auch könne für die Fälle der Drehtürklausel des§ 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 4 AÜG nichts anderes gel-ten. Der Regelung könne nicht entnommen wer-den, ob Vorbeschäftigungszeiten als Leiharbeit-nehmer auf die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchGanzurechnen sind. Hätte der Gesetzgeber eineAnrechnung der Beschäftigungszeit des Leihar-beitsnehmers gewollt, der sodann vom Entlei-her eingestellt wird, so hätte es eines klarenHinweises bedurft. Mithin könne nicht von ei-ner Anrechnung ausgegangen werden. Selbstim Falle des rechtsmissbräuchlichen Verhal-tens durch das Zwischenschalten des Leihar-beitsverhältnisses könne kein Arbeitsverhältnisentstehen, sondern allenfalls Leistungspflichtendes Entleihers begründet werden. Auch ein Be-triebsübergang i.S.d. §  613a BGB liege nichtvor, da das eine Fortführung der wirtschaftli-chen Einheit unter Wahrung der Identität durchden neuen Rechtsträger voraussetze. Es wur-den aber weder dieselben Räume bezogen nochwurden sächliche Betriebsmittel übernommen,so dass gerade keine wirtschaftliche Einheit vor-liege.

Das Landesarbeitsgericht hatte aber überse-hen zu prüfen, ob nicht eine konkludente Ver-ständigung auf eine Anrechnung der erbrach-ten Beschäftigungszeiten vorlag. Ein in Betrachtkommender Rechtsmissbrauch wurde ebenfallsnicht berücksichtigt, so dass die Sache an dasLandesarbeitsgericht zurückverwiesen wurde.

C. Kontext der Entscheidung

Das BAG bestätigt mit seiner Entscheidungdie Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte(LArbG Mainz, Urt. v. 14.05.2013 - 6 Sa 552/12;LArbG Mainz, Urt. v. 18.05.2011 - 8 Sa 137/11;LArbG Mainz, Urt. v. 27.11.2008 - 10 Sa 486/08;LArbG Hannover, Urt.  v. 05.04.2013 - 12 Sa50/13; LArbG Köln, Urt.  v. 29.05.2009 - 4 Sa1096/08). Bei Arbeitnehmerüberlassung mit Er-laubnis steht der Leiharbeitnehmer nur in ei-nem Arbeitsverhältnis mit dem Verleiher. Über-nimmt der Entleiher den Leiharbeiter, so wirddie Zeit der Beschäftigung als Leiharbeitnehmernicht bei der Wartezeit berücksichtigt, wennnichts anderes vereinbart wird. Es handelt sichum zwei aufeinanderfolgende Arbeitsverhältnis-se mit verschiedenen Arbeitgebern, nicht umein einheitliches Arbeitsverhältnis. Etwas ande-res gilt auch nicht, wenn Verleiher und Entleiherdemselben Konzern angehören, da das Kündi-

gungsschutzgesetz nicht konzernbezogen, son-dern betriebs- und allenfalls unternehmensbe-zogen ist.

Diese formale Betrachtungsweise des Senatssteht im Einklang mit der Rechtsprechung desBAG zu § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG. Auch beim Vor-beschäftigungsverbot lässt das Gericht eine Tä-tigkeit als Leiharbeitnehmer grundsätzlich nichtausreichen, auch nicht bei Konzerngestaltun-gen (BAG, Urt. v. 15.05.2013 - 7 AZR 525/11).

Für die Wählbarkeit zum Betriebsrat ist der Sieb-te Senat im Oktober 2012 zu einem anderen Er-gebnis gekommen (BAG, Beschl. v. 10.10.2012- 7 ABR 53/11). Eine unmittelbar vor Begrün-dung des Arbeitsverhältnisses erfolgte Tätigkeitals Leiharbeitnehmer sei anzurechnen auf dievon § 8 Abs. 1 Satz 1 BetrVG geforderte sechs-monatige Betriebsangehörigkeit, wenn der Ar-beitnehmer im unmittelbaren Anschluss an dieÜberlassung ein Arbeitsverhältnis mit dem Ent-leiher begründet. Für dieses Ergebnis sprecheSinn und Zweck der Norm. Durch die sechs-monatige Betriebszugehörigkeit solle gewähr-leistet werden, dass ein potentielles Betriebs-ratsmitglied den erforderlichen Überblick überdie Verhältnisse im Betrieb hat, um sein Amtsachgerecht auszuüben. Für den Erwerb dieserKenntnisse sei aber unerheblich, ob der Arbeit-nehmer unmittelbar mit dem Betriebsinhabervertraglich verbunden sei. Das entsprach schonbisher der herrschenden Meinung im Schrifttum(vgl. z.B. Fitting, BetrVG, 27.  Aufl. 2014, §  8Rn.  38; Schüren/Schüren, AÜG, 4.  Aufl. 2010,§ 10 Rn. 69; Koch in: ErfKomm, 15. Aufl. 2015,§ 8 BetrVG Rn. 3).

D. Auswirkungen für die Praxis

Der Zweite Senat des BAG folgt der ganz herr-schenden Meinung in Rechtsprechung (LArbGMainz, Urt. v. 14.05.2013 - 6 Sa 552/12; LArbGMainz, Urt. v. 18.05.2011 - 8 Sa 137/11; LArbGMainz, Urt. v. 27.11.2008 - 10 Sa 486/08; LArbGHannover, Urt.  v. 05.04.2013 - 12 Sa 50/13;LArbG Köln, Urt. v. 29.05.2009 - 4 Sa 1096/08)und Literatur (z.B. Oetker in: ErfKomm, §  1KSchG Rn. 36) darin, dass eine zuvor verbrach-te Zeit als Leiharbeitnehmer im Betrieb des spä-teren Arbeitgebers nicht auf die Wartezeit nach§  1 Abs.  1 KSchG angerechnet wird. Entspre-chendes gilt bei der Berechnung der gesetzli-chen Kündigungsfristen nach § 622 Abs. 2 BGB.Es steht den Parteien frei, Vereinbarungen dar-

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über zu treffen, ob und welche vorherige Be-schäftigungszeiten auf die Wartezeit angerech-net werden. Unter Umständen kann eine kon-kludente Vereinbarung über die Anrechnung an-zunehmen sein.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Ent-scheidung

Der Senat stellt Kriterien auf, die für die Annah-me einer solchen konkludenten Vereinbarungzur Anrechnung vorangegangener Beschäfti-gungszeiten sprechen können. Das sei etwa an-zunehmen, wenn der Arbeitgeberwechsel alleinauf die Initiative des Arbeitgebers erfolgt undder Arbeitnehmer auch fortan zu annäherndgleichen Arbeitsbedingungen ohne Vereinba-rung einer Probezeit weiterbeschäftigt wird. Al-lein der Wegfall einer Probezeit könne zwarfür sich genommen kein hinreichendes Indizfür eine konkludente Verständigung sein. Et-was anderes könne sich aber daraus ergeben,wenn beim Arbeitnehmer die Vorstellung er-weckt wird, die bisherige Tätigkeit setze sichbeim neuen Arbeitgeber fort. Vor allem beikonzerninternen Wechseln wird sich die Frageeiner konkludenten Anrechnungsvereinbarungstellen, weil und wenn der Wechsel vom Arbeit-geber initiiert wird und die Arbeitsbedingungengleich bleiben. Bei der Vertragsgestaltung istauf diese Indizien zu achten. Wird der Arbeit-nehmer von seinem Arbeitgeber zum Wechselgezwungen, um die Anwendbarkeit des KSchGzu umgehen, so sei der Arbeitnehmer nach demRechtsgedanken des § 162 BGB so zu stellen,als hätte er die Wartefrist des § 1 Abs. 1 KSchGerfüllt.

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Probezeitverlängerung durch längereKündigungsfrist

Leitsatz:

Kündigt der Arbeitgeber ein Arbeitsverhält-nis noch in der Wartezeit des §  1 Abs.  1KSchG nicht zum erstmöglichen Termin nachder Wartezeit, sondern mit einer länge-ren Kündigungsfrist, so liegt darin jeden-falls dann keine unzulässige Umgehung desKündigungsschutzes, wenn dem Arbeitneh-mer mit der verlängerten Kündigungsfristeine weitere Bewährungschance eingeräumtwerden soll. Einer "verbindlichen" Wieder-

einstellungszusage für den Fall der Bewäh-rung bedarf es nicht.

Anmerkung zu LArbG Stuttgart, Urteil vom 06.05.2015, 4 Sa 94/14von Dr. Lisa Käckenmeister, RA'in und FA'in fürArbeitsrecht, KasperKnacke Rechtsanwälte, Part-nerschaftsgesellschaft mbH, Stuttgart

A. Problemstellung

Eine Kündigung in der Wartezeit des § 1 Abs. 1KSchG kann – statt das Arbeitsverhältnis mitder kurzen Probezeitkündigungsfrist zu been-den – dem Arbeitnehmer eine Bewährungschan-ce geben, indem eine längere Kündigungsfristangewandt wird. Die Frage ist, unter welchenVoraussetzungen ein solches „Verlängern“ derProbezeit möglich ist, wann eine missbräuchli-che und funktionswidrige Umgehung des Kün-digungsschutzgesetzes vorliegt und ob es not-wendig ist, bei einer solchen Kündigung mit ver-längerter Kündigungsfrist in der Probezeit ei-ne „verbindliche“ Wiedereinstellungszusage fürden Fall der Bewährung zu unterbreiten.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger war bei der Beklagten als AccountManager beschäftigt. Noch während der Warte-zeit des § 1 Abs. 1 KSchG kündigte die Beklag-te das Arbeitsverhältniss des Klägers, allerdingsnicht mit der gesetzlichen Mindestkündigungs-frist, sondern mit einer längeren Kündigungs-frist von drei Monaten zum Monatsende. In derKündigung machte die Beklagte deutlich, dasssie dem Kläger während des Laufs der (verlän-gerten) Kündigungsfrist die Möglichkeit zur Be-währung geben wolle.

Der Kläger vertritt die Ansicht, eine Kündigungwährend der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG, diemit einer Kündigungsfrist von drei Monaten zumMonatsende ausgesprochen werde, stelle eineUmgehung des Kündigungsschutzgesetzes dar.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.Eine Umgehung des KSchG durch die länge-re Kündigungsfrist liege nicht vor. Die Verlän-gerung der Kündigungsfrist sei nicht aus über-wiegenden Arbeitgeberinteressen erfolgt. Ausdem Kündigungsschreiben der Beklagten erge-be sich, dass diese dem Kläger eine Bewäh-rungschance habe einräumen wollen. Dass mit

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der Kündigung keine verbindliche Wiederein-stellungszusage verbunden wurde, sei unerheb-lich.

Mit der Berufung macht der Kläger geltend, ausder Entscheidung des BAG vom 07.03.2002 (2AZR 93/01) ergebe sich, für eine verlängerteKündigungsfrist innerhalb der Probezeit sei so-wohl das Einräumen einer Bewährungschanceals auch erforderlich, dass für den Fall einerBewährung die Wiedereinstellung „verbindlich“und „fest“ zugesagt werde. Im Übrigen liegedie Verlängerung der Kündigungsfrist im über-wiegenden Arbeitgeberinteresse, da der Klägerzum Ende der (verlängerten) Kündigungsfristvom 16.05. bis zum 31.05.2014 bereits mit Aus-spruch der Kündigung eine Freistellungsanord-nung erhalten habe, mit welcher eine Bewäh-rungsmöglichkeit gerade abgeschnitten wordensei.

Das LArbG Stuttgart hat die erstinstanzlicheEntscheidung bestätigt. Während des Zeit-raums der Wartezeit sei der Arbeitnehmer le-diglich vor einer sitten- oder treuwidrigen Aus-übung des Kündigungsrechts des Arbeitgebersgeschützt. Dies könne vorliegen, wenn die Kün-digung kurz vor Ablauf der Wartezeit mit derIntention erklärt werde, den Erwerb der allge-meinen Kündigungsschutzes zu vereiteln. Erfor-derlich für die Annahme, dass eine Probezeit-kündigung gegen Treu und Glauben verstößt,sei, dass Umstände vorliegen, die Rückschlüs-se auf den Willen des Arbeitgebers zulassen,den allgemeinen Kündigungsschutz zu vereiteln(unter Verweis auf BAG, Urt.  v. 05.03.1987 -2 AZR 187/86). Vorliegend habe der Arbeitge-ber im Kündigungsschreiben ausdrücklich mit-geteilt, dass er dem Arbeitnehmer eine Be-währungschance gewähren wolle und für denFall der Bewährung bereit wäre, mit dem Klä-ger über einen neuen Arbeitsvertrag zu spre-chen. Unerheblich sei, dass dem Kläger damitkeine „verbindliche“ Wiedereinstellungszusagegegeben worden sei. Denn auch bei einer „ver-bindlichen“ Wiedereinstellungszusage liege dieBeurteilung allein im Ermesssen des Arbeitge-bers. Etwas anderes ergebe sich auch nicht ausder vorsorglich ausgesprochenen Freistellungfür die letzten zwei Wochen des Arbeitsverhält-nisses bis zum Ablauf der (verlängerten) Kün-digungsfrist. Denn damit habe die Beklagte le-diglich unstreitig bestehende Urlaubsansprüche

noch erfüllen wollen, um diese nach Ablauf derKündigungsfrist nicht abgelten zu müssen.

C. Kontext der Entscheidung

Das LArbG Stuttgart hat auf die BAG-Recht-sprechung (BAG, Urt.  v. 22.04.2010 - 6 AZR828/08; BAG, Urt. v. 16.09.2004 - 2 AZR 447/03)Bezug genommen und folgt der bisherigenRechtssprechungslinie. Danach ist eine Probe-zeitverlängerung durch entsprechend befriste-ten Aufhebungsvertrag grundsätzlich zulässig.So führt das BAG in seiner Entscheidung vom07.03.2002 (2 AZR 93/01) aus:

„Sieht der Arbeitgeber die 6 monatige Probezeitals nicht bestanden an, so kann er regelmäßig,ohne rechtsmissbräuchlich zu handeln, anstattdas Arbeitsverhältnis innerhalb der Frist des § 1Abs.  1 KSchG mit der kurzen Probezeitkündi-gungsfrist zu beenden, dem Arbeitnehmer ei-ne Bewährungschance geben, indem er in einerüberschaubaren, längeren Kündigungsfrist kün-digt und dem Arbeitnehmer für den Fall seinerBewährung die Wiedereinstellung zusagt. DieseGrundsätze gelten auch für einen entsprechen-den Aufhebungsvertrag.“

Das Zusagen der Wiedereinstellung im Fall derBewährung soll aus Sicht des Landesarbeitsge-richts nicht zwingend notwendig sein. Erforder-lich sei lediglich, dass der Arbeitgeber zu erken-nen gibt, dass er dem Arbeitnehmer die Chan-ce geben will, ihn von der Einschätzung seinerQualitäten zu überzeugen und doch noch zu ei-ner Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gelan-gen zu können.

D. Auswirkungen für die Praxis

Obwohl die Rechtsfrage der Verbindlichkeit derZusage noch nicht höchstrichterlich geklärt ist,macht die Entscheidung deutlich, dass es fürArbeitgeber nach wie vor eine Option ist, dieProbezeit sozusagen „zu verlängern“, indem amEnde der Wartefrist mit einer etwas längerenals der Mindestkündigungsfrist gekündigt oderdas Arbeitsverhältniss mittels Aufhebungsver-trag zu einem die kurze Probezeitkündigungs-frist angemessenen überschreitenden Beendi-gungszeitpunkt, verbunden mit einer bedingtenWiedereinstellungszusage, beendet wird.

Zu berücksichtigen sind aber die sich ausder BAG-Rechtsprechung ergebenden erforder-

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lichen Voraussetzungen, damit nicht eine miss-brächliche und funktionswidrige Umgehung desKSchG angenommen werden könnte: Erforder-lich ist, dass die Kündigungsfrist bzw. derBeendigungszeitraum die kurze Probezeitkün-digungsfrist nur „angemessen“ überschreitet.Das BAG hat dabei einen Zeitraum von vier Mo-naten jedenfalls noch für angemessen erach-tet. Erforderlich ist weiter, dass der Arbeitgeberin der Kündigung oder dem Aufhebungsvertragdeutlich macht, dass er dem Arbeitnehmer nocheine Chance zur Bewährung bieten will. Nachder LArbG-Rechtssprechung nicht zwingend er-forderlich, aber im Hinblick auf die BAG Rechts-sprechung empfehlenswert ist weiter, dem Ar-beitnehmer für den Fall seiner Bewährung dieWiedereinstellung zuzusagen. Negative Auswir-kungen für den Arbeitgeber ergeben sich hier-aus nach vorliegender Ansicht nicht, da die Ein-schätzung der Bewährung im Ermessen des Ar-beitgebers liegt.

5

Betriebsratsarbeit als Arbeitszeit imSinne des ArbZG?

Leitsätze:

1. Betriebsratsarbeit ist keine Arbeitszeiti.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 ArbZG.

2. Nimmt ein Betriebsratsmitglied an eineraußerhalb seiner persönlichen Arbeitszeitstattfindenden Betriebsratssitzung teil undist es ihm deswegen unmöglich oder unzu-mutbar, seine vor oder nach der Betriebs-ratssitzung liegende Arbeitszeit einzuhal-ten, so hat es insoweit gemäß § 37 Abs. 2 Be-trVG einen Anspruch auf bezahlte Arbeitsbe-freiung (im Anschluss an BAG v. 07.06.1989- 7 AZR 500/88).

3. Eine Unzumutbarkeit in diesem Sinne istregelmäßig anzunehmen, wenn ansonstenbei Zusammenrechnung der für die Betriebs-ratstätigkeit aufgewendeten Zeiten mit denpersönlichen Arbeitszeiten die werktäglicheHöchstarbeitszeit nach § 3 ArbZG überschrit-ten werden würde.

Anmerkung zu LArbG Hannover, Beschluss vom 20.04.2015, 12 TaBV 76/14

von Dr. Martin Wolmerath, RA

A. Problemstellung

Das LArbG Niedersachsen hatte sich mit denFragen zu befassen, ob es sich bei der Zeit, in-nerhalb derer eine Betriebsratstätigkeit erfolgt,um Arbeitszeit im Sinne des ArbZG handelt undob nach der Sitzung des Betriebsrats noch ge-arbeitet werden muss.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Bei der Arbeitgeberin handelt es sich um einbundesweites Filialunternehmen. In der FilialeH. mit über 100 Beschäftigten ist die Arbeit wäh-rend der Ladenöffnungszeiten im Dreischicht-modell organisiert: Die erste Frühschicht von7:00 Uhr bis 16:10 Uhr, die zweite Frühschichtvon 8:00 Uhr bis 17:10 Uhr und die Spätschichtvon 11:05 Uhr bis 20:15 Uhr.

Die Sitzungen des Betriebsrats finden regel-mäßig donnerstags in der Zeit von 8:00 Uhrbis 15:00 Uhr statt. Zur Erfassung anfallen-der Schichtzuschläge bleiben die für die Spät-schicht disponierten Betriebsratsmitglieder beider Dienstplanerstellung auch für Sitzungstagein Spätschichtwochen für diese Schicht geplant.Dies führt dazu, dass jeweils mindestens ein Be-triebsratsmitglied am Sitzungstag für eine Spät-schicht eingeteilt ist.

Die Arbeitgeberin hat früher die für die Spät-schichtwoche disponierten Betriebsratsmitglie-der am Sitzungstag durch einen anderen Mitar-beiter ersetzt und den Freizeitausgleich für dieSitzungsteilnahme am gleichen Tag gewährt.Diese Übung will sie nicht mehr fortführen. Da-gegen geht der Betriebsrat im Beschlussverfah-ren vor.

Ziel des Betriebsrats ist die Feststellung, dassdie Arbeitgeberin nicht berechtigt ist, von Be-triebsratsmitgliedern und Ersatzmitgliedern Ar-beitsleistung vor oder im Anschluss an ganzoder zum Teil außerhalb der disponierten Ar-beitszeit stattfindenden Betriebsratssitzungenzu verlangen, soweit diese unter Hinzurechnungder Sitzungsdauer den Umfang der disponiertenArbeitszeit überschreitet. Der so gestellte An-trag war in beiden Instanzen erfolglos.

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Das LArbG Hannover stimmt der Arbeitgebe-rin zu, dass die Betriebsratstätigkeit nicht demArbZG unterfalle. Das Amt des Betriebsrats seiein Ehrenamt, die dafür aufgewendete Zeit kei-ne Arbeitszeit i.S.d. §  2 Abs.  1 Satz 1 ArbZG.Andernfalls könnte die alleinige Verantwortungdes Arbeitgebers gegenüber der zur Durchfüh-rung des ArbZG berufenen Aufsichtsbehördeneinerseits und der Autonomie des Betriebsratsbei der Wahrnehmung seiner Aufgaben ander-seits zu schwer auflösbaren Konfliktsituationenführen. Bei dem Versuch, die Vorgaben des Arb-ZG auch gegenüber dem Betriebsrat durchzu-setzen, würde der Arbeitgeber in dessen auto-nome Arbeitsorganisation eingreifen. In zuge-spitzten innerbetrieblichen Konfliktsituationen(z.B. Verhandlung über eine Betriebsänderung)sei nicht immer zu gewährleisten, dass der Be-triebsrat sämtliche Vorgaben des ArbZG einhal-te. Insoweit liege es in der eigenen Verantwor-tung des Betriebsrats zu entscheiden, welcheAnstrengungen er sich noch zumutet und wanner dem Erholungsbedürfnis seiner MitgliederVorrang gewährt. Der Arbeitgeber würde in dieUnabhängigkeit der Amtsführung des Betriebs-rats eingreifen, wenn er die Befugnis hätte, denBetriebsrat in der heißen Phase einer Verhand-lung „quasi ins Bett zu schicken“. Auf der an-deren Seite könnte auch der Arbeitgeber in ei-ne schwer auflösbare Konfliktsituation geraten,wenn ein selbstbewusster und kampfstarker Be-triebsrat sehenden Auges die Grenzen des Arb-ZG überschreitet, ohne dabei auf die fürsorgli-chen Hinweise des Arbeitgebers zur Einhaltungdes ArbZG zu achten. Adressat der arbeitszeit-rechtlichen Bußgeld- und Strafvorschriften seiausschließlich der Arbeitgeber. Wenn Betriebs-ratsarbeit umstandslos als Arbeitszeit im Sinnedes ArbZG zu bewerten wäre, dann würde derArbeitgeber gegebenenfalls haften, ohne dasser etwaige Verstöße des Betriebsrats gegen dasArbZG angesichts seiner eigenständigen Amts-führung verhindern könnte.

Daher sei eine vermittelnde Lösung angebracht.Die Maßstäbe des ArbZG seien bei der Aus-übung des Direktionsrechts durch den Arbeit-geber in Zusammenschau der Betriebsratstätig-keit und der dienstlichen Verpflichtungen mit-telbar zu beachten. Nehme ein Betriebsratsmit-glied an einer außerhalb seiner persönlichen Ar-beitszeit stattfindenden Betriebsratssitzung teilund ist es ihm deswegen unmöglich oder unzu-mutbar, seine vor oder nach der Betriebsratssit-

zung liegende Arbeitszeit einzuhalten, so habeer gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG einen Anspruchauf bezahlte Arbeitsbefreiung. Eine Unzumut-barkeit liege in der Regel dann vor, wenn beieiner Zusammenrechnung der für die Betriebs-ratstätigkeit aufgewendeten Zeit mit der per-sönlichen Arbeitszeit die werktägliche Höchstar-beitszeit nach § 3 ArbZG überschritten wird.

Tätigkeiten des Betriebsrats und betrieblich ver-anlasste arbeitsvertragliche Tätigkeiten seiennicht eins zu eins zusammenzurechnen. Im Ein-zelfall seien Situationen denkbar, bei denen eseinem Betriebsratsmitglied durchaus zugemu-tet werden könne, auch bei Zusammenrech-nung der beiden Zeitblöcke die Grenzen des§  3 ArbZG geringfügig zu überschreiten. Dieskönne beispielsweise dann vorliegen, wenn ent-weder die Zeiten der Betriebsratstätigkeit vongeringer Intensität oder von erheblichen Bera-tungspausen unterbrochen sind oder die im An-schluss noch zu erbringende betriebliche Tätig-keit aufgrund einer Notlage des Arbeitgebers(z.B. Personalengpass aufgrund eines unerwar-tet hohen Krankenstandes) dringend erforder-lich ist.

Zwar wäre es rechtswidrig, wenn die Arbeit-geberin nach einer siebenstündigen Betriebs-ratssitzung noch eine volle achtstündige Ar-beitsschicht anordnen würde. Eine solche Kon-stellation habe bislang nicht vorgelegen undsei nicht beabsichtigt. Selbst unter Hinzurech-nung der zuvor geleisteten Betriebsratstätigkeitergebe sich höchstens eine Gesamtarbeitszeitvon „nur“ 9,5 Stunden. Anhaltspunkte dafür,dass im Ausgleichszeitraum nach § 3 Satz 2 Arb-ZG der Durchschnitt von acht Stunden werktäg-lich überschritten werden könnte, gebe es kei-ne.

C. Kontext der Entscheidung

Höchstrichterlich ist die streitgegenständlicheThematik noch nicht entschieden. In der Li-teratur wird das Problem nur teilweise ange-sprochen, wobei die wenigen Meinungen aus-einandergehen (vgl. die Literaturhinweise unterRn.  38 bis 41 der Entscheidung). Insofern istes mehr als zu begrüßen, dass die erkennendeKammer die Rechtsbeschwerde wegen grund-sätzlicher Bedeutung (vgl. die §§ 92 Abs. 1, 72Abs. 2 Nr. 1 ArbGG) zugelassen hat.

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Da der Betriebsrat die zugelassene Rechtsbe-schwerde eingelegt hat, wird das BAG unterdem Aktenzeichen 7 ABR 17/15 voraussichtlichim nächsten Jahr die Rechtsfrage klären. Es istwünschenswert, dass eine rege Diskussion imSchrifttum stattfindet, damit das BAG Gelegen-heit erhält, sich an allen Argumenten der Praxisabzuarbeiten.

D. Auswirkungen für die Praxis

Bekanntlich führen viele Wege nach Rom. Al-lerdings gibt es dabei Wege, die sich als rechtbeschwerlich erweisen und nur ein mühsamesWeiterkommen ermöglichen. Auch können Pfa-de bisweilen in die Irre führen oder als Sack-gasse enden. Zu den suboptimalen Möglichkei-ten zählt ohne Wenn und Aber der von der er-kennenden Kammer eingeschlagene Weg. DieBeantwortung der Frage, wann einem Betriebs-ratsmitglied vor oder nach der Betriebsrats-sitzung die Erbringung arbeitsvertraglich ge-schuldeter Tätigkeiten unmöglich oder zumut-bar ist, kann sich im Zweifel als höchst proble-matisch erweisen. Wie soll sich ein Betriebsrats-mitglied verhalten? Man wird ihm kaum emp-fehlen können, eine Abmahnung oder gar Kün-digung zu riskieren, um sodann gegebenenfallsden Rechtsweg zu beschreiten. Aus Gründender Rechtsklarheit und Rechtssicherheit wirdein Lösungsansatz benötigt, der nicht neue Fra-gen aufwirft und keinen Anlass für weitere Ge-richtsverfahren bietet. Das kann am einfachstendadurch bewerkstelligt werden, indem man dieZeit, innerhalb derer Betriebsratsarbeit geleis-tet wird, wie Arbeitszeit im Sinne des ArbZG an-rechnet.

Die Hannoveraner Entscheidung betrifft keinenEinzelfall. Das LArbG Hamm hat am 20.02.2015(13 Sa 1386/14) über einen Fall entschieden, indem die Ruhezeit vor der Betriebsratssitzung imStreit war.

Zu berücksichtigen, ist dass die Klärung derFrage nicht nur Betriebsratsmitglieder betrifft,sondern auch Jugend- und Auszubildendenver-treter (JAV), Schwerbehindertenvertreter undauch die ehrenamtlichen Richter bei den Ge-richten für Arbeitssachen. Bei all diesen Perso-nen stellt sich die Frage, ob und wie ihre fürdas Ehrenamt eingesetzte Zeit anzurechnen ist.Dabei muss schließlich auch bedacht werden,dass es in der Regel Ersatzmitglieder sind, die

für ein zeitlich verhindertes Betriebsrats- oderJAV-Mitglied (vgl. die §§  25 Abs.  1 Satz 2, 65Abs.  1 BetrVG) mehr oder weniger kurzfristigeinspringen. Vergleichbares gilt für stellvertre-tende Mitglieder der Schwerbehindertenvertre-tung (vgl. § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Ihnen dürf-te es noch schwerer als den ordentlichen Inter-essenvertretern fallen, eine (Un-)Möglichkeits-oder (Un-)Zumutbarkeitsabwägung in der vomLArbG Hannover geforderten Weise durchzufüh-ren und gegenüber ihren Arbeitgebern zu erklä-ren. Ihnen zu sagen, dass ihr Einsatz zwar lo-benswert sei, aber außerhalb des ArbZG erfol-ge, dürfte nicht dazu beitragen, die Bereitschaftzu erhöhen, sich für das Ehrenamt zur Verfü-gung zu stellen.

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Abgrenzung von Werkvertrag und(unerlaubter) Arbeitnehmerüberlassung

Leitsatz:

Arbeitnehmerüberlassung i.S.v. §  1 Abs.  1Satz 1, Abs. 2 AÜG liegt nicht vor, wenn nichtfestgestellt werden kann, dass die dem Auf-traggeber zur Verfügung gestellten Arbeits-kräfte in dessen Bereich eingegliedert sindund Ihre Arbeit allein nach seinen Weisun-gen (des Auftraggebers) und in dessen In-teresse ausführen. Diesem Ergebnis entge-gen steht nicht, dass sich die Aufgabe desAuftragnehmers bei Durchführung des Auf-trags im Wesentlichen auf die Auswahl derArbeitnehmer und Ihre Einteilung in Schich-ten beschränkt. Das gilt jedenfalls dann,wenn der Auftragnehmer für die ordnungs-gemäße Durchführung der Aufgabeninhaltenoch verantwortlich bleibt, zur Gewährleis-tung verpflichtet ist und für die Umsetzungdes Vertrages vor Ort Ansprechpartner be-reitstellt.

Anmerkung zu LArbG Hannover, Urteil vom 19.01.2015, 8 Sa 643/14von Jacek Kielkowski, LL.M., RA, Noerr LLP,Frankfurt am Main / Dominik Zweigler, RA

A. Problemstellung

Das LArbG Hannover befasst sich mit der aktuellbesonders häufig – auch politisch – thematisier-ten Abgrenzungsproblematik im Zusammen-

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hang mit Fremdpersonaleinsatz: der Abgren-zung von (illegaler) Arbeitnehmerüberlassungund (rechtlich zulässigem) Werkvertrag. Un-ter Bestätigung der ständigen Rechtsprechungdes BAG verdeutlicht die vorliegende Entschei-dung einmal mehr, dass die angestrebte ge-richtliche Feststellung eines beim „Entleiher“wegen illegaler Arbeitnehmerüberlassung ent-standenen Arbeitsverhältnisses sowie die hier-auf aufbauende Durchsetzung individualrecht-licher Ansprüche angesichts der den „Arbeit-nehmer“ treffenden Darlegungs- und Beweis-last kein Selbstläufer ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Parteien streiten im Wesentlichen über dasBestehen eines Arbeitsverhältnisses als Folgeeiner illegalen Arbeitnehmerüberlassung.

Die Beklagte ist eine Automobilherstellerin, diedie von ihr produzierten Fahrzeuge auf einemPrüfgelände einer konzernangehörigen Gesell-schaft testen lässt. Bestandteil der Fahrzeug-tests sind u.a. Test- und Erprobungsfahrten.Hierfür wurden in der Vergangenheit Testfah-rer der D.-GmbH (im Folgenden: E.) eingesetzt.Die Einsätze erfolgten auf Grundlage eines zwi-schen der Beklagten und E. abgeschlossenenRahmenvertrages. Die E. verfügte dabei übereine unbefristete Erlaubnis zur Arbeitnehmer-überlassung.

Der Rahmenvertrag sah neben Test- und Erpro-bungsfahrten durch Fahrer von E. die Abarbei-tung und Meldung von Ereignissen sowie eineFahrleistungs- und Verbrauchsmessung samtDokumentation vor. Als Bestandteil des Rah-menvertrags gaben sog. Lastenhefte detaillier-te Anweisungen zur Fahrweise vor (z.B. Bela-dung, zu fahrende Strecken, Geschwindigkeit,Bremsmanöver etc.).

E. sollte dabei für die fachmännische und dentechnischen Vorschriften entsprechende Aus-führung der Einzelaufträge verantwortlich seinund die Testfahrten eigenverantwortlich organi-sieren und durchführen. Grundlage für die Ver-gütung waren die in einem Fahrtenbuch festge-haltenen Testkilometer.

Für die konkrete Vertragsdurchführung wurdenvon beiden Vertragsparteien jeweils ein Schicht-leiter und ein Stellvertreter benannt, die für dietechnische und termingerechte Durchführung

der Arbeiten verantwortlich sein sollten. Dazuhielten sich abwechselnd einer von zwei Arbeit-nehmern der E. und der Beklagten als Koordina-toren auf dem Betriebsgelände auf und gabenWeisungen der Beklagten weiter. Die Schicht-einteilung, die Zeiterfassung, die Zuteilung derFahrer auf die Fahrzeuge, die zuvor von derBeklagten ausgesucht worden waren, lag hin-gegen alleine im Verantwortungsbereich der E.Die Beklagte nahm E. unstreitig in etwa 50 Fäl-len wegen Schäden in Anspruch. Bei Motorschä-den durch Verschalten oder Falschbetankungenstellte sie E. keine Kosten in Rechnung, auchwenn die Schäden von den Testfahrern von E.schuldhaft verursacht wurden.

Der Kläger, selbst einer der Testfahrer, behaup-tet das Vorliegen einer verdeckten Arbeitneh-merüberlassung und begehrt u.a. die Feststel-lung des Bestehens eines Arbeitsverhältnissesmit der Beklagten.

Das LArbG Hannover hat die Klage unter Bestä-tigung der ersten Instanz abgewiesen.

Nach Auffassung des Gerichts liegt bei Ge-samtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls– auch unter Berücksichtigung einer sekundä-ren Darlegungs- und Beweislast – keine Überlas-sung zur Arbeitsleistung i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1,Abs. 2 AÜG, sondern nur ein rechtlich zulässigerWerkvertrag nach § 631 BGB vor.

Unter Verweis auf die ständige Rechtsprechungdes BAG stellt das Gericht fest, dass eine Ar-beitnehmerüberlassung nur dann gegeben sei,wenn es eine spezifische Ausgestaltung derVertragsbeziehungen zwischen Verleiher undEntleiher einerseits (dem Arbeitnehmerüberlas-sungsvertrag) und zwischen dem Verleiher undArbeitnehmer andererseits (dem Leiharbeits-vertrag) gebe und gleichzeitig an einer arbeits-vertraglichen Beziehung zwischen Arbeitneh-mer und Entleiher fehle. Bei einem Werk- oderDienstvertrag, bei dem der Arbeitnehmer fürden Unternehmer tätig werde, unterliege dieserden Weisungen des Unternehmers und sei des-halb dessen Erfüllungsgehilfe. Fachliche Wei-sungen des Bestellers zur Ausführung des Wer-kes änderten im Hinblick auf § 645 Abs. 1 Satz1 BGB hieran nichts.

Der Rahmenvertrag sehe vor, dass die vertrag-lichen Pflichten von E. sich nicht in der bloßenZurverfügungstellung der Testfahrer erschöpf-

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ten. Zu der Vertragspflicht von E. habe auch dieHerbeiführung eines konkreten Erfolges, näm-lich die Erzeugung von verwertbaren Daten, ge-hört. Zudem sei die Beklagte für die Schichtpla-nung und die Verteilung der Fahrer auf die ein-zelnen Fahrzeuge zuständig. Dieser Erfolg seifür die Entwicklung der von der Beklagten pro-duzierten Produkte entscheidend. Auch sprä-chen die weiteren Umstände für das Vorliegeneines Werkvertrages: Eine Abrechnung der Leis-tungen sollte nur bei Beachtung der Testvorga-ben möglich sein („brauchbare Kilometer“); dieBeklagte konnte nicht einwandfrei durchgeführ-te Testfahrten nachholen lassen; der Rahmen-vertrag sah lediglich einen teilweisen Haftungs-ausschluss für Schäden vor, die von den Test-fahrern verursacht wurden.

Auch der Blick auf die tatsächliche Vertrags-durchführung ergebe keine andere Bewertung:Die Beschäftigung der Testfahrer der E. auf„neutralem“ Boden spreche bereits gegen eineEingliederung des Klägers in den Betrieb der Be-klagten. Weisungen und Vorgaben durch Arbeit-nehmer der Beklagten seien nicht arbeitsver-traglicher, sondern fachlicher Natur zum Zwe-cke der Erreichung des Werkes als Erfolg ge-wesen. Der Kläger habe nicht ausreichend da-zu vorgetragen, weshalb einzelne (offensicht-lich fachlich veranlasste) Weisungen als arbeits-vertragliche Weisungen zu qualifizieren gewe-sen wären.

C. Kontext der Entscheidung

I. Entgegen dem missverständlichen Leitsatz:„Diesem Ergebnis entgegen steht nicht, dasssich die Aufgabe des Auftragnehmers bei Durch-führung des Auftrags im Wesentlichen auf dieAuswahl der Arbeitnehmer und Ihre Einteilungin Schichten beschränkt“ entspricht das Urteildes LArbG Hannover der gefestigten Rechtspre-chung des BAG zur Abgrenzung von Arbeitneh-merüberlassung und Werkvertrag.

Notwendiger Inhalt eines Arbeitnehmerüberlas-sungsvertrags ist die Verpflichtung des Ver-leihers gegenüber dem Entleiher, diesem zurFörderung von dessen Betriebszwecken Arbeit-nehmer zur Verfügung zu stellen (BAG, Urt. v.15.04.2014 - 3 AZR 395/11). Die vertraglicheHauptpflicht des Verleihers gegenüber dem Ent-leiher endet, wenn er den jeweiligen Arbeitneh-mer ausgewählt und ihn dem Entleiher zur Ver-fügung gestellt hat (BAG, Urt. v. 15.04.2014 -

3 AZR 395/11). Da die Auftragnehmerin sich imvorliegenden Fall jedoch gerade nicht auf diebloße Zurverfügungstellung von Arbeitskräftenbeschränkte, sondern gegenüber der Auftrag-geberin für die Herstellung der geschuldetenWerke – die Erzeugung von verwertbaren Da-ten – gegenüber dem Drittunternehmen verant-wortlich blieb, sprach dies richtigerweise für ei-nen Werkvertrag.

II. Auch die „minutiösen“ Vorgaben durch dieAuftraggeberin hat das LArbG Hannover zuRecht als werksbezogene Anweisung i.S.v. § 645Abs. 1 Satz 1 BGB, nicht aber als arbeitsvertrag-liche Weisung gewertet. Denn nicht der Einsatzund die Disposition von Arbeitnehmern standhier im Vordergrund, sondern die Durchführungder Werkleistung. Nahezu lehrbuchartig folgtdas Landesarbeitsgericht auch damit der stän-digen, wenngleich nicht unbestrittenen (vgl.LArbG Stuttgart, Urt. v. 01.08.2013 - 2 Sa 6/13,m. Anm. Hamann, jurisPR-ArbR 38/2013 Anm. 2,Greiner, NZA 2013, 697, 700; Timmermann, BB2012, 1729, 1732) Rechtsprechung des BAGhinsichtlich der Annahme eines strikten Alterna-tivverhältnisses zwischen fachlichen/werkbezo-genen und arbeitsrechtlichen Weisungen (vgl.zuletzt BAG, Urt. v. 18.01.2012 - 7 AZR 723/10).Maßgeblich ist für die Abgrenzung dabei, obdie Bestimmung über die Art und Weise der Er-bringung der Arbeitsleistung beim Unternehmeroder aber beim Besteller liegt, der diese ggf.neu anordnen kann und hierdurch zum Auftrag-geber mit arbeitsvertraglichem Weisungsrechtwird (so überzeugend Maschmann, NZA 2013,1305, 1309).

III. Prozessual hält das LArbG Hannover dasVorliegen eines Überlassungsverhältnisses auf-grund der konkreten Durchführung des Vertra-ges für nicht ausreichend dargelegt.

1. Auch dies überzeugt. Nach den allgemei-nen zivilprozessualen Grundsätzen hat grund-sätzlich derjenige, der aus einer ihm günstigenNorm Rechte herleitet, deren tatsächliche Vor-aussetzungen darzulegen und zu beweisen. Dasist bei einer Feststellungsklage nach den §§ 10Abs. 1, 9 Nr. 1 AÜG der Kläger, da er Feststellungbegehrt, dass mit dem Beklagten ein Arbeits-verhältnis als zustande gekommen gilt. Hierzumuss der insoweit darlegungspflichtige Klägerzumindest die ihm aus eigener Anschauung er-kennbaren Tatsachen zur Eingliederung in den

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Betriebsablauf sowie zum Bestehen eines Wei-sungsverhältnisses vortragen.

2. Ob auch anderweitige Tatsachen, die auf ei-ne Arbeitnehmerüberlassung hindeuten könn-ten und außerhalb des Wahrnehmungsbereichsdes „Arbeitnehmers“ liegen, nach den Grund-sätzen über die sekundäre Darlegungs- und Be-weislast behandelt werden können, ist bishernicht abschließend geklärt (dafür LArbG Stutt-gart, Urt.  v. 01.08.2013 - 2 Sa 6/13; Greiner,NZA 2013, 697, 702). Das BAG hat – jedenfallsin der Vergangenheit – grundsätzlich sehr ho-he Hürden für die Darlegungslast des vermeint-lichen Arbeitnehmers aufgestellt (vgl. z.B. BAG,Urt. v. 30.01.1991 - 7 AZR 497/89; BAG, Urt. v.15.04.2014 - 3 AZR 395/11), so dass Zweifel be-stehen, ob sich das BAG der zuvor genanntenAuffassung anschließen wird.

Vorliegend konnte diese Frage aber vom LArbGHannover angesichts des unzureichenden Vor-trages des Klägers mit Recht offengelassen wer-den.

IV. Besondere Beachtung sollte die vorliegen-de Entscheidung auch dafür finden, worüber siegerade nicht befindet: die sog. „Vorratserlaub-nis“.

Der Auftragnehmer (und vermeintliche Ver-leiher) war nämlich Inhaber einer – offenbarnicht „genutzten“ – Erlaubnis zur Arbeitneh-merüberlassung. Alleine aus diesem Grund hät-te das LArbG Hannover die Klage bereits ab-weisen können – und zwar ohne die umfas-send und detailliert vorgenommene Abgren-zung von Werkvertrag und Arbeitnehmerüber-lassung. Die h.M. geht nach wie vor richtigerwei-se davon aus, dass eine Überlassungserlaubnisim Falle der – bewusst oder unbewusst – fälsch-lich als „Werkvertrag“ praktizierten Arbeitneh-merüberlassung geeignet ist, die Fiktion nachden §§ 10 Abs. 1, 9 Nr. 1 AÜG zu verhindern. Ei-ne sog. „Vorratserlaubnis“ ist in der Praxis alsMittel zur Vermeidung unerwünschter Rechts-folgen anerkannt und fest etabliert – nicht zu-letzt aufgrund der auch durch die vorliegen-de Entscheidung aufgezeigten Tatsache, dassdie Grenzen zwischen Werkvertrag und Arbeit-nehmerüberlassung nicht immer einfach, ge-schweige denn rechtssicher zu ziehen sind. Die-ses herrschende Verständnis (vgl. ArbG Stutt-gart, Urt. v. 08.04.2014 - 16 BV 121/13; Lembkein: Boemke/Lembke, AÜG, 3.  Aufl. 2013, §  10

Rn. 22; Ulrici, BB 2015, 1209, 1211; Hamann,jurisPR-ArbR 14/2015 Anm.  1; Rein, BB 2015,315, 319; Seier, DB 2015, 494) wird offenbarauch von der derzeitigen Bundesregierung ge-teilt, die im aktuellen Koalitionsvertrag eine Än-derung dieser Rechtslage vorsieht („Der ver-meintliche Werkunternehmer und sein Auftrag-geber dürfen auch bei Vorlage einer Verleih-erlaubnis nicht bessergestellt sein, als derjeni-ge, der unerlaubt Arbeitnehmerüberlassung be-treibt.“, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSUund SPD, 18. Legislaturperiode, S. 49). Ob dasLArbG Hannover diesbezüglich der Auseinan-dersetzung mit der Entscheidung der 4. Kam-mer des LArbG Stuttgart (Urt. v. 03.12.2014 - 4Sa 41/14), das gewissermaßen in „vorauseilen-dem Gehorsam“ die im Koalitionsvertrag vorge-sehene Rechtsfolge umgesetzt hat, bewusst ausdem Weg gehen wollte, kann – im Duktus desLArbG Hannover – unentschieden bleiben.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das LArbG Hannover hat aufgrund der grund-sätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Re-vision zugelassen (Az. des BAG: 9 AZR 162/15).Abzuwarten bleibt, ob das BAG die in den In-stanzgerichten zu beobachtenden Erleichterun-gen bezüglich der Darlegungs- und Beweislastzugunsten der Arbeitnehmer des Auftragneh-mers (so LArbG Stuttgart, Urt. v. 01.08.2013 - 2Sa 6/13) bestätigen oder ob das BAG gar Stel-lung zur Frage der Vorratserlaubnis beziehenwird.