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Was redet, ist nicht tot. Folter und ihre Sprache(n) Doktorandenringvorlesung „Wilde Medien“ WS 2011/2012 28.11.2011 Carola Hilbrand

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Was redet, ist nicht tot. Folter und ihre Sprache(n)

Doktorandenringvorlesung „Wilde Medien“WS 2011/2012

28.11.2011Carola Hilbrand

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Folter und ihre Sprache(n)____________________________________________________

„Rettungsfolter“„Verschärftes Verhör“„Nationaler Notstand“

„coercive vs. non-coercive“„to soften the prisoner“„(non-)significant harm“

„Jemanden auf die Folter spannen“... „dass die Liebe gleiche einer Tortur“ (...)

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Das Wort entschläft überall dort,wo eine Wirklichkeit

totalen Anspruch stellt.

Jean Améry: Jenseits von Schuld und Sühne. In: Ders.: Werke. Bd. 2, S. 7-177, hier S. 54.

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Folter und ihre Sprache(n)____________________________________________________

„Scarring torture“(engl. scar = Narbe)

Körperliche Misshandlung

Wunden / Narben(„beschrifteter Körper“)

„demonstrativ und monstrativ“

Körper!

• Medium der Sichtbarmachung

Medienwissenschaft? • Kommunikation

„Schnittstelle“

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Folter und ihre Sprache(n)____________________________________________________

„clean torture“Saubere Folter

Sensorische DesorientierungDeprivation/Bombardement der Sinne:

Licht, Gerüche, Geräusche, Brillen, Kopfhörer, Schutzanzüge, Kapuzen,

künstliche Hitze/Kälte im Wechsel (...)

Psychische DesorientierungErniedrigung, Schlafmanagement,

Scheinhinrichtungen, Täuschungen und Rollenspiel im Verhör (...)

Selbst zugefügter SchmerzStresspositionen, Nahrungsentzug (...)

Körper?•Medium der Sichtbarmachung?•Kommunikation?

Die Saubere Folter schreibt sich nichtsichtbar in den Körper ein!

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Folter und ihre Sprache(n)____________________________________________________

Häufig sind äußerlich am Körper keine Spuren der Folter sichtbar. Und dennoch äußern fast alle Patienten anhaltende Schmerzen. In den wenigsten Fällen finden wir körperliche Ursachen, die diese Schmerzen erklären. Das Trauma hat eine tiefe Spur in der Seele hinterlassen. Dieser Schmerz ist die verkörperte Erinnerung.

Mechthild Wenk-Ansohn: Die Spur des Schmerzes – Psychosomatische Störungen bei Folterüberlebenden. In Graessner/Gurris/Pross: Folter. An der Seite der Überlebenden.

Unterstützung und Therapien. München 1996, S. 83-98, hier S. 84.

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Folter und ihre Sprache(n)____________________________________________________

Psychosomatische Symptome bei Folteropfern

Gedächtnisstörungen

Hyperaktivität

Muskuläre Verspannungen

Schwindel

Schmerzen

Schwaches Immunsystem

Vegetative Regulationsstörungen•Atmung•Herz-Kreislauf-System•Magen-Darm-Trakt

„NEOREALITÄT“

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Folter und ihre Sprache(n)____________________________________________________

„Kränkungen“ 1. Defekte des Organismus („biologische Konditionierung“)

2. Somatisierung (Auftreten physischer Symptome, die sich

von der Psyche herleiten und keine organische Evidenz aufweisen)

3. Reinszenierung („sensorische Konditionierung“)

„Der Körper reagiert mit x Störung“

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Folter und ihre Sprache(n)____________________________________________________

„Kränkungen“ 1. Defekte des Organismus („biologische Konditionierung“)

2. Somatisierung (Auftreten physischer Symptome, die sich

von der Psyche herleiten und keine organische Evidenz aufweisen)

3. Reinszenierung („sensorische Konditionierung“)

„Der Körper regiert mit x Störung“

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Folter und ihre Sprache(n)____________________________________________________

Die kommunikative Funktion des psychosomatischen Symptoms

1. Sprache intersubjektiv:•Worte und Sätze reichen nicht in das Leid und den Schmerz hinein. •„Psychosomatisches Sprechen“ ist Schmerz und Leiden und drückt etwas durch Verweise auf Vergangenes aus.

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Wenn Freud in der Psychopathologie der Psychoanalyse für ein neurotisches oder nicht-neurotisches Symptom das Minimum an Überbestimmtheit fordert, das einen Doppelsinn dergestalt konstituiert, daß das Symptom zugleich Symbol eines abgestorbenen Konfliktes ist und darüberhinaus eine Funktion in einem gegenwärtigen, nicht minder symbolischen Konflikt besitzt, wenn er uns ferner lehrt, im Text der freien Assoziationen [i.d. Psychoanalyse] der wachsenden Verästelung einer Linie von Symbolen zu folgen, um an den Punkten, an denen die sprachlichen Formen sich überschneiden, die Knoten ihrer Struktur zu ermitteln -, dann ist bereits vollkommen einleuchtend, daß das Symptom sich ganz in einer Sprachanalyse auflöst, weil es selbst wie eine Sprache strukturiert ist, und daß es eine Sprache ist, deren Sprechen befreit werden muss. (Hervorh. C.H.)

Jacques Lacan: Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse. In: Schriften I. Frankfurt 1975, S. 71-171, hier S. 122

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Folter und ihre Sprache(n)____________________________________________________

Die kommunikative Funktion des psychosomatischen Symptoms

1. Sprache intersubjektiv:•Worte und Sätze reichen nicht in das Leid und den Schmerz hinein. •„Psychosomatisches Sprechen“ ist Schmerz und Leiden und drückt etwas durch Verweise auf Vergangenes aus. Körper als Medium der Sichtbarmachung

2. Sprache diskursiv:•jur.: „physische Schädigung“•Psychophysische Kausalität•Neorealität und worldmaking Kommunikation

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Folter und ihre Sprache(n)____________________________________________________

Das Medium des psychosomatischen Symptoms

1. Philosophische Dualismen• Ilias: beseelte Körperteile• Odysseus: (Auf-)Opferung des Körpers• Platon: Körper als Gefängnis der Seele• Descartes: Denken und Körper

2. Psychosomatischer Diskurs:•Modelle wechselseitiger Lesbarkeit von Körper und Seele (psyche+soma)•Körper Seele•Körper Seele

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Das Medium des psychosomatischen Symptoms

3. Anthropologie / Phänomenologie!•Phänomenologische Grundspannung: Leib-Sein und Körper-Haben•Merleau-Ponty: Zur-Welt-Gerichtet-Sein, „Zwischenleiblichkeit“

Intermediärer, zwischenleiblicher Raum: Symbolentstehung

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Folter und ihre Sprache(n)____________________________________________________

Es ist ehrlicher, zugleich aber auch fruchtbarer, einzugestehen, daß die psychosomatische Erkrankung meist rätselhaft bleibt, und daß die Berechtigung einer solchen Bezeichnung erst noch bewiesen werden muß. Fruchtbarer deshalb, weil die Forschung dadurch nicht in Hypothesen und Halbwahrheiten stecken bleibt.

Israel: Die unerhörte Botschaft der Hysterie. München/Basel 1983, S. 49

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Folter und ihre Sprache(n) - und weiterführende Literatur____________________________________________________

Başoğlu, Metin (Hg.): Torture and its consequences. Current treatment approaches. New York/Cambridge (Massachusetts) 1992.

Burschel, Peter (Hg.): Das Quälen des Körpers. Eine historische Anthropologie der Folter. Köln 2000.Danner, Mark (Hg.): Abu Ghraib: The Politics of Torture. Berkeley (California) 2004. Diehl, Paula: Inszenierungen der Politik. Der Körper als Medium. München 2007.

Gurris, Norbert (Hg.): Folter. An der Seite der Überlebenden. Unterstützung und Therapien. München 1996. Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses [Surveiller et punir 1975]. 1.

Aufl. Frankfurt a.M. 1977.Freud, Sigmund: Notiz über den Wunderblock. In: Ders.: Gesammelte Werke. Bd. 13, S. 387-91.Kamper/Wulf: Die Wiederkehr des Körpers. Frankfurt 1982.Keller, Gustav: Die Psychologie der Folter. Die Psyche der Folterer, die Psycho-Folter, die Psyche der

Gefolterten. Frankfurt a.M. 1991.Küchenhoff, Joachim: Körper und Sprache. Theoretische und klinische Beiträge zur Psychopathologie und

Psychosomatik von Körpersymptomen. Heidelberg 1992.Löw, Martina: Raumsoziologie (Kapitel: „Körperräume“ sowie „Exkurs über Bourdieu.

Wahrnehmung“). Frankfurt a.M. 2000.Merlau-Ponty, Maurice: Phänomenologie der Wahrnehmung. Berlin 1966.Macho, Thomas (Hg.): Folter. Politik und Technik des Schmerzes. München 2007.McCoy, Alfred W.: Foltern und foltern lassen. 50 Jahre Folterforschung und -praxis von CIA und US-Militär [Cruel Science. CIA Torture and U.S. Foreign Policy 2004]. 2. Aufl. Frankfurt a.M. 2006.Rejali, Darius: Torture and Democracy. Princeton (New Jersey) 2007.Scarry, Elaine: Der Körper im Schmerz. Die Chiffren der Verletzlichkeit und die Erfindung der Kultur

[The Body in Pain. The Making and Unmaking of the World 1985]. Frankfurt a.M. 1992.Von Weizsäcker, Viktor: Warum wird man krank? Ein Lesebuch. Frankfurt a.M. 2008.