weltzeit 6_2010: Afghanistan - Pakistan - Zentralasien: Die junge Generation im Fokus

32
Afghanistan · Pakistan · Zentralasien Die junge Generation im Fokus Das Magazin der Deutschen Welle 06 Dezember 2010

description

Krisenregion Zentralasien: Länder wie Afghanistan und Pakistan kommen nicht zur Ruhe, von dauerhaftem Frieden keine Spur. Und die Medien? Welche Erwartung haben die Menschen dort an Auslandssender wie die Deutsche Welle? Dazu ein Schwerpunkt in der neuen weltzeit.

Transcript of weltzeit 6_2010: Afghanistan - Pakistan - Zentralasien: Die junge Generation im Fokus

Afghanistan · Pakistan · Zentralasien

Die junge Generation im Fokus

Das Magazin der Deutschen Welle 06—Dezember 2010

Immer frisch!

Presseblogblogs.dw-world.de/presse

Macht Appetit auf mehr Informationen rund um den

deutschen Auslandsrundfunk. Zweimal im Monat frisch in

Ihr Postfach, multimedial verlinkt. Aktuelles zu Projekten

und Entwicklungen bei der Deutschen Welle, zu Menschen

und journalistischen Angeboten, zu internationalen

Medienmärkten und technischen Innovationen. Auf den

Geschmack gekommen?

Printpublikationenwww.issuu.com/deutsche-welle

Pressefotoswww.flickr.com/deutschewelle

Unternehmensseitewww.dw-world.de/unternehmen

Presseseitewww.dw-world.de/presse

Probieren Sie auch diese Leckerbissen:

weltzeit-Newsletterwww.dw-world.de/weltzeit-newsletter

vorspann —3weltzeit 06_2010

04-05 nachrichten

06-19 titel»���Das�Große�Spiel:�

Krisenherd�Zentralasien»���Ratbil�Shamel:�Ohne�Sicherheit�

keine�Medienvielfalt»���Platz�151:�Pressefreiheit�in�

Pakistan�ein�Fremdwort�»���Afghanistan:�Couragierte

Journalistin�macht�Mut»�����Neuanfang:�Kirgisistan�auf�dem�

Weg�zur�Demokratie?

20-21 vor ort»��Keine�Rechte,�keine�Papiere:Kinderarbeit�in�den�USA�

22 spot

23-24 partner»����Von�Porsche�zu�den�Pyramiden:

„Jugend�ohne�Grenzen“�bei�DW-TV»����Bahrain:�DW�mischt�beim�

�Frauenfußball�mit

25-27 profil»��Multimediale�Märchenwelt:�� �

Neues�Projekt�bei�DW-WORLD.DE

28 neue medien »��Webdocs:�Nutzer�entscheiden,�

wo’s�langgeht

29 schlaglichter

30-31 zoom »��Maqpool�Malik:�Mit�Maus�und�

�Elefant�fängt�alles�an

Liebe Leserinnen und Leser,die Mediensituation weltweit verändert sich rasant. Die Deutsche Welle ist Teil dieses Uni-versums. Um ihren Programmauftrag erfüllen zu können und auf den internationalen Medien-märkten nachhaltig präsent zu bleiben, befindet sich die DW seit Jahren in einem kontinuier-lichen Reformprozess. Immer wieder passen wir alle Gegebenheiten neuen Erfordernissen an. Auf manchen Feldern waren und sind wir Vorreiter.

Aktuell gilt dies für die multimediale Aus-richtung unserer journalistischen Angebote. Ziel ist es, die Deutsche Welle als integriertes Multimedia-Unternehmen weiterzuentwickeln. Eine große Herausforderung. Die Kompetenzen für Hörfunk und Internet haben wir bereits in gemeinsamen Redaktionen gebündelt. Auch das Fernsehen ist eingebunden; so gehört Bewegtbild auf unseren Webseiten zum täglichen Angebot.

Die Qualität unserer journalistischen Ange-bote ist und bleibt oberste Leitlinie – bei allem

Wandel. Hier kann es keine Abstriche geben. Allerdings wird sich die DW stärker auf Kern-aufgaben und Kernregionen konzentrieren – auch vor dem Hintergrund unserer finanziellen Ausstattung. Der deutsche Auslandsrundfunk wird aus Steuermitteln des Bundes, nicht aus Gebühren finanziert.

Eine bedeutende Rolle spielen wir in Kri-senregionen. Afghanistan, Pakistan und die angrenzenden Länder Zentralasiens zählen dazu. Dorthin richtet diese weltzeit ihren Fokus – und vermittelt dabei auch das vielfältige Engagement der DW in diesem Teil Asiens. Hier haben wir einen umfassenden Programmauftrag, der Bil-dungsprojekte wie „Learning by Ear“ ebenso einschließt wie Medienentwicklung im Rahmen unserer Akademie.

Ich wünsche Ihnen eine angenehme Lektüre.

Ihr Erik Bettermann

Impressum

Deutsche�WelleUnternehmenskommunikation53110 BonnT. 0228.429.2041F. [email protected]/presse

Verantwortlich: Dr.�Johannes�HoffmannRedaktion:�Berthold�Stevens�Gestaltung:�Alexandra�Schottka,�Lisa�Flanakin,�Marco�Barooah-SiebertzDruck:�Brandt�GmbH�·�Bonn

Fotos und Illustrationen:�Jens�Grossmann�(Titel�und�Seiten�8,�10,�12,�13,�14,�17),�DW/M.Müller�(3,�11,�19,�31),�DW-Archiv�(4,�15,�16,�20,�21,�22,�23,�27),�Thorsten�Lessing�(24),�DW/V.�Mosch�(25),�Fotolia.de/Lisa�F.�Young�(26),�DPA�(4,�13,�18,�26),�AP(�(5)

Anzeigen T.�0228.429.2043F.�[email protected]

Werbung im ProgrammT.�0228.429.3507F.�[email protected]

In dieser Ausgabe

Editorial

4— nachrichten

„Untergang einer Supermacht – Ein Me-morandum für China“ ist der Titel des Buchs. Interessenten können die Audiobeiträge der einzelnen Kapitel auf den chinesischen Seiten der DW anhören und herunterladen. Das Buch, das Ende 2009 in Taiwan erschien, umfasst 50 Artikel, die Liu vor seiner Festnahme im De-zember 2008 verfasst hatte. Darin analysiert der Autor anhand zahlreicher Beispiele politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Missstände in China und kommt zu der Überzeugung, dass Chinas viel gelobter Aufstieg ohne Demokra-tie, Freiheit und Menschenrechte eine Gefahr für das Land darstelle. „Hinter einem solchen ‚Wirtschaftswunder‘ stecken das Wunder des korrupten Systems, das Wunder der gesellschaft-

lichen Ungleichheit, das Wunder des moralischen Verfalls und das Wunder der Verschwendung von Zukunft“, schreibt Liu.

Die Hörbücher werden von der China-Redaktion der Deutschen Welle in chinesischer Sprache produziert und bis zur Verleihung des diesjährigen Friedensnobelpreises in Oslo am 10. Dezember kapitelweise online gestellt.

Das Projekt „Verbotene Bücher in China“ ist seit August 2010 Bestandteil der chinesischen Webseite. Allein in den ersten zehn Tagen wurde das Angebot 600.000 Mal heruntergeladen. In der Reihe ist unter anderem das Hörbuch des kritischen Schriftstellers Yu Jie über den chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao erschienen. ——

Preis krönt Fortbildung Bogotá – Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel hat während seiner Lateinamerikareise Anfang November ein Projekt der DW-Akademie in Kolumbien besucht. Dort überreichte er einen Preis für herausragenden Lokaljournalismus.

Der Videobeitrag der kolumbianischen Jour-nalistin Yesenia Bayona über den „Fall Yamile“ hat den gemeinsam von der DW-Akademie und der Universidad del Norte ausgeschriebenen Wettbewerb „Caminos de la Paz“ (Wege zum

Frieden) gewonnen. Seit 2008 haben Bayona und zwölf weitere Journalisten von kommunalen TV-Sendern Kolumbiens an dem Langzeit-projekt „TV Lokal“ der DW-Akademie an der Universidad del Norte in Barranquilla teilge-nommen. Die Preisverleihung am 5. November war zugleich Höhepunkt und Abschluss der drei-jährigen Fortbildung.

Im Sieger-Beitrag geht es um Yamile, die zwölf Jahre alt war, als kolumbianische Para-militärs ihre Mutter entführten. Wenig später wurde ihr Vater auf offener Straße erschossen. Zehn Jahre ist das her. Sowohl Bayona als auch die Protagonistin ihres Films waren ein er-hebliches Risiko eingegangen. Denn die Täter sind bekannt, blieben von der Justiz bisher aber unbehelligt. „Ohne die Unterstützung der DW wäre es nicht möglich gewesen, diesen Film zu machen“, so Yesenia Bayona. —— www.dw-akademie.de

Bonn – Die DW bietet ihrem Publikum in China das jüngste Werk des Friedensnobel-preisträgers Liu Xiaobo als Hörbuch im Internet an. Eine Produktion im Rahmen des DW-Projekts „Verbotene Bücher in China“.

Friedensnobelpreis zum Anhören

01 Bundesminister�Dirk�Niebel�

gratuliert�der�Preisträgerin��Yesenia�

Bayona

01

weltzeit 06_2010 nachrichten —5

Frauen in Asien produzieren unter unmenschlichen Bedingungen Billig-shirts für Warenhäuser im Westen. Immer mehr Migranten aus dem Süden wollen in die USA und nach Westeu-ropa. Das ist das eine Gesicht der Glo-balisierung. Andererseits: Chinesische Investoren sichern Arbeitsplätze in den USA, Informatiker in Indien lösen Softwareprobleme europäischer Fir-men. Oppositionelle im Iran organisie-ren Proteste per SMS – und finden ein weltweites Echo.

Die Globalisierung bietet Chan-cen, den Menschenrechten universell mehr Geltung zu verschaffen. Sie birgt zugleich erhebliche Gefahren für die fundamentalen Rechte. Die Zusam-menhänge sind selbst für Experten kaum mehr zu überschauen.

Wie können Medien den gewach-senen Anforderungen an Information, Analyse und Bewertung globaler Zu-sammenhänge besser gerecht werden? Wie können sie dazu beitragen, das Bewusstsein für die weltweite Geltung der Menschenrechte zu schärfen? Wie können sie die Achtung und Durchset-zung dieser Rechte fördern – gerade in geschlossenen Gesellschaften? Wie können sich Journalisten davor schüt-zen, selbst Opfer von Menschenrechts-verletzungen zu werden?

Diesen Fragen widmet sich das Deutsche Welle Global Media Forum vom 20. bis 22. Juni 2011. Zur vierten Ausgabe der Konferenz erwartet die DW erneut mehr als 1.300 Teilnehmer aus aller Welt in Bonn. —— www.dw-gmf.de

Forum für Medien und Menschenrechte Bonn – Die Welt hat sich zum globalen Marktplatz für Güter, Ideen und Nachrichten entwickelt. Fluch oder Segen für die Menschenrechte? Diese Frage und die damit verbundenen Herausforderungen für die Medien sind Thema beim Deutsche Welle Global Media Forum im Juni 2011 in Bonn.

In drei Sätzen

»� Mein Deutschland.�Edel:Motion�veröffentlicht�die�Do-

kumentationsreihe�von�DW-TV�auf�DVD.�Schwerpunkt�

der�ersten,�soeben�erschienenen�DVD�sind�„Deutsche�

Familienunternehmen“,�das�Rückgrat�der�deutschen�

Wirtschaft.�In�42�jeweils�vier�bis�sechs�Minuten�lan-

gen�Porträts�werden�Akteure�und�Konzepte�gezeigt,�

gibt�es�Einblicke�in�Unternehmergeist�und�Unterneh-

menskultur,�zum�Beispiel�bei�Miele,�Villeroy�&�Boch�

und�Langenscheidt,�bei�Gabor�und�Krone.��

www.dw-world.de/madeingermany

»� Bengalisch auf UKW.�Der�Partnersender�Bangla-

desh�Betar�strahlt�seit�kurzem�das�bengalische�

Hörfunkprogramm�der�DW�in�der�Hauptstadt�Dhaka�

via�UKW�aus�–�zweimal�täglich�jeweils�30�Minuten.�

Mit�einem�symbolischen�Knopfdruck�gaben�Vertre-

ter�beider�Sender�den�Startschuss.�Unter�den�Gä-

sten�war�auch�der�deutsche�Botschafter�Holger�

�Michael.�

»� Kooperation in La Paz.�Die�DW-Akademie�betreibt�

seit�einigen�Wochen�gemeinsam�mit�dem�Deut-

schen�Entwicklungsdienst�(DED)�in�La�Paz,�Boli-

vien,�die�erste�gemeinsame�Kooperationsstelle.�

Partner�in�La�Paz�ist�die�Universidad�Andina�Simón�

Bolívar.�Ziel�der�Zusammenarbeit:�Rundfunksender�

und�Universitäten�bei�der�journalistischen�Aus-�und�

Fortbildung�stärker�zu�unterstützen.�

»� Vor 50 Jahren.�Am�26.�Oktober�1960�verabschie-

dete�der�Bundestag�das�„Gesetz�über�die�Errich-

tung�von�Rundfunkanstalten�des�Bundesrechts“.�

So�wurde�die�Deutsche�Welle�zur�eigenständigen�

Rundfunkanstalt,�nachdem�sie�seit�1953�zunächst�

unter�dem�Dach�des�NWDR�firmierte.�Das�Gesetz�

wurde�in�den�1970er�Jahren�zum�ersten�Mal�novel-

liert�und�zuletzt�2005�grundlegend�neu�gefasst.�

KABUL

TURKMENISTAN

PAKISTAN

TADSCHIKISTAN

KIRGISISTAN

AFGHANISTAN

USBEKISTAN

IRAN

Balutschi

Nuristani

Paschai

Kirgisisch

Paschtu

Dari

Usbekisch

Turkmenisch

Amtssprachen: Dari, Paschtu

6— titel

Viele�Völker,�viele�Sprachen:�Mit�Dari�und�Paschtu�gibt�es�in�Afghanistan�zwei�Amtssprachen�

(zugleich�DW-Sendesprachen);�Wissenschaftler�gehen�von�47�weiteren�Sprachen�aus.�

Die�Karte�gibt�die�acht�häufigsten�wieder,�basierend�auf�der�letzten�Erhebung�von�1985.�

Das�Land�zählt�heute�schätzungsweise�rund�28�Millionen�Einwohner.�

Seit Jahrtausenden geht es im zentralasiatischen Raum um Macht und Einfluss. Während in Altertum und Mittelalter Hochkulturen einander ablösten, ist die Gegenwart geprägt von zahlreichen Konflikten, in deren Zentrum Afghanistan steht. Das Große Spiel um Macht und Einfluss dauert an – und ist komplexer denn je. Gibt es dennoch Perspektiven? Welches Bild spiegeln die Medien hierzulande? Welche Rolle spielen die Medien in der Region? Was bietet der deutsche Auslands-rundfunk den Menschen dort? Dazu Hintergründe, Analysen, Einschätzungen und Ausblicke. Zum Einstieg ein Blick zurück von Sybille Golte-Schröder.

titel —7weltzeit 06_2010

Die Geschichte des zentralasiatischen Raums liest sich wie ein Who-is-Who der großen Ent-decker und Eroberer. Alexander der Große, König von Makedonien, machte sich mit seinem Heer schon 327 Jahre vor Christus auf den Weg nach Osten. Er wollte reich werden. Ein Motiv, das ihn mit vielen seiner Nachfahren einte. Über Zentralasien führte der Weg von Europa nach China, eine ebenso schwierige wie lukrative Strecke, denn aus China kamen Waren, die im fernen Europa wertvoller waren als Gold.

Da die Reisegeschwindigkeit damals in Jahren gemessen wurde, galt es, den Weg für Handels-karawanen zu ebnen, die dann die begehrten Güter, vor allem Seide, von China bis in den Mittelmeerraum transportieren. Alexander der Große gründete Niederlassungen, heiratete eine lokale Fürstentochter und legte den Grundstein für eine Route, die man heute mit Fug und Recht als eine der wichtigsten der Weltgeschichte bezeichnen kann: die Seidenstraße.

Eroberer und Händler brachten ihre Kulturen und Religionen mit. Alexander dem Großen folgten Händler, Entdecker aus den angrenzenden

Regionen, aus China, Indien, aus dem arabischen Raum und natürlich aus Europa. Nomaden aus den mongolischen Steppen unter der Führung von Dschingis Khan schufen von Zentralasien aus ein Weltreich, das bis Osteuropa reichte und na-hezu ganz Asien abdeckte.

Marco Polo, Sohn eines genuesischen Kauf-manns, erreichte im 13. Jahrhundert angeblich über diese Route China und berichtete später seinen Zeitgenossen in seinem Buch über die Wunder der Welt und von seinen Abenteuern. Alle großen Weltreligionen, Hinduismus, Bud-dhismus, Christentum, Judentum und Islam, hinterließen im Laufe der Jahrhunderte ihre Spu-ren in der Region. Entlang der Seidenstraße ent-standen blühende Hochkulturen, deren Relikte bis heute zu finden sind.

Mit der Entdeckung des Seewegs nach Indien über das Kap der Guten Hoffnung schmälerte ein weiterer Abenteurer der Weltgeschichte, Vasco da Gama, die Bedeutung des damaligen zentral-asia-tischen Raumes und seiner Hauptschlagader, der Seidenstraße. Im 20. Jahrhundert traten dann die modernen Eroberer auf den Plan. Mit Russland

»Alle großen

Weltregionen

hinterließen ihre

Spuren.«

Das Große Spiel

8— titel

und dem britischen Empire begann das „Great Game“, das Große Spiel um Macht und Einfluss auf die Region links und rechts der Seidenstra-ße – ein Spiel, das bis heute gespielt wird. Längst haben andere Transportwege und -mittel die alte Seidenstraße unbedeutend gemacht, doch die Region birgt weitere Reichtümer. Während viele historische Stätten Zeugnis von einer bewegten Kulturgeschichte ablegen, liegen unter der Erd-oberfläche andere Schätze: Öl und Erdgas sind die wichtigsten Handelsgüter der Moderne und mindestens so begehrt wie vor 2.000 Jahren die Seide. Auch Seltene Erden, Kupfer und Eisenerz warten auf ihren Abbau.

Der große Run auf die Region geht weiter: China scheint in dem neuen Großen Spiel um

Bodenschätze den westlichen Konkurrenten den Rang abzulaufen. Die wirtschaftlichen Interessen werden von politischen Konflikten überlagert. Im Zentrum steht im 21. Jahrhundert Afghanistan, ein Krisenherd mit Risikopoten-zial nicht nur für die angrenzenden ehemaligen Sowjetrepubliken, sondern für die gesamte Region bis weit nach Indien, Iran und Pakistan hinein.

Man mag den Spruch „Deutschlands Sicher-heit wird am Hindukusch verteidigt“ für über-trieben halten, doch gibt es mittlerweile keine regionale Macht, die nicht durch eine Eskalation des Afghanistan-Konflikts in Mitleidenschaft gezogen würde. Es besteht kein Zweifel, dass die Anschläge auf das New Yorker World Trade

01 Hoffnung�trotz�ungewisser�

Zukunft?�Ohne�Befriedung�Afgha-

nistans�bleibt�die�Region�ein�Pul-

verfass

01

titel —9weltzeit 06_2010

Center in den Schlupfwinkeln der El Kaida in Afghanistan geplant wurden. Sollten die radi-kal-islamischen Taliban wieder die Oberhand gewinnen, könnten Fundamentalisten in der gesamten Region dies als Signal werten. Auch in der angrenzenden chinesischen Region Xin-jiang leben Muslime mit wenig Zuneigung zur Zentralregierung in Peking. Pakistan und seine paschtunischen Grenzgebieten sind zu Recht mittlerweile als Kernregion für Entstehung und Lösung des afghanischen Dilemmas erkannt worden.

Nach der Militärmacht Sowjetunion steht nun mit der Nato und den USA das mächtigste Militärbündnis der westlichen Welt mitten in Zentralasien, und manches deutet darauf hin, dass es ihm ähnlich ergehen könnte wie einst der sowjetischen Besatzungsmacht.

Springt der Funke dann über auf ganz Zen-tralasien? Das ist möglich, denn stabile de-mokratische Staaten sind aus dem Zerfall des sowjetischen Reichs nicht hervorgegangen. Beim Wettlauf um Macht und Ressourcen im zentralasiatischen Raum sitzen mittlerweile viele Mitspieler am Tisch: Mit Sorge beobachten die despotischen Machthaber in den ehemaligen Sowjetrepubliken Tadschikistan, Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan die Entwicklung der Nachbarregion. Die Furcht ist groß, dass der Funke des Fundamentalismus überspringen und einen Flächenbrand auslösen könnte. Die Ereig-nisse in Kirgisistan, wo ethnische Spannungen unlängst in blutige Auseinandersetzungen aus-arteten, sind noch in schlechter Erinnerung. Ob die neue, demokratisch gewählte Regierung in Bischkek die Fliehkräfte unter Kontrolle behält, ist offen.

Das Große Spiel um die Macht in der Region Zentralasien ist noch längst nicht zu Ende. Wie es ausgeht, weiß niemand, zu unterschiedlich sind die Interessen der Mitspieler. Eine feste Größe allerdings gibt es: Ohne eine Befriedung Afghanistans bleibt die gesamte Region ein Pulverfass mit Sprengpotenzial weit über die Nachbarstaaten hinaus. ——

Sybille Golte-Schröder leitet die Asien-Abteilung

in der Programmdirektion Hörfunk und Online.

B u c h t i p p

Von Lebenslügen trennen Sturz ins Chaos – das ist das Szenario, das Ahmed

Rashid für Afghanistan prognostiziert. Der pakis-

tanische Journalist ist einer der besten, wenn

nicht der beste Kenner der Konfliktregion am

Hindukusch. Sybille Golte-Schröder stellt sein

soeben auf Deutsch erschienenes Buch vor.

Rashid ist seit Jahrzehnten in der Region unterwegs. Er kennt die entscheidenden Figuren im Machtpoker persönlich und hat Kontakte, um die ihn Politiker und Diplomaten benei-den dürften. Umso Besorgnis erregender ist seine Prognose für Afghanistan, der man sich nach der Lektüre kaum entziehen kann. Seine Analysen überzeugen durch den Blick aufs Detail und die Kenntnis historischer Zusammenhänge, wenngleich seine Nähe zu den unterschiedlichsten Protagonisten der Region auch Fragen aufwirft. Kaum ein Tag vergeht ohne neue, negative Meldungen aus Afghanistan. Während sich die Internationale Sicherheitstruppe ISAF auf den Beginn eines geordneten Rückzugs 2011 vorbereitet, deutet nichts darauf hin, dass die Regierung von Präsident Karsai die Lage nach dem geplanten Abzug kontrollieren kann. Im Gegenteil: Die Gemengelage wird für Außenstehende immer undurchsichtiger. Die Gewalt nimmt zu, der Aufbau von Polizei und Armee stockt weiterhin. Hat der Präsident wirklich die Fäden in der Hand? Gibt es „gemäßigte“ Taliban, mit denen verhandelt werden kann? Und welche Rolle spielen die mächtigen Warlords in die-sem Machtpoker? Wie kommt es, dass ausgerechnet sie, die alles andere als eine starke Regierung wollen, ihre privaten Sicherheitsarmeen mit Hilfe westlicher Geberländer finan-zieren? Wie agiert der umstrittene pakistanische Geheimdienst ISI, der – so Rashid – zu Beginn der US-amerikanischen Militäroffensive Talibanführern zur Flucht nach Pakistan verholfen hat? Ahmed Rashid beantwortet diese Fragen mit großer Detailkenntnis, schlüssig und nach-vollziehbar. Wie in seinem vor rund zehn Jahren erschienen Standardwerk über die Ta-liban fügt er auch jetzt eine Fülle von Informationen wie Teile eines Puzzles zu einem Gesamtbild zusammen. Sein Fazit: Die Taliban stehen längst vor den Toren Kabuls. Mit ihrer Rückkehr wird nicht nur Afghanistan, sondern eine ganze Region destabili-siert. Höchste Zeit, dass sich die am Hindukusch engagierten Länder von einigen Lebens-lügen trennen. Ahmed Rashids Buch kann dabei helfen. Allen, die über die Zukunft des Landes entscheiden, sei es als Pflichtlektüre empfohlen.

Ahmed�Rashid,�Sturz�ins�Chaos:�Afghanistan,�Pakistan�und�die�

Rückkehr�der�Taliban.�Leske-Verlag,�320�Seiten,�19,90�Euro,�ISBN:�

978-3-942377-003.�Außerdem�soeben�als�Linzenzausgabe�in�der�

Schriftenreihe�(Bd.�1086)�der�Bundeszentrale�für�politische�Bil-

dung�erschienen.�

10— titel

? Archaische Strukturen, Terror, Taliban, Drogenanbau und die westliche Mili-

tärpräsenz – so kommt Afghanistan beim deutschen Mediennutzer an. Wie sehen die Afghanen selbst ihr Land? Ratbil Shamel: In erster Linie ähnlich: Terror, Taliban, Drogenanbau und viele ausländische Soldaten bestimmen den Alltag der Afghanen. Ihre Hoffnung, dass ihr Land nach drei Jahr-zehnten Krieg endlich Frieden findet, hat sich bislang nicht erfüllt. Dennoch geben die Af-ghanen nicht auf. Sie kämpfen tagtäglich ums Überleben, aber auch für eine bessere Zukunft. Was Medienkonsumenten in Deutschland oder anderen Ländern weniger sehen, ist die Tatsache, dass es in Afghanistan auch Fortschritte gibt. Es gibt zum Beispiel viele selbstbewusste junge Frauen, die in fast allen Bereichen der Gesell-

schaft, trotz aller Probleme, gute Arbeit leisten. Es wird auch weniger darüber berichtet, dass die Menschen immer noch ein demokratisches System einem „Islamischen Emirat der Taliban“ vorziehen. Rund 70 Prozent der Afghanen sind unter 30 Jahre alt. Diese Generation hat vor allem einen Wunsch: ein Leben ohne Krieg und Extremismus.

? Das Medienangebot in Afghanistan ist inzwischen beachtlich, zugleich haben

vor allem Briten und US-Amerikaner ein umfassendes Programmangebot. Nutzen die Menschen überhaupt Auslandssender? Vor allem die USA geben immense Beträge für Medienprojekte aus. Drei Radiosender werden aus den USA finanziert. Auch die Briten haben ihre Präsenz in den vergangenen neun Jahren

„Ohne Sicherheit keine Medienvielfalt“ Einschätzungen von Ratbil Shamel, Leiter der Dari-/Paschtu-Redaktion der DW, zur Lage der Medien in Afghanistan und zur künftigen Entwicklung des Landes. Fragen von Berthold Stevens.

01 Die�Bevölkerung�ist�jung:�70�

Prozent�der�Afghanen�sind�unter�30�

Jahre

»Die junge

Generation hat

vor allem einen

Wunsch: ein Leben

ohne Krieg und

Extremismus.«

01

titel —11weltzeit 06_2010

enorm ausgebaut. Zudem preschen die Chinesen und Iraner immer mehr in den afghanischen Me-dienmarkt vor. Hinzu kommen viele afghanische Sender – 21 Fernseh- und 124 Radiostationen, die zum Teil auch aus dem Ausland finanziert werden. Viele lokale afghanische Sender werden von mächtigen Warlords finanziell am Leben erhalten. Die Afghanen haben nun die Qual der Wahl, unter so vielen Sendern die richtigen An-gebote für sich herauszufiltern. Und das können sie gut. Weil sie Zeit ihres Lebens mit Propagan-da-Sendern des Staates zu tun hatten und biswei-len ein sehr gutes Gespür dafür entwickelt haben, ob es sich um glaubwürdige oder manipulierende Informationen handelt. Wer nicht als glaubwür-dig gilt, wird von vielen Informationssuchenden nicht wahrgenommen – egal, ob es sich dabei um Auslandssender oder Inlandsmedien handelt.

? Was erwarten die Afghanen speziell von der Deutschen Welle?

Glaubwürdigkeit und mehr Präsenz auf dem af-ghanischen Medienmarkt. Deutschland genießt im Allgemeinen, auch heute noch, einen sehr guten Ruf in Afghanistan. Die DW selbst gilt als ein verlässlicher Partner, der nicht nur neutral und fundiert über die Ereignisse in Afghanistan berichtet, sondern für viele auch ein Fenster nach Deutschland, Europa und in die Welt ist. Viele wünschen sich aber mehr Präsenz von uns, das heißt mehr als zwei Stunden Sendezeit am Tag. Die DW versucht, im Rahmen ihrer Möglich-keiten die Angebote auszubauen. Wir bieten mit Unterstützung des Auswärtigen Amts ein „Auf-baumagazin“, das täglich für eine halbe Stunde

über unseren Partnersender Ariana landesweit gesendet wird. Zudem wird die Reihe „Learning by Ear“ für Afghanistan produziert. Das sind 15-minütige Hörspiele, in denen wichtige The-men des Alltags, auch der politischen Aufklärung für ein junges Publikum spielerisch bearbeitet werden. Beide Angebote kommen bei den Nut-zern sehr gut an. Vor allem auch deshalb, weil hier nicht über Krieg und Taliban berichtet wird. Hier stellen wir die positiven Entwicklungen he-raus, die es ja auch im Land gibt, und geben den Menschen Hoffnung und Anregungen für ein besseres Leben.

? Hierzulande steht naturgemäß das En-gagement der Deutschen im Fokus. Wel-

che Rolle spielen die Nachbarländer, etwa China und Iran, in Afghanistan? Die Nachbarn haben fundamentale Interessen in diesem Land und versuchen, diese auf verschie-denen Wegen durchzusetzen. Iran und Pakistan gelten seit drei Jahrzehnten als wichtige Akteure in und um Afghanistan. Experten sind der An-sicht, dass sich Pakistan zum Beispiel vor einer Indien-freundlichen Regierung in Kabul fürchtet und daher versucht, auf die Regierungsbildung in Kabul Einfluss zu nehmen. Aus diesem Grund heißt es ja immer wieder, dass Islamabad nicht entschieden genug gegen Verstecke von Taliban und El Kaida in Pakistan vorgeht. Der schiitische Iran befürchtet nicht nur einen sunnitischen Gottesstaat der Taliban, der von Saudi-Arabien unterstützt wird, sondern sieht auch in einem USA-dominierten Afghanistan eine große Ge-fahr für sich. China versucht, immer mehr Ein-fluss in Afghanistan zu gewinnen. Die Chinesen haben zum Beispiel vor, rund drei Milliarden US-Dollar in die Ausbeutung der größten Kup-fermine Afghanistans zu investieren. Zudem will auch Russland bei der politischen Entwicklung des Landes ein Wort mitreden. Hinzu kommen Indien, Saudi-Arabien und die Türkei, Länder mit geopolitischen und wirtschaftlichen Interes-sen.

? Die Situation im Land ist auf vielfältige Weise schwierig. Sehen Sie trotzdem

Anlass zu Optimismus, eine Perspektive für die Zeit nach einem Abzug der ISAF? Die NATO betont ja immer wieder, dass das militärische Engagement auch nach dem Abzug der ausländischen Einheiten 2014 nicht enden wird. Zudem wird versichert, dass der Abzug mit der Verstärkung der afghanischen Sicherheits-

Ratbil Shamel ist� seit� April� 2010� Leiter� des� Dari-�

und� Paschtu-Programms� der� Deut-

schen�Welle�für�Afghanistan.�Shamel,�

1974� in� Kabul� geboren,� hat� in� Köln�

Politik-� und� Islamwissenschaften�

studiert.� Nach� freiberuflicher� jour-

nalistischer� Tätigkeit� kam� er� 2003�

zur� DW.� Hier� absolvierte� er� ein� Vo-

lontariat� und� begann� als� Redakteur�

im� Dari-� und� Paschtu-Programm.�

Seit 40 Jahren sendet�die�DW�Hörfunk-Programme�in�den�beiden�afgha-

nischen�Landessprachen�Dari�und�Paschtu,�derzeit�täglich�

jeweils�eine�Stunde.�Zudem�betreut�die�Redaktion�das�In-

ternet-Angebot�in�diesen�Sprachen.�Seit�2007�kommt�ein�

täglich�halbstündiges�Magazin�mit�Berichten,�Reportagen�

und� Interviews� zum� Aufbauprozess� des� Landes� und� zur�

Rolle�Deutschlands�in�Afghanistan�hinzu.�

Seit�Mitte�2009�verantwortet��die�Redaktion�das�vom�Aus-

wärtigen� Amt� finanzierte� multimediale� Bildungsangebot�

Learning�by�Ear.�Im�November�2010�ist�die�Produktion�der�

zweiten�Staffel�in�Kabul�angelaufen.�Die�Reihe�wird�über�

Kurzwelle,� Satellit,� eine� UKW-Frequenz� der� DW� in� Kabul�

sowie�über�Partnersender�in�verschiedenen�Provinzen�des�

Landes�ausgestrahlt.�Für�Pakistan�bietet�die�DW�ein�ein-

stündiges�Hörfunkprogramm�und�ein�begleitendes�Inter-

netangebot�in�der�Landessprache�Urdu.�

12— titel

In Südasien stehen nur Sri Lanka und Birma schlechter da. Pakistan rangiert weit hinter In-dien, Bangladesch, Nepal und Bhutan. Sogar in Afghanistan wird die Medienfreiheit höher eingestuft.

Bereits bei der Staatsgründung 1947 verstand sich Pakistan als Zufluchtsort für Millionen von Muslimen, die der kommunalen Gewalt in den mehrheitlich von Hindus bewohnten Gebieten im heutigen Indien entronnen waren. Und – psychologisch entscheidend – das Land sah sich

Neue Vielfalt – alte Reflexe Pakistan belegt Platz 151 auf der aktuellen weltweiten Rangliste der Pressefreiheit. 176 Länder führt Reporter ohne Grenzen hier auf. Dass es nicht gut steht um die Medienfreiheit in Pakistan, hat eine lange Tradition, wie Grahame Lucas erläutert.

organe einhergehen wird. Polizei und Armee sind zurzeit nicht einmal ansatzweise in der Lage, allein für die Sicherheit zu sorgen. Wenn die Lage nach dem Abzug der ISAF-Truppen ähnlich sein sollte, wird ein fürchterlicher Bürgerkrieg ausbrechen und das Land in heillosem Chaos versinken. Viele unserer Hörer haben vor diesem Szenario große Angst und schreiben uns: „Wir werden wieder allein gelassen.“

? Was bedeutet das für die Medienfreiheit und -vielfalt und die Präsenz der DW?

Ohne Sicherheit und einen funktionierenden Staat, der die Pressefreiheit garantiert, wird es keine Medienvielfalt mehr in Afghanistan geben. Viele lokale Sender, die nach der Herrschaft der Taliban entstanden sind, werden in weni-

gen Tagen und Wochen wieder verschwunden sein. Die Menschen werden verstärkt auf die Angebote der Auslandssender wie die der DW angewiesen sein. Die DW wird in einer solchen Situation auch nicht mehr auf das jetzige Kor-respondentennetz in über 20 Provinzen zurück-greifen können. Es wird dann eine noch viel größere Herausforderung sein, verlässlich über Afghanistan zu berichten. Eines unserer wich-tigsten Ziele ist es, Menschen glaubwürdig mit Informationen zu versorgen, die ihnen im Inne-ren des Landes vorenthalten werden. ——

01 Pakistan�nach�der�Jahrhun-

dertflut:�heftige�Medienschelte�für�

die�Zivilregierung

01

weltzeit 06_2010 titel —13

02 Protest�gegen�Übergriffe�

und�Einschränkungen:�Neun�pakista-

nische�Journalisten�starben�2010

als Opfer der Teilung, das Indien in allen Belan-gen unterlegen sei.

Als Konsequenz wurde den pakistanischen Me-dien von den staatstragenden Kräften der Nation – den Militärs, der religiösen Führung und dem Regierungsapparat – von Anfang an die Rolle zu-gewiesen, ein unabhängiges und islamisches Paki-stan zu fördern und das Land propagandistisch vor einer indischen Hegemonie zu schützen. Diese Kräfte, deren Einfluss bis heute weitgehend intakt geblieben ist, stufen die Sicherheit des Landes höher ein als die Medien-freiheit. Die Zensur – basierend auf entsprechenden Presse gesetzen – hat deshalb in Pakistan Tradition.

Alte TabusDie staatstragenden Kräfte mischen sich wie selbstverständlich in die Berichterstattung dann ein, wenn Journalisten sich kritisch mit sensiblen Themen beschäftigen: mit der nuklearen Be-waffnung des Landes etwa oder mit der Haltung Islamabads in der Afghanistan-Frage oder mit den Beziehungen der Geheimdienste zu den af-ghanischen Taliban. Auch ein mutiger Journalist, der sich des Themas Korruption annimmt, muss mit Schikanen und möglicherweise mit einer ju-ristischen Verfolgung rechnen.

Nach wie vor ist es so gut wie unmöglich, objektiv über das Geschehen entlang der Grenze im Nordwesten Pakistans zu berichten. Keine Information kann unabhängig verifiziert wer-den. Nach wie vor sterben pakistanische Jour-nalisten beim Versuch, über den Krieg an der Grenze zu Afghanistan zu berichten – neun allein in diesem Jahr.

Und doch haben die pakistanischen Medien in den vergangenen Jahren mehr Spielraum er-rungen. Diese Entwicklung entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Dass ausgerechnet General Musharraf 2002 eine Liberalisierung der Me-dien in Pakistan einleitete, hatte nicht das Ziel, die Medienfreiheit zu stärken. Im Gegenteil: Musharraf war aufgefallen, dass die Liberalisie-rung der elektronischen Medien in Indien Mitte der 1990er Jahre Neu Delhi Vorteile im Medi-enkrieg zwischen beiden Ländern beschert hatte. Die indischen Medien arbeiteten schneller und effizienter als die „Pakistan Broadcasting Cor-poration“, die 2005 immerhin sieben Stunden brauchte, um das schlimmste Erdbeben in der Geschichte des Landes zu melden.

Musharraf beendete das staatliche Monopol im Bereich der elektronischen Medien, verkaufte

TV- und UKW-Lizenzen an Privatunterneh-men. Die Zensurgesetze blieben aber intakt. Innerhalb weniger Jahre entstanden um die 40 TV-Sender und inzwischen weit über 100 pri-vate UKW-Sender neben den traditionellen Zei-tungen des Landes.

Neue Freiheit Die Proteste der Zivilgesellschaft gegen Musharraf funktionierten schließlich wie ein Katalysator. Die Medien leiteten das Ende der Militärdiktatur und eine Rückkehr zur Demo-kratie ein. Allerdings blieb diese Entwicklung auf halber Strecke stehen. Die wichtigen The-men der inneren und äußeren Sicherheit sind weiter tabu. Und während die Regierung unter Asif Zardari die traditionelle Medienpolitik fortsetzt, haben die Medien ihrerseits den Reflex des vorauseilenden Gehorsams nicht abgelegt: Als im Frühjahr 2009 die Cricket-Mannschaft von Sri Lanka von islamistischen Terroristen in Lahore angegriffen wurde, berichteten viele Me-dien sofort und ohne Beweise, dass der indische Geheimdienst dahinter stecke. Auch als Indien pakistanische Hintermänner bezichtigte, das Attentat von Mumbai aus organisiert und durch-geführt zu haben und einen geständigen pakis-tanischen Staatsangehörigen vor Gericht stellte, taten dies die meisten pakistanischen Medien als Propaganda ab.

Wie sag’ ich’s auf Paschtu? DW-Redakteur� Ahmad� Wali�Achakzai�

(28)�aus�der�Afghanistan-Redaktion�

hat�sich�der�Pflege�des�Wortschatzes�

seiner� Muttersprache� Paschtu� ver-

schrieben.�Diesen�möchte�er�in�mög-

lichst� viele� Sprachen� übersetzen.�

Jüngstes� Ergebnis:� ein� Wörterbuch�

Paschtu-Deutsch.� „Bislang� gab� es�

nur� Deutsch-Paschtu-Versionen“,�

sagt�Achakzai.�Das�Nachschlagewerk�

mit� über� 300� Seiten� hat� der� Jour-

nalist� im� Eigenverlag� herausgege-

ben.�Afghanistan-Experte�Prof.�Man-

fred�Lorenz�schreibt�im�Vorwort,�das�

Werk� werde� „deutschen� und� afgha-

nischen� Nutzern� eine� weitere� Mög-

lichkeit� zum� Kennenlernen� unserer�

Kulturen�bieten“.�

02

14— titel

Sie hat sich an die Entmutigungen der Kol-legen längst gewöhnt. „Du bist doch eine Frau, wie kannst du da gute Reportagen machen?“ Dieses als Frage getarnte Vorurteil ist für Soma Ahmadzai heute eher ein Ansporn. Streitereien gab es auch in ihrer eigenen Großfamilie, als sie beschloss, Journalistin zu werden. Ihre Devise: „alles ignorieren, die Herausforderung anneh-men und weitermachen“.

Jalalabad, wo Ahmadzai heute lebt und ar-beitet, ist die größte Stadt des paschtunischen

Couragiert gegen Schweigen und GewaltJalalabad – Mit Mikrofon und Mut will die 24-jährige Soma Ahmadzai ihren Bei-trag für ein neues Afghanistan leisten. Die junge Frau ist eine von insgesamt 23 cou-ragierten DW-Korrespondenten in Afgha-nistan. Als einzige Frau in diesem Team kann sie über Themen berichten, die ihren männlichen Kollegen im wahrsten Sinne des Wortes verschlossen bleiben. Cem Sey stellt sie vor.

Zahlreiche Partner

in�der�Region�übernehmen�journalistische�Angebote�der�

DW.� In� Afghanistan� strahlt� Radio� Ariana,� nach� eigenen�

Angaben� führender� Radiosender� des� Landes,� das� Auf-

baumagazin� in� Dari� und� Paschtu� aus,� ebenso� die� popu-

läre�Reihe�Learning�by�Ear.�Ariana�ist�in�allen�34�Provin-

zen�des�Landes�und�über�Satellit� in�45�asiatischen�Län-

dern�zu�empfangen.�

In� Pakistan� arbeitet� die� DW� unter� anderem� mit� Nayatel�

zusammen.� Der� Sender� erreicht� sein� Publikum� in� Isla-

mabad�und�Rawalpindi�und�hat�auch�DW-TV� im�Bouquet.�

PBC,�die�Pakistan�Broadcasting�Corporation,�strahlt�lan-

desweit� täglich� 300� Programmstunden� in� 20� Sprachen�

und�Dialekten�aus�–� in�den�Metropolen�des�Landes�sind�

so�auch�DW-Sendungen�auf�Englisch�und�Urdu�zu�hören.�

Das� landesweite� ATV� strahlt� wöchentlich� Kommentare�

aus� der� Bonner� Urdu-Redaktion� in� der� Hauptnachrich-

tensendung� aus.� Die� Virtual� University� Lahore,� die� als�

VU-TV� vier� Bildungskanäle� betreibt,� übernimmt� Maga-

zine� und� Dokumentationen� von� DW-TV� sowie� in� ihrem�

Internetradio� DW-Programme� auf� Englisch� und� Urdu.��

In�der�politisch�bedeutenden�Grenzregion�zu�Afghanistan�

im�Nordwesten�des�Landes�strahlt�eine�Reihe�von�UKW-

Stationen� DW-Programme� in� Urdu,� Paschtu� und� Eng-

lisch�aus.�

Die�Medienlandschaft�in�Zentralasien�ist�so�uneinheitlich�

wie�die�jeweiligen�politischen�Rahmenbedingungen�in�den�

GUS-Republiken.� Die� besten� Bedingungen� für� die� Deut-

sche� Welle� sind� in� Kirgisistan� gegeben,� wo� neun� große�

regionale�UKW-Sender,�darunter�zwei� in�der�Hauptstadt�

Bischkek,�täglich�DW-Sendungen�übernehmen.�

In�Kasachstan�strahlt�der�staatliche�Rundfunk�RTRK�lan-

desweit� Angebote� des� Russischen� und� des� Deutschen�

Programms� der� DW� aus.� Radio� aus� Deutschland� gibt� es�

auch� in� Tadschikistan� über� Radio� Vatan� (Duschanbe).�

Über� Kabelnetze� ist� DW-TV� in� Kasachstan,� Kirgisistan�

und� in� Tadschikistan� zu� sehen.� Hinzu� kommen� Online-�

Kooperationen.

In� Usbekistan� ist� die� DW� aus� politischen� Gründen� un-

erwünscht,� dort� ist� selbst� der� Zugriff� auf� die� Internet-

angebote�der�DW�blockiert,�während�in�Turkmenistan�zu-

mindest�im�Online-Bereich�seit�kurzem�der�Zugang�mög-

lich�ist.�

Eine positive Entwicklung ist gleichwohl zu erkennen: Die neu gestaltete Medienlandschaft hat durch den Sturz Musharrafs an Selbstbe-wusstsein gewonnen, Vielfalt und Konkurrenz haben auch die Tür für investigativen Journalis-mus geöffnet. Sehr zum Ärger der Regierung. So führte der Druck der Medien dazu, dass diverse Ermittlungen wegen Korruption gegen den Staatspräsidenten nicht eingestellt wurden. Die Jahrhundertflut vom August entfachte mas-siv Kritik an der Zivilregierung, die bei der Ver-teilung von Hilfsgütern kläglich versagte.

Die Medien in Pakistan haben ihre Stimme entdeckt. Doch es fehlt an qualifiziertem Nach-wuchs, anerkannten journalistischen Standards und am politischen Willen, die Pressefreiheit durchzusetzen. ——

Grahame Lucas ist Leiter der Südasien-Redaktion

der DW in Bonn.

weltzeit 06_2010 titel —15

01 Sie�fällt�gefährlich�aus�der�

Rolle�–�allein�unter�männlichen�Kol-

legen:�Soma�Ahmadzai

Grenzgebiets zu Pakistan. Die meisten Menschen hier sind arm und verhaftet in uralten Stam-mestraditionen, wenn es um Familie und Frauen geht. In den seit Generationen andauernden po-litischen Wirren und Kämpfen haben sie gelernt, dass sie nur sich selbst vertrauen und schützen können.

Die junge Reporterin fällt also gefährlich aus der Rolle, wenn sie Männer befragt oder gar zum Thema „Gewalt in der Familie“ recher-chiert. So wie kürzlich, als es um die Leiterin der Frauenverwaltung in der benachbarten Provinz Kunar ging. Die Beamtin stand in Verdacht, ihre eigene Schwiegertochter auf grausame Weise ermordet zu haben. Ahmadzai stieß in ein Wes-pennest, denn zahlreiche Regierungsbeamte und Provinzgrößen waren involviert. Sie interviewte Mitwisser, die Familie der Ermordeten, den Ehemann der Beamtin, sogar die mutmaßliche Täterin selbst. Noch bevor die Reportage fertig war, erhielt Soma Ahmadzai, wie nicht anders zu erwarten, Drohungen. „Doch ich sagte mir:

Journalisten sollen der Welt die Wahrheit berich-ten, selbst wenn sie dabei ihr Leben verlieren.“

Sie hatte Angst, sorgte aber dafür, dass ihre Reportage veröffentlicht wurde. Radio Kellid, ein landesweiter Sender, bei dem sie damals ar-beitete, feuerte sie. „Aber wenn ich mich hätte unter Druck setzen lassen und nicht berichtet hätte, hätte ich doch die Wahrheit und das Ge-setz ignoriert“, sagt die junge Frau entschlossen.

Sie hat sich spezialisiert auf die von Schwei-gen beherrschte Welt lokaler Ämter und Be-

amten und auf Verbrechen gegen Frauen. Afghanistan hat zwar längst angemessene Ge-setze. Aber dort, wo Missstände Alltag sind, werden diese Gesetze selten beachtet.

Ihre männlichen Kollegen haben Soma Ahmadzais Mut und Entschlossenheit in diesen Fragen schätzen gelernt. Hinzu kommt, dass kein paschtunischer Mann die Frau eines ande-ren Mannes vertraulich interviewen darf. Oft kommen sie daher ohne die trotz ihrer Jugend schon erfahrene Kollegin nicht weiter.

In Afghanistan Journalist zu sein, egal ob Mann oder Frau, erfordert eine im Westen schwer vorstellbare Bereitschaft zu Risiko und Hingabe. Dass Ahmadzai dieses Leben leben kann, verdankt sie ihren Eltern. Beide haben sie von Anfang an gegen den Widerstand der Ver-wandtschaft, allen voran der Onkel, unterstützt. Das war vor vier Jahren, als sie in der 10. Klas-se in Jalalabad zur Schule ging und bei einem Wettbewerb ein Praktikum beim lokalen Radio Shafaq gewann.

Nun berichtet Soma Ahmadzai selbst für ver-schiedene Radiosender, darunter die Deutsche Welle. Zudem bildet sie junge Journalistinnen aus. Denn mehr und mehr Frauen wollen helfen, Afghanistan voranzubringen. ——

Cem Sey ist freie Mitarbeiterin des Dari-/

Paschtu- Programms der DW.

01

16— titel

Sohail Ahmad stammt aus Khyber Pakhtoonk-hwa (KPK), einer Provinz im Nordwesten Pakis-tans, unmittelbar an der Grenze zu Afghanistan. Der junge Journalist ist Redakteur eines lokalen Fernsehsenders und lebt mittlerweile in Islama-bad, der Hauptstadt Pakistans. „Die Menschen in der KPK-Provinz leiden unter den Problemen der Region“, sagt er. Militarisierung, Talibanisie-rung, islamistische Radikalisierung – vor allem die Gebiete in der Grenzeregion zu Afghanistan werden immer gefährlicher, „besonders betroffen davon sind wir Journalisten. Und die Kinder“, sagt Ahmad.

„Viele Kinder in den paschtunischen Gebie-ten haben aufgrund der Sicherheitslage nicht die Chance, eine Schule zu besuchen. In Af-ghanistan kommt hinzu, dass viele Bildungs-einrichtungen immer wieder zerstört werden“,

beschreibt Florian Weigand, Projektmanager der DW-Akademie, die Situation vor Ort. Er war im Oktober zwei Wochen lang in Islamabad, um dort pakistanische Journalisten zu trainieren. „Wissen macht Spaß! – Kinderfernsehen für die paschtunischen Gebiete“ heißt das Projekt, mit dem die DW Medien sowohl in Pakistan als auch in Afghanistan unterstützen will.

„Auf beiden Seiten der Grenze ist Fernsehen sehr beliebt. Gerade für die Kinder kann es das Tor zur Welt sein“, so Weigand. Kann: Sofern überhaupt Kinderprogramme existieren, senden sie hauptsächlich Cartoons. Das soll sich jetzt ändern. Sowohl in Kabul als auch in Islamabad haben Weigand und die Hindukusch-erfahrenen Trainer Kay Andersson und Marjam Wakili sowie Shafagh Laghai und Veronica Picmanova begonnen, gemeinsam mit Journalisten aus Af-ghanistan und Pakistan Magazinsendungen zu produzieren, „angelehnt an Formate wie Lö-wenzahn, Logo oder Wissen macht Aah!“, so Weigand. „Wir ersetzen weder die Schule noch machen wir reines Schulfernsehen. Wir bieten eine Ergänzung dazu und einen neuen Blick auf die Welt da draußen.“ In einer Region, in der 70 Prozent der Jungen und 80 Prozent der Mädchen nicht lesen und schreiben können, hat das Fern-sehen eine besondere Bedeutung – und bietet Chancen.

„Derzeit allerdings gibt es noch zu wenige Journalisten, die sich um das Thema Kinderfern-sehen kümmern“, bemerkt Sohail Ahmad.

Zum Auftakt des Projekts waren die af-ghanischen und pakistanischen Teilnehmer in Deutschland, um in München am Kinderfilm-wettbewerb „Prix Jeunesse“ und einer Fortbil-dung teilzunehmen. Im Sommer folgten erste Trainingseinheiten in Kabul und in Baragali, im

Auf Augenhöhe mit der Zielgruppe Islamabad/Kabul – Mit einem grenzübergreifenden Projekt will die DW-Akademie das Bildungsangebot für Kinder und Jugendliche in den paschtunischen Gebieten Afgha-nistans und Pakistans verbessern. Dabei setzt sie vor allem auf TV-Angebote für Kinder. Akademie-Mitarbeiter Gunnar Rechenburg war vor Ort.

01 „Wir�bieten�den�Kindern�einen�

Blick�auf�die�Welt“:�Erfan�Ahmadzai�

von�Shamshad�TV,�Kameramann�und�

Kursteilnehmer�in�Kabul

01

titel —17 weltzeit 06_2010

Norden Pakistans. Dort wurden kurze Reportagen gedreht über unterschied-liche Lebenswelten von Kindern. „Im Laufe der Trainings in Kabul und Isla-mabad sind dann um diese Clips herum Magazinsendungen entstanden“, erklärt Weigand. Ein Kindermoderator wurde gecastet, es gab Moderationstrainings, Einheiten zu Kameratechnik, Schnitt und Texten fürs Fernsehen.

Auch Bakht Zaman hat an dem zweiwöchigen Kurs in Islamabad teilge-nommen. Er ist Journalist und Lehrbe-auftragter am Seminar für Journalismus und Massenkommunikation der Uni-versität Peschawar. „Es geht hier um die Jugend“, sagt er. „Und somit um unsere Zukunft. Nur wenn wir als Journalisten und Lehrer gut ausgebildet sind, können wir den Kindern und Jugendlichen etwas bieten“, betont er.

Das Projekt leistet aber mehr: Es führt Journalisten von beiden Seiten der

Grenze zusammen und trägt so zur Ver-ständigung bei. Kinderfernsehen liege, so Weigand, „unterhalb der politischen“ Reizschwelle. Es ist ein Feld, auf dem sich die Kollegen aus Pakistan und Af-ghanistan treffen können, unabhängig davon, wie die politische Großwetterlage zwischen den Ländern gerade ist.“

Die Situation für die Journalisten ist derzeit nicht leicht – auf beiden Seiten der Grenze. „Viele Kollegen versuchen, objektiv zu berichten“, so Bakht Zaman. „Aber sie können nicht, weil sie um ihr Leben fürchten müssen.“ Nach Einschät-zung der Organisation Reporter ohne Grenzen spitzt sich die Lage für Medi-envertreter vor allem in Pakistan gerade massiv zu. Das südasiatische Land gehöre zu einem der gefährlichsten Orte der Welt für Journalisten.

Die DW-Akademie plant, das Projekt 2011 fortzusetzen. —— www.dw-akademie.de

Die DW-Akademie

ist�seit�Mitte�der�1990er�im�Bereich�Medienentwicklung�in�

Zentralasien�aktiv,�seit�2002�auch�in�Afghanistan.�In�der�

Region�bestehen�enge�Kontakte�zu�ausgewählten�Partnern�

im�Bereich�TV,�Radio�und�Online,�deren�Mitarbeiter�regel-

mäßig�zu�Workshops�in�der�Region�und�in�Deutschland�ein-

geladen�werden.�Ziel�ist�die�Stärkung�des�Qualitätsjourna-

lismus�und�die�Ausbildung�von�Trainerinnen�und�Trainern.�

Schwerpunkte� sind� Fernsehen� für� Kinder� (siehe� Beitrag�

auf�Seite�16),�Bildung,�Gesundheit,�Umwelt�oder�ethnische�

Minderheiten.�

Letztgenanntes�Thema�ist�besonders�in�Kirgisistan�von�Be-

deutung,�wo�Kirgisen�und�Usbeken�nach�dem�gewaltsamen�

Konflikt�vom�Juni�2010�in�der�Folge�des�Umsturzes�von�Ex-

Präsident�Kurmanbek�Bakijew�erst�wieder�lernen�müssen,�

aufeinander� zuzugehen.� Die� Medien� spielen� hierbei� eine�

besondere� Rolle;� die� DW-Akademie� unterstützt� den� Pro-

zess�mit�einer�Reihe�von�Kursen.

In� Afghanistan� organisiert� die� Akdademie� zudem� Work-

shops� für� Radiojournalisten,� die� Projekte� der� deutschen�

Entwicklungszusammenarbeit�beleuchten.�So�erhalten�die�

Teilnehmer�zum�einen�die�Möglichkeit,�ihr�fachliches�Wis-

sen�durch�die�Produktion�von�Hörfunkbeiträgen�zu�schu-

len.�Gleichzeitig� lernen�sie,�kompetent�und�kritisch�über�

die� deutsche� Leistung� beim� Wiederaufbau� ihres� Landes�

zu�berichten.�

Darüber�hinaus�werden�Fortbildungen�für�technisches�Per-

sonal�und�Führungskräfte�angeboten.�Ein�weiterer�Fokus�

ist�die�Ausbildung�von�Nachwuchsjournalisten,�um�die�Me-

dien�in�der�Region�zu�stärken.�Dies�geschieht�im�Rahmen�

einer�dreimonatigen�Ausbildung�an�der�gemeinsam�mit�der�

OSZE-Akademie� in� Bischkek� gegründeten� „Central� Asian�

School�of�Contemporary�Journalism“.�Die�Teilnehmer�er-

halten� hier� ein� multimediales� Training� in� den� Bereichen�

Print,�Radio,�TV�und�Online.

In� Usbekistan� sind� Kooperationen� aufgrund� der� derzei-

tigen�politischen�Lage�nur�erschwert�möglich.�Im�benach-

barten�Turkmenistan,�in�dem�wie�in�Nordkorea�Pressefrei-

heit� nach� wie� vor� ein� Fremdwort� ist,� soll� noch� 2010� ein�

Projekt�zur�Stärkung�der�Zivilgesellschaft�beginnen.�

18— titel

Damit die Kinder wieder Blumen malen Osch – Kirgisistan blickt auf ein Jahr voller Unruhen und Gewalt zurück. Im April war Präsi-dent Kurmanbek Bakijew gestürzt worden. Zwei Monate später kam es im Süden des Landes zu gewaltsamen Ausschreitungen zwischen Kirgisen und der usbekischen Minderheit. Jetzt versucht die zentralasiatische Republik einen Neuanfang. Doch die Zukunft des Landes ist un-sicher. Aus der Stadt Osch berichtet Alexandra von Nahmen.

Auf dem Markt im Zentrum von Osch wird wieder gehandelt. Zwei kirgisische Händle-rinnen haben auf einer dunklen Plane ihre Ware ausgebreitet: dicke Socken für den Winter. Gleich nebenan verkaufen usbekische Frauen Fladenbrote. Der Alltag ist zurückgekehrt in die südkirgisische Stadt im Herzen Zentralasiens. Doch ihre Bewohner finden nur schwer zur Normalität zurück.

Im Juni wurde die Region von blutigen Kämpfen zwischen Kirgisen und der usbekischen Minderheit erschüttert. Nach offiziellen Anga-ben wurden dabei mehr als 400 Menschen getö-tet. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, die Unruhen angezettelt zu haben.

Barno Raimtschanowa arbeitet als Lehrerin in einem usbekischen Viertel von Osch. Ihre alte Schule wurde niedergebrannt. Unterrichtet wird in Zelten, die UNICEF zur Verfügung gestellt hat. Raimtschanowas Schüler haben Ge-walt, Zerstörung und Plünderungen erlebt. Jetzt lernen sie wieder. Aber es fällt ihnen schwer, zu vergessen. „Ich habe die Kinder gebeten, Blumen zu malen“, sagt die Lehrerin. „Aber sie wollten keine Blumen malen. Stattdessen malen

sie jetzt Flugzeuge, Bomben und Maschinenge-wehre.“

Überall im Viertel stehen Ruinen von aus-gebrannten Häusern und Geschäften. Ihre Tore sind aus den Angeln gehoben, die Fenster zu rußigen Löchern geworden. Kirgisische Banden hätten die Häuser in Brand gesetzt, erzählen die Usbeken. Viele von ihnen haben immer noch Angst.

„Wir vertrauen niemandem mehr“ Aber der Wiederaufbau geht voran. Altinaj Badalowa hat von internationalen Hilfsorgani-sationen Baumaterial und Geld für Bauarbeiten bekommen. „Das Geld reicht aber nur für ein kleines Haus“, sagt sie bekümmert: „Wir sind neun Personen in der Familie. Wie sollen wir denn alle in zwei Zimmer hineinpassen.“ Bis das Haus fertig ist, übernachtet sie wie 100 andere Familien in einem Zeltlager. Was die Zukunft bringt? Badalowa wirkt ratlos. „In unsere Politi-ker haben wir jegliches Vertrauen verloren“, sagt sie. „Wir vertrauen niemandem mehr.“

Vertrauen und Hoffnung zu haben, das fällt auch Moldomat Alikulow schwer. Der Kirgise

01 Malen�lieber�Flugzeuge�und�

Bomben�als�Blumen:�Kinder�in�der�

Stadt�Osch�(Kirgisistan)��

01

titel —19 weltzeit 06_2010

hat sich wie fast jeden Tag ins Zentrum von Osch aufgemacht. Dort, direkt am Sitz des Gouverneurs, steht eine Tafel mit Fotos von Kirgisen, die seit den Unruhen vermisst werden. Moldamat Alikulow sucht immer noch nach seinem einzigen Sohn. „Ich werde nicht ruhen, solange ich meinen Sohn nicht gefunden habe“, sagt er voller Trauer. Die Männer, die sich um ihn herum versammelt haben, schimp-fen: „Alle bedauern die Usbeken, aber die haben doch angefangen.“

Manche in Osch vermuten, dass das Blutvergie-ßen gezielt provoziert wurde. Nur von wem? Von Anhängern des im April verjagten Ex-Präsidenten Kurmanbek Bakijew, der aus dem Süden stammt und dort seine Hausmacht hatte? Von Unterwelt-Größen, die von Geschäften mit Drogen aus dem nahen Afghanistan leben? Oder von Extremisten mit einem Interesse an der Destabilisierung Kirgisistans? Wie es zu den Unruhen kam, soll nun eine interna-tionale Kommission untersuchen.

Auf dem Weg zum Vorbild? In Osch versuchen sie, nach vorn zu blicken. Im Oktober hat Kirgisistan ein neues Parlament ge-wählt. Die Wahlen wurden von internationalen Beobachtern als frei und fair gelobt. Sie verliefen, gegenteiligen Befürchtungen zum Trotz, ohne ge-waltsame Zwischenfälle. Das Parlament soll jetzt das Sagen haben, nicht mehr ein übermächtiger Präsident. So regelt es die neue Verfassung. Damit soll Kirgisistan zum Vorbild für Demokratie in Zen-tralasien werden, in einer ansonsten autoritär regier-ten Region.

In Osch haben aber viele Zweifel, dass dieses Experiment gelingt. Achmatbek Keldibekow gehört der als nationalistisch geltenden Partei „Ata-Schurt“ an, die im Süden des Landes ihre Machtbasis hat und aus der Parlamentswahl als stärkste Kraft hervorging. „Wir werden alles daran setzen, die Verfassung zu ändern. Nur ein starker Präsident kann die Probleme Kirgisistans lösen“, ist er überzeugt.

Auf dem Markt von Osch bauen die Händler langsam ihre Stände ab. „Natürlich werden wir in Zukunft wieder friedlich zusammenleben“, sagt ein kirgisischer Taxifahrer. Erst kürzlich habe er einen usbekischen Freund in dessen Imbiss besucht. „Er forderte mich auf, mich dorthin zu setzen, wo mich alle sehen“, erzählt er. Damit schon bald wieder us-bekische und kirgisische Kunden in seinen Imbiss kommen. ——

Alexandra von Nahmen ist Leiterin des DW-Studios in

Moskau. Sie hat Kirgisistan in diesem Jahr mehrmals

bereist.

Der tote Winkel in Asien Es ist immer interessant, wie historisch bedingte Perspektiven die Wahrnehmung aktueller poli-tischer Probleme bestimmen. Ein sehr gutes Bei-spiel dafür ist der Afghanistan-Konflikt: In der Tradition des britischen Kolonialreichs wird dieser Konflikt in Afghanistan aus südlicher Richtung, vom Indischen Ozean kommend, „wahrgenom-men“. Der Blickwinkel erweitert sich dann nach Westen und Osten, also nach Iran und Pakistan, weshalb es auch in den USA modern geworden ist, von „AfPak“ zu sprechen, also von Afgha-nistan und Pakistan als einem gemeinsamen Krisengebiet. Die post-sowjetischen Republiken nördlich von Afghanistan – allen voran die drei Nachbarstaaten Afghanistans Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan – wer-den dagegen aus der Perspektive des russischen und sowjetischen Kolonialreichs als eine davon getrennte politische Einheit gesehen. Zwar wird die geografische Lage und damit günstige logistische Nähe erkannt: Die USA verfügen in Manas, Kir-gisistan, über eine Air Base zur Versorgung der US-Truppen in Afghanistan, die Bundeswehr hat ihrerseits einen Lufttransportstützpunkt im usbekischen Termez eingerichtet. Aber die Bedeutung der ehemaligen sowjetischen Republiken in Zentralasien für den Afghanistan-Konflikt wird trotz der kulturellen und ethnischen Zusammen-hänge zu gering wahrgenommen. Über diese Staaten und deren schlecht gesicherte Grenzen läuft seit Jahren nicht nur der für die Taliban wichtige Drogenhandel nach Europa. Vielmehr wird die Ausbreitung des islamistischen Extremismus in dieser Region zu wenig erkannt, obwohl dies von den Vorgängen in Afghanistan nicht zu trennen ist. Der ethnische Sprengstoff im Ferghana-Tal, Anschläge in Duschanbe und Chudschand mit Dutzenden von Toten, Kämpfe zwischen tadschikischen Re-gierungstruppen und Islamisten in schwer zugänglichen Gebirgsregionen finden in westlichen Medien und ebenso in der westlichen Politik nur geringe Beachtung. Anscheinend wird alles als ein lokales Problem gesehen. Oder als Folge der Auflö-sung der Sowjetunion und damit als eine Aufgabe für Russland in seinem Hinter-hof. Oder man will sich in die Angelegenheiten der autoritären Staatschefs dieser Staaten nicht einmischen, weil deren Zustimmung für die Versorgungstransporte be-nötigt wird. In jedem Fall entsteht ein gefährlicher toter Winkel, was sich noch bit-ter rächen könnte.

Ingo Mannteufel leitet die Osteuropa-Abteilung und die Russische Redaktion der DW.

20— vor ort

Es ist stockdunkel, 4.30 Uhr morgens. Ein riesiger Pitbullterrier bellt sich die Seele aus dem Leib. Er springt um unseren Pkw. Wer soll als Erster aussteigen? Kameramann Lars Scholtyssyk und ich sind der Meinung, dass unser Fahrer Peter sein Bein vor die Tür setzen soll. Schließlich hat er uns hierher gebracht: fernab von allen Straßen North Carolinas, ans Ende einer Schotterpiste am Waldrand, unmittelbar vor zwei heruntergekom-menen Wohnwagen. Peter, ein Hüne von Mann mit Vollbart, arbeitet für eine amerikanische Nichtregierungsorganisation (NGO). Er betreut Kinder, die auf US-amerikanischen Farmen

arbeiten. In einem der beiden Wohnwagen, vor denen unser Wagen steht, hausen – zusammen mit etwa einem Dutzend Erwachsener – Esteban und Gilberto, 15 und 14 Jahre alt.

Der Hund weckt die Schlafenden. In den Unterkünften wird das Licht angeknipst. Peter steigt aus und wird zu unserer Verwunderung nicht vom bellenden Ungeheuer zerfleischt, sondern verschwindet hinter einer Wohnwa-gentür. Lars hat die Kamera im Anschlag. Wir betreten leise die Behausung, fühlen uns un-wohl. Schließlich dringen wir in das kärgliche Privatleben fremder Leute ein. Der Holzboden

35 Cent für einen Eimer Patatas

01-03 „Sie�können�nicht�

tagsüber�auf�dem�Feld�arbeiten�und�

abends�Hausaufgaben�machen“:�Die�

meisten�der�arbeitenden�Kinder�haben�

kaum�eine�Chance�auf�einen�Schul-

abschluss

Raleigh, North Carolina – NGOs nennen sie die „Unsichtbaren“: Kinder, die auf US-amerikanischen Farmen arbeiten und von denen die meisten Amerikaner nichts wissen. Sie haben keine Papiere, werden ausgebeutet, auch missbraucht. Über das Schicksal der 500.000 Kinder schweigen sich die Medien aus: Es passt nicht in das Bild, das die US-Amerikaner von ihrem Land haben. Washington-Korrespondent Miodrag Soric berichtet von Dreharbeiten in North Carolina.

01

weltzeit 06_2010 vor ort —21

ist voller Sand, die einst weiße Plastikverklei-dung an den Wänden aufgerissen. In einer Ecke laufen auf einem kleinen Fernseher Musikvideos. Aus dem Nachbarraum kommt Esteban, mit verschlafenem Blick. Der Junge schenkt uns ein schüchternes Lächeln. Ja, wir dürfen filmen, sagt er uns. „Wie alt bist Du?“ – „Zwanzig“, antwor-tet er, ohne sich die Mühe zu geben, uns von der Richtigkeit seiner Aussage zu überzeugen. Er zeigt uns, wo er schläft: auf einer schmutzigen Matratze ohne Bettbezug. Nachts wickelt er sich in eine alte Decke. Über der Schlafstelle hängt ein orangefarbener Fliegenfänger voller Insek-ten. Auf der Gemeinschaftstoilette hält man am besten die Luft an. „So sieht es in den meisten Unterkünften aus, in denen Kinderarbeiter leben müssen“, sagt Peter.

Nach einer Stunde hält ein rostiger Kleinbus vor den Wohnwagen. Esteban und sein Freund Gilberto steigen zusammen mit den anderen Latinos wortlos in den Wagen, unter dem Arm jeweils eine Flasche Wasser und ein paar Brote. Der Vorarbeiter hinter dem Lenkrad gibt Gas. Wir springen in unseren Wagen und jagen hinterher. Nach 20 Minuten biegen wir von der Straße ab auf ein Kartoffelfeld. Der Farmer sowie andere Landarbeiter – alle Latinos – war-ten schon. Gerade geht die Sonne auf. Dutzende Hände durchwühlen die Erde, auf der Suche nach „Patatas“. Sie werden in Plastikeimer, die jeder vor sich herträgt, geworfen. Ist ein Eimer voll, wird er zu einem Lkw gebracht. Für jeden vollen Eimer bekommt man auf diesem Feld 35 Cent. „Die Kinder müssen Tonnen von Kartof-feln aus der Erde graben, um im Monat etwa 800 Dollar zu verdienen“, erzählt uns später Emily Drakage von einer NGO, die sich für die Rechte der Minderjährigen einsetzt. Davon müssen sie ihr Essen bezahlen – und einmal die Woche den Transport zum nächsten Walmart-Supermarkt.

Die Kinder sind weder versichert, noch haben sie gültige Papiere. Die Plackerei unter der glühenden Sonne North Carolinas greift die Gesundheit an. Bei einem unserer Besuche in Arbeiterunterkünften treffen wir einen Jun-gen, der vom vielen Staub auf dem Acker einen stark geschwollenen Hals hat, kaum noch Luft

bekommt und nicht mehr arbeiten kann. Zum Arzt geht er nicht, weil er fürchtet, anschlie-ßend ausgewiesen zu werden. Immer wieder sterben Kinder, die auf den Feldern schuften. Niemand weiß genau, wie viele es sind. Human Rights Watch gibt an, dass zwischen 2005 und 2008 mindestens 43 Kinder durch Arbeitsver-letzungen ums Leben gekommen sind. Andere Schätzungen liegen weitaus höher. Die meisten der arbeitenden Kinder auf amerikanischen Far-men haben kaum eine Chance auf einen Schul-abschluss. „Sie können nicht tagsüber auf dem Feld arbeiten und dann abends Hausaufgaben machen“, sagt uns Mary Lee Moore, eine Lehre-rin, die versucht, sich um die Kinderarbeiter zu kümmern.

Auf einem anderen Ackerfeld treffen wir die 15-jährige Blanca Estela. Mit 13 wurde sie schwanger, mit 14 bekam sie eine Tochter. Der Vater des Kindes hat sie verlassen.

Washington soll helfen Bei den Dreharbeiten sehen wir immer wieder Kleinkinder. Sie werden in den Fahrerkabinen der Lkw sitzen gelassen, die die Ernte abtrans-portieren. Die Zwei- oder Dreijährigen verbrin-gen dort den ganzen Tag, warten auf ihre Eltern, die oft selbst noch Minderjährige sind.

Agrar-Lobbyisten in North Carolinas Haupt-stadt Raleigh verweisen im Interview auf die Zuständigkeit der Regierung in Washington. Die solle das Problem mit den „Illegalen“ end-lich lösen.

Bei der Rückfahrt nach Washington machen wir Rast in einem Restaurant. Wir bestellen uns Bratkartoffeln zum Hamburger. Diesmal wollen sie uns nicht schmecken. ——

Die Deutsche Welle zeigt die TV-Reportage in der

Sendung Global 3000 – auch online zu sehen:

www.dw-world.de/global3000

02

03

Bloggen über Grenzen hinweg Kairo – Kontakte im Internet können die persönliche Begegnung weder ersetzen noch vertiefen, so lautet das Fazit des Young Media Summit, zu dem Anfang Oktober die DW-Akademie nach Kairo eingeladen hatte. Drei Tage lang diskutierten Blogger aus Deutschland und arabischen Ländern unter anderem über die Grenzen zwischen einem „Orient“ und einem „Okzident“ im weltweiten Netz. Jeder Blog-Kommentar, jede Nachricht bei Twitter oder Facebook könne zum Verständnis zwischen den Kulturen beitragen, sagte die ägyptische Künstlerin und Bloggerin Amira Taher. Auch die Rolle der Sozialen Medien bei der Demokratisierung war Thema. www.yms2010.wordpress.com

Ein Reporter auf Pilgerfahrt Mekka/Bonn – DW-Reporter Ali Almakhlafi war bei der Pilgerfahrt Hadsch im November in Mekka dabei. Von seinen Eindrücken und Begegnungen hat er in einem Internet-Tagebuch berichtet. Bevor die Pilgerfahrt losging, musste der Journalist erst einmal Poloshirt und Jeans gegen ein Hadsch-Gewand tauschen. Für Almakhlafi eine neue Erfahrung – der 31-jährige Muslim war selbst zuvor noch nie in Mekka. „Ich will als Reporter zu mehr Verständnis zwischen den Kulturen beitragen“, lautet sein Credo, „kritisch, unverkrampft und auch mit etwas Humor“. Zum Tagebuch mit Hintergründen zu Mekka, Pilgern und Saudi-Arabien: www.dw-world.de/alis-mekka-tagebuch

Selbstkritik beim MediendialogUlan Bator – Auf Einladung des Goethe-Instituts, der DW und zweier mongolischer Medienun-ternehmen diskutierten rund 70 Journalisten aus der Mongolei am 1. November beim „Deutsch-Mongolischen Mediendialog“ über die Medienpolitik ihres Landes. Peter Clever, Vorsitzender des DW-Verwaltungsrats, umriss in einer Rede die Bedeutung der Medien in der Demokratie. „Freiheit und Unabhängigkeit demokratisch verfasster Medien sind ein unschätzbares Gut und ein elementarer Baustein in einem sich vereinigenden Europa“, so Clever. Medienvielfalt als Ausdruck von Meinungs-pluralismus sei in jeder Gesellschaft erforderlich.

Medienentwicklung in ISO-Qualität Bonn/Berlin – Dienstleistungen verbessern und Qualität sichern, darum geht es beim Qualitätsma-nagementsystem (QM) der DW-Akademie. Bewertungsmaßstab ist die international anerkannte Norm ISO 9001. „Die Akademie hat ihr QM-System mit dem Ziel aufgebaut, ihrem Anspruch als führende Institution der internationalen Medienentwicklungszusammenarbeit gerecht zu werden“, so Direktorin Gerda Meuer. „Mit der ISO-Zertifizierung wurde dem ein objektiver Beleg hinzugefügt.“ Ein Be-standteil des Qualitätsmanagements ist die Projektevaluation. Meuer: „Die Zufriedenheit der Teilneh-mer ist entscheidendes Indiz für die Qualität unserer Dienstleistungen.“ www.dw-akademie.de

Medienhilfe für Partner in Moldau Chisinau – Die Deutsche Welle wird den Umbau des früheren staatlichen Rundfunksenders „Tele-Radio Moldova“ (TRM) zu einer öffentlich-rechtlichen Anstalt mit einem Fortbildungs- und Bera-tungspaket unterstützen. Intendant Erik Bettermann vereinbarte bei einem Besuch in Chisinau, der Hauptstadt der Republik Moldau, einen entsprechenden Ausbau der seit zwei Jahren laufenden Part-nerschaft. Ab 2011 soll eine deutsche Fachkraft für zwei Jahre den Reformprozess durch Trainings insbesondere im TV-Bereich und durch den Aufbau eines Trainingszentrums bei TRM begleiten – zusammen mit dem Centrum für internationale Migration und Entwicklung (Frankfurt/Main).

22— spot

Das hatten sie so noch nie erlebt: rings herum nur Wüste, bizarre Steinformationen und viel Sand. Hier sollten sie eine Nacht verbringen – in Zelten, ohne Strom und fließend Wasser. Nach langer Busfahrt sind die Jugendlichen im Wadi al-Hitan angekommen, wegen der riesigen hier gefundenen Wal-Skelette „Tal der Wale“ ge-nannt. Früher war das Tal Meeresboden, heute ist es eine der vielen Weltkulturerbestätten der UNESCO in Ägypten.

Die von zwei Video-Journalisten (VJs) be-gleitete Reise im Oktober quer durch Ägypten eröffnet den deutschen Jugendlichen neue Pers-pektiven. Wann hat man schon die Gelegenheit, das Land von einheimischen Jugendlichen vor-gestellt zu bekommen? Die futuristische Biblio-thek von Alexandria, antike Ausgrabungsstätten in Luxor, ein traditionelles nubisches Frühstück in Assuan und die ersten Naturschutzreservate am Roten Meer – es waren eine ganze Menge Eindrücke.

In der Talkshow „Jugend ohne Grenzen“ diskutieren die Jugendlichen aus beiden Ländern einmal im Monat über aktuelle Themen und Fragen, die sie bewegen – direkt und ungefiltert. Seit 2008 produzieren DW-TV und ERTU die Sendung, mal in Kairo, mal in Berlin.

Die Reise durch Ägypten ist ein Gegenbesuch. Im Monat zuvor waren ägyptische Jugendliche zu Gast in Deutschland. Zusammen mit ihren deutschen Diskussionspartnern begaben sie sich auf eine Bus-Rundreise: vom Hamburger Hafen bis zur Stie-Alm im Bayerischen Oberland, von den mittelalterlichen Gässchen in Rothenburg ob der Tauber zu den Hightech-Fertigungshallen des Autobauers Porsche und dem Raumfahrtzentrum in Oberpfaffenhofen. Hautnah erlebten sie viele Facetten Deutschlands.

Klar, dass beide Gruppen in der folgenden Talkshow viele Themen zu besprechen hatten – und beim Anschauen der Sendung auch ein wenig wehmütig wurden. ——

DW und BBC via DRM in Südasien Bonn – Mit Beginn des Sendeplans für die Winterzeit am 31. Oktober haben DW und BBC einen gemeinsamen DRM-Kanal für

Südasien gestartet, mit Programmen auf Englisch und Hindi. Die DRM-Ausstrahlung für Europa wurde zeitgleich eingestellt.

Diese� Verlagerung� nach� Südasien� soll� Akzeptanz� und� Ver-

breitung�von�DRM,�der�digitalen�Kurz-,�Mittel-�und�Langwel-

le,�auf�dem�indischen�Markt� fördern.�Nach�Überzeugung�der�

Experten� von� DW� und� BBC� bietet� Indien� gute� Perspektiven.�

Hier�könne�sich�der�Empfang� im�DRM-Standard�durchsetzen.�

Ein�deutliches�Indiz:�All�India�Radio�rüste�derzeit�die�terres-

trischen�Mittel-� und�Kurzwellensender�auf�DRM�um�und� for-

ciere� so� die� Produktion� von� DRM-Radios� für� den� indischen�

Markt.�In�Europa�hingegen�sei�der�Markt�für�diese�Empfangs-

geräte�nicht�nennenswert�gewachsen.�

Der�Schritt�sei�daher�„keine�Abkehr�von�DRM�seitens�der�DW,�

sondern�die�Verlagerung� in�einen�vielversprechenden�Markt�

für�DRM“,�so�Guido�Baumhauer,�Direktor�Distribution.�Indone-

sien,� Malaysia,� Iran� und� Russland� seien� weitere� Märkte,� in�

denen�es�Interesse�an�DRM�gebe.�

www.drm.org

Kairo/Berlin – Zwölf Jugendliche aus Ägypten und Deutschland gingen gemeinsam auf Tour: zuerst zwischen Rhein und Elbe, Ostsee und Alpen, dann am Roten Meer und durch die Wüste. Die jungen Leute sind Teilnehmer der Talkshow „Jugend ohne Grenzen“, die DW-TV und der ägyptische Fernsehsender ERTU gemeinsam produzieren.

Von Porsche zu den Pyramiden

01 Ausgelassene�Stimmung�mit-

ten�in�der�Wüste:�junge�Leute�aus�

Ägypten�und�Deutschland�gemeinsam�

auf�Achse.�Die�Tour�durch�die�zwei�

Länder�vermittelte�beiden�Seiten�

bleibende�Eindrücke

partner —2301

24— partner

Teufelskreis der Provokation

Berlin – Wie berichten die Medien über den Islam? Wie erreichen sie eine hohe Glaubwürdigkeit als Vermittler zwischen den

Kulturen? Experten und Medienmacher aus Europa und arabischen Ländern suchten in Berlin zwei Tage lang nach Antwor-

ten. Über die Tagung im Zeichen des Online-Portals Qantara.de berichten Loay Mudhoon und Lina Hoffmann (DW/Arabisch).

Zur�internationalen�Konferenz�Ende�Oktober�hatten�das�Aus-

wärtige� Amt� und� die� Deutsche� Welle� eingeladen.� Rund� 300�

Teilnehmer� diskutierten� über� journalistische� Verantwortung�

in� Krisensituationen� und� über� das� Web� 2.0� als� Herausforde-

rung�für�den�Qualitätsjournalismus�im�interkulturellen�Dialog.�

Es� ging� um� die� gegenseitige� Wahrnehmung� und� den� Einfluss�

der�in�den�Medien�übermittelten�Bilder.�

„Als�Vermittler�zwischen�den�Kulturen�benötigen�die�Medien�vor�

allem�eines:�eine�hohe�Glaubwürdigkeit�durch�verlässliche�Quali-

tätsstandards“,�stellte�DW-Programmdirektor�Chris�tian�Gramsch�

heraus.�Das�Portal�Qantara.de,�das�die�DW�gemeinsam�mit�Part-

nern�betreibt,�könne�dabei�ein�Vorbild�sein,�so�Gramsch.�

Provozierend� fragte� Abdelbari� Atwan,� Chefredakteur� der� in�

London�erscheinenden�Tageszeitung�Al-Quds�Al�Arabi:�„Wenn�

Farbige�diffamiert�werden,�ist�es�Rassismus;�wenn�Juden�dif-

famiert�werden,�ist�es�Antisemitismus;�und�wenn�Muslime�dif-

famiert�werden�–�dann�ist�das�Pressefreiheit?!“�Michael�Slack-

man,�Bürochef�der�New�York�Times�in�Berlin,�verwies�auf�Defi-

zite�bei�der�Pressefreiheit�in�der�arabischen�Welt�und�betonte,�

dass�hier�nach�Ländern�differenziert�werden�müsse.�Die�Idee�

eines�„globalen�Pressekodex“�allerdings�stieß�auf�Skepsis.�In�

vielen� autoritär� regierten� Staaten� könne� ein� solcher� Kodex�

womöglich�zu�mehr�Einschränkungen�der�Pressefreiheit� füh-

ren,�meinte�Slackman.�

Insbesondere�der�Aktualitätsdruck�wurde�von�vielen�Medien-

machern�als�großes�Problem�dargestellt.�Gerade�bei�komple-

xen�Themen�seien�Einordnung�und�Analyse� zwar�nötig,� doch�

komme� diese� faktisch� oft� zu� kurz,� sagte� etwa� Yassin� Mush-

arbash�von�Spiegel�Online.�Ute�Schaeffer,�Leiterin�der�Afrika-�

und�Nahost-Programme�der�DW,�mahnte�mit�Blick�auf�die�Be-

richterstattung� europäischer� Medien� mehr� Professionalität�

und� Sensibilität� an:� „Die� Art,� wie� wir� mit� dem� Thema� Musli-

me�oder�Integration�der�Muslime�umgehen,�ist�ein�großer�Test�

dafür,�wie�ernst�wir�es�mit�journalistischen�Standards�nehmen.�

Wenn�wir�das�in�Zukunft�nicht�besser�machen,�dann�stacheln�

wir�die�öffentliche�Diskussion�an�–�und�die�Medien�machen�sich�

zum�Teil�eines�Teufelskreises�der�Provokation.“�

Blogs�und�Formate�wie�Facebook�und�Twitter�seien�insbeson-

dere�in�Ländern�mit�autoritären�Regimes�unverzichtbar,�darin�

war� man� sich� einig.� Sie� transportierten� –� wie� im� Fall� Iran� –�

jene�Themen,�die� in�staatlichen�Medien�unterdrückt�würden.�

Ein� Ende� des� Qualitätsjournalismus� sei� durch� Berichterstat-

tung�in�Sozialen�Netzwerken�nicht�zu�befürchten,�meinte�die�

iranische�Bloggerin�Farnaz�Seifi:�„Beides�ergänzt�sich�und�er-

gibt�ein�Ganzes.“�

Lesen� Sie� auch� das� Interview� mit� Ehab� El� Zelaky,� Redakteur�

für�das�Online-Portal�der�ägyptischen�Tageszeitung�Masri�Al�

Youm:�blogs.dw-world.de/presse

Qantara.de ist� ein� Sonderprojekt� der� Ara-

bischen� Redaktion� in� Bonn� in� Zu-

sammenarbeit�mit�Goethe-Institut,�

Institut� für� Auslandsbeziehungen�

und� Bundeszentrale� für� politische�

Bildung.� Die� Beiträge� des� Portals�

erscheinen� in� fünf� Sprachen� und�

sollen� zu� einem� vertieften� Dialog�

mit�der�islamischen�Welt�beitragen.�

Qantara.de� wird� vom� Auswärtigen�

Amt�gefördert.�

www.qantara.de

JazzKicks in Bahrain Bonn/Manama – Am Frauenfußballturnier „Arabia 2010“ Ende Oktober in Ma-nama, der Hauptstadt Bahrains, war die DW mit zwei Projekten beteiligt: Sie ent-

sandte ein Jazz-Orchester und bot einen Workshop für Sportjournalistinnen an.

Das „German Women Jazz Orchestra“, das eigens für diesen Anlass gegründet worden war, eröffnete das Turnier im Al-Ahli-Stadion. Unter der Leitung von „Echo“-Preisträgerin Ange-

lika Niescier präsentierte das Orchester eine Hymne, die Niescier im Auftrag der DW kompo-niert hatte. Zudem probte das Ensemble in einem Workshop gemeinsam mit der Polizeiband des

Bahrainischen Innenministeriums. Die Ergebnisse präsentierten sie anschließend unter dem Motto „JazzKicks: An Inter-Cultural Encounter“ in der Cultural Hall von Manama.

Die DW-Akademie bot parallel einen Workshop für arabische Journalistinnen an, bei dem es um die Berichterstattung über Frauenfußball ging. Das Turnier „Arabia 2010“, an dem Teams aus der arabischen Welt teilnahmen, wurde vom Auswärtigen Amt angeregt und unterstützt. Es sollte auf die Frauenfußball-WM 2011 in Deutschland aufmerksam machen. —— www.arabia2010.diplo.de

weltzeit 06_2010 profil —25

Mitarbeiterinnen�und�Mitarbeiter�des�deutschen�Auslandssenders�–�aus�Austra-

lien�und�China,� Indien�und�Russland,�Tansania�und�weiteren�Ländern�–�tragen�

ihr�Lieblingsmärchen�in�der�Originalsprache�vor.�Außerdem�hat�die�DW�zu�jedem�

der�Märchen�einen�Zeichentrickfilm�in�deutscher�Sprache�produziert.�Die�deut-

sche�Version�gibt�es�auch�als� illustrierten�Text�zum�Ausdrucken.�Künstlerisch�

in�Szene�gesetzt�wurden�die�Märchen�von�der�Kölner�Illustratorin�Ulla�Schmidt.�

Jede�Woche�werden�zwei�der�insgesamt�22�Märchen�online�gestellt.�Darunter�

zum�Beispiel�„Die�Geschichte�von�dem�Fischer�und�dem�Dschinn“,�ein�arabisches�

Märchen.� Auch� „Die� braune� Ziege“� aus� Afghanistan� und� „Der� Flötenspieler“�

aus�China�werden�multimedial�vorgestellt.�„Das�erste�Känguruh“�kommt�–�na-

türlich�–�aus�Australien�und�„Die�Wäscherinnen�der�Nacht“�sind�aus�Frankreich�

überliefert.�

„Mit�diesem�Projekt�fördern�wir�auf�originelle�Weise�den�Dialog�zwischen�den�

Kulturen.�Märchen�sind�nahezu�universal�präsent,�zählen�zum�fundamentalen�

Kulturgut� zahlreicher� Völker� und� Länder“,� so� der� Leiter� der� Kulturredaktion�

Hörfunk�und�Online,�Ramón�Garcia-Ziemsen.�Auch�für�Menschen,�die�die�deut-

sche�Sprache�erlernen,�sei�das�Projekt�sehr�gut�geeignet,�denn�die�Texte�seien�

einfach�und�nicht�sehr�umfangreich.�

Es�war�einmal?�Dass�Märchen�auch� in�Deutschland�keineswegs�überholt�sind,�

hat�unlängst�eine�Umfrage�des�Allensbach-Instituts�gezeigt:�Über�80�Prozent�

der�Befragten�waren�überzeugt,�dass�Kinder�auch�heute�Märchen�brauchen.�

www.dw-world.de/maerchen�

Es war einmal…

Bonn – Multimedial und in zahlreichen Sprachen hat die Deutsche Welle

Märchen aus aller Welt aufbereitet und ins Netz gestellt. Die neue Reihe

ist Teil des Kulturangebots im Internet.

Das Projekt von DW-TV mit dem Stardirigenten Paavo Järvi und der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen „vermittelt die Begeisterung für klassische Musik und gibt vielschichtige Ein-blicke in das Innenleben eines Orchesters“. Die Filmgestaltung werde „allerhöchsten ästhetischen Maßstäben gerecht“, so die Be-gründung der Jury.

DW-TV hat „Das Beethoven-Projekt“ im Oktober weltweit ausgestrahlt. Inzwischen ist die 90-minütige Dokumentation auch auf DVD erschienen. Die Box umfasst umfangreiche Konzertmit-schnitte, etwa alle neun Beethoven-Symphonien unter Leitung Järvis beim Beethovenfest Bonn 2009.

Ausgezeichnet wurde in München auch die grafische Gestal-tung der 50-teiligen Reportage-Reihe GLOBAL IDEAS auf DW-TV: „Kurz, klar und global verständlich“, so die Jury, zeige die Reihe Menschen und Projekte, die sich gegen die globale Kli-maerwärmung engagieren. Einen Preis erhielt zudem die Kam-pagne von DW-TV zu „20 Jahre Mauerfall“, nach Auffassung der Juroren „eine faszinierende Bild-Ton-Collage zur deutschen Zeitgeschichte“.

597 Beiträge aus 24 Ländern waren bei Eyes & Ears of Europe, dem Branchenverband für Design, Promotion und Marketing der audiovisuellen Medien, eingereicht worden. Die Jury bestimmte 33 Preisträger. —— www.ideasforacoolerworld.org

www.eeofe.org

„Höchste ästhetische Maßstäbe“ München – Bei den 12. Internationalen Eyes & Ears Awards im Rahmen der Medientage München wurde die DW in mehreren Kategorien ausgezeichnet: unter anderem mit dem Spezialpreis „Creation“ für die Musikdokumentation „Das Beethoven-Projekt“.

26— profil

Wenn Chinesisch meine Muttersprache ist, Englisch die Sprache meiner Wahl, dann ist Deutsch die Sprache meines Vaters, der in den 1960er Jahren infolge der abgebrochenen diplo-matischen Beziehungen zwischen China und der Sowjetunion statt Russisch Germanistik studiert hatte. Aber für mich, wie für Millionen anderer junger Chinesen in den 1980er Jahren, waren die Vereinigten Staaten von Amerika mein Traumland, welches mich zum Studium der englischen Sprache veranlasst hatte. Den Bezug zu Deutschland gab es jedoch schon lange in unserer Familie. Während meine Vorstellung von Amerika eher abstrakter Natur war, sah

mein Deutschlandbild viel konkreter aus. Es war ein buntes Mosaik aus Tausenden kleinen Teilen: von der Granini-Saftflasche bis zum Knirps-Re-genschirm, von Heintje bis zum jungen Werther.

Als die Studienzulassung aus Deutschland kam, war ich erfreut über den Kompromiss, den ich geschlossen hatte: in Deutschland Amerika-nistik zu studieren. So kam ich vor 21 Jahren, einen Monat nach dem Mauerfall, nach Frank-furt am Main. Ja, selbstverständlich wurde ich oft gefragt, warum ich ausgerechnet im Land der Dichter und Philosophen die Literatur und Kunst eines Landes studierte, das kaum mehr als 200 Jahre Geschichte hat.

Deutsch – Die Sprache des VatersBonn – „Dass ich, elf Jahre nach unserer ersten Begegnung, endlich mit ihm den Bund fürs Leben geschlossen habe, verdanke ich einer Reihe glücklicher Fügungen. Es war zwar keine Liebe auf den ersten Blick, dafür kamen Leidenschaft, Verbundenheit und Sehnsucht umso intensiver…“ Hier ist die Rede von Deutschland, der zweiten Heimat von Xiaoying Zhang.

DEUTSCHLANDBILD

01 Amerikanistik�im�Land�der�

Dichter�und�Denker:�Die�USA�ist�für�

viele�Chinesen�ein�Traumland�–�damit�

hatte�der�in�China�geschätzte�Goethe�

im�18.�Jahrhundert�allerdings�wenig�am�

Hut,�ihn�zog�es�nach�Italien

01

profil —27weltzeit 06_2010

Dass ich mich später immer mehr von Deutschland beziehungsweise Europa angezogen fühlte, geht auf ein Schlüsselerlebnis zurück, meine erste Reise in die USA während meiner Studienzeit. Als ich zurückkam nach Deutsch-land, wurde mir klar, dass ich mir ein Leben zwischen Wolkenkratzern und Vergnügungs-parks nicht vorstellen konnte. Die kulturelle Vielfalt, die Jahrtausende lange Tradition, rö-mische Ruinen mitten in der Stadt – das alles wollte ich nicht mehr missen.

Wie das Schicksal es wollte, erhielt ich zum Studienabschluss ein Angebot von der Deutschen Welle. Durch meine journalistische Tätigkeit als Redakteurin im Chinesischen Programm habe ich nicht nur einen tiefen Einblick in die Medien landschaft der Bundesrepublik gewonnen und wertvolle Erfahrungen gesammelt als Me-dienschaffende in einem Land, das Pressefreiheit und Meinungspluralismus garantiert. Darüber hinaus haben meine chinesischen Landes- und Sprachkenntnisse stets eine wichtige Rolle bei meiner Tätigkeit als Kulturvermittlerin gespielt.

Während der Verleihung des „Deutsche Welle Literaturpreises für China“ 2001 in Peking kam ein Hörer im Rollstuhl auf mich zu. Er war eigens aus einer 1.500 Kilometer entfernten Region angereist, um den Menschen hinter der Stimme am Mikrofon kennenzuler-nen. Es war für mich eine unschätzbare Aner-kennung unserer journalistischen Arbeit, die wir im Dienste von Verständigung und Austausch der Kulturen leisten.

In den vergangenen 15 Jahren haben sich die Medien weltweit grundlegend verändert. Ich hatte das Glück, diesen Wandel als unmit-telbar Beteiligte mitmachen zu dürfen, etwa den Transformationsprozess von analogen zu digitalen Medien. Verändert hat sich inzwischen auch meine Tätigkeit bei der DW. Seit einigen Jahren bin ich in der Abteilung Internationale Angelegenheiten für Asien zuständig. Ob im

Gespräch mit jungen Journalistik-Studenten aus der Mongolei oder künftigen Moderatoren aus China, ob beim Treffen mit Nachwuchs-diplomaten aus aller Welt oder in der Diskussion mit Kollegen der Partnersender aus unseren Zielregionen – ich war immer stolz darauf, von der Medienvielfalt in Deutschland und von den Erfahrungen meines Senders berichten zu kön-nen, nicht zuletzt davon, wie er im interkultu-rellen Austausch seine Rolle als Brückenbauer versteht und wahrnimmt.

Heute lebe ich in einer kleinen Stadt bei Bonn, wo ich mich auch zuhause fühle. Nach einem anspruchsvollen Arbeitstag ist die schönste Belohnung für mich, meinen Sohn beim Spielen zu betrachten, einfach diesen Blick zu genießen. Er wird bald vier Jahre alt und wächst bilingual und mit beiden Kulturen auf. Die Integrations-debatte des Jahres 2010 wird er wohl irgend-wann mit Verwunderung betrachten. Wenn er heute einen Begriff auf Chinesisch lernen will, fragt er: „Was sagt die Mama dazu?“, umge-kehrt: „Was sagt der Papa dazu?“ Eines Tages stellte er die Grundsatzfrage: „Warum spreche ich eigentlich Deutsch und Chinesisch?“ Meine Antwort: „Chinesisch ist deine Muttersprache, Deutsch deine Vatersprache.“ ——

Xiaoying Zhangist�stellvertretende�Leiterin�der�Abteilung� Internationale�

Angelegenheiten.�Von�1997�bis�2005�war�sie�als�Redakteu-

rin� im� Chinesischen� Programm� zuständig� für� Programm-

planung,� Berichte� über� aktuelle� Themen� und� die� Mode-

ration�der� Live-Sendungen.� Sie� studierte�Anglistik� in�Pe-

king� und� schloss� das� Magisterstudium� in� Amerikanistik�

und�Kunstgeschichte�an�der�Goethe-Universität� in�Frank-

furt�am�Main�ab.�

»Ein Mosaik aus

Tausenden Tei-

len: von Heintje

bis zum jungen

Werther.«

28— neue medien

Brods, unser Führer durch den Urwald, klopft mit dem Griff seiner Machete gegen den mächtigen Stamm eines Baumes. „So erkennt man, ob er hohl ist“, erklärt der erfahrene Guide, „dann ist er morsch und kann gefällt werden.“ Der Blick unserer Kamera schweift empor zur Baumkrone, ins Dickicht des Regenwalds von Guyana und zurück zu Brods – dann friert das Bild plötzlich ein. Ein Fehler? Nein, vielmehr das auffälligste Merkmal der neuen Web-Dokumentation (kurz: Webdoc) über Um-weltschutz in Südamerika: Denn der Film stockt hier nur, weil er auf die Eingabe des Nutzers wartet. Aus den eingeblen-deten Möglichkeiten kann der Nutzer nun entscheiden, wie die Reise auf dem Bildschirm weitergeht. Soll Brods mehr über seine Arbeit hier im Wald berichten? Will man tiefer ins Unterholz vordringen? Oder zurück zur Lodge am Ufer des Ama-zonas laufen, um dort bei einer Bootsfahrt einen neuen Blickwinkel zu bekommen? Jede Entscheidung wird per Mausklick

getroffen und führt zu einer neuen Wen-dung in der „interaktiven Recherchereise“.

„Die Nutzer können intuitiv an die Sache herangehen“, erklärt Stephanie Zunk, Projektleiterin für die Web-Doku-mentation. „Wir geben ihnen eine Form von Freiheit, die sie bereits aus anderen Multimedia-Angeboten kennen. Die Freiheit, den Informationsfluss selbst zu bestimmen und eine Geschichte zu erleben statt nur aufzunehmen.“

Um diese Interaktivität herzustellen, muss die Webdoc detailliert geplant wer-den. Denn eine bereits recherchierte Story nachträglich in diesem Format aufzube-reiten ist schwierig. „Wir brauchen nicht einfach nur mehr Videoclips, Fotos und Hintergrundgeräusche als für ein normales Online-Special“, so Zunk. „Die Redak-tion muss diese Materialien bewusst für das neue Format erstellen oder anpassen.“ Um den Zuschauern beispielsweise den Eindruck zu vermitteln, sie würden direkt angesprochen, sollten die Interviewten

direkt in die Kamera sehen – was bei TV-Beiträgen ungewöhnlich wäre.

Der interaktiven Reise nach Guyana war im August die Webdoc „Waldschutz in Papua-Neuguinea“ vorausgegangen. „Wir haben ein flexibles Redaktionssys-tem entwickelt, damit wir die Inhalte der Webdocs möglichst einfach austauschen können“, erläutert Zunk. Trotzdem gab es Raum für Verbesserungen. So steht die zweite Webdoc in drei verschiedenen Qualitätsstufen bereit – erstmals auch in HD-Qualität. Dennoch können auch Regionen ohne Breitbandanschluss das neue Format nun besser nutzen. Und DW-Partner in aller Welt können es auf ihren Internetseiten leichter einbinden.

In der nächsten Webdoc können In-teressierte in Bangladesch die Ursachen und Folgen von Arsenbelastung im Trink-wasser erforschen – und erneut abseits der ausgetretenen Pfade wandern. ——

www.ideasforacoolerworld.org

Abseits ausgetretener Pfade Die Deutsche Welle setzt auf Webdocs: Das neue Format kommt zunächst bei der Reihe GLOBAL IDEAS von DW-TV zum Einsatz. Hier entscheiden die Nutzer, wo es langgeht. Projektleiter Dominik Ahrens stellt es vor.

01 Junges Publikum – vielver-

sprechender Nachwuchs: der vietna-

mesische Musiker Bùi Công Duy, Ende

September in Bonn im Campus-Konzert

Mit dem Holzkahn über den Amazonas: hier wird der User zum Navigator

schlaglichter —29weltzeit 06_2010

Lange Haft für Blogger

Für 19 Jahre und sechs Monate muss

der iranisch-kanadische Blogger

Hossein Derakhshan wegen seiner

Meinungsäußerungen im Netz ins

Gefängnis. Laut Reporter ohne Grenzen

ist das die bisher längste Gefängnis-

strafe für einen iranischen Blogger.

Ein Gericht in Teheran verurteilte den

35-Jährigen wegen „Kollaboration

mit feindlichen Staaten, Propaganda

gegen das islamische System,

Förderung konterrevolutionärer Zellen

und der Beleidigung der islamischen

Religion“. Die Anklage stützte sich

auf Blog-Einträge des unter seinem

Pseudonym Hoder bekannt gewor-

denen Derakhshan.

Wikio gegen Sprachbarrieren Jeder Mensch beherrscht nur eine

begrenzte Anzahl von Sprachen. Für

manche Blogger ein Problem, wenn es

um die Kommunikation über Länder-

grenzen hinweg geht. Das deutsche

Informationsportal Wikio will Abhilfe

schaffen und eine Lösung für die

europäische Blogosphäre entwickeln.

Ein Team aus Redakteuren und Über-

setzern sucht geeignete Blogeinträge

aus Deutschland, Frankreich, Italien,

Spanien und Großbritannien und

übersetzt diese. Genehmigungen von

jeweils 100 Blogs pro Land liegen dem

Portal nach eigenen Angaben bereits

vor.

Buch-Erlebnis von morgen Die US-Unternehmensberatung

für Design und Innovation IDEO

präsentiert auf der Videoplattform

am Spiel beendet wurden und Flickr

in seiner heutigen Form entstand.

2005 kaufte Yahoo das kanadische

Unternehmen. Mehr als fünf Milliarden

Fotos wurden inzwischen hochgeladen

– derzeit sind es im Schnitt 5.000 pro

Minute. Der Service bildet zwar die

größte Fotoplattform der Welt, doch

es gibt noch eine deutlich größere

Bildersammlung: In den Datenbanken

von Facebook haben die Nutzer

des Netzwerks inzwischen rund 15

Milliarden Bild-Dateien abgelegt.

Skype via FacebookDas US-Technik-Blog „All Things

Digital“ berichtet, dass Facebook mit

dem Internet-Telefonie-Unternehmen

Skype kooperieren will. Der neue

Dienst soll es Facebook-Nutzern unter

anderem erlauben, gratis miteinander

zu telefonieren. Die Verknüpfung

soll schon in der neuen Version 5

von Skype enthalten sein, die das

Entwicklungsstadium in Kürze ver-

lassen dürfte. Unklar ist noch, wann

Facebook die Funktionalität sichtbar

machen will. 124 Millionen Menschen

verwenden die Skype-Software

mindestens einmal im Monat.

Technologie-Blogs mit Gewinn Techcrunch, eines der wichtigsten

Technologie-Blogs weltweit, lockt

monatlich knapp zehn Millionen Nutzer

auf seine Seiten. Die Idee lieferte der

US-Wirtschaftswissenschaftler Micha-

el Arrington, der es zu den wenigen

unabhängig arbeitenden Blogs entwi-

Vimeo eine Vision für die Zukunft des

gedruckten Buchs. Interessant ist das

knapp fünf Minuten lange Video vor

allem, weil es drei unterschiedliche

Nutzungsszenarien präsentiert.

Das digitale Buch wird interaktiv

eingebunden, vernetzt und digital

angereichert. Das Buch der Zukunft,

so die Entwickler, ist kein analoges

Konsummedium mehr, sondern dürfte

als multimediales Gruppenerlebnis an

Attraktivität gewinnen.

Journalisten als Netzwerker Gut 80 Prozent aller Journalisten in

Deutschland, Frankreich und Groß-

britannien nutzen soziale Netzwerke.

Zu diesem Ergebnis kommt eine

gemeinsame Studie der schwedischen

Unternehmensgruppe Cision und der

Universität Sunderland (England).

Besonders gefragt sind demnach

Facebook, Twitter und LinkedIn. Auch

Wikipedia steht als „Nachschlage-

werk“ in der Gunst der Journalisten

weit oben, vor allem in Deutschland,

wo die Befragten es fast doppelt so

häufig nutzen wie in den anderen

Ländern. 60 Prozent aller Journalisten

recherchieren demnach mindestens

ein Mal pro Woche bei Wikipedia.

Fünf Milliarden FotosDie Bilder-Community Flickr gibt

es seit 2004. Ursprünglich war das

Hochladen von Fotos nur ein Aspekt

eines Online-Spiels, das Caterina Fake

und ihr Mann Stewart Butterfield

programmiert hatten. Die Komponente

kam so gut an, dass die Arbeiten

ckelte, die auch finanziell erfolgreich

sind. Seit kurzem gehört Techcrunch

zum einstigen Internetstar AOL. Das

verlustreiche US-Unternehmen ist auf

der Suche nach neuen Einnahmequel-

len: AOL setzt auf das Geschäft mit

Inhalten. Der Kauf von Techcrunch

macht die Konzentration im Bereich

Neue Medien in den USA deutlich. Die

AOL-Aktie legte nach der Verkündung

der Übernahme um 4,6 Prozent zu.

Wall Street Journal im Aufwind Und es geht doch: Geld verdienen

mit Inhalten im Netz. Das Wall

Street Journal (WSJ), einzige

US-Wirtschaftszeitung, die ihre

Inhalte im Internet fast ausschließ-

lich kostenpflichtig verbreitet,

hat seine Umsätze von Juli bis

September erheblich gesteigert.

Die Einnahmen aus Online-Anzeigen

nahmen gegenüber dem gleichen

Vorjahreszeitraum um 29 Prozent

zu, die gedruckte Ausgabe legte

bei Anzeigen um 21 Prozent zu. Der

norwegische Journalist John Einar

Sandvand führt diesen Erfolg vor

allem auf einzigartige Inhalte zurück.

Denn für exklusive Wirtschaftsin-

formationen zahlen Leser offenbar

gern, in der Hoffnung auf eigene

Gewinne. Sandvand sieht nicht allein

im Inhalt den Grund, warum Menschen

bestimmte Medienangebote nutzen.

Auch eine „einzigartige Verpackung“,

etwa iPad-Apps, seien verkaufsför-

dernd. Eine iPad-Applikation hat das

WSJ natürlich auch.

30— zoom30— zoom

Eine Maus und ein Elefant haben ihm Deutsch beigebracht. Als Maqpool Malik vor 17 Jahren nach Deutschland kam, war für ihn die „Sendung mit der Maus“ eine tägliche Lernein-heit. „Die paar deutschen Worte, die ich heute spreche, habe ich auch diesem Versuch zu ver-danken“, erzählt Malik augenzwinkernd. Sein Blick verrät dabei auch ein wenig Stolz. Stolz darf er durchaus sein, denn in diesen Wochen war er wiederholt in deutschen Medien als Pakis tan-Experte gefragt. Kenntnisreich und authentisch berichtete er über das Geschehen in seiner Heimat – auf Deutsch.

Dass er eines Tages in Bonn für die Deutsche Welle arbeiten würde, knapp 6.000 Kilometer von der Heimat entfernt, hätte er sich vor 25 Jahren nicht ausmalen können. Damals stand er noch am Anfang seiner journalistischen Karri-ere, die er dann allerdings zielstrebig verfolgte: Nach dem Anglistikstudium wurde Malik Re-dakteur bei der zweitgrößten urdusprachigen Zeitung, später bei der größten Zeitung in Paki-stan, die in englischer Sprache erscheint. Seinen Wechsel zum deutschen Auslandssender hat der heute 47-Jährige nie bereut. Ihm gefällt das multikulturelle Arbeitsumfeld: „Man hört viele Sprachen und Dialekte, lernt viele unterschied-liche Perspektiven kennen – und doch versteht man einander.“ Er schätzt es zudem, dass ihm die Arbeit bei der DW die nötige kritische Di-stanz zum Geschehen in seiner Heimat und eine andere Perspektive ermöglicht. „Journalisten haben eine Aufklärungspflicht, im Idealfall reflektierten sie Fakten wie ein Spiegelbild“, so Malik.

Präzisere BerichterstattungPauschalurteile über Pakistan als „korrupter Staat“ missfallen ihm ebenso wie der Begriff „Talibanisierung“. Die Taliban seien in Pakis-tan „eine Randerscheinung“. Mehr Präzisi-on und weniger Verzerrung der Fakten seien

wünschenswert, mahnt Malik – auch mit Blick auf die Darstellung in den Medien hierzulande.

Seine Einschätzungen sind gefragt, denn er vereint profunde Kenntnisse über die Lage in Pakistan mit dem Programmauftrag des deut-schen Auslandssenders. „Ich gehöre zu denen, die gleichzeitig auf zwei Schiffen segeln“, wie er es nennt. Ein Funken Stolz blitzt in den Augen des Mannes auf, der vor der Weltkarte in seinem Büro sitzt und von Heimat spricht. „Zweideu-tig“ sei der Begriff für ihn. In Deutschland sei er zu Hause, betont Malik. Hier lebt er mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen – „mit ganzem Herzen“. Andererseits bleibe Pakistan für ihn die Heimat, Ort seiner Wurzeln. In Lahore, der zweitgrößten Stadt Pakistans, verbrachte er Kindheit und Jugend. Er erzählt, wie er mit Freunden in den Straßen Lahores über Kreide-linien hüpfte. Heute beobachtet er seine Söhne mit deren Schulkameraden beim selben Spiel, diesmal im Rheinland. „Kindheit ist ein uni-verselles Gefühl. Die Spielregeln mögen unter-schiedlich sein, die Freude ist es nicht“, sagt er.

Prekäre SicherheitslageFür die DW ist Maliks Heimat Pakistan eine wichtige Region: Die südasiatische Atommacht befindet sich im Demokratisierungsprozess und spielt eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Westlichen Medien zufolge soll sich El-Kaida-Chef Osama bin Laden weiterhin in der Grenzregion zwi-schen Pakistan und Afghanistan versteckt halten. Die Sicherheitslage im Land ist prekär. Im ver-gangenen Juli kamen bei einem Terroranschlag auf den Sufi-Schrein „Data Darbar“ in Lahore 42 Menschen ums Leben. Malik kannte den Schrein sehr gut. Als junger Mann hatte er die religiöse Stätte des Sufismus häufig besucht. Von der Mehrheit der Menschen in Pakistan wird dieser Glaube praktiziert, aber von den Extre-misten als mystische Glaubensrichtung des Islam

Von zu Hause in die HeimatDie Bilder von der dramatischen Flutkatastrophe in Pakistan sind noch sehr präsent. Die betroffenen Menschen werden an den Folgen noch lange leiden. Maqpool Malik, DW-Redakteur im Urdu-Programm und viel gefragter Experte, assoziiert weit mehr mit dem Land seiner Herkunft. Verena Vordermayer stellt ihn vor.

weltzeit 06_2010 zoom —31

01

03

angefeindet. Knapp einen Monat nach dem An-schlag wurde Pakistan von der Flutkatastrophe heimgesucht. Ein Fünftel des Landes stand unter Wasser.

Der Pakistan-Experte Maqpool Malik war nicht nur im eigenen Programm zu hören und im Journal von DW-TV zu sehen, seine Ein-schätzungen waren auch in anderen Medien ge-fragt. Malik zeigt sich vom Ausmaß der Flut und deren Auswirkungen in seiner Heimat sehr be-troffen, gleichwohl legt er größten Wert darauf, dass dies seine kritische journalistische Distanz nicht berührt. „Ich versuche, mich nicht zu sehr emotionalisieren zu lassen. Ich muss als Journa-list sachlich bleiben.“

Bewährtes MediumDie Urdu-Redaktion verfügt über originäre Quellen in der Region. Sie stand immer in Ver-bindung mit ihren Korrespondenten in Pakistan, um ein möglichst genaues Bild der Lage an die Menschen in den Katastrophenregionen weiter-zugeben. „Das Radio“, sagt Malik, „hat sich in dieser Krisensituation als ein effizientes Medium bewährt.“ Ergänzend stellt das fünfköpfige Team multimedial aufbereitete Informationen ins In-ternet, berichtet unter anderem über den aktu-ellen Stand der internationalen Hilfsaktionen.

Auch die DW-Journalisten wollten ihren Landsleuten helfen. „Das Urdu-Programm hat eine eigene Spendenaktion gestartet. Rund 4.000 Euro kamen zusammen“, erzählt Malik und fügt an, er sei zuversichtlich, dass es in sei-ner Heimat bald wieder aufwärts gehe. ——

01 „Ich�gehöre�zu�denen,�die�

gleichzeitig�auf�zwei�Schiffen�segeln“:�

Maqpool�Malik

01

MITVERANSTALTER MIT FREUNDLICHER UNTERSTÜTZUNG VON