Westerplatte : ein gemeinsamer Erinnerungsort oder ein ... · PDF...

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  • Anna Musio

    Westerplatte

    Gemeinsamer Erinnerungsort oder gespaltenes Symbol?

    U n i v e r s i t t P o t s d a m

    WeltTrends Papiere | 14

  • Anna Musio

    Westerplatte

    Gemeinsamer Erinnerungsort oder gespaltenes Symbol?

    We l t Tr e n d s Pap i e r e | 14

    Universittsverlag Potsdam

  • Bibliografische Informationen der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind Im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Universittsverlag Potsdam 2010http://info.ub.uni-potsdam.de/verlag.htm

    Universittsverlag Potsdam, Am Neuen Palais 10, 14469 PotsdamTel. +49 (0)331 977 4623, Fax -3474E-Mail: [email protected]

    Die Schriftenreihe WeltTrends Papierewird herausgegeben von Azadeh Zamirirad, M.A., Universitt Potsdam, im Auftrag von WeltTrends e.V.

    Band 14 (2010)Anna Musio: Westerplatte Gemeinsamer Erinnerungsort oder gespaltenes Symbol?

    Satz: Martin Anselm MeyerhoffProduktionsleiter: Kai KleinwchterDruck: Audiovisuelles Zentrum der Universitt Potsdam

    Das Manuskript ist urheberrechtlich geschtzt.Alle Nutzungsrechte liegen bei WeltTrends e.V.

    Vereinsvorsitzender: Prof. Dr. Lutz KleinwchterE-Mail: [email protected]

    ISSN 1864-0656ISBN ISBN 978-3-86956-047-2

    Ab Juli 2011 parallel online verffentlicht auf demPublikationsserver der Universitt PotsdamURN urn:nbn:de:kobv:517-opus-41301http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:517-opus-41301

  • Anna Musio M. A., geb. 1977, Abschluss in Germanistik (2002) und Europastudien (2004) an der Jagiellonen-Universitt Krakau. Zurzeit Doktorandin am Institut fr Soziologie der Friedrich-Alexander-Universitt Erlangen-Nrnberg. Promotionsthema: Erinnern und Vergessen Erinnerungskulturen im Lichte der deutschen und polnischen Vergangenheitsdebatten Diskursanalyse der Jed-wabne-Debatte und der Walser-Bubis-Debatte.Forschungsschwerpunkte: Erinnerungsdiskurse, deutsch-polnische Beziehungen nach 1945, Diskursanalyse.Email: [email protected]

    Inhalt

    Einleitung 4

    Westerplatte als Erinnerungsort 6

    Die Gedenkstunde am 1. September 2009 als diskursiver Akt 11

    Hauptakteure im Deutungsstreit 13

    Figur Westerplatte: Ein Dekodierungsversuch 15

    Bundeskanzlerin Merkel: Westerplatte als Ausshnungszeichen 15Ministerprsident Putin: Westerplatte im Dienste einer gebrochenen Friedens-Rhetorik 17Staatsprsident Kaczyski: Westerplatte im Modus des innerpolnischen Heldendiskurses 19Regierungschef Tusk: Westerplatte als Sicherheits- und Friedensgarant 22

    Schlussfolgerungen 24

    Quellenverzeichnis 28

  • 4 WeltTrends Papiere 14

    Einleitung

    Mit Ehrenwachen und Kranzniederlegungen begann die Gedenkstunde auf der Westerplatte1, dem ehemaligen pol-nischen Munitionsdepot bei Danzig (poln.: Gdask), mit dessen Beschuss am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach. Die kleine Halbinsel Westerplatte wurde zur Arena einer ffent-lichen Gedenkfeier von staatstragendem Charakter. Fr die polnische Geschichtswahrnehmung stellt Westerplatte seit Jahr-zehnten ein Symbol des heldenhaften Widerstandes und des aus-sichtlosen Kampfes gegen Nazi-Deutschland dar. Im Laufe der Feierlichkeiten des Erinnerungsjahres 2009 markiert die Gedenk-stunde anlsslich des 70. Jahrestags des Kriegsbeginns ein wich-tiges Ereignis von grenzberschreitender Dimension. Zu der Gedenkfeier am 1. September 2009 versammelten sich rund 20 europische Staats- und Regierungschefs, darunter der schwe-dische Regierungschef und damalige EU-Ratsprsident Fredrik Reinfeldt sowie Frankreichs Regierungschef Francois Fillon. Die zentralen Akteure der Gedenkfeier waren aber Bundeskanzlerin Angela Merkel, Russlands Ministerprsident Wladimir Putin und polnische Spitzenpolitiker, darunter Ministerprsidenten Donald Tusk sowie der damalige Staatsprsident Lech Kaczyski2. Die in ihren Auftritten signalisierten Inhalte bilden wichtige Referenz-punkte in der nationalen wie supranationalen Aufarbeitung der tragischen Geschichte des vergangenen Jahrhunderts.

    Im Folgenden stelle ich die Frage, welche Lesarten der Wester-platte anhand von Reden der genannten Reprsentanten der unterschiedlichen nationalen Erinnerungsdiskurse zum Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg rekonstruiert werden knnen. Nachzugehen ist der Fragestellung, welche Vernderungen in

    1 Der Begriff Westerplatte wird in dem vorliegenden Aufsatz zweifach ver-wendet. Als Ortsbezeichnung fr die polnische Halbinsel wird der Name mit dem Artikel wiedergegeben. Um den Unterschied zur abstrakten Verwen-dung dieses Begriffs zu markieren, wird der Artikel an entsprechender Stelle ausgelassen.

    2 Die Amtszeit Kaczyskis fand durch einen Flugzeugabsturz in Smolensk am 10. April 2010, bei dem er ums Leben kam, ein vorzeitiges Ende.

  • 5Westerplatte Gemeinsamer Erinnerungsort oder gespaltenes Symbol?

    der Wahrnehmung der Geschichte des Zweiten Weltkrieges an den Auslegungsprozessen in Bezug auf die Figur Westerplatte an den vier zentralen Reden der Spitzenpolitiker zu verfolgen, diskursanalytisch zu analysieren und auszuwerten sind. Nachzu-weisen ist im Folgenden, wie sich anhand des vorliegenden Forschungsmaterials, in dem die Erinnerungsdiskurse jeweils vor dem Hintergrund des nationalen Kontextes manifestiert werden, konkurrierende Auslegungsmodelle der Wahrnehmung der Geschichte des Zweiten Weltkrieges zeigen. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung um den Umgang mit der Kriegsge-schichte steht die Frage der Legitimierung der einzelnen natio-nal und staatlich gestifteten Deutungsangebote.

    Zu dem im Aufsatz verwendeten Diskursbegriff sollte ergn-zend betont werden, dass dieser in erster Linie der auf Foucault rekurrierenden Diskurs-Definition von Keller (Keller 2001: S. 113) entspricht, laut der Diskurse als Bedeutungsengagements zu verstehen sind, die im spezifischen Set von Praktiken produ-ziert, reproduziert und transformiert werden. Diese gewin-nen einen realen Charakter durch das Handeln der Akteure. Diskurse kristallisieren sich um Themen, in denen gesell-schaftliche Deutungen- und Handlungsprobleme konstruiert werden. In Anlehnung an Foucault betont Keller die Rolle der Diskurse fr die Deutungsproduktion und Wirklichkeitskonst-ruktion (Keller 2001: S. 115ff.). Ein solcher Diskursbegriff ist vor dem Hintergrund der sprachlichen Praxis zu verstehen. Der Diskurs ist als ein sprachliches Ereignis zu definieren, welches auf eine konzeptuelle Narrationen rekurriert, die Konstruktio-nen sowie analytische Erklrungsmodelle der sozialen Wirklich-keit anbietet. Gemeint ist damit in erster Linie die diskursive Praxis der Konstitution und des Wandels von Bedeutungssys-temen. Neben dem sprachlichen Charakter weisen Diskurse auch einen materiellen Charakter auf, der sich in ihren Materi-alisationen in den mit Inhalt besetzten Formen des Denkens, Sprechens und Handelns uert, wodurch Diskurse materiell und durch das Handeln der Akteure real werden (Jger 2001). Dieser Aspekt des Erinnerungsdiskurses wird in Form von non-verbalen Gedenkpraktiken und -ritualen zum Ausdruck gebracht (vgl. Connerton 1989). Dieses Element der Analyse wird im folgenden nicht behandelt, da es den Rahmen des hier prsentierten Forschungsdesigns weit berschreiten wrde.

  • 6 WeltTrends Papiere 14

    Westerplatte als Erinnerungsort

    Westerplatte, seit Jahrzehnten als Inbegriff des polnischen Widerstandes gegen Nazi-Deutschland verstanden, bildet einen wichtigen Bestandteil der Tradierungsmuster im Rahmen des polnischen ffentlichen Diskurses zum Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg. Der Mythos des heroischen Kampfes um die Westerplatte angesichts des massiven deutschen Beschusses und Bombardements wurde zur verfestigten Ikone in der polnischen Wahrnehmung der Geschichte. Das Westerplatte-Denkmal, (poln.: Pomnik Obrocw Wybrzea; deutsch: Denkmal der Ver-teidiger der Kste), das Ende der 1960er Jahre auf der Halbinsel enthllt wurde, stellt ein festes Motiv der polnischen Erinne-rungslandschaft dar. Die Legende um die heldenhafte Verteidi-gung der Westerplatte durch eine Handvoll polnischer Soldaten wurde in einem der bekanntesten Kriegsgedichte der polnischen Literatur von Konstanty Ildefons Gaczyski3 verewigt.

    Zur Verdeutlichung des historischen Kontextes von Wester-platte ist an dieser Stelle zu betonen, dass das ehemalige Muniti-onsdepot symbolisch in den polnischen Geschichtsbildern als Inbegriff des gesamten Septemberfeldzuges von 1939 betrach-tet wird. Am Vorabend des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges glaubte die Mehrheit der polnischen Bevlkerung an die Strke und Verteidigungsbereitschaft der Armee. Die Wirklichkeit erwies sich aber in mehrfacher Hinsicht als enttuschend. Trotz der Fhrungsdefizite der damaligen Befehlshaber und ungeach-tet der Niederlage der regulren Streitkrfte dauerte die Vertei-digung Polens bis Mitte September 1939 an.4

    3 Siehe Preislied fr die Soldaten von Westerplatte (Orig.: Pie o onierzach z Westerplatte) entstanden 1939.

    4 Zur Thematisierung des Septemberfeldzuges im kommunistischen Polen siehe folgende Spielfilme: Zum Schicksal einer Kavallerie-Abteilung Lotna (Regie: Andrzej Wajda; Erscheinungsjahr: 1959) sowie zur Verteidigung von Oberschlesien Der Fallschirmturm (Orig.: Wiea spadochronowa) (Regie: Kazimierz Goba; Erscheinungsjahr: 1947).

  • 7Westerplatte Gemeinsamer Erinnerungsort oder gespaltenes Symbol?

    In der Nachkriegszeit stellte die Westerplatte ein deutliches Identittsangebot und einen wichtigen Identifikationspunkt des polnischen nationalen Selbstbildes dar. Bereits unmittelbar nach dem Kriegsende wurde die Verteidigung der Westerplatte als Symbol des Kampfes und Heldentums geschildert. Als Motiv wurde sie zu einem der zentralen Tradierungsmuster der jngs-ten Vergangenheit. Zu Zeiten der Volksr