WHAM-WEIHNACHTSHIT «Last Christmas · PDF fileSeltsam ist, dass man in Saas- Fee die...

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50 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE Es gibt kein Entkommen. Man liebt oder hasst den Song. Vor 29 Jahren wurde in Saas-Fee das Video zum WHAM-WEIHNACHTSHIT gedreht. Noch heute findet man im Dorf Spuren, Zeugen und Anekdoten. Kerzen an zum Krippenspiel aus der Föhn-Pop-Ära. «Last Christ mas …» DER BÄUMCHENSCHMÜCKER 1984, als 14-Jähriger, verzierte Robert Anthamatten den Tannenbaum, der im «Last Christmas»-Video zu sehen ist. Hier posiert er vor dem nächtlichen Saas-Fee mit Bäumchen und Wham-Platten-Cover.

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50 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE

Es gibt kein Entkommen. Man liebt oder hasst den Song. Vor 29 Jahren wurde in Saas-Fee das Video zum WHAM-WEIHNACHTSHIT gedreht. Noch heute findet man im Dorf Spuren, Zeugen und Anekdoten. Kerzen an zum Krippenspiel aus der Föhn-Pop-Ära.

«Last Christmas …»

DER BÄUMCHENSCHMÜCKER 1984, als 14-Jähriger, verzierte Robert Anthamatten den Tannenbaum, der im «Last Christmas»-Video zu sehen ist. Hier posiert er vor dem nächtlichen Saas-Fee mit Bäumchen und Wham-Platten-Cover.

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TEXT MARCEL HUWYLER («‹Last Christmas› ist Lieben und Leiden im Advent.») FOTOS KURT REICHENBACH («Na ja, geht so; kaufen würde ich die Single nicht.»)

Robi Anthamatten ist zwölf Jah-

re alt, als ihn George Michael

reich macht. Der Sänger von

Wham, dieser Superstar mit

der Lady-Diana-Frisur, den gletscher-

weissen Zähnen und den schnieke zu-

rechtgezupften Augenbrauen, drückt ihm

als Trinkgeld eine Münze in die Hand:

siebeneckig, silbern, mit der Queen dar-

auf – bestimmt enorm wertvoll, feixt der

Bub. Dabei hat er für diese Engländer

doch nur einen Weihnachtsbaum ge-

schmückt. November 1984 ist es, und die

Wham-Crew dreht in Saas-Fee das Video

zu ihrem Weihnachtshit «Last Christ-

mas». Auch im Saal des Kulturzentrums

wird gefilmt, eine Heiligabend-Party-

Szene samt dem von Robi geschmückten

Robis Mutter das Gilet mit dieser Kritze-

lei drauf als «kaputtgemacht» taxierte

und in die Altkleidersammlung spedierte.

Seit 29 Weihnachtsfesten zuckert

uns «Last Christmas» zu – und ist

höchst umstritten. Man liebt oder hasst

den Hoppel-Sound, er geht einem direkt

ins Herz oder auf den Geist. Für Fans

ist der Hit so kultig wie das Fondue

chinoise an Heiligabend, während «Last

Christmas»-Hasser bei dem Föhn-Pop

Star für 300 Franken Tagesgage he rum.

Gut zwei Wochen lang sei er mit dem

Sänger zusammen gewesen, erinnert

sich Zurbriggen («ich mag den Song, sehr

sogar»), der heute als Schnitzer arbeitet

und den Souvenirshop Wood pecker führt.

George Michael sei ein komischer Kauz

gewesen, schweigsam, eher hochnäsig,

«er legte seine Füsse auf mein Armatu-

renbrett, und seine Äuglein glänzten wie

Christbaumkugeln». Was auch an den

Christbaum. «Erst später merkte ich,

dass mich George Michael mit einer

50-Pence-Münze abgespeist hat», erin-

nert sich Anthamatten («ich liebe den

Song trotzdem»). Und noch etwas gab

ihm der Softpopgott damals: ein Auto-

gramm, direkt auf Robis Daunengilet.

«Das Teil wäre heute für Wham-Fans

Gold wert», seufzt der 43-Jährige, dem in

Saas-Fee Hotel, Shop, Bar und Club der

Popcorn-Gruppe ge hört. Blöd nur, dass

leiden wie nach einem Besäufnis mit

Glühwein. Genauso überspannt ist das

Musikvideo zum Hit. Die Wham-Clique

feiert, mit Schnee und Chalet, wobei

Cheminéefeuer, Erotik und Polyester-

Skianzüge gleichermassen knistern. Es

ist das perfekte Krippenspiel der Syntie-

Pop-Generation. Made in Saas-Fee.

Philippe Zurbriggen war damals

Chauffeur von George Michael. In seinem

roten Nissan Patrol kutschierte er den

George Michael legte die Füsse aufs Armaturen-brett im Auto und rauchte Joints PHILIPPE ZURBRIGGEN

WO WHAM WOHNTE Das Direktoren-Ehepaar Chantal, 50, und Beat Anthamatten, 55, in der Luxus-Suite des Hotels Ferienart Resort & Spa Saas-Fee, in der George Michael während der «Last Christmas»-Dreharbeiten logierte.

DAS BERÜHMTE CHALET Philippe Zurbriggen, 57, war damals Chauffeur von George Michael. Er posiert mit Hund Bobby beim Chalet, vor dem die Wham-Menschen im Video eine Schneeball-schlacht machen.

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25 Joints gelegen haben könnte, die der

Wham-Man täglich paffte. Im Video ist

Zurbriggen in der Eröffnungssequenz

zu sehen mit seinem roten Nissan. Und

er war dabei, als die Schneeballschlacht

vor dem Chalet gefilmt wurde.

Ach, das Chalet – der Petersdom

jedes «Last Christmas»-Fans –, es exis-

tiert wirklich. Im Norden von Saas-Fee,

am Schliechtenweg, steht das Holzhaus.

Die einst sonnenverbrannte, schwarze

Holzfassade wurde renoviert, sonst sieht

noch alles so aus wie im Video. Das Cha-

let mit der Nummer 18 gehört einem

Deutschen, der in Kalifornien lebt und

hier noch nie gesehen wurde. Verzückt

wie ein erleuchteter Pilger schlurft man

ins Dorf zurück und kommt an der Kapel-

le des heiligen Theodul vorbei. Und da

drin, hell beleuchtet, diese geschnitzten

Figürchen an einem Tisch versammelt,

das ist doch, ist das …? Himmel! Diese

mer sind Beat und Chantal Anthamatten

die Gastgeber. George Michael bewohnte

die schönste, teuerste, grösste Suite, 457,

zweigeschossig, mit Whirlpool und Sauna.

Beat Anthamatten, 55, («ich höre den

Song immer wieder gern») erinnert sich,

wie die Engländer ziemlich wild feierten.

Und Chantal Anthamatten, 50, («unser

Personal singt an Weihnachten ‹Last

Christmas› für die Gäste») erzählt, die

beiden Stars hätten weit auseinanderlie-

die Wham-Schauspieler die Kabinentür,

doch Erwin realisierte gar nicht, dass er

gefilmt wurde. Seine Tochter machte

1984 ein Sprachjahr in London und rief

im Dezember nervös zu Hause an. «Vater,

hier in England bist du in einem Hit-

Video zu sehen!» Und Charles, ihm ge-

hört heute das Micro-Bowling-Center Zum

guten Keller, besitzt 8000 Schallplatten,

«aber ausgerechnet die ‹Last Christmas›-

Single fehlt in meiner Sammlung».

Wham-Recherche verklebt einem die

Sinne noch total. Jetzt hat man die Bibel-

szene von Jesu letztem Abendmahl doch

glatt für die Partysequenz aus dem

Musikvideo gehalten.

Eher unchristlich ging es damals

auch im Hotel Walliserhof zu und her, wo

die Wham-Boys George Michael und der

im Grunde unwichtige Andrew Ridgeley

logierten. Heute heisst das Fünf-Sterne-

Haus «Ferienart Resort & Spa», noch im-

gende Suiten verlangt, «die Herren moch-

ten sich nicht wirklich gut». Dafür kam

sich die Filmcrew ziemlich nahe, jeden

Morgen fischte das Hotelpersonal Bade-

hosen und Bikinis aus dem Hallenbad.

Die einzigen Einheimischen, die

man im Video erkennt, sind die Seilbahn-

Kabinenführer Erwin Anthamatten, 73,

(«das Lied ist nicht schlecht») und

Charles Schmidt, 58 («ein schöner

Song»). Sie öffneten und schlossen für

Meine Tochter rief aus London an: «Vater, du bist hier in einem Wham-Video zu sehen» ERWIN ANTHAMATTEN

DER MOONBOOTS-MANN Alle Wintersachen, die im Video zu sehen sind, kaufte die Wham-Crew damals im Sportgeschäft Intersport-Sportart von Stefan Zurbriggen, 55 («ich finde den Song noch heute super, Ehrenwort»).

DIE SEILBAHN-STARS Die Gondelführer Erwin Anthamatten (l.) und Charles Schmidt sind die einzigen Einheimischen, die im «Last Christmas»-Video mitspielen und auch wirklich zu erkennen sind. Unten: ihr Auftritt im Wham-Musikvideo.

AUSGEGONDELT Die Kabine von damals (l.) ist heute im Skigebiet Saas-Fee ein Imbiss-Stand beim Hotel Waldesruh.

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Seltsam ist, dass man in Saas-

Fee die Wham-Sache touristisch nie

gross ausgeschlachtet hat. Keine «Last

Christmas»-Pizza im Restaurant (mit

extraviel Schmalz), kein George-Michael-

Drink an der Bar (sehr süss und mit

blondem Schirmchen). Nahe der Kirche

hat zwar ein Hausbesitzer die Fenster-

läden hellrosa gestrichen – was aber

nichts mit Wham zu tun hat. Ebenfalls

Fehlanzeige beim Mehrfamilienhaus

mit dem Namen Adonis. Selbst im

Saaser Museum findet sich kein Wham-

Exponat, «nie von denen gehört», sagt

der Leiter Thomas Kalbermatten («wie

sagen Sie, soll dieser Song heissen?»).

Das schönste Geschenk bekommt

man an Heiligabend immer zuletzt. So

auch hier, der grosse Moment ist da.

Von aussen ist das Kulturzentrum Stein-

matte ein schlichter Bau, aber das hier,

das ist der Ort, die heilige Halle sozu-

sagen, wo im Video die Wham-Weih-

nachtsparty stattfindet, wo die schönen

Menschen feiern, wo Robi Anthamatten

damals den Christbaum für 50 Pence

schmückte. Andächtig dreht man den

Schlüssel, stösst die braune Holztür

auf – Entsetzen! Es macht Wham im Ge-

hirn. Was für ein öder, unromantischer

Raum. Der Kupferkamin aus dem Video

ist zwar klar zu identifizieren, doch alles

andere … trostlos. Es sieht aus wie bei

der allerletzten Weihnacht.

Mit Enttäuschungen Wham’scher

Art kennt sich Sybille Meyer aus («ich

höre den Song jedes Jahr wieder gern»).

Sie stand, 20-jährig, an der Réception

im «Walliserhof». Und schwärmte für

George Michael, himmelte ihn an, wenn

er vorbeitänzelte in seinen weissen,

schneeuntauglichen Stiefelchen. Bis

sie ihm eines Morgens begegnete, unge-

schminkt war er, unfrisiert, übermüdet

und mürrisch. «Glauben Sie mir, im

Video sieht er besser aus als in natura.»

Wie ein Mahnmal für den 80er-Jahre-

Zimtsternen-Sound hängt an der Ré-

ception ein Bild des Pop-Stars: George

Michael mit offenem Mund und zemen-

tierter Frisur. Trotz dem Schock von

damals hat sich Sybille Meyer ihr «Last

Christmas»-Feeling nicht zerstören

lassen. Song und Video sind und bleiben

für jeden Fan eine wundervolle Illusion,

ein Wintermärchen, ein Weihnachts-

traum, ein Alle-Jahre-wieder-Gefühl.

Darum werden auch «This Christmas»

und «Next Christmas» und immer und

ewig «Last Christmas» erklingen.

Ich sah George Michael übermüdet und ungeschminkt. Nicht sehr romantisch SYBILLE MEYER

KAUM ZU GLAUBEN In diesem Saal im Saaser Kulturzentrum Steinmatte fand die lauschige Weihnachtsparty im Video statt (l.). Das Cheminée mit der Kupferhaube gibts noch heute.

AM EMPFANG Die damals 20-jährige Sybille Meyer (heute Chefin der Elite Alpine Lodge) stand am Empfang von George Michaels Hotel – und schmachtete ihn an. Ein Bild des Stars hängt noch immer im Eingang des «Ferienart».

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