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22.09.2014 Tobias Kaphegyi / Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik 1 Widersprüchlichkeiten des Bildungsprivatisierungs- prozesses in Deutschland und Erklärungsansätze: Pfadabhängigkeiten, Profite und „innere Landnahme“ Tobias Kaphegyi

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22.09.2014 Tobias Kaphegyi / Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik 1

Widersprüchlichkeiten des Bildungsprivatisierungs-

prozesses in Deutschland und Erklärungsansätze: Pfadabhängigkeiten, Profite und „innere Landnahme“

Tobias Kaphegyi

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1970er Jahre: Beginn der neoliberalen Ära   Ende der wirtschaftspolitischen

Dominanz des Keynesianismus wegen der Krisen.

  „Wende“: Beginn der Hegemonie des Neoliberalismus (Reagan, Thatcher, Kohl).

  Beginn des doppelten Angriffs der Kapitalseite auf den Wohlfahrtstaat.

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Doppelter Angriff der Kapitalseite

  1.) „Starving the Beast“ (Stockman) / „Diktat der leeren Kassen“ (Herbert Giersch 1991)

  = Zurückfahren der Finanzierungsanteile des Kapitals am Wohlfahrtsstaat.

  2.) Profitträchtige, entstaatlichte Bereiche / Dienstleistungen privatisieren.

Quelle: BMBF 2004

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Ermöglicht durch den neoliberalen Dreiklang

  In Kapital, Volkswirtschaftslehre, und Politik

  Synergien bei den Eliteinteressen: Profit, Opportunismus/Ideologie und

Handlungsfähigkeit   „Lehre der Herrschenden wird zur

herrschenden Lehre“ (Zinn)

Materielles Resultat: Steuersenkungs-Privatisierungs-Kreislauf

Quelle: Huffschmid, J. (2007): Vortrag auf der Fachtagung ‚Die

Folgen der derzeitigen

ökonomischen Disparitäten in der

EU und ihre Auswirkungen auf

die öffentliche Finanzierung von Bildung‘ der AG

Bildungsfinanzierung beim Hauptvorstand

der GEW am 16.02.2007 in Bad

Hersfeld

Steuersenkung für Unternehmensgewinne, Kapital- und Spitzeneinkommen

Höhere Nettogewinne und Spitzeneinkommen

Ausfall öffentlicher Einnahmen

Luxuskonsum

Finanzanlagen und Spekulation

Streichung/Kürzung öffentlicher Ausgaben

Privatisierung (Ankauf öffentlicher Unternehmen/Vermögen)

Privatisierung (Verkauf öffentlicher Unternehmen/Vermögen)

Re-Feudalisierung

Finanzialisierung

Soziale und kulturelle Verelendung

Vortrag von Jens Wernicke am 8. Juni 2011

Beispiel Rentenprivatisierung (Riester)   1.) Einnahmenbasis der gesetzlichen

RV wird von der Politik angegriffen.   2.) Neoliberale Wissenschaft redet

das öffentliche System in die Krise = Agendasetting (z.B. Demografielüge).

  3.) Kapital, Politik und Wissenschaft fordern den Umstieg auf die private RV (nur staatliche Minimalsicherung).

  4.) Versicherungswirtschaft bietet entsprechende Produkte an.

  5.) Politik schafft Zwang/Anreize zum Einstieg der Menschen in die Private RV.

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Untersuchung des Bildungsprivatisierungsprozesses anhand dieser fünf Stufen

  1.) Entwicklung der Einnahmenbasis.

  2.) Agendasetting neoliberaler Wissenschaft und der Kapitalseite.

  3.) Gibt es eine Forderung nach (exogener) Privatisierung?

  4.) Mit welchen Produkten steigt die Kapitalseite ein?

  5.) Welche „Wechselanreize“ schafft die Politik für die Eltern?

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Verschärfung durch die Finanzkrise

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Entwicklungen in der Bildungsfinanzierung

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Leichte Steigerungen der staatl. Ausgaben im Hochschul- und Kitabereich – warum?

  1.) Ausbau des Kitabereichs: Kommunen sind in der Pflicht wegen Gesetz.

  2.) Länder haben deutlich gemacht, dass sie alleine keine Mehrausgaben tätigen können.

  3.) Stärkere Unterstützung durch den Bund (sogenanntes 6 Milliarden Paket vom Mai 2014).

  = Übernahme Bafög, Erhöhung beim Sondervermögen Kitaausbau,und Hochschulpakt III.

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Jedoch keine Steuererhöhungen!!   = 1.) Qualitätsabnahme im Kita- und

Hochschulbereich: Zunehmende Teilnahme übersteigt die Ausgabensteigerungen = Abnehmende Bildungsausgaben pro Studierende und Kitakind.

  = 2.) Entwicklung auf Kosten des restlichen Wohlfahrtsstaats, z.B. Baden-Württemberg: Streichung von LehrerInnenstellen.

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Entwicklung der privaten Bildungsausgaben im internationalen Vergleich

  OECD:   Zwischen 2000 und 2009   Anteil der privaten Ausgaben:

von 13,9 % auf 15 % gestiegen.   Mittlerer Rang im internationalen

Vergleich (13 von 28).

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Was kennzeichnet das neoliberale Agendasetting im Bildungsbereich?

  Seit ca. 2006: Dominanz der „endogenen Wachstumstheorie“ (z.B. Barro, = Bildung muss priorisiert werden.

  Bildungschancen statt materieller Umverteilung: Verlagerung der Verantwortung ans Individuum.

  Wenn Forderung in Richtung Privatisierung nur „endogene“ Privatisierung (Quasimarktsteuerung).

  Forderung nach mehr Chancengleichheit, mehr Kitas, höherer Bildungsbeteiligung an den Universitäten

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Mit welchen Produkten steigt die Kapitalseite ein?

  Kaum Interesse an der Gründung von privaten Bildungseinrichtungen in Finanzierung und Trägerschaft.

  Geschäftsmodell 1: Korporatistisches Vorgehen mit Gewinngarantie = PPP.

  Geschäftsmodell 2: Dienstleistungen entstanden aus dem quasimarktförmigen Umbau (Modularisierung, Wettbewerbssteuerung etc.) = Schulberatung, Nachhilfe etc.

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Welche Anreize setzt die Politik zum Umstieg?

  Alte Studie von E. James zur Entwicklung der Größe des Privatschulsektors:

  „Heilige Kuh Gymnasium“ sichert die Distinktionsbedürfnisse der Mittel- und Oberschichten in einer Klassengesellschaft.

  Privatschulbesuch immer noch unterdurchschnittlich. Privatschulen werden zu 90 % staatlich finanziert.

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Exkurs: Primar- und Sekundarbereich I (endogene Privatisierung)

  Marktförmiger Umbau:   Massive Zunahme Privatschulen

(in öffentlicher Finanzierung). Trotzdem unterdurchschnittlich im OECD-Vergleich.

  Erklärungsmodell von E. James   Schulen werden zunehmend

„Outputorientiert“ gesteuert.

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Jahr 1992 2009 Anteil der SchülerInnen an privaten allgemeinbildenden Schulen.

4,8 % 7,9 %

Zwischen 2000 und 2009.

Abnahme öffentlicher Schulen im Osten.

Zunahme privater Schulen im Osten.

Quelle: Statistisches Bundesamt 2010.

29,5 % 74,6%

Eigene These: was passiert entspricht genau den Wünschen der Kapitalseite – Innere Landnahme !

  Arbeitgeber treiben im Moment eine „Fachkräftemangel“-Kampagne voran.

  Dazu gehört: 1.) Frauen in den Arbeitsmarkt zu

bringen. 2.) Mehr AkademikerInnen in den

Arbeitsmarkt zu bringen.

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Thesenhafte Erklärungsansätze: 1.) Pfadabhängigkeit

  Der neoliberale Privatisierungsprozess findet pfadabhängig statt.

  In der konservativen Bildungsstaatlichkeit vor allem quasimarktförmiger Umbau.

  Die Naturalisierung der Begründung von Ungleichheit wandelt sich.

  Manche Strukturen werden von konservativen Eliten verteidigt.

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Thesenhafte Erklärungsansätze: 2.) Profite

  In Manchen Bildungsbereichen lohnt sich keine exogene Privatisierung.

  Die alte konservative Bildungsstaatlichkeit bietet ausreichend Distinktionsmöglichkeiten.

  Hochpreisige private Bildungsangebote rentieren sich nicht.

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Thesenhafte Erklärungsansätze:

  3.) Landnahmetheorem

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Landnahmetheorem nach Dörre (Bezugnahme auf Harvey)

  Bei der Ausbildung des konservativen Bildungsstaates wird durch Geschlechter- (Ein-Ernährerfamilie) und Klassenkonstruktion (Dreigliedrigkeit) in Bezug auf den AkademikerInnen-Markt ein „kapitalistisches Außen“ konstruiert.

  Jetzt sollen AkademikerInnenlöhne gesenkt werden: Zugangsbarrieren werden geschleift.

  Kita- und Hochschulbereich werden (qualitätsgemindert) ausgebaut ohne Ausbau des Sozialstaates.

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