Wie Hautwunden heilen

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Umliegende Hautareale mobilisieren Zellen für Wundverschluss Wie Hautwunden heilen Die in die Wunde einwandernden Zellen selbst tragen – anders als bisher angenommen – nur wenig zur neuen Zellmasse bei, die die Wunde verschließt. Stattdessen bilden die umliegenden Hautareale massiv neue Zellen und schie- ben diese unter der intakten Haut hin- durch in die Wunde. Wissenschaftler des Universitätsklinikums Heidelberg haben diesen Grundmechanismus aufgeklärt, wie die Haut Wunden verschließt. Mit Hilfe modernster, hochauflösen- der Mikroskopietechnik beobachteten die Wissenschaftler die Zellbewegungen in einem im Labor gezüchteten Gewebe, das der menschlichen Haut sehr nahe kommt, und entwickelten ein dreidimen- sionales Modell des Heilungsprozesses. Das Team um Privatdozent Dr. Niels Gra- be und Mitarbeiter Dr. Kai Safferling und Thomas Sütterlin widerlegt bisherige Theorien zum Wundverschluss und unterstützt zukünftige Forschungsarbei- ten u.a. zu chronischen Wunden. Zellen schieben sich unter intakter Haut durch In die acht Millimeter durchmessenden Gewebekulturen stanzten die Wissen- schaftler des Hamamatsu Tissue Imaging and Analysis (TIGA) Center am Bioquant Forschungszentrum der Universität Hei- delberg, einer Kooperation zwischen dem Institut für Pathologie, dem Natio- nalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) sowie der japanischen Firma Ha- mamatsu Photonics, jeweils zwei kleine Löcher von zwei Millimetern Durchmes- ser und verfolgten den Heilungsprozess bis zu zehn Tage lang. Dazu wurden zu verschiedenen Zeitpunkten Dünnschnit- te angefertigt, mit speziellen Techniken gefärbt und vom Imaging-Roboter „Na- noZoomer“ des TIGA Centers vollauto- matisch im Millionstel-Millimeter-Bereich aufgearbeitet und abgebildet. Mit Hilfe der Daten aus dem NanoZoomer hatten die Forscher bereits ein virtuelles Haut- gewebe erstellt, das sie nun mit den In- formationen aus den einzelnen Schritten des Heilungsprozesses verknüpften. Her- aus kam nun die erste dreidimensionale Computersimulation, die den zugrunde- liegenden Mechanismus von Wundver- schluss und Heilung aufzeigt. Im Experiment startete die Bewegung der neuen Hautzellen in den äußersten Bereichen der Gewebekulturen, bis zu drei Millimeter von der Verletzung ent- fernt. Im lebenden Organismus könnte diese Strecke sogar noch weiter ausfal- len. Wie auf einem Förderband schieben sich die neu gebildeten Zellen aus allen Richtungen unter der intakten Haut hin- durch auf die Wunde zu. Gelangen sie dort ins Freie, werden sie von den nach- rückenden Zellen nach oben gedrückt und reifen zu schildförmigen Zellen aus. Unter ihnen geschützt wandern weitere Zellen ein, bis die Wunde verschlossen ist. Das Team um Grabe nannte den Mecha- nismus „ExtendingShield Mechanismus“. Möglichkeiten für Fehlersuche bei chronischen Wunden Die bisherigen Theorien zur Wundhei- lung besagten, dass sich die Zellen der Wundränder oder unmittelbar dahinter liegender Bereiche teilen und die Haut so in die Wunde hineinwächst. Diese Modelle sind nun widerlegt. „Mit dem neuen Modell haben wir den Grundstein zum besseren Verständnis von Proble- men mit der Wundheilung gelegt. Erst jetzt kann man z.B. bei chronischen Wunden gezielt nach Fehlern in diesem Prozess suchen“, so Grabe. Auch für die Krebsforschung könnte das neue Mo- dell wertvolle Impulse liefern. So ist der Mechanismus der Wundheilung ver- gleichbar mit der Einwanderung von Tu- morzellen in gesundes Gewebe. „Even- tuell sind die Steuerungsmechanismen ähnlich. Daraus könnte sich ein neuer Ansatz der Tumorkontrolle ergeben“, hofft der Wissenschaftler. Quelle: Pressemitteilung Universitätsklinikum Heidelberg Priv-Doz. Dr.-Ing. Niels Grabe, Wissenschaftlicher Leiter, Hamamatsu Tissue Imaging and Analysis (TIGA) Center Universität Heidelberg Tel.: 0049/6221/54 51 455 E-Mail: [email protected] www.klinikum.uni-heidelberg.de Informationen: Internet: http://tigacenter. bioquant.uni-heidelberg.de http://jcb.rupress.org/site/biobytes/biobytes_ dec_09_2013.mp3 (Podcast) Abb. 1 8 Computersimulation einer heilenden Hautwunde: Die nachrückenden Zellen sind hier türkis dargestellt. © Hamamatsu TIGA Center, Universitäts klinikum Heidelberg Literatur: K. Safferling, T. Sütterlin, K. Westphal, C. Ernst, K. Breu- hahn, M. James, D. Jäger, N. Halama, und N. Grabe. 2013. Woundhealingrevi- sed: A novelreepithelializ ationmechanismrevea- ledby in vitro and in silico- models. J. CellBiol. 203:691–709 32 | Wiener Klinisches Magazin 1 · 2014 aktuell

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Umliegende Hautareale mobilisieren Zellen für Wundverschluss

Wie Hautwunden heilen

▬▬ Die in die Wunde einwandernden Zellen selbst tragen – anders als bisher angenommen – nur wenig zur neuen Zellmasse bei, die die Wunde verschließt. Stattdessen bilden die umliegenden Hautareale massiv neue Zellen und schie-ben diese unter der intakten Haut hin-durch in die Wunde. Wissenschaftler des Universitätsklinikums Heidelberg haben diesen Grundmechanismus aufgeklärt, wie die Haut Wunden verschließt.

Mit Hilfe modernster, hochauflösen-der Mikroskopietechnik beobachteten die Wissenschaftler die Zellbewegungen in einem im Labor gezüchteten Gewebe, das der menschlichen Haut sehr nahe kommt, und entwickelten ein dreidimen-sionales Modell des Heilungsprozesses. Das Team um Privatdozent Dr. Niels Gra-be und Mitarbeiter Dr. Kai Safferling und Thomas Sütterlin widerlegt bisherige Theorien zum Wundverschluss und unterstützt zukünftige Forschungsarbei-ten u.a. zu chronischen Wunden.

Zellen schieben sich unter intakter Haut durchIn die acht Millimeter durchmessenden Gewebekulturen stanzten die Wissen-schaftler des Hamamatsu Tissue Imaging

and Analysis (TIGA) Center am Bioquant Forschungszentrum der Universität Hei-delberg, einer Kooperation zwischen dem Institut für Pathologie, dem Natio-nalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) sowie der japanischen Firma Ha-mamatsu Photonics, jeweils zwei kleine Löcher von zwei Millimetern Durchmes-ser und verfolgten den Heilungsprozess bis zu zehn Tage lang. Dazu wurden zu verschiedenen Zeitpunkten Dünnschnit-te angefertigt, mit speziellen Techniken gefärbt und vom Imaging-Roboter „Na-noZoomer“ des TIGA Centers vollauto-matisch im Millionstel-Millimeter-Bereich aufgearbeitet und abgebildet. Mit Hilfe der Daten aus dem NanoZoomer hatten die Forscher bereits ein virtuelles Haut-gewebe erstellt, das sie nun mit den In-formationen aus den einzelnen Schritten des Heilungsprozesses verknüpften. Her-aus kam nun die erste dreidimensionale Computersimulation, die den zugrunde-liegenden Mechanismus von Wundver-schluss und Heilung aufzeigt.

Im Experiment startete die Bewegung der neuen Hautzellen in den äußersten Bereichen der Gewebekulturen, bis zu drei Millimeter von der Verletzung ent-fernt. Im lebenden Organismus könnte

diese Strecke sogar noch weiter ausfal-len. Wie auf einem Förderband schieben sich die neu gebildeten Zellen aus allen Richtungen unter der intakten Haut hin-durch auf die Wunde zu. Gelangen sie dort ins Freie, werden sie von den nach-rückenden Zellen nach oben gedrückt und reifen zu schildförmigen Zellen aus. Unter ihnen geschützt wandern weitere Zellen ein, bis die Wunde verschlossen ist. Das Team um Grabe nannte den Mecha-nismus „ExtendingShield Mechanismus“.

Möglichkeiten für Fehlersuche bei chronischen WundenDie bisherigen Theorien zur Wundhei-lung besagten, dass sich die Zellen der Wundränder oder unmittelbar dahinter liegender Bereiche teilen und die Haut so in die Wunde hineinwächst. Diese Modelle sind nun widerlegt. „Mit dem neuen Modell haben wir den Grundstein zum besseren Verständnis von Proble-men mit der Wundheilung gelegt. Erst jetzt kann man z.B. bei chronischen Wunden gezielt nach Fehlern in diesem Prozess suchen“, so Grabe. Auch für die Krebsforschung könnte das neue Mo-dell wertvolle Impulse liefern. So ist der Mechanismus der Wundheilung ver-gleichbar mit der Einwanderung von Tu-morzellen in gesundes Gewebe. „Even-tuell sind die Steuerungsmechanismen ähnlich. Daraus könnte sich ein neuer Ansatz der Tumorkontrolle ergeben“, hofft der Wissenschaftler.

Quelle: Pressemitteilung Universitätsklinikum HeidelbergPriv-Doz. Dr.-Ing. Niels Grabe, Wissenschaftlicher Leiter, Hamamatsu Tissue Imaging and Analysis (TIGA) Center Universität HeidelbergTel.: 0049/6221/54 51 455E-Mail: niels.grabe@bioquant.uni-heidelberg.dewww.klinikum.uni-heidelberg.de

Informationen: Internet: http://tigacenter.bioquant.uni-heidelberg.dehttp://jcb.rupress.org/site/biobytes/biobytes_dec_09_2013.mp3 (Podcast)

Abb. 1 8 Computersimulation einer heilenden Hautwunde: Die nachrückenden Zellen sind hier türkis dargestellt.

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Literatur:K. Safferling, T. Sütterlin, K. Westphal, C. Ernst, K. Breu-hahn, M. James, D. Jäger, N. Halama, und N. Grabe. 2013. Woundhealingrevi-sed: A novel re epi thelializationmechanismrevea-ledby in vitro and in silico-models. J. CellBiol. 203:691–709

32 |  Wiener Klinisches Magazin 1 · 2014

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