Wilhelm Brücher – Kommissarischer Bürgermeister der...

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    Ortwin Bickhove-Swiderski: Wilhelm Brcher Kommissarischer Br-germeister der Stadt Dlmen von Februar bis Oktober 1946, DlmenerHeimatbltter, Heft 2, Jahrgang 54, 2007, S. 81ff

    2007 Heimatverein Dlmen e. V.

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    Ortwin Bickhove-Swiderski

    Wilhelm Brcher Kommissarischer Brgermeister der StadtDlmen von Februar bis Oktober 1946

    Persnliche Daten

    Wilhelm Brcher wurde am 24.November 1899 in Medebach im Sauerland als Sohn eines mitt-leren Beamten geboren.1 Er war Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD),Ortsverein Dlmen, ab Oktober 1928, und wohnte in Dlmen auf dem Osthover Weg. Verheiratetwar er mit Elly Brcher, Mitglied der SPD ab Februar 1946. Seit 1936 stand Brcher unter derstndigen Kontrolle der Gestapo.2 Kurz vor seinem 47. Geburtstag wurde Wilhelm Brcher durchdie Militrregierung mit Wirkung vom 1. Februar 1946 an zum kommissarischen Brgermeis-ter der Stadt Dlmen ernannt.3 Bis zu diesem Tage lag ein steiniger politischer Weg mit vielenpersnlichen Gefhrdungen und leidvollen Erfahrungen hinter ihm.

    Verfolgung durch die Nationalsozialisten

    In Dlmen, wie berall, gingen die Nationalsozialisten mit dem politischen Gegner nicht zim-perlich um. Immerhin bestand schon seit 1927 eine Ortsgruppe der Nationalsozialistischen Deut-schen Arbeiterpartei (NSDAP) in Dlmen, gegrndet durch die Brder Franz und Julius Bie-lefeld.4 So kam Dlmen in den Ruf, eine der ersten Ortsgruppen der NSDAP im Mnsterlandgegrndet zu haben. Ab dem August 1931 gab es in Dlmen regelmig politische Ausschrei-tungen. Am 22. Juli 1932 wurde dabei der Reichsbannermann Wilhelm Ricker von Mitgliedernder Dlmener und Halterner NSDAP durch einen Beckenschuss gettet. Strafverfahren sind ge-gen die Tter nie eingeleitet worden, obwohl die Namen bekannt waren und gengend Zeugenausgesagt hatten.5

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    Die Dlmener SPD

    Von ca. 1925 an fhrte der Schftemacher Karl Meyer den Ortsverein Dlmen der SPD, dersich am 22. Juni 1933 selbst auflsen musste. Dabei ging das gesamte Eigentum des Ortsvereinsverloren und wurde von der NSDAP in Dlmen, also Dlmener Brgern, gestohlen. Damit gingenalle Unterlagen wie Mitgliederkarteikarten usw. unwiederbringlich verloren. Wir wissen lediglich,dass die SPD zu diesem Zeitpunkt zwei Stadtverordnete im Rat der Stadt Dlmen hatte.6

    berfall auf Wilhelm Brcher

    Am 17. Mrz 1933 besuchte Brcher seinen Freund Anton Surmann7 auf der Sendener Strae,um sich ein Aquarium anzusehen. In der Wohnung von Surmann wurde er von dem SchutzmannSchmidt verhaftet. Schmidt: Im Namen des Gesetzes, Sie sind verhaftet. Brcher entgegneteund berichtet: Wenn Sie mich in ihrer Eigenschaft als Polizeibeamter verhaften, haben Sie einenHaftbefehl? Kurz nach dem Schutzmann erschien der SA-Mann Franz Bielefeld, und damit warklar, wer hinter der Verhaftung stand. In der Wohnung befanden sich noch Antonius Hrbelt8,der damalige SPD-Parteisekretr, und Paul Lettner. Dann ging es in die Stadt hinein, bis zurEcke Ktterde, wo ein gewisser Wiesmann aus dem Haus geholt wurde. Man schleppte alle inRichtung Neustrae (heute Borkener Strae, der Verf.) bis zum Hinderkingsweg. Auf dem Wegsah ich noch den Pferdemetzger Walter Mlleck, der spter Polizeibeamter geworden ist, weil erein so braver SA-Mann war. Franz Bielefeld fragte Mlleck nach einer Pistole, er gab ihm einePistole 08.

    Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen mit seiner Frau Elly imAugust 1961

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  • Wilhelm Brcher Kommissarischer Brgermeister der Stadt Dlmen von Februar bis Oktober 1946 3

    Bei den spteren Vernehmungen nach 1945 hat dieses jedoch Mlleck geleugnet. Dort wollteman sie in das Gertehaus des Frsters Lcke bringen. Da das Gertehaus verschlossen war, wur-den sie dort mit Totschlgern und Tritten in den Unterleib und Schlgen auf den Kopf verletzt.Zugetreten hat Franz Bielefeld und besonders hart geschlagen hat Schmlling aus der Heinrich-strae, seine Frau war ja so rhrig in der NS-Frauenschaft ttig. Mit einem Totschlger haben siezugeschlagen. Schmlling hatte ein Stck dickeres Drahtseil, unten mit einer Kugel und mit einerSchlaufe an seinem Handgelenk. Er schlug auf meinen Rcken und die Fe. Ich bin dann ausdem Park ausgerissen, mit Todesangst. Ich habe gedacht, die schlagen dich tot. Mit letzter Krafthabe ich einen umgestoen, der ist spter als Leutnant gefallen, so ein kleiner ganz widerlicherKerl mit stechenden Augen von der Dortmunder Strae.

    Der rief mir noch hinterher: Bleib stehen, oder ich schiee. Ich bin dann zu einem Haus amParkeingang am Hinderkingsweg, dort wohnte Max Mutschalk. Der machte die Tr auf, hatte aberein Beil in der Hand. Ich kannte ihn aus dem Reichsbanner. Ich glaube, wenn ich ein Nazi gewesenwre, der htte zugeschlagen, er war ein stabiler Kerl und Heizer bei Bendix. Mit letzter Kraftkonnten Hrbelt, Wiesmann und Brcher entkommen und sich verstecken.9 Wilhelm Brcherschtzte spter nach 1945 die Zahl seiner Peiniger auf ca. 15 bis 18 Personen. Die drei Opferlagen im Kreis und wurden von den umstehenden Nazis unter Fhrung von Franz Bielefeld schwermisshandelt.

    Die Verhaftung Brchers

    Wilhelm Brcher im Alter vonetwa 70 Jahren

    Am 24. Februar 1936 wurde Wilhelm Brcher durch die GeheimeStaatspolizei (Gestapo) an seiner Arbeitssttte, der Futtermittel-handlung Bockhoff und Co. in Stadtlohn, verhaftet.10 Ihm wur-de vorgeworfen, illegales Informationsmaterial der Exil-SPD vonden Niederlanden nach Deutschland gebracht zu haben und frdie Verteilung gesorgt zu haben. Er wurde in der Zeit vom 21. Fe-bruar bis zum 1. September 1936 im Gestapogefngnis in Reck-linghausen und vom 1. September bis zum 1. November 1936 imGefngnis in Hamm festgehalten.11

    Gestapo-Leitstelle in RecklinghausenDie Leitstelle der Gestapo in Recklinghausen wurde zum Schre-cken aller politischen Gegner in Westfalen. Leiter der Gestapoin Recklinghausen war der ehemalige Kriminalrat Tenholt, derdie Gestapo-Dienststelle von 1933 bis 1936 leitete. Tenholt wardamals Leiter des Morddezernates der Magdeburger Kriminal-polizei. Als verkappter Antisemit und Mitglied der so genann-ten vlkischen Verbnde machte er 1933 Karriere: Er wurdenach Recklinghausen versetzt und Leiter der Gestapo. Ihm wurdedie Leitstelle fr Westfalen bertragen. Unter Tenholt begann einBlutterror ohne gleichen. Die politischen Gegner wurden in dasPolizeiprsidium nach Recklinghausen geschleppt und dort in Haft gesetzt. Zum Verhr wurdendie Hftlinge aus dem Keller in den zweiten Stock geschafft. Sie mussten sich mit dem Gesicht

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    zur Wand auf dem Flur aufstellen und warten, bis sie aufgerufen wurden. Von den vorbeigehendenGestapobeamten erhielten sie immer wieder Faustschlge ins Genick, so dass sie aus Mund undNase bluteten.

    Im Vernehmungszimmer wurden sie mit Beschimpfungen empfangen und dann sofort berden Tisch gezogen, um windelweich geschlagen zu werden. Wer nicht bekennen konnte oderwollte, wurde erneut besinnungslos geschlagen. Manche, die ihre Kameraden nicht verraten woll-ten, wurden wochenlang in Haft gehalten und mussten tglich diese Tortur ber sich ergehenlassen. Ihre Wunden gingen allmhlich in Eiter ber. Manche wurden von Verzweiflung gepacktund legten Hand an sich selbst an. So sprang der Vorsitzende des Einheitsverbandes der Bergar-beiter, Albert Funke, aus dem zweiten Stock in den Hof. Ein anderer Hftling erhngte sich inder Zelle, weil er die Misshandlungen nicht mehr ertragen konnte. Der Sozialist Brcher wurdeblutberstrmt in bewusstlosem Zustande in einen Sack gepackt und an das offene Fenster ge-stellt, damit er von selbst hinunterstrze. Als er aber wieder zu sich kam, wurde er im Sack biszur Treppe geschleift und mit den Fen die Treppe hinunter gestoen.12

    Vernehmungsmethoden

    An einem Vernehmungstag im Gestapogefngnis in Recklinghausen mussten alle vom Flur ver-schwinden. Es hielt sich das Gercht, ein Spitzel namens Morgenroth sei gekommen. Dieser WilliMorgenroth, geb. am 12. Mrz 1904, stellte 1971 einen Entschdigungsantrag. In dieser Sachewurde Willi Brcher als Zeuge vor dem Amtsgericht in Dlmen vernommen (Geschftsnummer5 AR/63/71). Der aus Bonn stammende SPD-Funktionr Ernst Schumacher hatte schon 1937 aufdie Spitzeldienste von Morgenroth aufmerksam gemacht. Morgenroth hatte sich in seiner Hei-ratsurkunde vom 10. 8. 1940 vor dem Standesamt Gelsenkirchen Nr. 1124 selbst als Referent frSicherheitsangelegenheiten ausgewiesen.13

    Strafverfahren gegen Brcher

    Am 23. Juli 1936 wurde Wilhelm Brcher die Anklageschrift durch den Vorsitzenden des IV.Strafsenats des Oberlandesgerichtes Hamm (Aktenzeichen 5 O. Js. 127/36) im Gerichtsgefngnisin Recklinghausen zugestellt. Dort hie es: In der Strafsache gegen Sie erhalten Sie anliegend einExemplar der Anklageschrift mit der Aufforderung sich innerhalb einer Woche zu erklren, ob Siedie Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Hauptverhandlung beantragen oder Einwen-dungen gegen die Anordnung der Hauptverhandlung vorbringen wollen. Herr Rechtsanwalt Dr.Niemller in Hamm (Westf.) ist zu Ihrem Verteidiger bestellt. Sofern Sie sich der Hauptversamm-lung auf eine evtl. Kriegsteilnahme berufen wollen, wird Ihnen schon jetzt anheim gestellt, sichfrhzeitig Ihre Militrpapiere (Militrpass usw.) zu besorgen. gez. Bergmann, Senatsprsident.

    Ladung zur Hauptverhandlung

    Dem Verfasser liegt eine Abschrift der Ladung des IV. Strafsenats zur Hauptverhandlung am12. Oktober 1936, 9 Uhr, vor: In der Strafsache wegen Vorbereitung zum Hochverrat wird derReisende Wilhelm Brcher, zur Zeit in Recklinghausen, Gerichtsgefngnis, vor den IV. Strafsenatdes Oberlandesgerichtes in Hamm i. W., Zimmer 12, in das Amtsgerichtsgebude, Borbergstr. 1,

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    geladen. Sollten Sie sich zurzeit des Termins auf freiem Fue befinden, so wird im Fall unent-schuldigten Ausbleibens Ihre Verhaftung oder Vorfhrung erfolgen. Zugleich werden Sie aufge-fordert, zu erklren, ob und welche Antrge Sie in Bezug auf ihre Verteidigung fr die Hauptver-handlung zu stellen haben. Die in der Anklageschrift benannten Zeugen sollen geladen werden,Leufke ist bereits geladen.

    Das UrteilAm 17. Oktober 1936 wurde Wilhelm Brcher mit weiteren 56 Funktionren einer illegalenOrganisation (gemeint ist die SPD, der Verf.) durch den IV. Strafsenat des Oberlandesgerichtesin Hamm zu vier Jahren Zuchthaus wegen Vorbereitung des Hochverrats verurteilt und entspre-chend deportiert. Die Mitgliedschaft in der SPD und dem Reichsbanner sowie das Verteilen vonFlugblttern reichten fr ein solches Urteil aus.

    HaftzeitenVom 1. November 1936 bis zum 18. Januar 1937 kam Brcher in das Zuchthaus nach Herford,am 18. Januar 1937 wurde er in das Konzentrationslager Esterwegen, Lager VII, verlegt, anschlie-end in das Konzentrationslager Aschendorfermoor, Lager II. Erst am 17. Mrz 1940 konnte Br-cher das Konzentrationslager Aschendorfermoor verlassen. Der krftig gebaute Brcher brachtenach seiner Entlassung lediglich noch 98 Pfund auf die Waage. Nach der Entlassung konnte erin Dlmen keine Arbeit finden, weil die Stadt Dlmen Okkupationsgebiet war und ehemaligenZuchthuslern in Dlmen jegliche Arbeit untersagt war. Nur durch Beziehungen erlangte er eineArbeitsstelle in Mnster als Kraftfahrer in einer Wscherei. Aber auch in dieser Wscherei hattedie NSDAP Spitzel eingesetzt. Zu weiteren Repressalien gegen Willi Brcher kam es nicht.14

    Dlmener Brger im Dritten ReichNachfolgend zwei Beispiele ber das Verhalten von Dlmener Brgern zwischen 1933 und 1945.

    Am 28. September 1941 gibt Schtze Ricker in der Geschftsstelle der NSDAP-OrtsgruppeDlmen nachfolgende eidesstattliche Erklrung ab: Ich, Schtze Ricker erklre, da der Pg. On-nebrink, wohnhaft zu Haltern, feindliche Rundfunknachrichten im Jahre 1939/40 in der Wohnungseines Schwiegervaters abgehrt und dann im Betrieb der Rhein. Bau- und Christallsandwerkeweiter verbreitet hat. Auch hat er den im Betrieb befindlichen Radioapparat dazu benutzt, feind-liche Nachrichten abzuhren und dann weiter zu verbreiten.15 Am 22. September 1943 erklrteder Unteroffizier Hermann Steinbrecher gegenber der Ortsgruppe der NSDAP handschriftlich:Hiermit erklre ich meinen Austritt aus der NSDAP. Die Geschftsstelle der NSDAP hat miteiner Schreibmaschine noch seine Feldpostnummer 36915 hinzugefgt.16

    Die EmslandlagerDie Emslandlager sind eine Gruppe von Konzentrations-, Straf- und Kriegsgefangenenlagern imLandkreis Emsland und der Grafschaft Bentheim. Insgesamt gab es 15 Lager. Die ersten dreiLager KZ Neusustrum, KZ Brgermoor und KZ Esterwegen wurden 1933 fr politische Schutz-hftlinge errichtet. Nach ihrer Auflsung als KZ im April 1934 bzw. August/September 1936dienten diese Lager bis 1945 als Strafgefangenenlager der Reichsjustizverwaltung. Von 1943/44an wurden in Esterwegen Widerstandskmpfer aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden

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    festgesetzt. Von 1944 bis 1945 waren die Emslandlager Dalum und Versen auch zustzlich Au-enlager des KZ Neuengamme. Insgesamt wurden ca. 80.000 KZ-Hftlinge und Strafgefangeneund zwischen 100.000 und 180.000 Kriegsgefangene in den Lagern inhaftiert. Bis zu 30.000 Men-schen, berwiegend sowjetische Kriegsgefangene, starben. Die Hftlinge mussten hrteste Arbeitbei der Kultivierung der Moore leisten. Kurz vor der Befreiung wurden vom 12. bis 19. April 1945im Lager Aschendorfermoor ca. 150 Hftlinge aus den Emslandlagern um den selbsternanntenOffizier Willi Herold erschossen.

    Die MoorsoldatenDas Lied der Moorsoldaten ist seit 1935 in aller Welt bekannt. Texter des Liedes waren der Berg-mann Johann Esser und der Schauspieler und Regisseur Wolfgang Langhoff, die Musik stammtvom kaufmnnischen Angestellten Rudi Goguel. Der Komponist Hanns Eisler berarbeitete dieMelodie fr den Snger Ernst Busch. Dieser schloss sich whrend des Spanischen Brgerkrie-ges 19361939 den Brigadas Internacionales, den Internationalen Brigaden, die gegen den Put-schisten Franco die Spanische Republik verteidigten. Dadurch wurde das Lied international be-kannt. Es wurde am 27. August 1933 bei einer Veranstaltung namens Zirkus Konzentrazanivon 16 Hftlingen, berwiegend ehemaligen Mitgliedern des Solinger Arbeitergesangsvereins,aufgefhrt.

    Rudi Goguel erinnerte sich spter: Die sechzehn Snger, vorwiegend Mitglieder des So-linger Arbeitergesangsvereins, marschierten in ihren grnen Polizeiuniformen (unsere damaligeHftlingskleidung) mit geschulterten Spaten in die Arena, ich selbst an der Spitze in blauem Trai-ningsanzug mit einem abgebrochenen Spatenstiel als Taktstock. Wir sangen, und bereits bei derzweiten Strophe begannen die fast 1000 Gefangenen den Refrain mitzusingen. Von Strophe zuStrophe steigerte sich der Refrain, und bei der letzten Strophe sangen auch die SS-Leute, diemit ihren Kommandanten erschienen waren, eintrchtig mit uns mit, offenbar, weil sie sich selbstals Moorsoldaten angesprochen fhlten. Bei den Worten . . . Dann ziehen die Moorsoldatennicht mehr mit den Spaten ins Moor stieen die sechzehn Snger den Spaten in den Sand undmarschierten aus der Arena, die Spaten zurcklassend, die nun, in der Moorerde steckend, alsGrabkreuze wirkten.17

    Aussagen zu Willi Brchers Aktivitten im KonzentrationslagerWilli Schirrmacher aus Kln, der Vorsitzende der Gemeinschaft politisch verfolgter Sozialdemo-kraten, erklrte am 3. Juni 1981: Willi Brcher ist mir persnlich bekannt. Willi Brcher hatunsere Vorschlge als Lagerschreiber ber den Platzmeister der Lagerleitung vorgetragen. WilliBrcher hat uns auf diese Art jahrelang geholfen und dadurch viele Moorsoldaten den Gefahrendes Auenkomandos entzogen. Er hat sich in den Jahren im Moor um die dortigen Gefangenenverdient gemacht.

    Auch Hans Weber aus Regensburg, Brgermeister a. D., besttigte am 18. April 1982: ImHerbst 1937 wurde ich in das Aschendorfermoor, Lager II, Baracke 12/Papenburg, verlegt. Dortlernte ich als politischen Mitgefangenen Willi Brcher kennen. Er war als Lagerschreiber ttig.Bei Schwierigkeiten von Mitgefangenen hat er stets versucht, bei der Lagerleitung ein gutes Worteinzulegen. So konnte er manchen vor Schikanen und Arrest bewahren. Auch hat er vielen unsererFreunde, die krnklich oder lter waren und die schwere Moorarbeit nicht mehr leisten konnten,

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    verholfen zu Innenkommandos (Werksttten, Krankenabteilung, Kche usw.). Wer die Strengeim Lager kannte, mute bei Willi Brcher bewundern, da er den Mut hatte, gegenber der SA-Lagerfhrung (Platzmeister) seinen Mitgefangenen zu helfen. Ich bewundere nach ber 40 Jahrenheute noch die seinerzeit bewiesene hohe menschliche Qualitt. Bei der groen Launenhaftigkeitder Platzmeister mute Willi Brcher stets damit rechnen, selbst wieder im groen Moorkom-mando zu Schwerstarbeit verurteilt zu sein. Einige Mitgefangene, soweit sie noch am Leben sind,knnten das sicherlich besttigen. Ich nenne Willi Schirrmacher aus Kln, Fritz Runge aus Essenund Otto Kuhn aus Schwandorf. Ich versichere, da ich wahrheitsgem diese Erklrung nieder-geschrieben habe.

    Heute wnschen wir uns viele junge Leu-te, die Ihnen nacheifern, erklrte Land-rat Knipper, bevor er dem betagten Sozial-demokraten das Bundesverdienstkreuz amBande des Verdienstordens der Bundesre-publik Deutschland anheftete.

    Weiter hat Jonni Schacht aus Hamburg am 6. April1982 besttigt: Willi Brcher ist mir vom Lager II/Aschendorfermoor bekannt. Gleich nach dem Kriegehat er mich in Hamburg zweimal besucht. Brcher warSchreiber beim Platzmeister des Lagers. Ich war Arzt-schreiber im Lagerrevier (zuerst bei Dr. Stbck). Br-cher und ich hatten tglich wegen der Appelabstimmungmiteinander zu tun. Dadurch konnten wir auch einenvertraulichen Gedankenaustausch fhren. Die komman-dierenden Posten haben wir dazu benutzen knnen,unseren Leidgenossen Erleichterungen zu verschaffen.Dieses ist nur aus der Lagerposition zu verstehen. Sol-ches Handeln war natrlich nur mglich mit einemMann, der tiefes menschliches Mitgefhl hatte und inder eigenen Notlage hilfsbereit war, also von echter So-lidaritt seinen Mithftlingen gegenber eingestellt war.Wenn ein solches Spiel von der SA, SA-Gruppe Nord-see, Pionierstandarte 10, denn das waren unsere Wach-mannschaften, entdeckt worden wre, htten uns harte Manahmen getroffen. Ich kann meinemLeidgenossen und Moorkumpel Willi Brcher aus Dlmen bescheinigen, da er durch sein Wir-ken vielen Mitgefangenen Erleichterung verschafft hat. Ich war im Lager II/Aschendorfermoorvon 1936 bis Weihnachten 1938 (verurteilt wegen Vorbereitung zum Hochverrat). Letzteres istnachzulesen unter Deutschlandberichte der SPD (Sopade), dritter Jahrgang 1936, Seite 1603.Ich bin 1904 geboren. Bis 1933 war ich Ortsvereinsvorsitzender.

    Schlielich erluterte auch Fritz Runge aus Ramsau am 11. April 1982: Willi Brcher ist mirpersnlich bekannt. Im Lager Esterwegen war er auf der Schreibstube. Dort erfuhr er, weshalbdie einzelnen Gefangenen einsaen. So konnte er uns als Sozialdemokraten aufeinander aufmerk-sam machen. Dadurch wurde sofort eine Verbindung hergestellt. Das war wichtig, um vor denSchikanen der Kriminellen und den Bewachern geschtzt zu sein. Nach einiger Zeit wurden diepolitischen Gefangenen in das Lager Aschendorfermoor verlegt. Dort wurde Brcher wieder zurSchreibstube abkommandiert. Als Barackenltester der Baracke 13 hatte ich besonders mit ihm zutun. In meiner Baracke befanden sich die Abgnge und die Zugnge. Ich wurde durch ihn sofortdarber informiert, zu welchen politischen Gruppen die einzelnen Eingelieferten gehrten, um siemit ihresgleichen zusammenzubringen. Das war sehr wichtig. Die Schikanen, in der ersten Zeit

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    besonders empfunden, konnten so besser berwunden werden. Noch ein weiteres: Man hatte einbesonderes Bespitzelungssystem eingefhrt. Ab und zu wurden Sexualverbrecher eingeschleust.Sie hatten die Aufgabe zu hren, worber sich die Gefangenen unterhielten, um ihnen dann wei-tere Prozesse anzuhngen. Durch die Informationen von Brcher konnten sie von vornherein aus-geschaltet werden. Nicht unerwhnt soll bleiben, da so manch ein Lagerinsasse Brcher dankbarwar, seine Essensportion zu bekommen. Alle Informationen innerhalb und auerhalb des Lagersstammten von ihm. Nach dem Kriege setzte sich Brcher fr die Textilindustrie in seiner Um-gebung ein. Mich, als Mitglied des ernannten Landtages, suchte er fters auf, um sich ber dieNotlage zu informieren und ihn zu untersttzen.

    Die Pogrome vom 9. November 1938 (sog. Reichskristallnacht)Hermann Eichengrn aus Cochabamba in Bolivien, der vorher in Dlmen das grte Kaufhaus,heute Ahlert, fhrte, sagte am 14. Mai 1948 aus: Ich wei, da Sie in der Hitlerzeit sehr leidenmuten. Weiter besttigte Hermann Eichengrn 13 Namen von Dlmener Brgern, die sich amJudenpogrom beteiligt haben. Ebenso verwies Eichengrn darauf, eine Anfrage zum Judenpo-grom an Frau Manna Seelig, einer Tochter von Louis Pins, weitergeleitet zu haben. Der am 8. No-vember 1893 in Dlmen geborene Hermann Schwering sagte am 20. September 1945 aus: Ichbin am 7. Juli 1933 in Dlmen in die SA eingetreten. Im September 1933 wurde ich zum Schar-fhrer befrdert. Am 9. November 1938 ging ich mit meiner SA-Uniform nachts gegen 1.30 Uhrauf die Mnsterstrae. Dort traf ich mit dem Ortsgruppenleiter Schmidt zusammen. Der Ortsgrup-penleiter erklrte mir: Komm mit, wir schlagen bei dem Juden Eichengrn die Fensterscheibenein. Ich bin mit dem Ortsgruppenleiter zum Manufakturwarengeschft der Brder Eichengrngegangen und habe dort mit meinem Stiefelabsatz die Scheibe der Fensterscheibe eingeschlagen.Ich habe die linke groe Schaufensterscheibe eingetreten und der Ortsgruppenleiter Schmidt dierechte Schaufensterscheibe. Ich habe die Wahrheit gesagt.18

    Spurensuche nach 1945 durch VernehmungenAm 10. Juli 1945 wurde Fritz Grybeck, geb. am 15. Mrz 1904 in Wanne, wohnhaft in Karthausbei Dlmen, vernommen. Hier einige Auszge aus dem Protokoll: Im Sommer 1931 bin ichber die Gebrder Bielefeld in Dlmen mit der nationalsozialistischen Bewegung in Berhrunggekommen. Ich habe mich als Zeitungsverkufer fr die nationalsozialistische Idee eingesetzt. Ichavancierte bis zum SA-Sturmfhrer und war Fhrer des Sturms 5/471. Ende Mrz 1933 wurdender damalige technische Leiter des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold Wilhelm Brcher undder Fhrer des Jungbanners im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Anton Hrbelt, von einerGruppe von SA-Leuten aus ihren Wohnungen geholt und in den Park des Herzogs von Cromitgenommen. Ich habe mich an dieser Aktion nicht beteiligt und kann Angaben ber die Tter indieser Aktion nicht machen. An sonstigen gemeinsamen Handlungen, die gegen Andersdenkendevorgenommen worden sind, war ich nicht beteiligt. Ich habe die volle Wahrheit gesagt und kannweitere Angaben nicht machen.19

    Ebenfalls wurde Wilhelm Terlau aus Dlmen, geb. am 25. Dezember 1907, vernommen: Beider Mihandlung der Reichsbannerleute Wilhelm Brcher und Anton Hrbelt aus Dlmen, dieim Mrz 1933 im Park des Herzogs von Cro vor sich gingen, war ich nicht zugegen. Ich habenur davon gehrt.20

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  • Wilhelm Brcher Kommissarischer Brgermeister der Stadt Dlmen von Februar bis Oktober 1946 9

    Jeder Demokrat sollte doch meinen, dass nach 1945 unverzglich eine Entnazifizierung durch-gefhrt worden wre. So ist in der Gemeinderatssitzung vom 22. Januar 1946 der Tagesordnungs-punkt: Entnazifizierung der Verwaltung aufgerufen worden. Nach der Debatte und Beratungwurde nachfolgender Beschluss gefasst: Die Frage der Entnazifizierung soll zurckgestellt wer-den, bis ein neuer Brgermeister gewhlt und der Beirat vergrert ist.21

    Wilhelm Brcher wird kommissarischer Brgermeister

    Mit Wirkung vom 1. Januar 1946 setzte die Militrregierung im Benehmen mit den politischenParteien des Kreises fr den Kreis Coesfeld einen Verwaltungsbeirat ein, da eine gewhlte Ver-tretung noch nicht bestand und auch in absehbarer Zeit nicht gewhlt werden konnte. Mitglieddieses Beirates war fr die SPD-Dlmen Antonius Hrbelt.

    Wilhelm Brcher war seit dem Einmarsch der alliierten Truppen in Dlmen Polizeiamtmann.Dem Dienstzeugnis der Stadt Dlmen fr Wilhelm Brcher, ausgestellt am 1. April 1955, knnenwir hierzu entnehmen: Vom 15. April 1945 bis zum 1. Februar 1946 war er auf Anordnung der bri-tischen Besatzungsmacht Leiter der Polizeistation in Dlmen. Er wurde am 1. Februar 1946 vonder Militrregierung zum kommissarischen Brgermeister der Stadt ernannt. Bis zum 30. Septem-ber 1946 war er Hauptgemeindebeamter mit der Dienstbezeichnung Brgermeister bzw. Stadtdi-rektor. In dieser Eigenschaft war er auch Vorsitzender des Vorstandes der Stadtsparkasse Dlmen.Brgermeister Brcher war ein Mann, der auch whrend der Nazizeit seiner demokratischen Ge-sinnung treu blieb.

    Weiter heit es in der Beurteilung: In dieser turbulenten Zeit des allgemeinen Zusammen-bruchs und der anschlieenden Zeit der ersten Versuche, das Gemeinschaftsleben in allen Teilenwieder aufzubauen, hat Brcher sich sowohl als verantwortlicher Polizeileiter fr den Bereich derStadt Dlmen wie auch als Hauptgemeindebeamter mit seiner ganzen Person und Kraft fr dieMitbrger eingesetzt. Sein Verstndnis fr die Notlage des Einzelnen in der Gesamtheit, seineHilfsbereitschaft, seine Aktivitt, sein sachliches Urteil und sein soziales Empfinden waren dieGrundlage seines erfolgreichen Wirkens in dieser Zeit. Fr diesen Einsatz in schwerster Zeit istihm die Stadt Dlmen viel Dank schuldig. Auch als Stadtverordneter in der Amtsperiode 1948/52hat sich Herr Brcher als wertvoller Sachwalter der Brger und der Stadt bewhrt. gez. Espeter,Brgermeister, gez. Heimes, Stadtdirektor.22 Whrend der turbulenten Zeiten nach 1945 setztesich Brcher fr die beschleunigte Abwicklung der Wiedergutmachungszahlungen an die ehema-ligen jdischen Mitbrger der Stadt Dlmen ein. In Wahrnehmung dieser Aufgabe besuchte ermehrmals Frau Rhea Leeser, geb. Zondervan, die nach Annahme der Niederlndischen Staatsan-gehrigkeit mit ihren beiden Tchtern in die Niederlande ausgewandert war.23 Wilhelm Brcherwar dann 1946 Mitglied des Ortsausschusses fr politische Gutachten. In der Zeit von 1948/52war Brcher Stadtverordneter in Dlmen. Und zwei Jahre lang war er Vorsitzender der vorberei-tenden Umlegungskommission.24

    Die erste Kommunalwahl nach dem Kriege

    Am 25. Juni 1946 nahm der englische Residenzoffizier und Sprecher der Militrregierung, Cap-tain Goderich, in Coesfeld in Anwesenheit der Brgermeister und Stadtverordneten nach 46 derneu gefassten Deutschen Gemeindeordnung die Vereidigung vor. Dort heit es: Brgermeister

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    und sonstige Gemeinderte werden vor Amtsantritt von der Militrregierung vereidigt. Die Mi-litrregierung hat als ihr politisches Ziel verkndet, das Naziwesen auszutilgen, die politischenTendenzen und Lehren der nationalsozialistischen Partei aus dem deutschen Recht auszumer-zen . . . 25

    Die erste Kommunalwahl nach 1945 am 15. September 1946 brachte in Dlmen ein neuesStadtparlament zusammen. Dieses setzte sich aus 18 gewhlten Stadtverordneten zusammen. Aufdie CDU entfielen 15, auf das Zentrum 2 und auf die SPD 1 Vertreter.26 Vertreter der SPD warLehrer Heuer. Ihm war mit Schreiben vom 18. Mai 1936 durch die Gauleitung Westfalen-Norddie Aufnahme in den Nationalsozialistischen Lehrer-Bund (NSLB) mit Zwangsmitgliedschaftfr alle Lehrer verweigert worden: Nach den Bestimmungen der Reichsamtsleitung betreffendAufnahme, ist es nicht mglich, den Lehrer Heuer in den NSLB aufzunehmen. Es knnen nurdiejenigen aufgenommen werden, die weniger als ein Viertel artfremdes Blut in sich haben. gez.Wolf, Gauamtskassenwart.27

    Verleihung des Bundesverdienstkreuzes

    Wilhelm Brcher im Alter vonetwa 90 Jahren

    Am 6. Mrz 1984 berreichte Landrat Knipper im Namendes Bundesprsidenten an Wilhelm Brcher das Bundesver-dienstkreuz am Bande des Verdienstordens der BundesrepublikDeutschland. Brcher stand in seinem 85. Lebensjahr. Fr denSPD-Ortsverein wrdigte bei seiner Begrung Diethard Engeldie menschliche Haltung Wilhelm Brchers.28 Glckwnschesprachen fr die SPD der Bundestagsabgeordnete Dr. Karl-HeinzKlejdzinski, die Landtagsabgeordnete Ilse Ridder, und der SPD-Fraktionsvorsitzende in Dlmen, Ulrich Schneider, aus.

    Antrag auf Verleihung der Ehrenbrgerschaft der Stadt Dl-men

    Am 11. August 1988 beantragte die SPD-Fraktion im Rat derStadt Dlmen die Verleihung der Ehrenbrgerschaft fr WilhelmBrcher. In dem Antrag wurden seine Haftzeiten, der berfall von1933, die Ttigkeit als Polizeichef und Brgermeister/Stadtdirek-tor aufgefhrt. Das Dienstzeugnis wurde beigefgt, es wurde aufdie Ratsttigkeit von 1948 bis 1952 wie auch auf das schon er-whnte Schreiben von Herrn Eichengrn aus dem Jahre 1948 hin-gewiesen, das auch vorgelegt wurde.29

    Es wird wohl das Geheimnis der SPD-Fraktion bleiben,warum im Rat der Stadt Dlmen die Ttigkeiten von Willi Brcher als Kreistagsabgeordneterin Coesfeld nicht mit angegeben wurden. Immerhin war Wilhelm Brcher in der 2. Wahlperiodevom 28. November 1949 an als Nachrcker fr Antonius Hrbelt Mitglied des Kreistages in Coes-feld. Er war am 28. November 1949 als Kreistagsmitglied vereidigt worden. Der zweite Kreistagwurde im September 1950 beschlussunfhig, weil die 13 Abgeordneten der CDU ihre Manda-te niederlegten. Gem 112 Gemeindeordnung NRW setzte die Bezirksregierung Mnster am

    Dlmener Heimatbltter, Heft 2, Jahrgang 54, 2007 Nachdruck

  • Wilhelm Brcher Kommissarischer Brgermeister der Stadt Dlmen von Februar bis Oktober 1946 11

    4. Oktober 1950 den Landrat a. D. Ernst Meister als Beauftragten zur Wahrnehmung der Belan-ge des Kreistages ein. Bei der zweiten Kreistagswahl, die am 17. Oktober 1948 stattfand, wurdenachfolgendes Ergebnis erzielt: die DZP (Deutsche Zentrumspartei) erhielt 40,8 % der Stimmen,d. h. 15 Mandate, die CDU 36,5 %, d. h. 13 Mandate, die SPD 21,6 %, d. h. 8 Mandate. In der3. Wahlperiode (1951/52) mit der Kreistagswahl vom 30. September 1951 kandidierte Brcherauf der Reserveliste der SPD auf dem dritten Platz. Bei der vierten Kreistagswahl (1952/56) vom9. November 1952 kandidierte Brcher auf dem zweiten Platz der SPD Reserveliste.30 WilhelmBrcher war somit acht Jahre Kreistagsabgeordneter in Coesfeld.

    Ehrenbrgerschaften fr Verfolgte des Nationalsozialismus?

    Wie aus den Akten zu entnehmen ist, war die SPD-Fraktion politisch unter Druck geraten, dennschon am 24. Februar 1988 hatte die Fraktion Die Grnen im Rat der Stadt Dlmen nachfol-genden Antrag eingebracht:

    Verleihung der kommunalen Ehrenbrgerschaft an Verfolgte des Nationalsozialis-mus

    Der Rat der Stadt Dlmen mge beschlieen:

    1. Die Stadt spricht denjenigen ihrer Brgerinnen und Brger, die Verfolgte desNationalsozialismus sind, auf Antrag den Status und die Rechte einer Ehren-brgerschaft zu.

    2. Als Verfolgung gilt jede Art von Angriff auf Leben, Krper, Gesundheit, Frei-heit, Berufsausbung und Vermgen.

    3. Der Status der Ehrenbrgerschaft soll Ausdruck der ffentlichen Anerkennungdurch die Kommune fr diejenigen Menschen sein, die durch den Nationalso-zialismus verfolgt worden sind oder sich diesem unter Einsatz ihres Lebens,ihrer Gesundheit, ihrer materiellen Existenz oder Freiheit entgegengestellt ha-ben.

    4. Der Status der Ehrenbrgerschaft soll auch denjenigen zugesprochen werden,die als ehemalige Zwangsarbeiter/-innen von der Kommune eingesetzt waren.

    5. Der Status der Ehrenbrgerschaft ist nicht begrenzt auf Brger/-innen deutscherStaatsbrgerschaft.

    Dieser Antrag wurde in der Sitzung des Hauptausschusses in ffentlicher Sitzung am 23. Ju-ni 1988 abgelehnt. Die Stadtverwaltung hatte beim Stdte- und Gemeindebund ein Gutachteneingeholt. Das Ergebnis: Nach Auffassung des Stdte- und Gemeindebundes sei im 26 Abs. 1Satz 1 GO NRW die Ehrenbrgerschaft abschlieend geregelt. Die Gemeindeordnung verlange,dass sich die Persnlichkeiten besonders um die Gemeinde verdient gemacht haben mssten. Einekommunale Ehrenbrgerschaft an Verfolgte des Nationalsozialismus auszusprechen, sei generellnicht vorgesehen.31 ber den Antrag wurde in der Hauptausschuss-Sitzung am 8. September 1988in der nichtffentlichen Sitzung erneut diskutiert.

    Nachdruck Dlmener Heimatbltter, Heft 2, Jahrgang 54, 2007

  • 12 Ortwin Bickhove-Swiderski

    Keine Ehrenbrgerschaft fr Wilhelm Brcher

    Auch in der Stadtverordnetenversammlung am 15. September 1988 wurde unter dem Tagesord-nungspunkt 30 in nichtffentlicher Sitzung beraten. Es wurde keine Entscheidung herbeigefhrt.Wilhelm Brcher wurden die Ehrenrechte der Stadt Dlmen also nicht zugesprochen.32 Die Stadt-verordnetenversammlung hat dann in ihrer Sitzung vom 27. September 1988 unter dem Tagesord-nungspunkt 26 Verleihung des Ehrenrings und des Ehrenbrgerrechts der Stadt Dlmen be-zglich des Ehrenbrgerrechts einstimmig bei zwei Stimmenthaltungen beschlossen: Die StadtDlmen verleiht das Ehrenbrgerrecht solchen Persnlichkeiten, die sich hervorragende bleiben-de Verdienste um die Stadt Dlmen erworben haben. Sie sollten nicht mehr im politischen Lebender Stadt mitarbeiten.

    Bei der nichtffentlichen Debatte ging es wohl um die Frage, welche hervorragenden bleiben-den Verdienste um die Stadt Dlmen sich Wilhelm Brcher erworben hatte. Es ging nicht um dieZeiten im Konzentrationslager.

    Wilhelm Brcher ist am 22. Februar 1992 gestorben.33 Er wurde 93 Jahre alt und war ber65 Jahre Mitglied der SPD.34 Fr ihn war der Faschismus nicht Meinung eines politischen Geg-ners, sondern ein Verbrechen, fr dessen Bekmpfung er sein Leben aufs Spiel setzte. In Dlmenerinnern keine Strae, kein Platz und kein Gebude an Wilhelm Brcher.

    Lektorat: Wolfgang Werp

    1 Dlmener Zeitung vom 22. Februar 1946.2 SPD-Ortsverein Dlmen, Akte Willi Brcher.3 Dlmener Zeitung vom 22. Februar 1946.4 Bielefeld, Franz, geb. 1. Februar 1907 in Dlmen, Techniker, 1925 Eintritt in die NSDAP, 1926 SA-Fhrer West-

    falen-Nord und Westfalen-Sd, 1930 Kreisleiter der NSDAP Coesfeld (Gau Westfalen-Nord), 1932 Fhrer desSA-Sturmbanners III/13 (umfassend die Kreise Coesfeld, Ldinghausen und Beckum), 1933 Erster Beigeordne-ter der Stadt Dlmen, 1933 Fhrer der SA-Standarte 471, ab dem 15. November 1936 Fhrer der SA-Standarte256 in Hamm, ab 1943 SA-Oberfhrer. Er erhielt am 31. Oktober 1939 den Blutorden der NSDAP. In der 4. Wahl-periode des Deutschen Reichstages (19381945) wurde er im November 1941 in den Reichstag berufen, obwohler 1938 gar nicht auf der Liste des Fhrers fr den Reichstag kandidiert hatte. Am 16. Juni 1953 wurde er vomLandgericht Mnster wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer Gefngnisstrafe von zwei Jahrenverurteilt.Bielefeld, Julius, aus Dlmen war schon mit 21 Jahren am 26. November 1926 unter der Mitgliedsnummer 47935in die NSDAP eingetreten. Gerne glnzte er mit dem goldenen Parteiabzeichen der NSDAP. Er war Kreisleiter derNSDAP und wohnte auf dem Kreuzweg in Dlmen. Julius Bielefeld wurde ebenfalls wegen Verbrechen gegendie Menschlichkeit zu einem Jahr Gefngnis verurteilt.

    5 Bickhove-Swiderski, Ortwin, Nationalsozialisten erschieen Wilhelm Ricker Mitglied des Reichsbanners inDlmen, Dlmener Heimatbltter, Heft 1, Jahrgang 51, 2004, S. 2236.

    6 Bickhove-Swiderski, Ortwin, 100 Jahre + 1, Brgerschreck und Hoffnungstrger, Hundert Jahre SPD in Dlmen,Sozialdemokraten im Dlmen der Nazizeit, Wilhelm Brcher, Karl Meyer, Anton Hrbelt, Franz Bargel undWilhelm Ricker, S. 2531, hg. vom SPD-Ortsverein Dlmen, 2006.

    7 Stadtarchiv Dlmen, SB 148: 50 Jahre SPD in Dlmen. Zur Jubilumsfeier am 3. April 1955, hg. von der SPD-Ortsgruppe Dlmen (Dlmen 1955); Reichsbannermann Anton Surmann wurde zu 7 Monaten Gefngnis verur-teilt, da er Willi Brcher gedeckt hatte.

    Dlmener Heimatbltter, Heft 2, Jahrgang 54, 2007 Nachdruck

  • Wilhelm Brcher Kommissarischer Brgermeister der Stadt Dlmen von Februar bis Oktober 1946 13

    8 Hrbelt, Anton, war wohl bis 1933 Parteisekretr der SPD. Ab 1946 war er Gewerkschaftssekretr des DeutschenGewerkschaftsbundes. Er wohnte in Dlmen auf dem Burgweg. Am 15. November 1949 ist er tdlich verunglckt.In Dlmen war er Gemeinderatsvertreter der SPD. In der Ratssitzung am 6. Dezember 1949 ehrte der Gemeinderatden Verstorbenen. Die Gemeinderatsmitglieder erhoben sich zu seinen Ehren von den Sitzen.

    9 Stadtarchiv Dlmen, SB 732: Interview von Gnter W. Peters mit Willi Brcher am 19. April 1988; ebd., StadtDlmen, HA 37 Protokoll des Hauptausschusses vom 8. 9. 1988, S. 14f.

    10 Stadtarchiv Dlmen, Sammlung Brathe, Nr. 24.11 SPD-Ortsverein Dlmen, Akte Willi Brcher. Neue Zeitung (dies war die amerikanische Zeitung in Deutschland)

    vom 14. Juli 1949, Die Landesseite, S. 8.12 SPD-Ortsverein Dlmen, Akte Willi Brcher.13 SPD-Ortsverein Dlmen, Akte Willi Brcher.14 Dlmener Zeitung vom 29. Januar 1983.15 Stadtarchiv Dlmen, SB 875.16 SPD-Ortsverein Dlmen, Akte Willi Brcher.17 http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Moorsoldaten.18 Stadtarchiv Dlmen, SB 732.19 Siehe weitere Zitate aus dieser Vernehmung, in: Dlmener Heimatbltter, Heft 1, Jahrgang 51, 2004, S. 26.20 Stadtarchiv Dlmen, SB 828.21 SPD-Ortsverein Dlmen, Akte Willi Brcher.22 Stadtarchiv Dlmen, SB 732.23 Stadtarchiv Dlmen, SB 732.24 Dlmener Zeitung vom 27. Februar 1993.25 Dlmener Zeitung vom 12. Juli 1946.26 Dlmener Zeitung vom 18. September 1946.27 Stadtarchiv Dlmen, SB 875.28 Dlmener Zeitung vom 7. Mrz 1984.29 Stadtarchiv Dlmen, SB 732.30 Korfmacher, Norbert, Vorlufiges Mitgliederverzeichnis des Coesfelder Kreistags, 1946 bis 1974, zusammenge-

    stellt anhand amtlicher Unterlagen des Kreisarchivs Coesfeld, Stand Februar 2002.31 Stadt Dlmen, Sitzung des Hauptausschusses am 23. Juli 1988.32 Stadt Dlmen, Ratssitzung am 15. September 1988.33 Dlmener Zeitung vom 24. Februar 1993.34 Dlmener Zeitung vom 27. Februar 1993.

    Nachdruck Dlmener Heimatbltter, Heft 2, Jahrgang 54, 2007

    Wilhelm Brcher -- Kommissarischer Brgermeister der Stadt Dlmen von Februar bis Oktober 1946Persnliche DatenVerfolgung durch die NationalsozialistenDie Dlmener SPDberfall auf Wilhelm BrcherDie Verhaftung BrchersGestapo-Leitstelle in RecklinghausenVernehmungsmethodenStrafverfahren gegen BrcherLadung zur HauptverhandlungDas UrteilHaftzeitenDlmener Brger im Dritten ReichDie EmslandlagerDie MoorsoldatenAussagen zu Willi Brchers Aktivitten im KonzentrationslagerDie Pogrome vom 9. November 1938 (sog. Reichskristallnacht)Spurensuche nach 1945 durch VernehmungenWilhelm Brcher wird kommissarischer BrgermeisterDie erste Kommunalwahl nach dem KriegeVerleihung des BundesverdienstkreuzesAntrag auf Verleihung der Ehrenbrgerschaft der Stadt DlmenEhrenbrgerschaften fr Verfolgte des Nationalsozialismus?Keine Ehrenbrgerschaft fr Wilhelm Brcher

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