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Wissensbestände für die Multiplikatorenqualifizierung: Grundseminar II: Thema 9 – Gestalten und Reflektieren von Bildungsprozessen Konsortium des Thüringer Bildungsplans für Kinder bis 10 Jahre Stand: 10.03.09 1 IMPLEMENTIERUNG DES THÜRINGER BILDUNGSPLANS FÜR KINDER BIS 10 JAHRE WISSENSBESTÄNDE FÜR DIE QUALIFIZIERUNG DER MULTIPLIKATOREN - THEMA 9: GESTALTEN UND REFLEKTIEREN VON BILDUNGSPROZESSEN - Überarbeitete und ergänzte Fassung

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Wissensbestände für die Multiplikatorenqualifizierung: Grundseminar II: Thema 9 – Gestalten und Reflektieren von Bildungsprozessen Konsortium des Thüringer Bildungsplans für Kinder bis 10 Jahre Stand: 10.03.09

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IMPLEMENTIERUNG DES THÜRINGER BILDUNGSPLANS FÜR KINDER BIS 10 JAHRE

WISSENSBESTÄNDE FÜR DIE QUALIFIZIERUNG DER MULTIPLIKATOREN

- THEMA 9: GESTALTEN UND REFLEKTIEREN VON BILDUNGSPROZESSEN -

Überarbeitete und ergänzte Fassung

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Inhaltsverzeichnis Einführung in das Thema Ausgewählte theoretische Grundlagen

Gestaltung und Reflexion von Bildungsprozessen Ebenen des Reflexionsprozesses

Ausgewählte rechtliche Grundlagen

Relevanz für die Praxis

Reflexion von Bildungsprozessen als Verständigung zwischen verschiedenen Perspektiven a. Reflexion im Team/Kollegium b. Reflexion mit den Kindern c. Reflexion mit den Eltern

Umsetzungsmöglichkeiten / Beispiele guter Praxis

Reflexionsfragen zum Bildungsverständnis des Thüringer Bildungsplans für Kinder bis 10 Jahre Der Lotusplan Das Konzept der Engagiertheit von Kindern

Literatur / Audiovisuelle & elektronische Medien Anhang

I: Reflexionsfragen zum Bildungsverständnis des Thüringer Bildungsplans II: Kopiervorlage „Lotusplan“ III: Konzept der Engagiertheit IV: Textauszüge Mayr/Ulich 2003: Die Engagiertheit von Kindern, S. 185ff.

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Gliederungspunkt Inhalt Einführung in das Thema - Hinter-grundinformatio-nen

Beobachtung und Dokumentation bilden den Ausgangspunkt für pädagogisches Handeln. Sie „geben Rückmeldungen über Ergebnisse sowie Anstöße für pädagogische Planungen und Umsetzung“ (TKM 2008, S. 159). Willke stellt die Be-deutung von Beobachtung für professionelles Handeln fest, wenn er schreibt: „Alles, was Laien von Experten unterschei-det, ist die Kunst der genaueren Beobachtung. Beobachtung ist die Feststellung eines bedeutsamen Unterschiedes. … Kompetentes Beobachten verlangt also zwei Fähigkeiten; zum einen elaborierte Möglichkeiten, überhaupt Unterschiede feststellen zu können und zum anderen elaborierte Möglichkeiten, aus den festgestellten Unterschieden Bedeutung abzu-leiten“ (Willke 1994, S. 12f.). Allein durch das Beobachten und anschließende Dokumentieren kann der Professionelle jedoch keine Konsequenzen für sein pädagogisches Handeln entwickeln bzw. Bildungsprozesse anregen. Hierfür ist das Reflektieren des Beobachteten unter Einbezug der erziehungswissenschaftlichen Grundlagen des Thüringer Bildungs-plan für Kinder bis 10 Jahre notwendig. Fragen, die sich an das Beobachten anschließen, können z.B. sein: • In welcher Bildungsphase befindet sich das Kind und welche Bildungsbedürfnisse hat es in den sieben Bildungsberei-

chen? • An welchen für das Kind relevanten Themen arbeitet es? • Was sind nächste Schritte für den Professionellen? Wie kann der Professionelle Bildungsprozesse entsprechend den

Bildungsbedürfnissen des Kindes unterstützen? • Was wären mögliche (konkrete) pädagogische Angebote? Gestaltung und Reflektieren von Bildungsprozessen finden auf der Basis der Beobachtungen statt, die im pädagogischen Alltag gemacht und dokumentiert werden (vgl. Thema 8 – Beobachten und Dokumentieren). • Idealtypisch findet nach der genauen Beobachtung in einem nächsten Schritt die Interpretation und Reflexion der be-

obachteten Sachverhalte statt. Im Anschluss an diese Reflexion werden Bildungsprozesse angestoßen und gemein-sam mit den Kindern gestaltet. Diese schrittweise Vorgehensweise von Beobachtung/Dokumentation, Reflektieren des Beobachteten und von der anschließenden Gestaltung von Bildungsprozessen hat idealtypischen Charakter (Be-obachtung – Interpretation – Reflexion – Gestaltung). In der Praxis finden Beobachtungen jedoch zu jeder Zeit statt. Daher muss zwischen alltäglichen Beobachtungen und systematischer Beobachtung (z.B. mittels eines Beobachtungs- und Dokumentationsinstruments) unterschieden wer-den. Systematisches Beobachten sollte in der Konzeption verankert sein. Inhalte der Konzeption können in diesem

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Zusammenhang z.B. sein, welches Beobachtungsverfahren verwendet wird, in welchen Abständen beobachtet wird, wie die Auswertung des Beobachteten stattfindet? (vgl. Wissensbestände zu den Themen 8 und 10).

• Beobachten/Dokumentieren und Reflektieren/Gestalten sind zwei aufeinander aufbauende Arbeitsschritte, mit dem Ziel, Bildungsprozesse im Kind anzuregen/zu unterstützen und die Qualität der pädagogischen Arbeit zu erhöhen. Das bedeutet auch, dass diese beiden Schritte (Beobachten/Dokumentieren sowie Reflektieren/Gestalten) in Wech-selwirkung zueinander stehen und nicht unabhängig voneinander zu betrachten sind. Es hat einen Einfluss auf die Gestaltung von Bildungsprozessen, wie (Beobachtungsinstrument) oder was (Schwerpunkt/Fokus) der Professionelle beobachtet. Andererseits hat das „Ergebnis“ von Reflexionsprozessen des Professionellen eine Auswirkung darauf, was beobachtet wird und welche weiteren Beobachtungsschwerpunkte der Professionelle setzt.

Ausgewählte theo-retische Grundla-gen

1. Gestaltung und Reflexion von Bildungsprozessen Der pädagogische Alltag ist zunächst hoch komplex. Er beinhaltet aber vor allem auch zahlreiche Bildungsgelegenheiten für Kinder und eine enorme Vielfalt an Erfahrungsräumen, die in den Institutionen frühkindlicher Bildung eröffnet werden können. Hierfür muss jedoch der Tagesablauf pädagogisch gestaltet, geplant und die Komplexität strukturiert bzw. reflek-tiert werden. Zentral für die Reflexion und Gestaltung von Bildungsprozessen ist das Verhalten des Kindes. Es liefert Informationen über die Entwicklungssituation, den biografischen Hintergrund des Kindes, Entwicklungs- und Bildungsbedürfnisse usw. Dabei ist davon auszugehen, dass jedes Verhalten, welches Kinder zeigen, für sie immer einen subjektiven Sinn hat. Mit diesem Verhalten reagiert das Kind innerhalb seiner Sinndeutungen sinnvoll auf die Situation, wie sie sich ihm gerade darbietet. Daher ist davon auszugehen, dass jedes Verhalten des Kindes innerhalb seines Bedeutungssystems funktional ist. Nur über diese Verhaltensäußerungen des Kindes kann sich der Professionelle durch Beobachtung, Interpretation und Reflexion an die Wirklichkeit des Kindes annähern. So können z.B. durch die Interpretation des kindlichen Verhaltens die individuellen Bildungsthemen des Kindes erkannt werden. Dem Professionellen kommt in diesem Prozess die Aufgabe zu, die subjektiven Theorien des Kindes in der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt zu deuten und zu verstehen (In-terpretation), diese aufzugreifen und entsprechend des kindlichen Entwicklungsstandes über mögliche pädagogische Angebote nachzudenken (Reflexion). Erst durch diese Form der fachlichen Reflexion können Angebote entwickelt wer-den, die individuelle Bildungsprozesse anstoßen und pädagogisch sinnvoll sind. „Für die Professionellen ist mit Blick auf jede geplante Aktivität zu berücksichtigen, dass die geplanten Aktivitäten von den Kindern angenommen werden, wenn

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sie für das einzelne Kind subjektiv sinnvoll sind.“ (TKM 2008, S. 162) Idealerweise knüpfen Bildungsangebote nicht nur an die individuellen Bildungsthemen des Kindes und seinem Entwick-lungsstand an, sondern auch an der bisherigen Bildungsbiografie des Kindes und den damit verbundenen Erfahrungen. „Wenn neue Bildungsangebote an bereits gemachte Erfahrungen anknüpfen, ist das Kind in der Lage, diese in seine in-nere Welt ‚einzuweben‘“ (Ministerium für Bildung und Frauen des Landes Schleswig-Holstein 2006, S. 8). Reflexion von Bildungsprozessen meint zunächst die gedankliche Auseinandersetzung mit der Situation des Kindes (Entwicklungsstand, Fähigkeiten, Interessen, Themen des Kindes usw.) und seinen Bildungsbedürfnissen. Dies schließt die gedankliche Vorwegnahme von möglichen Angeboten zur Anregung und Unterstützung von Bildungsprozessen ein. Da bei der Reflexion immer ein Persönlichkeitsanteil des Professionellen einfließt und damit subjektiv ist, muss der Pro-fessionelle dies bei der Reflexion und Gestaltung von Bildungsprozessen berücksichtigen. Insofern schließt Reflexion auch das Nachdenken über die eigene Person ein (Selbstreflexion). Weiterhin schließt Reflexion von Bildungsprozessen die Auswertung von pädagogischen Angeboten unter dem Aspekt ihrer Qualität für kindliche Bildungsprozessen ein. Reflexion enthält somit Elemente von Qualitätsmanagement. Im Glossar des Thüringer Bildungsplan für Kinder bis 10 Jahre wird Reflexion wie folgt definiert: Reflexion bzw. Reflexivi-tät „entspricht einem prüfendem und vergleichendem Nachdenken über sich selbst (Selbstreflexion) oder über andere bezogen auf Verhaltensweisen, Situationen etc.“ Gestaltung von Bildungsprozessen meint die Planung und tatsächliche Umsetzung von pädagogischen Angeboten sowie das fachliche Handeln im erzieherischen Alltag des Professionellen. Dieser Gestaltung von Bildungsprozessen geht eine Reihe von professionellen Handlungsschritten voraus bzw. wird von diesen begleitet, die einen Einfluss auf die Qualität von Bildungsprozessen haben. 2. Ebenen des Reflexionsprozesses Reflektieren findet auf verschiedenen Ebenen statt. Auf der kindzentrierten Ebene meint Reflexion das Nachdenken über die Biografie des Kindes, seinen Entwicklungsstand (Bildungsphase in den Bildungsbereichen), Entwicklungsbe-dürfnisse usw. Dies schließt das Reflektieren über konkrete pädagogische Angebote ein. Um zu wissen, welche Angebo-

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te als nächstes unterbreitet werden können, muss der Professionelle ein Bild davon haben, welche Bildungsbedürfnisse ein Kind hat. Zugleich finden Reflexionsprozesse auf der Ebene der Selbstreflexion statt. Jeder Mensch ist individuell geprägt durch seinen biografischen Hintergrund, kulturelle Wertüberzeugungen und Normen. Diese Persönlichkeitsanteile bringt jeder Mensch in seine Verhaltensweisen ein, wodurch er individuell und einzigartig wird. Bei der Gestaltung von Bildungspro-zessen muss reflektiert werden, inwieweit diese Persönlichkeitsanteile einen Einfluss auf die Arbeit des Professionellen haben. Auf der Qualitätsebene meint Reflexion das Nachdenken über die Qualität von pädagogischen Angeboten. Wird ein konkretes Angebot gestaltet, finden Reflexionsprozesse während und nach der Umsetzung dieses Angebotes statt. Der Professionelle reflektiert, inwieweit dieses Angebot vom Kind angenommen wird/wurde und kann hieraus Konsequenzen für sein weiteres pädagogisches Handeln ziehen. Diese drei Ebenen finden sich auch in der folgende Aufstellung wieder. Was kann reflektiert werden? • Entwicklungsstand des Kindes • Bildungsbedürfnisse- und -interessen des Kindes • Die individuellen Entwicklungsprozesse des Kindes und seine Bildungsbiografie • Aktuelle Situation des Kindes • Ressourcen, Stärken, Potenziale des Kindes • Welche pädagogischen Angebote gemacht werden sollen • Qualität der Angebote (Element von Qualitätsmanagement)

o Hat das Angebot einen subjektiven Sinn für das Kind? o Nimmt das Kind die Angebote an? o Welche Angebote muss der Professionelle (noch) bereitstellen, um das Kind anzusprechen? Wie muss er

eventuell das bestehende Angebot ändern, damit es vom Kind angenommen wird? • Eigene biografische Erfahrungen des Professionellen (subjektiver Anteil am Reflexions- und Gestaltungsprozess von

pädagogischen Angeboten)

Beim Reflektieren sind die erziehungswissenschaftlichen Grundlagen des Thüringer Bildungsplans für Kinder bis 10 Jah-

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re einzubeziehen. • Berücksichtigung der Dimensionen personal, sozial und sachlich: Die Weltbezüge, in denen sich Kinder mit ihrer

Umwelt auseinandersetzen, werden zum Gegenstand der fachlichen Reflexion. Hier ist die Frage leitend, welche An-gebote ein Kind braucht, um sich innerhalb dieser Dimensionen mit seiner Umwelt auseinanderzusetzen.

• Beschreibung des kindlichen Entwicklungsstandes (Bildungsphase) in den einzelnen Bildungsbereichen: Hierfür nennt der Bildungsplan exemplarisch für jeden der sieben Bildungsbereiche und für jede Bildungsphasen konkrete Bildungsinhalte. Diese sind als Anregungen und Impulse zur Gestaltung von Bildungsprozessen konzipiert. In welchen Settings Angebote gemacht werden können, ist hier ebenso handlungsleitend wie die Frage danach, welche konkre-ten Angebote gemacht werden können.

• Berücksichtigung unterschiedlicher Bildungsprozesse informell, nonformal, formal: Bei der Planung von Angebo-ten ist zu berücksichtigen, dass Bildungsprozesse unterschiedlich stark strukturiert ablaufen. Oft findet dies nebenein-ander statt, d.h. wenn formale Bildungsangebote unterbreitet werden, finden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch infor-melle Bildungsprozesse statt. Der Professionelle muss dies bei der Reflexion und Gestaltung von Bildungsprozessen berücksichtigen. Dies bedeutet z.B., wenn in einem formalen Bildungssetting sich ungeplant informelle Bildungspro-zesse entwickeln, sind diese nicht zu unterbinden. Der Professionelle sollte durch sein pädagogisches Handeln darauf reagieren und auch diese Bildungsprozesse unterstützen.

Ausgewählte rechtliche Grund-lagen

Förderung und Unterstützung von kindlichen Entwicklungsprozessen setzen einen geplanten, zielgerichteten und struktu-rierten Prozess voraus, der die ständige Reflexion und Gestaltung/Planung von Bildungsprozessen notwendig macht. Der Auftrag zur Förderung ist in § 22 Abs. 3 SGB VIII festgeschrieben. Förderung verfolgt das Ziel, Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes sowie die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes zu unterstüt-zen. Eine Reflexion von Bildungsprozessen ist auch deshalb wichtig, weil „die Förderung … sich am Alter und Entwicklungs-stand, den sprachlichen und sonstigen Fähigkeiten, der Lebenssituation sowie den Interessen und Bedürfnissen des ein-zelnen Kindes orientieren und seine ethnische Herkunft berücksichtigen“ soll (§ 22 Abs. 3 SGB VIII). Eine ähnliche Formulierung findet sich auch im Thüringer Kindertageseinrichtungsgesetz. Dort heißt es: „durch Bildungs- und Erziehungsangebote wird die Gesamtentwicklung der Kinder altersgerecht und entwicklungsspezifisch gefördert“ (§ 6 Abs. 1 ThürKitaG). Dies setzt die Analyse des Entwicklungsstandes eines jeden Kindes durch Beobachtung und Inter-pretation voraus. Ist der Professionelle zu einer Deutung gekommen, kann er auf dieser Basis Bildungsprozesse reflek-

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tieren und gestalten.

Relevanz für die Praxis

1. Reflexion von Bildungsprozessen als Verständigung zwischen verschiedenen Perspektiven Beobachtung, Interpretation und die anschließende Reflexion sind immer subjektiv und werden von den eigenen Persön-lichkeitsanteilen des Professionellen sowie der professionellen Kompetenz beeinflusst (TKM 2008, S. 160). Neben sub-jektiven Wertüberzeugungen haben auch eigene biografische Erfahrungen einen Einfluss auf die Deutung und Reflexion von Bildungsprozessen. Daher kann es keine objektive Einschätzung der Situation geben, da jeder Mensch andere Er-fahrungen in seinem Leben gemacht hat. Da bedeutet, dass jeder Professionelle u.U. zu einer anderen Einschätzung über die Situation bzw. die Bedürfnisse des Kindes kommt. Welche Unterstützung ein Kind braucht, kann demzufolge variieren zwischen den Perspektiven • der Professionellen • der Eltern und des Professionellen • der Professionellen und des Kindes • der Eltern und des Kindes. Reflexion in diesem Kontext bedeutet, eigene Persönlichkeitsanteile bei der Deutung von Situationen zu identifizieren und zu einer möglichst vorurteilsbewussten Interpretation/Beurteilung zu kommen. „Um ein objektiveres Bild über das Kind zu erhalten, muss die Erzieherin über diese Beeinflussung wissen und durch Reflexion ihre eigenen konstruierten Bilder über das Kind“ (Ministerium für Bildung und Frauen des Landes Schleswig-Holstein 2006, S. 8) wahrnehmen. Ne-ben einer selbstkritischen und selbstreflexiven Haltung des Professionellen zu sich und seiner pädagogischen Arbeit, können Austauschprozesse mit anderen Professionellen und/oder mit den Eltern einen Beitrag zur Professionalisierung von Entscheidungsprozessen beitragen. a) Reflexion im Team/Kollegium Da Interpretationen immer perspektivisch einseitig sind, kommt der fachlichen Reflexion im Team/Kollegium eine hohe Bedeutung zu. Nicht nur für die Planung der Arbeit mit Kindern bis 10 Jahre ist die Methode der Reflexion im Team/Kollegium ein anerkanntes Verfahren. Überall dort, wo Professionelle zu Einschätzungen über eine Situation kom-men müssen, um hieraus weitere Schritte zu entwickeln, ist dieses Verfahren ein Merkmal guter fachlicher Praxis. Dem-zufolge stellt die Reflexion im Team/Kollegium ein zentrales Qualitätsmerkmal fachlicher Arbeit dar. Neben Beratung und Unterstützung von Professionellen wird durch die Reflexion im Team/Kollegium ein gewisses Maß

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an Intersubjektivität (Mehrperspektivität) sichergestellt. Das hat zur Folge, dass Professionelle nicht allein und innerhalb ihrer Interpretation zu einer fachlichen Entscheidung kommen müssen, sondern Perspektiven ihrer Kollegen bei der Re-flexion von Bildungsprozessen einbeziehen können. Weiterhin werden erweiterte Handlungsspielräume für den einzelnen Professionellen durch die Einbeziehung anderer Professioneller und ihrer Vorschläge eröffnet. b) Reflexion mit den Eltern Eltern und Pädagogen erleben das Kind in unterschiedlichen Abschnitten des Tages und in unterschiedlichen Situationen (in der Institution bzw. zu Hause). Da sich Kinder in diesen verschiedenen Situationen und in der Interaktion mit ver-schiedenen Personen anders verhalten, haben Eltern und Professionelle andere Sichtweisen auf das Kind und deuten Entwicklungsbedürfnisse und -potenziale anders. Kurz: Sie kommen zu unterschiedlichen Einschätzungen der Situation und des Kindes. Professionelle können genauso wie Eltern durch den Einbezug der jeweils anderen Perspektive profitie-ren und Konsequenzen für ihr pädagogisches Handeln ziehen. Daher treten Eltern und Professionelle in einen Austausch zueinander, in dessen Verlauf sie ihre unterschiedlichen Sichtweisen benennen und miteinander abgleichen: „Der Aus-tausch über dieses unterschiedliche Erleben in verschiedenen Situationen ist eine bedeutsame Grundlage für die päda-gogische Arbeit“. Dabei „ist das Kind, sind seine individuellen Interessen, Ressourcen und Potenziale, seine Fortschritte und Entwicklungsperspektiven der gemeinsame Bezugspunkt“ (TKM 2008, S. 162) für den Austausch zwischen Eltern und Professionellen.

c) Reflexion mit den Kindern „Beobachtet wird, um … mit dem Kind über sein Tun und Erleben in Austausch zu kommen“ (TKM 2008, S. 160). Das schließt die Perspektive des Kindes systematisch in den pädagogischen Prozess ein. Vom Kinde auszugehen bedeutet in diesem Zusammenhang, das Ergebnis eigener Reflexionen dem Kind als eine mögliche Deutung seiner Bedürfnisse anzubieten und als Ausgangspunkt für die Verständigung mit ihm zu machen. Dieses Ergebnis pädagogischer Reflexion ist dann stets auf den Prüfstand zu stellen und mit den neuen Beobachtungen abzugleichen, so dass es kontinuierlich fortentwickelt wird. Das bedeutet auch, dass dieser Austausch zwischen dem Professionellen mit seinen professionellen Deutungen und dem Kind als Experte seiner Lebenswelt immer prozesshaften Charakter hat, d.h. er ist niemals abge-schlossen, das Ergebnis ist stets offen und von allen Beteiligten abhängig.

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Umsetzungsmög-lichkei-ten/Beispiele guter Praxis 1. Reflexionsfragen

zum Bildungs-verständnis des Thüringer Bil-dungsplans für Kinder bis 10 Jahre

2. Das Konzept der Engagiertheit von Kindern

1. Reflexionsfragen zum Bildungsverständnis des Thüringer Bildungsplans für Kinder bis 10 Jahre Das Bildungsverständnis des Thüringer Bildungsplans für Kinder bis 10 Jahre enthält eine Vielzahl von Implikationen für das professionelle pädagogische Handeln in den Einrichtungen der frühkindlichen Bildung. Eine Auswahl dieser wird auf den nächsten Seiten zusammengefasst (vgl. Anhang I - Spalte 2 der Tabelle). Diese „Umsetzungsfelder“ sind lediglich als Auswahl zu verstehen. Sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sie sind stattdessen beliebig und nach Be-darf fortzuschreiben. Weitere Entwicklungsfelder ergeben sich aus den Inhalten des Thüringer Bildungsplans für Kinder bis 10 Jahre sowie aus den Wissensbeständen 1-9. Diese können z.B. sein: Bildungsverständnis, Teilhabe und Mitbe-stimmung, Teamarbeit und Kooperation mit anderen Professionellen, Gestaltung von Übergängen. In der rechten Spalte (3) der Tabelle Anhang I finden sich Reflexionsfragen für den Professionellen, mit deren Hilfe er sein Handeln unter der Perspektive des Bildungsverständnisses reflektieren kann. Hinweis für Professionelle in den Einrichtungen: Die hier aufgeführten Kriterien und Reflexionsfragen wurden gemeinsam u.a. mit den Multiplikatoren im Workshop „Bildungsverständnis des Thüringer Bildungsplan für Kinder bis 10 Jahre“ am 25.02.09 erarbeitet und sind als Vorschläge formuliert. Es handelt sich dabei nicht um einen Katalog von standardisier-ten „Prüffragen“, der systematisch abgearbeitet werden muss. Vielmehr handelt es sich um Ansätze für die gemeinsame Reflexion und Weitereinwicklung des professionellen Handelns. Diese können nach Bedarf genutzt und beliebig fortge-schrieben werden. 2. Der Lotusplan Innerhalb des Portfolios-Konzepts – wie von Bostelmann (2006) präferiert (siehe auch Thema 8 der Wissensbestände)- kommt dem Lotusplan eine besondere Bedeutung zu. Der Begriff „Lotusplan“ kommt daher, weil dieses Instrument dem Aufbau einer Lotusblüte ähnelt: neun Blütenkelche haben jeweils acht Blütenblätter (siehe auch Kopiervorlage im Anhang II). „Nachdem das Oberthema für den kommenden Monat festgelegt wurde („Monatsthema“), wird dieses in das mittlere Feld des Plans eingetragen. Um dieses Feld finden sich grau schattierte Felder. In diese tragen wir Unterthemen zum Oberthema ein (vgl. Beispiel 1) (Bostelmann 2006, S. 47). Zu den jeweiligen Unterthemen werden konkrete Ziele zu jedem Bildungsbereich entwickelt. Diese Ziele werden in „Ich-kann-Form“ formuliert. Dabei können auch einzelne Bildungsbereiche unberücksichtigt bleiben (vgl. Bostelmann 2006, S.

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47). Die folgenden beiden Abbildungen sollen das Prinzip der Lotusplanung verdeutlichen: (Bostelmann 2006, S. 47).

Die Planung mit dem „Lotus-Plan“ ist zu empfehlen, da damit ein bildungsbereichsübergreifendes Arbeiten möglich ist. Jedoch ist zu beachten, dass bei der Bestimmung individueller Lernziele die Qualität des kindlichen Verhaltens berück-sichtigt werden muss. Dies kann mit sog. „Wie-Formulierungen“ gewährleistet werden (siehe Beobachtungsmaterial zum Thüringer Bildungsplan für Kinder bis 10 Jahre).

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3. Das Konzept der Engagiertheit von Kindern Bildung wird im Thüringer Bildungsplan für Kinder bis 10 Jahre als aktive und selbsttätige Auseinandersetzung mit der Welt verstanden. Dies beinhaltet, dass Kinder von sich aus tätig werden, um sich mit ihrer Umwelt auseinander zu set-zen. Insofern wird hier ein Moment der Engagiertheit von Kindern, der Motivation und des Interessiert-Seins sowie des Engagements als Voraussetzung für gelingende Bildungsprozesse konzipiert. Je nachdem, wie stark ein Kind an einem Thema interessiert ist, wird es unterschiedlich viel Engagement und Aktivität in der Auseinandersetzung mit diesem Thema aufbringen. Dies Maß an Engagiertheit, welches Kinder aufbringen, hat direkte Auswirkungen auf die Qualität von Bildungsprozessen. Damit wird Engagiertheit zu einem zentralen Faktor für das Gelingen von Bildungsprozessen. Das belgische Konzept der Engagiertheit stellt das Maß der Engagiertheit von Kindern in den Mittelpunkt der pädagogi-schen Reflexion (vgl. Laevers 1996). Es ist für die Arbeit mit dem Thüringer Bildungsplan für Kinder bis 10 Jahre geeig-net, da es (genau wie der Bildungsplan) die Perspektive des Kindes betont und von dessen Aktivitäten und Interessen ausgeht. Leitfrage bei diesem Ansatz ist, wann Kinder bei einer Aktivität engagiert sind. Weitere Fragen, die sich hieran anschließen, können sein: • Wie reagiert das Kind auf bestimmte Angebote? Nimmt es diese engagiert und motiviert wahr? • Welche Interessen haben Kinder? Welche Aktivitäten oder Themen interessieren Kinder besonders? Wenn Kinder sich in einem Thema engagieren, dann bringen sie viel Energie für eine Sache auf, sind konzentriert und lassen sich nicht ablenken. Das Konzept der Engagiertheit vertritt jedoch nicht nur eine Sachorientierung, die sich in der Beobachtung der Konzentrationsfähigkeit erschöpft, sondern erfasst auch die affektive Dimension (vgl. Mayr/Ulich 2003). Demnach erfahren Kinder Lust und Freude durch die Auseinandersetzung mit dem Thema, sie sind begeistert und erle-ben Befriedigung. Das Kind beschäftigt sich dann mit dem Thema um seiner selbst willen (intrinsische Motivation), nicht weil es durch äußere Anreize (extrinsisch) dadurch motiviert wird, z.B. durch Lob oder gute Noten. Kinder werden dann selbst initiativ und weisen ein hohes Maß an Selbsttätigkeit und Aktivität auf. Zur Engagiertheit gehören demnach • Ausdauer und Konzentration • Kreativität und Explorationslust • Freude und Befriedigung • Präzision und Genauigkeit • Energie (vgl. Anhang III). Das Centrum voor ErvaringsGericht Onderwijs hat zur Einschätzung der Engagiertheit von Kindern ein Fragebogenraster

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entwickelt. Mit dessen Hilfe bekommt der Professionelle einen Überblick darüber, in welchen Bereichen des Kind häufig, manchmal oder selten/nie engagiert ist (vgl. Anhang III). Dies kann als Ausgangspunkt dienen, um (a) hieran weitere pä-dagogische Angebote zu entwickeln und um (b) die Situation des Kindes gemeinsam mit anderen Professionellen und den Eltern zu reflektieren. Damit sich Kinder engagieren, darf die Aufgabe nicht zu schwer, aber auch nicht zu leicht sein. Ist die Herausforderung zu schwer, fühlen sich Kinder schnell überfordert oder hilflos. Ist die Herausforderung zu leicht, verlieren sie rasch das Interesse. Das Thema/die Aufgabe sollte so gestaltet werden, dass Kinder durch Möglichkeiten zum Explorieren, sich Ausprobieren oder Entdecken neue Bildungserfahrungen machen (vgl. Mayr/Ulich 2003). Der Professionelle muss hierfür antizipieren, was das Kind gerade noch nicht kann, um entwicklungsgerechte Herausforderungen zu schaffen und hier-durch Bildungsprozesse anzustoßen (Prinzip der Passung zwischen aktueller Kompetenz und aktueller Aufgabenanfor-derung). Beobachtung des Kindes entlang dieser Dimensionen von Engagiertheit kommt einer ganzheitlichen Betrachtung des Kindes entgegen. Es ermöglicht verschiedene Qualitäten von Engagiertheit differenziert wahrzunehmen und zu erken-nen, an welchen Themen das Kind besonders interessiert ist. Ausgehend von diesem Wissen können Bildungsangebote individuell auf die Interessen des Kindes hin gestaltet werden. Dabei setzt der Professionelle an den Ressourcen des Kindes an – seinen individuellen Interessen und Fähigkeiten. Die Beobachtung bezieht sich stets auf Aktivitäten des Kin-des, aus denen sich „immer auch konkrete Anhaltspunkte für eine Reflexion des Angebots und für die Planung von pä-dagogischen Interventionen“ (Mayr/Ulich 2003, S. 176) ergeben. Wurde dem Kind ein Angebote unterbreitet, kann der Ansatz der Engagiertheit einen Beitrag zur Evaluation des Ange-bots beitragen. Interessant ist der Ansatz auch deswegen, weil er sich von einer ergebnisorientierten Sichtweise abwen-det. Nicht das Ergebnis („Was wurde gelernt?“) steht demzufolge im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern die Qualität von Bildungsprozessen und pädagogischen Angeboten („Wie wurde gelernt?). Oder anders formuliert: „Thema ist …, wie ein Kind sich aktuell mit einer bestimmten Aufgabe oder Herausforderung auseinandersetzt. Im Mittelpunkt steht der ak-tuelle Prozess der Aneignung und des Lernens …“ (Mayr/Ulich 2003, S. 176). Der Professionelle erhält eine direkte Rückmeldung, inwieweit sich Kinder auf ein Angebot einlassen. Das heißt bereits während der Umsetzung des Angebots erfährt der Professionelle, ob das Angebot von den Kindern angenommen wird oder nicht und ob eine unmittelbare Reak-tion im Sinne einer Änderung des pädagogischen Handelns, notwendig ist. Hinweis: Ob ein Kind engagiert ist oder nicht muss nicht ausschließlich mit seiner Motivation oder seinem Interesse an einem bestimmten Thema zusammenhängen. Vielmehr sind auch die Rahmenbedingungen, wie Gruppengröße, Raum-

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gestaltung usw., bei der Gestaltung von Angeboten in den Blick zu nehmen. Daher ermöglicht der Ansatz der Engagiert-heit auch die Betrachtung äußerer Faktoren für die Qualität von pädagogischen Angeboten.

Literatur sowie Audiovisuelle/ e-lektronische Me-dien

Bostelmann, Antje (Hrsg.) (2006): Das Portfolio-Konzept für Kita und Kindergarten. Mülheim an der Ruhr: Verlag an der Ruhr.

Centrum voor ErvaringsGericht Onderwijs (Hrsg.) (o.J.): Een pricesgericht kindvolgsysteem voor kleuters.

Laevers, F./Vandenbussche, E./Kog, M/Depondt, L. (1996): A processoriented child monitoring system for young chil-dren. Centre for Experiential Education. Leuven.

Laevers, F. (Hrsg.) (1997): Die Leuvener Engagiertheits-Skala für Kinder. LES-K. Centre for Experiental Education. Bel-gien.

Mayr, T./Ulich, M. (2003): Die Engagiertheit von Kindern. Zur systematischen Reflexion von Bildungsprozessen in Kinder-tageseinrichtungen. In: Fthenakis, W.E. (Hrsg.) (2003): Elementarpädagogik nach PISA. Wie aus Kindertagesstätten Bildungseinrichtungen werden können. Freiburg i.B., S. 167-189.

Ministerium für Bildung und Frauen des Landes Schleswig-Holstein (Hrsg.) (2006): Systematisches Beobachten und Do-kumentieren (download: https://www.datenschutzzentrum.de/schule/systematisches-beobachten.pdf; Zugriff am 07.10.08).

TKM [Thüringer Kultusministerium] (Hrsg.) (2008): Thüringer Bildungsplan für Kinder bis 10 Jahre. Weimar, Berlin.

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Anhang I – Reflexionsfragen zum Bildungsverständnis des Thüringer Bildungsplans

Stichwort Welche Konsequenz ergibt sich hieraus für das pädagogi-sche Handeln? [Auswahl möglicher Konsequenzen]

Auswahl möglicher Reflexionsfragen Professionell

Bildung – offen und unab-schließbar

o Professionelle sollten aufmerksam sein für jede Situation, die zu einer Bildungsgelegenheit werden kann

Unterstützung des Kindes bei jedem Bildungsprozess Impliziert einen flexiblen Tagesablauf, um auf die

Bedürfnisse der Kinder reagieren zu können (trotz-dem Struktur)

o Themen der Kinder nicht abschließbar: Bearbeitung von

Themen, die das Kind von zu Hause mitbringt (Berücksichti-gung der Eigenthemen)

o Bildungsgelegenheiten bieten, die Kind in seiner Erfahrung

herausfordern: Im Bildungsprozess weder über- noch unter-fordern; schließt ein:

o Raumkonzept/Setting sollte auch informelle Bildungs-prozesse ermöglichen und anregen

Wie geht der Professionelle mit Situationen und Gelegenhei-ten um, bei denen Bildungsprozesse ablaufen können? (Of-fenheit/Flexibilität) Wie greift der Professionelle die Themen des Kindes auf?

Welche Themen interessiert das Kind?/An welchen Themen arbeitet es gerade?

Kita Welche Elemente des Tagesablaufes sind flexibel?/ Wie kann dieser flexibel ausgestaltet werden? Schule Inwieweit lässt der feste Stundenrhythmus Flexibilität zu? Wie ist das Raumkonzept ausgestaltet? Welche Methoden/Arbeitsformen werden angewendet? In-wieweit werden diese der Offenheit kindlicher Bildungspro-zesse gerecht?

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Co-Konstruk-tion sozia-ler Wirk-lichkeit im Bildungs-prozess

Jeder Menschen, ob Kind oder Erwachsener, konstruiert sich ein subjektives Bild der Wirklich; dies impliziert, dass mehrere Perso-nen unterschiedliche Sichtweisen auf ein Problem haben. Co-Konstruktion meint nun Aushandlungsprozesse zwischen mindes-ten zwei Menschen in symmetrischen Beziehungen, bei denen niemand aufgrund seiner Autorität (Macht) oder intellektueller Überlegenheit dem Anderen die Lösung vorgibt oder seine Deu-tung der Welt aufzwingt [vgl. James Youniss 1994]. o Der Professionelle hat ein Verständnis ihrer Funktion als Co-

Wie geht der Professionelle mit Deutungen der kindlichen Konstruktion von Welt um (subjektive Sichtweisen des Kindes auf Welt) um?/ Wie wird die Deutung der kindlichen Konstruktion in die Planung einbezogen? Wie findet die Aushandlung von Sichtweisen zwischen dem Professionellen und dem Kind statt?/bzw.: Ist der Professio-nelle bereit sich auf das Kind einzulassen? (Einstellung zum Erfahrungslernen durch Interaktion mit dem Kind)/ Welchen Stellenwert hat die kindliche Deutung für den Professionel-

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Konstrukteur; Kindliche Deutung (sein Konstrukt über die Welt) wird als gleichwertig erlebt – Kind als Experte seiner selbst

Erwachsener als Unterstützer von Konstruktionsprozes-sen

Wechselseitiger Konstruktionsprozess Professioneller-Kind; bedeutet: der Professionelle bietet dem Kind seine Deutung der Welt als eine Möglichkeit an, greift gleichzei-tig die kindliche Deutung der Welt auf und bezieht diese in das Interaktionsgeschehen ein

o eigene Vorbildwirkung des Professionellen auf das Kind;

der Professionelle fungiert als verantwortlich handeln-der im Interaktionsgeschehen

o Reflexion der eigenen Konstruktion von sozialer Wirk-

lichkeit; schließt ein: Bewusstmachen der eigenen Bio-grafie (z.B. durch Formen des kollegialen Austausches)

o Co-Konstruktion setzt voraus: vertrauensvolle Partner-

schaft/professionelles Miteinander zwischen Kind und Professionellem

o intensive Beobachtung und Dokumentation (der kindli-

chen Konstruktion und Zugangsweisen in der Auseinan-dersetzung mit der Welt)

o Das Ergebnis der Beobachtung und Reflexion (die Deu-

tung der kindlichen Konstruktion von Welt) ist als vorü-bergehende Interpretation zu verstehen, die immer wie-der auf dem Prüfstand steht. Sie kann dem Kind nur als Deutung angeboten werden.

Eigenes pädagogisches Handeln ist niemals frei von eigenen Vorerfahrungen (Bildungsbiografie)

der Professionelle muss pädagogisches Handeln re-

len? Welche Rolle spielt die subjektive Konstruktion von Welt des Kindes für das Interaktionsgeschehen? Wie werden die Themen der Kinder berücksichtigt? Wie greift der Professionelle die Eigenthemen bei der Planung pädagogischer Angebote auf? Wie werden die Ergebnisse der Beobachtung reflek-tiert?/Inwieweit findet die Reflexion der eigenen Biogra-fie/Lebens- und Lerngeschichte statt? Welche Formen?/Wie geht der Professionelle mit seinen individuellen Deutungen um? Wie reflektiert der Professionelle seine eigene (Vorbild-)Wirkung? Wie ist die Beziehung zwischen Professionellem-Kind aus-gestaltet? (vertrauensvolle Partnerschaft)/ Welche Interakti-onsformen finden statt?

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flektieren, um es an den Bedürfnissen des Kindes auszurichten.

Folge: o Ergebnis der professionellen Reflexion wird als Deu-

tung/Interpretation der inneren Welt des Kindes verstanden und ist immer nur vorläufig. Diese wird dem Kind angeboten.

o Anhand der Reaktionen des Kindes wird gefolgert, ob die Deu-tung der kindlichen Wirklichkeit nahe kommt; evtl. Änderung des Angebotes

Kindzent-rierte Sichtweise

o Individualität des Kindes Rechnung tragen eigene subjektive Theorien des Kindes aufgreifen,

annehmen/eigene Weise des Kindes, auf neue Inhal-te zu zugehen, produktiv machen – individuelle Bil-dungsstrategien) – Berücksichtigung individueller „Lernstrategien“

Professionelle sollte diese individuellen Bildungsstra-tegien verstehen, aufgreifen und in das pädagogische Angebot integrieren

Individuelle Unterstützung eines jeden Kindes in hete-rogenen Lerngruppen

o Voraussetzungen erfragen (Was bringen Kinder mit?) – Ansetzen wo sie stehen (vgl. auch Heterogenität); setzt voraus Perspektivenübernahme durch den Professionellen (Empathie)

o An den Eigenthemen der Kinder orientieren/ Bildungsbedürf-

nisse des Kindes aufgreifen und ausreichend berücksichtigen o offene Aufgabenstellungen und Arbeitsformen, die Raum

für subjektive Strategien des Kindes zur Auseinanderset-zung mit der Welt geben

Wie geht der Professionelle auf jedes Kind ein und fördert die kindliche Auseinandersetzung mit der Welt (individuelle Bildungsförderung)?/Wie geht der Professionelle mit hetero-genen Lerngruppen um? Wie geht der Professionelle mit den subjektiven Strate-gien des Kindes zur Auseinandersetzung mit der Welt um?/Wie werden die individuellen „Lernstrategien“ berück-sichtigt? Welche Möglichkeiten hat das Kind eigene Lernstrategien zu entwickeln? Wie werden durch das Beobachtungsinstrumentarium die subjektiven Strategien des Kindes für die Auseinanderset-zung mit der Welt erfasst/verstehbar gemacht? Entsprechen die angewandten Methoden den individuellen Bildungsstrategien der Kinder?/Geben die Methoden ausrei-chend Raum für die Umsetzung individueller Bildungsstrate-gien? Wie nimmt der Professionelle die Bedürfnisse des Kindes wahr?/ Welche Möglichkeiten hat der Professionelle die Bedürfnisse der Kinder wahrzunehmen/zu erkennen? (Beo-bachtung, Kommunikation, Elterngespräche) Wie werden die (Eigen)Interessen und Bedürfnisse des

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Kindes berücksichtigt (z.B. bei der Planung und Durchfüh-rung von Angeboten)? Wie gelingt es dem Professionellem das Kind zu begeis-tern; neue Themen anzuregen? Welchen Zeitrahmen gibt es für die individuelle Beschäfti-gung mit dem Kind?/Wie wird die zur Verfügung stehende Zeit auf die Kinder aufgeteilt? Wie können die verschiedenen individuellen Bildungsmög-lichkeiten erkannt werden? Wie werden diese dann umge-setzt?

Teilhabe und Mitbe-stimmung

o Teilhabe und Mitbestimmung des Kinds zulassen und dazu anregen, z.B. bei Entscheidungen, die das gemeinsame Zu-sammenleben und die Gestaltung der Umwelt betreffen

Zeit geben für Mitbestimmung und Partizipation Entwickeln von demokratischen Strukturen (für

Kinder und Eltern), die von den Beteiligten gelebt werden Bsp.: Aushandeln von Regeln des gemeinsamen Mit-einanders

Werden alle Kinder in den Partizipationsprozess einbezogen (entsprechend ihrer Fähigkeiten)? Wie werden die Kinder einbezogen?/Welche Möglichkeiten haben die Kinder und Eltern zu Teilhabe und Mitbestim-mung?/Welche Möglichkeiten werden explizit von dem Pro-fessionellen zur Verfügung gestellt? Wie werden Aushandlungsprozesse unter Kindern unter-stützt und auch eingefordert? An welchen Stellen können Kinder bei Entscheidungen ein-bezogen werden?/ Welche Entscheidungsmöglichkeiten werden den Kindern geboten? Wie werden Spiel-/Arbeitsgruppen eingeteilt? Inwieweit lässt der Professionelle Teilhabe und Mitbestim-mung im Alltag zu (Tagesablauf)?/Inwieweit wird im Alltag eine demokratische Kultur gelebt? Welcher zeitliche Rahmen wird für Teilhabe und Mitbestim-mung gewährt?

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Welche Partizipationskultur besteht zwischen den Professi-onellen? (gelebte Partizipation und Kooperation)

Heteroge-nität schließt ein: Behin-derung und Entwick-lungsrisiken bzw. Hoch-begabung

- Vielzahl unterschiedlicher Lebenslagen und Individualität des einzelnen Kindes (sozial und individuell bedingte Ursachen von Heterogenität, vgl. Wissensbestand Thema 3)

- Folge: Unterschiedlichkeit in den Bildungserfahrungen, die ein Kind macht (z.B. anregungsreiche/anregungsarme Um-welt)

Betrachtung jedes einzelnen Kindes (gem. den Phasen, und Bildungsbereichen)/Individuelle Förderung

Heterogene Lerngruppe: Kindergruppe ist stets hetero-gen - es gibt keine homogene Lern- (Schule) oder Prob-lemgruppe (Kinder- und Jugendhilfe)

Verschiedenheit als Ausgangspunkt für Bildungsprozesse nutzbar machen (Interkulturelle Bildung, soziokulturelle Bildung, Toleranz …)

Kooperation mit anderen Institutionen und Speziel-diensten

Jedes Kind verfügt über verschiedene Schutz- und Risikofaktoren (personenbezogene Faktoren, z.B. Temperament, Ge-schlecht/umweltbezogene Faktoren z.B. soziale Benachteiligung in den Bereichen Bildung, Wohnen, sozioökonomischer Hinter-grund, Sprache).

Kennen der Lebenssituation des Kindes, z.B. Erkennen von Schutz- und Risikofaktoren

Kind widerstandfähig machen! o Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf, z.B. Behinde-

rung (diese Kinder brauchen besondere Unterstützung in Bezug auf die Austauschprozesse zwischen Kind und Um-welt)

Erhöhtem Unterstützungsbedarf von z.B. Kindern mit Be-hinderung oder Kindern aus prekären sozialen und sozio-

Wie erfasst der Professionelle Unterschiede bezüglich der unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen? / Wie wird der Professionelle der Individualität jedes Kind in der Kin-dergruppe gerecht? Wie nimmt der Professionelle die unterschiedlichen Bedürf-nisse der Kinder wahr? Wie werden diese berücksich-tigt/nutzbar gemacht? Welche Vielfalt spiegelt sich in den einzelnen Grup-pen/Klassen wieder? Welche Akzeptanz/ Wertschätzung erfährt diese? Wie werden Schutz- und Risikofaktoren des einzelnen Kindes erkannt?/Wie wird mit diesen im Alltag umgegan-gen?/Bezieht der Professionelle bei der Planung von Ange-boten die Stärkung von Schutzfaktoren ein bzw. orientiert sie sich an den Ressourcen des Kindes? Wie werden pädagogische Angebote geplant, so dass Kin-der (fehlende) Bildungserfahrungen sammeln können? (Kompensation) Wie wird das Ziel der Bildungs-/Chancengleichheit einge-löst/umgesetzt? Wie wird auf spezifische Unterstützungsbedarfe eingegan-gen? Wie vielfältig sind die Angebote?/Inwieweit berücksichtigen die Angebote die vorherrschende Heterogenität/fördern die-se? Gibt es eine Jahrgangsmischung/integrative Gruppen etc.? Wie ist diese ausgestaltet? Inwieweit wird der soziale Herkunft der Kinder Rechnung

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ökonomischen Lebenslagen. Ausgleich von mangelnden Bildungserfahrungen von Kin-

dern aus sozial benachteiligten Familien (z.B. im Bereich der sprachlichen und schriftsprachlichen Bildung)

Ziel/Aufgabe: Herstellen von Chancengerechtigkeit für Kinder mit unterschiedlichen Voraussetzungen Schließt auch ein: Beobachtung und Dokumentation Planung und Reflexion der Bildungsschritte jedes einzelnen Kindes

getragen? Wird bei der Aufnahme ggf. eine Familienanamnese durch-geführt? Wenn ja, wie findet diese statt? Welche Lebensbe-reiche werden dabei berücksichtigt? Wie sehen die Rückmeldungen des Professionellen an das Kind bzw. die Eltern aus? Wie werden Erfahrungen der Kinder mit unterschiedlichen Gegebenheiten (Kulturen etc.) genutzt bzw. gewährleistet? Wie wird die Heterogenität im Team gelebt/beachtet?/ Werden die unterschiedlichen Kompetenzen/Fähigkeiten der verschiedenen Professionellen genutzt? Wie finden diese Prozesse statt?

Fachwis-senschaft-liche Grundbeg-riffe [all-gemein] (Pha-sen/Dimensio-nen/Welten)

Im Thüringer Bildungsplan werden fachwissenschaftliche Grund-begriffe zur Beschreibung von Bildungsprozessen verwendet. Diese stellen analytische Kategorien dar, mit deren Hilfe Professi-onelle Bildungsprozesse von Kindern verstehen und reflektieren können. Diese Reflexion von kindlichen Bildungsprozessen mit Hilfe der hier beschriebenen Grundbegriffe stellt die Basis für die individuell angemessene Reaktion des Professionellen auf kindli-che Bildungs- und Entwicklungsbedürfnisse sowie ferner für die Planung und Gestaltung von pädagogischen Angeboten dar.

Das Bildungsverständnis erfordert daher die Beobach-tung/Dokumentation sowie Reflexion des Beobachteten entlang diese Kategorien:

Beobachtung und Dokumentation:

Transparentmachen von individuellen Bildungserfolgen und entsprechend der Kategorien Phasen, Welten und Dimensionen

Qualität der Bildungsangebote kann über die Beobach-tung des kindlichen Verhaltens beschrieben und weiter-entwickelt werden

Wie wird Beobachtung und Dokumentation durchgeführt? Wo besteht Verbesserungsbedarf? Welches Beobachtungsinstrument wird verwen-det?/Lassen die Beobachtungen mit Hilfe des verwendeten Beobachtungsinstrumentes die Reflexion der Bildungspha-sen und Bildungsdimensionen zu? Wie werden verschiedene Formen der Beobachtung und Dokumentation eingesetzt und zu welchen Konsequenzen führen sie? Wir wird das Beobachtete reflektiert?/ Wie werden die Bil-dungsbedürfnisse des Kindes in den einzelnen Bildungsbe-reichen reflektiert? Wie wird das Beobachtete im Team reflektiert? In welcher Form setzen sich die Teammitglieder mit dem Bildungsverständnis und den fachwissenschaftlichen Grundbegriffen auseinander?

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Gestalten und Reflektieren von Bildungsprozessen

Analyse kindlicher Bildungs- und Entwicklungsstän-de/Bildungsbedürfnisse in allen drei Dimensionen und entsprechend der Phasen

Reflexion der kindlichen Bildungsbedürfnisse entspre-chend der Phasen und Bildungsbereiche

Voraussetzung für das Planen von pädagogischen Ange-boten

Beobachtung und Reflektieren mit Hilfe der Analysekatego-rien Phasen, Welten und Dimensionen macht die Auseinan-dersetzung mit dem Bildungsverständnis und den fachwis-senschaftlichen Grundbegriffen notwendig.

Welche Fortbildungsbedarfe bestehen?/Wie können diese abgedeckt werden?

Bildungs-phasen basal, e-lementar, prima

o Analyse des Bildungsstandes des Kindes (Bildungsphasen): Pädagogische Angebote richten sich an der jeweiligen Phase des Kindes aus In den Tabellen des Thüringer Bildungsplan für Kinder bis 10 Jahre finden sich Beispiele für Bildungsprozesse, die in der jeweiligen Phase und in dem jeweiligen Bildungsbereich voll-zogen werden können. Diese dienen als Anhaltspunkt für den Professionellen, um die Bildungsphase und die hieran an-schließenden Bildungsbedürfnisse des Kindes zu reflektieren.

o Welche Bildungsbedürfnisse hat ein Kind?

o Bei Gruppenangeboten werden Bildungserfahrungen des Kindes individuell unterstützt.

- Systematische Beobachtung und Dokumentation für die

Analyse kindlicher Bildungs- und Entwicklungsstände

Wie beschreibt der Professionelle aufgrund seiner Beobach-tung und Reflexion die Phase, in der sich jedes einzelne Kind befindet?/Wie reflektiert der Professionelle anhand kindlicher Verhaltensäußerungen die Bildungsphase? Wie werden die Bildungsphasen der Kinder bei der Pla-nung von Angeboten berücksichtigt? Wie orientiert sich der Professionelle bei der Planung von pädagogischen Angeboten am Bildungsbedarf des Kindes?

Bildungs-dimensio-

In der Kategorie Bildungsdimensionen sollte Beobachtung und Reflexion unter folgenden Fragestellungen erfolgen:

Wie werden diese Dimensionen in der täglichen Arbeit (z.B. bei der Beobachtung und Reflexion) berücksichtigt?

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nen Personal, sozial, sachlich

Personal: o Welche weiterführenden Bedürfnisse hat es?/Welche Interes-

sen hat es?/Wie nimmt es sich selbst und in Abgrenzung zu seiner Umwelt wahr?

Sozial: o Wie müssen die sozialen Kontakte geschaffen sein, damit

Bildungsprozesse ablaufen können?/Wie geht es aktiv auf an-dere zu bzw. wie gestaltet es die Beziehung zu anderen Kin-dern und Erwachsenen?

Sachlich: o Wie muss die Umwelt beschaffen sein, um Bildungsprozesse

zu unterstützen?; z.B. sind ausreichend Gegenstände (Mate-rialen, Spielzeuge usw.) vorhanden, mit denen sich ein Kind beschäftigen kann?/Wie setzt sich das Kind mit Gegenstän-den seiner Umwelt auseinander?

Wie werden Bildungsprozesse in diesen Dimensionen unter-stützt? Wie werden die Umgebung und die Angebote so gestaltet, dass sie Bildungsprozesse in diesen Dimensionen ermögli-chen? z.B.: Welche räumlichen und materiellen Voraussetzungen bietet die Einrichtung? Inwieweit sind sie in der Konzeption verankert?

Bildungs-wel-ten/Formen Informell, non-formal, formal

- Reflektieren von Bildungserfahrungen des Kindes in allen drei Bildungswelten (Ganzheitlichkeit)

Setzt das Wissen und die Überzeugung des Profes-sionellen voraus, dass Bildung auch in nicht geplan-ten Arrangements (Settings) und/oder trotz nicht in-tendierter Bildungsprozesse abläuft

- Unterstützung von Bildungsprozessen in den Bildungswel-ten non-formal und formal

- Angebote können mehr oder weniger stark strukturiert sein; z.B. Spiel als Bildungsgelegenheit

Nutzen von unterschiedlich stark strukturierten Ar-beitsformen und -methoden

Bildungswelt • Informelle Bildung: Der Professionelle sollte informelle Bildung

im Blick haben und diese reflektieren. Prozesse sollten hier nicht unterbrochen, stattdessen sollte Kindern Freiheit zum Er-

Wie findet die Reflexion von Bildungsprozessen in allen drei Welten statt? Wie werden auch informelle Bildungsprozesse erkannt, reflektiert und unterstützt? Welches Bildungsverständnis hat der Professionel-le?/Welche Grundhaltung hat der Professionelle zu informel-len Bildungsprozessen? Wie lässt der Professionelle auch bei geplanten (strukturier-ten) Angeboten Abweichungen zu? (Flexibilität)/Inwieweit lassen Arbeitsmethoden auch Raum für informelle Bildungs-prozesse?

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fahrungslernen im Alltag gelassen werden.

• Non-formale Bildung: Der Professionelle ermöglicht es, dass Kinder an diesen Bildungsorten teilnehmen und sich hier ent-sprechend eigener Themen und Interessen mit den vorhande-nen Angeboten auseinandersetzen können, z.B. Museen. Nicht beabsichtigte Bildungsprozesse sollten von dem Profes-sionellen sensibel unterstützt werden.

• Formelle Bildung: Geplante Bildungsprozesse in einem struk-turierten Setting zu unterstützen, benötigt das wohl größte Maß an Planung und Vorbereitung. Gleichzeitig bedarf es auch einer grundlegend offenen Haltung des Professionellen hier nicht beabsichtigte Bildungsprozesse zuzulassen oder die Eigenthemen der Kinder aufzugreifen und in die formale Struk-tur zu integrieren.

Sieben Bildungs-bereiche

Eine Herausforderung für den Pädagogen besteht darin, dass das Entwicklungsniveau des Kindes in den sieben Bildungsbereichen sehr unterschiedlich sein kann. D.h., dass jedes Kind sich entlang der sieben Bildungsbereiche auf einem anderen Entwicklungsni-veau befindet. Während ein Kind z.B. sehr hohe Kompetenzen im Bereich des Sprach- und Schriftspracherwerbs aufweist (primare Bildung), kann es im Bereich der mathematischen Kompetenzen basale Bildungsbedürfnisse aufweisen.

Wie werden die Bildungsbereiche in der täglichen Arbeit berücksichtigt? Wie wird der Professionelle der Differenzierung in sieben Bildungsbereiche durch sein Beobachtungsinstrumentarium bzw. Reflexion gerecht? Inwieweit finden sich die Bildungsbereiche in den Angebote wieder?

Sprache/ Literacy-Erziehung

Sprache und Schriftsprache schließen die Welt auf und macht diese begreifbar.

Wichtigstes Medium um sich die Welt anzueignen und ein Verständnis seiner selbst zu erlangen

Unterstützung von Bildungsprozessen im sprachlichen und schriftsprachlichen Bereich

Jedes pädagogische Angebot sollte daher Sprache und Kommunikation beinhalten und die unterschiedlichen Formen von Sprache berücksichtigen (z.B. non-verbale/verbale Kommunikation; Kommunikation durch Musik)

Wie und in welchen Formen des Alltags wird Sprachen gepflegt? (z.B. Rollenspiel, Theatergruppe, Bibliothek, Mor-genkreis) Welche Möglichkeiten werden zur Verständigung mit unter-schiedlichen Medien geschaffen? Wie werden die Themen der Kinder mit Sprache verknüpft? Wie finden die unterschiedlichen Formen der Kommunika-tion Berücksichtigung?

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Wie wird die Kommunikation/der Dialog der Kinder unterein-ander gefördert? Welcher Raum bzw. Zeit wird dafür gebo-ten? Welchen Zugang haben Kinder zur Schriftsprache?

Hinweis: Eine umfassendere Übersicht zu den Reflexionsfragen zum Bildungsverständnis des Thüringer Bildungsplan für Kinder bis 10 Jahre wird im Materialband zum Bildungsplan zur Verfügung stehen.

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Anhang II – Der Lotusplan Aus: Bostelmann, Antje (Hrsg.) (2006): Das Portfolio-Konzept für Kita und Kindergarten. Mülheim an der Ruhr: Verlag an der Ruhr, S. 110.

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Anhang III – Das Konzept der Engagiertheit Dimension der Engagiertheit Beobachtung Eigene Ergänzungen

Ausdauer und Konzentration - Kind lässt sich nicht leicht ablenken - Aufmerksamkeit des Kindes ruht auf einem rele-

vanten Ausschnitt

Kreativität und Explorationslust

Kinder - gehen an die Grenzen ihrer Möglichkeiten - Explorieren und entdecken Neues - Nehmen Herausforderungen an - Haben Freude an der Exploration

Freude und Befriedigung Kinder

- sind freudig erregt und begeistert - erfahren Befriedigung durch die Aktivität - zeigen Stolz

Präzision und Genauigkeit Kinder

- Investieren viel Zeit und Aufmerksamkeit - Arbeiten genau - achten auf alle Details

Energie - Kinder bringen viel Energie für eine Sache auf

Vgl. Mayr/Ulich 2003, S. 170

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Anhang IV – Textauszüge Aus: Mayr, T./Ulich, M. (2003): Die Engagiertheit von Kindern. Zur systematischen Reflexion

von Bildungsprozessen in Kindertageseinrichtungen. In: Fthenakis, W.E. (Hrsg.) (2003): Elementarpädagogik nach PISA. Wie aus Kindertagesstätten Bildungseinrichtungen wer-den können. Freiburg i.B.

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