Wissensproduktion unter digitalen Bedingungen als Herausforderung für das Immaterialgüterrecht...

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Veränderungen des Eigentumsbegriffs aus rechtssoziologischer und rechtstheoretischer Sicht Wem gehört Wikipedia? Wissensproduktion unter digitalen Bedingungen als Herausforderung für das Immaterialgüterrecht Bachelorarbeit von Moritz Pachmann Matrikel-Nr. 06-728-018 Waldstrasse 3 6015 Luzern 078 676 32 06 [email protected] Verfasst und präsentiert im Rahmen des Bachelor-Seminars: Grundlagen des Rechts bei Prof. Dr. Christoph Beat Graber und Ass.-Prof. Dr. iur. Vagias Karavas im Herbstsemester 2012 an der Universität Luzern.

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Grundthematik: Veränderungen des Eigentumsbegriffs aus rechtssoziologischer und rechtstheoretischer Sicht. Entgrenzung des Rechtsinstituts des Eigentums. (Propertisierung). Anhand des Beispiels von Wikipedia wird die Produktion von Wissen vor dem Hintergrund der Digitalisierung und Vernetzung des 21. Jahrhunderts beschrieben und die daraus entstehende Herausforderung für das klassische Immaterialgüterrecht (v.A. für das Urheberrecht)

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Veränderungen des Eigentumsbegriffs aus

rechtssoziologischer und rechtstheoretischer Sicht

Wem gehört Wikipedia? Wissensproduktion unter digitalen Bedingungen

als Herausforderung für das Immaterialgüterrecht

Bachelorarbeit von

Moritz Pachmann

Matrikel-Nr. 06-728-018

Waldstrasse 3

6015 Luzern

078 676 32 06

[email protected]

Verfasst und präsentiert im Rahmen des Bachelor-Seminars: Grundlagen des Rechts

bei Prof. Dr. Christoph Beat Graber und Ass.-Prof. Dr. iur. Vagias Karavas

im Herbstsemester 2012 an der Universität Luzern.

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I

Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis ............................................................................................................ II

Abkürzungsverzeichnis ...................................................................................................... IV

I. Einleitung ........................................................................................................................... 1

II. Wissensproduktion und Innovation im Zeitalter der Digitalisierung ........................ 2

1. Wissens- und Informationsgesellschaft ...................................................................... 2

2. Digitalisierung und Netzwerke ................................................................................... 3

3. Relevanz des Rechtssystems ...................................................................................... 4

III. Institution Eigentum im Wandel .................................................................................. 6

1. Propertisierungsprozesse ............................................................................................ 7

1.1. Privateigentum als gesellschaftliche Leitidee ................................................... 7

1.2. Historische Entwicklung des Eigentums ........................................................... 8

1.3. Aktueller Institutionenwettbewerb .................................................................. 11

2. Immaterialgüterrecht ................................................................................................ 12

2.1. Netzwerke und Digitalisierung als Herausforderung für das klassische

Immaterialgüterrecht ...................................................................................... 12

2.1.1. Kollaborative Netzwerke im Urheberrecht ........................................... 13

2.1.2. Problemfelder und Interessenkonflikte aufgrund der Urheberrechts-

ausdehnung ............................................................................................ 14

2.2. Veränderungen des geistigen Eigentums ........................................................ 17

IV. Alternative Regelsysteme in kollaborativen Netzwerken ......................................... 20

1. Lizenzkonzepte ....................................................................................................... 20

2. Wikipedia ................................................................................................................ 22

V. Zusammenfassung ......................................................................................................... 23

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II

Literaturverzeichnis

Zitierweise:

Die nachstehenden Werke werden, wenn nichts anderes angegeben ist, mit Nachnamen des

Autors sowie mit Seitenzahl zitiert.

BENKLER YOCHAI The Wealth of Networks, How Social Production Transforms

Markets and Freedom, New Haven 2006.

CASTELLS MANUEL Das Informationszeitalter I, Der Aufstieg der Netzwerkgesell-

schaft, Opladen 2001.

LADEUR KARL-HEINZ/ Geistiges Eigentum im Netzwerk – Anforderungen und

VESTING THOMAS Entwicklungslinien, in: M. Eifert u.a. (Hrsg.), Geistiges

Eigentum und Innovation, Innovation und Recht I, Schriften

zur rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung, Baden-

Baden 2008, S. 123-144. (zit. LADEUR/VESTING)

LESSIG LAWRENCE Freie Kultur – Wesen und Zukunft der Kreativität, München

2006.

LUETHI ROGER/ Wikipedia: Ein neues Produktionsmodell und seine

OSTERLOH MARGIT rechtlichen Hürden, in: M. Eifert/W. Hoffmann-Riem (Hrsg.),

Innovation, Recht und öffentliche Kommunikation,

Innovation und Recht IV, Schriften zur Rechtswissenschaft-

lichen Innovationsforschung, Giessen/Hamburg 2010, S. 211-

232.

LUTZ ALEXANDER Zugang zu wissenschaftlichen Informationen in der digitalen

Welt, Ein urheberrechtlicher Beitrag zu den Wissenschafts-

schranken und zu einem zwingenden Zweitveröffentlichungs-

recht, Diss. München 2011.

NUSS SABINE Copyright & Copyriot, Aneignungskonflikte um geistiges

Eigentum im informationellen Kapitalismus, Diss. Berlin

2005.

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III

ROSENKRANZ TIMO Open Contents, Eine Untersuchung der Rechtsfragen beim

Einsatz „freier“ Urheberrechtslizenzmodelle, Diss. Hamburg

2011.

ROUSSEAU JEAN-JACQUES Abhandlung über den Ursprung und über den Grund der Un-

gleichheit unter den Menschen, Amsterdam 1755, heraus-

gegeben und übersetzt von P. Rippel, Ditzingen 1998.

SCHEFCZYK MICHAEL Autorschaft und Altruismus – Das Schicksal des geistigen

Eigentums, in: Neue Zürcher Zeitung, Zürich 1.9.2012.

SIEGRIST HANNES Die Propertisierung von Gesellschaft und Kultur.

Konstruktion und Institutionalisierung des Eigentums in der

Moderne in: Comparativ, 5/2006, S. 9-52.

VESTING THOMAS Konnexionistisches („netzwerkgerechtes“) Eigentum, Zur

Notwendigkeit einer Neubestimmung des Rechts auf Eigen-

tum für die „Economy of Participation“, in: H. Bauer/D.

Czybulka/W. Kahl/A. Vosskuhle (Hrsg.), Wirtschaftsrecht im

offenen Verfassungsstaat, FS für Reiner Schmidt, München

2006, S. 427-443. (zit. VESTING)

WERSIG GERNOT Die Komplexität der Informationsgesellschaft, Konstanz 1996.

WIELSCH DAN Governance of Massive Multiauthor Collaboration. Linux,

Wikipedia, and Other Networks: Governed by Bilateral Con-

tracts, Partnerships, or Something in Between?, in: Journal of

Intellectual Property, Information Technology and E-

Commerce Law (JIPITEC) 2010, S. 96-108.

Die Online-Enzyklopädie Wikipedia wurde gelegentlich als Quelle einzelner Informationen

herangezogen. Es wird jeweils auf die Suchbegriffe verwiesen.1

1 Über die Qualität von Wikipedia als Quelle wissenschaftlicher Arbeiten siehe Kap. IV. 2. Wikipedia, S. 22.

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IV

Abkürzungsverzeichnis

d.h. das heisst

ders. derselbe

Diss. Dissertation

DRM Digital Rights Management

FDL Free Documentation License

ff. und folgende (Seiten, Randziffern etc.)

FOSS Free and Open Source Software

etc. et cetera

GNU „GNU’s Not Unix”

GPL General Public License

Hrsg. Herausgeber

i.S.v. im Sinne von

insb. Insbesondere

Kap. Kapitel

min. mindestens

Rz. Randziffer

u.a. unter anderem

ugc user generated contents

URG Urheberrechtsgesetz

v.a. vor allem

zit. zitiert als

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1

I. Einleitung

Wissen und Information sind die massgebenden Maximen, auf die unsere heutige Gesell-

schaft ausgerichtet ist. Der technologische Fortschritt und die globale Vernetzung haben zu

einem tiefgreifenden Wandel in der Generierung von Wissen geführt. So findet Innovation

heute zunehmend in kollaborativen Netzwerken statt und wird immer seltener von Einzel-

personen hervorgebracht, wie die erfolgreichen Internetprojekte Wikipedia oder Linux be-

weisen.

In unserem kapitalistischen System wurde die Wissensproduktion bisher vor allem durch

materielle Anreize vorangetrieben. Mit dem rechtlichen Institut des geistigen Eigentums

wurde sichergestellt, dass dem Urheber die ausschliesslichen Nutzungs- und Verwertungs-

rechte seines geistigen Werkes zukommen. Solche Immaterialgüterrechte schränken jedoch

die Zugriffs- und Verfügungsrechte auf die Wissensbasis für die Allgemeinheit ein, welche

notwendig sind für eine Wissensproduktion unter netzwerkartigen Bedingungen. Es kommt

somit zu einem Spannungsverhältnis zwischen verschiedenen Interessen und es ist die Auf-

gabe des Rechtssystems, dieses zu entschärfen. Um möglichst innovationsfördernd aus-

gestaltet zu sein, muss ein Gleichgewicht bei der Berücksichtigung der unterschiedlichen

Interessen gefunden und das geistige Eigentum an den Wandel der Gesellschaft angepasst

werden.

Die aktuelle Problematik, die sich der Wissens- und Informationsgesellschaft stellt, soll

hier eingebettet sein in die soziologische (und historische) Entwicklung des rechtlichen

Eigentums, damit der Leser einerseits die Tragweite der Veränderungen der Eigentums-

institution ganzheitlicher erfassen kann und andererseits auch die Möglichkeiten, die sich

durch die Wandelbarkeit des Eigentumsbegriffes ergeben, abzuschätzen weiss. Neben den

Herausforderungen des Immaterialgüterrechts unter den digitalen Bedingungen soll

ausserdem ein alternatives Lösungskonzept anhand des Beispiels von Wikipedia umrissen

werden.

Der Themenkomplex vorliegender Arbeit soll aus einer gewissen Abstraktionshöhe be-

handelt werden und insbesondere den Rahmen der juristischen Perspektive überschreiten.

Um die Entgrenzung des Eigentumsinstituts angemessen darlegen zu können, bedarf es

neben des rechtstheoretischen auch des soziologischen Blickwinkels.

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2

II. Wissensproduktion und Innovation im Zeitalter der

Digitalisierung

1. Wissens- und Informationsgesellschaft

Der Aufstieg des Wissens zu einer der wichtigsten ökonomischen Ressourcen prägt die

Gesellschaft des 21. Jahrhunderts massgeblich in nahezu allen Bereichen des Lebens. Die

immer komplexeren gesellschaftlichen Strukturen, vor allem in der westlichen Zivilisation,

führen zu Ungewissheit und Überforderung. Diese zu überwinden, schafft das Bedürfnis

nach Information, denn: „Information ist die Verringerung von Ungewissheit.“2 Zur Be-

wältigung der Welt in unserer Zeit ist also eine Komplexitätsreduktionsgesellschaft bzw.

Informationsgesellschaft anzustreben. Und dieser Wandel ist heute sichtbarer denn je, denn

durch den technologischen Fortschritt nimmt die Menge an Informationen im Verhältnis zu

anderen Bereichen der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung überproportional zu. Mit

dem Anstieg der Quantität ist die wachsende Kapazität, Information einerseits durch den

Raum zu übermitteln (Kommunikation) und andererseits durch die Zeit zu übertragen

(Speicherung) gemeint.3 Ausserdem steigt die Kapazität, mit Informationen zu rechnen

(Informatik).

In diesem Kontext wird auch von der „neuen Wissensökonomie“ 4

gesprochen, welche hohe

Anforderungen an die Qualifikationen der Arbeitnehmer stelle. Merkmale davon seien u.a.

forschungsintensive Produktion und wissensintensive Dienstleistungen. Wissen, ins-

besondere wissenschaftliches Wissen, wird hier zur Schlüsselressource erklärt und sei zur

entscheidenden Produktivkraft moderner Ökonomien geworden. Der „Wissens-

arbeiter“ geniesst im Gegensatz zum vormaligen Industriearbeiter neue Produktions- und

Arbeitsbedingungen, wie flache Hierarchien, kontinuierliche Weiterbildungen, mehr

Eigenverantwortung, Teamarbeit usw. Andererseits wird von ihm auch die Bereitschaft zu

Engagement, Kreativität und kollektiver, erfinderischer Tätigkeit gefordert. Begleit-

erscheinungen dieser neuen Arbeitsformen sind u.a. Individualisierung, wachsender

Leistungsdruck und abnehmende Erwerbssicherheit. 5

Weitere zentrale Fragen der

Wissensgesellschaft sind der Zugang zu Bildung, der Umgang mit der Informationsflut

(Informationsmanagement) und die Informationsfreiheit im Allgemeinen.

2 WERSIG, S.11.

3 Wikipedia: Informationsgesellschaft/Wachstum von Information in der Gesellschaft. (besucht am 30.8.2012)

4 NUSS, S. 24.

5 NUSS, S.23.

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3

2. Digitalisierung und Netzwerke

Entscheidendes Kriterium für den gesellschaftlichen Wandel der letzten Jahrzehnte ist der

technologische Fortschritt, der die massiven globalen Informationsflüsse von heute erst

ermöglicht. Mikroelektronik, Computerwissenschaften und Telekommunikation haben

schliesslich das Internet hervorgebracht, welches „vielleicht […] das revolutionärste

technologische Medium des Informationszeitalters“6 darstellt. Das Internet hat eine rapide

gesellschaftliche Entwicklung bewirkt, welche nicht nur die Alltags- und Arbeitspraxis von

Individuen bestimmt, sondern durch sein erdumspannendes Netz, die Produktionsstandorte

von Wissen näher zusammenrücken lässt. Der überwiegende Teil der Informationen wird

heute in digitaler Form am Computer produziert und verarbeitet. Das Internet hat das

technologisch einzigartige Potenzial, dass es diese digitalen Daten durch einen perfekten

Kopiervorgang ohne Qualitätsverlust in beliebiger, unbegrenzter Anzahl und ohne

grösseren Aufwand vervielfältigen kann.7

Diese revolutionären Möglichkeiten der Kommunikation brachten in weniger als zwei Jahr-

zehnten eine nie da gewesene, globale Vernetzung der Gesellschaftsstrukturen des 21. Jahr-

hunderts:

„Netzwerke bilden die neue soziale Morphologie unserer Gesellschaften, und die Ver-

breitung der Vernetzungslogik verändert die Funktionsweise und die Ergebnisse von

Prozessen der Produktion, Erfahrung, Macht und Kultur wesentlich.“8

Neuartige Verbundformen sind durch den erleichterten Informationsaustausch über das

Internet entstanden, wie zum Beispiel joint ventures9, welche die Wissensgenerierung, etwa

auf der Ebene von Forschungstätigkeit, in netzwerkförmigen Prozessen ermöglichen.

Solche innovativen Verbundsformen werden in der Literatur u.a. mit „peer-production“,

„economy of participation“, „social production“, „community of practice“ und v.a. “com-

munity of creation” beschrieben.10

An die Stelle von bisher hierarchischen Organisations-

strukturen in personeller Hinsicht bei der Wissensgenerierung in Forschung und Wissen-

schaftsbereichen, treten nun heterarchische Netzwerke als Ordnungsmuster. In der Post-

moderne haben sich immer mehr neue Formen von sog. „epistemischen Gemein-

6 CASTELLS, S. 49.

7 NUSS, S.38.

8 CASTELLS, S. 528.

9 Joint Venture: “gemeinsame Tochtergesellschaft von min. zwei rechtlich und wirtschaftlich getrennten

Unternehmen“, Quelle: Wikipedia/Joint Venture. (besucht am 30.8.2012) 10

LADEUR/VESTING, S. 133.

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4

schaften“ herausgebildet, also Gemeinschaften, die projektartig die Suche nach

Innovationen anstreben und das so entstandene Wissen anschlussfähig halten für die

weitere, flexibel organisierte Wissensproduktion. An die Stelle der Ein-Mann-Erfindung

von Technologien treten also neuartige, durch communities of creation hervorgebrachte und

auf Verknüpfung angelegte Innovationsprodukte und damit flexiblere Formen der Ent-

wicklung, Herstellung und auch Vermarktung von Technologien.11

Ein solches dezentrales

System lässt es zu, dass sehr viel mehr Wissen erzeugt werden kann. Das dieses Potenzial

auch ausgeschöpft wird, lässt sich in ganz unterschiedlichen Erscheinungsformen be-

obachten, etwa in der Automobilindustrie (z.B. bei Toyota), bei elektronischen Produkten

und besonders weit fortgeschritten im Bereich der Produktion von Computersoftware. Die

Produktivität von freier Software (FOSS), Open Source Software (z.B. Linux) oder online-

communities (z.B. Weblogs, Wikipedia) beruht auf einer neuartigen Form „gemeinsamen

Lernens“, die in den bisherigen Massenmedien (z.B. Fernsehen) nicht möglich waren.12

Diese Formen von Online-Projekten haben einerseits gemeinsam, dass sie heute eine ent-

scheidende Grundlage der globalen Wissensproduktion darstellen und andererseits, dass sie

nur funktionieren können, wenn ein möglichst freier Zugang auf die bereits generierte

Wissensbasis gewährleistet bleibt. Die Akteure dieser Online-Netzwerke, wie auch nach

Innovation strebende Unternehmen, müssen also ihre Grenzen wechselseitig offen halten

für neues Wissen und über Formen der Kooperation u.a. die Möglichkeiten der Anschluss-

fähigkeit an produziertem Wissen sicherstellen. Anderenfalls würden die bisher bekannten,

netzwerkartigen Formen von Wissensgenerierungssystemen nicht möglich sein bzw. viel an

ihrer Potenz einbüssen.13

3. Relevanz des Rechtssystems

Netzwerkprojekte wie Wikipedia, Linux oder allgemein communities of creation zeichnen

sich also u.a. durch ihre kollaborativen und offenen Elemente aus. Damit Wissenschaft und

Forschung weiterhin von solchen Systemen profitieren können, bedarf es rechtlicher

Grundlagen, welche die existenziellen Elemente solcher Netzwerke gewährleisten. Um ein

möglichst innovationsförderndes Rechtssystem zu schaffen, muss eine Vielzahl von ver-

schiedenen Interessen berücksichtigt werden, damit die Akteure genügend Anreize haben,

um die Netzwerke mit ihren Beiträgen aufrecht zu erhalten. In unserer vom Kapitalismus

11

LADEUR/VESTING, S. 137. 12

LADEUR/VESTING, S. 136. 13

BENKLER, S. 212ff.

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5

geprägten Zeit bestehen die Anreize hauptsächlich in monetärer Form.14

Um den Lebens-

unterhalt bestreiten und sich Eigentum erwerben zu können, benötigt man Geld, welches

man wiederum durch die Verwertung seiner Produkte und Leistungen erlangt. Daher galt

als die bestimmende Rechtsform der Industriegesellschaft bis ins ausgehende 20. Jahr-

hundert das Sacheigentumsrecht.

Als zentrale Rechtsinstitution der Wissens- oder Informationsgesellschaft steht nun aber

das geistige Eigentum, welches durch das Immaterialgüterrecht geregelt ist.15

Die vormals

mangelnde technische Infrastruktur hat dem klassischen Kulturkonsumenten eine passive

Rolle aufgezwungen, welche sich im Internetzeitalter jedoch für viele Bürger zu der eines

aktiv und eigenständig teilhabenden Kulturschaffenden gewandelt hat. Immer breitere Ge-

sellschaftsschichten kommen dadurch stärker mit urheberrechtlichen Regelungen in un-

mittelbaren Kontakt als noch vor ein paar Jahren.16

Der Gesetzgeber steht also immer mehr

unter dem politischen Druck, das Immaterialgüterrecht an die neuen gesellschaftlichen

Strukturen und Entwicklungen anzupassen. Dabei hat er zuerst rechtstheoretische Über-

legungen anzustellen, die auf einer höheren Abstraktionsebene operieren als die Rechts-

dogmatik und damit meist „oberhalb“ der Normebene liegen. Mit einer blossen gesetz-

lichen Nachkorrektur und partiellen Justierung der bestehenden immaterialgüterrechtlichen

Gesetze ist es auf die Dauer nicht getan.17

In den Prinzipien der Freiwilligkeit und Barrierefreiheit18

, auf denen beispielsweise das

Produktionsmodell Wikipedia basiert, könnte man durchaus Tendenzen zu anti-

kapitalistischen Entwicklungen sehen.19

Auch wird in der Lehre die Meinung vertreten,

dass das Urheberrecht im wissenschaftlichen Bereich in zunehmenden Masse seine

Funktion verliere, da Urheber wissenschaftlicher Werke in der Regel nicht finanziell von

der Vermarktung profitieren und mehr Motivation für die Publikationen aus der wissen-

schaftlichen Reputation schöpfen müssen.20

Des Weiteren entscheiden sich Rechteinhaber

vermehrt dafür, ihre Werkstücke nur unter Einsatz technischer Schutzmassnahmen (sog.

Digital Rights Management, DRM21

) zu vertreiben. Dadurch wird die Gefahr geschaffen,

14

NUSS, S. 178. 15

NUSS, S. 20. 16

ROSENKRANZ, S. 2. 17

LADEUR/VESTING, S. 123. 18

LUETHI/OSTERLOH, S. 218f. 19

NUSS, S. 151ff. 20

Vgl. ROSENKRANZ, S. 16. 21

Unter DRM versteht man elektronische Schutzmechanismen für digitale Informationen in Internet oder

Software, welche die unbegrenzte Nutzung einschränken und sog. On-Demand-Geschäftsmodelle ermög-

lichen. Quelle: Wikipedia/Digitale Rechteverwaltung. (besucht am 30.8.2012)

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dass historisch gewachsene, urheberrechtliche Schrankenbestimmungen ausgehebelt

werden und den Urhebern bzw. Verwertern ermöglichen, sich ein eigenes Urhebergesetz zu

schaffen. Diese gerade erwähnten, exemplarischen Beobachtungen, sollen verdeutlichen,

dass der Gesetzgeber das Immaterialgüterrecht im Grundsatz neu auszugestalten hat und

sich dabei für eine strukturelle Stossrichtung entscheiden muss. Dabei sind anti-

kapitalistische Tendenzen und DRM nur zwei Aspekte, gegenüber denen der Staat in seiner

gesellschaftslenkenden Funktion eine klare Position einnehmen muss. Nach Ansicht vieler

Akteure dieser Debatte, welche sich mit dem Zugang zur digitalen Welt der Informationen

und des Wissens auseinandersetzen und ausserdem das Problem der unbegrenzten Verviel-

fältigung von Informationen behandeln, geht es um nichts weniger als um „das Wesen und

die Zukunft der Kreativität“ 22

III. Institution Eigentum im Wandel

Wenn es um die Ausgestaltung eines zeitgemässen Immaterialgüterrechts geht, ist es das

Eigentum, um das sich die rechtstheoretische und sozialwissenschaftliche Diskussion dreht.

Das geistige Eigentum ist die zentrale Rechtsinstitution, welche angepasst werden muss an

eine sich wandelnde Gesellschaft und die damit einhergehenden neuen Formen von netz-

werkbasierter Wissensgenerierung.

Um die Tragweite der Veränderungsprozesse des Eigentums fassen zu können, bemüht sich

die Propertisierungsforschung um eine übergreifende und verbindende Fragestellung und

behandelt das Eigentum nicht mit einer juristisch disziplinären Verengungen des Blickes.

Die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Bedeutungen des Eigentums sind bis heute

im Fluss. Dass die Institution des Eigentums in eine dynamische Umwelt eingebettet ist,

wird gerade dann besonders deutlich, wenn ein neues Medium für die Nutzung und Ver-

breitung von Wissen und Information entsteht, wie der Buchdruck oder das Internet.23

In

diesem Fall müssen alle eigentumsrechtlichen Eigenschaften auf ihre Haltbarkeit geprüft

und allenfalls neu definiert werden. Um die Begriffsverschiebungen des geistigen Eigen-

tums nachvollziehbar aufzuzeigen, sollen hier zuerst einige (historische) Beobachtungen zu

allgemeinen Propertisierungsprozessen angestellt werden, um dann Rückschlüsse auf die

(heutigen) immaterialgüterrechtlichen Entwicklungen ziehen zu können.

22

Vgl. LESSIG, S.146ff; NUSS, S. 89. 23

LADEUR/VESTING, S. 125.

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7

1. Propertisierungsprozesse

1.1. Privateigentum als gesellschaftliche Leitidee

Eigentum gehört in modernen Gesellschaften und Rechtsystemen zu den zentralen

Ordnungsprinzipien und Institutionen. Der Umgang mit materiellen und immateriellen

Gütern, sowie mit sozialen Beziehungen und Hierarchien werden durch die jeweilige

Eigentumsauffassung bestimmt.24

Über die Konstruktion von Eigentumsrechten ver-

ständigen sich die Gesellschaften über die kulturellen, sozialen und rechtlichen Be-

deutungen und Funktionen von Eigentum, über die Gegenstände und Träger von Eigen-

tumsrechten und über die Mittel ihrer Durchsetzung. Seit Ende des 18. Jahrhunderts findet

aber eine zunehmende Ausdehnung des Eigentumsinstituts auf immer mehr Bereiche von

Gesellschaft, Kultur, Recht, Wirtschaft und Politik statt.25

Die Grenzen des Eigentums ver-

schieben sich laufend und sind kaum mehr klar definierbar. Diesen Prozess der Eigentums-

entgrenzung nennt man Propertisierung.

Mit dem ersten grossen Propertisierungsschub wurde in neuartiger Weise zwischen privaten

und öffentlichen Rechten unterschieden und dadurch dem Privateigentum zu einem der-

artigen Aufschwung verholfen, dass es zur Leitinstitution moderner Gesellschaften wurde.

Die Propertisierungsbewegung führte dazu, dass immer mehr Beziehungen ganz oder teil-

weise als Eigentumsbeziehungen interpretiert und somit institutionalisiert werden. In immer

mehr Situationen beanspruchen Individuen und Unternehmen, dass ihre sozialen und

wirtschaftlichen Handlungsrechte eigentumsartig, oder zumindest eigentumsähnlich ge-

regelt und legitimiert werden.26

Das Eigentumsdenken bestimmt nicht nur die Arbeits-,

Kooperations- und Vermögensbeziehungen, sondern prägt auch die Verwandtschafts-,

Nachbarschafts- und sogar Liebesbeziehungen. Eigentum entwickelt sich dadurch zum

tendenziell dominierenden Deutungshorizont, welcher aufgrund seiner Expansion alter-

native Leitideen und Institutionen unter Druck setzt. Gemeint sind damit z.B. religiöse Ge-

bote, standes- und milieuspezifische Normen sowie traditionelle politische Herrschafts-

rechte, welche zunehmend in Frage gestellt werden.27

In immer mehr sozialen Feldern

büssen nicht-proprietäre Verhaltensnormen an Deutungsmacht und Orientierungspotential

ein. Die weitreichenden Folgen, die eine Etablierung der Privateigentumsidee haben würde,

erkannte schon Rousseau, als er 1755 schrieb:

24

SIEGRIST, S. 17. 25

SIEGRIST, S. 15. 26

SIEGRIST, S. 33. 27

SIEGRIST, S. 34.

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8

„Der Erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen:

«Dies gehört mir» und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der

eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde,

wieviel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn

jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: «Hütet euch, dem

Betrüger Glauben zu schenken, ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte

allen, aber die Erde niemandem gehört.»“28

1.2. Historische Entwicklung des Eigentums

Immer wieder kam die Auseinandersetzung mit dem Eigentum einer Erörterung über die

bestmögliche Gesellschaftsordnung gleich. So fragten Aristoteles und Platon nicht „was ist

Eigentum?“, sondern sie erklärten, welche Art der Nutzungs- und Zuordnungsmodalitäten

in einer Polis die beste Gesellschaftsordnung hervorbringen.29

Auch im Zusammenhang mit

dem Ost-West-Konflikt ab Mitte des letzten Jahrhunderts wurde anhand der Eigentums-

frage um das erfolgreichere Gesellschaftssystem gestritten. Deshalb soll ein kurzer

historischer Rückblick auf die Entwicklung des Eigentums hier vor allem von der Frage

geleitet sein, welche gesellschaftliche Orientierungsleistung das Eigentumsrecht und die

damit verbundene Institution in der Vergangenheit erbracht hat und welche es heute zu er-

bringen hätte. Es geht hier in keiner Weise um geschichtliche Vollständigkeit, sondern

darum die Wandelbarkeit des Eigentumsbegriffes und seiner Funktionen darzulegen.

Die Grundlage der herkömmlichen Eigentumsauffassung liegt im römischen Recht und hat

sich anhand des Grundeigentums bzw. Grundbesitzes entwickelt.30

Die römische Eigen-

tumsvorstellung war an die Strukturen einer Adelsgesellschaft und des Geschlechtseigen-

tums der Familie gekoppelt. Im Gegensatz zur griechischen Antike ist das römische Recht

auf das Privateigentum gegründet. Das Familienoberhaupt (pater familias) hatte die um-

fassende Herrschaft über Sachen und auch Personen. Die sichtbaren Besitzverhältnisse

(dominium) wurden unterschieden vom faktischen Innehaben einer Sache (possessio). Über

verschiedene „Klagen“, wie die rei vindicatio, konnten sich römische Bürger vor

unrechtmässigen Eingriffen in ihr Eigentum schützen. Die Funktion dieses Eigentumsrechts

bestand also vor allem in der Aufrechterhaltung der ausschliesslichen Hausgewalt

römischer Hausherren gegenüber unrechtmässigen Störungen von aussen und damit der

28

ROUSSEAU, S.74. 29

NUSS, S. 138. 30

VESTING, S. 430.

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9

Aufrechterhaltung der politischen und sozialen Lebensgrundlage der Adelsgesellschaft. Die

Eigentumsausgestaltung war ausserdem auf die funktionellen Erfordernisse des städtischen

Lebens ausgerichtet und nicht, wie später in der modernen und liberalen Gesellschaft, öko-

nomisch-gesellschaftlich bestimmt.31

So etwas wie Reinvestment auf Eigentum kannte man

in Rom nicht. Auch in der griechischen Antike waren die gesellschaftlichen Verkehrs-

formen noch nicht dominiert von dem Produktionszweck, der aus Geld (Eigentum in seiner

abstraktesten Form) mehr Geld zu machen anstrebte.32

Der Status als Bürger war das

höchste Ideal und dies relativ unabhängig von materiellem Reichtum. Eigentum war also

die rechtliche Deckung einer Herrschaftsbefugnis, die von Natur den Adelsgeschlechtern

und Grundbesitzern gegeben war und nicht in Frage gestellt wurde.33

Die Eigentumskonzeptionen der europäischen Rechtskultur wurden stark beeinflusst von

der Vorstellung der Sachherrschaftsbefugnis (dominium) aus dem römischen Recht. So

sind deutliche Spuren davon im französischen, deutschen und englischen Recht des Mittel-

alters zu finden. Jedoch war diese Zeit geprägt vom Existenzkampf in einer wirtschaftlich

schwierigen Situation. Für das Überleben der eigenen Genossenschaft musste die Idee des

Privateigentums zum Teil zugunsten des Gemeinschaftseigentums weichen. Der römische

Eigentumsbegriff entspricht also nicht der sozialen Welt des Mittelalters. 34

Aber auch

damals hatte das Eigentum eine Exklusionsfunktion des Grundeigentümers gegenüber dem

Nichteigentümer, nur dass das Eigentum diesmal in ein etwas anderes feudales System ein-

gebettet war und noch enger an die Welt des Adels gebunden blieb, während in Rom auch

familienrechtliche Aspekte v.a. im städtischen Raum über das Eigentumsrecht geregelt

wurden.

Eigentum wurde somit noch bis ins ausgehende 17. Jahrhundert als eine „despotische Herr-

schaft“ über „die äusserlichen Dinge der Welt“ mit Ausschlussfunktion betrachtet. Die

soziale Orientierungsleistung des Eigentumsrechts bestand darin, durch Grundeigentum zu

signalisieren, wer zum beherrschenden Teil der Gesellschaft gehörte und unabhängiger von

der täglichen Mühe und Arbeit war.

Das Aufkommen der bürgerlichen und liberalen Gesellschaft hat den Sinn und die Be-

deutung des Eigentumsrechts in grundlegender Weise verändert. Eigentum wurde von

einem (objektiven) Statusrecht der Sachherrschaft zu einem (im Prinzip) jedermann zu-

31

VESTING, S. 431. 32

NUSS, S. 140. 33

VESTING, S. 432. 34

NUSS, S. 148.

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10

stehenden, subjektiven Recht auf Eigentum.35

Das Bild vom Eigentum wandelte sich von

dem Prinzip der Exklusion hin zur Vorstellung einer dynamischen, auf gesellschaftliche

Kooperation angelegten Nutzung des Eigentums mit dem Zweck der allgemeinen Wohl-

fahrtssteigerung.

Ausschlussfunktion und rechtlich gedeckte Sachherrschaft (dominium) reichen nicht mehr

aus um den Eigentumsbegriff hinreichend abstecken zu können. Entscheidender wurde

vielmehr die Differenz von Eigentum und Nichteigentum, denn nicht nur die Eigentümer

nehmen an der Wirtschaft (und dadurch an der Gesellschaft) teil, sondern auch die Nicht-

Eigentümer, als Gegenseite des Kooperationsverhältnisses. Es geht also um Beziehungen

zwischen Einzelnen, d.h. um die möglichen Optionen, welche durch die Eigentumsverhält-

nisse in der bürgerlichen Gesellschaft eröffnet werden.36

Die liberale Eigentumsidee setzt

den freien Willen der Teilnehmer voraus und gesteht ihnen somit individuelle Ent-

scheidungsrechte zu. Die Organisation von wirtschaftlichen Prozessen erfolgt nicht mehr

durch eine hierarchische Lenkung (etwa durch den „Herrscher“), sondern durch den Markt.

Durch die dezentrale Struktur des Marktes (und der individuellen Entscheidungsrechte),

werden möglichst viele Nicht-Eigentümer in wirtschaftliche Verwertungszusammenhänge

(z.B. Tausch) eingeschlossen, um sie selbst zu Eigentümern zu machen.37

Da die Marktteil-

nehmer danach streben, ihren Nutzen aus diesem Prozess zu maximieren, steigert das die

Effizienz und Produktivität dieser Wirtschaftsform. Dies, weil der Staat dem Eigentümer

durch gesicherte Eigentumsrechte einen unmittelbaren Anreiz zur Erhöhung der

individuellen Effizienz und Produktivität gibt, da diese exklusiven Eigentumsrechte dem

Eigentümer nun neues Eigentum einbringen können.38

Es lässt sich also feststellen, dass

nun Eigentumsrechte bestimmen, wo am meisten Nutzen zu erwarten ist und damit eine

neue Anreizstruktur schaffen.

Solange die materiellen Bestandsmittel im Gemeineigentum stehen, gibt es wenig Anreiz

zum Erlernen einer besseren Technik oder zum Erwerb grösseren Wissens.39

Durch das

Institut des Privateigentums und der Möglichkeit dieses zur eigenen Nutzensmaximierung

zu gebrauchen besteht dieser Anreiz hingegen. So lässt sich der Zusammenhang von Eigen-

tumsrecht und Wissensgenerierung einerseits und von Eigentumsrecht und Wirtschafts-

effizienz andererseits erkennen. Eigentumsrechte werden damit zu „effizienten

35

VESTING, S. 433. 36

VESTING, S. 435. 37

NUSS, S. 115. 38

NUSS, S.116. 39

VESTING, S. 437.

Page 16: Wissensproduktion unter digitalen Bedingungen als Herausforderung für das Immaterialgüterrecht (Urheberrecht)

11

Institutionen“, die dazu führen, dass die Produktion (insb. auch des Wissens) einer Wirt-

schaft erhöht wird.40

Damit wird auch deutlich, dass eine liberale Wirtschaftsordnung nicht

ohne Privateigentum funktionieren kann.

1.3. Aktueller Institutionenwettbewerb

Die modernen Rechtsordnungen stützen das Eigentum auch im 21. Jahrhundert noch auf

das bürgerlich-liberale Modell, wenn auch mit Modifikationen. Wie im vorherigen Kapitel

dargelegt wurde, sollte Eigentum als historisch und kulturell wandelbares Bündel von

Rechten und Pflichten, aber an die jeweiligen sozialen Verhältnisse angepasst werden. Die

momentane Bewegung des Eigentumsbegriffs, also die Propertisierung, wird auch mit Be-

griffen bezeichnet wie: Privatisierung, Entgrenzung des Eigentums, Kommerzialisierung

des Wissens, Ökonomisierung von Kultur, Ausufern des geistigen Eigentumsschutzes etc.41

Diese Bezeichnungen deuten darauf hin, dass sich das Institut des Eigentums über immer

mehr Lebensbereiche erstreckt und damit zum dominierenden Institut wird.42

In unserer

liberalen Weltwirtschaft und durch die digitale Vernetzung steigert eine solche Ent-

grenzung, v.a. des geistigen Eigentums, das Risiko der Aufblähung, Fragmentierung und

Überforderung proprietärer Institutionen.43

Die moderne Eigentumsforschung sucht vor diesem Hintergrund nach der optimalen

Institutionenmischung für den Übergang von der Industriegesellschaft zur Wissens- und

Informationsgesellschaft. Auf interdisziplinärer Ebene wird die Konkurrenz zwischen

proprietären und nicht-proprietären Institutionen analysiert und nach einem zukunftsfähigen

Gleichgewicht gesucht. Die Leistungsfähigkeit der Institute des privaten Eigentums und des

individuellen geistigen Eigentum wird dabei in Frage gestellt.

Wenn sich Menschen und ganze Gesellschaften darauf einigen, bestimmte Aufgaben

mithilfe proprietärer Institutionen zu bearbeiten, erweitern sich die Grenzen eigentums-

basierter Institutionen. Der Erfolg solcher Prozesse und ihre gesellschaftliche Akzeptanz

sind u.a. von der Vorstellung bestimmt, dass eigentumsbasierte Koordinationsprozesse be-

sonders berechenbar, effizient und gerecht sind.44

Die hohen subjektiven Erwartungen an

das Privateigentum und das individuelle geistige Eigentum, versprechen zwar oft Erfolg,

können aber häufig nicht erfüllt werden. So erwarten Eigentumsoptimisten, dass diese

40

NUSS, S. 117. 41

SIEGRIST, S. 36. 42

Vgl. schon oben: Kap. III. 1.1. Privateigentum als gesellschaftliche Leitidee, S. 7. 43

SIEGRIST, S. 52. 44

SIEGRIST, S. 42.

Page 17: Wissensproduktion unter digitalen Bedingungen als Herausforderung für das Immaterialgüterrecht (Urheberrecht)

12

Institution die Koordination von sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen optimiert, die

Rechte von Einzelnen stärkt, die wirtschaftliche Effektivität steigert und somit den ge-

sellschaftlichen Fortschritt fördert.45

Eigentumspessimisten warnen dagegen vor den

negativen Folgen für Gleichheit, Verteilungsgerechtigkeit und soziale Integration durch

eigentumsbasierte Prozesse.46

Darum begrenzen Staat und Gesetzgeber in bestimmten

Situationen auch teilweise die privaten Eigentumsrechte um übergeordnete, allgemeine und

staatliche Interessen zu wahren.

2. Immaterialgüterrecht

Im vorangehenden Kapitel wurde gezeigt, dass Eigentum, unter antiken und feudalen Be-

dingungen, zunächst Recht auf Sachherrschaft bedeutete. Mit dem Aufstieg der bürgerlich-

liberalen Gesellschaft etablierte sich das Privateigentum, welches nun als freies Ent-

scheidungsrecht ausgeübt werden kann, um damit eine allgemeine Wohlfahrtsmaximierung

zu bewirken. So schafft der Schutz des Sacheigentums mehr Möglichkeiten für Nichteigen-

tümer und fördert ausserdem die Wirtschaft.

Mit dem Aufstieg der Information zur wichtigsten ökonomischen Ressource, stösst dieses

Modell aber an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Einerseits sind Informationen extrem

flüchtig und lassen sich nicht so leicht wie gegenständliche Ressourcen exklusiv einem

Träger zuordnen, andererseits sind Informationen von vornherein auf Verknüpfung an-

gelegt, werden also erst dann nützlich und somit wertvoll, wenn sie im Empfängersystem

eine Anknüpfung finden. 47

Ausserdem sind Informationen Bestandteile von Sprache und

Kommunikation und haben damit einen öffentlichen Aspekt, der die Zuordnung als Privat-

eigentum zu einer schwierigen Aufgabe macht. Will sich das geistige Eigentum im all-

gemeinen Institutionenwettbewerb durchsetzen, muss es über die erwähnten Aspekte hinaus,

weitere Problemfelder überwinden.

2.1. Netzwerke und Digitalisierung als Herausforderung für das klassische Im-

materialgüterrecht

Das klassische Immaterialgüterrecht wird in verschiedene Teilbereiche unterteilt: die

grösste Bedeutung kommt dem Urheberrecht, dem Patentrecht und dem Markenschutzrecht

zu, die je nach dem greifen, wenn es sich um geistige Schöpfungen, technische Erfindungen

45

Vgl. dazu oben: Kap. III. 1.2. Historische Entwicklung (bürgerlich-liberale Gesellschaft), S. 10. 46

SIEGRIST, S. 43. 47

VESTING, S. 438.

Page 18: Wissensproduktion unter digitalen Bedingungen als Herausforderung für das Immaterialgüterrecht (Urheberrecht)

13

oder Markennamen handelt. Mit dem Aufkommen neuer Informationstechnologien sind

alle diese Teilbereiche mehr oder weniger Gegenstand von wissenschaftlichen Dis-

kussionen geworden. Diese Arbeit soll sich aber auf das Urheberrecht beschränken, da die

hier in Betracht kommenden Themen der Wissensproduktion in kollaborativen Netzwerk-

projekten und Freie Software/Open Source zum Anwendungsbereich des Urheberrechts

gehören.

2.1.1. Kollaborative Netzwerke im Urheberrecht

Die meisten europäischen Urheberrechtsgesetze schützen den Urheber eines Werkes der

Literatur, Kunst und Wissenschaft (wozu auch Software gezählt wird) gegen die unbefugte

wirtschaftliche Auswertung seiner schöpferischen Leistung und gegen Verletzungen seiner

ideellen Interessen am Werk. Der Schöpfer hat die ausschliessliche Verfügungsgewalt über

sein Werk, wobei sich dieses Recht auf die persönliche, geistige Schöpfung bezieht, also

auf das Werk als immaterielles Gut, nicht aber auf das Werkstück oder Werkexemplar.48

Das traditionelle Urheberrecht hat sich aus der Vorstellung eines einzelnen kreativen

Schöpfers gebildet und kann darum nicht ohne Weiteres auf die neuartigen Formen der

Wissensproduktion angewendet werden.49

Das Urheberrecht kennt zwar schon Regelungen für kollektive Werke und das Rechts-

institut des gemeinsamen geistigen Eigentums am Werk, wie z.B. die Miturheberschaft in

Art. 7 des Schweizerischen URG. Jedoch wird für solch ein Rechtskonstrukt ein einheit-

liches Werk vorausgesetzt, welches sich als Ganzes nutzen und verwerten lässt.50

Der

individuelle Beitrag der Einzelnen muss einer kollektiven Absicht oder einem ge-

meinsamen Plan folgen.51

Kollaborative Netzwerkprojekte wie Wikipedia oder Linux

folgen jedoch einem anderen Strickmuster. In dezentralisierten Netzwerken gibt es keinen

Masterplan, der die individuellen Handlungen direkt zu einem einheitlichen Werk lenkt.

Die Netzwerkteilnehmer tragen ihren Teil freiwillig bei und folgen dabei ihren persönlichen

Vorstellungen von Inhalt und Umfang, ohne dabei unbedingt ein einheitliches Werk anzu-

streben, welches sich als Ganzes verwerten liesse.

Die Regeln für gemeinsames Eigentum geistiger Werke sind ausserdem ziemlich starr und

für kollaborative Netzwerke oft mühsam umzusetzen. Für einzelne Entscheidungen müsste

48

NUSS, S. 34. 49

Vgl. Kap. IV. für alternative Regelsysteme in kollaborativen Netzwerken. 50

WIELSCH, S. 103, Rz. 50. 51

BENKLER, S. 304.

Page 19: Wissensproduktion unter digitalen Bedingungen als Herausforderung für das Immaterialgüterrecht (Urheberrecht)

14

beispielsweise immer die Zustimmung aller Netzwerkteilnehmer eingeholt werden, was

aufwendig und teuer sein kann. In der Praxis werden bei einer schöpferischen Zusammen-

arbeit darum häufig privatrechtliche Partnerschaften geschaffen, welche die Kompetenzen

klar regeln. Solche vertraglich eingesetzten Lenkungs- und Aufsichtsbefugnisse gibt es ge-

wöhnlicherweise nicht in dezentralisierten, heterarchischen Netzwerken. Solche Partner-

schaftsformen sind auch wohl eher für andere, v.a. persönlichere Zusammenarbeit vor-

gesehen. Auch die Konstruktion der „verbundenen Werke“ i.S.v. §9 des Deutschen UrhG

kann hier kaum angewendet werden, da nach herrschender Lehre daraus eine „Gesellschaft

bürgerlichen Rechts“ entstehen würde und die Idee dieser Gesellschaftsform nicht auf so

lockere und freiwillige Beteiligungen ausgerichtet ist, wie Wikipedia oder Linux sie kennt.

Die urheberrechtlichen Regelungen von Werken mit mehreren Schöpfern, verlangen also

einen vorangehenden Akt des Zusammenschlusses mit rechtlicher Bindungswirkung,

welcher in den meisten Fällen von kollaborativen Netzwerkprojekten nicht vorgesehen ist.52

Das Recht hat bisher noch keine befriedigende Weise gefunden, mit der Idee von de-

zentralisiertem Wissen umzugehen.

2.1.2. Problemfelder und Interessenkonflikte aufgrund der Urheberrechtsausdehnung

Es gibt verschieden gelagerte Interessengruppen, welche das Institut des geistigen Eigen-

tums auch auf offene, kollaborative Netzwerkprojekte ausdehnen bzw. das verhindern

möchten. Beide Seiten bringen treffende Argumente hervor, die das Spannungsverhältnis

innerhalb dieser Thematik verdeutlichen. Es geht um die Suche nach einem neuen Gleich-

gewicht zwischen dem Schutz geistigen Eigentums und der notwendigen Innovationsoffen-

heit der liberalen Eigentumsordnung.53

Darum soll Ziel der Rechtsausgestaltung die

Schaffung von möglichst innovationsermöglichenden Bedingungen in unserer Gesellschaft

sein.54

Die Eigendynamik, welche durch Digitalisierung und Vernetzung im liberalen Ge-

sellschaftssystem hat entstehen können, zeigt sich überaus effektiv in der Wissens-

produktion. Darum müsste gefragt werden, wie weit das klassische Recht des geistigen

Eigentums diese liberalen Prozesse beeinflussen sollte.55

Aufgrund der perfekten Reproduzier- und Transferierbarkeit der meisten digitalen Inhalte

ist die Voraussetzung für die Verwertung seitens Urheberrechtsinhaber massiv gefährdet.

Da Inhalte nun beliebig oft kopiert und verbreitet werden können, haben die Berechtigten

52

WIELSCH, S. 104, Rz. 54. 53

LADEUR/VESTING, S. 133 54

LESSIG, S. 87. 55

BENKLER, S. 133ff.

Page 20: Wissensproduktion unter digitalen Bedingungen als Herausforderung für das Immaterialgüterrecht (Urheberrecht)

15

nicht mehr alleine die exklusive Verfügungsgewalt, sondern alle, die im Besitz der

digitalisierten Inhalte und der entsprechenden Träger- und Transfertechnologien sind, also

alle, die einen Computer mit Internetzugang haben.56

Des Weiteren liegt es in der Be-

schaffenheit von digitalen Gütern, dass sich die beinhalteten Informationen oder das

Wissen nicht durch den Gebrauch verbrauchen. Durch das Digital Rights Management

(DRM) wird daher mit mehr oder weniger Erfolg versucht, der fast unbegrenzten Ver-

breitung von digitalen Inhalten entgegen zu wirken. Dieser privat errichtete Schutz auf

technischer Ebene schafft aber wiederum die Gefahr, dass dadurch die Zugangsschranken

zum Wissen abweichend von den rechtlichen Vorstellungen des Gesetzgebers gezogen

werden.

Da neues Wissen aber stets auf vorbestehendem Wissen aufbaut, ist der freie Zugriff auf

bereits existierende wissenschaftliche Informationen essenziell für die Forschung.57

Damit

die Anschlussfähigkeit an Wissen gewährleistet bleibt, sollten die Zugangsschranken also

von staatlicher Hand errichtet werden und nicht von einzelnen Privaten. Es geht dabei nicht

um staatliche Steuerung, sondern um Innovationsermöglichung, indem der Zugang zum im

Netzwerk angeeigneten Wissen offen gehalten wird, um dadurch Selbstblockaden aufzu-

brechen und neue Möglichkeiten zu schaffen.58

Dass diese Schrankenverminderung not-

wendig ist, zeigt sich z.B. auch darin, dass sich die postmodernen Hochtechnologien59

nicht

mehr primär an der Suche nach abgrenzbaren Produkten und Leistungen orientieren,

sondern vielmehr Wissenskomponenten und Teilerkenntnisse erzeugen, die miteinander

kombiniert werden und erst in späteren Entwicklungsschritten auf die Produktentwicklung

hin konkretisiert werden.60

Daraus ergibt sich das Risiko, dass sich exklusive Urheberrechte

auf diese allgemein nutzbaren (nicht aneignungsfähigen) Wissenselemente ausdehnen und

es somit zu einer potenziell innovationsfeindlichen Vorverlagerung des Eigentumsschutzes

kommt. Patent- und Urheberrechtsschutz ist für produkt- oder leistungsbezogenes Wissen

vorgesehen und nicht für allgemeine Ideen. Der Schutz einzelner Wissenselemente kann die

Entwicklung ganzer komplexer technologischer Forschungszweige durch Einrichtung einer

„Mautstelle“ blockieren. Es werden teilweise Hunderte Patente angemeldet, von denen

dann später nur eine Hand voll genutzt werden, weil man sich vorher nicht sicher sein kann,

welches das erfolgreiche sein wird. Es müssten daher Überlegungen zur Beweglichkeit des

56

NUSS, S. 198. 57

LUTZ, S. 3. 58

LADEUR/VESTING, S. 140. 59

Z.B. Biotechnologie, Software-Entwicklung, Nanotechnologie. 60

LADEUR/VESTING, S. 136.

Page 21: Wissensproduktion unter digitalen Bedingungen als Herausforderung für das Immaterialgüterrecht (Urheberrecht)

16

Patentrechts angestellt werden, welche z.B. entweder auf eine zeitliche oder eine gegen-

ständliche Flexibilisierung des Patentschutzes gerichtet sind.61

Eine weitere Schwierigkeit für das Immaterialgüterrecht besteht in der Zuordnung der Ur-

heberrechte zu den einzelnen Urhebern in Netzwerkprojekten. Offene kollaborative

Projekte wie Wikipedia oder Linux entstehen, wenn eine Aufgabe in kleinere Teile geteilt

wird, an denen unabhängig und parallel gearbeitet werden kann. Jeder Teilnehmer über-

nimmt die Kosten und den Aufwand für seinen eigenen Teil, erhält jedoch den Wert des

ganzen Werkes, inklusive Ergänzungen und Verbesserungen, welche von den anderen ge-

schaffen wurden.62

Das Zuordnungssystem, wie auch das Belohnungssystem, wie es das

klassische Urheberrecht vorsieht, wird demnach von alternativen Modellen ersetzt. Die

Teilnehmer erlangen keine finanziellen Vorteile dadurch, jedoch Ansehen und eine

Reputationssteigerung im wissenschaftlichen oder fachspezifischen Bereich. Urheberrecht-

liche Zuordnungskonzepte, welche die anteilsmässige Beteiligung oder die schöpferische

Gruppe als ganzes nach dem herkömmlichen Prinzip berücksichtigen würden, wären sehr

aufwendig, wenn sie präzise sein sollen.63

Jeder, mit einem noch so kleinen Beitrag, würde

in den Kreis der Berechtigten gelangen, auch wenn dies gar nicht angemessen wäre.

Das Kernargument für eine restriktive Eigentumsausgestaltung im Internet liegt im Anreiz-

gedanken bzw. Investitionsschutzgedanken und wird besonders von Rechteinhabern

digitaler Inhalte hervorgebracht. 64

Sie tätigen teilweise enorme Investitionen um künst-

lerische oder wissenschaftliche Werke zu produzieren, die sich nur dann rentieren, wenn

die Werke angemessen geschützt sind und nicht von jedermann fast kostenlos und ohne

Qualitätsverlust durch Kopieren oder über Internettauschbörsen beschafft werden können.

Sie argumentieren, dass es schliesslich Aufgabe des Urheberrechts sei, den Menschen An-

reiz zu produktiver Tätigkeit zu geben.65

Freiwilligkeit könne auf Dauer kein Konzept sein,

das die Innovationskraft von Netzwerken vollumfänglich ausnutze. Ausserdem seien mit

dem Leistungsanreiz auch Wachstum, Beschäftigung und internationale Wettbewerbsfähig-

keit verbunden, weshalb eine Übertragung von traditionellen Eigentumspraxen auf die

neuen Informationstechnologien gerechtfertigt sei.

61

LADEUR/VESTING, S. 142. 62

WIELSCH, S. 97, Rz. 2. 63

WIELSCH, S. 104, Rz. 56. 64

NUSS, S. 94. 65

LUTZ, S. 51.

Page 22: Wissensproduktion unter digitalen Bedingungen als Herausforderung für das Immaterialgüterrecht (Urheberrecht)

17

Auf der anderen Seite wird umgekehrt mit dem Anreizargument umgegangen. Wird bei den

einen der Anreiz Neues zu schaffen, nur durch private Eigentumsrechte gegeben, ist bei den

anderen neue Schöpfung überhaupt erst möglich, wenn der Zugang offen und eben nicht

privat-exklusiv bleibt.66

Es würden in der immateriellen Welt andere Regeln herrschen, als

in der materiellen Welt, nur schon weil immaterielle Güter nicht der Knappheit unterliegen,

wie das auf anderen wirtschaftlichen Märkten der Fall ist. Ergebnisse geistiger Schöpfung

müssen, gemäss diesem Argumentationszusammenhang, allen Menschen zugute kommen,

damit sie sich weiterbilden, entfalten und entwickeln können. Es wird beklagt, dass die Ur-

heberrechtsreformen der letzten Jahre deutlich zu Gunsten der Privatinteressen gegangen

seien und dass damit das Urheberrecht von einem Kulturrecht zu einem Industrierecht ab-

gesunken wäre.67

Ursprünglich sei der Schutz der geistigen Schöpfung dazu gedacht, der

Öffentlichkeit bzw. der Allgemeinheit zu dienen und nicht Partikularinteressen. Auch die

Technologie des DRM steht damit im Kreuzfeuer der Kritik, nicht nur weil damit eigen-

tumsrechtliche Schranken ins Internet gezogen werden, sondern auch aus Datenschutz-

gründen.

Bisher wurde noch keine konsensfähige Möglichkeit für eine neue Urheberrechtsaus-

gestaltung gefunden. Es kann jedoch festgestellt werden, dass die Informationsökonomie

offensichtlich von der Vielfalt einer allgemein zugänglichen Wissensbasis lebt, also einer

Zerstreuung des Wissens auf möglichst viele Knoten. Hingegen sind die immateriellen

Eigentumsrechte darauf angelegt, neues Wissen in einzelnen Unternehmen zu

monopolisieren, was zu dem Effekt führt, dass die Erhaltung der gemeinsamen Wissens-

bestände gefährdet wird, obwohl sie für Innovationen, gerade in Netzwerkökonomien, so

notwendig wären. 68

Diese Entwicklung macht deutlich, dass das Modell des liberalen

Eigentumsschutzes, welches durch Exklusionsmöglichkeiten Wohlstand gewährleisten will,

zu überdenken ist.

2.2. Veränderungen des geistigen Eigentums

Das geistige Eigentum lässt sich als Bündel von Handlungsrechten bezeichnen, womit be-

stimmte Funktionen und Beziehungen geregelt werden, wie z.B. die Herstellung, Be-

arbeitung, Veröffentlichung, Vervielfältigung und gewerbliche Verwertung geistiger Werke

66

NUSS, S. 98. 67

NUSS, S. 99. 68

VESTING, S. 441.

Page 23: Wissensproduktion unter digitalen Bedingungen als Herausforderung für das Immaterialgüterrecht (Urheberrecht)

18

oder immaterieller Güter.69

Aus der Sicht der interdisziplinären Eigentumsforschung stellen

diese gesetzlich geregelten, geistigen Eigentumsrechte aber nur einen Bruchteil dar, von

sozialen und kulturellen Regeln, welche den Umgang mit Wissen und geistiger Schöpfung

bestimmen. Das rechtliche Institut des geistigen Eigentums steht in der aktuellen Debatte

um den Zugang zu Information und Wissen in digitalisierter Form im Kreuzfeuer der Kritik,

denn es wird argumentiert, dass Immaterielles, wie geistig-kreative Schöpfung, etwas ganz

anderes sei als Materielles und man es daher nicht wie Sacheigentum behandeln dürfe.70

Tatsächlich ist es aber so, dass auch die Produkte aus geistig-kreativer Arbeit immer mehr

dazu tendieren Warenform im Sinne des herrschenden bürgerlichen Wirtschaftsverständ-

nisses anzunehmen. Die produzierten Wissensgüter werden als Ware gegen Geld getauscht

und nur durch Zahlung erlangt man Zugang zum immateriellen Werk. Man kann also, trotz

ihrer unterschiedlichen Beschaffenheit, die Entwicklungen von materiellen und im-

materiellen Gütern nicht strikt auseinanderhalten.

So ist denn auch das geistige Eigentum den Propertisierungstendenzen ausgesetzt, selbst

wenn diese in zeitlicher Hinsicht erst deutlich später begonnen haben. Im 19. und frühen 20.

Jahrhundert hatten die Eliten noch ein hohes Interesse an der freien oder staatlich

organisierten Verbreitung bestimmter Wissensinhalte und Kulturgüter, weshalb die

Propertisierung in diesem Bereich erheblich behindert wurde.71

Die Privatisierung von

Boden, Immobilien und Kapital war viel radikaler als die Propertisierung von Kultur, Kunst

und Wissenschaft. Geistige Werke galten lange Zeit als kulturelle Gemeinschaftsgüter oder

öffentliche Güter. Auch heute wird von Gegnern einer restriktiven Eigentumspolitik mit

dem Konzept der öffentlichen Güter oder der „Commons“ geworben, welches im Gegen-

satz zu der umstandslosen Durchsetzung privater Verwertungsinteressen steht. Es gibt

sogar Stimmen, welche den Wissensschutz in eine Liste globaler öffentlicher Güter wie

Klimastabilität, Frieden, Sicherheit, Umweltschutz oder die Kontrolle anstreckender

Krankheiten einreihen und dementsprechend schützen wollen.72

Durch die Digitalisierung und das Internet wurden in den letzten zwei Jahrzehnten wieder

vermehrt kulturelle Artefakte, Wissensbestände und Informationen zu öffentlichen Gütern,

69

SIEGRIST, S. 25. 70

NUSS, S. 178. 71

SIEGRIST, S. 27. 72

NUSS, S. 103.

Page 24: Wissensproduktion unter digitalen Bedingungen als Herausforderung für das Immaterialgüterrecht (Urheberrecht)

19

die jetzt aber von Unternehmen mithilfe des geistigen Eigentumsrechts und technischer

Sperren zu „knappen Gütern“ umdefiniert und damit „marktfähig“ gemacht werden.73

Nun hat sich das geistige Eigentum aber auf einen neuartigen Träger verlagert. War es erst

die Einzelperson, dann das Unternehmen, das sich Eigentum über Patente und Urheber-

rechte aneignete, so ist es jetzt ein Netzwerk, in dem das Wissen über Knoten auf eine

„Community of Creation“, jenseits der herkömmlichen Unternehmensgrenzen, zerstreut

wird.74

Wird vor diesem Hintergrund die Exklusionsfunktion des Eigentums beibehalten,

besteht die Gefahr, dass es entweder zu extremen Zersplitterung von Eigentumsrechten

oder, aufgrund von Netzwerkeffekten, zu einer Monopolisierung von Märkten kommt.75

Dem würde die Gefahr folgen, dass die Innovationsfähigkeit der jeweiligen Industrie

blockiert würde. Die Zersplitterung von exklusiv angeeigneten Patentrechten ist z.B. in der

Automobilindustrie, v.a. im Bereich der elektronischen Bauteile, zu sehen, wo es nur noch

mit extrem hohen Managementaufwand zu Produktinnovation kommen kann. Als Beispiel

für problematische Monopolstellungen dient die Computersoftware, wo v.a. Microsoft den

Weltmarkt für PC-Betriebssysteme dominiert.76

Zu viele Ressourcen werden dort an nur ein

Unternehmen gebunden und damit netzwerkgerechte Innovation aufgehalten.

Die Lösung der hier aufgezeigten Probleme der Wissensproduktion kann nicht einfach

durch eine gesetzgeberische Änderung des Eigentumsbegriffes erfolgen. Staatliche

Regulierung kann Innovation nur mittelbar erreichen, d.h. nur durch das Setzen von ent-

sprechenden Anreizen und nur durch die Beachtung der Eigenlogik des Eigentums.77

Die

dynamischen und heterarchischen Beziehungsnetzwerke der Privateigentümer kann aber

nicht unmittelbar auf Innovation programmiert werden. Mit dem Übergang zur liberalen

Eigentumsordnung ist jede Möglichkeit, Eigentumsgebrauch unmittelbar „steuern“ zu

wollen, unmöglich geworden.78

Es ist eine verbreitete Fehlvorstellung, dass Eigentums-

positionen durch Inhaltsbestimmungen oder Ausgestaltungsgesetze erst

schaffen“ würden. Die Funktionsregeln von Eigentum sind unauflöslich an die Kon-

ventionen und Anschlusszwänge gebunden, welche durch die in der Gesellschaft zer-

streuten, praktischen Wissensbestände und Vorstellungen erzeugt wurden79

. Also an ein

73

SIEGRIST, S. 27. 74

VESTING, S. 440. 75

LADEUR/VESTING, S. 138. 76

VESTING, S. 440. 77

LADEUR/VESTING, S. 131. 78

LADEUR/VESTING, S. 142. 79

LADEUR/VESTING, S. 132.

Page 25: Wissensproduktion unter digitalen Bedingungen als Herausforderung für das Immaterialgüterrecht (Urheberrecht)

20

Gefüge von veränderbaren Verknüpfungen, das in seiner Dynamik nicht prognostiziert

werden kann.

In der Praxis sind bereits einige Modelle entstanden, welche z.T. durchaus das Potenzial

haben, herkömmliche Eigentumsmodelle im Bereich des Immaterialgüterrechts dauerhaft

abzulösen.80

Im folgenden Kapitel soll daher überblicksweise ein mögliches Konzept auf-

gezeigt und am Beispiel von Wikipedia verdeutlich werden.

IV. Alternative Regelsysteme in kollaborativen Netzwerken

1. Lizenzkonzepte

Die Idee hinter Netzwerkkonzepten ist das gleichzeitige Erfüllen von individuellen und

kollektiven Interessen, also eine duale Orientierung von Handlungen.81

Offene

kollaborative Netzwerke basieren auf Freiwilligkeit, die Teilnehmer folgen ihrer eigenen

Motivation (z.B. Reputation, Spass, etc.) und Initiative; ihre zeitliche und inhaltliche Be-

teiligung bestimmen sie selbst. Keine zentrale Koordination von Beteiligungen oder

Hierarchien schreiben den Teilnehmern etwas vor. Damit die Individuen das Potenzial der

Förderung von kollektiven Interessen möglichst ausschöpfen können, muss das Netzwerk

möglichst offen ausgestaltet sein, also der Zugang nicht durch rechtliche oder technische

Schranken versperrt werden. Der Vorreiter dieser „Open Access“-Bewegung fand sich im

Bereich der Softwareentwicklung und setzte die Idee um, mit nichtproprietärer, netzwerk-

artiger Produktentwicklung die Nutzung von Software für jedermann zu bieten.

Innerhalb dieser freiwilligen Netzwerke haben sich eigene Regelsysteme gebildet, die ein

Aufrechterhalten der Funktionsfähigkeit solcher komplexer Projekte gewährleisten. Neben

Verhaltensstandards sind dies vor allem Regeln, die den Zugang sichern. Ausserdem

werden Modalitäten festgelegt für die Abänderung der bestehenden Regulierungen, damit

sich Netzwerkprojekte auch weiterentwickeln und an neue Bedingungen anpassen können,

z.B. um Lizenzkompatibilität zu erlangen.82

Als wichtigstes rechtliches Instrument, welches

einen offenen und andauernden Zugang sichert, gilt das Copyleft-Prinzip, welches als

Klausel in Nutzungslizenzen eingesetzt wird. Das Copyleft sieht vor, dass Bearbeitungen

80

BENKLER, S. 66. 81

WIELSCH, S. 97, Rz. 8. 82

WIELSCH, S. 97, Rz. 5.

Page 26: Wissensproduktion unter digitalen Bedingungen als Herausforderung für das Immaterialgüterrecht (Urheberrecht)

21

des Werks nur dann erlaubt sind, wenn alle Änderungen ausschliesslich unter den

identischen Lizenzbedingungen weitergeben werden, unter welchen auch die Ursprungs-

version stand.83

Durch dieses Prinzip wird das Copyright instrumentalisiert und ermöglicht

es anderen, die bestehenden Beiträge kostenlos zu nutzen. Dadurch wird das exklusive

Recht nicht wegbedungen, sondern seine Funktion umgekehrt, von der Sicherung der Vor-

rechte der Autoren, hin zur Sicherung der Freiheiten der Nutzer. 84,85

Als Ergebnis davon ist

das Recht Inhalte zu benutzen auf alle zerstreut und alle können nun unabhängig über die

Benutzung von ein und der selben Quelle entscheiden, was die Chancen von kreativen

Entwicklungen und nachfolgenden Innovationen vervielfacht.

Die bedeutendsten Copyleft-Umsetzungen sind die GNU General Public Licence (GNU

GPL) und die GNU Free Documentation Licence (GNU FDL).86

Sie bilden den Ausgangs-

punkt für die meisten anderen Copyleft-Lizenzmodelle. Die GNU GPL wird für Open-

Source-Software verwendet, während die GNU FDL für Textwerke jeder Art gebraucht

wird und Rechte gewährt wie u.a. die Vervielfältigung, Bearbeitung und das Zusammen-

fügen von Werken unter der Bedingung, dass die (bearbeiteten) Werke wiederum der GNU

FDL unterliegen.87

Mit dem Aufstieg der „Open-Access“-Bewegung entstand eine Vielzahl von weiteren

offenen Lizenzmodellen. Die Idee dahinter war, die Lizenzen perfekt auf die Bedürfnisse

der Werkproduzenten und der jeweiligen Projekte zu zuschneiden.88

So sind auch die sog.

Creative Commons-Lizenzen entstanden, die sich von den GPL und FDL-Modellen unter-

scheiden. Einerseits sind die Creative Commons-Lizenzen ursprünglich auf die Veröffent-

lichung von Werken im Internet ausgerichtet, andererseits wurde nicht eine einzelne Lizenz

für alle Anwendungsbereiche geschaffen, sondern eine Anzahl unterschiedlicher Lizenz-

Module, welche in Kombination eine vollständige und auf die Wünsche des Urhebers zu-

geschnittene Lizenz ergeben.89

Die verschiedenen Lizenzkonzepte gewähren zwar die gleichen Kern-Freiheiten, sind aber

untereinander inkompatibel. Ein Werk, das unter eine offene, freie Lizenz gestellt wurde,

kann nicht gleichzeitig unter eine andere offene, freie Lizenz gestellt werden. Auch

83

ROSENKRANZ, S. 16. 84

Diese Umkehrung wird im Wortspiel von „left“ und „right“ deutlich. 85

WIELSCH, S. 97, Rz. 9. 86

BENKLER, S. 64. 87

ROSENKRANZ, S. 25. 88

WIELSCH, S. 99, Rz. 18. 89

ROSENKRANZ, S. 26.

Page 27: Wissensproduktion unter digitalen Bedingungen als Herausforderung für das Immaterialgüterrecht (Urheberrecht)

22

Wikipedia stand zeitweise vor diesem Problem der Inkompatibilität der Lizenzen. Es soll

hier zum Schluss noch überblicksartig auf das Beispiel Wikipedia eingegangen werden.

2. Wikipedia

Das wohl grösste und bekannteste Open Content Projekt ist zur Zeit Wikipedia. So wie

Linux das Vorzeigeprojekt für die Open Source Software ist, gilt dies wohl für Wikipedia

bei Open Contents. Seit Jahren zählt die Internet-Enzyklopädie zu den zehn meistbesuchten

Websites – für Nachrichten und Informationen gilt sie gar als die wichtigste.90

Das

heterarchische Entwicklungsmodell von Wikipedia, bei dem sich jeder ohne vorherigen

Nachweis einer fachlichen Qualifikation an der Erstellung von Inhalten beteiligen kann,

bietet aber auch Anlass zu Zweifeln an der inhaltlichen Qualität der gebotenen

Informationen. Aufgrund der noch andauernden Qualitätsdebatte wurden übergreifende

Qualitätstests von Zeitschriften durchgeführt, bei denen Wikipedia durchweg positiv ab-

geschnitten hat. Wikipedia wurde mit anderen Enzyklopädien verglichen, etwa mit der

Encyclopedia Britannica oder der Online-Ausgabe des Brockhaus, und schnitt dabei teil-

weise sogar deutlich besser ab, was die Fehlerquote, Aktualität und inhaltlichen Umfang

anbelangte.91

Durch die Methode der Belegpflicht wird sichergestellt, dass die

Informationen, welche in Artikeln von Wikipedia enthalten sind, in vertrauenswürdigen

Quellen publiziert wurden. In den „Einzelnachweisen“ werden durch Fussnoten die Quellen

für einzelne Passagen oder Informationen offengelegt.92

Wikipedia ist aber nicht nur eine bedeutende Informationsquelle und ein wichtiger Ort

öffentlicher Kommunikation, sondern es repräsentiert zugleich ein neues Produktions-

modell. Durch dieses ist Wissen als (ökonomische) Ressource nicht mehr auf Exklusivität

gerichtet, sondern es ermöglicht die Verknüpfung von bestehendem mit neuem Wissen als

öffentliches Gut (als commons).

Als Instrument zur Umsetzung dieser Idee, wurden die neuen, offenen Lizenzen mit

Copyleft-Klauseln verwendet. Seit Januar 2001 wurden alle Artikel unter die GNU Free

Documentation Licence gestellt. Den Artikeln hinzugefügte Bilder und Fotos konnten

allerdings auch unter Creative Commons Lizenzen gestellt werden, entweder

ausschliesslich oder zusätzlich durch Mehrfachlizenzierung.93

Mit dem enormen Wachstum

90

LUETHI/OSTERLOH, S. 212. 91

BENKLER, S. 72. 92

LUETHI/OSTERLOH, S. 220. 93

ROSENKRANZ, S. 32.

Page 28: Wissensproduktion unter digitalen Bedingungen als Herausforderung für das Immaterialgüterrecht (Urheberrecht)

23

von Wikipedia entstanden aber zunehmend Probleme mit der speziellen Ausrichtung der

GNU FDL und ihrer Inkompatibilität mit anderen Open Content-Lizenzen. Es wurde immer

unpraktikabler, die FDL-lizenzierten Texte in Creative Commons-lizensierte Projekte mit

einfliessen zu lassen. Es kam schliesslich 2009 zu einer Re-Lizenzierung des gesamten Be-

standsinhaltes von Wikipedia, welche es ermöglichte, alle Inhalte nun unter beide Lizenzen

zu stellen.

Das Bemerkenswerte daran sind die flexiblen Mechanismen, die eine solche notwendige

Systemänderung, wie eine Re-Lizenzierung, ermöglichen. Es musste nämlich erst eine

Lizenzerneuerung der vormals geltenden GNU FDL vorgenommen werden, welche die

Möglichkeit eröffnete einen Lizenzwechsel zu besagter Creative Commons-Lizenz vorzu-

nehmen. Es stellte sich die Frage wer in einem offenen, kollaborativen Netzwerk die Ent-

scheidungsbefugnis inne hat, die normalerweise beim Rechteinhaber des Werkes sind.

Gelöst wurde das Problem über ein Konsensfindungssystem, welches sich als eines von

vielen „inneren“ Prinzipien im Netzwerk herausgebildet hat. Diese sog. user generated

contents (ugc) sind intern entwickelte Instrumente, wie Umfragen oder Vermittlungsver-

fahren, welche Wikipedia als basisdemokratisches Netzwerkkonzept legitimieren.94

Wenn man sich nun fragt, wem Wikipedia denn eigentlich gehört, wird man auf zweierlei

Antworten stossen. Knüpft man die geistigen Werke der Autorenschaft an die Eigentums-

regeln des Immaterialgüterrechts kommt man zum Schluss, dass die Inhalte von Wikipedia

(bis jetzt) niemandem gehören. Geht man hingegen von der Funktionsweise des Lizenz-

konzeptes aus, so muss man auch Rousseau Recht geben mit seiner Aussage, dass die

„Früchte“ (geistigen Schaffens) allen zuständen.95

V. Zusammenfassung

Technologischer Fortschritt, v.a. das Internet hat neue Netzwerkbedingungen in der Gesell-

schaft geschaffen, welche eine neue Form von organisierter Wissensproduktion ermög-

lichen: radikal dezentralisiert, kollaborativ und nicht-proprietär, werden Ressourcen und

Erträge geteilt zwischen weit verbreiteten, lose verbundenen Individuen, die kooperieren,

ohne von Marktschwankungen oder hierarchischen Systemen abhängig zu sein.96

94

WIELSCH, S. 98, Rz. 12. 95

Vgl. III. 1.1. Privateigentum als gesellschaftliche Leitidee, S. 8. 96

BENKLER, S. 60.

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Das auf Freiwilligkeit basierende Internetprojekt Wikipedia verkörpert den Trend, den man

„digitalen Altruismus“ nennen könnte.97

Die Bereitschaft, geistige Arbeit zu leisten, ohne

dafür einen erkennbaren Gegenwert in Form von Geld oder persönlicher Anerkennung von

den begünstigten Nutzern zu empfangen, stellt für all jene eine Bedrohung dar, die als

Wissensproduzenten oder Kulturschaffende auf Einkünfte angewiesen sind und damit auf

die Gewährleistung ihrer geistigen Eigentumsrechte. Die Gegner dieser nach-

kapitalistischen Wissensordnung befürworten deshalb auch die laufenden

Propertisierungsprozesse, welche die Eigentumsrechte auf immer mehr Lebensbereiche

ausweiten und ihnen dadurch die Verwertung ihrer geistigen Werke sichert.

Die kontinuierliche Ausdehnung des Privateigentums als fest verankerte, gesellschaftliche

Leitidee, lässt dessen Grenzen kaum mehr verbindlich festsetzten. V.a. mit der Entgrenzung

des geistigen Eigentums in der liberalisierten und digital vernetzen Weltgesellschaft, steigt

das Risiko der Aufblähung, Fragmentierung und Überforderung proprietärer Institutionen.98

Es ist v. a. die Aufgabe des Rechts, innovationsfördernde Bedingungen zu schaffen und ein

Gleichgewicht zu finden, zwischen der Berücksichtigung der Interessen. Auf der einen

Seite muss eine genügende Anreizstruktur für die Wissensproduzenten geschaffen, auf der

anderen Seite eine Offenheit der Wissensbasis, als Voraussetzung für netzwerkartige

Wissensgenerierung, gewährleistet werden. Die Interdisziplinäre Eigentumsforschung sucht

daher auch nach der optimalen Institutionenmischung für den Übergang von der Industrie-

gesellschaft zur Wissens- und Informationsgesellschaft. Bisher wurde noch keine konsens-

fähige Lösung zur Ausgestaltung des geistigen Eigentums gefunden. Aber alternative

Modelle, wie das Lizenzkonzept von Wikipedia, haben ihre Leistungs- und Anpassungs-

fähigkeit an neue gesellschaftliche Bedingungen bisher durchaus bewiesen.

Technologische Innovationen eröffnen neue Handlungsmöglichkeiten und setzen Interessen

frei, die sich im Widerspruch zur überlieferten Eigentumsordnung befinden und

Änderungsdruck erzeugen können. Auf längere Sicht erzeugen die neuen technologischen

Chancen die Neuordnung der gesellschaftlichen Produktionsregulierungen, und es ist nicht

zu erwarten, dass die Versuche einer politisch-rechtlichen Fesselung auf Dauer Erfolg

haben werden.99

97

SCHEFCZYK, S. 1. 98

SIEGRIST, S. 52. 99

SCHEFCZYK, S. 3.

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Erklärung

Ich bestätige mit meiner Unterschrift, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig ohne

Mithilfe Dritter verfasst, und in der Arbeit alle verwendeten Quellen angegeben habe. Ich

nehme zur Kenntnis, dass im Falle von Plagiaten auf Note 1.0 erkannt werden kann.

Ort, Datum: Unterschrift: