WS 08-09 Demokratie

38
vivadrina unabhängiges studierendenmagazin der viadrina Der und seine Fadenführung NEUE 15 Jahre Collegium Polonicum Im interview: Gunter Pleuger politik heute und morgen Studentengelder futsch Heft 4 / November 2008 – 1€ / 3,70 zł

description

vivadrina unabhängiges studierendenmagazin der viadrina 15 Jahre Collegi um Polonic um Im intervie w: Gunter Pleuger politik – heute und morgen Student engelde r futsch Heft 4 / November 2008 – 1€ / 3,70 zł

Transcript of WS 08-09 Demokratie

Page 1: WS 08-09 Demokratie

vivadrinaunabhängiges studierendenmagazin der viadrina

Derund seine Fadenführung

NEUE

15 Jahre Collegium Polonicum

Im interview: Gunter Pleuger

politik – heute und morgen

Studentengelder futsch

Heft 4 / November 2008 – 1€ / 3,70 zł

Page 2: WS 08-09 Demokratie

1 inhalt

2 Vorwort36 Impressum

3 Was ist für dich die Viadrina? Wofür willst du deinen Aufenthalt in Frankfurt (Oder) nutzen?

4 Von NYC nach FFO Ein Gespräch mit Gunter Pleuger

8 Studentengelder futsch! Die Finanzkrise und ihre Auswirkungen auf die Viadrina

9 Kommentar AStAs Aktienabenteuer

10 Fachschaftsrat Wiwi

11 Fachschaftsrat Jura

11 Fachschaftsrat Kuwi

12 Einführung in die studentische akademische Selbstverwaltung an der Viadrina

14 Das Uniorchester Die Viaphoniker

15 Den Gründergeist aus der Flasche lassen

16 Quo vadis Collegium Polonicum?

18 Erlebnisbericht eines Erstis

20 Übermüllte Werbefläche - Große Werbeschwäche Kein Kompliment für’s Werbe-Sortiment, Zeit für’n Experiment mit Advertisement.

22 Ein Nachruf In memoriam Kittsteiner

23 Vom Odersand an den Mittelmeerstrand Erasmuseindrücke aus Nizza

26 Meine Reise auf dem Jakobsweg Auf den Spuren einer traditionsreichen Pilgerroute

30 „Waltz with Bashir“ - Film als Therapiemaßnahme oder die Neuerfindung eines Kinogenres

30 „Burn After Reading – Wer verbrennt sich hier die Finger?“

31 Schwarz-Sehen für Anfänger Heute: Radio Hören

32 Fettes Brot – „Ich lass dich nicht los“ Eine Songinterpretation

34 Deutschland 2020 Auslaufmodell Demokratie und die Rolle des Fernsehens bei Wahlen

seite drei

titel

uni

uni

welt/stadt

kultur

11

8

16

Ein historisches Ereignis – alle drei Fachschafts-räte haben es zum ersten Mal geschafft, sich pünktlich für eine Ausgabe vorzustellen.

Talfahrt unserer Studentengelder – Wenn der AStA spekuliert

Page 3: WS 08-09 Demokratie

2

Ich grüße euch, Mitglieder der Fakultäten, Fakultätsmitglieder, Studenten der Viadrina und Viadrina-Studenten (ich hoffe, ich habe keinen vergessen).

Vor euch seht ihr die neuste Ausgabe der Vivadrina. „Neu“ ist geradezu ein Schlüsselwort. Wir haben neue Artikel von neuen Mitgliedern in einem neuen Semester mit neuen interes-santen Themen, wie dem neuen Präsidenten.Staatssekretär, Diplomat, Unipräsident – welch ein Werdegang für einen Rewi...In einem umfangreichen Interview berichtet Herr Dr. Pleuger optimistisch von seinem neu-en Amt.Des weiteren haben wir uns eure Wünsche zu Herzen genommen und wieder mehr Artikel für euch, die sich mit dem Leben an der Viadrina beschäftigen: Geburtstag des CP... Ersti-Eindrücke... werberesistente Studenten...Ein weiteres Thema ist Politik: In der Praxis der studentischen Gremien AStA + StuPa und im Jahr 2020.Apropos AStA und StuPa: Der Artikel über das Finden und Verlieren von Studentengeldern könnte einige Gemüter erregen, doch wir sehen es als unsere Pflicht an, den Studenten auch einen Einblick in trockene Hochschulpolitik zu gewähren.Darum wollen wir EURE Meinung wissen: Was haltet IHR vom riskanten Spekulieren mit EUREN Geldern?

Viel Spaß beim Lesen wünschtMario Mische

Serdeczne pozdrowienia dla Was członków fakultetów, fakultetów członków, studentów Viadriny, Viadriny studentów (chyba o nikim nie zapomniałem),

To dla Was najnowsze wydanie Vivadriny. „Nowy” to słowo kluczowe najnowszego wydania. W najnowszym numerze mamy dla was nowe artykuły przygotowane przez nowych członków naszej gazety na nowe interesujące tematy, takie jak nowy Prezydent Viadriny.W obszernym wywiadzie Pan Dr. Pleuger opowiada nam optymistycznie o swoim nowym urzędzie.Ponadto wzięliśmy sobie Wasze życzenia do serca i znowu zajęliśmy się tematami związanymi z życiem studenckim i Viadriną: urodziny CP..i

….pierwsze wrażenia nowych studentów…Następnym tematem jest polityka: studenckie gremia Asty i StuPy, także polityka w 2020 roku.Apropos Asty i Stupy: artykuły o znajdywaniu i utracaniu studenckich zasobów mogą niektórych ocknąć, w końcu uznajemy za nasz obowiązek, także przedstawić Wam pokrótce politykę uniwersytetu.Dlatego chcielibyśmy poznać i Wasze zdanie: co sądzicie o ryzykownych spekulacjach Waszymi pieniędzmi?

Przyjemnej lektury życzy Wam

Mario Mische

Staffelübergabe an der Viadrina pa

Page 4: WS 08-09 Demokratie

3

Die Viadrina und Frankfurt bedeuten für uns Coolness und Entspannung, aber auch Kälte. In Deutschland ist es immer so kalt! Aber die Viadrina besteht auch aus wirklich fantastischen Ge-bäuden!

Wir möchten viel reisen, be-sonders durch Deutschland, neue Kulturen kennen lernen und natürlich studieren.

Ali Tauer (23) IBA, Irgecan Ilik (20), IBA, Dila Okcu (19), IBA, Osman Sen (23), Interna-tional Relations, Türkei

Die Viadrina bedeutet für mich die Möglichkeit andere As-pekte des Studiums und des Studierens; als in unserer Hei-mat; zu entdecken.

Wir wollen unsere Deutschkenntnisse verbessern, ECTS und Materialien für unsere Diplomarbeit über Frankfurt (Oder) sammeln und Berlin und Dresden entdecken.

Rita MülleR (20), Tímea Takacs (23); Renáta Annus (23); BWL, Ungarn

Die Viadrina bedeutet für uns die Möglichkeit er-wachsen zu werden, neue Erfahrungen zu ma-chen, Deutsch zu lernen und die Geschichte Ber-lins zu entdecken. Die Viadrina ist ein großer Teil unseres Lebens.

Wir wollen durch Europa reisen, feiern gehen und natürlich studieren. Besonders wollen wir uns die Städte Hamburg und Berlin anschauen und nach Polen, England, Spanien und Italien reisen. Ach, eigentlich überall hin!

Cecilia Zumarraga (23), Victoria Pessah (21), Ar-gentinien; Giuliana Baghini (23), IBA, Argentini-en

Was ist für dich die Viadrina?

Wofür willst du deinen Aufenthalt in Frankfurt

(Oder) nutzen?

F o t o s : privat

sl

Page 5: WS 08-09 Demokratie

titel4

Herr Dr. Pleuger, die vivadrina begrüßt Sie noch einmal an der EUV. Sie haben in Köln, Bonn und Paris studiert. Wie waren Sie als Student und welche Unter-schiede sehen Sie zur heutigen Studen-tenschaft?

Die Universitäten waren früher natürlich anders strukturiert als heute. Ich gehöre

noch zu der Generation von vor ’68. Damals gab es die Universität der Pro-fessoren mit großen Insti-tuten. Es gab zwar schon den AStA, aber der hatte noch nicht viel zu sagen. Ich habe angefangen in Köln zu studieren, einer sehr großen Universität. Man hatte nur wenige Kontakte zu seinen Pro-fessoren und kannte auch innerhalb der Studenten-schaft nur wenige Leute. Eine große Universität hat den Nachteil einer gewis-sen Anonymität, was hier aber ganz anders ist. Was mich weiterhin an der Via-drina angezogen hat, war die Fröhlichkeit, die Initia-tive und die Kreativität der Studentenschaft hier.

Sie sind in Ihrer berufli-chen Laufbahn bereits viel herumgekommen. Was war ihre Motivation an die Viadrina zu kommen und hier in Frankfurt zu arbei-ten?

Ich hatte die letzten zwei Jahre einen Lehr-auftrag an der Universität Potsdam. Das fand ich sehr interessant, vor allen Dingen weil der Umgang mit Studenten im Semi-nar immer eine intellektuelle Herausforde-rung ist, so dass ich von der Tätigkeit an einer Universität eigentlich sehr begeistert war. Als dann der Ruf an mich erging, hier nach Frankfurt zu kommen, hat mich be-sonders die politische Brückenfunktion die-ser Universität gereizt. Nicht nur zwischen Deutschland und Polen, sondern nach Ost-europa und auch darüber hinaus. Ich glaube, die Viadrina hat als europäische Universität einen besonderen Auftrag: jun-ge Leute vorzubereiten für die Europäische Union, d.h. für den Dienst an und in Eu-ropa.

Haben Sie die Zeit seit Ihrer Wahl im Juli bereits nutzen können, um sich in das neue Amt einzufinden?

Es war sicherlich ein gutes Omen, dass ich mein Amt nicht hier in Frankfurt, son-dern an unserer Partneruniversität, der Adam-Mieszkiewicz-Universität in Posen angetreten habe, die am ersten Oktober die feierliche Eröffnung des neuen Akade-mischen Jahres hatte. Von Posen bin ich dann nach Warschau gefahren und habe dort Gespräche mit der Rektorin unserer Partneruniversität geführt, was sehr posi-tiv und freundschaftlich war. Ich bin dann erst nach Frankfurt gefahren, um hier auf Einladung des Bürgermeisters den Dritten Oktober zu feiern.Ich habe mich natürlich seit meiner Wahl intensiv vorbereitet auf dieses neue Amt, denn es ist schon anders, als eine große Behörde zu führen oder eine Botschaft. Ich habe viele Gespräche geführt mit Frau Schwan, ich habe mit dem Kanzler gespro-chen, mit Professoren, sodass ich bei mei-nem Dienstantritt sicherlich noch nicht alle Managementprobleme im Griff habe, doch einigermaßen gut beraten bin und mich auf diese neue Aufgabe freuen kann.

Die Viadrina hat einen neuen Präsidenten: Dr. Gunter Pleuger war Staatssekretär im Auswärtigen Amt und deutscher Vertreter bei den Vereinten Nationen. Er hat seit Ok-tober das Amt von Prof. Dr. Gesine Schwan übernommen. An einem Freitagvormittag empfing uns Herr Pleuger gut gelaunt im Präsidialbü-ro. Redselig berichtete er, was ihn nach Frankfurt gebracht hat, welche Ideen er in Zukunft an der Universität verwirklichen möchte und welche Konsequenzen eine verstärkte wirtschaftliche Ausrichtung der Uni haben wird.

Zur Person

Dr. Gunter Pleuger, Jahrgang 1941, ge-boren in Wismar; Botschafter a.D., ver-heiratet, zwei Kinder.Pleuger studiert Rechts- und Politik-wissenschaft in Köln, Bonn und Paris. 1969 tritt er in den Auswärtigen Dienst ein und arbeitet in der Ständigen Ver-tretung bei der UN in New York. Wei-tere Stationen: Europapolitisches Re-ferat des Auswärtigen Amts, Pressere-ferent der deutschen Botschaft in New Delhi, Vorsitzender des Personalrats und Leiter des Referats für Öffentlich-keitsarbeit, politischer Gesandter in Washington. Seine wichtigsten Positi-onen sind das Amt des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt und des Ständi-gen Vertreters Deutschlands bei den Vereinten Nationen.Nach seiner Laufbahn als Diplomat lehrt er an der Uni Potsdam, am Lehr-stuhl für Internationale Organisation und Politikfeldforschung. Im Juli 2008 wählen Stiftungsrat und Senat der EUV den 67-Jährigen zum Nach-folger von Prof. Dr. Gesi-ne Schwan. Seit dem ersten Oktober ist Dr. Gunter Pleuger neuer Viadrina-Präsident.

Von NYC nach FFOEin Gespräch mit Gunter Pleuger

Page 6: WS 08-09 Demokratie

5 titel

Bei der Eröffnung des Akademischen Jah-res haben Sie davon gesprochen, dass die Viadrina im Wettstreit um die Studenten ein Alleinstellungsmerkmal benötigt. Wie sehen Ihre Vorstellungen zur Zukunft der Universität aus?

Ich glaube, dass die Qualität einer Univer-sität von der Qualität der Professoren und der Studenten abhängt. Beides wiederum bedingt die Attraktivität einer Universität. Denn nur wenn eine Universität gut ist, kommen auch gute Studenten und Pro-fessoren. Wie kommt man dahin? Erstens einmal glaube ich, dass wir ein Lehrange-bot vorlegen müssen, dass nicht nur für Studenten aus der Region, also aus Bran-denburg oder aus der polnischen Nach-barschaft, attraktiv ist, sondern insgesamt. Dazu braucht man gewisse Alleinstellungs-merkmale, insbesondere wenn man eine kleine Universität ist wie die Viadrina und Berlin mit seinen großen Universitäten in der Nachbarschaft hat. Und ich glaube, dass hier einmal die Vorstellung wichtig ist, dass wir eine europäische Universität sind mit Schwerpunkt auf europäischen Fragen, in allen drei Fakultäten. Denn die europäische Integration ist ja nicht nur eine wirtschaftliche und politische Entwicklung, sondern auch ein kultureller Prozess der weiteren Integration der Mitgliedsstaaten. Wenn wir die Studenten darauf vorberei-ten können, dass sie bessere Chancen ha-ben in europäische Institutionen beruflich einzusteigen, dann wird sich das herum-sprechen und dazu führen, dass aus vielen anderen Regionen gute und interessierte Studenten zu uns stoßen. Das zweite ist, dass wir insbesondere auch im wirtschaftlichen Bereich in enge Zusam-menarbeit mit den Unternehmen der Regi-on treten und fragen: Was erwartet eigent-lich die Wirtschaft von den Wirtschaftsstu-denten, die von dieser Universität kommen? Welche Lehrinhalte sind gefragt? Damit die Studenten, wenn sie ihr Studium hier been-det haben, eine gute Chance haben in der regionalen Wirtschaft, unterzukommen; insbesondere aber auch in der Wirtschaft, die nach Osteuropa ausgerichtet ist.

Könnten diejenigen Studenten, die keine Karriere in dieser Richtung, etwa in einer europäischen Institution, anstreben, aus dem Blickfeld geraten? Der Lehrstuhl für Politik beispielsweise ist nur ein kleiner Be-standteil der Uni.

Nein, das glaube ich nicht. Sehen Sie, es

gehen ja nicht nur Studenten in eu-ropäische Institu-tionen, sondern auch in die Politik. Ich glaube, dass die Studenten aller Fakultäten in ihrem späteren Leben einmal Führungs-positionen einneh-men werden, sei es in der Politik, sei es in der Wirtschaft, sei es in den inter-nationalen Organi-sationen. Was wir hier in unsere Stu-denten investieren, das bekommt die nächste Genera-tion der politischen Klasse, der Wirt-scha f t s führ ung und der Zivilgesell-schaft zurück. In all diesen Bereichen spielt die weitere Integration Euro-pas eine zentrale Rolle. Die Europäi-sche Union ist für Deutschland und alle Mitgliedsstaa-ten das Beste, was uns in den letzten 800 Jahren passiert ist. Wir haben ein großes Interesse die Integration der Europäischen

Union in allen ihren Bereichen - wirtschaft-lich, sozial, zivilgesellschaftlich -voran-zutreiben. Alle, die sich an diesem Werk beteiligt haben, haben davon profitiert. Es gibt auf der ganzen Welt keine Region, die stabiler ist, sowohl in ihrer politischen Struktur als auch in ihrer wirtschaftlichen Prosperität, wie die EU.

Planen Sie zur Umsetzung dieser Vorha-ben eventuell einen neuen Studiengang, der speziell auf den diplomatischen Dienst vorbereiten soll?

Auf den diplomatischen Dienst kann man

sich an dieser Universität sehr gut vorberei-ten. Wenn Sie in den Auswärtigen Dienst wollen, dann müssen Sie einen Auswahl-wettbewerb machen - keine Prüfung, in der Sie bestehen, sondern wo Sie sich unter den 45 besten platzieren müssen, um dann in die Attachélaufbahn aufgenommen zu werden. Das Auswärtige Amt hat eine zu-sätzliche Ausbildung. Diese verlangt in der Aufnahmeprüfung im Wesentlichen ein sehr gutes Querschnittwissen. Sie müssen in Ihrem Fach einigermaßen gut sein, aber es kommt nicht darauf an, ob Sie Volkswirt oder Jurist sind, sondern dass Sie in Ihrem Curriculum Vitae nachweisen, dass Sie sich für alles andere, was in der Politik wichtig ist, auch interessieren. Man wird, wenn sie Jurist sind, nicht von Ihnen verlangen, dass Sie volkswirtschaftliche wissenschaftliche Aufsätze schreiben können. Aber man will wissen: Lesen Sie auch den Wirtschaftsteil der Zeitung? Haben Sie sich in Ihrer Aus-bildung mit den Fragen befasst, die im Auswärtigen Dienst wichtig sind? Das ist internationale Politik, das ist aber auch die internationale Wirtschaft und das interna-tionale Konsularrecht.

„Ich glaube, dass die Studen-ten aller Fakultäten in ihrem späteren Leben einmal Füh-rungspositionen einnehmen werden“

Page 7: WS 08-09 Demokratie

6 titel

Das Wichtigste ist zunächst mal, diese Aus-wahlwettbewerbe zu bestehen. Da gibt es im Auswärtigen Amt einen sehr guten Kurs und den möchte ich hierher bringen. Jun-ge Leute, die sich dafür interessieren in eu-ropäische Institutionen zu gehen, wie den Europarat oder die Kommission, sollen als das i-Tüpfelchen auf ihrer Ausbildung noch eine Vorbereitung bekommen: Was muss man wissen, wie muss man sich verhalten, um bessere Chancen zu haben, diesen Aus-wahlwettbewerb zu bestehen.Wir haben mit diesem Kurs, den ich vor vielen Jahren, als ich noch Staatsekretär war, selber eingerichtet habe, am Anfang erstaunliche Erfolge erzielt und Jungaka-demikern, die durch diesen Kurs gelaufen waren, eine 85 % höhere Chance gegeben, auch genommen zu werden. Das war für uns ein Erfolgserlebnis und ich hoffe, dass man das hier nach Frankfurt transplantie-ren kann. Dann glaube ich, hätten wir ein gewisses Alleinstellungsmerkmal, denn dann würden wir unseren Absolventen eine Chance bieten, die sie woanders nicht bekommen könnten.

Müsste man sich für den Lehrgang bewer-ben?

Ja, denn es wäre ein zusätzlicher Kurs. Der ist gar nicht so lang und findet am Ende des Studiums statt. Wenn Sie ihr Examen schon bestanden haben können Sie natürlich auch noch dazukommen. Wenn Interesse besteht ließe sich auch etwas Ähnliches für den internationalen Bereich der Vereinten Nationen einrichten, in dem ich während meines beruflichen Lebens hauptsächlich zu Hause war. Man muss dann aber sehen wie groß das Interesse ist.

Planen Sie zusätzlich zu praxisorientierten Lehrgängen von Ihren Netzwerken und Be-kanntschaften im Auswärtigen Amt zu pro-fitieren? Zum Beispiel in dem Sie Gastdo-zenten aus den verschiedenen Bereichen der Politik an die Uni holen?

Ja, einmal werde ich mich sicherlich bemü-hen hier Gastdozenten an die Viadrina zu holen. Vor allem möchte ich aber auch den Studenten der Viadrina die Möglichkeit bieten ein Forum zwischen Politik und Zi-vilgesellschaft zu haben oder daran teilzu-nehmen. Ich möchte, das Vorträge, Work-shops und Diskussionsveranstaltungen stattfinden mit Politikern, mit Mitgliedern der Kommission aus Brüssel, also mit Leu-ten, die aus der Praxis kommen und das Studium durch praktische Vorträge und

praktische Diskussionen ergänzen. Sie sprachen vorhin davon, dass die Eu-ropäische Union in mehr und mehr Füh-rungsbereichen eine Rolle spielt und es somit für Studenten unumgänglich ist sich mit der EU zu beschäftigen. Aber spiegeln die Schwerpunkte Internationalität und Europa mit Ausrichtung auf den diploma-tischen Dienst, die Sie setzen wollen, nicht nur einen geringen Interessenanteil der Studentenschaft wieder?

Selbstverständlich will ich die Universität

nicht auf diese Bereiche allein konzent-rieren. Ich baue ja als Präsident auf dem auf, was meine drei Vorgänger und ins-besondere Frau Schwan geschaffen haben und daran wird auch nicht gerüttelt. Und selbstverständlich haben alle drei Fakultä-ten die Aufgabe in ihrem jeweiligen Fach auszubilden. Wir brauchen natürlich eine juristische Fakultät, ich bin ja selber Jurist, die hervorragende Juristen ausbildet. Und zwar nicht nur im Bezug auf das Europa-recht, sondern auch in den anderen Fä-chern. Aber als Europa-Universität haben wir natürlich auch das Interesse einmal in-ternational ausgerichtet zu sein und zum anderen auch interdisziplinär. Das muss hinzukommen.Im Übrigen reizt mich nicht nur das Eu-ropäische, sondern auch darüber hinaus das, was in Polen oder Litauen die „Ost-europäische Dimension“ genannt wird. Die Mitteleuropäischen Staaten wie Polen und die baltischen Staaten haben ein nach-vollziehbares Interesse, dass an der neuen

Ostgrenze der Europäischen Union keine neuen Barrieren entstehen. Dass Europa offen bleibt für die Zusammenarbeit mit Weißrussland, mit der Ukraine, mit Geor-gien, mit Moldau und wir letztlich auf lan-ger Sicht auch eine strategische Beziehung mit Russland haben. Russland wird immer da sein, egal wer da regiert. Russland wird immer eine große Macht bleiben und dem müssen wir auch in Lehre und Forschung Rechung tragen. Beispielsweise, und das hat jetzt einen doppelten Bezug auf Osteur-opa und hinsichtlich der Europäischen Uni-on, was machen wir eigentlich langfristig

mit der Enklave Kaliningrader Gebiet? Die liegt mitten in der EU. Wenn wir uns damit nicht in Forschung und Lehre befassen und damit auch Einfluss auf die Politik nehmen, dann wird diese Enklave ein Fremdkörper bleiben, der vor allem genutzt wird für Schmuggel, organisierte Kriminalität und ähnliches. Das heißt irgendwie muss dieses Gebiet integriert werden, aber das geht nur mit der Zustimmung Moskaus, weil es ein Teil Russlands ist. Ein ganz kompliziertes Gebiet und außerdem ist es noch politisch extrem sensibel für die Polen und die balti-schen Staaten, die immer noch unter dem Trauma der Besetzung leiden. Also, wer ist für die Frage besser geeignet als diese Uni-versität?

Stellen die Europaorientierung und der besondere Blick nach Osten demnach das Dach der Universität dar, wobei aber jede Fakultät darunter ihre eigenen Aufgaben wahrnimmt?

Page 8: WS 08-09 Demokratie

7 titel

So ist es! Darin sehe ich sozusagen die Brü-ckenfunktion. Die Brücke fängt an in der alten EU der 15, geht über die Oder in die Transitionsstaaten, also die neuen Mitglie-der der EU und geht über sie hinaus. Und ich glaube, das ist ein weites Betätigungs-feld, wobei die Viadrina einen Standortvor-teil hat. Auch durch ihre engen Beziehun-gen zu den polnischen Universitäten.

Sie sprechen die Beziehung zu Polen an. Die rückläufige Zahl der polnischen Stu-denten stellt seit einigen Jahren ein großes Problem dar; seit diesem Semester ist sie erstmals wieder um 18 % im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Glauben Sie, dass sich diese positive Trendwende fortsetzen lässt und wenn ja, wie?

Davon bin ich überzeugt. Die Probleme, die wir hier haben und die alle anderen Unis auch haben, die müssen wir natürlich an-gehen. Das Problem ist einmal für die Via-drina die demografische Entwicklung. Wir haben weniger Abiturienten, die Jahrgän-ge mit den vielen Kindern hören jetzt auf und alle Unis müssen darum kämpfen ihre Studentenzahlen zu erhalten oder wenn möglich noch zu erhöhen. Das zweite ist die Ost-West-Wanderung, die in den neu-en Bundesländern immer noch stattfindet. Übrigens sind vor allem die intelligenten Frauen schuld daran, die nach Westen ab-wandern und dann die intelligenten Män-ner nachziehen. Damit müssen wir uns be-fassen. Wir müssen attraktiv sein für Studen-ten auch aus den anderen Bundesländern, nicht nur aus Brandenburg. Wenn möglich auch darüber hinaus in der EU. Wir haben ja jetzt schon 72 Nationen hier in der Studen-

tenschaft vertreten und wir müssen zum anderen versuchen auch in Polen mehr für unsere Uni zu werben. Denn man muss se-hen, dass jeder Pole seit der Mitgliedschaft Polens zur EU an jeder Universität der Uni-on studieren kann. Da deutsch nicht mehr die erste Fremdsprache in Polen ist sondern englisch, ist es nur natürlich, dass ein junger Pole, der als erste Sprache englisch hat und mit deutsch größere Probleme, dahin ten-diert zum Studium nach England zu gehen oder sogar nach Amerika. Und daher ist es ganz wichtig, dass wir als internationalis-

tisch orientierte Uni Sprachkenntnisse und auch mehrsprachige Unterrichtsangebote haben.

Ein weiteres Ziel ist eine stärkere Ausrich-tung auf die Wirtschaft, um Unternehmen für die Stiftungsuniversität zu gewinnen. Das Career Center soll ausgebaut und wei-terentwickelt werden. Sehen Sie durch eine solche Orientierung der Universität eine Bedrohung für die kulturwissenschaftliche Fakultät?

Also erstens mal sehe ich nicht, dass das eine gefährliche Konkurrenz für die Kul-turwissenschaften darstellen könnte. Die kulturwissenschaftliche Fakultät ist immer noch die größte, und wird es wahrschein-lich auch bleiben, weil sie so viele verschie-dene Lehrgänge anbietet. Angefangen über Sozialwissenschaften bis Literaturwis-

„...unseren Absolventen eine Chance bieten, die sie woanders nicht bekommen“

senschaften und Poltische Wissenschaften ist es eine Fakultät, die viele Studenten mit sehr unterschiedlichen Interessen anspricht. Und deswegen werden die Kulturwissen-schaften darunter nicht leiden. Aber wir ha-ben natürlich auch ein Interesse daran, dass die kulturwissenschaftlichen Absolventen gut unter kommen, in ihren jeweils gewähl-ten Berufen. Und das Career Center soll sich selbstverständlich dafür einsetzen.Bei der Wirtschaft ist es so, dass wir ver-suchen müssen - und das geschieht auch schon, das ist keine neue Idee von mir - die Wirtschaft zu fragen, was zum einen die Spezifika der regionalen Wirtschaft sind und zum anderen derjenigen Wirtschaft, die sich mit den Transitionsländern und Osteuropa befasst. Was sind die Spezifika, die wie lehren müssen und die die Studen-ten beherrschen müssen, wenn sie als Ab-solventen eine bessere Einstiegschance ha-ben sollen als andere.Außerdem hat das den Vorteil - inwieweit man das auf die Kulturwissenschaften über-tragen kann, das weiß ich nicht - dass, wenn man vorher mit den Unternehmen gespro-chen hat, ihnen anbieten kann: wir schicken euch ein Paar Studenten zu einem Prakti-kum. Das hat den Vorteil für die Studenten, dass sie Praxis lernen, zum andern können sie da schon einmal Kontakte knüpfen. Was halten Sie von der Kritik, dass durch die wirtschaftliche Orientierung das Lehrange-bot eingeschränkt wird bzw. die Unabhän-gigkeit der Universität leidet?

Nein, das glaube ich gar nicht. Erst einmal sind das ja Hilfsmittel zur Formulierung von Lehrkonzepten. Es wird ja immer derjenige Absolvent, der auch mal über sein Fach hi-naus geblickt hat, der das gemacht hat, was bei uns früher Studium Generale hieß, im Vorteil sein. Sehen sie, wir haben ja gera-de eine öffentliche Diskussion darüber wie wichtig Bildungspolitik ist, was für Defizite wir in den letzten Jahrzehnten gehabt ha-ben. Deswegen darf man hier keinen Tun-nelblick haben. Die Kontakte mit der Wirt-schaft zur Formulierung von Lehrinhalten, die später den Absolventen nützen, sind etwas Vernünftiges. Aber das heißt natür-lich nicht, dass nur die Lehrinhalte allein bedeutend sind, daneben muss eine gute Allgemeinbildung kommen und die Fähig-keit auch politische Entwicklungen zu ana-lysieren, was umgekehrt natürlich auch für Politikwissenschaftler gilt.

Vielen Dank für das Interview.jl, jr

Page 9: WS 08-09 Demokratie

8 uni

Studentengelder futsch!Die Finanzkrise und ihre Auswirkungen auf die Viadrina

Das Studierendenparlament (StuPa), dass sich am 21.10.2008 um 19.45 Uhr im Au-dimax Raum 114 zusammenfand, befass-te sich dieses Mal mit einem Thema, dass vor allem wegen der aktuellen Finanzkrise ganz oben auf der Tagesordnung stand. Frau Menekse Akyurt vom Dezernat II für Personal- und Rechtsangelegenheiten war auch unter den Anwesenden. Es ging, wie überall in diesen Tagen um Geld. Genauer gesagt um 15,34 Euro, die jedes Semester von jedem ordnungsge-mäß immatrikulierten Studenten durch den Semesterbeitrag dem Allgemeinen Studentischen Ausschuss (AStA) zur Verfü-gung stellt werden. Die Summe dieser Gel-der beträgt halbjährlich etwa 150.000 Euro, die er verwaltet und „für die Finanzierung der Arbeit aller studentischen Gremien und zur Förderung kultureller, sportlicher und hochschulpolitischer Projekte sowie zum Ausgleich sozialer Härte“ verwenden sollte, wie man dem hochschulpolitischen Reader des AStAs entnehmen kann. Nun kam es aber zu folgender Sachlage, die den Anwesenden vom StuPa-Präsidenten Sven Lesaar erläutert wurde. Seinen Aussagen zufolge, wurden vor einigen Jahren etwa

300.000 Euro ungenutzte Sozialbeiträge vom AStA gefunden. Diese Gelder kamen alsbald studentischen Initiativen wie dem FForst oder allen Studenten, durch die Ein-führung der Sonntagsöffnung der Univer-sitätsbibliothek ,zu Gute. Nach nicht allzu langer Zeit wurden wieder etwa 130.000 Euro von vergangenen Jahrgängen auf Konten „gefunden“. Sie sollten dem AStA als Rücklagen dienen, falls geburtenschwa-che Jahrgänge weniger Gelder in seine Kassen spülen und somit die Finanzierung von studentischen Initiativen erschweren würden. Von diesen Geldern wurden vom letzten AStA 100.000 Euro in Aktienfonds angelegt, weil man eine solche Anlage ei-ner risikoärmeren vorzog, um das Vermö-gen zu mehren. Nachdem schon im letzten Jahr ein Verlust von etwa 5.000 Euro durch Kursschwankungen auftrat, schaltete sich das Finanzdezernat der Universität ein. Da eine Investition in Aktienfonds und das Spekulieren mit studentischen Geldern nach Landeshaushaltsordnung nicht rech-tens ist, schaltete sich das Finanzdezernat der Universität ein und verlangte vom AStA eine „mündelsichere“ Anlage der Gelder. Damals machte sich der AStA auf den Weg

zur Bank, um das Geld risikoärmer anzule-gen. Was bei diesem Beratungsgespräch genau geschah, ließ sich an diesem Abend nur schwer rekonstruieren, da kein anwe-sendes Mitglied des letzten AStAs dazu Stellung nahm. Den genauen Hergang soll aber ein Untersuchungsausschuss heraus-finden, der noch an diesem Abend von den anwesenden Abgeordneten ins Leben ge-rufen wurde. Wichtig ist hier vor allem zu klären, ob die HypoVereinsbank, der das Geld damals anvertraut wurde, wusste, dass die Gelder „mündelsicher“ – also ri-sikofrei – angelegt werden sollten. Leider wurden sie das aus bisher ungeklärten Ur-sachen aber nicht. Der besagte AStA legte 100.000 Euro aus studentischen Kassen in Anleihen der Hypo Real Estate mit einer Laufzeit bis September 2009 an. Was dann mit dieser Bank passier-te, ging in letzter Zeit durch alle Medien und dürfte jedem bekannt sein. Von den 100.000 Euro sind jetzt, laut aktuellem An-leihekurs vom 21.10.2008 noch 80% übrig, glücklicherweise und dank des mutigen Bankenrettungspakets des Bundes, das die Hypo Real Estate mit einer Finanzspritze vor ihrem Konkurs rettete. Zeitweise war

Page 10: WS 08-09 Demokratie

9 uni

die Anleihe nur 38% wert, was die studen-tischen Rücklagen noch viel stärker ge-schmälert hätte.Fakt war Dienstagabend aber ein voraus-sichtlicher Verlust von etwa 20.000 Euro. Das sind Gelder, die, laut StuPa, dem aktuellen AStA vor allem bei der Fortfüh-rung der Sonntagsöff-nungzeit der Unibibliothek fehlen. Laut Frau Akyurt hätten damit auch durch-geführte Zwangsexmatri-ukulationen von finanziell schwachen Studenten verhindert werden können, wenn das Geld nicht verspeku-liert und sinnvoll eingesetzt worden wäre. Genau hiermit wurde auch ein generelles Problem im Umgang mit studentischen Geldern angesprochen. Im Anschluss an die Erläuterung des finan-ziellen Fauxpas des letzten AStAs sah man deutlich Ratlosigkeit und große Enttäu-schung auf den Gesichtern der anwesen-den Abgeordneten. Frau Akyurt machte den StuPa-Migliedern daraufhin eindeutig und mit einer gewissen Strenge im Ton klar, dass das weitere Vorgehen darin bestehen

muss, schnellstmöglich die Auflösung der Geldanlage durchzuführen. Es sei jetzt nur noch wichtig, wann diese stattfindet.Während der darauffolgenden Pause, in der sich die Abgeordneten des StuPas berie-

ten, konnte man unter den anwesenden Studierenden erste Eindrücke zu diesem

„Finanzskandal“ einfangen. Toni, Wirtschaftsstudent an der Viadrina, meinte erbost:

„Ich ärgere mich darüber, dass der AStA anscheinend gegen die Entscheidung

des StuPas das Geld nicht mündelsicher an-gelegt hat.“ Eine andere Studentin darauf-hin sehr ironisch: „Ich freue mich darüber, dass die Studentenvertretung so verant-wortungsvoll mit unserem Geld umgeht.“Nach der Beratungspause wurde ein Not-fallplan einstimmig von allen siebzehn an-wesenden Abgeordneten beschlossen, der folgende Inhalte umfasst:1. Die Hypovereinsbank wird auf-gefordert, den entstandenen Schaden zu ersetzten.2. Die Anleihe soll frühestens am 21.10.2008 , spätestens am 30.10.2008 ver-

kauft werden.3. Die Anleihe muss mindestens 60% und sollte 80% des Anlagewertes beim Verkauf erzielen.4. Das Geld soll auf einem Festgeld-konto angelegt werden.Ferner wurde im Anschluss an diesen Be-schluss noch konkretisiert, womit sich der Untersuchungsausschuss befassen sollte, da dem letzten AStA noch weitere Finanz-fehler unterlaufen sind. Während der StuPa-Sitzung wurde Frau Akyurt auch daraufhin angesprochen, wel-che Konsequenzen seitens des Präsidenten und des Dezernats nach diesem groben Fehlverhalten auf die Studierendenver-tretungen zukommen kann. Sie schloss eine Einschränkung der finanziellen Ver-antwortlichkeit seitens der studentischen Selbstverwaltung nicht aus.Meinungen und Kommentare bitte an:[email protected] Redaktion behält sich vor, die Artikel zu kürzen.

cb

Kommentar

Nach einem ersten Versuch studentische hunderttausend Euro über ein Aktienfonds zu vermehren, der fünftausend Euro Ver-lust zufolge hatte, entschied sich der AStA, auf Aufforderung der Universität (denn Spekulationen mit studentischen Mitteln sind untersagt) für eine ‚risikoärmere‘ Op-tion.Geldinstitut dafür war die Hypo Real Estate, jenem unglücklichen Finanzinstitut, dass nur mit Milliardenhilfe des Bundes vor der Pleite gerettet werden konnte. Weniger risi-kovoll als die vorherige Anlage hätte sie sein sollen. Laufzeit der Anlage: bis 2009. Diese Erwartung stellte sich jedoch als eine ‚ka-pitale‘ Fehleinschätzung heraus: Von den hunderttausend Euro waren am 21. Okto-ber zwanzigtausend verflüchtigt. Auf Auf-forderung der Universität und des StuPas hätte nun der Vertrag mit der HypoVereins-bank bis zum 30.10 aufgelöst sein müssen. Über den Verkaufswert der Anlagen ließ sich zum Zeitpunkt dieses Kommentars un-möglich etwas sagen. Börsenkurse schwan-ken und die vorzeitige Auflösung des Über-einkommens kostet noch zusätzlich Geld, viel Geld. Damit scheinen auch bereits AStA und StuPa gerechnet zu haben, denn bei dem zu erwarten Verkaufswert der Anlei-

hen gehen sie lediglich von mageren 60 Prozent des ursprünglichen Werts aus. „Who’s to blame?“, so lautet die Frage, die es jetzt durch einen Untersuchungs-ausschuss zu beantworten gilt. AStA, oder irgendwie dann doch die HypoVereins, wie AStA behauptet. Anders gesagt: AStA dach-te das Geld auf einem ‚risikoarmen‘ Kon-to angelegt zu haben, was sich später als falsch heraus stellte. Das scheint doch zumindest merkwürdig. Wie kann es sein, dass dem AStA unklar war, wo genau die Gelder angelegt waren? Von einem Finanzreferenten darf doch voraus-gesetzt werden, dass er den Unterschied kennt zwischen einer nicht ganz risiko-freien ‚Aktienportefeuille‘ als Anlage und einem stinknormalen – fast risikofreien

– Sparkonto, auf dem die angelegte Gelder lediglich verzinst werden und von dem das Geld (eine Bankpleite außer Acht gelassen) immer wieder zurück bekommt. Und wenn er es nicht von vorn herein wusste (nicht jeder ist schließlich ein Ökonom), dann hätte er sich darüber ausgiebig von Drit-ten informieren lassen sollen. Falls sich die Natur der Anlage nicht aus dem Werbege-plauder des Bankangestellten ergab, dann doch spätestens aus sorgfältigen Lektüren

der Konditionen und des unterschriebenen Vertrages. Unwissenheit oder Naivität? In beiden Fällen gilt, dass die Verantwortung für fremde Geldern doppelt zählt, und Ex-perimentiersucht unerwünscht ist. Zynisch wird’s erst recht, wenn man nach-denkt, was man sonst mit dem Geld hät-te machen können, wäre es nicht der gut gemeinten (aber immerhin spekulativen) Kreativität eines nicht näher zu nennen-den Finanzreferenten zum Opfer gefallen: Einen geräumigeren Dienstwagen als stu-dentisches Willkommen für den recht groß gewachsenen Pleuger, oder Rückmelde-gebühren für bedürftige, aus Geldmangel zwangsexmatrikulierte, Kommilitonen. Das Geld ist weg und kommt höchstwahr-scheinlich nicht wieder. Was übrig bleibt sind die erheblich angeknabberten Reser-ven der Studierendenschaft als Mahnung, sowie eine beträchtliche Dosis frischen Zy-nismus. Denn wo Geld auf dem Spiel steht, haben sich Mahnungen (allem Wohlwol-len und allen Aufrufen für schwerwiegen-de Konsequenzen zum Trotz) schon mehr-mals als flüchtig und kurzlebig erwiesen.

Maarten Geuzendam

„Ich freue mich darüber, dass die Studentenver-tretung so verantwor-tungsvoll mit unserem

Geld umgeht.“

AStAs Aktienabenteuer

Page 11: WS 08-09 Demokratie

10 uni

Fachschaftsrat WiwiDer Fachschaftsrat ist Teil der studenti-schen Selbstverwaltung und wird zweimal im Jahr von den Studenten der jeweiligen Fakultät gewählt. Die Wahlen zum FSR WiWi finden im Dezember und im Juni statt, wahlberechtigt sind alle ordentlich imma-trikulierten Studierenden der Fachschaft Wirtschaftswissenschaften. Mitarbeiten kann natürlich jeder beim FSR, egal ob ge-wählt oder nicht. Allerdings sind nur ge-wählte Mitglieder bei Abstimmungen und Entscheidungen des FSR stimmberechtigt.Wir sind der 1. Ansprechpartner in allen studentischen Fragen und arbeiten bei der Erstsemestereinführungswoche mit. Wir informieren euch über aktuelle Fakul-täts- und Universitätsgeschehnisse, helfen euch bei Problemen mit dem Studium so-wie den Lehrenden und freuen uns, wenn auch ihr neue Ideen oder Anregungen mit einbringt.Praktika und das Career CenterWir arbeiten seit Juli 2005 eng mit den Ca-reer Center zusammen, um unseren Studie-renden mehr Angebote aller Art (Praktika, Stellenangebote, Einladungen zu Veran-staltungen, etc.) von großen Firmen be-reitstellen zu können. Zu diesem Zwecke haben wir eine Datenbank mit über 800 Fir-men, die dem Profil der Viadrina-Absolven-ten aus der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät am meisten entsprechen, erwor-ben und diese mit der Datenbank aus dem Career Center vereint. Auch hier würden wir uns über Unterstützung unserer Studie-renden freuen.Case-Study-Projekt

Seit dem Sommersemester 2007 werden von uns Fallstudien durchgeführt, welche von größeren Firmen an unserer Uni ange-boten werden. Das soll erstens den Bezug

von Theorie und Praxis an unseren Univer-sitäten steigern. Zweitens aber auch die Möglichkeit geben, sich mit dem Profil und dem Arbeitsalltag von Firmen verschiede-ner Branchen auseinander zu setzten. Wir hoffen, dass dieses Projekt zu einer Traditi-on an unserer Universität werden wird und sich dadurch Firmen langfristig an die EUV und ihre Studierenden binden.

WebsiteMit unserer Website www.fsrwiwi-euv-ffo.de und dem dort vorhandenen Forum nehmen wir uns den Problemen der Stu-dierenden an, erfragen Stimmungsbilder, veröffentlichen Informationen (Sitzungs-protokolle, Klausurensammlung, u.v.m.). Die Seite wird ständig aktualisiert.Informationsveranstaltungen und News-letterDer Fachschaftsrat der Wirtschaftswissen-schaften will seinen Studierenden immer auf dem Laufenden halten. Daher bieten wir regelmäßig Informationsveranstaltun-gen an, sind auf Informationsmärkten der Universität zu finden und bieten einen mo-natlichen Newsletter an. Des Weiteren bie-ten wir in der Vorlesungszeit eine Sprech-stunde auf Abruf an.Partys und FeiernDer FSR veranstaltet traditionell jedes Se-mester eine Party. Im WS das sog. Bergfest und im Sommersemester meistens eine Beachparty oder Ähnliches.. Die FSR Feste sind sehr beliebt und immer gut besucht. Selbst die Konkurrenz kommt dann zu spä-ter Stunde noch bei uns vorbei. Mit den Einnahmen finanziert der FSR dann wieder neue Projekte für die Studierendenschaft.SonstigesDer FSR macht unglaublich viele, kleine und doch sehr wichtige Projekte, die in der Summe zu groß sind um alle aufzuführen, aber hier sollen einige Beispiele genannt werden: Mitsprache bei zukünftigen Stu-dienordnungen, Ersti-Fahrt...

Hausanschrift:Europa-Universität ViadrinaFachschaftsrat der Wirtschaftswissenschaf-tenGroße Scharrnstraße 5915239 Frankfurt (Oder)

Sitz:Logenstraße 12, NebengebäudeRaum 108

Mail:[email protected]

Homepage:www.fsrwiwi-euv-ffo.de

Telefon:(0335) 55 34 5351

Fax:(0335) 55 34 5516

Europa Universität ViadrinaFachschaftsrat WiwiGroße Scharnstr. 5915230 Frankfurt Oder

Page 12: WS 08-09 Demokratie

11 uni

Fachschaftsrat Kuwi

Fachschaftsrat der Kul-turwissenschaften. Oder kurz ausgedrückt Kuwi FSR. Der natürliche Le-bensraum eines FSR ist die Universität, wo er sich meist mühelos an seine Umgebung anpasst. Zu-letzt wurde der Kuwi FSR im Raum Frankfurt Oder gesichtet. Nach einem dreimonatigen Som-merschlaf zeigte er sich erstmalig als die neuen Erstsemester die Univer-sität betraten. Bekannt für seine Freundlichkeit und seine Hilfsbereit-schaft, wies er die Neulinge in ihr Studium ein und teilte sein Frühstück mit ihnen. Da-nach zog sich der Kuwi FSR wieder zurück in seine Höhle, allgemein bekannt als Büro in der Studentenloge. Hier plant, diskutiert, protokolliert, schreibt und denkt er, trinkt dabei Kaffee und entwirft neue Ideen. Die

Ergebnisse dieses Rückzugs ins Büro sind Veranstaltungen, Stammtische, Partys und Newsletter. Doch Vorsicht- der Kuwi FSR hat viele Gesichter. Bei jedem Initiativen-markt lockt er euch mit sanfter Stimme und verwickelt euch in seine Planungen. Er gibt euer Geld aus, ohne euch vorher zu fragen.

Er ist die Stimme, die euch ins Gewissen flüstert, wenn ihr eine seiner Vollversammlun-gen verpasst habt. Erliegt ihr also der Versuchung mit in sein Büro zu gehen, werdet ihr als engagierte Studenten dem FSR nicht mehr so schnell entkom-men. Also ihr Kuwis, Denker, Theorienliebhaber, Hausar-beitenschreiber, Träumer und Abenteurer: ihr alle seid aufge-rufen diesen speziellen FSR zu besuchen, zu erforschen und durch eure Unterstützung zu neuen Projekten zu bewegen. Jeden Dienstag empfängt er euch in der Studentenloge von

13-14 Uhr in Gestalt von engagierten Stu-denten: Kai, Matthias, Caro, Erik, Michael und Claudia.

Claudia Grünberg

Wer oder was ist der FSR Jura und was macht er?Der FSR Jura ist für euch Ansprechpartner bei Fragen, Problemen und Sorgen rund um euer Studium.Außerdem könnt ihr euch bei uns bezüglich Fragen zu Professoren und Klausuren melden oder Schließfächer im Keller des Hauptge-bäudes beantragen, wenn ihr eure Bücher nicht immer hin und her schleppen wollt (ur-sprünglich für Staatsexamenskandidaten ge-dacht). Auch verleihen wir Schlösser, wenn ihr euer Bibo-Schloss vergessen habt. Wenn ihr später zur mündlichen Prüfung im Staats-examen müsst, dann könnt ihr in Prüfungs-protokolle eurer Prüfer einsehen. Außerdem organisieren wir verschiedene Infoveranstal-tungen für euch, wenn sich z.B. die Prüfungs-ordnung ändern sollte oder andere wichti-ge Ereignisse eintreten. Und wenn ihr eine Klausur schreibt, die besser als 12 Punkte ist, bekommt ihr ein Buch und eine kleine Über-raschung geschenkt!

Fachschaftsrat Jura

hinten v.l.n.r.: Tobias Szarowicz (Sprecher), Arlett Hink-Spannuth (Schriftführerin), Mathias Löhnert (Finanzer)unten vl.n.r.: Karina Izabela Filusch (Vorsitzende), Josefine Röhner (Öffentlichkeitsarbeit), Franziska Wodtke (ehrenamtliches Mitglied)

Page 13: WS 08-09 Demokratie

12 uni

Einführung in die studentische akademische

Selbstverwaltung an der Viadrina

Lieber Student, liebe Studentin der Viadri-na,heute möchte ich dir ein paar Fragen (und deren Antworten) präsentieren, die mir schon seit einiger Zeit auf der Seele bren-nen und mir nächtliche Diskussionen, Ein-sichten und viel Spaß und Belustigung be-reiteten:

„Wofür bezahl ich eigentlich Semesterbei-träge und wie setzen sie sich zusammen?“ fragte ich mich, als ich mich letztens zu-rückmeldete und ordnungsgemäß meine 204,84 Euro an das Studentenwerk Frank-furt/Oder überwies. Außerdem geister-ten mir im Kopf noch Fragen herum wie:

„Wofür gibt es den AStA? Was machen die Fachschaftsräte? Warum sollte ich zur Voll-versammlung gehen? Was macht das StuPa und weshalb soll ich eigentlich studenti-sche Vertreter dafür wählen?“ Ich hatte ir-gendwie das ungute Gefühl, dass ich zwar an der Uni eingeschrieben bin und fleißig mein Studium absolviere, aber keine Ah-nung habe, wie die Uni intern funktioniert und wie sich die Studierendenschaft or-ganisiert. Wer steht organisatorisch hinter der Semestereröffnungsparty der Wiwis

„Breaking the ice“. Was kann ich machen, wenn ich BAföG bekomme und mein Geld knapp wird? Wer bezuschusst die Druck-kosten der vivadrina, die du jetzt in den Händen hältst? Fragen über Fragen taten sich auf, in die ich jetzt ein wenig Ordnung bringen will.Die 204,84 Euro, die wohl jeder von uns schon fürs Wintersemester bezahlt ha-ben dürfte, teilen sich auf in 50 Euro So-zialbeitrag, die für die Unterhaltung von Mensen und Wohnheimen verwendet werden, 15,34 Euro für unsere Mitglied-schaft in der Studentenschaft, 51,00 Euro Einschreibgebühr, die den Verwaltungs-aufwand der Rückmeldung decken sollen und gegen dessen Höhe zur Zeit in einer Sammelklage von einer Studenteninitiative geklagt wird. Außerdem ist unser geliebtes Semesterticket darin enthalten, dank dem wir in ganz Berlin und Brandenburg sechs Monate lang mit den Öffentlichen umher-fahren dürfen.Die 15,34 Euro, die wir alle dem AStA und dem StuPa pro Semester zur Verfügung stellen, sollen für die Finanzierung der Arbeit aller studentischen Gremien und

zur Förderung kultureller, sportlicher und hochschulpolitischer Projekte sowie zum Ausgleich sozialer Härte eingesetzt werden. Sie kommen uns also eigentlich in voller Höhe zu Gute. Wusstest du, dass du einen Projektförderungsantrag beim AStA stellen und somit dein eigenes Projekt finanzieren lassen kannst? Das ist doch super, nicht? Die vivadrina wird übrigens auch mit dei-nem Geld finanziert, da wir eine vom Stu-Pa genehmigte Initiative sind. Dankeschön :-)Um dir einen Überblick über die Rahmen-bedingungen und die Struktur der studen-tischen Gremien zu geben, schaute ich auf der AStA-Internetseite nach, auf der sich ein Hochschulpolitikreader und ein Uni-ABC (http://www.asta-viadrina.de/schrif-ten.php) und diverse Satzungen und Ge-schäftsordnungen von Fachschaftsräten, dem Sprachenbeirat und der Studieren-denschaft befinden. Die Details und Ge-setzestreue des zur Verfügung stehenden Infomaterials schreckten mich allerdings erst einmal ab.Um die universitäre Struktur zu verstehen, stelle ich dir jetzt die gesetzlichen Grund-lagen der Viadrina vor. Unsere Alma Ma-ter ist seit Mai 2008 eine Stiftungsuniver-sität. Rechtlich verankert ist sie durch das Stiftungserrichtungsgesetz (StiftG EUV), das Brandenburgische Hochschulgesetz (BbgHG) und das Hochschulrahmenge-setz (HRG). Viele gesetzliche Ordnungen

– an dieser Stelle nicht alle aufgezählt – kon-kretisieren unsere Uni und machen sie zu dem, was sie ist. Aus diesen leiten sich be-reits Professuren, Fakultäten, Vorlesungen und Übungen ab. Gleichwohl basieren darauf die Bibliothek, die Sprachkurse und die nach uns winkenden-berufsqualifizie-renden Abschlüsse, die Verwaltung und die Dezernate und das Studentenwerk für Soziales ab. Die uniinterne Organisation des studen-tischen Lebens kann direkt durch die stu-dentischen Gremien beeinflusst werden. Sie befassen sich mit den Wohnheimen, Mensen, sozio-kulturelle Einrichtungen und Initiativen. Die Studierendenschafts-vertretung und die studentische Selbst-verwaltung sind für die Finanzierung der Arbeit aller studentischen Gremien und zur Förderung kultureller, sportlicher und

hochschulpolitischer Projekte sowie zum Ausgleich sozialer Härte verantwortlich.Genau hierin liegt ein großer Unterschied zu unseren südlichen Bundesländern, wie Baden-Württemberg und Bayern. Dort wurden die Rechte der Studierendenschaf-ten eingeschränkt. Hier gibt es aktuell kei-ne verfasste Studierendenschaft (keine gesetzlich vorgeschriebenen Fachschaften, keinen AStA oder Vergleichbares und kei-ne Möglichkeit Sozialbeiträge zu erheben, (also keine Finanzhoheit der Studieren-den), sondern nur teilweise unabhängige Studierendenvertretungen. In meiner kleinen hochschulpolitischen Einführung geht es mir um die Gremien, die es in Süddeutschland nicht gibt, also um die studentische Selbstverwaltung. Dazu solltet ihr aber folgende Begriffe und deren Bedeutung kennen, die man im Uni-ABC findet:Da gibt es die Studierendenschaft, das Stu-Pa, den AStA, die Fachschaft und den Fach-schaftsrat und die Vollversammlung:

StudierendenschaftDie Studierendenschaft – das seid ihr! Also alle Studierenden der Viadrina. Die Studierenden-schaft hat das Recht zur Selbstverwaltung und Interessenvertretung, dazu gibt es verschiedene >Gremien der >studentischen Selbstverwaltung

Studierendenparlament (StuPa)Einmal im Jahr wird von den Studierenden das Studierendenparlament gewählt. Das StuPa be-fasst sich – anders als die >Fachschaftsräte – mit fachübergreifenden Angelegenheiten bezüglich der Hochschule. Es setzt sich wie im Bundestag aus verschiedenen Parteien (>Hochschulgrup-pen) zusammen. >Wahlberechtigt sind alle (so-wohl deutsche als auch ausländische) Studieren-den der Viadrina. Sind die StuPa-Mitglieder ge-wählt, arbeiten sie ein Jahr in diesem >Gremium. Eine wichtige Aufgabe des Parlaments ist u. a. die Wahl des >AStA und dessen Kontrolle. Das StuPa beschließt den Haushalt der >Studierendenschaft und entscheidet über große >studentische Pro-jekte. Außerdem arbeiten die ParlamentarierIn-nen in verschiedenen Ausschüssen zu speziellen Themen. Die Sitzungen sind öffentlich, Studieren-de können zu Beginn immer Fragen, Anregungen und Kritik loswerden.

Page 14: WS 08-09 Demokratie

13 uni

AStA – Allgemeiner Studentischer AusschussDer AStA ist im Prinzip die Exekutive der >Stu-dierendenschaft. Er vertritt die allgemeinen In-teressen der Studierenden an der Viadrina und führt Beschlüsse des >StuPa aus oder stellt eigene Projekte auf die Beine. Er besteht aus 9 Referen-tInnen, die sich auf den Gebieten ADV, Finanzen, Hauptreferat,Hochschulpolitik, Internationales, Kultur, Öffentliches, Soziales und Sport für ihre Mitstudierenden engagieren. Aufgaben des AStA sind die hochschulpolitische Vertretung der Stu-dierenden gegenüber der Hochschule, dem Land und der Öffentlichkeit, die Verwaltung der Finanz-mittel der Studierendenschaft, die Beratung der Studierenden zu verschiedensten sozialen und studentischen Themen sowie der Organisation ei-nes Kultur- und Sportprogramms. Er arbeitet mit den >Fachschaften und den >studentischen Ini-tiativen zusammen und setzt sich kontinuierlich mit den hochschulweiten >Gremien auseinander. Auch in der >BrandStuVe engagiert er sich lan-desweit und ist Mitglied im bundesweiten >Ak-tionsbündnis gegen Studiengebühren. Er tagt in der Regel alle 1-2 Wochen in der Vorlesungszeit und seltener in der vorlesungsfreien Zeit. Zu den Sitzungen seid ihr herzlich eingeladen, zu Beginn

können jedes Mal Fragen gestellt und Anregun-gen und Kritik angebracht werden. Der AStA wird gewählt vom Studierendenparlament meist zwi-schen Juni und August. Jede(r) Studierende kann sich zur >Wahl aufstellen lassen. Der AStA ist auch Ansprechpartner für das >Semesterticket und die zugehörigen >Härtefallanträge. Er fördert >stu-dentische Projekte und >studentische Initiativen auf Antrag (siehe Homepage). Der AStA befindet sich in der Paul-Feldner-Straße 9. Das Pendant auf polnischer Seite ist der >Rada Samorz�du Studen-ckiego (RSS) des >CP.

FachschaftDie Fachschaft ist die Gesamtheit der Studieren-den eines Fachbereichs. >Vollversammlung.

FachschaftsratDie Fachschaftsräte setzen sich für studentische Belange ihrer Fachschaft, also allen Studierenden in einem Studiengang oder in einem Fachbereich ein. Bei den >FSR erhaltet ihr Hilfen zum Studium aus studentischer Sicht. Die FSR beteiligen sich bei der (Mit-)Organisation der Einführungstage und den Ersti-Tutorien, geben fachbezogene In-formationen und können zwischen Euch und den

Profs vermitteln, falls es mal Probleme gibt. Hier bekommt Ihr auch Hilfe, wenn es um Hausarbei-ten und Klausurenstress geht. Auch Erstifahrten, Stadtrallyes, Stammtische und Partys (wie die Semestereröffnungspartys) gehören zum Reper-toire der FSRs.

VollversammlungWie man sich schon denken kann, treffen sich hier alle Studierenden – entweder uniweit oder auf Fakultäsebene (Fachschaftsvollversammlung). Wenn mind. 5% der Studierenden da sind, ist die VV beschlussfähig, und kann dann sogar >StuPa und >AStA Aufträge erteilen und Beschlüsse zu aktuellen Themen fassen. Außerdem bekommt ihr jede Menge Infos, zu dem, was eure gewähl-ten VertreterInnen für Projekte machen, wofür sie sich einsetzen und wofür sie das Geld ausgeben. Die VV auf Uniebene findet einmal im Jahr statt, meist im Mai.

Neben diesen regionalen studentischen Institutionen und Gruppierungen gibt es auch überregionale Vereinigungen, wie z.B. die „Brandenburgische Studieren-

Page 15: WS 08-09 Demokratie

14 uni

denvertretung“, die „International Union of Students“ oder den „freien zusammen-schluss von studentInnenschaften“, um nur einige zu nennen, die sich auf höhe-ren Ebenen um die Belange der Studenten kümmern.Wie sieht nun eine Vollversammlung aus? Was beschließt das StuPa? Was macht der AStA, wenn er gerade nicht mit studenti-schen Geldern spekuliert? Jetzt kommen ein paar persönliche Eindrücke für dich:Während der letzten Vollversammlung wurden aktuelle Themen der Uni ange-sprochen und, wenn sie dann beschluss-fähig gewesen wäre, hätte sie Beschlüsse fassen können. Als ich mit ein paar anderen Studenten in den leeren Reihen des Audi-max saß, konnte ich zum Beispiel erfahren, dass um die Universität ein neuer Park ent-stehen soll, dass der Studentenbus nach S�ubice ab November wieder fahren soll und das über einen Anschluss des AStAs an eine überregionale Studierendenvertre-tung nachgedacht wird. Die letzte StuPa-Sitzung vom 21.10.2008 muss wohl eine der spannendsten der letz-ten Jahre gewesen sein. Im Vorfeld hatte ich schon kontroverse Diskussionen der Ab-geordneten mitverfolgen können. Neben dem für die Initiativen wichtigen Beschluss über die Förderungsgelder und dem Fi-nanzskandal des letzten AStAs wurde auch

der Austausch aller Glühbirnen in den Stu-dentenwohnheimen gegen Energiespar-lampen beschlossen. Eigenartig und sehr befremdlich, ja sogar lächerlich war aber, dass das StuPa demokratisch über Anträge auf fünfminütige Pausen abstimmt. Auch der Antrag auf Änderung der Mülleimer-beschriftung in der Viadrina, weil nicht genau daraus hervorgeht, in welchen der drei Eimer Papier geworfen werden sollte, war für meine Begriffe etwas kleinlich. Wie auch immer…Leider gibt es, trotz der vielen Möglichkei-ten, die uns die studentische Selbstverwal-tung gesetzlich bietet, Probleme, die den Gremien ihre Arbeit erschweren:Ein Problem der Vollversammlung ist zum Beispiel, dass schon mehrere Jahre wegen geringer Beteiligung keine mehr beschluss-fähig war, und somit wichtige Entschei-dungen nicht gefällt werden konnten. Die letzte fand am Tag des Fußballeuropameis-terschaftsspiels Deutschland gegen Öster-reich im Audimax statt. Trotz dem darauf hingewiesen wurde, dass nur Anwesen-de der Vollversammlung ein Anrecht auf eine Platzkarte bei der Sportübertragung hätten, kamen weniger als 250 Studenten. Somit konnten wieder keine Beschlüsse ge-fasst werden, obwohl sich im Vorfeld fast alle sicher waren, dass es diesmal wegen des Spiels klappen würde.

Ein anderes großes Problem aller studenti-schen Gremien neben der geringen Beteili-gung ist die große Fluktuation der Mitglie-der, die durch die Einführung der Bachelor-/Master-Studiengänge nun noch weniger Zeit durchgehend an der Viadrina und in den Studentenvertretungen verbringen. Solch ein Kommen und Gehen erschwert die kontinuierliche Arbeit, da öfter wichti-ge Posten neu besetzt werden und „Neulin-ge“ sich erst einarbeiten müssen, bevor sie richtig mit der Arbeit loslegen können. Wegen der Vorteile der studentischen Selbstverwaltung und ihrer eventuellen Probleme, wie dem Finanzskandal (s. Seite 8), ist die studentische Selbstverwaltung nicht unumstritten. Deshalb möchte ich dir hier schon einen Ausblick auf die nächste vivadrina geben, in der ich ein Streitge-spräch über den Sinn oder auch Unsinn studentischer Selbstverwaltung plane. Ich hoffe, mein kleiner Exkurs hat dir die Struktur der studentischen Gremien vor Augen führen und ein bisschen Licht ins Dunkel des Studienalltags bringen können. Wenn du es noch genauer wissen willst, kannst du einfach in den Hochschulpoliti-kreader schauen.

Viele liebe Grüßecb

Das Uniorchester Die Viaphoniker

Eine Kirche, Instrumente, Zuhörer, gelbe Blumen, Konzert.Ein Ball, schicke Menschen, Konzertklei-dung, Auftakt.Ein Schloss, ein See, ne Menge Enten, ein Probenraum vollgestopft mit Musikern.Eine Gardarobe voller Cellikoffer und Gei-gen, Wein, Bier, Gyros.Eine gigantische Festung, etwas Militär, Burkas, Kinder, viel Wind und wehende Noten, westliche Klänge im östlichen Syri-en, wo die Reise unseres Uniorchesters im Sommersemester 2008 uns hinführte .

Viaphoniker? Das bedeutet vor allem: ein gut gelaunter Haufen netter Leute, Noten, Celli, Geigen, Querflöten, Saxophon, ein Dirigent, Kontrabässe, Trompete, Klarinet-ten... und macht zusammen: Musik jeden Dienstag Abend von 18 bis 21 Uhr im Au-dimax.

Dort proben wir, die Viaphoniker. 1995 von einer Studentin gegründet und seit

´97 ein Verein, pflegen wir die instrumen-tale Musik an der Uni. Wir haben ein Probenwo-chenende auf Schloss Rheins-berg; spielen zu Anlässen der Uni, wie dem Uniball und ge-ben zu Semes-terende zwei Konzerte: Eins in Frankfurt, eins in Polen; bei-de zusammen mit dem akade-mischen Chor. Letztes Semester waren wir beim

Musical „Brats!“dabei und machten wie schon erwähnt eine Konzertreise nach Sy-rien, die uns alle begeisterte. Darüber fin-

Page 16: WS 08-09 Demokratie

15 uni

Das im April 2008 gegründete Centre for Entrepreneurship (CfE) der Viadrina wird in Zukunft Studierende und Mitarbeiter der Universität beim Weg in die Selbstän-digkeit unterstützen. Die dem ZSE unter-stehende Abteilung bietet Erstberatungen an, veranstaltet Workshops und einen Gründertag pro Semester. Die Mitarbeiter kennen die richtigen Ansprechpartner in der Region, die bei speziellen Fragen aller Art zur Verfügung stehen und auch bei der Beschaffung von Fördermitteln unterstüt-zen können. Außerdem stellt das CfE ge-meinsam mit dem Business and Innovation Centre (BIC) im Technologiepark Räume für die erste Zeit der Selbständigkeit zur Verfügung.

Geleitet wird das CfE von der Steuerberate-rin und ehemaligen Gründerin Liv Kirsten Jacobsen, die seit November 2007 auch Ho-norarprofessorin an der Viadrina ist. Schon seit einigen Jahren bietet sie im Winterse-mester das Seminar „Businessplan“ an, in dem Studierende ihre eigenen Geschäfts-ideen in einem fundierten Konzept zu Pa-pier bringen. Im Sommersemester gibt es mittlerweile ein weiteres Seminar, welches das Thema „Entrepreneurship“ etwas the-oretischer und wissenschaftlicher betrach-tet. Der Zuspruch der Teilnehmer ist erheb-lich, zwischen 70-100 Teilnehmer kommen jedes Semester in die Veranstaltung und haben neben viel Arbeit vor allem eines: Spaß.

Gründen gehört in der Regel nicht zu den bevorzugten Karrieremöglichkeiten, wenn man Absolventen fragt. Warum eigentlich nicht? Denn es ist eine der besten Mög-lichkeiten, eigene Ideen kreativ in Taten umzusetzen. Ein Unternehmen nach den eigenen Vorstellungen und Ideen aufzu-bauen, mit Willen, Energie, Kreativität und Kraft am Leben zu erhalten und sich gegen Konkurrenz durchzusetzen, ist ein unver-gleichliches Erfolgserlebnis. Mit Begeiste-rung für die eigene Sache den ganz eigenen Weg zu gehen, sich Herausforderungen zu stellen und die selbstgesetzten Ziele zu er-reichen, macht außerordentlich zufrieden. Man erntet, was man sät. Das macht selbst-bewusst und stolz, gerade dann, wenn es schwierig war.

Darüber hinaus ist die Gründung eines ei-genen Unternehmens weit mehr, als ein Job, es ist ein Lebensstil. Wenn man grün-det, dann ist man kein kleines Rädchen im Getriebe einer großen Maschine; eine Gründung hat viel mit eigener Zufrieden-heit und gesellschaftlicher Verantwortung zu tun und nicht nur mit dem puren Geld-verdienen. Den meisten Gründern ist das Lächeln glücklicher Kunden wichtiger als das Geld. Wer drängende Probleme löst, anderen Menschen das Leben erleichtert, sichere Arbeitsplätze schafft und moti-vierte Mitarbeiter beschäftigt, verbessert die Welt - wenigstens ein kleines Bisschen. Diese Erkenntnis lässt einen Gründer Tief-schläge einstecken und durchhalten, denn:

Sie motiviert ungemein, mehr als Geld und Ansehen es je vermögen.

Und es gibt noch einen weiteren Grund: Sichere Jobs gibt es heute nicht mehr. Gera-de Großunternehmen streichen auf einen Schlag tausende Stellen oder verlegen gan-ze Abteilungen ins Ausland. Die Finanzkri-se wird diese Entwicklung sogar noch be-fördern. Sein eigenes Unternehmen auf-zubauen ist da deutlich sicherer, denn je klüger man es anfängt, desto wahrschein-licher ist ein hohes Maß an finanzieller Un-abhängigkeit. Das beruhigt. Außerdem ist man nicht an Gehaltsklassen gebunden. Je besser es dem Unternehmen geht, desto mehr verdient man selbst – es gibt kaum eine bessere Möglichkeit, um wohlhabend zu werden, als ein gut laufendes Unterneh-men zu gründen.

Gemeinsam mit der KOWA und den Freun-den und Förderern des CfE in der Region, den Sparkassen MOL und Oder-Spree, der IHK, der Handwerkskammer, dem BIC, der AOK und Arcelor-Mittal bilden wir ein starkes Team. Die Mitarbeiter des CfE sind montags bis donnerstags 10-13 Uhr und nach Vereinbarung im AB 103 - 104 (mail: [email protected]) für alle Interessier-ten da. Wenn da also hinten eine Geschäfts-idee im Kopf herumspukt - nichts wie hin!

Liv Kirsten Jacobsen

Den Gründergeist aus der Flasche lassen

det ihr übrigens zu Beginn des Semesters eine Ausstellung im Foyer des GD. Obwohl das al-les schön klingt, haben wir leider ein Problem, da ein Drittel der V i a p h o n i k e r für dieses Se-mester ins Aus-land gegangen ist. Deshalb herrscht bei uns nun Man-gel an Musi-kern, vor allem

an Streichern, aber auch generell. Aus die-sem Grund dieser Werbeaufruf: kommt in Scharen und lasst uns Musik machen!

Es ist eine Gelegenheit das Instrument nicht verstauben zu lassen, die vielen Mu-sikunterrichtsstunden nicht zu vergessen und Neues zu lernen; Freude an der Mu-sik mit anderen zu teilen und in Konzerten weiterzugeben; nicht nur für Vorlesungen an der Uni zu sein – als Berliner vor allem, ich spreche da aus Erfahrung... – also, meld dich, komm vorbei und spiel mit!

Melden bitte bei Franzi, unserer ersten Vor-sitzenden: [email protected], 0049 157 734 634 64

Eva Brückmann 2. Vorsitzende der Viaphoniker

Page 17: WS 08-09 Demokratie

16 uni

Quo vadis Collegium Polonicum?Wie wird das Collegium Polonicum (CP) in Zukunft aussehen? Was wurde während der letzen 15 Jahre erreicht? Wie sieht die aktuelle Zusammenarbeit zwischen CP und der Europa Universität Viadrina aus? Das waren nur einige Fragen, die anlässlich des 15. Jubiläums der Slubicer Universität im Rahmen der Veranstaltung „Quo vadis Collegium Polonicum“ am 13. Oktober vor Ort diskutiert wurden. Über die Geschichte und Zukunft des CP sprachen an diesem Tag u.a. dessen Di-rektor Dr. Krzysztof Wojciechowski, die ehemalige Präsidentin der Viadrina, Prof. Gesine Schwan, der Rektor Prof. Stanislaw Lorenz und Gründungsrektor Prof. Knut Ipsen. Weiterhin gehörten zu den Gästen der Rektor Prof. Jerzy Federowski, Minis-ter Prof. Stefan Jurga, sowie der Slubicer Bürgermeister Ryszard Bodziacki, und die Oberbürgermeister von Frankfurt Martin Patzelt und Marcin Krzymuski.

Aller Anfang ist schwer

Noch im Jahre 1991 erschien die Idee eines Collegium Polonicum, einer polnischen Universität in Slubice, fast unmöglich. Die Stadt Slubice war grau und schmutzig, die deutsch-polnische Grenze war leider auch

eine soziale Grenze. So ließ die ökonomi-sche Situation von Slubice die Gründung einer Universität kaum zu. Heutzutage exis-tiert eine solche Grenze nicht mehr, jetzt dürfen junge Polen überall in der EU stu-dieren. Im Jahre 1993 befand sich das Collegium Polonicum als Gebäude und Studienort erst in der Planungsphase. Die Idee eines polnischen Rechtsstudiengangs war zwar sehr schön, aber die Wirklichkeit sah eher traurig aus. So hatte man bereits Schwie-rigkeiten damit 70 Stühle für Vorlesungen bereitzustellen. Direktor Wojciechowski hielt jedoch am Projekt des CP fest, da es eine überaus wichtige Bedeutung für die Beziehung zwischen Deutschland und Po-len hatte. Der Studienort mit dem Campus ist bis jetzt die größte akademische Investition in Polen seit den 90er Jahren. Dafür brachten die Adam-Mickiewicz-Universität, die pol-nische Regierung und die Europäische Uni-on insgesamt 40 Millionen Euro auf. Pläne für das Collegium PolonicumHerr Wojciechowski unterstrich die zukünf-tig wichtigsten Aufgaben und Missionen des CP: die deutsch-polnische Zusammen-arbeit und die interkulturelle Kompetenz der Bewohner in der Grenzregion sollen weiter gefördert werden. Die Stiftung des

Collegium Polonicum ermöglicht hierfür seit Langem verschiedene Sprachkurse und Grenzprojekte, wie die kostenlose stu-dentische Rechtsberatung.Die Zusammenarbeit des CP mit der Via-drina ist einzigartig in Europa, denn sie umfasst nicht nur Forschung und Didaktik, sondern auch die Bereiche Verwaltung, Fi-nanzen, Technik und Kommunikation. In-terkulturelle Kompetenz spielt also auch hier eine große Rolle. So werden im CP zahl-reiche Aufgaben von der Viadrina realisiert. Daher müssen die Mitarbeiter nach den Re-geln des Nachbarlandes arbeiten und sich kulturell anpassen.Eine weitere Besonderheit ist das Kriteri-um der „Proportion“, wobei im gleichen Maße sowohl Dozenten als auch Studen-ten an den Projekten in der Grenzregion teilnehmen. Laut Wojciechowski ist das Interesse von polnischer Seite dabei aller-dings höher.Der Bürgermeister Bogacki sprach an die-sem Tag auch über die Besonderheit der Grenze und ihre Öffnung. Noch vor eini-gen Jahren bot das Überqueren der Grenze noch eine Möglichkeit für ein anderes und vielfach besseres Leben. Nicht nur durch ein Studium an der Viadrina, auch die be-sondere interkulturelle Erfahrung. Junge Polen dürfen seit dem EU-Beitritt Polens

Page 18: WS 08-09 Demokratie

17 uni

überall studieren. Das ist zwar eine Chan-ce für die Europäische Union, aber eine Gefahr für Slubice.

Collegium Polonicum der Zukunft

Dr. Stefan Jurga sprach über die be-deutsame Idee, die gemeinsame Zukunft zu gestalten. So solle das CP Ausbildungs-möglichkeiten für die Eliten anbieten, die später in den europäischen Institutionen arbeiten möchten. Auch die Zusammenar-beit mit den Balkanländern sowie der in-terkulturelle Dialog mit ihnen gehört zu ei-nem wichtigen Projekt. Die Staaten östlich der EU-Grenze sollen ebenfalls miteinbezo-gen werden. Die Studierenden sollen sich dazu mit der Kultur und den Problemen der Demokratie in diesen Ländern beschäf-tigen. Um die wirtschaftliche Entwicklung der Region zu unterstützen, solle die Via-drina Studiengänge wie Transportwesen und Tiermedizin anbieten, da diese Berei-che Fachkräfte brauchen. Das CP will auch den Bedürfnissen der Region entsprechen und den Studenten damit die Möglichkeit geben Kenntnisse für das zukünftige Ar-beitsfeld zu erlangen. Prof. Gesine Schwan ist der Meinung, dass eine Ausweitung der mehrsprachigen Ab-schüsse, notwendig sei. Damit würde nicht nur eine Europäisierung, sondern sogar

eine Internationalisierung des Studiums erreicht werden. Polonistik für Ausländer ist bislang kaum bekannt in Deutschland. Das musste verändert werden aber dafür braucht es Zeit z.B. um Werbung zu ma-chen. Dass die Lehre interdisziplinär ausge-richtet ist gehört auch für Prof. Knut Ipsen zur Hauptpriorität. Es ist weiterhin wichtig, dass sich die Stadt Slubice schnell entwickelt und für junge Leute attraktiver wird. Das betrifft nicht nur die Studenten, sondern schon die hier lebenden Jugendliche. Unter der Schirm-herrschaft des Collegium Polonicum sollte ein Gymnasium gegründet werden. Die Teilnehmer der Diskussion gaben auch eigene Ideen sowie über den Ausbau des Zentrums für Untersuchungen über die Grenze. Die Lage vom CP ist eine große Chance um ihre Besonderheit ausnutzten. Außer der Thematik der Erweiterung vom Ausbildungsangebot wurde das Problem der Bibliothek, die Bedürfnisse der Leser und das Problem ihrer Finanzierung ge-nannt. Nach den vielen Erfolgen strebte man au-ßerdem eine Neudefinition von Collegium Polonicum an. Das was in den letzten Jah-ren neuartig und erfolgreich war.

Statistiken und Fakten

Während der letzten 15 Jahre haben 3000

Studenten am Collegium Polonicum stu-diert. Die Universität bietet drei Studien-gange an: den Bachelor und Masterstu-diengang German and Polish Law, den Master „European Political Studies“ und den Master of Intercultural Communicati-on . Insgesamt 6000 Studenten könnten im Grenzraum Frankfurt (Oder) - Slubice er-fahren, wie diese multikulturellen Studien aussehen. In Polen ist die Zahl der ausländi-schen Studenten relativ gering und die am CP studierenden 20% bilden den größten Teil in ganzen Polen. Das Collegium Polonicum ist auch ein Ort der Begegnung für Prominente aus aller Welt. Zu den wichtigsten Gästen gehörte der polnische Präsident Aleksander Kwas-niewski, Bundeskanzler Kohl und verschie-dene EU Kommissare. Die wichtigste Mis-sion habe das CP in dem es ein Ort des polnisch-deutschen Treffens geworden ist bereits erfüllt. Seit dem Jahre 1998 nahmen jedes Jahr 4000 Personen an den Konferen-zen, Symposien und Seminaren teil. Zahl-reiche Konzerte und Filmpräsentationen ziehen sehr viel Aufmerksamkeit auf sich und sind sehr populär.Der große Erfolg vor den 15 Jahren über-rascht auch die Ideengeber. Welche ge-naue Richtung das Collegium Polonicum in den nächsten Jahren einschlägt, das muss man noch abwarten.

Anzeige:

mp

Page 19: WS 08-09 Demokratie

18 uni

Erlebnisbericht eines Erstis

Sonntag, 5.OktoberAngekommen! Fünf Stunden Eisenbahn-reise bis in die AB mit 60kg Gepäck haben endlich ein Ende! Schnell ist das Zimmer bezogen, neu Mitgebrachtes eingeordnet. Zum Glück brauchte ich nicht alles mitzu-nehmen, vieles habe ich schon in der Zeit des Mathe-Vorkurses mitgebracht. Dies-mal kamen also nur Kleidung und Luxus-artikel mit. Die Hanteln mussten leider zu Hause bleiben, wären doch etwas schwer geworden. Noch schnell mit einem Kumpel absprechen, Grill rausholen und Grillplatz für uns einweihen. Dazu billiges Bier aus Mecklenburg. Montag, 6.Oktober Billiges Bier aus Mecklenburg war ein Fehler, der Kopf hämmert. Zum x-ten Mal schwöre ich mir den Alkohol vom Leib. Und dann 9.30Uhr zur Begrüßung der neuen Studenten. Also uns. Laut des „Wegweiser zum Studienbeginn“ macht das Prof. Dr. Gesine Schwan. Mal sehen. Einem Gefühl folgend finden wir uns 20 Minuten vor der Eröffnung im Audimax ein. Wir bekommen

noch Plätze im mittleren Bereich. Später, beim Verlassen des AM, fühlen wir uns auf einem höheren Niveau unwissend. Man hat nicht alles verstanden was gesagt wur-de, aber fühlte sich gut, da viele mehr oder minder wichtige Menschen einen herzlich willkommen hießen. Darunter auch ein Herr Pleuger, der anstelle von Fr. Prof. Dr. Schwan die große Begrüßung machte. Nachtrag: Ups, Herr Pleuger ist der neue Präsident der Uni. Kann man da nicht vor-gewarnt werden?Die Stadtrallye brachte uns die Stadt etwas näher. Viel Wissen über FfO, das sehr lehr-reich aber nur bedingt nützlich ist, wurde uns vermittelt. Aber eigentlich hat man das mehr gemacht, um neue Leute kennenzu-lernen.Abends dann ein Polnisch-Crashkurs. Es waren weit mehr Leute interessiert, als er-wartet wurden. Muss an dem Zusatz “an-schließend: Kneipenabend in Slubice“ ge-legen haben. Die meisten Teilnehmer ha-ben sich übrigens nur ein polnisches Wort gemerkt: Piwo. Für alles andere hat später Gestensprache ausgereicht.

Dienstag, 7.OktoberDie Fakultäten stellen sich vor. Als IBA’ler darf ich ins AM. Viel wird erzählt, und auf viele Fragen kommt die Antwort „Das ist für euch noch nicht wichtig, meldet euch aber rechtzeitig an“. Alles klar. Tutoren führen uns durch das Gebäude und Umgebung, erklären alles, was wir wissen wollen. Nur etwas leise. Egal, wer was nicht verstanden hat, darf die Tutoren und Studiengangslei-ter später noch fragen. Übrigens soll ich jedem sagen, dass Swetlana die beste Tu-torin ist.Abends geht es in Hemingways, etwas In-ternationalität genießen. Man erfreut sich allgemein an den vielen verschiedenen Kulturen, die hier aufeinander treffen.

Mittwoch, 8.OktoberEin Blick auf den Plan verriet, dass es sich heute für mich fast nicht lohnt aufzuste-hen. Aufwand-Nutzen-Verhältnis stehen einfach ungünstig zueinander. Trotzdem finde ich mich 9.30 Uhr wieder im Audi-max. Ahhh, endlich werden Dinge wie

Page 20: WS 08-09 Demokratie

19 uni

Auslandssemester/-praktika beleuchtet. Sprachenzentrum stellt sich vor, auch nett. Wichtiger ist mir aber der Info-Markt, an dem sich alle vorstellen, die sich für wichtig erachten. Abends Empfang vom OB. Das Bier schmeckte komisch, das passte aber zu der Rede der Bürgermeisterin, die auf „Stu-dierende, FfO hat zu wenige Einwohner! Macht Kinder für FfO!“ hinauslief. Schnell noch eine Frikadelle schnappen, und zu an-deren Partys weiter.

Donnerstag. 9.OktoberWasnf? Wecker? Schon? Wer eine Busex-kursion mitmachen will, muss früh aufste-hen. Im Nebel sehen wir bis Mittag nur wenig von Brandenburg, auf dem Acelor-Mittal – Gelände sehen wir nicht mal die angepriesenen großen Schornsteine, oder bei Fußwegen das Ende unserer Gruppe. Bei der Busfahrt unterhielt uns unser Füh-rer mit fachkundigen Erläuterungen wie

„Und dort sehen sie einen ... Baum. Er kann ... Früchte tragen. Das ... war den Leuten früher sehr wichtig“. Die Klosterkirche in Neu-Zelle beeindruckte, ebenso das ruhige Schlaubental. Die Ragower Mühle runde-te das Erlebnis ab, man erfuhr viele lokale Geschichten.

Freitag 10.Oktober bis Sonntag 12.Okto-berDie Ersti-Fahrt geht los. Vieles wirft seinen Schatten voraus, etwa machen wir auf der Hinreise mit dem Bus drei von einem Halt. Aber was sollen wir machen, Männerbla-sen sind ja nur begrenzt strapazierfähig. Und Bier fließt sowieso viel zu schnell durch. Fast so schlimm wie schwarzer Tee (Für alle Küchenmuffel: Schwarzer Tee ist

wie Eistee, nur mit weniger Zucker und billi-ger). In Miedzyzdroje angekommen gab es erst Sauerkraut mit Kassler, später Kennen-lernspiele. Sie funktionierten gut, Sauer-kraut wie Kennenlernspiele. Danach noch schnell in einen kleinen Club, zuschauen wie Halbpolen sich durch die Frauenreihen durchtanzen. Nachts durchschlafen. Ich zumindest. Zimmerkameraden berichte-ten, dass im Nachbarzimmer Leute sehr laut geschnarcht haben. Gegen 5 Uhr soll auch eine Frau mit Stöckelschuhen nach draußen gegangen sein. Wir vermuten, dass das Hotel in den 50gern einge-richtet wurde, und seit dem nur noch verwaltet wurde. Die Geräuschisolierung und die Inneneinrichtung spre-chen jedenfalls dafür. Wo sonst würde man diese rosa Blümchen an den Vorhängen sonst noch finden?Nach dem Frühstück ging es Samstag mit einem Pol-nischkurs weiter. Hab dies-mal mehr mitbekommen als beim anderen Crashkurs. Im-mer nützlich: Pomoc – Hilfe. Den Rest lerne ich bei Gele-genheit. Danach Studien-beratung. Ich soll schreiben, dass Swetlana die beste Tuto-rin ist. Nach dem Mittag wird die Stadt erkundet. In der Sonne am Sandstrand wir dann Gruppenfoto gemacht, abends gibt es Vorglühen mit kleinen Trinkspielchen.

Die ersten wurden dabei schon unkritisch und neigten mehr zum Alkoholmiss- als Gebrauch. Danach in einen Club. Der war besser als am Vorabend, auch wenn die Musik etwas monoton (Wumm-Wumm-Wumm-Wumm-Melodie-Wumm-Wumm) war. Immer mehr Leute verkannten ihre Grenzen, die Luft wurde viel zu schnell zu dicht zum Spaß haben. Sonntagmorgen kamen viele nicht zum Frühstück, sondern standen erst zur Ab-fahrt gegen Mittag auf. Die meisten waren weit später als ich in unser Hotel zurückge-kehrt. Wie sie die Luft im Club noch länger ausgehalten haben, weiß ich nicht. Wahr-scheinlich waren die fürs überleben zustän-digen Gehirnzellen unlängst abgeschaltet. Nach dem Frühstück noch schnell ein wei-teres Mal in der Ostsee baden. Kalt. Nette Polen haben dabei noch Fotos von uns ge-macht. Es gibt viele nette Polen. Nett war auch das Essen; obwohl sehr bodenständig gehalten, wurde man gerne satt. Danke an all die netten Organisatoren, die uns Erstis eine solch schöne Woche bereitet haben!

marke

Page 21: WS 08-09 Demokratie

20 uni

Übermüllte Werbefläche - Große WerbeschwächeKein Kompliment für’s Werbe-Sortiment, Zeit für’n Experiment mit Advertisement.

Morgens halb eins in Deutschland: Hun-gergetrieben läuft Edward Iceman ins At-rium des Gräfin-Dönhoff-Gebäudes und ist in Gedanken schon bei seinem Mittag-essen. „Hast Du schon die neuste Vivadri-na?“ schallt es von links und lässt Ed kurz rüberschauen. „Ja, hab ich“, spricht er und geht zwei Schritte weiter. „Hier, das ist der Flyer für die Party am Donnerstag. Willst Du ’ne Eintrittskarte kaufen?“ Das Stück Papier in der Hand haltend, antwortet er:

„Nein, aber vielleicht nach dem Essen...“ Ed-ward malt sich gerade aus, wie lecker wohl das Stück Fleisch schmecken würde, als er wieder angesprochen wird: „Hey, warst Du schon wählen? Sind doch grad StuPa-Wahlen!“ Leicht genervt geht er weiter:

„Nein, hab ich nicht. Mach ich morgen be-stimmt.“ Wie köstlich das Gemüse wieder schmecken würde. Der arme Student hat kaum Zeit darüber nachzudenken, als sich eine junge Dame vor ihn hinstellt: „Hi Du. Ich bin von der UNICEF-Gruppe und wir betreuen gerade eine Blutspendeaktion im Hauptgebäude. Warst Du schon spenden?“ - „Nein, war ich nicht“, spricht er daraufhin. „Aber mein Kopf fängt gleich an zu bluten, so wie ich hier von euch zugeballert wer-de!“ Verständnislos blickt die Frau ihn an und distanziert sich vom gereizten hung-rigen Studenten. „Hallo! Liest Du gerne? Falls ja, wäre unser Zeitungsabo...“

Ob unser Iceman jemals sein Mittagessen erreicht? Ich weiß es nicht. Aber die Zu-standsbeschreibung im GD ist besonders dann treffend, wenn Initiativen, Partys und Co. Hochkonjunktur haben. Wenn je-der sein Zeug an den Mann bringen möch-te, ist gute Werbung oder das direkte An-sprechen eben nötig. Getreu dem Motto

„Wer nicht wirbt, der stirbt“, befinden sich schwarze Bretter besonders Mitte des Se-mesters in einem so abstoßenden und unü-bersichtlichen Zustand, dass unsere lieben Werbenden gerne auch auf Säulen, Türen und Fenster ausweichen. Hauptsache der Student sieht es. Zu Beginn des Semesters ist noch alles ruhig: Erstmal schauen, wel-che Kurse man besucht, ehe man sich in Arbeit stürzt. Schwarze Bretter, die über-sichtlich sind. Das ist unser Luxus in den ersten Semestertagen. Da macht Werben noch Spaß! Gegen Ende des Semester ist es nochmal was anderes: Die veralteten Plaka-te längst vergangener Veranstaltungen blo-

ckieren den Platz für aktuelle Sachen. Auch da sieht keiner mehr durch, der sich mal eben informieren möchte. Irgendwann in der vorlesungsfreien Zeit kommt dann der Segen: Er heißt „Mülleimer“ und bringt rei-nigendes Licht auf die schwarzen Bretter.Sind wir an der EUV zu aktiv, was das Au-ßeruniversitäre angeht? Bei der beschränk-ten Anzahl der schwarzen Bretter könnte man das zumindest vermuten. Sind wir zu unordentlich, was das richtige Werben an unseren flachen Litfaßbrettern betrifft? Die Folgen davon sind ebenso einleuchtend, wie nicht überraschend: Die Pro-dukte kommen nicht an, weil es zu viel wird. Unse-rem Edward Iceman aus der Einleitung ging es nur an einem Tag so. Zugebe-ben, das war etwas über-spitzt. Aber wenn wir uns vor Augen halten, wie wir denken, nachdem wir in-nerhalb von zwei Wochen täglich von drei Leuten an-gequatscht wurden, die uns etwas andrehen wol-len, woran wir nicht inter-essiert sind, dann schalten wir irgendwann ab. Glei-ches Phänomen bei den schwarzen Brettern: Wenn dort zuviel hängt, möchte es keiner mehr lesen.

Und wie heißt das Phänomen, das ich hier andeute? Es heißt Werberesistenz. Erschre-ckend, dass es noch Studenten an der Via-drina gibt, die nach mehreren Semestern noch immer nicht wissen, dass wir eine Zeitung namens Vivadrina haben. Ich hat-te das Glück mit einer solchen Person zu sprechen. Das Interview fing mit dem Satz an: „Eigentlich bin ich nicht der richtige Ge-sprächspartner dafür.“ Natürlich nicht, im-merhin wurde die innere Haltung im Laufe der Zeit gefestigt und ein automatisierter Abwehrreflex antrainiert. Allerdings liefer-te das folgende Gespräch einige Erkennt-nisse. Zu glauben, dass es zuviel Werbung ist, war (m)ein Irrglaube. Gründe für das Desinteresse angebotener Dienste liegen nämlich ganz woanders. Nehmen wir Par-ty-Flyer als Beispiel. Diese haben das Pro-blem, dass sie alle gleich aussehen. Schon

von Weitem ist zu erkennen, dass es Party-Flyer sind. Uninteressant werden die Din-ger dadurch, dass nie das Gefühl aufkommt eine Party verpasst zu haben, weil man von Kommi-Tonnen meist eh gefragt wird, ob man zu dieser oder jener Party mitkommt. Anderes Beispiel sind die schwarzen Bretter. Warum werden sie nicht wahrgenommen? Weil sie nicht auf dem Weg nach draußen liegen. Einzig die Pinnwand vor der Bibli-othek erscheint als guter Werbeplatz, da sie auf dem Weg zum Selbststudium in der

Bibo liegt. Und warum werden die ande-ren schwarzen Bretter nicht wahrgenom-men? Weil der normale Student nach der Vorlesung erstmal raus will, gegebenen-falls seine Lunge beschmutzen. Und wenn man schon mal draußen ist, fällt der Weg wieder rein zu gehen noch schwerer. Erst recht, wenn gleich die Tram kommt und einen nach Hause oder ins AB fährt. Aber all das ändert nichts daran, dass die norma-le Werbung nicht ankommt. Nur die Ursa-chen sind andere.Doch wie schaffen wir es, das Werben er-träglich zu machen und eine Werbeflut im Zenit des Semesters zu verhindern? Wohl-möglich stiege dann auch das Interesse der Studierenden. Eine Variante wären mehr schwarze Bretter für reine Werbeflächen. Damit müssten Werbende nicht auf Türen und Fenster ausweichen. Problem hierbei ist, dass sie dort trotzdem ihr Plakat anprei-

gm

Page 22: WS 08-09 Demokratie

21 uni

sen würden, um größtmöglichen Werbe-effekt zu haben. Eine weitere Möglichkeit wären klar abgegrenzte Bretter für Partys, Nachmietersuche, Univeranstaltungen, In-itiativen, Jobs und Sonstiges. Dabei hätten wir aber das Problem, dass einige Leute nicht diszipliniert genug wären, um die ge-steckten Rahmen einzuhalten. Außerdem wären es zu viele Bereiche, nach denen wir auch extra erst suchen müssten („Wo stan-den nochmal die Partyinfos?“). Dritte Mög-lichkeit wären WENIGER schwarze Bretter und das Verschieben der ganzen Propa-ganda auf die calendrina. Für Internes an der Uni würde das vermutlich auch klap-pen. Aber Externes und Dinge ohne spe-zielles Datum („Biete Nachhilfe im Wurzel ziehen“) würden auf der Strecke bleiben. Bei weniger schwarzen Brettern wäre auch das Problem, dass wir erst das richtige Brett finden müssten und es dem Zufall über-lassen wäre, ob wir genau das aufstöbern, wonach wir gesucht haben. Wäre ja dann eng auf den Pinnwänden. Der letzte und vermutlich beste Vorschlag ist, dass regel-mäßig die Aktualität der Reklame kontrol-liert wird, und zwar von den Werbenden selbst. Denn Abgelaufenes muss abge-macht werden. Seit den vielen Semestern, die ich hier schon studiere, fällt mir wie-derkehrend auf, dass alte Zettelchen die Pinnwände blockieren. Ein Deal wäre auch, dass nur dann etwas neues rangehangen

wird, wenn gleichzeitig etwas Abgelaufe-nes abgenommen wird. Das würde nicht sehr lange dauern und wir könnten die Pinnadeln gleich wieder verwenden. Zum Schluss noch ein unrealistischer Vorschlag: Nur noch über Monitore werben und alle sonstigen Werbeflächen abschaffen. Das hätte zumindest mehr Stil.

Mehr Stil, ja das wünsche ich mir. Ich habe

lange genug beobachtet, was jedes Se-mester an unserer geliebten Uni passiert. Es wird Zeit, dass wir etwas ändern. Aufge-rufen sind alle PR-Leutchens und die Stu-denten. Würden diese empfänglicher sein, müssten Werbetrommel-Agenten nicht so einen Riesenaufriss machen. Also: Gemein-sam anpacken und Edward Iceman nicht verhungern lassen!

gm

Anzeige:

Page 23: WS 08-09 Demokratie

22 uni

Ein Nachruf

Kittsteiner – den Namen hört man wie-derholt an der Viadrina. Ein Bild, das sich einstellt. Erinnerungen, vielleicht auch das ein oder andere wehmütige Seufzen. Wer neu ist in Frankfurt wird überrascht sein, angesichts der beweg-ten Erinnerung.

Abseits der Nachrufe auf einen hoch-geschätzten Intellektuellen bleibt uns Studierenden die Erinnerung an einen bewunderten Dozenten. Viele werden an seine unvergleichlichen Seminare zurückdenken.Schlag Viertel betritt er mit langen Schritten freudig den Seminarraum, streift sich noch Mantel oder Jackett ab und beginnt den Faden der ver-gangenen Sitzung aufzunehmen. Wir sind mitten in einem Seminar zu „Frie-densunfähigen Religionen?“, der „Kul-turgeschichte des 1. Weltkrieges“ oder der „Deutschen Geschichte in den Stu-

fen der Moderne“. Nach ein, zwei Au-genblicken sind alle in seinen Duktus hineingezogen. Eine ironische Anek-dote hier, ein prägnantes Zitat , eine Liedstrophe da (gesungen natürlich!), lockern auf und illustrieren. Von Zeit zu Zeit wischt seine Hand mit einem ele-ganten Schwung die Silbermähne aus der Stirn. Der Kreis der Kenner schmun-zelt erwartungsvoll, sobald er mit Krei-de versehen sich der Tafel nähert; man weiß, ein Ideengewebe, ein Tafelkunst-werk wird entstehen…

Andere einzelne Momente tauchen vor dem inneren Auge auf: Wie er von ei-nem Gedanken Montesquieus ausge-hend plötzlich ins Französische verfällt, wie er mit der ihm eigenen schelmi-schen Art aus seiner Tasche das Modell einer V2 hervorzaubert. Dann Augen-blicke, die uns an seinem Denk- und Arbeitsprozess Anteil haben lassen; so

während seiner „Deutschen Geschich-te in den Stufen der Moderne“, als er uns von Zeit zu Zeit erklärt, weshalb er sich entschlossen hat, die Kapitel sei-nes Buches und damit den Seminarplan wieder umzustellen.

Markant auch sein Gang: große Schrit-te, Rücken und Kopf in Gedanken nach vorne gebeugt. Was mag ihn beschäf-tigt haben: Weltgeist, Weltmarkt, Welt-gericht?

Markus von Kiedrowski

Die akademische Trauerfeier findet am 27. November um 17:00 Uhr imHörsaal 1 statt.

Prof. Dr. Heinz Dieter Kittsteiner vor einem seiner legendären Tafelbilder; er verstarb völlig unerwartet am 18. Juli 2008

In memoriam

Mit der exakten Seitenangabe in der Marx-Engels-Gesamtausgabe.

1

1

Page 24: WS 08-09 Demokratie

23 welt I stadt

Vom Odersand an den MittelmeerstrandErasmuseindrücke aus Nizza

Füße, die in die Pedale treten, Füße, die auf Rollen dahingleiten, Füße in Jogging-schuhen. Füße, die schlendern, die hasten, die stehen bleiben...und dazwischen Füße, die waagerecht von einer Bank ragen, re-gungslos, denn sie gehören einem, der den Schlaf der Seligen gefunden hat, mitten in der Menge, vor der prächtigen Kulisse nob-ler Hotels entlang der Strandpromenade. Auf Kopfhöhe stehen seine Habseligkeiten, sorgsam in zwei Plastikbeutel gestopft. Er scheint gänzlich ungestört vom Geschrei der Passanten, dem Gebrumm der Motor-räder und Gehupe der Autos, die beinahe das Geräusch der Wellen übertönen, die in der Baie des Anges, der „Engelsbucht“, gegen das steinige Ufer klatschen.

Chic und Charme

Die Promenade des Anglais ist eine der Hauptverkehrsachsen Nizzas. Früh mor-gens ist es eine Wonne im Bus am däm-mergrauen Meer entlangzufahren, wäh-rend sich über dem Felsen am östlichen Ende der Bucht tiefrot ein weiterer sonni-ger Tag ankündigt. Ab dem frühen Mit-tag bevölkern Scharen von Fußgängern und Radfahrern den einige Meter breiten und kilometerlangen Bürgersteig, der das

Meeresufer vom Hafen bis zum Flugha-fen begleitet. Zur Stoßzeit stauen sich die Fahrzeuge auf der Straße, die Menschen drängen sich an den Bushaltestellen. Die abwechselnd öffentlichen und zu Hotels gehörigen Strandabschnitte haben sich jedoch seit Anfang September merklich geleert, nur ein paar Späturlauber, hartge-sottene Franzosen und natürlich Erasmus-studenten lassen sich noch in den türkis-farbenen Wellen schaukeln. An die Ohren der Spaziergänger dringen vorwiegend französische Worte und nicht mehr Italie-nisch, Englisch, Deutsch oder die Sprache der nouveaux russes, die für die Einheimi-schen zum Synonym der nouveaux riches, der Neureichen, geworden sind.

Befänden wir uns noch in der Belle Epo-que des 19. Jahrhunderts, dann träfen die Touristen wohl gerade erst ein, zum Über-wintern. Sie profitierten vom angenehmen Mikroklima, aber auch und gerade davon,

„gesehen zu werden“, sooft sie sich in der Oper oder auf dem Karneval amüsierten. Sie haben ihre Spuren nicht nur in der Rei-he Luxushotels und in den Straßennamen der palmengesäumten Promenade des Anglais und ihrer Fortsetzung, der Prome-nade des Etats-Unis, hinterlassen, sondern

auch in Form von Kirchen verschiedener Konfessionen, orthodox, baptistisch, unter anderem, und Friedhöfen, für diejenigen, die ihre Krankheit trotz Luftveränderung dahinraffte. Die anglikanische Gemeinde besitzt außerdem eine Bibliothek, in der sich angeblich noch heute alte englische Damen zum Bridge treffen. Die Vergangenheit tritt aber nicht nur darin zutage, was sich als Klischee einer „Stadt der Reichen und Schönen“ – von einigen korrigiert zur „Stadt der Reichen und Alten“

– über Nizza durchgesetzt hat. Ein Flair mun-terer Lebendigkeit vermitteln die mehrstö-ckigen Häuser in der verwinkelten Altstadt, deren schlichte Fassaden in warmen Gelb- und Orangetönen leuchten und zig Fenster mit Fensterläden besitzen, denen man an-sieht, wie viele Generationen von Händen sie unzählige Male geöffnet haben, um die Wäsche auf die Leinen über den Gassen zu hängen. Natürlich verursachen die Preise in den zahlreichen kleinen Läden, Restau-rants und Cafés jedes Mal wieder einen kurzen Herzstillstand. Gelegentlich nimmt man sie in Kauf, ein Picknick mit Verpfle-gung aus dem Supermarkt in fröhlicher Runde am Strand ist aber eine keineswegs zu verachtende Alternative. Überhaupt macht das ständige Urlaubsgefühl so eini-ge Nervenverluste wieder wett, die in den ersten Wochen der Orientierungslosigkeit, bei der anstrengenden Wohnungssuche und im französischen Bürokratiedschun-gel, unvermeidlich auftreten.

Einziehen, Einschreiben, Eingewöhnen

Entscheidet man sich für einen der be-grenzten Wohnheimplätze, kann man as-tronomische Mieten und stundenlange Märsche quer durch sämtliche Stadtviertel vermeiden, muss dann aber notgedrungen zum Stammgast der nicht gerade hochge-lobten, nicht umsonst aber auch abends geöffneten Mensa mutieren. Oder sollte wie die französischen Studenten mit dem Auto anreisen, vollgestopft bis obenhin mit Herdplatten, Mikrowelle, Fernseher und was die Bude sonst noch komfortabler ma-chen könnte. Hat man sich nun allerdings eine nette Studenten-WG in den Kopf ge-setzt, sollte man überdurchschnittliches Durchhaltevermögen beweisen oder ein-

Vieux Nice: In den Winkeln der Altstadt tummeln sich vor allem Touristen

Page 25: WS 08-09 Demokratie

24 welt I stadt

fach viel Glück haben. Letzteres bedeutet eines Morgens mit Blick auf den Hafen zu erwachen, andere finden sich in dunklen Löchern an vielbefahrenen Straßen wie-der. „Nach spätestens einem Monat ist jeder irgendwie untergekommen und die Wogen der Aufregung glätten sich.“ Der Vertreter des Internationalen Büros sucht beschwichtigende Worte beim offiziellen Empfang für die ausländischen Studieren-den und verspricht neue Wohnheime für die nächsten Jahre, um den Mangel an Un-terkünften auszugleichen – das klingt wie Ironie für die Zuhörer, die offensichtlich ein paar Jahre zu früh gekommen sind.In der Einschreibung an der Fakultät be-steht die zweite organisatorische Heraus-forderung, die es zu meistern gilt. Erste Anlaufstelle ist Erasmusdokumentenver-walterin Madame Rasse im CROUS, einem Zentrum für studentische Belange unter-schiedlichster Art wie Wohnheimplatzver-gabe, Stipendienberatung oder Eröffnung eines Bankkontos. Im Normalfall wird schnell das namentlich gekennzeichnete Dossier mit den Unterlagen überprüft. In meinem Fall tat ich gut daran, Kopien sämt-licher Papiere vom Learning Agreement bis zur Bestätigungsemail der Universität da-beizuhaben, damit die resolute Frau Rasse kurzerhand meine aus ungeklärten Um-ständen nicht vorhandene „Existenz“ in den Akten der Université de Nice Sophia Antipolis anlegen konnte.Nächster Schritt: hundertmal wie im Kreis laufen, vom Internationalen Büro zu allen möglichen Sekretariaten, um Informatio-nen über Kurse - es gibt kein Vorlesungsver-zeichnis! - und die jedes Mal anderen Ein-schreibebedingungen zu sammeln, und wieder von vorne, weil garantiert die Hälfte der Büros geschlossen war oder zwanzig

andere Leute Schlange standen oder ich wieder einmal auf die „nächste Woche“ vertröstet wurde. Mittendrin zu stecken in der berüchtigten französischen Büro-kratie ist doch eine gewisse Erfahrung, die sich aber mit einem inneren Schmunzeln ohne Folgeschäden durchstehen lässt. Und schließlich ist die Freude, eine Plastikkarte mit mehreren obskuren Nummern und ei-nem verzogenen Digitalfoto in Händen zu halten genauso groß wie die Erleichterung, nicht mehr zu den gefürchteten Herren ins Internationale Büro („Wozu brauchen Sie überhaupt einen Studentenausweis?“) zu müssen. Vom überlaufenen Campus Carlone habe ich mich weitgehend in die „Straße der blauen Teufel“ auf den Campus St. Jean

d’Angely mit anderen Fach-bereichen ge-flüchtet, wo ich endlich passen-de Masterkurse über Migrati-onsforschung finde, Aus-tauschstuden-ten außerdem rar sind und ich nur das Zauber-wort „Erasmus“ in den Mund zu nehmen brauche, damit die Sekretärin-nen anfangen,

im Zeitlupentempo und überdeutlich zu sprechen und Wegskizzen ins Gebäude gegenüber anzufertigen. Die beiden Jahr-gänge des Masters Soziologie-Anthropo-logie werden zu jeweils eigenen Informa-tionstreffen eingeladen, in denen farbig ausgedruckte Stunden- und Studienpläne verteilt werden und die Dozenten ihre Se-minarprogramme einzeln vorstellen. Fast alle Kurse fangen zwei bis drei Wochen spä-ter an, eine gute Gelegenheit, sich beim gänzlich kostenlosen und ausgesprochen umfangreichen Unisport zu verausgaben (Afrikanischer Tanz ist sehr zu empfehlen!) und aus purer Neugier in ein paar Kurse auf Carlone hineinzuschnuppern, unter denen sich Russisch als Lieblingsfreizeitbeschäfti-gung für Rentner entpuppt.

Land und Leute

Eigentlich ist es merkwürdig, dass ein Ort für mich völliges Neuland ist, wo Millionen Menschen schon mindestens einmal ihren Urlaub verbracht haben. Fern von Paris gibt es in der Tat reichlich zu entdecken. Die Tramlinie, keine zwei Jahre alt, ist zugleich ein Freiluftmuseum von Werken regiona-ler Künstler. Dazu gehören die knienden, nachts grellfarbig leuchtenden Männer auf den langen Stelen auf dem zentralen Platz Massena, auf deren Köpfen sich ger-ne Vögel niederlassen. (Mit Verlaub: Sie scheißen auf die Kunst.) An den Haltestel-len prangen kluge Sprüche in schwungvol-ler Schrift („Kein Tag ohne Idee.“ oder „Es

Zwischen Stadt und Strand flanieren Spaziergänger auf der Promenade des Anglais

Die pissaladière, eine Art „Zwiebelpizza“, gehört zu den Spezialitäten der Region

Page 26: WS 08-09 Demokratie

25 welt I stadt

könnte schlimmer sein.“), manchmal auch auf Nissart, der lokalen Variante der okzita-nischen Sprache. Und: jede Haltestelle wird durch eine andere Stimme und eine eige-ne Melodie angekündigt, harte Konkurrenz für den Berlin-Brandenburg Ohrwurm der Deutschen Bahn. Staatliche Museen sind generell kostenlos, private Häuser öffnen jeden ersten und dritten Sonntag im Monat umsonst ihre Pforten. Dahinter warten Cha-gall, Matisse und zeitgenössische Künstler, historische und naturwissenschaftliche Sammlungen. Eine Fülle von Theatern und Kinos bieten ein reichhaltiges, oft interna-tionales Programm. Für einen Euro gelangt man per Bus nach Monaco, um dort Augen-zeuge der Dekadenz zu werden. Genauso kommt man in alle umliegenden Städte der Region wie Antibes, Cannes, Grasse oder Menton nahe der italienischen Grenze. Das Unisportbüro organisiert Wanderun-gen im Hinterland. Besonders Reiselustige bringt die Fähre in viereinhalb Stunden nach Korsika. In intimere Sphären Frankreichs dringt

man natürlich erst durch den Kontakt mit französischen Studenten vor. Ein Onkel meiner Mitbewohnerin hatte in den Ber-gen Pilze gesammelt, was er zum Anlass für ein Abendessen in ausgedehnter Familien-runde nahm. Die versammelte er am Stadt-rand von Cannes auf seiner Gartenterrasse unter grünem Laub, zwischen dem die rei-fen Trauben herunterbaumelten. Trotz vor-heriger Warnung machte ich große Augen, als es nach ungefähr zehn Gängen inklusive Quiche, Pizza und selbstverständlich Pilzen in unterschiedlichster Zubereitungsform hieß, das seien nun die entrées gewesen, und dann kam der Onkel mit Lammfleisch vom Grill und die Tante brachte den Salat. Nach der unvermeidlichen Käseplatte und drei Desserts hatte ich das Gefühl, die ge-samte französische Speisekarte auf einmal verschlungen zu haben, während der Re-gen langsam durch die Markise auf unse-re Köpfe tropfte. Die Schuld am Gewitter wurde mir in die Schuhe geschoben, ein Mitbringsel aus Allemagne. Französisch ist daneben jedoch auch, was

die afrikanischen Studenten aus Guinea, dem Senegal und der Elfenbeinküste als Muttersprache sprechen und das zu verste-hen ich meine Mühe habe. Immigranten aus dem Maghreb sind in aller Munde, es ist aber ausgerechnet eine Polin, die mich montags nach den spätabendlichen Chor-proben auf ihrem Roller mit nach Hause nimmt, weil sie in nächster Nachbarschaft wohnt. So lebhaft und vielfältig sich die Bilder von Stadt und Menschen an der Côte d’Azur in die Wahrnehmung drängen, ergänzen gewisse Routinen den Alltagsablauf: Wenn zu einer bestimmten Stunde fast sämtliche Leute unter ihren Armen Baguette nach Hause tragen, meistens angeknabbert, weil es frisch eben am besten ist, kann ich ein heimliches Grinsen kaum unterdrü-cken. Und mich erfreuen die Busfahrer, die nicht müde werden, jeden, der einsteigt, mit bonjour zu begrüßen, und den Ausstei-genden an den letzten Haltestellen auch noch ein au revoir zurufen.

lh

Panoramablick vom Campus der Fac de Lettres, der Geistes-wissenschaftlichen Fakultät, über Stadt und Meeresbucht

Page 27: WS 08-09 Demokratie

26 welt I stadt

Jakobsweg, Camino de Santiago, Chemin de Saint - Jacques de Compostelle – er trägt viele Namen, der Weg, dessen Verlauf durch mehrere Länder Europas führt. Doch das Ziel ist dasselbe: Santiago de Composte-la im spanischen Galicien. Der Ort ist be-nannt nach dem Apostel Jakob (Santiago), welcher der Legende nach im Jahre 844 als Schutzpatron und Helfer die Christen zu ei-nem Sieg über die Mauren führte, die An-fang des 8. Jahrhunderts die iberische Halb-insel besetzten. Sein Leichnam sei nach Galici-en überbracht und in „Finis Terrae“, dem heutigen Cap Finisterre (Ende der Welt), bei-gesetzt worden. In Compostela fand er seine Ruhe. Zu dieser Zeit entstanden erste Pilgerge-meinschaften, die bis heute nicht verloren gegangen sind. Der Hauptweg, der so genann-te Camino Fran-cés, der sich von St. Jean-Pied-de-Port in den französischen Pyrenäen bis hin nach Cap Finisterre in Galizien erstreckt, wurde 1987 zum ersten europäischen Kulturweg erklärt und 1993 in das UNESCO-Welterbe aufge-nommen. Nach Paulo Coelho und Hape Kerkeling, machte ich mich im Sommer 2008, als eine von vielen Pilgerinnen und Pilgern, auf den Weg nach Spanien, um den Jakobsweg zu gehen. Inspiriert von Büchern, angetrieben durch meinen Drang, Herausforderungen anzunehmen, und ausgestattet mit einer großen Portion an Neugierde und Taten-drang, wollte ich nun selbst die Erfahrun-gen und Erlebnisse machen, die so viele Pilger vor mir über tausende von Jahren auf diesem historisch und kulturell wertvollem Weg gesammelt haben.

Meine Vorbereitungen begannen bereits zu Beginn dieses Jahres. Ich las einige Er-fahrungsberichte und Reiseführer und fand schnell heraus, dass nichts wichtiger sein würde, als ein gutes Schuhwerk. So kaufte ich mir also zuerst Schuhe, denn ich brauchte noch einige Zeit, um sie einzu-laufen. Die restlichen Dinge, die sich auf meiner sorgfältig zusammengestellten Packliste befanden, waren nur die notwen-digsten, ein paar Kleidungsstücke, ein bis-

schen Seife und dafür ein umso größerer Erste-Hilfe-Kasten. Die Reaktionen meines Umkreises teilten sich in genau zwei Richtungen: die einen ermutigten mich in meinem Vorhaben und andere wiederum erklärten mich für völlig verrückt. Abbringen konnte man mich nun nicht mehr, denn dies war eine Sache, die schon länger in meinem Kopf verankert war. Ursprünglich plante ich auch den berühm-ten Hauptweg, den französischen Weg, zu gehen. Doch aufgrund der in den letzten Jahren zunehmenden Anzahl an Pilgern und meiner Affinität zum Meer, entschied ich mich eine Nebenroute zu laufen, den Camino del Norte oder auch Camino de la Costa – der Küstenweg. Eine Entscheidung,

die ich nie bereut habe. Begonnen habe ich am 28. Juli in Bilbao, im Baskenland. Der Tag war nicht besonders angenehm, denn ich wachte am Morgen schon mit Kopfschmerzen und Übelkeit auf. Ich entschied mich gegen die geplante Be-sichtigung des Guggenheim-Museums in Bilbao, denn mein Rücken schmerzte be-reits vom Tragen des Rucksacks und müde war ich zudem auch. So suchte ich sofort, die in meinem Pilgerführer beschriebene

herberge de p e r e g r i n o s auf. Wie es der Zufall wollte, traf ich bereits sehr bald den ersten Pilger meiner Reise. Beide gingen wir instinktiv aufeinander zu, denn zu v e r k e n n e n waren wir nun wirklich nicht. Ruck-sack, Pilger-stab und Hut

– die typischen Kennzeichen eines Pilgers. Er hieß Sergio und kam aus Argentinien. Mit nur weni-gen Worten beschlossen wir beide ge-

meinsam den Weg zur Herberge zu suchen. Ich war zudem noch eine unerfahrene Pil-gerin und mein Spanisch nicht sehr glän-zend. Sergio hingegen war das, was man einen waschechten Pilger nannte. Bereits den 52. (!) Tag unterwegs und schon gan-ze 2000 km von Mont-Saint-Michel aus der Bretagne gegangen, war er mir in seinen Pilgererfahrungen und seiner Gelassenheit um Längen voraus. Von Erschöpfung keine Spur bei Sergio. In der Pilgerherberge angekommen, wur-den wir herzlich aufgenommen und Betten waren auch noch frei. Für eine donativo von 3 Euro und einen Stempel in meinem Pil-gerpass hatte ich einen gesicherten Schlaf-platz im Zentrum von Bilbao. Doch viel

Meine Reise auf dem JakobswegAuf den Spuren einer traditionsreichen Pilgerroute

Die typischen Kennzeichen des Jakobsweges

Page 28: WS 08-09 Demokratie

27 welt I stadt

aufregender waren die ersten Gespräche mit den anderen Pilgern. Sie strahlten sehr viel Ruhe und Zufriedenheit aus. Ich traf Pilger aus dutzenden von Ländern und wir fanden schnell Gesprächsstoff, der bis in den späten Abend reichte. Ich traf Max aus Italien, der mich später noch treu bis nach Santiago begleiten sollte. Die Nacht war schlecht, denn ich war sehr aufgeregt vor meiner ersten bevorstehenden Etappe. Im Kopf hatte ich immer noch die nachhallen-den Impressionen des ersten Tages.Die erste Etappe war auch in der Tat die schlechteste. Nicht nur, weil ich müde war und der Rucksack mich quälte, sondern weil der Weg durch die industriellen Vor-städte Bilbaos führte. Kein schöner Anblick. Es waren zwar im Nachhinein gesehen nur 12 Kilometer zu absolvieren, doch erschien es mir eine halbe Ewigkeit. In Portugalete stürzte ich sofort auf die sehr komfortable Pilgerherberge zu, in der ich herzlich aufge-nommen wurde. Nach einer langen Dusche und der Behandlung meiner ersten Blasen, kam auch Max an, worüber ich mich sehr freute. Ich erkannte, dass ich noch viel zu lernen hatte, nämlich, dass mein Rucksack viel zu schwer war, man Wasser nicht in zu großen Mengen mit sich tragen musste (denn es gab genug Wasserstellen unter-wegs) und in der Ruhe tatsächlich die Kraft liegt. Gemeinsam verbrachten wir den Nachmittag mit einer Stadtbesichtigung. Ich traf die ersten deutschen Pilger und machte Bekanntschaften mit anderen. Die zweite Etappe und auch die restlichen legte

ich mit Max zurück. Ich stellte schnell fest, dass mehrere Augen für das Auffinden der Pilger-Wegweiser nötig sind. Insbesondere das Baskenland lag offenbar viel Wert dar-auf, dass Pilger lange nach den typischen Richtungsangaben - gelbe Pfeile und Mu-scheln - suchen mussten. Aber man fand schnell die typischen Stellen heraus, an Häuserwänden, Straßenlampen, auf dem Boden etc., an denen Zeichen versteckt wa-ren. Je weiter der Jakobsweg jedoch führte,

umso eindeutiger waren die Kennzeich-nungen und Verlaufen war unmöglich. Max und ich hatten einen langen Tag vor uns. Es waren die härtesten 28 Kilometer der gesamten Strecke für mich. Ich war untrainiert und nicht an den Rucksack ge-wöhnt. Es war heiß, ich bekam einen Son-nenbrand und nach ca. 20 Kilometer konn-te ich mein rechtes Knie nicht mehr beugen. Ich dachte mir, wenn dies so weitergehen würde, dann kann ich es nicht schaffen. Max hat mich an diesem Tag nach Castro Urdiales gebracht, mit vielen motivieren-den Worten und als Dolmetscher in einer Apotheke, um eine Kniebandage zu kaufen. Die letzten 200 Meter vor der Herberge be-schloss ich nicht mehr weiter zu gehen. Es schien zu diesem Zeitpunkt unmöglich für mich, ich war die letzten 5 Kilometer nur im Entengang vorangekommen. Max wartete mit mir und schaffte es nach 15 Minuten mich zu überzeugen die letzten paar Me-ter zu bewältigen. Aufgeben kam für mich nicht in Frage. Ich erinnere mich besonders intensiv an diesen Tag, denn ich erkannte, dass meine Schmerzen noch sehr gering waren im Gegensatz zu denen anderer Pil-ger. Man erklärte mir, dass sehr viele vor-her abbrechen müssen, aufgrund von Knie-schmerzen oder Problemen mit der Achil-les-Ferse. Ein anderer Pilger kam auf mich zu und sprach mir Mut zu, nicht aufzuge-ben, denn in der ersten Woche ist es normal, dass Schmerzen dominieren. Es war etwas Besonderes für mich, es von ihm gesagt zu bekommen, denn er hatte sich am Tag zu-

Der Weg und ich

Pause

Page 29: WS 08-09 Demokratie

28 welt I stadt

vor eigenhändig die Ferse genäht, die offen war durch Blasen. Am Abend ging es mir auch viel besser, denn ich fand Ruhe und Geborgenheit. Die erste Woche hat mich sehr geprägt. Das Gehen habe ich noch nicht sehr genießen können, denn ich war stetig damit beschäftigt mich von meinen Schmerzen abzulenken, die auch meine Gedanken einnahmen. Max hat mir sehr gut dabei geholfen. Wir trafen in einem Zisterzienserkloster auch bald auf Aurora, einer jungen Spanierin aus Zaragoza, die sich unserer kleinen Gruppe anschloss. Ich machte Bekanntschaft mit den verschie-densten Schicksalen, von Menschen, die ihre ganze Familie verloren haben und des-halb das Bedürfnis verspürt haben mehrere Monate und Jahre unterwegs zu sein waren oder auch solchen, die sich auf dem Weg gefunden und lieben gelernt haben. Einige Pilger traf man immer wieder abends in den Herbergen und man erfreute sich so sehr sie wiederzusehen. Es war eine große Pilgerfa-milie und keiner war besser oder schlechter gestellt, als der andere, denn man hatte den gleichen Weg zu bewältigen und mit den gleichen schönen oder auch weniger schönen Dingen zu tun. Die Pilgerherber-gen waren sehr unterschiedlich. Meistens sehr einfach mit Liegen und ein oder zwei Duschen bis hin zu modern eingerichteten Häusern, mit Internet, Küche und warmen Wasser. Letztere waren überwiegend in Ga-lizien zu finden. Mit Aurora und Max startete ich in die zweite Woche meiner Reise und gleich-zeitig endeten auch endlich die bis dahin unerträglichen Schmerzen. Ich merkte, wie mein Rucksack zu meinem Freund wurde und meine Beine mich problemlos kilome-terweit tragen konnten. Endlich konnte ich meine Gedanken sich auf etwas anderes fixieren. Wandern wurde zur Freude, wir sangen gemeinsam und erzählten viel. Im Fortlauf meines Weges schlossen sich auch Alberto von Mallorca, Estibaliz aus Bilbao und Bernado aus Italien unserer Gruppe an. Die unterschiedlichsten Charaktere, aus den verschiedensten Ländern mit den verschiedensten Hintergründen lernten sich kennen. Wir waren zwar eine Gruppe, aber es hieß nicht, dass wir zu jeder Minute nebeneinander liefen. Letztendlich verbrachte man doch sehr viel Zeit für sich. Manchmal liefen wir bis zu 10 Kilometer auseinander und manchmal verbrachten wir lange Zeit gemeinsam mit dem Laufen. Man kannte den anderen nach einer Weile sehr gut, denn der Weg bewirkte, dass man seine Masken ablegte und seinen Gefühlen, die man jeden ein-

zelnen Tag auf verschiedene Weise spür-te, freien Lauf lässt. Jeder hatte mal einen schlechten Tag, an dem er bereit war al-les aufzugeben, aber man konnte sich gut gegenseitig auffangen. Manchmal fühlte man sich so stark und kräftig, dass 12 Ki-lometer über den höchsten Erhebungen bei der größten Hitze in zwei Stunden kein Problem darstellten und wiederum an an-deren Tagen war jeder Schritt eine Qual. Ich erkannte den Weg als wunderbare Allego-rie des Lebens - ein ständiges Auf und Ab, steinige Wege, asphaltierte Straßen, Hitze, Kälte, Regen, Sonnenschein. Das Laufen wurde wie das Atmen, man brauchte es einfach, es gehörte zum Menschsein dazu. Jeder Tag war ein ganz neuer Tag. Man wusste nicht, wo man die nächste Nacht verbringen würde, wie gut

man die Etappe bewältigen kann, wen man trifft und auf welche neuen Dinge man stößt. Manchmal waren Herbergen auch belegt und keine Notunterkünfte zur Ver-fügung gestellt, sodass wir unter Kirchen-dächern, auf Spielplätzen oder, wie es das Leben nun mal wollte, mitten auf der Straße schlafen mussten. Es stellte für uns jedoch kein Problem dar, denn vieles relativierte sich einfach mit der Zeit. Das komfortab-le, gewohnte Leben von zu Hause existier-te nicht mehr, aber was machte es schon aus. Müdigkeit, Ekel, Schmerz und eine fehlende Dusche waren zu Nebensachen geworden. Wichtiger war es, dass wir un-ser Tagesziel erreicht haben und gemütlich zusammen auf einer Wiese essen, trinken und reden konnten.Ein guter Freund aus Frankreich sagte im-

Laufen, laufen nochmals laufen

Page 30: WS 08-09 Demokratie

29 welt I stadt

mer wieder gerne: „Le chemin ouvre“ – der Weg öffnet. Ich war immer wieder über-rascht von der Freundlichkeit der Spanier. Pilger, so erschien es uns oftmals, wurden fast schon als Heilige angesehen. Man bat uns in jeder Großstadt und jedem kleinen Dorf Wasser an und die Menschen riefen auf: Buen Camino, peregrinos! – Einen guten Weg, euch Pilgern! Ich erinnere mich auch gerne an eine Frau, die ihr altes Haus privat an Pilger zur Verfügung stellte und sich ge-meinsam mit ihnen freute, wenn sie ihnen die frohe Nachricht überbringen konnte. So eröffneten die Städte auch oftmals die Türen der Sporthallen, um die Pilger auf-nehmen zu können. Einmal ersehnte ich so sehr eine Dusche und einen geschlossenen Raum zum Schlafen, dass mir Tränen der Erleichterung bei der Ankunft kamen. Man sagt „Der Weg gibt und der Weg nimmt“ und ich denke es trifft sehr genau zu. Er gibt Unmengen an Kraft, Freude, Ausdau-er, Optimismus und Ruhe und nimmt viel Angst, Energie und die unwichtigen Dinge, auf die man sich im Leben eigentlich nicht zu konzentrieren braucht. So vergingen die Wochen und langsam stell-te sich, sofern man davon überhaupt reden kann, eine gewisse Routine in das Alltagsle-ben eines Pilgers ein. Nach dem Aufstehen gab es ein kleines Frühstück in einer Bar mit cafe con leche, dann Bocadillos zum Mittag

und zwischendurch immer wieder Pausen, die grundsätzlich in der Horizontalen und mit Schlafen verbracht wurden. Nach der Ankunft in den Herbergen duschten wir uns, wuschen unsere Kleidung, schliefen viel, kauften für das Abendessen ein und versorgten gegenseitig unsere Füße. Letz-tere Beschäftigung ist ein ganz eigenes Thema für sich. Man erkannte einen Pilger nicht zuletzt an seinen gequetschten, mit Blasen überzogenen und mit Pflastern zu-geklebten Füßen. Einige waren vom gro-ßen Unglück betroffen, die ganze Sohle mit Blasen versehen zu haben und muss-ten in ein nächst gelegenes Krankenhaus gebracht werden, um sich behandeln zu lassen. Dies bedeutete natürlich auch ein Gehverbot von mehreren Tagen. Langsam aber sicher näherte sich unser Ziel Santiago de Compostela. Die letzten drei Etappen verbrachten wir zusammen mit den Pilgern des Hauptweges, da der Cami-no del Norte und der Camino Francés ca. 70 Kilometer vor Santiago aufeinandertreffen. Die letzten 4 Kilometer vom Berg des Monte Gozo bis nach Santiago waren sehr einzig-artig. Pilger strömten quasi in die Stadt ein und man sah ihnen die unglaublich große Vorfreude und Energie an, mit der sie die Kathedrale von Santiago aufsuchten. Mei-ne kleine Gruppe und ich waren in heiterer Stimmung, aber je mehr wir uns der Innen-

stadt und somit auch un-serem endgültigem Ziel näherten, kehrten wir in uns und konnten es kaum glauben, dass nun der gro-ße Moment gekommen sein würde. Wir überleg-ten uns wie es sein wür-de, wenn wir alle wieder unsere eigenen Wege ge-hen und nicht mehr jeden Tag die gewohnten 25-30 Kilometer laufen würden. Dieser Gedanke schien uns noch weit entfernt und vor allem sehr fremd. Wir betraten den großen Platz vor der Kathedrale und fielen uns in die Arme. Tränen der Freude flossen bei vielen Pilgern. Lange lagen wir auf dem Platz und betrachteten das gi-gantische, von mehreren Stilen geprägte Bauwerk, das so viele Pilger jedes Jahr aufs Neue anzieht. Natürlich war es Pflicht an der täglichen Messe für die Pilger teilzuneh-

men. Es war ein sehr ehrwürdiger Augen-blick, als die Namen der Pilger und auch ihre Nationalitäten öffentlich genannt und sie anschließend gesegnet wurden. Gemein-sam feierten wir unsere Ankunft am selben Abend, waren aber gleichzeitig sehr betrübt über die Nachricht vom Tod von Max Groß-mutter und dem Abschied von Estibaliz, die noch am selben Tag Santiago verließ. Ich verbrachte noch zwei Tage in der atembe-raubenden Stadt und besichtigte viele ihrer Bauten, kleinen Gassen und Parks. Bald kam der Abschied von Alberto, Max und den sich uns zum Schluss angeschlossenen Franzo-sen Samuel und Romain aus Lyon, die be-schlossen hatten den Weg bis nach Cap Fi-nisterre zu Ende zu gehen. Mein Weg ging wieder zurück nach Deutschland. Es fiel mir nicht leicht mich wieder an einen anderen Tagesablauf zu gewöhnen, ich vermisste das Laufen sehr und auch die vielen Gefüh-le, die mit dem Pilgern verbunden waren. Oft denke ich zurück und zehre viel Kraft aus den Erinnerungen. Ich bin froh, den Weg gegangen zu sein und möchte die Erfahrun-gen und Freundschaften, die ich gemacht habe, nicht mehr missen. Ich habe meinen treuen Weggefährten für diese schöne Zeit zu danken. Buen Cami-no!

sh

Santiago - wir haben unser Ziel erreicht alle Fotos: privat

Page 31: WS 08-09 Demokratie

30 kultur

„Film als Therapiemaßnahme“ oder

„Die Neuerfindung eines Kinogenres“Der Film Waltz with Bashir von Ari Folman.Kinostart: 06.11.2008

Es sind 26 blutrünstige, fleischgierige Hun-de, die zu Filmbeginn hetzend über die Leinwand jagen. Sechsundzwanzig Besti-en, aus deren dunklen Augen die Kaltblü-tigkeit und aus deren abgemergelten Kör-pern die Verzweiflung entgegenblitzt.Gleichwohl sie gezeichnet und animiert auf den Zuschauer zurennen, büßen sie keines-falls an Bedrohlichkeit ein. Im Gegenteil.Derjenige, der sich mit diesen Bildern in seinen Träumen quält, ist Boaz, ein Freund des israelischen Regisseurs Ari Folman. In einer Bar erzählt er ihm von dem immer wiederkehrenden Szenario, das sich nachts vor seinen Augen abspielt. Folman und er erkennen bald, dass dies ein traumatisches Überbleibsel der Zeit des Libanonkrieges sein muss, in dem sie beide im September 1982 eingesetzt waren. Folmans Erinnerung an diese Zeit gleicht jedoch einer leeren, weißen Lein-wand. Er kann sich an kaum etwas erin-nern. Verwirrt und entsetzt über diese Feststellung macht er sich auf die Suche nach Kameraden von früher. Es beginnt eine autobiographische Odyssee in seine Vergangenheit, auf ei-nem steinigen Weg, der gepflastert ist von erbarmungslosen Wahrheiten, verdräng-ten Jugenderinnerungen, barbarischen Geschichtsfragmenten und vor allem der Suche nach sich selbst.Die bewusste Wahl des Regisseurs Ari Fol-man seinen Dokumentarfilm „Waltz with Bashir“ als Animation zu kreieren, beweist Innovationsgeist, den es wahrscheinlich

auch benötigt den Menschen das ohnehin moralisch klare Thema der Überflüssigkeit des Krieges ein weiteres Mal vor Augen zu führen.Marjane Satrapis „Persepolis“ machte letz-tes Jahr erfolgreich den Anfang den Weg des Comicdramas auf die Leinwände dieser Welt zu ebnen. Folman folgt, wenn auch in

größeren Schritten und mit tieferen Abdrü-cken, wenn er sein Leben als junger isaraeli-scher Soldat, die Jugend, die keine war, und die grausamen Massaker an der palästinen-sischen Zivilbevölkerung zeigt.Die faszinierende Authenzität des Films entsteht, indem reale Interviews als Klang-teppich dienen, auf dem die gezeichneten Figuren sich ihren Handlungen hingeben, begleitet von zahlreichen Kopfbildern, Ge-

dankenwelteneinblicken und Fluten der Erinnerung, die im Gegensatz zu anderen Dokumentationen dank der Animation vi-sualisiert werden können und sich in teils surrealen Bildern über den Zuschauer er-gießen. Viereinhalb Jahre hat das Produktionsteam der israelisch-deutsch-französischen Ko-

produktion an dem Werk gearbeitet. Für Folman war der Prozess der Filmentste-hung zugleich der Prozess die eigene Ver-gangenheit zu verarbeiten, sagt er.Der zentrale Themenpunkt, um den die gewaltigen Bilder dabei kreisen, ist die Schuld. Umso interessanter ist es, dass an dem Film u.a. mit Israel und Deutschland zwei Nationen beteiligt sind, die auf ihre eigene bedeutungsschwangere Weise durch Schuld verknüpft sind. Die Weltpremiere im Rahmen der Film-festspiele von Cannes, die mit stehenden Ovationen einherging, rief Lobeshym-nen unzähliger Kritiker hervor, denen man sich nur anschließen kann.Und wenn in den letzten Minuten des Films aus den kantig gezeichneten Bil-

dern plötzlich reale werden, dann wird die Haltung im Kinosessel angespannter, der Kloß im Halse dicker und der Respekt vor dem Regisseur, dieses beeindruckende Werk der unheimlich nahen Geschichts- und Persönlichkeitswiedergabe geschaf-fen zu haben, noch ein letztes Mal größer.

kr

„Burn After Reading –

Wer verbrennt sich hier die Finger?“(2008) von Ethan und Joel Coen Kinostart: 2. Oktober 2008

„Sie sind Mormone, neben Ihnen hat jeder ein Alkoholproblem.“ Stellt der gerade ge-feuerte, pardon aus freien Stücken gegange-ne, CIA-Agent Ozzy Cox (John Malkovich) gegenüber seinem noch Vorgesetzen fest. Was nach diesem anfänglichen Intermezzo beginnt, ist ein raffiniert organisiertes Cha-

os der brillianten Coen Brüder. Beide Filme-macher sind für unglaubliche Drehbücher und spezielle Charaktere bekannt (zuletzt

„No Country For Old Men“). In „Burn After Reading“ stellen sie dies zum wiederholten Male eindrucksvoll unter Beweis.Linda Litzke (Frances McDormand) will

eigentlich nur eines: VIER Schönheits-OPs. Des weiteren natürlich auch einen lieben Mann, aber dem stehen ja noch die anste-henden visuellen Korrekturen und deren Finanzierung im Weg, denn Linda hat kein Geld. Nun kommt der dümmliche Chad Feldheimer (Brad Pitt) ins Spiel. Linda und

Page 32: WS 08-09 Demokratie

31 kultur

Chad arbeiten zusammen bei „HardBo-dies“, einem Fitnessstudio, in dem zwar viel an den Muskeln gearbeitet wird, aber die Synapsen definitiv zu kurz kommen. So hat es auch der sportliche Chad nicht leicht sei-ne Hirntätigkeit in Gang zu bringen, als sich eine ominöse Daten-CD in der Frauenum-kleide des Fitnessstudios auffindet. Chad wittert eine Chance auf das große Geld und überzeugt, die sowieso schon finanzi-ell verzweifelte Linda, den Besitzer der CD zu erpressen, indem er ihm droht sämtliche Inhalte der CD an die Öffentlichkeit zu brin-gen. Bedauerlicherweise hat aber „Ozzy“, der suspendierte CIAAgent und jetzt Opfer von Chad´s und Linda´s glorreichen Plan, keine Ahnung wovon die beiden reden, denn nicht er, sondern seine ehrgeizige Gattin (Tilda Swinton) hat die Memoiren Ihres Mannes als vermeintliches „Beweis-material“ auf eine CD gebrannt, um es im Falle einer Scheidung gegen ihn zu verwen-den. So kommt es also, dass Chad und Linda mit ihrer lächerlichen Erpressungsnummer bei „Ozzy“ auf Granit stoßen. Als wäre es nicht schon verwirrend genug, kommt nun auch noch der smarte Regierungsbeamte Harry Pfarrer (George Clooney) dazu, der zu Hause den verständnisvollen Ehemann mimt, doch in Wirklichkeit perverse „Mas-

turbations-Stühle“ im Hobbykeller erfindet und seine kleinen Affairen hegt und pflegt, stets darauf bedacht seinen Beischlaf mit einer kleinen Runde Jogging abzurunden. Demnach ist es zwar ein Zufall, aber auf-grund Harrys regen Sexualtriebs nicht ver-wunderlich, dass Harry Pfarrer sowohl eine Liebelei mit „Ozzy´s“ Gattin, als auch eine weitere Liebschaft mit Linda Litzke beginnt und damit ein Teil der turbulenten Anrei-hungen von schicksalhaften Verzweigun-gen und Absurditäten wird, bei denen am Ende des Films keiner der Protagonisten so richtig weiß, worum es eigentlich geht. Übrig bleiben einzig eine Reihe von Toten, verwirrte Behörden, kaputte Beziehungen und VIER Schönheits-OPs.Und genau das ist es auch, was die Schwarze Komödie so komisch und zugleich beson-ders macht. Der Inhalt ist alles andere als tiefgründig, was zählt ist die galante Über-schneidung verschiedener Gesellschafts-schichten, die humorvolle Verbindung zwischen Behörden, Akademikern und Mittelschicht, sowie die pikanten Charak-tere, von denen der Film lebt und die durch die einzelnen Darsteller mit viel Ironie und schauspielerisches Genie überzeugend ko-misch dargestellt werden. So ist wirklich sehr amüsant zu sehen wie die prominente

Besetzung angefangen mit George Cloo-ney zu Brad Pitt und Tilda Swinton sich in ih-ren typischen Rollen als Charmeur, Schön-ling und eiskalte Frau perfekt parodieren ohne dabei an Niveau zu verlieren. Der Film bietet somit für jeden etwas und selbst die Männer, die bei dem Namen „Brad Pitt“ nur genervt mit den Augen Rollen, werden sicher auf ihre Kosten kommen!

Heute früh hatte ich ein äußerst erschre-ckendes und vor allem besorgniserregen-des Erlebnis: Ich wechselte den Radiosen-der. Ich verabschiedete mich von einer mir bis dato immer sympathischen jungen und hippen Zielgruppe, und zog aus in die altbackenen Abgründe der Berlin-Bran-denburger Radiolandschaft. Was ich fand, war erschütternd, doch immerhin besser als zwanzig Prozent auf alles – außer Tier-nahrung. Das muss es sein, das fortgeschrittene Alter, über das sie immer alle munkeln. War´s das jetzt schon? Ist heute der erste Tag, ab dem ich fortan frohgemut das Beste der 70er, 80er und 90er hören werde, bis dass der Roy Black uns scheide, und, schlimmer noch: sogar ab und an neckisch mit dem Fuß zu „Hungry Eyes“ wippen werde?Nicht auszudenken!

Alternativen: 1. Wenn mir mal wieder nach einer ordentlichen Portion Werbeblöcke zumute

ist, schalte ich gern den Sender für Erwach-sene ein. Das bisschen Musik zwischen der Reklame stört mich nicht weiter. Gern bekomme ich als Gegenleistung für mei-ne Rundfunkgebühren die morgendliche Weck-Jingle-Bombe von Thilo Stöhr und anderen alten Bekannten, mit denen ich groß geworden bin und die ich trotz an-fänglicher Schwierigkeiten nach 10 Jahren nun doch endlich in mein Herz schließen konnte.2. Auf dem Berlin-Brandenburger Sender für Abiturienten und solchen, die´s mal werden wollen, werden tagsüber zu-nehmend junge Hörer dazu angehalten, ihre Meinung zu brisanten Debatten wie

„Ist Schwarzfahren erlaubt?“ und „Sollten Radfahrer links oder rechts um ein Haus rum fahren?“ kundzutun. Kurz, Vera am Mittag als Audio-Edition. Gut – Immerhin ohne Vera. 3. Auf dem Sender nebenan, dem für Zahnarzthelferinnen und Büromäuse, werde ich neuerdings direkt angespro-chen. Was die alles wissen über mich! Sie

behaupten, ich würde auf der B1 geblitzt werden und hätte Schwierigkeiten im Ver-kehr. - Es gibt Situationen, da möchte man sich einfach nicht direkt angesprochen füh-len, ok?!

Was bleibt also als Ausweg? Was für den ei-nen das Beste der 70er, 80er und 90er, ist für den anderen eine Art akustische Rudis Res-terampe. Hab ich´s doch immer gesagt.Artenvielfalt hat auch ihre Schattenseiten. Doch siehe da: Der Fuß mag heute noch nicht so recht zu Patrick Swayze wippen, und, besser noch: Es stellt sich sogar Brech-reiz ein! Heißt das etwa, in der Berlin-Bran-denburger Radiolandschaft ist der Weg von mir bis zu Matthias Reim doch ein weiter? Gott sei dank!!!Dann doch lieber ein Leben mit zwanzig Prozent auf alles – außer Tiernahrung. Wer kauft schon schließlich einfach nur irgend-welche Meisenringe? Einen nahezu frühlingshaften Herbst wünscht Euch

Vivian Büttner

Schwarz-Sehen für AnfängerHeute: Radio Hören

aw

Page 33: WS 08-09 Demokratie

32 kultur

Fettes Brot – „Ich lass Dich nicht los“Eine Songinterpretation

Auffallend im deutschsprachigen Musikraum sind Liedtexte, die über das fröhliche [Friede, Freude, Eier-kuchen] hinaus gehen und ernste Themen ansprechen. Liebe ist als Thema auch schon zu ausgelutscht, als dass ein Songautor neue Erkenntnis oder Sichtweisen rü-ber bringen könnte. Die Fronten sind an diesem Orte ja bekannt und erhärtet. Entweder Liebe ist toll und man freut sich wie ein Kullerkeks. Oder aber die Liebe schmerzt, weil sie aus einem bestimmten Grund uner-füllt bleibt. Facettenreich sind dann eigentlich nur die verschiedenen Gründe, warum Liebe unerfüllt bleibt. Im neuen Song von „Fettes Brot“ geht es ebenfalls um unerfüllte Liebe.

Nachdem ihr den Song ein paar mal gehört habt, macht es sofort Klick im Köpfchen und ihr fühlt euch über 20 Jahre zurückversetzt. Damals schlug Falcos

„Jeanny“ wie eine Bombe ein und polarisierte bei al-len Zuhörern, die den Text verstanden, akustisch und inhaltlich. Dort ging es um einen Stalker, der die arme Jeanny für sich haben möchte und ihr grausame Dinge antut. Zumindest wird dies angedeutet. Wer in dieser Songtrilogie das wahre Opfer ist, bleibt der eigenen Vorstellungskraft überlassen. Und so ist es ebenfalls bei

„Ich lass Dich nicht los“ von „Fettes Brot“.

Auch in diesem Song geht es um einen Mann, der einer Frau nachstellt. Im Laufe des Liedes offenbart sich, dass das lyrische Ich das Leben jener Frau genau beobach-tet hat und es zu einer Art Obsession wurde, genau zu wissen, wann sie wo ist. Auch Details aus ihrem Leben lassen auf den Beobachtungswahn des Mannes schlie-ßen. Denn wie sonst hätte er wissen können, wo ihr Ersatzschlüssel versteckt ist oder wie ihre Kissen liegen? Ein wenig unklar bleibt mir, ob die zwei Protagonisten in den vergangenen vier Jahren Gesprächkontakt hat-ten oder der einzige Kontakt durch die Kommunikati-onsversuche via Blumen und Briefe zustande kam. „Wir kennen uns schon seit über vier Jahren“ lässt vermuten, dass die zwei noch Kontakt halten. Der Mann lässt sich auch über den aktuellen Partner der Frau aus, was auf einen Kommunikationsvorgang schließen lässt. Ande-rerseits folgt in den Zeilen danach auch, dass die Blu-men und Briefe zerstört wurden und ein Gerichtstermin angesetzt wurde. Daraus lässt sich ableiten, dass Frau und Partner sich belästigt fühlten und das Gespräch eben genau NICHT suchten. Aber das ist ja auch eine Art Kommunikation...

Im Höhepunkt des Songs besucht er sie in ihrer Woh-nung und es kommt zum Eklat: Er lebt seine Besessen-heit für die Frau aus und schlägt sie nieder. Damit zeigt er durch brutale Art, wie schlecht er mit der unerwi-derten Liebe umgehen kann und letztlich nur in ihrem Tod die Möglichkeit sieht, mit ihr vereint zu sein. Spe-kulationsraum ist offen, ob die beiden dadurch vereint

Songtext:Ich traf dich im Internet auf einer Seite für junge Leute Du schriebst, dass du neu hier bist, es sei das erste Mal heute. Du kennst dich hier nicht aus, ich meinte: „Mach dir nichts draus.“ Und dieses „LOL“ heißt „laughing out loud“. Ich schrieb ne Message: „Weißt Du, was nett ist? Wenn du mir ein Foto mit Adresse schickst, wenn du nochmal chattest.“ Ich wusste gleich: Du bist die Liebe meines Lebens. Und es war mir klar: sind wir erst mal ein Paar, wird es auf dieser Welt für mich einfach nichts Schöneres geben.

Erinner‘ mich genau an den Moment, als ich die Mail von Dir das erste Mal las, Dass ich für ein paar Augenblicke so glücklich war, dass ich die Welt um mich herum vergaß. Ich dachte nur: Ich fass es nicht! Denn Du wohnst in der selben Stadt wie ich Und das nur vier Straßen von mir entfernt. Warum haben wir uns denn nie kennen gelernt? Und dann sah ich dich: Du warst auf dem Parkdeck vom Mercado, Doch ich hab mich nicht getraut - wie das dann so ist - Dich anzusprechen, dazu hatt‘ ich zu viel Schiss, Und ging dann hinter dir her bis zum Bahnhof.Ich sagte dir davon niemals ein Wort, Aber ich wusste es sofort: Du fährst am Dienstag zum Sport. Ich hatte die Idee und fuhr zu dir, Legte einen Blumenstauß vor die Tür.

Oh, wüsstest du nur, wie ich wirklich bin, Dann wüsstest du auch, dass ich nicht wirklich so bin. Und wüsstest du nur, dass ich bei dir bin, Dann wüsstest du auch, dass wir zusammen gehören.

Page 34: WS 08-09 Demokratie

33 kultur

Wir beide kennen uns schon seit über vier Jahren und eine Sache weiß ich ganz sicher: Diesen Freund, den du hast, der Typ ist ein Wichser. Dass er dich nicht wirklich liebt, wirst du bald erkennen. Und es dauert nicht mehr lange, dann wirst Du dich von ihm trennen. Dieser Scheißkerl hat die Blumen weggeschmissen, Meine Briefe alle gleich zerrissen. Du hast ‚ne neue Nummer, ich kann nicht mal smsen. Ich bin sicher, er hat dich mit anderen Frauen beschissen.

Weißt du nicht? Wir sind doch ein Traumpaar, das sieht jeder. Auch dein Freund, wenn er wieder mal die Bullen ruft. Du musst gar nichts sagen. Klar, dass du nur so tust Und deine Anzeige war ja nur ein Fehler. Deshalb glaube ich, wir beide müssen mal reden, Dann wird sich schon was ergeben. Wir haben nur dieses Leben. Wir brauchen keinen Termin beim Landgericht. Wir regeln das von Angesicht zu Angesicht. Ich fahr‘ zu dir und warte hier. Ich schwöre dir, du gehörst zu mir. Ich kenn‘ die Wohnung, denn ich weiß, wo der Schlüssel versteckt liegt. Weiß, wer du bist und wie Dein Kissen im Bett liegt.Du schreist, als du mich siehst. Als ich hinter dir die Haustür abschließ‘. Und als du mir sagst, dass du mich nicht liebst, Stehe ich auf, weiß nicht, wie mir geschieht.

Halt deinen Mund! Ich lass dich nicht los! Sei einfach still, du verschwendest nur Zeit. Ich kann alles erklären. Ich lass dich nicht los! Du hast mich doch gern. Ich lass dich nicht los! Hör auf dich zu wehren! Ich lass dich nicht los! Ich lass dich nicht los!

Jetzt liegst du vor mir und bist wunderschön anzusehen, Nimmst dir Zeit mir zuzuhören. Die Anderen, die draußen auf uns warten, werden das niemals verstehen, Dass wir von hier an miteinander gehen.

Oh, wüsstest du nur, wie ich wirklich bin, Dann wüsstest du auch, dass ich nicht wirklich so bin. Und wüsstest du nur, dass ich bei dir bin, Dann wüsstest du auch, dass wir zusammen gehören.

sind (und „miteinander gehen“), dass er sich danach eben-falls umbringt. Anhaltspunkte dafür sind zu finden, denn die Leute, die „draußen warten“, sind wahrscheinlich Polizisten, die dem unberechenbaren Treiben des Stalkers ein Ende machen wollen. Textlich zu zeigen, dass der Stalker genau das weiß und damit rechnet bald ins Gefängnis zu kommen (und damit von ihr getrennt zu sein), lässt meinen Schluss zu, dass er sich mit ihr im Tode vereint.

Opfer ist hier zum einen die Frau, die ihr Leben lassen muss. Aber auch der Mann ist das Opfer, denn seine krankhafte Leidenschaft für die Frau übersteigt das kritische Maß und lässt auf eine Geisteskrankheit schließen. Offenbar hatte jener Mann die Fähigkeit verloren, im realen Leben Sozi-alkompetenz zu zeigen und sah das Internet als Quelle für gesellschaftliche Kontakte an. Wirkliches Opfer ist aber auch der Partner von der Frau. Denn vor ihm liegt ein Scherben-haufen vom zerbrochenen Liebesglück. Während es vor dem Tode der Frau nur eine Person gab, die an unerfüllter Liebe litt, gibt es nach ihrem Tode nun eine zweite. Denn der Tod einer gestorbenen Person, die man liebte, ist auch eine Art unerfüllte Liebe.

Übertragen in die neuartige Zeit des Internets, warnt der Song davor, zu schnell zu viel von sich Preis zu geben. Man weiß nicht, was für ein Mensch auf der anderen Seite der Leitung sitzt und sollte empfindliche Daten wie Telefonnum-mer oder Adressen nur dann herausgeben, wenn man der Person vertrauen kann. Kindliche Naivität - an das Gute im Menschen zu glauben - ist zwar teilweise löblich, hat aber sei-ne Grenzen im unbekannten anonymen Raum des Internets. Das sollten man und frau sich immer vor Augen führen.

gm

Page 35: WS 08-09 Demokratie

34 kultur

Deutschland 2020Auslaufmodell Demokratie und die Rolle des Fernsehens bei Wahlen

In der letzten Ausgabe wurde berich-tet, dass in Zukunft an der Viadrina keine Rechtswissenschaften mehr gelehrt wer-den, da der Lehrstoff und die Sichtweise antiquiert sind. Sie „haben sich generell eher hinderlich als förderlich für Deutsch-land herausgestellt“. (vgl. Mische, Heft 3, 2008: 25)

Acht Uhr Montag Morgen. Das Telefon schellte und der Hauscomputer fragte Matthew Salix ob er das Gespräch anneh-men wolle. „Klar“, rief dieser aus dem Bad,

„leite es mir direkt in die Duschkabine.“ Ein paar Fliesen schoben sich zur Seite und of-fenbarten ein Panel zum H0-Modellbahn-spielen, 3D-massieren und 1A-telefonieren. Matthew stand gera-de unter der Schalldu-sche, hatte aber mit Rücksicht auf seine WG-Genossen nicht auf volle Lautstärke gedreht, sondern hatte sich zwei Mini-schallduschköpfe in die Ohren gesteckt.Matthew drehte sich zum Panel und frag-te: „Hallo? Wer ist da?“ „Guten Tag, wir möchten Sie davon in Kenntnis setzen, dass diesen Monat wieder gewählt wird. Es gibt voraussichtlich keine Änderungen bezüglich der TV-Übertra-gung und des Zuschauer-Votings. Einen schönen Tag noch. Auch wenn meine Stim-me so klingt, war dies keine automatische Bandansage.“ Matthew wusste natürlich schon längst, das es diesen Monat wieder Wahlen für den Herrscher von Deutsch-land geben würde. Sie finden schließlich alle zwei Monate statt, in der großen Sams-tag-Abend-Show „Deutschland sucht den Superimperator“.Anfang des Jahrtausends konnte man in Deutschland zwei große Trends ausma-chen: 1. Anbetung von Fernsehsendungen, welche die Menschenwürde verletzen, und 2. über die Politiker meckern. Politikver-drossenheit war damals im Gegensatz zu

heute noch ein Problem: Der Bürger sah sei-ne Interessen von den Parteien nicht mehr vertreten, demokratische Entscheidungen waren nur mit Kompromissen auf beiden Seiten möglich, Wahlversprechen wurden bereits bei der Aftershow-Party der Sieger-partei relativiert und der Mann auf der Stra-ße wusste eh alles besser. Hervorgerufen durch jahrelange Abstinenz der Wähler von den Wahlkabinen und den Start des neuen Spartensenders „TV – Themenun-abhängige Verdrossenheit“ mitzuerleben, der die Politikverdrossenen als werbere-levante Zielgruppe erkannte, platzte der Bundeskanzlerin der Kragen und sie mein-te, jeder Bürger solle doch einen Vorschlag

zur Besserung der Lage auf ein Blatt Papier schreiben. Die folgenden Wochen musste ihr Büro auf Grund der vielen zugeschick-ten Briefe zeitweise geräumt werden. Die Ernüchterung kam, als sich herausstellte, dass 99,999% der Deutschen auf ihren Zet-tel schrieb: „Krönt mich zum König und alle eure Sorgen sind vorbei“ ...einschließlich Frau Merkel selbst. Doch keiner sah Sinn darin, 82 Millionen Könige im Land zu ha-ben, bis auf die Frauenzeitschriften, die sich davon mehr Abwechslung in der Spar-te „Deutsche Königshäuser“ erhofften. Die endgültige Auswertung ergab jedoch, dass drei Leute den Vorschlag aufschrieben

„Lasst uns doch das neue Staatsoberhaupt wie bei ‚Deutschland sucht den Superstar’

wählen. J“ In besagter Sendung wurden um die Jahrtausendwende charismatische Musikstars der neuen Generation gesucht, aber diese versteckten sich sehr gut. Durch das Mehrheitsprinzip wurde der Vorschlag der Drei angenommen und aus Dank für ihren selbstlosen Einfall wurden alle Drei als Jurymitglieder verpflichtet. Angela Merkel wollte nun, am Ende ihrer Kanzler-schaft, Deutschland vor größerem Scha-den bewahren: Ihre letzte Amtshandlung bestand deshalb darin, Dieter Bohlen als viertes Jurymitglied zu gewinnen. Dies sei der einzige Weg gewesen, um ihn daran zu hindern, selbst zu kandidieren.Überraschenderweise hat sich der Dieter

als nicht unwichtig herausge-stellt: Er prüft die Kritikfähig-keit und psychische Stabilität des Kandidaten, bevor die Geier von der Presse auf ihn losgelassen werden. Für die Show „Deutschland sucht den Superimperator“ darf sich jeder bewerben, der weiß, auf welcher Seite der Kamera er stehen muss, damit ihn die Fernsehzuschauer sehen kön-nen. Es wird aber empfohlen, schon schreiben zu können, damit man die Werbeaufträ-ge und Einladungen zu den B-Promisendungen als Neben-einnahmen nutzen kann. Der Gewinner darf zwei Monate lang Deutschland regieren. Einen Monat um dem Staat Geld zu verschaffen und einen Monat um es auszugeben. Er

hat währenddessen völlig freie Hand über Deutschland.Es gibt nur zwei Beschränkungen: Das Grundgesetz und der gregorianische Ka-lender bleiben unangetastet. Ihre Perfor-mance dürfen die fremdernannten Füh-rungshäupter so gestalten, wie es ihnen beliebt. Am wichtigsten ist es, Sympathie-punkte beim Publikum zu sammeln, da die Zuschauer via Telefon und Internet abstim-men. Zu den Aufgaben der Jury, bestehend aus dem Kuwi ..., dem VWLer Robin Hutt und Thea Tralik, die irgendwas mit Medi-en machen wollte, gehört es, die Perfor-mer zu bewerten. In folgenden Kategori-en kann man Punkte sammeln: Rhetorik, Sex-Appeal, Kreativität, Wirtschaftswissen,

Quelle: bohnenzaehler.blog.de

Page 36: WS 08-09 Demokratie

35 kultur

Humor, Durchsetzungsvermögen, Arbeits-einstellung und Soft Skills. Wenn sich nach zwei Monaten der Haushaltssaldo im Plus befindet, darf sich der amtierende Impera-tor wieder bewerben.Matthew war einer der wenigen, die nicht Halsüberkopf zu den bundesweiten Cas-tings gerannt sind. Er war zwar nicht be-sonders zufrieden mit der Regierung, doch er zählte sich nicht zu den Regimekritikern. Aber er sah in diesem Verfahren ebenfalls eine Chance für Deutschland: Das Volk könnte sich erst mal austoben und selbst merken, wie schwer es ist, Millionen Indi-viduen zu Frieden zu stellen. So gaben sich bei der Show zunächst Liberale, Konserva-tive, Umweltaktivisten, Geistliche, Globali-sierungsgegner und -befürworter die Klin-ke in die Hand. Und wer war am Schluss der erste durch Televoting erwählte Superim-perator Deutschlands? Ein Pantomime, der sich im Saal geirrt hatte. Die Jury meinte zu der Entscheidung des Publikums: „Der Kandidat Rob Otter hat als Einziger verstan-den, das auszudrücken, wonach sich die Deutschen sehnen: Weniger Inhalte, mehr Show!“ – Das Erbe der vielen Dampfplau-derer in der Vergangenheit, die große Re-den schwangen, am Ende aber nichts ver-änderten. Rob erließ während seiner ge-samten Amtszeit nur ein einziges Gesetz: Er sorgte für ein entspannteres Klima in den hektischen Fußgängerzonen, in dem er auf Gehwegen mannshohe Glasscheiben auf-stellen ließ. Sobald jemand dagegen stößt, versinken die Scheiben im Boden. Nach-dem der Fußgänger sich aufgerappelt hat, sollte er sich verwundert vortasten, wo er gerade gegengelaufen ist.Danach gab es einen kontinuierlichen Wechsel von Schlipsträgern, die mit Flip-chart und Laserpointer Finanzpläne vor-stellten, über Fahrschüler, die Steuern ab-schaffen wollten, bis hin zu Liedermachern, die auf ihrer Gitarre Protestsongs gegen Proteste schmetterten.Legendär war der Emo, der dafür eintrat, das sich Kriminelle selbst bestrafen soll-ten. Tue er dies nicht, wird er geächtet und fortan von seinen Mitmenschen so-lange mit Vorwürfen gepeinigt, bis sein innerer Widerstand gebrochen ist. Ganz knapp scheiterte auch eine frustrierte Ho-telfachangestellte, welche die Lobbys ab-schaffen wollte.Ein potentieller Präsident schaffte es dank

seiner modernen Vorstellung von Kinderer-ziehung an die Staatsspitze: Er setzte durch, das jeder Bürger in seiner Kindheit und Ju-gend das Leben in verschiedenen sozialen Schichten kennen lernt. Dies soll seine Le-benserfahrung bereichern und ihn für so-ziale Probleme sensibilisieren. Jeder müsse wissen, was es heißt, in Slums, in der Vor-stadt und in einer Villa zu wohnen. Als Ju-gendlicher arbeitet man für zwei Wochen in allen möglichen Jobs: als Müllmann, Putzfrau, Tellerwäscher, Lehrer, Konzern-chef, usw.. Dies kann man sich auch später als Praktikum anrechnen lassen und noch dazu sammelt man nützliche Erfahrungen für die spätere Berufswahl: Man weiß zu-mindest, was man nicht werden möchte.Der einzige Kandidat, der bis jetzt wieder-gewählt wurde, ist der amtierende Häupt-ling Ingo Gnito. Er erschuf eine neue Art von Beamten. Die einzige Aufgabe dieser

Beamten ist es, Promis, Politiker, Firmen-bosse und andere VIPs zu überwachen. Normalerweise beschatten viele Beamte eine Person, was dazu dienen soll, Korrup-tion zu unterbinden. Wenn es vorkommen sollte, dass ein Unternehmenschef Geld unterschlagen hat, droht der Beamte ihn zu verpetzen. Der Boss, der um seinen Job fürchten muss, würde alles dafür tun, da-mit die Sache nicht ans Tageslicht kommt. Im wahrscheinlichsten Fall versucht er den Beamten zu bestechen, was dieser natür-lich dankend annimmt. Allerdings gibt es da noch die Beamten, die dem Beamten nachspionieren um Korruption zu verhin-dern. Diese müssen ebenfalls geschmiert werden. Somit wandert das gestohlene Geld wieder zurück zu den Menschen, de-nen es genommen wurde.mm

Anzeige:

Page 37: WS 08-09 Demokratie

36

ImpressumFeste Mitarbeiter

Freie Mitarbeiter

Layouter

Titelbild

Druck

Herausgeber

V.i.S.d.P.

vivadrina Büro

Postadresse

Telefon/Fax

Mail

Mario Mische (mm), Christian Buss (cb), Thomas Bruckert (gm), Jeanine Lefering (jl), Juliane Rades (jr), Michalina Pyszczak (mp), Anne Weber(aw), Katharina Retzlaff (kr), Laura Haber (lh), Sophie Hinzmann (sh), Markus Kubbutat (marke), Sarah Langnese (sl), Anja Schlögel, Julia Schneider, Dorothea Brettschneider, Antonia Röhm, Lena Peleikis

Maarten Geuzendam (mg), Vivian Büttner, Eva Brückmann, Claudia Grünberg, Markus von Kiedrowski, Philipp Auerbach, Liv Kirsten Jacobsen

Mario Mische, Thomas Bruckert, Jeanine Lefering, Sophie Hinzmann, Sarah Langnese

Foto von Herrn Pleuger: Markus KubbutatBearbeitung: Christian Buss

Druckerei Just, 15230 Frankfurt (Oder)

vivadrina e.V.

Mario Mische

Logenhaus NebengebäudeRaum 118

vivadrina e.V., Große Scharrnstraße 59,15230 Frankfurt (Oder), Postfach 47

0335 55 34 5202/0335 5534 5203

[email protected]

Wir bitten um Beachtung der Inserate und danken allen, die das Erscheinen der Zeitung möglich gemacht haben. Wir weisen darauf hin, dass die Artikel nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion widerspiegeln. Die Redaktion behält sich vor, Beiträge und Leserbriefe sinnwahrend zu kürzen.

Page 38: WS 08-09 Demokratie

VIVADRINA DIR DEINE MEINUNG

Magazyn studencki vivadrina powstaje dzięki zaangażowaniu młodych studentów. Ukazuje się dwa razy w ciągu semestru i zawiera między innymi ciekawe artykuły dotyczące: studiowania na Uniwersytecie Viadrina, studenckiego życia we Frankfurcie, Berlina, naszych polskich sąsiadów, aktualnych wydarzeń kulturalnych i wiele innych. Zrzeszamy kreatywne i inteligentne głowy wszystkich fakultetów; nie tylko osoby posiadające talent pisarski, ale także lubiące badać zajmujące tematy, tworzyć układ graficzny gazetki, brać udział w pozyskiwaniu ważnych wiadomości ze świata, jak również dostarczać nowe informacje dla studentów.

Chcesz poszerzyć swoje horyzonty, a przy tym wzbogacić nasz zespół? Bylibyśmy zadowoleni, móc przywitać Cię w naszej drużynie. Po prostu wyślij do nas E-mail’a na adres [email protected], albo odwiedź nas podczas naszego cotygodniowego spotkania redakcyjnego w pokoju nr. 118, w Logenhaus we Frankfurcie. Cieszymy się na spotkanie z Tobą!