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11 Interaktive Infografiken – der Blick nach Fernost Hannes Rall und Wibke Weber 11.1 Einleitung Seit 1993 wird jedes Jahr in Pamplona der Malo- fiej Award vergeben: ein internationaler und inzwi- schen renommierter Preis für Infografiken. 1 29 Länder beteiligten sich 2012 am Malofiej Award mit 1513 Einreichungen – ein Rekordjahr. Schon länger domi- nieren die USA den Wettbewerb, sowohl was die Zahl der Einreichungen angeht als auch die Liste der Aus- zeichnungen. Gut vertreten sind außerdem Spanien und Brasilien, gefolgt von Deutschland, Großbritan- nien, Portugal und Argentinien; sogar die Arabischen Emirate und Oman nehmen regelmäßig am Malofiej Award teil und wurden schon mehrfach ausgezeich- net (vgl. Malofiej 2012, Visual Journalism 2011). Und Asien, genauer Fernost? Findet sich dort ein weißer Fleck auf der Weltkarte der Infografiken, vor allem der interaktiven? Oder haben Wissenschaft und Be- rufspraxis asiatische Infografiken aufgrund einer ver- engten, westlich-zentrierten Perspektive einfach noch nicht wahrgenommen? Immerhin tauchte 2012 auf der Gewinnerliste des Malofiej Awards erstmals ein ost- asiatisches Land auf: China 2 . Blicken wir also nach Fernost. Die Society of Pub- lishers in Asia (SOPA), die seit 1999 jährlich die SOPA-Awards verleiht „as a tribute to editorial ex- H. Rall B Nanyang Technological University, School of Art, Design and Media, 81 Nanyang Drive, 637458 Singapore W. Weber Hochschule der Medien, Wolframstraße 32, D-70191 Stuttgart 1 Veranstalter ist die Society for News Design (SNDE, Spanish Chapter). cellence in both traditional and new media“ (SOPA 2012), zeichnet seit 2009 zwar auch Infografiken aus, allerdings ausdrücklich nur in der Kategorie Print. Das lässt darauf schließen, dass die Infografik – und erst recht die interaktive – in Asien ein noch recht junges Genre darstellt. Dieses Genre näher zu untersuchen und zu beschreiben war Aufgabe des interkulturel- len Forschungsprojekts „Visualization and Interactive Information Graphics – the Eastern Perspective“. 3 Un- sere bisherigen Erkenntnisse zu Design, Struktur und Interaktivität von Infografiken in Asien fassen wir in diesem Beitrag zusammen. In Abschn. 11.2 ste- cken wir anekdotisch und in Abschn. 11.3 methodisch den Forschungsrahmen ab, benennen in Abschn. 11.4 gesellschaftliche, kunsthistorische und kulturelle Ein- flussfaktoren auf das asiatische Informationsdesign, bevor wir dann in Abschn. 11.5 exemplarisch das Design von Infografiken aus dem asiatischen Raum analysieren. In Abschn. 11.6 kommen wir zu dem Ergebnis, dass sich Infografiken in Asien als eine emergente Form von hochmodernem Webdesign und uralten Kunsttraditionen beschreiben lassen. 2 Die South China Morning Post erhielt eine Auszeichnung in Silber und eine in Bronze in der Kategorie Print/Feature; eine weitere Bronze-Auszeichnung in der Kategorie Print/Portfolio ging an Simon Scarr, Leiter der Grafikabteilung der South China Morning Post (vgl. Malofiej 2012). 3 Nanyang Technological University, Singapore (NTU)/Hoch- schule der Medien, Stuttgart (HdM): Visualization and Interacti- ve Information Graphics – the Eastern Perspective. An Intercul- tural Research Project about Visual Storytelling. Februar 2011 bis November 2012, gefördert von der Nanyang Technological University Singapore. 217 W. Weber, M. Burmester, R. Tille (Hrsg.), Interaktive Infografiken, DOI 10.1007/978-3-642-15453-9_11, c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

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11Interaktive Infografiken –der Blick nach Fernost

Hannes Rall und Wibke Weber

11.1 Einleitung

Seit 1993 wird jedes Jahr in Pamplona der Malo-fiej Award vergeben: ein internationaler und inzwi-schen renommierter Preis für Infografiken.1 29 Länderbeteiligten sich 2012 am Malofiej Award mit 1513Einreichungen – ein Rekordjahr. Schon länger domi-nieren die USA den Wettbewerb, sowohl was die Zahlder Einreichungen angeht als auch die Liste der Aus-zeichnungen. Gut vertreten sind außerdem Spanienund Brasilien, gefolgt von Deutschland, Großbritan-nien, Portugal und Argentinien; sogar die ArabischenEmirate und Oman nehmen regelmäßig am MalofiejAward teil und wurden schon mehrfach ausgezeich-net (vgl. Malofiej 2012, Visual Journalism 2011). UndAsien, genauer Fernost? Findet sich dort ein weißerFleck auf der Weltkarte der Infografiken, vor allemder interaktiven? Oder haben Wissenschaft und Be-rufspraxis asiatische Infografiken aufgrund einer ver-engten, westlich-zentrierten Perspektive einfach nochnicht wahrgenommen? Immerhin tauchte 2012 auf derGewinnerliste des Malofiej Awards erstmals ein ost-asiatisches Land auf: China2.

Blicken wir also nach Fernost. Die Society of Pub-lishers in Asia (SOPA), die seit 1999 jährlich dieSOPA-Awards verleiht „as a tribute to editorial ex-

H. Rall BNanyang Technological University, School of Art, Design andMedia, 81 Nanyang Drive, 637458 Singapore

W. WeberHochschule der Medien, Wolframstraße 32, D-70191 Stuttgart1 Veranstalter ist die Society for News Design (SNDE, SpanishChapter).

cellence in both traditional and new media“ (SOPA2012), zeichnet seit 2009 zwar auch Infografiken aus,allerdings ausdrücklich nur in der Kategorie Print. Daslässt darauf schließen, dass die Infografik – und erstrecht die interaktive – in Asien ein noch recht jungesGenre darstellt. Dieses Genre näher zu untersuchenund zu beschreiben war Aufgabe des interkulturel-len Forschungsprojekts „Visualization and InteractiveInformation Graphics – the Eastern Perspective“.3 Un-sere bisherigen Erkenntnisse zu Design, Struktur undInteraktivität von Infografiken in Asien fassen wirin diesem Beitrag zusammen. In Abschn. 11.2 ste-cken wir anekdotisch und in Abschn. 11.3 methodischden Forschungsrahmen ab, benennen in Abschn. 11.4gesellschaftliche, kunsthistorische und kulturelle Ein-flussfaktoren auf das asiatische Informationsdesign,bevor wir dann in Abschn. 11.5 exemplarisch dasDesign von Infografiken aus dem asiatischen Raumanalysieren. In Abschn. 11.6 kommen wir zu demErgebnis, dass sich Infografiken in Asien als eineemergente Form von hochmodernem Webdesign unduralten Kunsttraditionen beschreiben lassen.

2 Die South China Morning Post erhielt eine Auszeichnung inSilber und eine in Bronze in der Kategorie Print/Feature; eineweitere Bronze-Auszeichnung in der Kategorie Print/Portfolioging an Simon Scarr, Leiter der Grafikabteilung der South ChinaMorning Post (vgl. Malofiej 2012).3 Nanyang Technological University, Singapore (NTU)/Hoch-schule der Medien, Stuttgart (HdM): Visualization and Interacti-ve Information Graphics – the Eastern Perspective. An Intercul-tural Research Project about Visual Storytelling. Februar 2011bis November 2012, gefördert von der Nanyang TechnologicalUniversity Singapore.

217W. Weber, M. Burmester, R. Tille (Hrsg.), Interaktive Infografiken, DOI 10.1007/978-3-642-15453-9_11,c� Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

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Dieser Beitrag hält den aktuellen Erkenntnisstandfest, wie er sich bis Frühjahr 2012 darstellt. Gleich-wohl ist uns bewusst, dass dieses Genre einem stetigenWandel unterliegt. Wir verstehen daher unseren Bei-trag als Ausgangspunkt für weitere Forschungen aufdem Gebiet der Visualisierungen im interkulturellenInformationsdesign.

11.2 Asien ist komplex

Zu Beginn und zum besseren Verständnis des Fol-genden soll eine kleine Anekdote hilfreich sein: Alsdeutscher Akademiker, der in Singapur unterrichtet,wird man oft mit Verwechselungen und interessan-ten geografischen Vorstellungen konfrontiert: „Wannfliegst du denn wieder nach Shanghai?“ oder „Kannstdu mir was aus Peking mitbringen?“ Nun mag durch-aus zur Verwirrung beitragen, dass das Bild von Singa-pur stark von der chinesischen Bevölkerungsmehrheitgeprägt ist; dennoch scheinen viele nicht zu wissen,dass Singapur geografisch gesehen quasi die Südspit-ze von Malaysia bildet. Das bedeutet eine Entfernungzwischen Singapur und Shanghai von 3800 Kilome-tern, nach Peking sind es sogar 4500 km. Ebensowenig scheint deutschen Freunden bewusst, dass inSingapur eine sehr multi-ethnische Bevölkerung fried-voll zusammenlebt, dass Japan in einer völlig ande-ren Klimazone (nämlich gemäßigt) liegt als Singapur(tropisch, weil am Äquator). Auch der Diversifikati-onsgrad in den Volkswirtschaften fällt weitaus stärkeraus als in Europa oder Amerika: Die SonderstellungChinas als kommunistisch regierter und dennoch starkkapitalistisch geprägter Staat mit einer enormen Ent-wicklungsdynamik und Wirtschaftskraft steht nebenden ähnlich dynamischen, ehemals „Asian Tigers“genannten Staaten wie Thailand, Malaysia oder In-donesien. Andere aufstrebende Länder wie Vietnambefinden sich zwar noch auf einer anderen Entwick-lungsstufe, besitzen aber enormes Wachstumspoten-zial. Staaten wie Südkorea und Singapur sind sehrvom Westen beeinflusst und verfügen über eine außer-ordentlich starke Ökonomie. Japan nimmt und nahmschon immer eine Sonderstellung ein. Wie wir sehenwerden: Die Vielfalt und Unterschiede der Staaten inFernost spiegeln sich auch in der Gestaltung von inter-aktiven Infografiken wider.

11.3 Forschungsrahmen: Design unterinterkulturellen Vorzeichen

Asien ist komplex und anders als es sich manch einervorstellt. Von der asiatischen Kultur kann nicht die Re-de sein, auch wenn wir hier und da verallgemeinerndund nicht ganz korrekt von „asiatischen Infografiken“sprechen; genauso wenig gibt es „die westlichen In-fografiken“. Bei den „westlichen“ Infografiken habenwir vor allem jene im Blick, die eine Vorreiterrol-le hinsichtlich interaktiver Infografiken einnehmen:die USA, Spanien, Deutschland, Großbritannien; beiden asiatischen Infografiken fokussieren wir auf dieLänder Japan, Korea, China, Malaysia, Indonesien,Singapur.

Für unser Projekt konstitutiv war ein interkulturel-ler Forschungsansatz. Interkulturell, denn wir wolltenvisuelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischenOst und West identifizieren: etwa ob sich kulturspezifi-sche Charakteristika in der Gestaltung von Infografi-ken erkennen lassen. Interkulturell verstehen wir hierim Sinne eines interkulturellen Informationsdesignsder ersten Ordnung (Thissen 2007, S. 391), das sichmit der kulturellen Codierung von Zeichen beschäftigt,also der Art und Weise, wie Informationen dargestelltund präsentiert werden.4

11.3.1 Methodisches Vorgehen

Die Forschungen wurden vor Ort durchgeführt, näm-lich in Singapur, zusammen mit einem Team vonStudierenden. Der Vorteil dieser Herangehensweiselag in mehreren Schlüsselfaktoren:1. Anders als beim „Blick von außen“ wurde die

asiatische Perspektive mit originärer Kenntnis derkulturellen Besonderheiten gewählt.

2. Singapur ist besonders geeignet, denn kaum einanderes Land in Südostasien vereint in ähnlicherWeise sowohl starke westliche als auch asiatischeEinflüsse.

4 Thissen unterscheidet drei Arten von interkulturellem Infor-mationsdesign: Das Informationsdesign der ersten Ordnungbeschreibt die kulturspezifische Darstellung von Informatio-nen, das der zweiten Ordnung die unterschiedlichen Formenkultureller Wahrnehmung, das der dritten Ordnung die Ausein-andersetzung mit Kultur in ihrer Gesamtheit und Komplexität(vgl. Thissen 2007, 391 ff.).

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3. Dank des multikulturellen Umfeldes konnten wirauf Kenntnisse verschiedener asiatischer Kulturenund Sprachen zurückgreifen, z. B. auf Mandarin,Bahasa Malaysia und Japanisch, was eine kompe-tente Bewertung von Inhalten ermöglichte.

Im Fokus der Untersuchung standen – analog zumdeutschen Forschungsprojekt, das westliche Infogra-fiken untersuchte5 – vor allem journalistische Websi-tes (z. B. The Strait Times, Singapore, Yonhap NewsAgency, South Korea). Daneben wurden auch Info-grafiken aus Unternehmen und Organisationen berück-sichtigt. Eine gute Recherchequelle, um Designstileund -trends zu identifizieren und einzuordnen, bo-ten Websites und Blogs von asiatischen Webdesignernund Design-Agenturen6. Keineswegs ging es uns inunserem Projekt um eine vollständige oder systema-tische Erfassung des Untersuchungsgegenstands, son-dern das Untersuchungskorpus (70 Infografiken) wur-de exemplarisch zusammengestellt, d. h., die recher-chierten Beispiele stehen nicht stellvertretend für dasGanze, sondern belegen bestimmte kulturspezifischeGestaltungsmerkmale; dafür mussten wir bei manchenLändern auch auf statische Infografiken im Web zu-rückgreifen, denn nicht immer konnten wir Beispielefür interaktive Infografiken finden. Die hier exem-plarisch aufgeführten Infografiken stammen aus demZeitraum 2008 bis 2012. Unsere Forschungsfragenkonzentrierten sich ausschließlich auf das Produkt,und zwar auf formalästhetische Aspekte: (1) Gestal-tungsmerkmale von interaktiven Infografiken im ost-und südostasiatischen Raum; (2) westliche Designein-flüsse, (3) emergente Formen von östlichem und west-lichem Design. Vorerst außer Acht gelassen wurdenFragen nach einer benutzungsfreundlichen Gestaltung,nach Rezeption und Rezeptionsmedium (PC/Laptop,Tablet-PC, Smartphone) und Fragen nach dem Pro-duktionskontext.

Das Ziel der Untersuchung lässt sich als einerstes Sichten, Analysieren und Vergleichen beschrei-ben: Sichten, um einen Überblick zu bekommen,in welchen Ländern Asiens interaktive Infografiken

5 „Informieren, visualisieren, Wissen erwerben mit interaktivenInfografiken. Ein Forschungsprojekt zu Theorie, Design, Inter-aktivität und Rezeption von Infografiken“, gefördert vom LandBaden-Württemberg im Rahmen des Förderprogramms „Inno-vative Projekte“ (Laufzeit: 1.2.2009–31.1.2011)6 Als Beispiel sei der Blog von NEWSPAGEDESIGNER (NPD)genannt, der einen guten internationalen Überblick über Formenund Stile des visuellen Journalismus gibt.

überhaupt eingesetzt werden; Analysieren, um ersteAussagen zu treffen über die formalästhetische Gestal-tung von interaktiven Infografiken; Vergleichen, umunterschiedliche Gestaltungsmerkmale aufzuspüren.Die Analyse der Infografiken erfolgte qualitativ ent-lang eines Kriterienkatalogs. Analysekriterien waren:Thema (Titel), Modi (Sprache, Audio, Bild, Bewegt-bild), Bildtyp (z. B. Foto, Diagramm, Karte), Stil (z. B.Comic-Stil), Dramaturgie und damit verbunden derGrad der Interaktivität.

Will man zur Gestaltung von interaktiven Infografi-ken in asiatischen Ländern Aussagen treffen, so mussdie Untersuchung damit beginnen, die in einer Kulturverankerte Bildsprache und visuellen Muster festzu-stellen bzw. zu rekapitulieren. Dabei konnten wir zumeinen auf Forschungsergebnisse aus eigenen Studi-en zurückgreifen (Weber und Rall 2012; Burmesteret al. 2010; Rall 2009); zusätzlich haben wir an ei-nem Fallbeispiel analysiert, wie das Erscheinungsbildeiner globalen Marke an seinen jeweiligen kulturellenKontext adaptiert wird (siehe Abschn. 11.4.3). Zumanderen haben wir eine Reihe von Publikationen zuinterkulturellem Webdesign und interkultureller Kom-munikation konsultiert (u. a. Ballstaedt 2011; Robbinsund Stylianou 2010; Ahmed et al. 2009; Dong und Lee2008; Thissen 2007; Würtz 2005; Nisbett und Masuda2003; Nisbett et al. 2001; Göpferich 1998; Hofstede1980; Hall 1976).7 Die für unser Forschungsvorha-ben relevanten Studien und Ergebnisse fassen wir imnächsten Abschnitt kurz zusammen.

11.3.2 Interkulturelle Studien und ihreImplikationen für dasWebdesign

Neuere Studien zur Interkulturalität von Websites zei-gen, dass aufgrund der Globalisierung eine leichte Ho-mogenisierung in Website-Konzeption und Gestaltungzu erkennen ist. „In agreement, the analysis of webcultural indicators indicates that, although there is stillevidence of some cultural diversity, in the last ten yearsthere has been modest movement towards homogeni-zation.“ (Robbins und Stylianou 2010, S. 14) Trotzdieser Homogenisierungstendenzen kennzeichnet abernach wie vor eine gewisse kulturelle Diversität das

7 Die meisten Studien zur interkulturellen Kommunikation ba-sieren auf Hofstedes Kulturmodell (1980) und/oder auf HallsKulturdimensionen von „high-context“- und „low-context“-Kulturen (1976).

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Web. Denn – wie Studien belegen – Denken und Wahr-nehmen und damit auch das Gestalten sind kulturellgeprägt (Dong und Lee 2008; Würtz 2005; Nisbett undMasuda 2003; Nisbett et al. 2001; Marcus und Gould2000). Verglichen wurden bei diesen interkulturellenRezeptionsstudien meist Ostasiaten (Japaner, Chine-sen, Koreaner) mit Europäern oder US-Amerikanern.Ahmed et al. (2009), Dong und Lee (2008), Würtz(2005) beschreiben eine Reihe von kulturell charakte-ristischen Gestaltungsmerkmalen und leiten aus ihrenStudien Gestaltungsempfehlungen für Websites ab.

Für die Gestaltung von asiatischen Websites emp-fehlen Dong und Lee (2008), den gesamten Kontexteiner Website zu zeigen. „Since holistically-mindedpeople tend to scan the whole page and show non-linear scanning patterns, the contents could be placedmore freely on the page compared to when it is de-signed for analytically-minded.“ Sie beziehen sichbei ihren Empfehlungen auf Nisbetts kognitive Theo-rie (u. a. Nisbett und Masuda 2003; Nisbett et al.2001), die zwischen einem holistischen und einemanalytischen Denken differenziert. Kulturen, die demholistischen Denken zuzuordnen sind (u. a. Chinesen,Japaner Koreaner), richten ihre Aufmerksamkeit aufden Kontext und auf die Beziehungen zwischen einemObjekt und seinem Kontext. Dagegen achten Kul-turen, die zum analytischen Denken tendieren (z. B.US-Amerikaner und Europäer), weniger auf den Kon-text und stattdessen mehr auf ein herausragendes Ob-jekt und dessen Eigenschaften.8 Analytisch denkendeZielgruppen bevorzugen ein möglichst einfaches undübersichtlich strukturiertes Webseiten-Layout mit ei-ner klar gekennzeichneten Navigation, Informations-kategorien und Content-Einheiten. Dies korreliert mitNisbetts Theorie: „Westerners organize the world into

8 Nisbett et al. (2001, S. 293) definieren „holistic thought asinvolving an orientation to the context or field as a whole, in-cluding attention to relationships between a focal object andthe field, and a preference for explaining and predicting eventson the basis of such relationships. Holistic approaches rely onexperience-based knowledge rather than abstract logic and aredialectical, meaning that there is an emphasis on change, a reco-gnition of contradiction and the need for multiple perspectives,and a search for the ‘Middle Way’ between opposing propo-sitions.“ Dagegen definieren sie „analytic thought as involvingdetachment of the object from its context, a tendency to focuson attributes of the object in order to assign it to categories, anda preference for using rules about the categories to explain andpredict the object’s behavior. Inferences rest in part on decon-textualization of structure from content, use of formal logic, andavoidance of contradiction.“

categories and ‘covering rules’ more than do Easter-ners; Easterners are more inclined to organize in termsof similarities and relationships.“ (Nisbett und Noren-zayan 2002, S. 581)

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Würtz(2005) in ihrer interkulturellen Studie über Webdesign:„[I]n LC cultures [low-context cultures], it is the sen-der who does all the work in clarifying information andgetting the point across, while in HC cultures [high-context cultures], it is the receiver who has to workto retrieve the information.“ Würtz bezieht sich in ih-rer Studie auf die Kulturmodelle von Hofstede (1980)und Hall (1976). Nach Hall zählen Ostasiaten zu den„high-context“-Kulturen, während US-Amerikaner,Skandinavier und deutschsprachige Länder als „low-context“-Kulturen gelten. Websites aus „high-con-text“-Kulturen weisen wesentlich mehr Animationenauf und platzieren diese prominenter als Websites aus„low-context“-Kulturen. Zur Informationsvermittlungwerden verstärkt Bilder eingesetzt – ein weiteres Ge-staltungsmerkmal für „high-context“-Kulturen. „Thisis most evident with relation to navigation elements.For example, links to other pages on the Japanese Website were represented by images instead of text, in con-trast to the Scandinavian Web sites which were morelikely to opt for text rather than images to guide thevisitor of the site.“ (Würtz 2005) Die Bildaussage fo-kussiert bei „high-context“-Kulturen auf die sozialenBeziehungen eines Menschen (z. B. Familie, Freunde,die Gruppe), während bei „low-context“-Kulturen eherindividualistische Werte wie Freiheit und eigene Iden-tität akzentuiert werden (vgl. auch Hofstede 1980).Als ein weiteres Charakteristikum für asiatische Web-sites nennt Würtz den „layer-upon-layer look“ undmeint damit das Sich-Überlappen von mehreren Pop-up-Fenstern. Dagegen präsentieren westliche Websitesdem Nutzer lieber ein lineares Navigationsmenü.

Ahmed et al. (2009) knüpfen an die Studie vonWürtz an und ziehen hinsichtlich des interkulturel-len Webdesigns den Schluss: „The indirect natureof high-context communication, the predominance ofpreferred slow message speed and the prominent useof symbolism in high-context cultures anticipate thatimages, animation, and other non-textual media isconsidered of high importance“. (Ahmed et al. 2009,S. 55) Als Beispiel nennen sie chinesische Websites,die verstärkt Farben, Symbole, Animationen und vi-suelle Metaphern verwenden. Daher empfehlen sie:„Thus, when designing websites for high-context cul-

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tures, there needs to be a great emphasis placed onimages, symbols and context for websites to appeal totheir local audience.“ (Ahmed et al. 2009, S. 56)

In Abschn. 11.5 werden wir sehen, inwieweit sichdiese Erkenntnisse im Design interaktiver Infografikenwiderspiegeln. Neben den interkulturellen Faktoren,wie wir sie gerade skizziert haben, spielen auch kunst-historische und gesellschaftliche Faktoren eine Rollefür die Gestaltung von Infografiken. Dazu mehr im fol-genden Abschnitt.

11.4 Kontext: Design zwischen Traditionund High-Tech

Das Sammeln und Sichten von asiatischen Infografi-ken führte schnell zu der Einsicht, dass ein Blick aufdie verschiedenen künstlerischen Traditionen nottut,um Gestaltungsmerkmale und -stile bei Infografikeneinordnen zu können. Daher möchten wir zuerst kunst-historische Pfade beschreiten und exemplarisch zei-gen, wie traditionelle Kunstformen und Zeichentech-niken in zeitgenössische Interpretationen einfließen(siehe Abschn. 11.4.1). Aber nicht nur die Traditi-on, sondern auch der technologische Standard einesLandes hat Implikationen auf die Gestaltung von In-fografiken, vor allem hinsichtlich des Interaktivitäts-grades. Auch diesen Faktor wollen wir etwas näherbeleuchten (siehe Abschn. 11.4.2), bevor wir dann aneinem Fallbeispiel Designvariationen eines globalenErscheinungsbildes in verschiedenen asiatischen Län-dern durchdeklinieren (siehe Abschn. 11.4.3).

11.4.1 Kunst und Tradition

Mit den folgenden Zeichnungen (siehe Abb. 11.1,11.2, 11.3, 11.4, 11.5 und 11.6) wollen wir in den Farb-und Formenreichtum und die Schönheit traditionel-ler asiatischer Kunst in zeitgenössischer Interpretationeinsteigen. Es sind Arbeiten von asiatischen Studieren-den, die im Rahmen des Forschungsprojekts „Tradi-gital Mythmaking-Singaporean Animation for the 2stCentury“9 entstanden sind.

9 Rall, Hannes: Tradigital Mythmaking. Singaporean Animationfor the 21st Century. Academic Research Fund, Nanyang Tech-nological University/Ministry of Education Singapore. 2006–2008. Die Ergebnisse sind publiziert in Rall, H (2009): „ Tradigi-

Abb. 11.1 Zeichnungen inspiriert vom indonesischen Schatten-puppenspiel Wayang Kulit (Künstler: Firdiana Be MohammedFawzir)

TuschemalereiWir wollen hier genauer auf die traditionelle chi-nesische Tuschemalerei eingehen (siehe Abb. 11.7).An der darin verwendeten spezifischen Form derperspektivischen Darstellung, die nicht mit Flucht-punkten arbeitet, sondern mit einer vertikal oderhorizontal angeordneten Bedeutungsperspektive, las-sen sich weitere Entsprechungen festmachen: DasDarstellungsmedium der horizontalen oder vertika-len „hand-scrolls“ („Handrollen“, siehe Abb. 11.8)findet seinen Eingang auch in moderne Designfor-men. Dies lässt sich vor allem an horizontal odervertikal orientierten Gestaltungsrastern festmachen,die eine klare Ordnungsstruktur mit einer Reduk-tion der Gestaltungselemente und zurückhaltenderFarbgebung kombinieren. Man vergleiche die abge-bildeten kunstgeschichtlichen Beispiele mit den inAbschn. 11.5.4 gezeigten kontemporären Informati-onsgrafiken aus China: Es ergibt sich eine augenfälligeÜbereinstimmung der zugrundeliegenden Komposi-tionsgrundlagen in der Dominanz stark horizontal/vertikal organisierter Gestaltungsblöcke. Ganz ähnlichstrukturierte Belege für diese Parallelität sind auch fürJapan dokumentiert (Abschn. 11.5.3).

Als ein mehreren asiatischen Kulturkreisen ge-meinsames visuelles Muster muss die Dichotomievon reicher, überbordender Ornamentik in prunkenderFarbvielfalt und puristisch reduzierter Formsprachegenannt werden, hier exemplarisch dargestellt durch

tal Mythmaking-Singaporean Animation for the 21st Century“.Nanyang Technological University, Singapore.

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Abb. 11.2 Vor Ort entstandene Skizzen dokumentieren Tradition und Gegenwart der Reiskultur auf Bali (Künstler: Ervinna Cahya-di)

Abb. 11.3 Indisch inspirierte Malerei (Künstler: Shuxian)

Abb. 11.4 Beispiel für chinesisches Farbdesign und chinesischeOrnamentik (Künstler: Huang Xin Hui)

Abb. 11.5 Vietnamesische Wasserfarbmalerei (Künstler: TranNgoc Viet Tu)

den Vergleich von chinesischen Neujahrsgrüßen miteinem Werk des chinesischen Künstlers Qiao Mu (sie-he Abb. 11.9a,b).

Diese traditionellen Formen setzen sich in moder-nen Interpretationen fort, wie etwa die chinesischeTuschemalerei, die in all ihrer Kunstfertigkeit vonkontemporären Künstlern und Designern virtuos auf-gegriffen und variiert wird.10 Der im Westen weit

10 „All the contemporary formats of art can combine with thetradition of ink painting“, konstatiert Kuizi Shen, Professor fürasiatische Kunstgeschichte, Theorie und Kritik an der Universityof California, San Diego, und Co-Kurator der Third ChengduBiennale 2007, die kontemporärer Tuschemalerei gewidmet war(Raggedy Bird Blog, 2011).

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Abb. 11.6 Vietnamesische Tuschemalerei (Künstler: Tran Ngoc Viet Tu)

Abb. 11.7 The Kangxi Emperor’s Southern Inspection Tour, Scroll Three: Ji’nan to Mount Tai (Wang Hui, 1632–1717, Quelle:http://www.metmuseum.org/Collections/search-the-collections/60019803, Zugriff 15.3.2012)

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Abb. 11.8 Kalligrafie von Tang Shuan Zong (685–762) (Quel-le: http://www.art-virtue.com/history/tang/tang.htm, Zugriff15.3.2012)

verbreitete absolute Bruch der Moderne mit traditio-nellen Fertigkeiten in der bildenden Kunst findet hierweitaus weniger, auf jeden Fall nicht mit solcher Ent-schiedenheit, statt.

Ornamente, SymboleEin weiteres verbindendes visuelles Stilelement zeigtsich in der hohen Relevanz von Ornamenten undSymbolen in der asiatischen Kunstgeschichte: Elegantgeschwungene invertierte Kurven finden sich sowohlin Symbolen wie Drachen als auch in Schriftzeichen

Abb. 11.9 a Beispiel einer typischen chinesischen Neujahrskarte (Quelle: http://chinese-new-year-cards.blogspot.com/2008/12/happy-chinese-new-year.html); b Qiao Mu, Sparrows Playing in the Bamboo Forest, 1998 (Quelle: http://www.asia-art.net/ch_famous_artists4.html, Zugriff 15.3.2012)

Abb. 11.10 Nach traditionellem Design entworfene WayangKulit-Figur aus dem indonesischen Schattenspiel (Quel-le: http://schneider.marionetten-wiesloch.de/wayang/, Zugriff15.3.2012)

wie in den stark stilisierten Puppen des indonesisch-malaysischen Schattenpuppenspiels Wayang Kulit(siehe Abb. 11.10); Schnitzereien, Textildesigns und

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Abb. 11.11 Beispiel für chinesische Muster (Quelle: http://www.designfreebies.org/free-vectors/some-excellent-collection-of-vector-decorative-borders-and-patterns/, Zugriff 15.3.2012)

Wandmalereien sind ebenfalls stark von wiederkeh-renden und reizvoll variierten Mustern und Symbolengeprägt (siehe Abb. 11.11). Da es sich hier um grafi-sche Charakteristika handelt, ist es naheliegend, dassdiese auch ihre Entsprechung in modernen asiatischenArtefakten finden.

MangaWeitere typische Formen für traditionelles asiatischesErzählen in Bildern manifestieren sich in den japani-schen Manga (Comics) und den Animes (japanischeTrickfilme). Der Holzschnitt „Die große Welle beiKanagawa“ des Künstlers Katsushika Hokusai (1760–1846) gilt als Vorreiter der Comic-Kunst. HokusaisSkizzenbücher nahmen in früher Form schon die Tech-nik des Erzählens mit Grafiken in aufeinanderfolgen-der Sequenz vorweg. Obwohl nicht im strengen Sinnder Definition eines „Comics“ unterliegend, prägtensie dennoch als erste den Begriff „Manga“, der nach-folgend zum übergreifenden Begriff für japanischeComics im 20. Jahrhundert wurde (siehe Abb. 11.12).Im 20. Jahrhundert entwickelte sich die heute weithineben als Manga popularisierte Spielart der japanischenComics in ihrer typischen Form (siehe Abb. 11.13und 11.14). Einer der entscheidenden Pioniere warder japanische Manga-Zeichner Osamu Tezuka (1928–

Abb. 11.12 Manga von Katsushika Hokusai, „Suzume Odori-zu“ (Quelle: http://scienceblogs.com/neurophilosophy/2010/03/implied_motion_in_hokusai_manga.php, Zugriff 15.3.2012)

Abb. 11.13 Osamu Tezuka: Astroboy 1952–1968 (Quelle:http://www.comic.de/manga/mangamuseum/mangamuseum1.html, Zugriff 25.4.2012)

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Abb. 11.14 Katsuhiro Otomo: Akira (1982–1990) (Quelle:http://www.comic.de/manga/mangamuseum/mangamuseum2.html, Zugriff 25.4.2012)

1989). Manga und Anime gehen auf eine kunsthisto-risch interessante Hybridisierung genuin japanischerund westlicher Zeichenstile (Walt Disney) und künst-lerischer Traditionen zurück (vgl. Martin 2010). DieKunstformen von Manga und Anime selbst wiederumnehmen Einfluss auf Aussehen und Bildsprache mo-dernen Grafikdesigns. Und das muss für einen weitüber Japan hinausgehenden kulturellen Raum konsta-tiert werden, denn bekannterweise wurde diese Lesartdes Comics zum weltweiten Exportschlager, vor allemwährend der 1990er und frühen 2000er Jahre.

Waren die Manga durchaus beeinflusst von WaltDisneys Comic-Stil, so haben sie sich doch als eineKunstform mit völlig eigener Bildsprache und Erzähl-konvention entwickelt.11 Am augenfälligsten ist hier

11 Aufgrund seiner kulturell hermetischen Identität nimmt Japaneine Sonderstellung unter den asiatischen Ländern ein. Einflüs-

sicher die Leserichtung von rechts nach links, aberauch die Art und Weise, wie Emotionen und Inhal-te visuell vermittelt werden. So können Charaktereje nach emotionalem Zustand oder Erzählkontext ihrAussehen komplett verändern, d. h. in andere Versio-nen ihres Selbst transformieren (Gravett 2004, S. 49).Im Bereich des Animationsfilms haben Regisseure wieHayao Miyazaki eine Erzählsprache entwickelt, diesich vom rein handlungsorientierten Schema amerika-nischer „Blockbuster“ abwendet und eine mehr cha-rakterzentrierte Erzählweise bevorzugt. Zudem wirdder enorm detailreichen Grafik der Vorrang gegenübereiner ausgefeilten Bewegungsanimation eingeräumt.Im Brückenschlag zum relevanten Forschungsfeld ha-ben wir deshalb unser Augenmerk auf eine signifikan-te Präsenz Comic-und Manga-typischer Elemente imKontext von Infografiken gerichtet (siehe dazu auchKap. 10).

11.4.2 Zwischen Low-Tech und High-Tech

Bedeuten die kunsthistorischen Wurzeln das eine En-de auf einer Skala von Einflussfaktoren auf das Designvon Infografiken, so steht am anderen Ende die Tech-nologie. Interaktive Infografiken im Web oder auf mo-bilen Endgeräten wie Tablet-PCs setzen den Anschlussan die digitale Welt voraus, denn nur dort könneninteraktive Infografiken auch produziert und rezipiertwerden. Die Ergebnisse unserer Recherchen lasseneinen Zusammenhang zwischen dem wirtschaftlichenEntwicklungsgrad vermuten, respektive der damit ver-bundenen Infrastruktur für computergestütztes Design,und der Anbindung ans Internet. Während wir in denLändern Korea, Japan und Singapur eine Reihe von in-teraktiven Infografiken ausfindig machen konnten, fielder Anteil in Malaysia, Indonesien und China geringaus. Allerdings muss China differenziert betrachtetwerden. Chinas Wirtschaft verzeichnet im internatio-nalen Vergleich immer noch hohe Zuwachsraten, auchwenn die Regierung der Volksrepublik China für 2012ein niedrigeres Wirtschaftswachstum prognostizierte

sen von außen wird eher skeptisch entgegengesehen; die wirk-liche Integration von Fremden oder Zuwanderern ist eher dieAusnahme als die Regel (Qi und Zhang 2008). Allerdings zeich-net sich seit mehreren Jahren eine Änderung dieser Einstellungauf Regierungsseite ab, da die Notwendigkeit des Wissensim-ports und Wissensaustauschs durch internationale Fachkräfteerkannt wurde.

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11 Interaktive Infografiken – der Blick nach Fernost 227

(Kirchner 2012). Auf dem weltweiten Medienmarktholt China rasant auf und erobert sich zunehmend –trotz staatlicher Zensur – eine führende Position nachden USA und Japan, mit enormem Potenzial für dieZukunft. So hat China in der Anzahl der Internetnut-zer annähernd zu den USA aufgeschlossen.12

Japan, Südkorea und Singapur verfügen über einenextrem hohen technologischen Standard, der den vonführenden Nationen der westlichen Welt erreicht bzw.sogar überflügelt. Flächendeckende Breitband-Inter-net-Anschlüsse gehören zum Standard, der „digitallifestyle“ prägt die Generation der „digital natives“,die sog. Generation 2.0 ++. Diese Länder sind zu-gleich federführend in der Benutzung und Weiterent-wicklung der sozialen Netzkultur. Beispiel Singapur:In vielen Bereichen des öffentlichen Lebens und derVerwaltung gehört die Online-Vernetzung selbstver-ständlich dazu; das mobile Internet ist beinahe überallpräsent, die Popularität digitaler Netzwerke enorm.Hinzukommt, dass die Regierung den sog. „Interac-tive Digital Media“-Sektor (abgekürzt IDM) als einender Schlüsselsektoren für die zukünftige wirtschaftli-che Entwicklung des Landes erkannt und definiert hat,was zu massiven Investitionen in Infrastruktur (z. B.Breitband-Internet), Forschung und Lehre sowohl inden Ausbildungsinstitutionen als auch in den priva-ten Firmen des Landes führte (vgl. Contact Singapore,o. J.). Singapur verzeichnet zudem eine Sonderstellungdurch die stark multi-ethnische Bevölkerung und sei-ne Offenheit für die westliche Kultur. Das spiegelt sichauch in der hohen Zahl von dort lebenden „Expatria-tes“ wider.13

Eine Zwischenstellung nehmen die Länder Ma-laysia und Indonesien ein, die früher als „Asian Ti-

12 „China leads the world in sheer numbers of Internet users –more than 420 million people, or close to 30 percent of the po-pulation. Over 80 percent surf the Web from home, while 230million use mobile devices. We forecast that the number of Inter-net users will almost double over the next five years, hitting 770million people, or 55 percent of the population. More than 70percent will use both PCs and handheld devices. China’s digitalusage, which is similar to that of the United States, skews towardinstant messaging, social networks, gaming, and streaming vi-deo. Increasingly, Internet users in China are substituting digitalmedia for traditional ones, with the potential for further canniba-lization as digital consumption grows.“ (Daga et al. 2010, S. 2)13 In Singapur ist das sog. „foreign talent“ von großer Rele-vanz: ausländische Fachkräfte (Expatriates – „ex patria“), dienicht von internationalen, sondern von Singapurer Firmen undakademischen Institutionen ins Land geholt werden, um Wis-senstransfer auf höchstem Niveau zu ermöglichen.

gers“ bezeichnet wurden. Hier gibt es ambitionier-te Bestrebungen, auch im digitalen Bereich mit denwestlichen und asiatischen Spitzennationen gleich-zuziehen, oft unterstützt durch substanzielle Förder-programme der entsprechenden Regierungen. GeradeMalaysia holt hier enorm auf und schreitet mit star-kem Entwicklungspotenzial voran (vgl. Daga et al.2010)14.

11.4.3 Fallbeispiel: Ein globale Markeund ihre Varianten

Welche Auswirkungen haben Kultur, Kunsttraditionund Technologie auf die Gestaltung von Infografiken?Worin unterscheiden sich Infografiken aus den USAoder Deutschland von denen aus Südkorea, Chinaoder Indonesien? Kulturspezifische Designmerkma-le lassen sich am ehesten erkennen, wenn man einOriginal mit seinen kulturellen Varianten vergleicht.Bei Infografiken lässt sich eine solche vergleichendeAnalyse nur schwer durchführen, sieht man von 1 : 1-Übersetzungen ab: Denn Infografiken entstehen meistim Kontext eines spezifischen Ereignisses und sind fürein bestimmtes Land oder eine Region von Bedeu-tung.15 Daher wählten wir als heuristische Methodeein Fallbeispiel: die Startseite von Coca-Cola und ih-re kulturellen Varianten in Fernost. Als globale Markekommuniziert Coca-Cola in alle Länder die gleicheProduktbotschaft. Bei diesem Fallbeispiel gehen wirvon der Hypothese aus, dass sich bei interaktiven In-fografiken – ähnlich wie bei Webseiten – die Kulturauf das Design auswirkt.

14 „While the country has only around 15 million–plus Internetusers, that’s close to 55 percent of the total population, and mo-bile Internet penetration is close to 30 percent of it. Given theMalaysian government’s push to expand high-speed broadband,we forecast that the country will have up to 25 million Internetusers by 2015, or close to 80 percent of the population. As bothfixed and wireless broadband grow, we project that more than 50percent of all users will choose to have both personal-computerand mobile-device options for getting online.“ (Daga et al. 2010,S. 1)15 Ausnahmen sind Großereignisse, z. B. Olympische Spiele,oder Katastrophen wie Fukushima, die weltweit von Interessesind und über die auch weltweit berichtet wird. Hier ließe sichnoch am ehesten ein Vergleich von Infografiken aus verschie-denen Ländern durchführen; gleichzeitig schlagen hier aberdie Homogenisierungstendenzen hinsichtlich eines globalen De-signs am stärksten durch.

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Abb. 11.15 USA (Quelle: http://www.coca-cola.com/en/index.html, Zugriff 17.01.2012)

Abb. 11.16 Deutschland (Quelle: http://www.coca-cola.de/, Zu-griff 17.01.2012)

USA, DeutschlandDie westlichen Startseiten (siehe Abb. 11.15und 11.16) fallen durch ein klar strukturiertes De-signraster und eine übersichtliche Benutzerführungauf. Die Seiten wirken ruhig, aufgeräumt; Animatio-nen, Videos und Musik werden dezent eingesetzt. DieCorporate Design-Farben Rot und Weiß dominieren.Der Fokus liegt auf dem Produkt selbst.

SingapurÄhnlich klar strukturiert präsentiert sich Coca-ColaSingapur: Die Seite ist übersichtlich gestaltet, wirktfast schon rein und zeigt eine benutzungsfreundli-che Navigation (siehe Abb. 11.17). Das zurückhal-tende Design wird jedoch konterkariert durch denselbststartenden Musikplayer und diverse animierteElemente (z. B. Teaser). Kulturelle Eigenheiten be-gegnen uns vor allem in der Themensetzung, die dieNachhaltigkeitspolitik der singapurischen Regierung

Abb. 11.17 Singapur (Quelle: http://www.coca-cola.com.sg/home/home.asp, Zugriff 17.01.2012)

für ein grünes, umweltbewusstes Singapur widerspie-gelt. Dementsprechend finden sich in der Kopfnaviga-tion die Rubriken: Active Healthy Lifestyle, Climate,Packaging, Water bekräftigt durch die Tagline Impro-ving the way we work and live. Der NavigationspunktWorkplace mit dem Unterpunkt Diversity korrespon-diert mit der Darstellung von Singapur als einemmultikulturellen Arbeitgeber (siehe Abschn. 11.4.2).Spuren einer chinesisch anmutenden Gestaltung lassensich subtil bei diversen Elementen auf den Unterseitenfeststellen, etwa beim Design der „Youth Olympic Ga-mes“-Dose.

KoreaIm Mittelpunkt der koreanischen Coca-Cola-Startseitesteht die Community, also die sozialen Beziehungen(siehe Abb. 11.18). Soziale Netzwerke wie Twitter,Facebook und Youtube sind auf der koreanischen Web-site prominent vertreten. Die aufsteigenden Blasen,die aus der Cola-Flasche heraussprudeln, sind Twit-ter-Beiträge (Tweets), die ständig aktualisiert werden.Dadurch kommt Dynamik in die Seite, die zusätzlichverstärkt wird durch Teaserbilder, die Menschen inAktion zeigen. Die bisher dominanten Farben Rot undWeiß treten zugunsten eines farbenfrohen Designs zu-rück, das die Farben weiterer Produkte aus der Coca-

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11 Interaktive Infografiken – der Blick nach Fernost 229

Abb. 11.18 Korea (Quelle: http://www.cocacola.co.kr/, Zugriff17.01.2012)

Cola-Getränkewelt aufgreift. Die Benutzerführung isttendenziell explorativ gestaltet.

JapanAuch die japanische Variante rückt die Menschenund ihre sozialen Verbindungen ins Zentrum (sie-he Abb. 11.19). Wir erkennen als kulturspezifischesMerkmal eine sorgfältige Aufteilung von Raum undFarbe sowie kalligrafische Schrifttypen. Die Startseitevon Coca-Cola Zero zeigt Referenzen an den Manga-Stil wie auch an den Lifestyle der Popkultur (sieheAbb. 11.20). Dazu: rockende junge Menschen (ani-miert) zum Sound von „Born to be wild“, der im Bildverfremdet wird zu „Born to be wild health“.

ChinaAnlässlich des chinesischen Neujahrsfestes Anfang2012 lässt Coca-Cola China die Werbekampagne„First Coke of the Year“ wiederaufleben. Markenbot-schafter ist, wie schon 2009, der chinesische Leicht-

Abb. 11.19 Japan (Quelle: http://www.cocacola.jp/, Zugriff17.01.2012)

Abb. 11.20 Japan, Coca-Cola Zero (Quelle: http://www.cocacola.jp/zero/, Zugriff 17.01.2012)

Abb. 11.21 China (Quelle: http://www.icoke.cn, Zugriff17.01.2012)

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Abb. 11.22 Die Headline bedeutet: „Enjoy reconnecting anda Happy New Year, with Coca-Cola“ (Quelle: http://www.icoke.cn, Zugriff 17.01.2012)

athlet Liu Xiang (siehe Abb. 11.22). Ähnlich denStartseiten von Coca-Cola Japan und Korea domi-niert auch hier das Soziale, das Zusammensein mitFamilie und Freunden16, was den Befunden der zi-tierten interkulturellen Studien für „high-context“-Kulturen entspricht. Im Unterschied zur kontrasti-ven Rot-Weiß-Farbgebung der westlichen Variantentaucht Coca-Cola China seine Startseite in das chi-nesische warme Rot-Orange. Die chinesische Versiondes Coca-Cola-Schriftzugs ist eine moderne Interpre-tation traditioneller chinesischer Kalligrafie. Weiterekulturspezifische Designmerkmale sind das Aufgrei-

Abb. 11.23 Unterseite von Coca-Cola China (Quelle: http://www.icoke.cn/channels/news/ico_index_news.aspx, Zugriff17.01.2012)

16 „Sharing is central to Chinese New Year. Sharing beveragesis key to that festival,“ erläutert Amanda Yang von der Wer-beagentur Leo Burnett Shanghai die Kampagne (http://www.chinabevnews.com/2012/01/coca-colas-cny-campaign-draws-on-liu.html, Zugriff 17.01.2012).

Abb. 11.24 Zum Vergleich das chinesische Symbol für „Dou-ble Happiness“ als Scherenschnitt (Quelle: http://traditions.cultural-china.com/en/17T69T282.html, Zugriff 23.04.2012)

fen von kulturellen Symbolen – in Abb. 11.21 sindes die typisch chinesischen Laternen, die sich durchAnimation quasi im Wind wiegen –, das Verwendenvon weichen, fließenden Formen und die Anleh-nung an traditionelle chinesische Kunst, nämlichScherenschnitt (siehe Abb. 11.23, 11.24) und Kalli-grafie. Insgesamt lässt sich die Designanmutung alsfließend beschreiben aufgrund der Anordnung undKomposition von farbenfrohen Mustern, gestempeltendekorativen Ornamenten, geschwungenen Formen undSchriftzeichen. Eine Navigation, die den Nutzer orien-tiert, scheint sekundär (siehe Abb. 11.23); stattdessenwird dem explorativen Surfen Raum gegeben.

Malaysia, IndonesienAuffallend dezent präsentiert sich Coca-Cola in Ma-laysia (siehe Abb. 11.25). Traditionell und auch kon-temporär betrachtet hätte man eine durchaus farben-prächtige und beinahe überladene Designanmutung

Abb. 11.25 Malaysia. Startseite (Quelle: http://www.coke.com.my/, Zugriff 17.01.2012)

16 Siehe dazu auch die Broschüre Ädvisory for Patients",herausgegeben vom Ministry of Health, Singpore: http://www.hpb.gov.sg/HOPPortal/content/conn/HOPUCM/path/Contribution%20Folders/uploadedFiles/HPB_Online/Educational_Materials/AdivsoryForPatients(E).pdf

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11 Interaktive Infografiken – der Blick nach Fernost 231

Abb. 11.26 Unterseite, betitelt „Rumours“. Die Unterseite the-matisiert Vorurteile gegenüber Coca-Cola (Quelle: http://www.coke.com.my/, Zugriff 17.01.2012)

erwarten können (vgl. Marwan 2010). Als verspieltinterpretieren lassen sich allenfalls die animierte Coca-Cola-Flasche, aus der beim Anklicken der Site dieSprechblase „BRRRR“ onomatopoetisch herausspru-delt, und die schräg gestellten Zeilen, die die Seiteetwas auflockern. Die grafische Zurückhaltung gibt da-mit ganz klar dem Inhalt den Vorrang. Viel Gewichtwird dabei auf den bemerkenswerten Navigations-punkt „Rumours“ gelegt (siehe Abb. 11.26). Mit demrhetorischen Stilmittel der visuellen Metapher werdendie Gerüchte oder Vorurteile visualisiert, die buchstäb-lich um Coca-Cola kreisen und gegen den Konsum desGetränks in einem muslimischen Land sprechen, z. B.dass Coca-Cola Alkohol enthalte.

IndonesienAuch die indonesische Variante zeigt sich grafischrecht einfach und übersichtlich. Inhaltlich setzt Coca-Cola auch hier wieder auf das Soziale sowie auf dielokale Präsenz: Coca-Cola adressiert seine Botschaftgezielt an die Menschen vor Ort (siehe Abb. 11.27).Eine interaktive Karte zeigt, wo der Coca-Cola-Truckgerade in Indonesien Station macht (siehe Abb. 11.28),und eine Bildergalerie dokumentiert die Promotions-tour. Nutzer, die zum Werbeträger für Coca-Cola unddamit Teil der Kampagne werden möchten, können ihrFoto auf die Website hochladen (siehe Abb. 11.29).

Wie das Fallbeispiel veranschaulicht: Von dem asiati-schen Design zu sprechen, fällt schwer, denn trotz desverbindlichen und verbindenden Corporate Designs ei-ner globalen Marke wie Coca-Cola und trotz globaler

Abb. 11.27 Indonesien (Quelle: http://www.coca-cola.co.id/id/index.html, Zugriff 17.01.2012)

Abb. 11.28 Unterseite von Coca-Cola Indonesien: interaktiveKarte von der Promotionstour mit dem Coca-Cola-Truck (Quel-le: https://truck.coca-cola.co.id/, Zugriff 17.01.2012)

Homogenisierungstendenzen spricht jedes Land seineeigene visuelle Sprache, erkennbar an kulturspezifi-schen formalen und inhaltlichen Gestaltungsmerkma-len, wie etwa Referenzen an Kunsttraditionen (Manga,Kalligrafie) oder das Herausstellen von sozialen Be-ziehungen (Social Web-Elementen). Während etwa dieWebsites von Singapur und Korea durchaus auch west-liche Designzüge tragen, sehen wir im Fall China einesignifikante Adaption an die chinesische Ästhetik, dieauf traditionelle Kunstformen, Kultursymbole und so-ziale Werte rekurriert.

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Abb. 11.29 Unterseite von Coca-Cola Indonesien: Fotogalerie von Nutzern, die zu Werbeträgern für Coca-Cola werden (Quelle:http://refreshspirit.coca-cola.co.id/?WT.cl=1&WT.mm=hero-refreshspirit, Zugriff 17.01.2012)

11.5 Analyse: Interaktive Infografiken

Was zeichnet nun interaktive Infografiken in China, Ja-pan oder Singapur aus? Wie sehr orientieren sich asia-tische Infografiken an einer westlichen Designästhetik,wie sie an verschiedenen Stellen im Buch beschrie-ben wird? Und spielen dabei traditionelle Kunstformeneine Rolle? Nachdem wir einen Einblick in die visuel-len Ausprägungen und kulturspezifischen Gestaltungs-merkmale einiger asiatischer Länder gewonnen haben,wollen wir nun diese Erkenntnisse gewinnbringend fürunsere Analyse von interaktiven Infografiken einset-zen, wobei wir teilweise auch statische Infografiken imWeb einbezogen haben. Die nachfolgenden Beispie-le stammen aus dem Online-Journalismus sowie vonWebsites von Regierungen, Departments und Institu-tionen. Zudem haben wir Arbeiten von Design-Agen-turen herangezogen, da sich auch daran ein spezifi-scher Designstil und aktuelle Trends ablesen lassen.

11.5.1 Singapur: Kosmopolitisches Design

Da ein Aspekt des Selbstverständnisses von Singa-pur das einer kosmopolitisch modernen und weltof-fenen, vom Westen beeinflussten Megacity ist, würdesich ein junger Informationsdesigner womöglich ei-ner ausschließlich asiatischen Verortung verwehren:17

17 Eine sehr aktive Ansiedlungspolitik – u. a. unterstützt durchdas Economic Development Board der Regierung (EDB), dieMedia Development Authority (MDA) und die Infocomm De-velopment Authority (IDA) – hat in den letzten Jahren viele„major players“ ins Land gelockt und so Singapur auf einenSpitzenplatz in Asien in den Bereichen Internet Games, Tele-

Vielmehr würde sich ein Designer als global offendefinieren, sich auf Augenhöhe sehen wollen mit Kol-legen in Metropolen wie New York, London oderParis und versuchen, den dortigen Trends Gleichwer-tiges entgegenzusetzen. So charakterisiert die Info-grafiken ein eher kosmopolitischer Design-Stil, des-sen eigene Note evident wird in der technologischenVersiertheit und einer modern ausgerichteten Design-Mentalität mit einer Orientierung an internationalemSpitzendesign.18 Augenfällig ist, dass Typografie undLayout meistens klassischen westlichen Gestaltungs-kriterien folgen, wenn das römische Alphabet ver-wendet wird (z. B. übersichtliche Strukturierung, klareLeserführung). Auf Variationen, die typische asiati-sche Gestaltungselemente hinsichtlich Farbigkeit oderSchriftanordnung einbringen würden, wird weitestge-hend verzichtet, so dass Tradition und der jeweiligekulturelle Hintergrund kaum zum Vorschein kommen.Das hat u. a. mit der Tatsache zu tun, dass Englischerste Landessprache ist und allein typografisch nichtjede Informationsgrafik auch zwingend in einer chine-sischen Version vorhanden ist.

kommunikation und Animation katapultiert. Zu den führendenFirmen, die bereits in Singapur aktiv sind, gehören u. a. Lu-casfilm, Double Negative (Animation/VFX/Film), Ubisoft, Ga-mes), IBM, iFlex, NCS, Oracle, Mahindra Satyam und Siemens(Infocomm).18 Ein Beispiel für diesen kosmopolitischen Stil liefern die Ar-beiten der Design-Studios Lemongraphic und Asylum. Die sehrzeitgemäß wirkenden Arbeiten lassen auf die gestalterischeMotivation schließen, mit den weltweiten Spitzenstandards imDesign mitzuhalten und nicht notwendigerweise einen distinktivasiatischen „Look“ zu kreieren. Einen Einblick in Infografikenaus dem Journalismus gibt die Site NEWSPAGEDESIGNER:http://newspagedesigner.org/photo/photo/search?q=Singapore.

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11 Interaktive Infografiken – der Blick nach Fernost 233

Abb. 11.30 Infografik zur Formel 1 aus der Tageszeitung Straits Times, Singapur 2009 (Design: Lim Yong, Quelle: http://npd.snd.org/photo/limyong8-_f1-pitstop?context=user; (24.01.2012))

Bei Abb. 11.30 handelt es sich zwar um eine klas-sische Printgrafik, die aber gut geeignet ist, um dieeingangs erwähnten Charakteristika zu verdeutlichen.Auffallend ist der hohe professionelle gestalterischeStandard: eine klug strukturierte Organisation vonText- und Bildelementen, eine aufwändige Illustrati-on und die typografische Kompetenz. Es ist nur einBeispiel von vielen aufwändig gestalteten Infografikendes Designers Lim Yong für die Straits Times,19 Sin-gapurs führender Tageszeitung. Die Formel 1-Grafikzeigt mehrere Handlungselemente gleichzeitig. Ob-wohl es sich hier um eine Momentaufnahme handelt,so entspricht die Textanordnung im Uhrzeigersinneiner sequenziellen Erzählweise, wie man sie am ehe-sten aus dem Comic kennt. Zudem repräsentiert hierdie sequenziell aufgeteilte Einzelillustration mehrereAktionen, impliziert also einen Ablauf mit einem sin-gulären Moment „frozen in time“.

Ein weiteres typisches Charakteristikum für Sin-gapur ist die Nutzung von popkulturellen Medienwie Comics oder Cartoon-ähnlichen Illustrationen, um

19 Einen Einblick in das infografische Portfolio von Lim Yonggewährt die Website von http://newspagedesigner.org.

gerade inhaltlich „schwere“ Themen zu kommunizie-ren. Die Regierung in Singapur benutzt z. B. einenbestimmten Cartoon-Stil für ihre „Public Awareness“-Kampagnen zu Themen wie SARS und H1N1-Grippe(siehe Abb. 11.31). Singapurische Cartoons haben einganz eigenes Gesicht, das sich deutlich vom japani-schen Manga-Stil unterscheidet (auch wenn Manga inSingapur sehr populär sind). Diese stilistischen Unter-schiede lassen sich am Verzicht auf Manga-typischeGestaltungselemente festmachen: Manga-Charakterehaben in der Regel übertrieben große Augen, und dieStilisierung der Personen ist genrespezifisch; die Lini-enführung ist meist sehr fein, und es werden oft Ele-mente wie Aktionslinien (Speedlines) und (digitale)Rasterfolien eingesetzt. Beispiel eines typisch singa-purischen Comics ist „Mr. Kiasu“ (siehe Abb. 11.32),eine lokal immens populäre Comic-Serie der 1990erJahre. Die „Mr. Kiasu“-Comics bedienen sich einereher groben, aber ausdrucksstarken Linienführung undCharakterzeichnung; die Augen sind normal groß. Sti-listische Ähnlichkeiten lassen sich eher zu den Car-toons westlicher Kollegen wie Matt Groening („Simp-sons“) oder Gary Larson („The Other Side“) feststel-len. Der ausdrucksstarke Stil wird durch eine kräftige

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Abb. 11.31 Erklärcomic zur H1N1-Grippe (2009)(Quelle: http://app.crisis.gov.sg/Data/Documents/H1N1/FightThePandemicFlu.pdf, 10.02.2012)20

Farbigkeit unterstützt. Die popkulturelle Beliebtheitnutzt die Regierung Singapurs, um ein ernstes The-ma wie die H1N1-Grippe attraktiv zu vermitteln – dieErnsthaftigkeit der Thematik allein garantiert die ge-wünschte Rezeption, trotz oder gerade wegen des Stils.Dagegen ist gerade im deutschsprachigen Raum beiComics immer noch eine Zurückhaltung auszuma-chen, was an der geringeren kulturellen Verwurzelungvon Comics und Cartoons liegen mag und an der we-niger starken gesellschaftlichen Akzeptanz.

Wenn es dagegen um harte Fakten geht, um statis-tische Zahlen, dann setzt die Regierung in Singapurauf interaktive Datenvisualisierung (siehe Abb. 11.33):Das Blasendiagramm bietet dem Nutzer verschiede-ne Parameter zur Auswahl; zudem kann der Nut-zer mit dem Regler auf der Timeline das gewünsch-te Jahr bestimmen. Diese Infografik erinnert an dieinteraktiven diagrammatischen Visualisierungen desStatistikers Hans Rosling, der für seine „Gapmin-der Graphics“ mehrfach ausgezeichnet wurde (www.gapminder.org).

20 Siehe dazu auch die Broschüre “Advisory for Patients”,herausgegeben vom Ministry of Health, Singpore:http://www.hpb.gov.sg/HOPPortal/content/conn/HOPUCM/path/Contribution%20Folders/uploadedFiles/HPB_Online/Educational_Materials/AdivsoryForPatients(E).pdf

Abb. 11.32 „Mr. Kiasu“ von Johnny Lau, eine populäre Comic-Serie im Singapur der 1990er Jahre (Quelle: http://travel.cnn.com/singapore/life/real-mr-kiasu-isnt-...-kiasu-746873, Zugriff16.12.2012)

Abb. 11.33 Datenvisualisierung zu Produktivität, Wertschöp-fung und Beschäftigung in Singapur (Quelle: Department ofStatistics Singapore: http://www.singstat.gov.sg/stats/visualiser/productivity/productivity.html, Zugriff 09.02.2012)

11.5.2 Korea: Interaktiv undmultimodal

In vielerlei Hinsicht ergibt sich für Südkorea ein ähn-liches Bild wie für Singapur: Wir haben es hier mitInformationsgrafiken zu tun, die von einer eher glo-bal denn lokal ausgerichteten Designkultur geprägtsind. Ein anschauliches Beispiel liefern die Arbeitenvon Vice Versa design studio, das sich auf Infogra-

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11 Interaktive Infografiken – der Blick nach Fernost 235

Abb. 11.34 Statische Infografik über die Vorteile von Infogra-fiken. Die Grafik thematisiert auch die Vorteile von interaktivenInfografiken (Design: Vice Versa design studio. Quelle: http://powerfulinfographic.com/?page_id=338, Zugriff 11.02.2012)

fiken spezialisiert hat.21 Ein Teil der Arbeiten sindin Englisch, viele nur in Koreanisch, manche aberauch zweisprachig; die Zweisprachigkeit lässt sich mitder Ausrichtung auf unterschiedliche Zielgruppen –koreanisch und international – begründen. Besondersinteressant ist hier die Infografik in Abb. 11.34: ei-ne Infografik als visuelles Argument für den Einsatzvon Infografiken. Dadurch entsteht eine Meta-Ebene,die von Expertenwissen zeugt. Der hohe Stilisierungs-grad der Grafik unter Einsatz von vergleichsweisereduzierten Vektorgrafiken und einer fein abgestimm-ten Farbgebung wirkt modern und professionell, waseine lokale Verortung schwer macht. Einen Hinweisauf das High-Tech-Land Korea gibt dagegen der indie Infografik integrierte QR-Code. Aus dem gleichenStudio stammt auch die Infografik zur Daum Foun-dation (siehe Abb. 11.35). Dabei überrascht das fürsInternet ungewöhnliche Querformat der Infografik, dieaus mehreren Einzel-Grafiken zu einer einzigen lan-gen Infografik aggregiert wurde. Entsprechend gewöh-nungsbedürftig ist der lange horizontale Scrollbalkenvon links nach rechts. Verbindendes Element der Ein-zel-Grafiken stellt die durchgängige Stadt-Silhouetteam unteren Bildrand dar.

Auch Videos können die Funktion einer Infografikübernehmen, wie Abb. 11.36 zeigt: Das Video er-klärt das „myWho“-System: ein Social-Networking-Tool für Smartphones. Thematisiert werden die sozia-len Beziehungen, was interkulturell betrachtet typischist für eine „high-context“-Kultur. In einem gestalte-risch sehr ansprechenden Mix verschiedener Animati-onstechniken und -stile werden auf „Click und Play“stilisierte Animationen abgespielt und die Interaktionzwischen den verschiedenen Smartphones bzw. ihrenBenutzern jeweils exemplarisch dargestellt.

Die Kommunikationsfunktion Informieren, diekonstitutiv ist für Infografiken, kann in Korea durchaus

21 Website: http://viceversadesign.co.kr/. Einen guten Einblickin das infografische Werk von Vice Versa design studio gibt dieWebsite http://powerfulinfographic.com/?cat=79

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Abb. 11.35 Die Infografik dokumentiert die Geschichte derDaum Foundation, einer koreanische Non-Profit-Organisation,die sich einsetzt für eine barrierefreie Medienkommunikation

für die nächste Generation („daum“ bedeutet auf koreanisch„next“) (Design: Vice Versa design studio. Quelle: http://10th.daumfoundation.org/timeline/stats, Zugriff 15.03.2012)

Abb. 11.36 Screenshots aus dem Erklärvideo „myWho“. DerModerationstext zum Video lautet: „How do you know who yourreal friends are? We’ve made it easy to see 100 of your closestfriends in one page. The Social Flower is a one-stop communi-

cation tool to instantly connect with your friends.“ (Design ViceVersa design studio, Quelle: Design: Vice Versa design studio;http://www.youtube.com/watch?v=Mr5_UcfNpyY&feature=player_embedded, Zugriff 15.03.2012)

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11 Interaktive Infografiken – der Blick nach Fernost 237

Abb. 11.37 Interaktives Spiel „Touch Korea“, englische Ver-sion. Mit dem Klick auf die Würfel startet der Nutzer seineRundreise durch die Kultur Koreas (Quelle: http://interactive.ibuzzkorea.com/, Zugriff 15.03.2012)

Abb. 11.38 Jedes Icon repräsentiert einen Teil der koreanischenKultur: von Teezeremonie bis Taekwondo. Beim Klick auf einIcon öffnet sich ein Pop-up-Fenster mit multimedial aufbereite-tem Content: Videos, Infografiken, Fotos, Text, Sound (Quelle:http://interactive.ibuzzkorea.com/, Zugriff 15.03.2012)

die Grenze zum Spielerischen überschreiten. Infor-mieren wird dann zum interaktiven und explorativenSpiel, wie die multimodale Infografik „Touch Korea“von Korea Tourism Organization zeigt: klicken, hören,sehen (siehe Abb. 11.37 und 11.38).

Analysiert man koreanische Infografiken, fällt dieTendenz auf, möglichst viel Information in eine In-fografik zu packen. Belege dafür findet man in denInfografiken der Yonhap News Agency22, die – auswestlicher Perspektive – recht überladen wirken imVergleich etwa zu einer deutschen Infografik mit ähnli-cher Thematik (siehe Abb. 11.39 und 11.40). Dagegenwirkt die deutsche Infografik in ihrer Aufgeräumtheitfast leidenschaftslos. Die Agentur hat auf ihrer Websi-te eine eigene Rubrik „Graphic News“. Sie setzt damitdie Infografik als journalistische Darstellungsform ein,um über aktuelle Ereignisse, vor allem aus Politik,Wirtschaft und Sport, zu berichten; allerdings sind dieInfografiken alle statisch, was daran liegen könnte,dass die Yonhap News Agency neben dem Fernsehenvor allem Zeitungen beliefert.

22 Yonhap News Agency ist Koreas größte Nachrichtenagentur.

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Abb. 11.39 Die Sportstättender Olympischen Winter-spiele 2018 in Pyeong Chang(Quelle: Yonhap News Agen-cy, http://app.yonhapnews.co.kr/YNA/Basic/ArticleEnglish/ArticleGraphic/YIBW_GraphicList.aspx,Zugriff 15.03.2012)

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11 Interaktive Infografiken – der Blick nach Fernost 239

Abb. 11.40 Zum Vergleich eine Infografik zu den Sportstättenin München. Die Stadt hatte sich ebenfalls für die OlympischenWinterspiele 2018 beworben (Quelle: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/sportstaetten-olympia-es-geht-um-gold-1.1044025; Zugriff 19.04.2012)

11.5.3 Japan: Purismus imWeb 2.0

Auch Japans Infografiken wirken designästhetisch undtechnologisch sehr modern und scheinen doch gleich-zeitig, deutlicher als das bei Singapur oder Korea derFall ist, tief verwurzelt zu sein in der japanischenKultur. Japan gelingt es, in seinen Visualisierungenund seinem Webdesign Tradition und Moderne, Pu-

Abb. 11.41 Interaktive Visualisierung der traditionellen Farben des alten Japans, basierend auf einer in HTML 5 programmiertenAnimation. Per Mausklick kann der Nutzer die Farbe wählen und der Hintergrund ändert sich entsprechend der Farbwahl (Design:Ono Takehiko 2010, Quelle: http://nipponcolors.com/, Zugriff 15.03.2012)

rismus und Verspieltheit miteinander zu verschränken.Ein Beispiel dafür liefert die interaktive Infografik desDesigners Ono Takehiko (siehe Abb. 11.41): eine Auf-listung von knapp 300 Farben, wie sie traditionellim alten Japan verwendet wurden, vor allem in Li-teratur, Textilien, Kunst und Kunsthandwerk. Die Vi-sualisierung in Form einer interaktiven Tabelle machtdie Feinheiten und Nuancen der traditionellen Farbenevident. Im Vergleich mit der traditionellen Schrift-rolle aus der Edo-Epoche (siehe Abb. 11.42) springtsofort die stark vertikal strukturierte Ordnung und Ty-pografie der Grafik ins Auge. Die Verwendung derKanji-Typen in der Schrift rechtfertigt dies und erlaubtquasi keine Alternative zu dieser Art der Schriftan-ordnung. Eine ästhetische Qualität ergibt sich durchdie gekonnte Kombination von wenigen Elementen,nämlich Farbe, Typografie und abstrahierten Grund-formen: ein gestalterischer Brückenschlag zu einerminimal-puristischen Design-Philosophie, wie sie fürJapan charakteristisch ist. Der pragmatische Nutzenfür Designer und Künstler liegt in der Übersetzung

Abb. 11.42 Schriftrolle mit einer Auswahl von Gedichten aus„Anthology of Chinese and Japanese Poems for Recitation“(Quelle: Honâmi Koetsu, 1558 to 1637; http://sites.asiasociety.org/asianjourneys/advisor/, Zugriff 15.03.2012)

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Abb. 11.43 Interaktive Karte zum Migrationsfluss in Japan, ein Geo-Projekt der Universität Tsukuba (Quelle: http://giswin.geo.tsukuba.ac.jp/teacher/murayama/popflow/index.phtml, Zugriff 15.30.2012)

Abb. 11.44 „News Mapping“ im Comic-Stil (Quelle: Japan Broadcasting Corporation NHK, http://www.nhk.or.jp/yamagata/mitekero/, Zugriff 15.03.2012)

der Farben in den RGB-, CMYK- und Hexadezimal-Code.

Die Infografik in Abb. 11.43 ist eine interaktiveGeovisualisierung. Sie suggeriert eine asiatische, „ty-pisch“ japanische Anmutung. Zum einen wird durchdie Wahl der Schriftgröße wie auch durch den Ein-satz von großen Weißflächen eine starke Präsenz derSchriftzeichen ermöglicht. Der reduziert puristischeGestaltungsansatz kombiniert eine flächige Offenheitmit den bereits eingeführten horizontal-vertikal domi-nierten Gestaltungsrastern und steht in Kontrast zurzentrierten starken Diagonalen der Abbildung von Ja-pan selbst – ein Gestaltungsansatz, der automatisch dieAufmerksamkeit auf das zentrale Thema lenkt: Wohinziehen Migranten in Japan?

Illustrativ-verspielt, farblich aber dezent präsen-tiert sich das interaktive Nachrichtenportal „Miteke-ro“ der Japan Broadcasting Cooperation NHK: DieNachrichtenberichterstattung aus der Provinz Yamaga-

ta übernimmt die Comic-Figur Mitekero, die äußerstvariantenreich gestaltet ist – passend zum jeweiligenNachrichtenthema (siehe Abb. 11.44). Die interaktiveKarte informiert die Nutzer in Text und Bildergalerienüber aktuelle Ereignisse in der Provinz „Yamagata“.Laser-Sound-Effekte signalisieren dem Nutzer die sen-sitiven Navigationspunkte auf der Karte. Zudem kön-nen die Nachrichten als chronologische Liste über eineNavigationsleiste am rechten Bildschirmrand aufgeru-fen werden.

11.5.4 China: Zwischen Imitationund Innovation

Ein Teil der Infografiken in China orientiert sich starkan seinen westlichen Pendants (siehe Abb. 11.45) oderbesteht in einer 1 : 1-Übersetzung (siehe Abb. 11.46und 11.47). Eine asiatische Charakteristik lässt sich

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11 Interaktive Infografiken – der Blick nach Fernost 241

Abb. 11.45 Ausschnitt aus einer Infografik, die die Anzahl angehackten iPhones in China visualisiert. Das Ananas-Symbolsteht für ein gehacktes iPhone (Design: umeng.com, Quelle:http://thenextweb.com/asia/2011/05/03/one-of-every-three-iphones-in-china-is-jailbroken/, Zugriff 15.03.2012)

Abb. 11.46 Statische Infografik, die den Erfolgsweg von Steve Jobs nachzeichnet (2011) (Quelle: Links: http://xinxisheji.tuyansuo.com/info/1193.html, Zugriff 15.3.2012); Rechts: Originalversion, gepostet im Blog von Graziadio Business Report, School of Busi-ness and Management of Pepperdine University (Quelle: http://gbr.pepperdine.edu/blog/wp-content/uploads/2011/08/Steve-Jobs.jpg, Zugriff 15.03.2012)

dann lediglich in der adaptierten Typografie festma-chen. Die bloße Verwendung der chinesischen Schrift-typen bewirkt keine auffällige Veränderung des Ge-samterscheinungsbildes.

Einen weiteren Beleg für Imitation als Gestaltungs-merkmal in China liefert Abb. 11.48. Die Infografikwurde vom chinesischen IT-Ausrüster MazingTechin Shenzen aus dem Englischen übersetzt, autori-siert vom Originalgestalter focus.com. Allerdingsentsteht durch die Transformation in chinesischeSchriftzeichen eine neue Ästhetik. Die chinesischenSchriftzeichen werden gekonnt als Äquivalent zuden statistischen Gestaltungsblöcken gesetzt. Dasbewirkt einerseits eine sehr klare grafische Organi-sationsstruktur, andererseits wird durch die illustrativeAnmutung der chinesischen Schriftzeichen das stren-ge Gestaltungsraster konterkariert. Man mag diesals Feinheit interpretieren, da hier ja nicht wirklichvon einer originären Gestaltungsleistung gesprochenwerden kann, sieht man vom typografischen Fein-schliff ab. Allerdings entsteht gerade dadurch eineleicht asiatisch anmutende Variante der Infogra-fik.

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Abb. 11.47 Beispiel für 1:1-Übersetzung aus dem Online-Journalismus. Die Infografik der Nachrichtenagentur Xinhuazeigt die Entwicklung des Ölpreises in den letzten zwölfMonaten (Stand: 27.12.2011) (Quelle: links chinesische Ver-

sion: http://oil.xinhua08.com/a/20111228/879520.shtml; rechtsin Englisch: http://news.xinhuanet.com/english/business/2011-12/28/c_131330195.htm; Zugriff 15.03.2012)

Eine etwas andere Designsprache begegnet unsin der Infografik der Nachrichtenagentur Xinhua23

zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking (sieheAbb. 11.49). Die Eigenheit der chinesischen Schrift-zeichen ist bewusst als zentrales Gestaltungselementeingesetzt: Der lebendige und unregelmäßige Cha-rakter der Schriftzeichen in sich wird durch dieOrganisation der Seite in großen und ruhigen hori-zontalen Blöcken in Tabellenform ausbalanciert. DieÜberschrift wirkt in ihrer Größe und Dominanz wieein illustratives Element und bildet in sich selbsteinen starken Block, der mit den Flächen auf derSeite gestalterisch korrespondiert. Die überlappendfreigestellten Fotos sorgen für ein zusätzlich beleben-des Element und verleihen der Infografik Dynamik,was mit ihrem Thema korreliert. In dieser Balancekommt auch die ästhetische Qualität der einzelnenSchriftzeichen zur vollen Wirkung, die das harmo-nische Gesamtbild jedes Elements ausreichend zurGeltung kommen lässt. Die Farbgestaltung ist auf

23 Xinhua ist die offizielle und größte Nachrichtenagentur derRegierung der Volksrepublik China.

wenige Leitfarben (Blau/Orange) konzentriert, aufdie das farbliche Umfeld jeweils abgestimmt ist.Als typisch asiatisches Charakteristikum könnte manhier das zugrundeliegende Ideal perfekter Harmonieausmachen, eines der zentralen Anliegen im Konfu-zianismus.

Dass ein Regierungsbericht auch visuell kommu-niziert werden kann, demonstrieren die folgenden In-fografiken, ebenfalls publiziert von der Nachrichten-agentur Xinhua: Die Grafiken visualisieren den Ar-beitsbericht der chinesischen Regierung für das Jahr2012 (siehe Abb. 11.50 und 11.51). Während dieenglische Version zumindest einen geringen Grad anInteraktivität aufweist, indem sie alle Infografiken ineiner Bildergalerie zusammenfasst (linearer Navigati-onsbalken am unteren Bildrand), finden sich auf derchinesischen Website von Xinhua die Grafiken einzelnnebeneinander aufgelistet.

In westlichen Augen mögen die Infografiken (sieheAbb. 11.50 und 11.51) wegen ihres Cartoon-inspi-rierten Figurendesigns, dem dekorativen Kontext, denfarbenfrohen verspielten grafischen Elementen (einflatterndes Band als Wachstumskurve) und den zieren-

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11 Interaktive Infografiken – der Blick nach Fernost 243

Abb. 11.48 Ein Ausschnitt aus einer relativ langen Infografikim Hochformat, das an das Format traditioneller chinesischerHängerollen erinnert. Thema ist die Internetnutzung. Links:

das englische Original (Quelle: http://www.focus.com/fyi/state-internet/); rechts: chinesische Variante (Quelle: http://article.yeeyan.org/view/155419/113326, Zugriff 15.03.2012)

Abb. 11.49 Infografik, Nachrichtenagentur Xinhua der Regie-rung der Volksrepublik China (Quelle: http://news.xinhuanet.com/olympics/2008-08/19/content_9513174.htm,Zugriff 15.03.2012)

den Symbolen (die grünen Blättchen markieren Jah-reszahlen) ungewöhnlich bis unseriös für einen Regie-rungsbericht anmuten. Abbildung 11.52 belegt, dassXinhua auch Infografiken anbietet, wie wir sie von derwestlichen Berichterstattung im Online-Journalismusher kennen: eine Karte, kombiniert mit einem Fotound Text sowie einer Visualisierung – an ein Balken-diagramm erinnernd –, die die Zahl von Toten undVerletzten in Jemen darstellt.

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Abb. 11.50 Die Entwicklung des chinesischen Bruttoinlands-produkts von 2006 bis 2011, dargestellt als Kurvendiagrammim Cartoon-Stil (Design: Zhang Liyun, Quelle: Arbeitsberichtder chinesischen Regierung http://news.xinhuanet.com/photo/2012lh/2012-03/05/c_122791233.htm, Zugriff 20.03.2012)

Abb. 11.51 Englische Version von Abb. 11.50 (Design: ZhangLiyun, Quelle: http://news.xinhuanet.com/english/photo/2012-03/05/c_131448034.htm, Zugriff 20.03.2012)

Die Ausnahme: Hong KongMittlerweile natürlich ein offizieller Teil von China,nimmt Hong Kong doch nach wie vor eine Sonderrol-le ein, was in seiner langen Geschichte als britischeKronkolonie begründet liegt. Unverändert ist HongKong eine auch stark dem Westen geöffnete kosmo-politische Metropole, was sich entsprechend in derdortigen Design-Szene widerspiegelt. Hinsichtlich der

Abb. 11.52 Proteste in Jemen am 24. November 2011 (Gra-fikerin: Zhang Liyun, http://news.xinhuanet.com/english2010/photo/2011-11/25/c_131269236.htm, Zugriff 15.03.2012)

Abb. 11.53 Print-Version aus der South China Morning Post:Das Balkendiagramm visualisiert die wichtigsten Nachrichten-ereignisse in 2011 anhand der Anzahl der Wörter, die dieSouth China Morning Post pro Tag dafür verwendete (Quel-le: http://events.scmp.com/news/content/YearEnder/home.html,Zugriff 24.03.2012)

Designkultur ist Hong Kong Singapur sehr ähnlich;durch die starke Präsenz internationaler Firmen unddie hervorragende technologische Infrastruktur nimmtHong Kong in China insgesamt eine Vorreiterrolleein, was das digitale Design angeht. Als Beispiel seihier die South China Morning Post genannt, die seit2011 in ihrer Berichterstattung verstärkt auf Infografi-ken setzt, im Print- wie im Online-Journalismus. DiePrint-Grafik „2011 in our own words“ in Abb. 11.53wurde mit dem Award of Excellence der Society for

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11 Interaktive Infografiken – der Blick nach Fernost 245

Abb. 11.54 Interaktive Version im Web von Abb. 11.53 (Au-tor: Simon Scarr, Quelle: http://events.scmp.com/news/content/YearEnder/home.html; Zugriff 15.03.2012)

News Design ausgezeichnet; die interaktive Versionzeigt Abb. 11.54.

11.5.5 Malaysia und Indonesien:Länder im Aufbruch

Zum Schluss des Analyseteils wandert unser Blickdorthin, wo die Technologie noch nicht ganz soweit fortgeschritten ist wie in Korea, Japan oderSingapur: nach Malaysia und Indonesien. Ähnlichwie bei China erwies es sich als schwierig, inter-aktive Infografiken zu finden. Abgesehen von denbekannten Business-Charts zum Börsengeschehenoder Wetterkarten waren unsere Recherche-Ergebnisseselbst bei den statischen Infografiken, die hinsicht-lich spezifischer Gestaltungsmerkmale aussagekräftiggenug gewesen wären, recht dürftig. Die Rechercheauf verschiedenen News-Sites ergab, dass Infografi-ken nur selten als journalistische Darstellungsformgenutzt werden, dafür aber umso mehr Bildergale-rien und Videos. Ein erwähnenswertes Beispiel istdie Infografik zur Eheschließung in Malaysia (sieheAbb. 11.55). Die Grafik im Stil eines Flussdiagrammswird auf mehreren Blogs zitiert und versteht sich alsAnleitung, wie der Prozess der Eheschließung abläuft,getrennt nach Geschlechtern. Der malaysische Ein-fluss findet sich hier in der Farbgebung, die den lokalenGeschmack in Form von romantisch lieblichen Farb-kombinationen widerspiegelt. Der eher dezente lokale

Abb. 11.55 Infografik zur malaysischen Eheschließung (De-sign: Adlan Khalidi. Quelle: http://adlankhalidi.com/2010/infographic-perkahwinan-orang-melayu-di-malaysia/, Zugriff15.03.2012)

Gestaltungseinfluss ist mit einer formal gewöhnlichenund nicht spezifisch asiatischen Funktionsästhetik ver-knüpft.

Bevor wir gleich in Abschn. 11.6 ein Fazit formu-lieren, wollen wir mit einem recht anschaulichen Bei-spiel unsere Analyse beenden. Die Infografik zur Wahlin Indonesien 2009 (siehe Abb. 11.56) demonstriertexemplarisch die Symbiose aus lokaler Kunsttraditi-on und modernem Design. Die Illustration im Stil des

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Abb. 11.56 Infografik zur Wahl in Indonesien 2009 (Design:Miel Prudencio Rosales Jr; Layout: Lim Yong; Quelle: http://newspagedesigner.org/photo/march-2009-indonesia-election,15.03.2012)

klassischen „Wayang Kulit“ aus dem indonesischenSchattenpuppenspiel (siehe Abb. 11.10) führt den Le-ser unweigerlich nach Indonesien. Auch das Farbde-sign mit seinen zurückhaltenden, warmen Erdtönenund der ornamental gestaltete Hintergrund und Rah-men sind der indonesischen Kunsttradition entlehnt.Im Gegensatz dazu steht eine „westlich“ aufgeräum-te, klar strukturierte Informationsorganisation.24

24 Die Infografik stammt aus der Feder von Miel Prudencio Ro-sales Jr. und Lim Yon, beide The Straits Times, Singapur. Ob dieInfografik dort publiziert wurde und/oder auch in einer indone-sischen Zeitung, konnte nicht mehr eruiert werden.

11.6 Design-Ästhetik zwischen OstundWest – ein vorläufiges Fazit

Ist Asien ein weißer Fleck, was interaktive Infografi-ken angeht? Unsere Analyse erlaubt eine differenzierteAntwort auf die eingangs gestellte Frage.

11.6.1 Technologie – Interaktivität

Was die Infografik als journalistische Darstellungs-form angeht, so überwiegen nach unserer Recherchenoch die statischen Beispiele auf den Websites, wasvermutlich daran liegt, dass Nachrichtenagenturen undZeitungen die Infografiken in erster Linie für denPrintbereich produzieren und anschließend online an-bieten (vgl. The Straits Times, http://www.straitstimes.com/infographics). Schaut man sich dagegen die Web-sites von Unternehmen und Organisationen an oderBlogs von Designern, so scheinen die Designer gutaufgestellt für das interaktive Informationsdesign, ge-rade auch für Tablet-Computer wie das iPad. Im Print-bereich dagegen hat die Infografik als journalistischeDarstellungsform in den letzten Jahren zunehmend anBedeutung gewonnen. Preisgekrönte Beispiele könnenu. a. die South China Morning Post in Hong Kong undAsahi Shimbun in Tokio vorweisen.

Interaktive Infografiken fanden wir vor allem in denhoch technisierten Ländern wie Japan, Korea und Sin-gapur, allerdings weniger im journalistischen Umfeld,sondern eher auf Webseiten von Unternehmen und Or-ganisationen. In Ländern, die den Sprung zu einemHightech-Land noch nicht gänzlich vollzogen haben,wie z. B. Malaysia oder Indonesien, zeigt sich einTrend zum Bewegtbild, wenn es um visuelle Informa-tionsvermittlung geht. Das könnte daran liegen, dasssich in diesen Ländern Mobiltelefon und Smartphonezu den zentralen Kommunikationsmedien entwickeln(und damit wichtiger werden als der PC) und sich dieinteraktive Infografik, zurzeit meistens noch in Flashprogrammiert, als visuelle Kommunikationsform fürmobile Endgeräte noch nicht eignet.

11.6.2 Globalisierung – Homogenisierung

Gestalterisch lässt sich eine klare Orientierung am in-ternationalen Spitzendesign ausmachen. Was Studienzum interkulturellen Webdesign feststellen, nämlich

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11 Interaktive Infografiken – der Blick nach Fernost 247

eine Tendenz zur Homogenisierung, fanden wir auchfür die Infografiken bestätigt. Infolge der Globalisie-rung vernetzen und vermischen sich Kulturen und kul-turelle Eigenheiten zunehmend (Stichwort: Transkul-turalität), und diese transkulturellen Prozesse spiegelnsich auch im Design wider. Vor allem die sachlich ge-stalteten, interaktiven Datenvisualisierungen verwei-gern sich einer eindeutigen lokalen Zuordnung.

11.6.3 Kulturelle Performanz

Gleichwohl konnten wir kulturspezifische Gestaltungs-merkmale erkennen und eine Art Konvergenz ausma-chen – eine Konvergenz aus Tradition und Moderne,aus Ost und West. Vor allem Japan und China gelingtes, das kulturelle Eigene einer modernen Design-Äs-thetik einzuschreiben (wie auch unser Fallbeispiel inAbschn. 11.4.3 zeigt). Hier können Erzähltradition(Manga), Formgebung und Farbgestaltung als kultu-relle Indizien genannt werden: etwa eine reduzierteFarbgebung mit wenigen oder gedeckten Farben imjapanischen Design oder die zwischen leuchtender,fast bunter Ästhetik und reduzierter Farbgebung vari-ierende Farbgestaltung chinesischen Designs oder dasAufgreifen traditioneller Bildformate (Schriftrolle).Die in der Typografie verwendeten chinesisch-japani-schen Schriftzeichen beeinflussen die Gestaltung derGrafiken und sorgen somit zwangsläufig für genuineUnterschiede zum westlichen Gestaltungsstil mit rö-mischem Alphabet.

Die Verschlungenheit der Ornamentik und die dich-te, überbordende Gestaltung in vielen asiatischen Arte-fakten finden sich zu einem gewissen Grad auch in derGestaltung von Infografiken wider. Dafür spricht diehohe Informationsdichte, z. B. in koreanischen Info-grafiken, die oft einen explorativen Zugang erfordern.Der Nutzer soll die Grafik erkunden. Auch die Fak-toren Kontext und soziales Umfeld spielen bei derKonzeption von Infografiken eine Rolle. Dagegen wir-ken westliche Infografiken übersichtlich strukturiert,geben eine stärkere Blickführung vor durch herausge-stellte Orientierungselemente, durch klar erkennbareNavigationselemente oder durch lineare Dramaturgie,die den Nutzer Schritt für Schritt durch die Infogra-fik leitet. Zudem findet eine starke Fokussierung aufdie Information selbst statt. Eine Kontextualisierungdes Themas wird zugunsten einer klaren Botschaft ver-nachlässigt, ganz im Sinne des „Weniger ist mehr“.

Auch wenn Comics, etwa im deutschsprachigenRaum, inzwischen eine ernsthafte Aufmerksamkeiterfahren (gerade auch von wissenschaftlicher Seite),scheinen sie nach wie vor in Fernost stärker akzep-tiert, gerade bei der Vermittlung ernster Themen wieErdbeben oder Grippe-Epidemie. Zudem werden fürdie Informationsvermittlung Animationselemente, diez. B. dem Game-Design entlehnt sind, spielerisch ein-gesetzt. Letzteres spricht für eine gezielte Adressie-rung an die Generation der „Digital Natives“ undeine Offenheit gegenüber ihren Benutzungs- und Re-zeptionsgewohnheiten, etwa die Einbindung von Web2.0-Elementen (z. B. Social Communities).

In den prototypischen Textteilen der Infografik, wiez. B. Überschrift, Begleittext, Legende, konnten wirdagegen keine kulturspezifischen Unterschiede erken-nen; diese Elemente scheinen sich nicht kulturkontras-tiv auszuwirken (vgl. Stöckl 2012).

11.6.4 Transparenz

Interaktive Infografiken, die auf großen Datensätzenbasieren und diese visualisieren (Stichwort: Daten-journalismus), konnten wir auf journalistischen Web-sites nur wenige finden. Das könnte zum einen daranliegen, dass es für die Produktion von interaktivenInfografiken auch immer Datenquellen braucht, dieeine investigative Recherche erst ermöglichen (z. B.open data government), und der Zugang zu diesen Da-ten in Ländern wie etwa China nur schwer möglichist; zum anderen sind solche datenbasierte Visuali-sierungen personal- und zeitintensiv, denn es brauchtein Team, dessen Kompetenzen nicht nur im journa-listischen Handwerk und gestalterischen Know-howliegen, sondern eben auch in statistischen Kenntnissenund programmiertechnischen Fähigkeiten. Diese Artder Teamarbeit ist im Entstehen begriffen und selbstin Redaktionen westlicher Medienhäuser längst nochnicht Standard; als Vorreiter sei hier wieder die NewYork Times genannt (siehe dazu Kap. 9).

11.6.5 Fazit

Will man die doch recht disparaten Erkenntnisse zu-sammenfassen, so lassen sie sich am besten paraphra-sieren mit „East meets West“. Dabei ist das Bestrebenerkennbar, in technischer Kompetenz und gestalteri-

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scher Ästhetik mit dem Top-Design westlicher Ländermitzuhalten (vgl. Okasaki 2012, S. 77), ohne not-wendigerweise auf die asiatische Identität reduziert zuwerden. Gerade in den sehr kosmopolitisch gepräg-ten, hoch technisierten Ländern wie Singapur oderSüd-Korea verstehen sich junge Designer als Mitglie-der einer „global design community“ und wollen ihreState of the Art-Entwürfe auch so verstanden wissen.Gleichwohl, und das ist durchaus ein Spiegelbild vie-ler asiatischer Gesellschaften, ist diese Umarmung derModernen gepaart mit einer Kombination von tradi-tionellen Kunstformen und formalästhetischen Desi-gnelementen. Am offensichtlichsten tritt das in dernotwendigen Anpassung des typografischen Designszutage, die oft zu einer kulturell spezifischen Gesamt-gestaltung führt. Es scheint – so lautet unser vorläu-figes Fazit – den Ländern in Fernost der Spagat zugelingen, einen westlichen Designstil zu adaptieren,ohne dabei die eigenen kulturellen Wurzeln zu ver-lieren.

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