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    'xx, JAHRGANG . 1912

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  • ~HARD MÜllER-MERTENS_,Der Stellingaaufstand

    Seine Träger und die Frage der poli/ischen Macht

    , '"Zum ersten Male in derGeschichte des Feudalismus auf deutsehern Boden traten

    - sich die beiden Grundklassen der Feudalgesellschaft unverhüllt und bewaffnet,"gegenüber" - so bestimmt Joachim Herrmann den geschichtlichen Platz desStellingaaufstandes in den Jahren 841/842 und 843. Herrmann sieht in den StellingaFeudalbauern und rechnet die Erhebung zu den neuen ..Formen des organisiertenKampfes" der Klasse der Feudalbauern, die sich diese "innerhalb der Feudalgesell-schaft" ..nur allmählich und unter der harten Bedrückung und Verfolgung durchden Feudaladel" zu schaffen vermochten.! . .' ' ,•"Aus diesen Ausführungen". so schließt dagegen A. I. Neussychin seine Analyseder altsächsischen Sozialstruktur und des Stellingaaufstandes." ••wird klar; daß dersächsische Aufstand von 841bis 842 zu den Bauernaufständen zählt. die sich un-mittelbar gegen die Konstituierung der Feudalgesellschaft richteten." 2 Zur. säch- 'sischen Bauernschaft befindet Neussychin: Siej.bestand im 9. Jahrhundert - trotzdes Anwachsens des vorwiegend kirchlichen. aber auch königlichen und weltlichenGroßgrundbesirzesnach der fränkischen Eroberung Sachsens - immer noch weit-'gehend aus ehemals gleichberechtigten Stammes- und Gemeindemitgliedern. die •••schon vor den' fränkischen Feldzügen nach Sachsen teilweise in Abhängigkeit vom'alten sächsischen Stammesadel geraten. aber noch nicht zu feudalabhängigen Hinter-sassen, geworden waren:' 3 ..Mit diesen Zitaten sind die am weitesten entgegengesetzten Positionen im Meinungs-streit marxistischer Historiker über die Stellung des Stellingaaufstandes in der Feudal- 'entwicklung abgesteckt. Dazwischen stehen verbindungsuchende und abgeschwächte',Auffassungen. Dabei befindet sich Hans-Joachim Bartmuß in der Nähe von Herr-:. mann. Er gibt diesem mit seiner Ansicht. die Stellinga seien sämtlich feudalab-hängig~ ~auern gewesen'. die Grundlageä für die eingangs zitierte Einschätzung.'

    1 J. Herrrnann, Sozialökonomische Grundlagen und gesellschaftliche Triebkräfte für die Heraus., -bildung des deutschen Feudalstaates, in: ZfG; 1971. H. 6, S. 771£., ' . '2 A•. 1. Neussychin, Die Entstehung der abhängigen Bauernschaft als Klasse der frühfeudalen '

    , ' . Gesellschaft in Westeuropa vom 6. bis 8. Jahrhundett, Berlin 1961, S. 334.," .3 Ebenda, S. 332. , ' .'" 'A H.~J. Bartmuß. Zur Frage der Bedeutungdes Stellingaaufstandes, in:Wissensehaftl. Zeitschrift

    , "; der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Ges.- und Sprachwiss. R., 1957, H. 1; ders.,Ursachen und Triebkräfte im Entstehungsprozeß des •.frühfeuäalen deutschen Staates", in:ZfG, 1962, H.7, S. 159tf.; ders .• Die G~burt des ersten deutschen Staates. Berlin 1966: L. SternI

    , "H.- J .Bartmuß, Deutschland in der Feudalepoche von der Wende des 5./6. Jh. bis zur Mitte desI '

  • , l! . •. ...,. .' ,Dagegen neigen Siegfried Epperlein undich selbstf Neussychin zu: Sein Standpunkt.der Stellingaaufstand sei gegen die Feudalisierung gerichtet gewesen, wird auch von,anderen sowjetischen Historikern eingenommen.7 Strittig in der Diskussion istferner, wie weit der Seellingaaufstand in Sachsen ausgebreitet war, ob er spontanoder organisiert verlief. welche Rolle Kaiser Lothar in ihm spielte und dann ins- 'besondere die Frage nach seinen Auswirkungen.8' , .'Herrmann entwickelte seine Auffassung in der von den Historikern der DDR inden letzten Jahren geführten Diskussion über Grundfragen derGeschichte desdeutschen Volkes. In den Bemühungen, den Klassenkampf als Triebkraft in derGeschichte besser zu fassen; stellte sich auch die Frage nach dem geschichtlichen "Platz des Stellingaaufstandes. Denn dessen Bestimmung ist, von 'erheblic~er kon-zeptioneller Bedeutung. Darum verdient Herrmanns Versuch, die sächsische Bauern-erhebung neu zu durchdenken und neu zu werten; besondere Beachtung. Das ge,- .meinsame Anliegen, eine vertieftere Einsicht in die schriftlich überlieferte' Ge- ,schichte des deutschen Volkes als einer Geschichte' von Klassenkämpfen zu erar-:beiten, fordert,auch den eigenen Standpunkt zu überprüfen. Da' eine geplantemonografische Untersuchung ,nicht in naher Zukunftabgeschlosse~ sein wird, der'

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    Der S fel!iflgaallf~fafld '. 819

    11. Jh., Berlin 1962, S. 103, 130f., 2. Aull., Berli~ 1970, S. 112, 140f. 1970 rückt~ Bartmuß vonseinem bisherigen Standpunkt ab. Er ersetzte die Formulierung der 1. Aufl. seines Lehrbuch-beitrages "erhoben sich ••• feudalabhängige Bauern, um ihre alte Freiheit wiederzuerkämpfen, ,die ihnen ••• durch die Franken rund 60 Jahre zuvor endgültig genommen worden war" in der2. Aufl. durch folgenden Text: "Erhoben sich freie und feudalabhängigeßauern, um ihre Freiheit zu 'erhalten bzw. die alte Freiheit wiederzuerkämpfen, die ihnen ••• durch die Franken genommenworden war." Auch die Formulierung 2. Aufl. S. 112 ist gegenüber 1. Aufl. S. 103 entsprechendgeändert. , ' \',' , "

    S Herrrnann,' S. 772, Anm. 28. "6 S. Epperlein, Sachsen im frühen Mittelalter, 'in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 1966, T. 1; ,, ders., Herrschaft und Volk im karolingischen Imperium, Berlin 1969, S. 50-68; E. Müller-

    Mertens, Das Zeitalter der Ottonen, Berlin 1955, S. 33f.; ders., Vom Regnum Teutonicum zum, Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, in: ZfG, 1963, H. I, S. 327.',' ',.'7 W. F. Semjonow, Geschichte des Mittelalters, Berlin 1952, S.60; S. DiSkaskin, Der Kampf der'Bauern gegen die Ausbeutung im Mittelalter, in: Forum, 1952, Nr. 24, Wissensch:iftl. Beilage,S. 8; Geschichte des Mittelalters, Bd. 1. Red. J. A. KosminskiJS. D. Skaskin, Berlin 1958, S. 124~Abweichend von K./S.; die den Stellingaaufstand als "eines der markantesten Beispiele" des,Widerstandes "der leibeigen werdenden Bauernschaft"gegen die Feudalisierung anführen,schreibt J. W. Gutnowa von den Stellinga als "leibeigen gewordenen sächsischen Bauern", diesich unter der Losung der ..Rückkehr zur alten vorfeudalen Ordnung" (S. 103) erhoben.FernerA. Ja. Sevelenko, Bor'ba narodnych mass protiv zakreposöenija v period rannego srednevekov'ja,.Im.Prepodavanie istorii v ikole, 1958, H. 3; Weltgeschichte in zehn Bänden, Bd. 3. Red. N. A.Si~''dorowa, Berlin 1963,5.174; B. Fz Pcrsnev, Feodalizm i narodnye massy. Moskva 1964. S.280;

    .' S. D. Skazkin, Oöerki PI> istorii zapadno-evropejskogo krestjanstva v srednie veka, Moskva1968. ' .

    • 8 H.- J. Schulze (Der Aufstand der Stellinga und sein Einfluß auf den Vertrag von Verdun;Phil.Diss. Berlin 1955) mißt dem Stellingaaufstand entscheidende Bedeutung für die politische Ver-einigung der Stämme östlich des Rheins und die Bildung des ostfränkisch-deutschen Reiches zu.Die Auffassung von Bartmuß, MülIer-Mertens und Herrmann in den oben genannten Schriften.

    • I r

  • 820 frkhard Milllr-Mlrlllll .

    Meinungsstreit aber der unmi~telbaren Fortführung bedarf, sei eine Vorbemerkungin Form eines Aufsatzes vorangeschickt. Er will die geschichtlichen Bezüge desStellingaaufstandes noch einmal vergegenwärtigen und zu seinen Umständen, Trä'-gern und Zielen im Ansatz erfassen, was die bisher aufgeschlossenen Quellen alssicher, wahrscheinlich oder vermutbar erachten lassen.

    * ".Zunächst darf die Tatsache nicht aus den Augen verloren werden, daß der Stellinga-aufstand der einzige Bauernaufstand von größerer Ausdehnung war, über den ausdem frühen Mittelalter Kunde auf uns gekommen ist.9In der Tat gibt es für die Jahrhunderte von 486 bis 1073/74 keine weitere Nachrichtüber irgendeine Bauernerhebung vergleichbaren Ausmaßes auf deutschern, fran-zösischem und italienischem Boden. Dabei steht das Jahr der Schlacht von Soissons486 für die Bildung des fränkischen Feudalstaates. Dieser Vorgang wurde als Zäsurgewählt, da das Frankenreich auch für die Errichtung des Feudalstaates und dieDurchsetzung des Feudalismus bei den Germanenöstlich des Rheins wesentlichwurde. In die Jahre 1073/74 £iel die Erhebung sächsischer Bauern, zunächst im'Gefolge des Adels und nur in der Weiterführung eigenständig, gegen den Burgen-bau und die Ministerialien König Heinrichs IV. in Sachsen. Die Jahre 1073/74 ge-hören bereits in die Zeit der Entfaltung des Feudalismus. Sie markieren den Eintrittdes Städtebürgertums als neuer politischer Kraft in den Klassenkampf auf deutsehernBoden. Dazwischen lagen der Feudalisierungsprozeß und die Entwicklung des Feu-dalismus bis hin zur Entstehung des Srädrewesens,Aus der einzigartigen Stellung des Stellingaaufstandes in der geschichtlichen Über-lieferung muß nicht mit Notwendigkeit gefolgert werden, daß es in der frühminel-alterliehen Geschichte des deutschen wie des französischen und italienischen Volkeskeine anderen Bauernaufstände vergleichbaren Umfanges gegeben hat. Doch istdie schriftliche Überlieferung seit dem 9. Jh. reichlich genug, um die Annahmevon Bauernaufständen, die ein ganzes Stammesgebiet bzw. ein entsprechend großesTerritorium erfaßten, unwahrscheinlich. zu machen. In diesem Zusammenhang.besonders zu beachten ist, daß der Stellingaaufstand nicht einfach durch eine einzelneQuelle und damit mehr oder weniger zufällig überliefert ist. .An der frühmittelalterlichen Quellensituation gemessen, gibt die zeitgenössischeGeschichtsschreibung eben nicht "nur sehr dürftige Nachrichten", wie Herrmannmeinrw, sondern im Gegenteil recht ansehnliche. Das wird gleich deutlich, wennman sich vor Augen führt, daß z, B. über die Kaiserkrönung Karls des Großen nurdrei unmittelbare Quellen berichten. Ober den Stellungsaufstand schrieben unab-hängig von einander gleich vier Zeitgenossen der 'Ereigniss

  • Der Stellingaallj.tand 821

    in die parteiische Schilderung der feudalherrlichen Fraktionskämpfe und karolin-. gischen Bruderkriege zwischen 840 und 843, die in der Auflösung des fränkisch:'karolingischen Großreiches endeten. Dabei kamen durch die besagten Autoren alle dreifeudalen Parteiungen zu,Wort. Nirhard (gestorben 844), ein Enkel Karls des Großen,gehörte zur Partei Karls· des Kahlen und verfaßte in dessem Auftrag und west-fränkischem Sinne seit 841 eine Geschichte seiner Zeit, den Abschnitt über denStellingaaufstand bereits als Laienabt von Centula.tt Ebenfalls auf Seite Karls desKahlen stand der aus Spanien stammende Prudentius (gestorben 861) .. Zunächst \Kapellan Ludwigs des Frommen, seit 843/846 Bischof von Troyes, setzte er etwa .ab 835 die fränkischen Reichsannalen fort.12Rudolf von Fulda (gestorben 865), Leiter der dortigen Klosterschule, vertrat denParteistandpunkt Ludwigs des Deutschen. Als Verfechter der politisch-staatlichenEigenständigkeit der ostfränkisch-deutschen Gebiete setzte er die Reichsannalenauf ostfränkischem Boden für die Jahre 838 bis 863 fort.13 Dagegen hielt der FrieseGerward (gestorben 860) an der politischen Einheit des fränkisch-karolingischenGroßreiches fest. Bis 'etwa 837 Kapellan und Bibliothekar am Hofe Ludwigs desFrommen, übernahm er als Angehöriger des Klosters Lorsch die Verwaltung vondessen Güterkomplex Gannita in Friesland, den er selbst dem Kloster geschenkthatte. Dort wurde er seit Ende der vierzigerjahre an den Xantener Annalen tätig.In seiner Darstellung nahm er bis zum StelIingaaufstand für Lothar Partei, um wegendessen Beziehungen zu den Stellinga von daan Ludwig dem' Deutschen den Vorzugzu geben)4 . .Jetzt gilt es eine zweite Tatsache zu vergegenwärtigen: Sachsen hob sich nicht nurdurch den Stellingaaufstand in besonderer Weise aus dem fränkischen bzw. franzö-sich-deutsch-italienischen Geschichtsfeld des Frühmittelalters heraus. Einzigartigwar auch der Widerstand, den die Sachsen 772 bis 804 gegen die Eingliederung inden fränkischen Feudalstaat und die Einführung desChristentums leisteten. Keinesder' anderen Stammesgebiete hatte der fränkischen Eroberung an Dauer und. Er:"birterung auch nur annähernd vergleichbaren Widerstand entgegengesetzt oderirgend ein Gebiet Frankreichs und Italiens einer Feudalexpansion. Ähnlichan Ent-schlossenheit und Dauer, nämlich von 929 bis in die sechziger Jahre des 10. Jh.,waren allein die Kämpfe und immer neuen Aufstände der Elbslawen gegen diefrühfeudale deutsche Ostexpansion. Es drängt sich die Frage auf, ob hier nur Pa- .rallelen hinsichtlich der äußeren Erscheinungen bestehen. Muß nicht an ähnliche,gesellschaftliche. Gründe für den gleicherweisen harten und lang andauernden

    10 Herrmann. S. 772. , ' . . . I . .11 W. WattenbachjW.Levison, DeutschlandsGeschichtsquellen im Mittelalter, H. 3, Weimar 1957,

    S. 353 ff.12 Ebenda, S. 348f. ,13 W. Eggen, Das ostfränkische Reich in der Auffassung seiner Zeitgenossen, Phil. Diss. Berlin'

    1969, S. 19ff. . '14 H. Löwe, Studien zu den Annales Xantenses, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittel-

    alters, 1951, Bd. 8; Eggcrt, S. 218££.

  • ; 822.1 Eckl>ard Miller-Merlens, .. • • " • I ' .

    , Widerstand der Sachsen gegen die frühfeudalen fränkischen Eroberer und der Elb-: slawen gegen die frühfeudalen sächsisch-deutschen Eroberer gedacht werden? Zu-mindest muß danach gefragt werden.Zunächst glichen sich die Ziele der Eroberer. Wie die fränkischen Feudalherren'772 bis 804 die Sachsen, so trachtetenseit 929 die sächsisch-deutschen die Elb-slawen zu unterwerfen, zu christianisieren und in den frühfeudalen Staat sowie dieKirchenorganisation einzugliedern. Den Widerstand dagegenzu brechen, gingen

    , die frühfeudalen Eroberer in den Sachsenkriegen wie der Ostexpansion mit der-selben Härte und Grausamkeit vor. "Eine derartige Kampfesführung" , beobachtetEpperlein; läßt sich "immer dann feststellen, wenn ein Feudalstaat bei seinen Ex-pansionen auf Völkerschaften stößt, bei denen die soziale Differenzierung noch ver-hältniemäßig wenig ausgeprägt ist, wenn also eine noch vorwiegend freie Bevöl-'kerung gegen einen Angreifer kämpft, dessen Ziel die Schaffung klassengesellschaft-licher Verhältnisse ist".15 ' , 'Von den slawischen Stämmen zwischen EIbe und Oder. befanden sich viele imÜbergang zur Klassengesellschaft.Zur Ausbi~dung eines frühfeudalen Staatswesens.war es jedoch noch nicht gekommen. In der militärischen Demokratie verharrtendie Wilzen, Bezeichnenderweise leistetensie den deutschen frühfeudalen Eroberern'den heftigsten und andauerndsten Widerstand. Dagegen fanden' die deutschen, Feudalherren in den Adelsschichten der Stämme, in denen sichdie Klassenspaltung, vollzog, teilweise Verbündete.16 "Was den sächsischen Widerstand gegen die Fränkischen Feudalherren angeht, so .hat Martin LintzeI deutlich gemacht, daß die Bauernseine Hauptträger waren. DerAdel, in heftigem sozialem und politischem Gegensatz zu den Bauern stehend,spaltete sich zunächst in eine frankenfreundliche und eine frankenfeindliche Partei,um schließlich ganz zu den Franken überzutreten.t? Die über' viele' abhängigeBauern gebietende Oberschicht des sächsischen 'Adels, die Vita Lebuini nennt. ihreAngehörigen nobilissimi 18, hatte schon vor,' der fränkischen Eroberung Sachsensii'die politische und militärische Führung inne, sie' stellte die satrapae, principes undduces und übte weitgehend politische Herrschaft aus. Doch sie blieb eingeschränktdurch die Teilnahme der bewaffneten bäuerlichen Bevölkerung an der Machtaus-

    ! übung in Form der über die politischen und militärischen Grundfragen entschei-dendenVolks- und Heeresversammlungen von der Stammes- bis zur Gauebene. !

    'Nach der zeitgenössischen schriftlichen Überlieferung die zuletzt von Lintze1 undNeussychin gründlich untersucht wurde19, bestand in Sachsen bj~ in die Zeit der'j,' ..\~ .I ", • ,.' • • •

    , , ,.' , ..15 Die Slawen in Deutschland. Ein Handbuch. Hrsg. J. Herrmann, Berlin 1970, S. 273.16 Ebenda, $. 270ff. . '. ," , .' ,17 M.Lintzel. Dei sächsische Stammesstaat und seine Eroberung durch die Franken, Berlin 1933;

    ders., Die Unterwerfung Sachsens durch Karl den Großen und den sächsischen' 'Adel, in: ders.,.Ausgewählte Schriften, Bd.1, Berlin 1961. ' '

    18 VitaLebuini antiqua, c. 3, in: MonumentaGermaniae Historiea'(MGH), 55, XXx, S. 791-795.19 Vgl. M.Lintzel, Zur altsächsischen Stammesgeschichte, in: ders., Ausgewählte Schriften, Bd. 1;

    vg!. fernerNeussychin. In beiden Werken wird die ältere Literatur Über die altsächsische Sozial-

  • Der S,:llingaall!J;and 823. " , '.

    , ',' ...... I" ,'" J. , ,.'

    fränkischen Eroberung hinein eine im Übergang zur Klassengesellschaft und in derKlassens1?altung begriffene Gesellschaft. Dabei gehen die. Meinungen der mar-xistischen Historiker auseinander, wie weit dieser Prozeß voranzeschritten und wieweit die Adelsherrschafr, die Staatsorganisation durchgesetzt :ar. Neussychin ar- \beitet ein noch vorklassengesellschaftlich-vorstaatlicpes Stadium heraus. AuchwennHerrmann noch weitgehender als Bartmuß an eine viel fortgeschrittenere soziale'Differenzierung und Staatsbildung denkt, räumt er doch ein: Vor der fränkischenEroberung bestand in Sachsen "die Verquickung von genossenschaftlicher Pro-duktion und Allodialwirtschaft, die nicht versachlichte, sondern in Personenver-flechtungen verhüllte Ausbeutung", also noch nicht die ~uf dem feudalen Grund-eigentum beruhende. Dazu spricht Herrrnann tvon einer patriarchalischen Ein-'schränkung der Adelsmacht durch die vorhandenen stammesgesellschaftlichen ,Organisationen. So kommt Herrmann' trotz der genannten Meinungsverschieden-heit auch zu der Auffassung: Die sächsischenBauernwehrten sich 782 bis 804 gegendie Durchsetzung des feudalen Grundeigentums. Sie verteidigten die stammes-gesellschaftlichen Organisationen, diese wurden, "durch' blutige Unterdrückungder aufständischen Bauern beseitigt." 20 " ' ,Daß die Frage der politischen Macht in S~chsen vor der fränkischen Eroberungnoch nicht entschieden war, beweisen nicht' nur diese Kämpfe, sondern eindeutig'die Ausführungen der Vita Lebuini über die Missionstätigkeit Lebuins in Sachsen•

    . Dieser wurde von ~obilissimi günstig aufgenommen,an~onst~n in Sachsenbedroht,Die nobilissirni rieten ihm ab, auf der Stammesversammlung das Christentum zu _'verkünden, dessen Predigt sie gerne hörten. Ja, die nobilissimi forderten Lebuin

    . auf, sich während der Zeit der Stammesversammlung versteckt zu halten und erstnach ihrem Ablauf zu ihnen zurückzukehren. Als Lebuin trotzdem auf der Stammes-versammlung auftrat, sei er nur durch ein Gotteswunder vor dem, Tode bewahrtworden. Der ausschlaggebende Teil der Versammlung wäre darangegangen,Lebuinals Verkünderdes Christentums auf der Stelle zu töten.21 , ,Das ist die ungewollte zeitgenössische Einschätzung des Kräfteverhältnisses in der,Volksversammlung bei der Behandlung einer'Grundfrage. Die nobilissimi fürchtet~~.die Stammesversammlung, gegen den Willen der übrigen Bevölkerung konnten sie ,auf ihr ih~e adligen Eigeninteressen nicht durchs~tzen. Lintzels Ergebnisse, ver-,

    , 'struktur und Verfassung verzeichnet. erfolgt eine Darlegungder durch zahlreiche KontroversengekennzeichnetenForschungsentwicklung und eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen'Richtungen. Die neueren Arbeiten ,sind zusammengestelltim Literaturverzeichnis zurEnt-stehung und Verfassung des Sachsenstammes. Hrsg. W. Lamrners, Darmstadt 1967: Der indiesem Sammelbd, enthaltene Originalbeitrag 'von R.' Wen~kus (Sachsen - Angelsachsen -Thüringer) skizziert den gegenwärtigen Stand der Kontroversfragen. "

    20 Herrmann, S. 766ff.21 Vita Leb., e. 3-6; M. Li~tzeI, Die Vita Lebuini antiqua, in: ders., Ausgewählte Schriften, Bd.I.'

    Ein neuer Versuch, die Vita Lebuini abzuwerten,ist zurückgewiesen worden; vg!. zum gegen- 'wärtigenForschungsstand über diese Quelle und die Stammesversammlung zu Marklo WcnskusS. 543ff.' " , ._',

  • 824 Eck/)(ml Mii//(r-M(rltllS

    rnitteln die Einsicht, daß die fränkisch-karolingische Expansion nach Sachsen, alsStammeskrieg begonnen, zunehmend in den sozialen Kampf überging, geführt vonfränkischen Feudalherren und sächsischer Aristokratie gegen sächsische Bauern.Der erbitterte -Kampfeswille der Bauern, ihre hartnäckige Verteidigung der alt-sächsischen Freiheit,der alten Verfassung und des alten heidnischen Glaubens undihr immer wieder aufflammender Widerstand waren entscheidend für die Dauer derSachsenkriege. Wie in den' elbslawischen Gebieten wurde den frühfeudalen Er-oberern auch in Sachsen dort der anhalrendste Widerstand geleistet, wo die früh-'klassengesellschafrliche Differenzierung am wenigsten weit vorangeschritten war,im Norden, im Gebiet derWeser- und EIbemündung sowie in Nordalbingien.22

    . Erst durch die Vertreibung eines großen Teils der Nordsachsen und deren Ansiedlungaußerhalb Sachsens konnte die Eroberung hier zum Erfolg geführt werden.Fassen wir die bisherigen Ergebnisse zusammen. Der sächsische Widerstand gegendie fränkische Eroberung und der Aufstand der sächsischen Stellinga gegen ihreHerren finden im französisch-deutsch-italienischen Geschichtsfeld des Frühmirtel-.alters keinen Vergleich. Sie nehmen in der schriftlic~ überlieferten Geschichte derVölker dieses Raums eine Sonderstellung ein. Einen Parallelfall zum sächsischenWiderstand gegen die fränkische Feudalexpansion bietet alleinder Kampf der Elb-slawen gegen die deutschen feudalen Eroberer. Wie für den elbslawischen Wider-'

    ,stand gegen die deutsche Ostexpansion, so war für den sächsischen gegen die frän-.kische Eroberung entscheidend, daß eine für das Gewicht der Kämpfe ausschlag-gebende Vielzahl von Bauern noch in vorfeudalen Produktionsverhältnissen stand,die sächsischen Bauern an der politischenOrganisation Sachsens teilhatten, diesenoch eine vorstaatliche war, die Bauern schließlich ideologisch durch heidnischeReligionsformen späturgesellsehaftlich-vorfeudalen Inhalts bestimmt waren.Ein dritter Tatbestand ist nun anzusprechen: Der sächsische Widerstand 782 bis 804und der Stellingaaufstand 841 bis 843 standen nicht ohne Beziehung zueinanderin der Geschichte. Allein der geringe Zeitabstand nötigt, nach einem inneren ge-schichtlichen Zusammenhang zu fragen. Daß er bestand, wurde von Lintzel heraus--gearbeitet.P Die bisherige marxistisclie Forschung fand sein Ergebnis bestätigtund zog die Verbindungslinie ihrerseits vom historisch-materialistischen Stand-punkt.2~ Unbenommen davon, daß Bartmuß in den Stellinga feudalabhängigeBauern sieht, wird diese Meinung auch von ihm vertreten. Er schätzt den Stellinga-aufstand als "ein großes Nachspiel des ,Widukindschen Aufstandes' von 782 bis 785"ein.25 ., . ,

    Herrmann bricht mit dieser Auffassung. Bei seiner Umwertung des Stellingaauf-standes ~ieht er eine scharfe Trennungslinie, indem er diesen nicht mehr mit den

    22 M. Lintzel, Die Stände der deutschen Volksrechte, hauptsächlich der Lex Saxonurn, in: ders.'Ausgewählte Schriften. Bd. 1, S. 356f.; E. Winter-Günther, Die sächsischen Aufstände gegenKar! den Großen 782-804, Phil. Diss. Halle 1940.

    23 Lintzel, Unterwerfung. S. 115ff., 121, 126; den .• Stände, S. 350, 352; ders .• Zur altsächsischen, , Rechtsgeschichte. in: ders .• Ausgewählte Schriften, Bd. 1. S. 425f.24 Vg!. Schulze. Neussychin, Epperlein. . 25 Stern/Bartmuß, 2. Aufl .• S.14O.

  • Der Stel/ingoolljstl111d 825Auseinandersetzungen um die Durchsetzung des Fe~dalismus in Verbindung,bringen will, wie sie in den Sachsenkriegen begegnen. Er rechnet den Stellinga-aufstand zu den Klassenkämpfen, die innerhalb der Feudalgesellschaft zwischen derFeudalbauernklasse und der Klasse der Feudalherren um die Gestaltung der feudalenProduktionsverhältnisse geführt wurden.Das hätte sich bereitsIn der zweiten,Etappe der Sachsenkriege angebahnt. Zwischen diesem und dem Stellingaaufstand, 'meint Herrmann, hätte die Ablösung der nicht versachlichten, sondern in Personen-verflechtungen verhüllten Ausbeutung und die schnelle Durchsetzung versach-lichter, auf dem feudalen Grundeigentum als Privateigentum beruhender Verhält-nisse zwischen Feudalherren und Feudalbauern gelegen. Unabhängige Allodbauern,werden dabei überhaupt nicht gesehen. Anscheinend unterstellt Herrmann für siebereits vor 772 auf persönlicher Abhängigkeit vom Adel beruhende Ausbeutungs-verhältnisse. Entscheidend für diese Sicht ist Herrmanns Bemühen, dem Stellinga-aufstand einen, wie er meint, höheren geschichtlichen Stellenwert zu geben. Dieser

    , sei zu niedrig veranschlagt, wenn .derAufstand als gegen den Feudalisierungsprozeß 'gerichtet betrachtet werde, Wenn dieser aber als abgeschlossen gesehen wird, ergäbe, sich eine höhere Wertung: Seine Auswirkung auf die progressive Entwicklung derfeudalen Produktionsverhältnisse.26 'Herrmanns Behauptung steht und 'fällt' mit Bartmuß' Annahme, die sächsischenBauern wären bereits vor 841 in feudale Produktionsverhältnisse überführt worden.Doch waren die Stellinga tatsächlich feudalabhängige Bauern? Vor der Verfolgungdieser Frage noch eine Bemerkung zu den Zusammenhängen, die nicht unterdrücktwerden soll. Der Lutizenaufstand von 983 und der Obodritenaufstand von 990waren fraglos eine Fortsetzung des elbslawischen Widerstandes gegen die deutscheFeudalherrschaft in den Gebieten östlich der EIbe. Zeitlich folgte der Ludzenauf-stand dem Abzug erheblicher deutscher Streitkräfte nach Italien und deren Nieder- 'lage bei Cotrone. Vermutlich nutzten die Lutizen die dadurch eingetretene Min-. derung der frühfeudalen deutschen Militärrnacht. Auch der Stellingaaufstand fielin eine Zeit herabgesetzter Macht des Feudalstaates. Das Frankenreich brach in denAdelskämpfen und Bruderkriegen seit 840 auseinander.' Es ist bekannt, daß die,Stellinga die gegebene .Situation ausnutzten. Diese Beobachtung veranlaßte Epper,",'.Iein, die Stellingaerhebung 841 und den Lutizenaufstand 983 als entsprechende'Erscheinungen zu betrachten.27 , , ,Darauf wird hier nicht verwiesen, um eine Zustimmung auszudrücken. Wohl aber (um das Erkenntnisfördernde einer vergleichenden Betrachtung der altsächsischen

    . und der elbslawischen Verhältnisse und Entwicklungen und gewiß auch der nord-germanischen festzustellen; auch um das Körnchen Wahrheit zu suchen; das gewißin der Erwägung Epperleins zu finden ist.

    *26 Herrmanri, S. 766-773 m. Anm. 29.27 Epperlein, Herrschaft, S. 67.

  • 826 ' Eckhard Miller-Mertens

    Wer waren nun die Stellinga? Gerward nennt sie servi, spricht von dem Hinaus-wachsen ihrer Macht über ihre domini und der Erniedrigung der nobiles.28 Rudolfvon Fulda' spricht von der conspiratio libertorum, diese, die liberti, suchten ihrelegitimi domini zu unterdrücken.29 Prudenrius von Troyes schreibt einfach von denStellinga als der Mehrzahl der Sachsen, die sich entschieden, heidnisches Wesenanzunehmen; an späterer Stelle von denjenigen, die auctores einer so großen Frevel-tat gewesen waren, die den christlichen Glauben verlassen und Ludwig dem Deut-schen und seinen fideles so heftigen Widerstand geleistet hätten.30 Nithard schließ-lich beschreibt zunächst die altsächsische Ständegliederung. Er führt die sächsischenNamen an: edhilingui, frilingi, lazzi, übersetzt dann ins Lateinische: nobiles, in-genuiles atque serviles. Dann faßt er' die Stellinga als Frilinge und Lazzen, die ihredomini fast ganz aus dem Lande vertrieben. Später nennt er sie seditiosi und schließ-lich einfach Stellinga, die sich gegen ihre domini wiederum empörren.stDie vier Geschichtsschreiber bezeichnen die Stellinga also nicht einheitlich, jederverwendet einen anderen Begriff. Bartmuß erklärt die Stellinga nun zu feudalab-, hängigen Bauern. In seiner Begründung geht er davon aus, daß die genannten Au-

    . toren die Stel1inga gemäß ihrer sozialen Zugehörigkeit begreifen wollten und sie..genügend darüber informiert waren, welcher sozialen Bevölkerungsgruppe dieAufständischen angehörten." 32 Aus der Begriffswahl Gerwards und Rudolfs er-gäbe sich darum, daß die Stellinga feudalabhängige Bauern gewesen wären, dennmit servi bzw. liberti hätten sie allein Feudalbauern und keine anderen Personenmeinen können.Sodann führt Bartmuß zur Begründung einen der vielen Versuche an, den NamenStellinga zu deuten33, nämlich die Deutung Julius von Jasmunds: upstallinc (frie-sisch) = hovelinc (mittel-niederdeutsch) = Hufner = "Das ist einer der die Hubebesitzt und baut, also so viel wie mansionarius, Bebauer des mansus" 34. Darauszieht Bart'inuß den Schluß: "danach wären die Stellinga Hufner, also auf jeden Fallgrundherrlich abhängige Menschen." Die anschließende Feststellung seines Gewährs-mannes "wodurch wenn der Grund und Boden nicht belastet ist, kein Verhältnisder Hörigkeit begründet wird", schiebt Bartmuß unter Berufung auf die Hufen-auffassung Friedrich Lütges einfach beiseite, ebenfalls, daß Jasmund selbst zuseiner

    28 Annales Xantenses ad a. 841 und 842. Ed. B. v. Simson, Hannover/Leipzig 1909, 5. 11-13(MGH, 55, rer, Germ.), in: Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters,Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe (Ga), Bd. 6, Berlin o. J., 5.344,346.

    29 Annales Fuldenses ad a.842. Ed. F. Kurze, Hannover 1891, S. 33L (MGH, SS, rer, Germ.), in:Ga, Bd. 7, Berlin 1960, S. 30. .

    30 Annales Bertiniani ad a. 841 u. 842, Ed. F. Grat u. a., Annales de Saint-Bertin, Paris 1964, S.38,'42f. in: Ga, Bd. 6, Berlin o. J., S. 54, 58. .

    31 Nithardi historiarum libri IV, lib. IV, c. 2, 4 u, 6. Ed. E. Müller, Hannover/Leipzig 1907,5.41 r, 45, 48 (MGH, SS, rer, Germ), in: Ga, Bd. 5, Berlin o, J., S. 448, 454, 458. '

    32 Bartmuß, Frage, S. 113.33 Vgl. Schulze, S. 60ff.34 Nithards vier Bücher Geschichten. Übers, J. v. Jasmund, Leipzig 1877, S. 56f., Anm. 1.

  • per Stel/illgaan!stand , 827Namenserklärung befindet35: "Diese Bedeutung kann aber das Wort in unsererStelle nicht haben, es muß mehr den freien Eigentümer bezeichnen".Drittens gründet Bartmuß seine Auffassung auf die Annahme, Nithard habe in denFrilingen grundherrlich Abhängige gesehen, "denn die Gemeinfreien waren inGalIien Mitte des 9. Jahrhhunderts schon weitgehend vergrundholdet".36 Im Gegen-satz zu Epperlein, der dem methodischen Vorgehen von Bartmuß scharf wider'_spricht-", sieht Herrmann damit den Beweis' für erbracht, daß die StelIinga derKlasse der Feudalbauern angehörtenss.Zunächst muß gegen die Argumentation von Bartmuß eingewandt werden: Auchunabhängig von der willkürlichen und damit unzulässigen Handhabung der Na-menserklärung Jasmunds muß diese vom Zeitabstand der Belege, vom Befundder altsächsischen Sprachdenkmäler39 sowie von der Aussage der Quellen über dieNamensannahme, also aus philologisch-begriffsgeschichtlichen wie ideologle-geschichtlichen Gründen,'als Beweismittel ausscheiden, da unzutreffend. Auf keinenFall kann der Name StelIingaJStellingi40 mit Hufner bzw. mansionarius übersetztoder gleichgesetzt werden. Die späteren' Übersetzer Nithards, Wilhelm Wattenbach ,und Ernst Müller haben Jasmunds Deutung darum auch gestrich~n und einfachgesagt, "dieser Name ist noch nicht mit Sicherheit erklärt."4!Die Aufständischen, das ist wichtig, wurden nicht von den Angehörigen der Feudal-klasse Stellinga genannt. Sie nahmen den Namen selber an.42 Sie werden gewißkeine Bezeichnung gewählt haben, welche die Ansprüche der domini begrifflichzum Ausdruck brachte und damit als rechtmäßig auswies. Seine Bedenken gegen die'eigene Namenserklärung darlegend, äußert Jasmund dazu einen im Ansatz weiter-führenden Gedanken: "Es muß eine Bezeichnung einer unabhängigen Vereinigungsein, die jenen Aufrührern eigentlich nicht zukam und eine ehrenvolle Bedeutunghaben, wie ein angemaßter Titel, auf den die frilingi und lazzi kein Recht hatten." 43'Somußte es jedenfalls in den Augen der ac\lig-geistIichen Chronisten scheinen. DieseAuffassung wird von Gerward bestätigt, c..:nn er schreibt: '"per rotarn Saxoniampotestas servorum valde excreverat super dominos suos, et nomen sibi usurpaveruntStellingas." 44 Höchst aufschlußreich ist, daß Gerward das usurpierte nomen Stel-lingae mit der potestas servorum in Beziehung setzt. Wesentlich ist wieder die

    35 Bartmuß, Frage, S. 120, Anm. 20, 21; StemjBartmuß, 2. Aufl., S. 270, Anm. 49.36 Bartrnuß, Frage, S. 113f.37 Epperlein, Sachsen, S. 189ff.; clers., Herrschaft, S. SOff.38 Herrmann, S. 772, Anm. 28; Bartmuß selbst ist inzwischen zu einer Korrektur seiner Auf-

    fassungen gelangt, vgl. Anm. 4. '39 Vgl. F. Holthausen, Altsächsisches Wörterbuch, Münster/Köln 1954; A. Bach, Deutsche Namen- ,

    kunde, Hcidelberg 1952-1956.40 Letztere Namensform bieten Annal. Bert. ad a. 841.41 Nithards vier Bücher Geschichten. übers. J. v. Jasmund/W. Wattenbach, 5. Aufl., neubearb.,

    v. E •Müller, Leipzig 1912, S. 61, Anm. 1. '42 Nith. hist. IV, 2 (2 Stellen); IV; 3; AnnaI. Xant. ad a 841.43 v. Jasmund, S. 56f., Anm. 1.44 Annal. Xant. ad a. 841.

  • 828 Eckhard Mi/ler-MerltllsReihenfolge: Dem Hinauswachsen der potestas der Knechte fiber ihre Herren seidie Usurpation des nomen gefolgt. Offenbar' fußt Gerwards Darstellung auf derfür' die ideologische Herrschaftsbegründung und politisch-religiöse Ideologieseiner Zein hochbedeutenden Nomen-potestas-Theorie.O Das verstärkt die Ver-mutung, daß der Name Stellinga auf einen ideologisch begründeten politischenAnspruch hinweist und einen solchen Anspruch enthält, möglicherweise in Ver-bindung mit einem kultischen oder religiösen Aspckt. Dem entspricht auch derHinweis, den der Namensbestandteil -ing/inga gibt. Danach ist es sehr wahrschein-lich, daß Stcllinga von der Idee her eine Abstammungsgemeinschaft meinte.46.Sodann ist gegen Bartmuß festzustellen: Es ist unwahrscheinlich, daß die vier Ge-schichtsschreiber getrachtet hätten, die Stellinga als soziale Bevölkerungsgruppezu begreifen. Sie dürften ihre Begriffswahl kaum auf Grund von Überlcgungenüber deren Verhältnis zu den Produktionsmitteln getroffen haben. Die Klassenwurden erst von den Ideologen der aufsteigcnden Bourgeoisie entdeckt. Historic- .graphen der Feudalklasse, dachten Gerward, Prudentius, Rudolf und Nithard inden Kategorien der herrschenden fcühmittelalterlichen Ständevorstellungen. In denRechtssatzungen der Zeit herrschten die Begriffe der merowingisch-frühkarolin-gisehen Stammesrechte und der karolingischen Rechts- und Gesetzessprache. Dochderen Gliederung der Gesellschaft deckte sich nicht mehr mit der im fluß befind-lichen Gliederung in neue soziale Gruppen und Klassen.' .Ansätze, dem tatsächlichen Zustand der klassengesellschaftlichen Differenzierungrechtssprachlichen Ausdruck zu verleihen, finden sich in den Kapitularien. Dafür '..steht das Begriffspaar potenres/potentioresjdivires und pauperes/pauperiores/minus·potentes.47 In den literarischen Quellen fanden sich schon in der Merowingerzeitder feudalen Klassengesellschaft entsprechende Ständebegriffe. Als priores, proceres,seniores, rneliores, maiores wurden die Angehörigen der herrschenden Seite, die derbeherrschten als minores, inferiores, pauperes erfaßt. Dazu kam die ebenfalls dieKlassengesellschaft widerspiegelnde Einteilung der Menschen in den christlichen .,feudalen- Ständelehren. Die kirchliche Ständelehre stellte die weltliche Ordnung,das heißt die Ordnung der Klassengesellschaft, als Entsprechung der himmlischenOrdnung dar. Die Klassengegensätze erschienen nicht nur als gottgewollt, jederEntwicklung entzogen und ewig, das kirchliche Ordoideal verhüllte sie.48 Charak-teristisch für die kirchliche Ständelehre war die Scheidung der Menschen in domi~iI

    I

    45 Zur Literatur vgl. E. Müller-Mereens, Regnum Teutonicu~.Aufkom~en und Verbreitung des. deutschen Reichs- und Königsbegrilfes im frühen Mittelalter, Berlin 1970, S. 30, ·Anm. 82.... - .. 46 .Vgl. F. Kluge, Nominale Stammbildungslehre der altgermanischen Dialekte, 3.Aufl., Halle

    1926. '. ". 47 Vg!. K.Bosl, Po~ns und Pauper, in:'ders., Früh£ormen der Gesellscha£t im mittelalt~r1ichen

    Europa, München/Wien 1964; ders., Handbuch der deutschen Winschafts- und Sozialgeschichte,Bd. I, Stuttgart 1971, S. 1541I. Die soziale Definition der pauperes, wie sie Bosl vornimmt, teile

    ::, ich nicht; vgl. E. Müller-Mertens, Kart der Große, Ludwig der Fromme und die Freien, Berlin1963, S. 931I. ' .

    48 V gl. Bosl, Handbuch. S. 167f. '

  • DeT Sft/lingaaujnand 829und subditiJservi, in Herrschende sowie die gottgewollte Obrigkeit Ausübende,und in Untergebene und Untertanen, die der Obrigkeit Gehorsam schuldig waren. 'Dabei konnten unter den Begriffen subditi, servi, pauperes auch Freie und Eigen-tümer von Erbgut, auch solche, die Knechte und abhängige Bauern besaßen, erfaßtwerden. Isidor von Sevilla, von dem eine ganze Gattung von Ständelehren ausging,sprach "über die servi wie über die Untertaneri des Königs, unter denen sich Freieund Adelige befinden" .49 Für die feudalherrliche Erfassung der Klassengesellschaftwar insgesamt nicht das Verhältnis zuden Produktionsmitteln der Maßstab, sonderndie ausgeübte Herrengewalt, der Anteil an politischer Macht, die herrschaftlicheVerfügungsgewalt über Land, Menschen und Sachen. Die geschilderten Sachver-halte müssen bei der Interpretation auch der Nachrichten über' den Srellingaauf-stand berücksichtigt werden." ' " ,: ' ", ,Der Laie Nithard faßte die Stellinga mit den Ständebegriffen des sächsischen Starn-mesrechtes. Danach müssen die Aufständischen hauptsächlich aus Angehörigen'der sächsischen Rechtsstände der Frilinge und Lazzen bestanden haben. Servi undIiberti im stammesrechtlich-rechtssprachlichen Sinne können die Stellinga nichtausschließlich gewesen sein. Sozial schichteten sich die sächsischen servi vor allemin landlose Knechte und leibeigene Kleinbauern, es gab aber auch bäuerliche Leib-',eigene mit Knechten. Liberti treten in den sächsischen Rechtsquellen und 'anderenNachrichten über Sachsen überhaupt nicht auf. Auch abgesehen davon können die,Freigelassenen in Sachsen auf keinen Fall so bedeutend gewesen sein, daß sie alleinedie Träger eines Aufstandes, wie dem der Stellinga hätten sein können.5o Das trifftgenauso auf die Leibeigenen zu., In einer späteren Aufzählung der sächsischen', Stände ersetzte Rudolf den Begriff des sächsischen, Stammesrechtes lid durch denin Sachsen fremden Begriff liberti.51 Kann man daraus schließen, daß er die säch-sischen Aufständischen als Liten begriff? Doch ist auch ein allein von Liten getra- .gener Stellingaaufstand angesichts der nachgewiesener Weise vorhandenen liberinichtdenkbar. " " 'Da die Stellinga nicht ausschließlich servi oder liberti im Si~ne der stammesrecht- ,lichen Ordnung und herrschenden Rechtssprache gewesen' sein können, müssen'Gerward und Rudolf diese Begriffe einer anderen frühmittelalterlichen Ständevor,-:stellung der frühfeudalen Gesellschaft entnommen haben, und zwar einer, welchemit dem Wort servi bzw. liberti einen Personenkreis ansprach, der auch die säch-sischen Stammesrechtsstände der Freien mid Liten umschloß. Es sei denn, Gerward .und Rudolf hätten von servi bzw. liberti geschrieben, um die Stellinga herabzu-

    , setzen und ihnen Jedes Recht auf Widerstand und Erhebung abzusprechen. ,, , j ''', ... L •

    49 Bosl, Potens, S. 134., 50 Zur Freilasssang Epperlein, Herrschaft, S. 105ff. ,51 Translatio Alexandri. Ed. B. Keusch, in: Nachr. Gött. 1933, S, 423f. Bartmuß, Frage, S.114, '

    erwägt, ob Rudolf den Begriff liberti der Germania des Tacitus entlehnte. In c. 25 schreibt dieser,..Die germanischen servi waren abgabenpflicbtige Hofbesitzer, ähnlich den römischen Colorii.\Die liberti standen dem Range nach nicht höher. Sie galten niemals etwas in der civitas. Nur bei'Stämmen, wo Könige herrschten, stiegen sie über die ingenui wie über die nobiles empor."

  • 830 Eckharti Miilfer-Mer/eT11

    Wir wissen, daß die frühfeudale Kirche bei der Verfolgung ihrer Feudalinteressenmit stammesrechtlichen Traditionen zusammenstieß und dagegen das göttlicheRecht und die kirchliche Ständelehre ins Feld führte. Rudolf, Mönch in Fulda,war der Streit seines Abtes Rabanus Maurus mit dem Sachsen Gottschalk wohl be-kannt. Als Kind dem Kloster Fulda übergeben, forderte Gottschalk, erwachsen ge-worden, seine Freiheit und sein Erbgut zurück. Gottschalk berief sich auf das säch-si~che Stammesrecht, es ließe nicht zu, daß seine lex libertas von Stammesfremden

    , verletzt werde. Raban hielt ihm das göttliches Recht und den kirchlichen Freiheits-begriff entgegen - frei seien nur jene, die alle Sünden und Laster meiden und nurGott 'allein dienen. Es dürfe, forderte Raban, "keine Rechtsunterschiede der Stämmeund Völker geben, da die eine katholische Kirche sich über den ganzen Erdkreiserstrecke und alle Menschen Geschöpfe Gottes seien." 52 Ob die an diesem Beispielbehandelte ideologische Auseinandersetzung zuständig war für Rudolfs Begriffs-wahl, bedarf weiterer Untersuchung, so daß die Frage hier unbeantwortet bleiben

    'muß. ., Anders im Falle Gerwards; auf Grund seiner Terminologie darf vermutet werden,daß er, der Hofgeistliche und Mönch, nicht wie der Laie Nithard auf die weltlichenStändebegriffe, sondern auf die Ordnungen der kirchlichen Ständelehre orientiert.war. In deren Sinne waren seine servi dann Untergebene der Obrigkeit, ganz gleichob Frilinge, Lazzen oder Knechte, Feudalabhängige oder Allodbauern. Ober denTatbestand hinaus, daß sie erstens keine Herren waren bzw. die Mehrzahl der Sachsenausmachten und zweitens'ihre Macht über die ihrer Herren hinauswuchs bzw. sicihre rechtmäßigen Herren zu unterdrücken suchten bzw. sie vom Christentum ab-fielen und Ludwig dem Deutschen widerstanden, geben Gerward Rudolf und Pru-dentius keine näheren Auskünfte über diesoziale Zugehörigkeit der Stellinga. Denweiteren Zugang dazu, und zwar über die sächsische Stammesgliederung, gewährt

    . allein Nithard. Dieser stellt fest: Die StelIinga waren FrilingeJingenuiles und LazzenJserviles. Über deren Status geben die beiden sächsischen Kapitularien Karls desGroßen, das sächsische Stammesrecht und die Vita Lebuini antiqua insbesondereAuskunft. Im übrigen gibt es keinen anderen Zugang zur altsächsischen Sozial-

    , struktur als den über die Rechtsquellen und ihre Ständebegriffe. Am vollständig-sten werden sie von den genannten Quellen geboten. ,Die Capitulatio de partibus Saxoniae (7821785)53 führt nobiles, ingenui, liti an, dasCapitulare Saxonicum (797)54 nobiliores, ingenui, liti, die Lex Saxonum (802J03)55und die Vita Lebuini antiqua (um 800)56 nobiles, liberi, liti. Dazu kamen die servi,welche keinen eigenen Rechtsstand hatten. Mit den nobilesJnobiliores und ingenuiJ

    52 Epperlein, Herrschaft, S. 187ff.53 Germanenrechte, Bd. 2, 3. Hrsg. K. A. Eckhardt, Weimar 1934, S. 2-10. Zur Datierung

    M. Lintzel, Die Capitulatio de partibus Saxoniae, in: ders., Ausgewählte Schriften, Bd, 1.54 Germanenrechte. S, 10-16.

    , 55 Ebenda, S. 16-32 Zur Datierung und Entstehung M. Lintzel, Die Entstehung der Lex Saxonum,in: ders., Ausgewählte Schriften, Bd. 1; Wattenbach/Levison, Beih., Weimar 1953, S. 39ff.

    56 Vita Leb., c. 4.' ,

  • Der Slellingaall!Jlalu/, 831

    liberi erscheinen zwei freie Stände in Sachsen. Sie treten auch in allen anderenSi:ammesrechten auf, die Karl der Groß~ verfassen ließ; der Lex Frisionum 57: nobiles,Jibed (und liti), Ewa Chamavorumsä. Franci ingenui (und Iiti), Lex Thuringorum59:adhalingi, liberi (und servi Iibertate donati). Die Stammesrechte der Merowinger-,und frühen Karolingerzeit kennen dagegen nur einen freienRechtsstand, die ingenuilIiberi. 'Die Leges aus der Zeit Karls des Großen spiegeln den inzwischen eingetretenen Ent-wicklungsstand, die starke Differenzierung der, Freien, ihren Auseinanderfall inunterschiedliche soziale Gruppen. Die sozialökonomische Abschichtung einer rei-cheren und mächtigeren Gruppe von Freien, die der nobiles, wurde in den Gebietensächsischen, friesischen und thüringischen Rechts auch rechtsständisch-stammes-rechtlich gefaßt und verankert. Friesland und Sachsenwaren dem fränkischen Feudal-staat neu unterworfen, wobei sich Karl der Große auf die nobiles gestützt hatte,Dagegen war diesem im fränkischen Stammland nicht an einer rechtsständischenVerankerung der durch Reichtum und Macht herausgehobenen Freien gelegen;Im Gegenteil, die frühen Karolinger verfochten eine gleiche Unterordnung allerfränkischen Freien unter den König. über die Entwicklung der fränkischen liberibis zu dieser Zeit unterrichten die Kapitularen, welche Kar! der Große und Ludwigder Fromme erließen, um die kleinen und mindermächtigen Freien vor der adlig-kirchlichen Bedrückung und Feudalisierungspolitik in Schutz zu nehmen.Die fränkischen Freien stellten damals keine einheitliche soziale Schicht mehr dar,im Gegenteil, sie gehörten verschiedenen sozialen Gruppen und Klassen an. Unter" 'denen, die in den Kapitularien erscheinen, lassen sich in der Regel keine Adels-herren und Reichsaristokraten sowie keine hohen Königsbeamten finden. Wahr-scheinlich standen auch die maiores natu, nobiles, nobiliores terrae, wie sie uns alsherrenmäßig lebende Tradenten in den Schenkungsbüchern begegnen, nicht imVordergrund, wenn die Kapitularien die Freien ansprachen. Alle jene, die ja auchFreie waren, aber nicht sie ausschließlich, dürften in etwa den nobiles der thürin-gisch-sächsisch-friesischen Rechte entsprochen haben. Die tatsächlich angesprochenenfränkischen liberi waren unmittelbar materielle Güter produzierende Allodisten,freie Bauern auf Eigentum als Urtyp, dazu bäuerliche Militärkolonisten und Feudal-bauern, Dienstleute, Vasallen, Benefiziare und herrenmäßig-großbäuerlich oderherrenmäßig-grundherrlich lebende Allodisten und Militärsiedler.60 .Die sächsischen liberi sind mit den fränkischen nicht einfach vergleichbar. Es wal-'teten wesentliche' Besonderheiten, auch war die .Entwicklung in Sachsen wenigerweit vorangeschritten. Doch dürften sie im Kern ebenfalls als freie Allodbauernangesprochen werden und ist ebenfalls an eine Differenzierung zu denken. Infolge,der nobiles-Abschichtung _war die Zahl der herrenmäßig lebe~den liberi in Sachsen

    57 Germanenrechte, S.62-126.58 Ebenda, S. 50-58.59 Ebenda, S. 36-46.60 Müller-Mertens, Karl, S. 60-92.

  • 832, EckkrrJ Mil/er-Mtrlms

    vermutlich viel kleiner und spielten hier auch die Vasallen und Benefiziare keine. vergleichbare Rolle. Ganz offen ist der Anteil von Militärkolonisten. Andererseits~ürfte ,dieZahl der Allodbauern unter den sächsischen liberi ganz wesentlich größer

    ,f gewesen, sein. Feudalbauern lassen sich zunächst nicht unter ihnen nachweisen ..Solche waren die liberi unter der tutela eines nobilis nicht, denn jene hatten Eigengut.das sie unter Berücksichtigung des Vorkaufsrechtes zunächst der Verwandten. danndes Schutzherrn verkaufen konnten.61über dasWesen der sächsischen Liten wie'der Liten überhaupt besteht bis heutekeine Klarheit62• so daß mit Vermutungen gearbeitet werden muß. Nach den an-geführten Quellen steht fest: Der sächsische Lite war von einem Herren persönlichabhängig. Doch gehörte er einer Blutsverwandtengruppe an und besaß einen eigenenRechtsstand, ausgedrückt durch ein eigenes Wergeld, eigenes Strafgeld bei Körper-verletzung und Verstümmelung, Verantwortlichkeit für nicht im Auftrage des ":Herrn begangene Vergeh~n. Er zahlte auch da Bannbußen und Friedensgelder,wo der fränkische Lite die Prügelstrafe empfing. Die sächsischen Liten nahmen anden. Gerichtsversammlungen teil. sie trugen Waffen und waren in gleicher Zahl:wie die nobiles und liberi auf der Volksversammlung vertreten. Karl der Große for-,derte auch von ihn~n Geiseln63 und die Beteiligung an der Ausstattung der Kirchen,und zwar in gleicher Weise wie von den nobiles und ingenui64~ .•Die Lex Frisiorurn mit heranziehend, erkennt Neussychin in den Herren der säch-, .sisch-friesischen Liten neben den nobiles auch liberi und Liten. Er sieht die sächsisch-friesischen Liten geschichtet in Liten, die keine servi hatten. solche. die servi be-'saßen, undLiten, in deren Abhängigkeit auch liberi als Liten traten. also Liten,in deren Abhängigkeit wiederum andere Liten standen.65Für den friesischen Liten ist ferner bezeugt. daß er Vermögen erwerben, sich vonseinem Herren loskaufen und so die Freiheit gewinnen konnte.66 Neussychin begreift,, die .Liten sozialökonomisch als "seit Alters her halbfreie Stammesmirglieder" ,die.);,sichvon jeher in ökonomischer .und persönlicher Abhängigkeit sowohl von freien'FriIingen als auch vom Sippenadel, .den Edelingen", befanden.67 Er' sieht in ihnen

    , i~ der Hauptsache abhängige Hintersassen "im vorfeudalen Sinn". Von den späterenHintersassen im feudalen Sinnesieht Neussychin die Liten geschieden. einmal durchdas Ausbeutungssystem: "das Servitium der damaligen Liten war kaum mitder"Fron und anderen Verpflichtungen des feudalen Hintersassen identisch. Eher muß•man es mit den bescheidenenAbgaben der angesiedelten servi zur Zeit des Tacitus:vergleichen." Alszweites Unterscheidungsmerkmal führt Neussychin an,' daß dieI Liten "in einer Gesellschaft lebten. in der alle Freien ,arbeitende. produzierende'I " • '

    61 Lex Saxen, c. 64, vgl. c. 62. . '62 Neussychin, S. 317. .63 Annales Laureshamenses ad a. 780. in: MGH, SS, I,S. 31-64 Capitulatio c. 15. .65 Neussychin, S.319ff.66 Lex Frision. XI, 2. .67 Neussvchin, S.332~

  • Dir Sfillingoall!sfantl '833 '

    Subjekte' waren und wo deshalb die Arbeit des abhängigen Hinters~ssen keine solche'Rolle wie in 'der Feudalgesellschaft spielen konnte." 68' '-, ~ ',,:, ' " 'Durch beide Punkte, ganz abgesehen davon, ob Neussychin ?ie Umstände richtigerfaßt, läßt sich nicht begründen, daß ..die Abhängigkeit der Liten noch keine feudale"war. Dieser Ansicht selbst stimme ich jedoch zu, was das ursprüngliche sozialöko-nornische Verhältnis der Liten und die Stellung der Masse 'der Liten bis weit in die,Zeit' der fränkischen Eroberung angeht. Der Unterschied,' wobei jedoch fließendeÜbergänge zu sehen sind und in diesem Zusammenhang \der jeweilige Stand desFeudaIisierungsprozesses wesentlich wird, liegt in der anderen ..Art und Weise derAusbeutung oder Abhängigkeit der Liten" gegenüber den feudalabhängigen 'Bauern. , " ' , ,', " 'Liten waren vor allem in den Gebieten zu finden, in denen sich die einen Germanen-

    " "\srämme erobernd über die anderen schoben, ohne die Unterworfenen zu vertreiben

    , oder zu verknechten. Bei den Sachsen ist dieser Vorgang bis zum Ende des 7. Jh~ zubeobachten. Mit der damaligen Unterwerfung der Borukruarier zwischen Lippe undRuhr stießen sie in den fränkischenGrenzraum vor ... Der unmittelbare Anlaß fürden Vorstoß geg~n die Boruktuarier, war, wie ,Beda behauptet, die Tatsache, daß .:ihnen das Christentum gepredigt wurde,' dessen Ausbreitung die Sa~hsen an ihrenGrenzen nicht dulden wollten."69 Obdie Entstehung der Liten auf derartige Unter-,' 'werfungsvorgänge zurückgeht, ist in der, Forschung .umstritten.'70 Wesentlich ist,

    , daß die Abhängigkeit der Bauern, die, dem Rechtsstand der Liten angehör'ten, u'r'-sprünglich nicht darauf gegründet sein dürfte, daß sie ihr Allod verloren undsie ".darauf feudales Grundeigentum zu Besitz und als Grundlage ihrer Ausbeutungund Abhängigkeit erhielten. Vielmehr ist ursprünglich an ein' unmittelbares. nicht'durch feudales Grundeigeiltum bedingtes Herrschafts- und Knechcschafrs- bzw.:Abhängigkeitsverhältnis zu denken, un~ zwar in d~,r Gestalt; daß der Bauer" dasarbeitende, produzierende Subjekt. in unmittelbare .persönliche Abhängigkeit voneinem Herren gebracht wurde. Auf Grund der persönlichen Abhängigkeit in, Form,der Halbfreiheit wurde der Lite von seinem Herrn ausgebeutet: 71 , :Dieses Ausbeutungsverhältnis entsprach einem, Entwicklungsstand, irl welchem.das Allod noch nicht zu frei veräußerlichem Grundeigentum geworden war, sich ,

    , demzufolge die Landleihe, die Mobilisierung des Bodens noch nicht in entscheiden"; •, dem Maße herausgebildet hatte. Die Umwandlung des Allods in frei veräußerliches"Eigentum und die entsprechende Mobilisierung des Bodens waren .aber Grund- "

    • , ; \ f -.

    '": ~ • ").'-., f'68 Ebenda, S. 325f. "69 M. Lintzel, Bruchstück einer Geschichte des sächsischen Stammes, in: ders., Ausgewählte, Schriften, Bd. 1, S. 464. • " ' \ "." .'. 70 Neussychin S. 326££. Zuletzt hat sich Wenskus, S. 531££., zu den sächsischen Litcn geäußert.",

    Besondere Beachtung verdient sein Hinweis: ..Wichtig ist jedoch für unsere Fragestellung, daß .in Britannien der von Widukind behauptete Ursprung des Latenstandes als der einer unter- :worfenenBevölkerung der Wirklichkcitzu entsprechen scheint,". , '.

    71 VgI. E. Müllet-Mertens, Zur Feudalentwicklung und zur Definition des Peudalverhältnisscs, in:'ZfG, 1966, H. I, S. 63££.. ' '

  • 834 EckharrI Muller-Merlenr

    bedingung oder richtiger, Bestandteil des Feudalisierungsprozesses. Die Heraus-bildung eines feudalen Charakters der sächsischen Liten kann darum nicht losgelöstvon der Grundeigentumsentwicklung und von der Feudalisierung der freien säch-sischen Allodbauern gesehen werden. Doch dieser Prozeß gelangte erst infolge derfränkischen Eroberung, der endgültigen feudalen Staats- und Kirchenorganisationin Sachsen zur vollen Entfaltung. 'Noch zu Beginn des 9. Jh. war das Allod in Sachsen nicht in frei veräußerlichesEigentum umgewandelt worden. Das macht die Lex Saxonurn einsichtig, und siedeutet darauf hin; daß diese Umwandlung erst begann. Der Inhaber von Alloddurfte gegenüber seinen Verwandten und Erben nicht frei über seinen Grund undBoden verfügen. Er war in der Verfügung erbrechtlich beschränkt und durfte seinErbgut außer an die Kirche und den König, darin lag eine ganz wesentliche Neu-bestimmung ts, nur im Notfall verkaufen. Befand sich ein Freier unter der tutelaeines nobilis, so hatte die Verwandtschaft auch im Notfall ein Vorkaufsrecht.73 AufGrund der aus der Zeit bis 841 überlieferten Quellen komme ich damit zu der An-sicht, daß die sächsischen ingenuiJliberi vor der Zerschlagung der stammesgesell-schaftlichen Organisationen und der Eingliederung Sachsens in den fränkischenFeudalstaat im Kern freie Allodbauern und die Liten im Kern halbfreie, von einem

    . Herrn persönlich abhängige und ausgebeutete, aber noch nicht feudalabhängigeBauern waren. Zusammen dürften sie den Hauptteil der sächsischen Bevölkerungausgemacht haben. ,Seit der Mitte der achtziger Jahre des 8. Jh. 'entfaltete sich auch in Sachsen der Feu-dalisierungsprozeß voll. Wie weit er bis 841 vorangeschritten war, läßt sich nicht'ermitteln, da die Quellenzeugnisse fehlen. Meist auf Grund von zeitgenössischen .Indizien und Rückschlüssen aus späteren Vergabungen dürfte aber gesichert sein,daß in erheblichem Ausmaß neues Feudalgut des Königs, der Kirchen und derGrafensippen gebildet wurde. Anscheinend vollzog sich die Bildung von feudal-strukturiertem Königs- und Kirchengut jedoch recht langsam und schwierig.' Ausden seit 785 gestalteten, Missionssprengeln entwickelte sich erst zu Beginn des 9. Jh.eine Reihe von Bistümern. Noch fehlten Halberstadt und Hildesheim, die dann.unter Ludwig dem Frommen hinzukamen}' Klöster bestanden 841 nur etwa zwölf,. die meisten davon nach 814 gegründet.ra Auch die Durchsetzung des Villikations-systems erst im 10. Jh. ze?gt von der vergleichsweise geringen Dichte des Feudal-

    , eigentums.76 Unser ganzes bisheriges, an den Quellen und durch die vergleichendeBetrachtung gebildetes Wissen spricht dagegen, daß das noch zu Beginn des 9. Jh.in, der Ausbildung zu frei veräußerlichem Eigentum befindliche Allod zur Zeit des

    72 Mül1er-Mertens, Karl, S. 69ft73 Lex Saxen, c. 41,44,46,62 und 64.

    I ,74 H. Büttner, Mission und Kirchenorganisation des Frankcnrcicbes, in: Kar! der Große, Bd. 1,Düsseldorf 1965, S. 467-475. '

    , 75 A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands, Bd. 2, 6. Aufl., Berlin 1952, S. 817-830.76 R. Kötzschke, Studien zur Verwaltungsgeschichte der Großgrundherrschaft Werden an der

    Ruhr, Leipzig 1911. '

  • Der Stel/ingaaujlfand 835

    Stellingaaufstandcs insgesamt in Feudaleigentum umgewandelt war. Gemessen ander Feudalisierung der fränkischen Allodbauern. die in Schlaglichtern' der über-lieferung stehen und bei langandauerndem Bestehen des fränkischen Feudalstaatesnoch in den ersten Jahrzehnten des 9. Jh. eine gesellschaftlich erhebliche sozialeGruppe darstellten, ist es sicher, daß die sächsischen ingenui/liberi im Sozialstatus ,vonAllodbauern um 841 noch eine gesellschaftlich sehr bedeutende Kraft dar-stellten. So dürfte gegenüber der Behauptung von Bartmuß und Herrmann die Auf-fassung Neussychins zutreffen, daß der Feudalisierungsprozeß in .Sachsen nichtabgeschlossen war.77 Dazu sollen sich die Stellinga nun selbst äußern, befragt auf >:ihre Ziele. . , . , .\

    *Dies~s Problem zu lösen. kehren wir zunächst zu der Frage nach dem Zusamme~-hang zwischen dem sächsischen WiderstanCl 782 bis 804 und dem Stellingaaufstandzurück. Gehen wir dort von dem Punkt aus, an dem sich die strittigen Meinungenbegegnen. Das ist der Fall; wo Herrmann die Ziele des bäuerlichen Kampfes 772bis 804 beschreibt: Die bäuerliche Bevölkerung verteidigte die srammesgesellschaft-lichen Organisationen als patriarchalische Begrenzung der .Adelsmacht und wehrte.sich gegen die Durchsetzung des feudalen Grundeigentums .. Die stammesgesell-.schaftliehen Organisationen wurden durch blutige Unterdrückung der aufständischenBauern beseitigt.78 .' .Daß die alte Verfassung in Sachsen vergessen war, also die Stellinga 841 dieWaffengegen ihre Herren erhoben, ist wohl ausgeschlossen. Zwischenden Sachsenkriegen .und dem Stellingaaufstand lag das Alter von kaum zwei Generationen oder vonetwas mehrals einer, je nachdem 785 oder 804 als Stichjahr genommen wird. DieVäter der 841 Dreißigjährigen hatten die letzte Kampfesphase noch erlebt und zum.Teil mitgekämpft. Von den Großvätern hatten bestimmt viele an den Kämpfenund Aufständen teilgenommen. Waren sie doch etwa zwischen 751 und 771 geboren;So lebten 841 auch noch Zeugen der Sachsenkriege, die nicht nur von der altsäch-sischen Verfassung wußten. sondern an ihr teilgenommen und sie verteidigt hatten.Daß der in jener Zeit so mächtige fränkische Feudalstaat 840 in eine offene Krisetrat, blieb in Sachsen' nicht verborgen. Der sächsische Adel spaltete sich in den

    . Fraktionskämpfen und Bruderkriegen in eine Ludwig den Deutschen und eine .

    . KaiserLothar unterstützende Partei. Lothar suchte j.nach dem Sieg seiner Brüder"bei Fontanetum, so berichtet Nithard, ..von der Nat getrieben, wo und wie er konnteHilfe. Darum verteilte er das Staatsgut zum Privatgebrauch. schenkte derreinen dieFreiheit und versprach sie anderen nach dem Sieg." Um, in Sachsen Oberhand zugewinnen, suchte sich der bedrängte Kaiser dort den Gegensatz der bäuerlichen Be-völkerung gegen die Adelsherren und die adlig-kirchliche Unterdrückung zunutzezu machen .•• 50 schickte er auch nach Sachsen und ließden Frilingen und Lazzen,

    77 Neussychin, S. 336.78 Herrmann. S. 768.

  • , "

    836 Ecldard Miller-MerleR!" .

    deren Zahl sehr groß ist, versprechen, ihnen, wenn sie ihm folgten, ihr Recht, wie, sie es zur Zeit, als sie noch Götzendiener waren, hatten, wiederzugeben. Hiernach'über die Maßen begierig legt sie sich einen neuen Namen, Stellinga, bei, verjagten,

    '; zu einem starken Haufen vereinigt, ihre Herren beinahe aus dem Lande und lebtenin alter Weise, jeder nach dem ihm beliebenden Gesetz."7~' IUnabhängig von Nithard berichtet Prudentius das gleiche: "Auf seiner Flucht kam

    "Lothar nachAachen und suchte von hier aus, um den Kampf wieder aufnehmen,.zu können, die Sachsen und die übrigen angrenzenden Völker für sich zu gewinnen,, wobei er so weit ging, daß er bei den Sachsen, 'den sogenannten Stellinga, die dieMehrzahl in diesem Volke bilden, freistellte, sich unter allen Gesetzen und den Ein-richtungen der alten Sachsen auszuwählen, was sie haben wollten. Und diese, immerzum Bösen geneigt, entschieden sich dafür, heidnisches Wesenanzunehmen."BO

    , Die Beziehung zwischen Kaiser Lothar und den Stellinga wird von Bartmuß be-, stritten; Nithard und Prudentius hätten' ein bloßes Gerücht wiedergegeben.81 Die ',Beweisführung von Bartmuß ist unschlüssig, was Epperlein nachwies.82 Dazukommen neue Einsichten. Mit den tatsächlich bestehenden engen VerbindungenLothars zu Sachsen und sehr bedeutenden -Iothringisch-sächsischen Beziehungenwird Barbara Pärzold demnächst durch ihre Dissertation bekanntmachen. Dann :wurde das Verhältnis Kilrls des Großen und Ludwigs des Frommen zu den Freien

    '. erhellt.~Angesichts desdrohenden Zerfalls der Reichsordnung und der nachlassenden'Expansi~nskraft hatten die Karolinger nach 800 eine Politik zum Schutze der Freienaufgenommen. Sie wollten deren Leistungskraft für. die Zenttalgewalt erhaltenwissen. Darum versuchten sie, die Freien vor der Bedrückung, Beraubung ihresEigentums und Verknechtung durch die Grafen und anderen staatlichen Amtsträger ,, sowie die Kirche zu schützen.~ Außerdem gibt es Anhaltspunkte, daß Pippin und"Kar! der Große im Kampf um Aquitanien und Italien in 'den von den widerspen-stigen Adlig~n Bedrängten und Geschädigten einen Rückhalt bzw. ein Druckmittel

    \ ,zu gewi~nen 'rrachteten.84 Im Kampf mit dem Emir von Cordoba suchte Ludwigi'der FrommeVerbindung mit den Bewohnern von Merida in Spanien. Diese hatten,siCh wegen der Belastung mit dem Zehnt von Feldfrüchten, Vieh und Handwerks- ,'erzeugnissen gegen die Araberhe,rrschaft erhoben. Ludwig der Fromme forderte sie .auf, im Kampf um ihre Freiheit zuverharren. Er werde sie unterstützen. Falls sieaber unter seine Herrschaft treten wollten, sei ihnen die alte Freiheit, Abgabenfreiheit

    /sowie das Recht, nach dem sie leben wollten, gewährleistet.85 Lothar selbst prakti-"zierte die karolingische Freienpolitik be~seinen Staatsreformmaßnahmen in Italien.Bö

    79 Nith,: hist. IV, 2.: 80 'Anna!. Bert. ad a. 841.-: 81 Bartrnuß, Frage, S.116." 82 Epperlein, Herrschaft, S.64ff., 83 Müller-Mertens, Kad, S. 93-110.84 Ebenda, S. 112ff.85 Einhardi epistolae, nr. 12, in: MGH, EE; V, S. 115f.86 Müller-Mertens, Kad, S. 115ff.

  • 837

    Nichts spricht dagegen. daß die Aussagevon Nithard und Prudentius richtig istund der Kaiser in seiner Bedrängnis 841 die Stellinga für seine Zwecke auszunutzen'suchte. ähnlich wie 1073 der sächsische Adel die Bauern im Sachsenaufstand.e?Nithard und Prud~ntius müssen auch in' ihrer Aussage ernst genommen werden:die Stcllinga hätten die alten Rechte und Einrichtungen ausder Götzendienerzeitzurückerlangen' wollen. Damit machen sie das .Ziel des Stellingaaufstandes ein-sichtig. Die Einsicht ist quellenkritisch abgesichert, da sie sich auf zwei voneinander\ ,unabhängige Zeugen gründet. Wir sind also hinsichtlich der Ziele nicht auf Ver-, 'mutungen und bloße Annahmen angewiesen. Die Forderung nach dem alten Recht,kann nicht als Wendung ohne konkreten politischen Bezug abgetan werden.: 'Die Verpflichtung des Herrschcrs auf die herkömmlichen Rechte und Freiheiren.>die Inanspruchnahme des Widerstandsrechtes bei ihrer Verletzung und der Kampfgegen das Königtum im Zeichen des adligen Gewohnheitsrechtes durchzieht diemittelalterlichen Quellen. Vielfach handelte es sich dabeium leere Formeln. Doch."wo die Frage der ererbten Verfassung und des alten Rechtes bei politischen Ent-scheidungen und in politischen' Konfliktsituationen .gestellt wurde." enthielt, sie'einen realen. die Gestaltung des Kräfteverhältnisses innerhalb der herrschendenKlasse betreffenden Inhalt.88 Das trifft insbesondere auch für Sachsen zu. z. B. imKampf der sächsischen Fürsten gegen die neue Königspolitik Heinrichs IV.89 Fürden nordgermanischen Bereich läßt sich dieser Sachverhalt auch für das vor- bzw.frühklassengeseUschaftliche, Verhältnis zwischen König und Bauern' nachweisen.wTatsächlich hatte die fränkische Eroberung die Machtverhältnisse in Sachsen grund- ,sätzlich verändert~ Die nach der Bekehrung "zum wahren Glauben an Gott undChristus" herrschenden Verfassungszustände hoben sich für alleKlassen und Schichten'Sachsens in den politischen und ideologischen wie sozialökonomischen. Grund-.interessen spürbar von den alten aus der Zeit des ;,nichtigen Götzendienstes" ab.'.Gegen weIche neuenGesetze und Einrichtungerr'die Stellinga sich wendeeen.iwennsie .die lex der Götzendienerzeit, die lex'et consuetudo antiquo rum Saxonum undden mos antiquus zurückerstrebten wird deutlich, Wenn betrachtet wird, was "diesächsischen Kapitularien und die Lex Saxonum Karls 'des Großen gegenüber demvon Beda und der Vita Lebuini antiqua 91 überlieferten Verfassungszustand äo-'derten. . ,, -"" . ' .'Die politische Einheit der Sachsen wurde allein durch das in der Vita Lebuini be:, schriebene generale consilium zu Marklo hergestellt. Es 'gab weder ein Königtumnoch ein ständiges Heerführerrum. Die Heerführer wurden in Kriegszeiten von den .Gauvorstehem, den Satrapen. gestellt. wobei das Los entschied, wer für die Dauer; - - . ,.' .,' .

    87 Epperlein. Herrschaft, S. 64f. , , ' '" '88 F. Kern. Gottesgnadentum und Widerstandsrccht im frühen Mittelalter. 2. Aufl.; Münster/Köln

    1954. ',.' ,, 89 Müller-Mettens, Regnum, S. 24211.90 Kern. S. 145£. ' ! . 1'91 Bedae historia ecclesiastica gentis Anglorum, lib: V. 10, in: Venerabilis Baedae opera historica,

    Bd. 1. Ed. C. Plummer, Oxford 1896'; Vita Leb., c. 3-6. ., c" ' , .

  • ,838 ' Ecklard ,M/iller-Merlens

    des Krieges dux wurde. Das generale consiliurn, die Stammes- bzw. Volksversamm-lung war militär-demokratisch bestimmt und hatte wahrscheinlich auch einen kul-tischen Charakter. Neben den Satrapen und Vertretern der nobiles nahmen an ihrVertretet der liberi und Liten teil.!J2Diese überwogen nicht nur der Zahl nach. Nach, der Vita Lebuini vermochten die nobilissimi auf der Volksversammlung ihr Eigen-interesse nicht durchzusetzen.Die Volksversammlung wurde durch die fränkische Eroberung zerschlagen und. wie, alle anderen Versammlungen der Sachsen verboten und unterdrückt. An ihreStelle traten der fränkische König als Zentralgewalt des Feudalstaates sowie andere'zentrale politische Organisationsformen der herrschenden Klasse. Auf lokalerEbene wurde die Gauverfassung durch die Grafschaftsverfassung abgelöst. An derSpitze der Gaue, der Siedlungsgefilde, hatten Satrapen gestanden. Sie waren rnäch-,tige Adelsherren, nach Beda stark genug, die widersetzlichen Bewohner eines Dorfeszu töten und das Dorf zu verbrennen. Doch waren sie noch nicht zur Erblichkeitihres Amtes gelangt bzw. wurden sie in dieses durch eine nicht bekannte Instanzder stammesgesellschafclich-miIitärdemokratischen Organisation eingesetzt. Die "Macht der Satrapen war militär-demokratisch auch eingeschränkt durch die Gau- 'und Gerichtsversammlung. Diese wurde verboten, die Gaueinteilung durch dieGrafschaftseinteilung ersetzt. Die Grafschaften waren feudalstaaclicher Natur. Säch-sische nobilissimi wurden als Grafen eingesetzt, die Grafschaftsbereiche dem Besitzder sächsischen Grafensippen angelehnt.93 Zerschlagen wurden anscheinend auchdie größeren, über den Gauen stehenden politischen Einheiten gemäß der Glie-derung der Sachsen in Westfalen, Ostfalen und 'Engem. Das Capitulare Saxonicumspricht nur noch von westfälischen, engerischen und ostfällsehen Gauen. Vorheristverschiedentlich die Rede von eigenen Heeresaufgeboten. selbständigen Kriegs-handlungen und besonderen Vertragsschlüssen der Ostfalen, Engem und West-falc~n.94 .Die im Auftrage Kads des Großen 802/803 verfaßte Lex Saxonum stellte sich inGegensatz zu den anderen Stammesrechten, indem sie im wesentlichen Interessendes Adels wahrnahm. Dieser wurde durch ein höheres Wergeld sowie einen höherenFrauenkaufpreis herausgestellt und durch höhere Geldstrafen bei Körperverletzung,Verstümmelung, Frauenraub und Entführung geschützt. Auch galt der Eid desnobilis mehr.95 "In der ganzen Lex istdie Norm das Recht des Adels, und das Recht

    92 Zum kultischenCharakter der Karklo-Versammlung vgl. K. Hauck, Die Herkunft der Liudger-,Lebuin- und Karklo-Überlieferung, in: Festschrift J. Trier zum 70. Geburtstag, KölnJGra:z1964; ders., Ein Utrechter Missionar auf der altsächsischen Stammesversammlung, in: Das ersteJahrtausend. Hrsg. V. H. Elbern. Bd. 2 Düsseldorf 1964. Zur Stellung der Satrapen vgl.M. Lintzel, Gau, Provinz- und Stammesverband in der altsächsischen Verfassung, in: ders., Aus-gewählte Schriften, Bd. I, S. 266; neuere Literatur bei Wenskus, S. 535if .• mit neuen Thesen.

    93 S'. Krüger, Studien zur sächsischen Grafschaftsverfassung im 9. Jh .• Göttingen 1950.94 Belege bei Lintzel, Gau. S. 269if. ' .

    , 95 Neussychin, S. 308. Die Nachricht vom Eheverbot :zwischen den Ständen bei Androhung der.Todesstrafe stammt aus dem 863-865 von Rudolf von Fulda geschriebenen Teil der Transl,Alex.,c.l. . '

  • Der SldlingaartjJland 839

    der anderen Stände wird nur soweit behandelt, als es auch den Adel angeht."96Lintzel sieht in der ganzen Lex Saxonum darum ein Ade1sstatut.97 Mit der älterenForschung bringt er diesen Tatbestand mit der überragenden Stellung des Adelsin der sächsischen Stammesgesellschaft in Verbindung. Es fehlte ein Königtum,welches den Stammesade1 sich unterordnete und wie etwa im Frankenreich ein-:ebnete. Richard Sehröder fragt dagegen, ob Karl der Große der Lex diesen Charaktergegeben hat, um den sächsischen Adel zu belohnen.vs Vermutlich spielten beideFaktoren eine Rolle. Zu beachten ist dabei: Es ist nicht bekannt, wann die LexSaxonum tatsächlich entstanden ist. Wir wissen nur: "Die endgültige Redaktionder Lex erfolgte aufdem Reichstag von Aachen 802"99, mit einem Nachtrag aufdem Reichstag von Salz 803, wo Karl der Große mit den Sachsen, vertreten durchdie nobiles, Frieden schloß too. Die hinzugefügten Rechtsbestimmungen betrafen'im übrigen Fragen der Eigentumsverhä1tnisse, darunter die Veräußerung von Erb-gut ohne erbrechtliche Einschränkung.tOl ..Ob Teile der Lex älter sind, - vor 797,etwa in die achtziger Jahre gehören, ist nicht zu entscheiden." 102Die satrapae, principes und nobilissimi hatten sich nach der Aussage Bedas und derVita Lebuini antiqua der christlichen Mission freundlich, die unteren Volks-schichten feindlich gezeigt. Feuer und Schwert und die Macht des fränkischenFeudalstaates waren notwendig, um die Annahme des Christentums nach 772 zuerzwingen. Bis 804 kam es immer wieder zu Rückfällen. Vielfach wurden Bischöfeund Priester getötet.103 Die Christianisierung brachte die Kirchenorganisation; siewurde in jahrzehntelangen schweren Auseinandersetzungen nut mühselig durch-seserzt- Karls des Großen erstes Gesetz für Sachsen, die Capitulatio de partibus , 'b • .Saxoniae von 7821785, übertrug die Rechte der heidnischen Heiligtümer aufdiechristlichen Kirchen. Es drohte jenen die Todesstrafe an, die sich nicht taufen ließenoder heidnischen Kulthandlungen und Bräuchen weiter nachgingen. Die Capitulatiobefahl die Ausstattung der Kirchen mit Höfen und Hufenland, Knechten und Mägdensowie die Zahlung des Kirchenzehnten. Dieser wurde mit aller Strenge eingetrieben.Die Zehntforderung stieß auf besonders hartnäckigen Widerstand.l04 'Die Bischofskirchen und Klöster bildeten Feudalgut, ein. Prozeß, den sie gewiß~ntschieden betrieben und sicher ganz ähnlich wie die fränkischen 105. Um die Bil-dung von Feudalgut zu begünstigen wurde das alte Recht wiederum gebrochen und .

    96 Lintzel, Entstehung. S.407.97 M. Lintzel, Der Sachsenfrieden Karls des Großen, in: ders., Ausgewählte Schriften, Bd. 1,

    . S. 197; ders., Stände, S. 345; ders., Entstehung, S. 407-413.98 R. Schröder, Der altsächsische Volksadel und die grundherrliche Theorie, in: Zeitschrift der

    Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, German. Abt., 1903, Bd. 24.99 Wattenbach/Levison, Beih., S.41. .100 Lintzel, Sachsenfrieden.101 Lintzel, Entstehung, S. 415, 419.102 Wattenbach/Levison, Beih., S. 4t.103 Epperlein, Herrschaft, S. 53ff.104 Vg!. die Briefe Alkuins or. t07, 110 und 174, in: MGH, EE, IV; S. 153, 156 u. J,87.105 Müller-Mertens, Karl, S. 100f., 130ff. .

  • 840 EckJJaraMilltr-M~rttns

    neues gesetzt: Ohne 'Rücksicht auf die Erben sollte Erbgut und Allod nun an dieKirche geschenkt werden können.l06 ZurCapitulatio, die neben der Kirche die frän-kische Herrschaft stützte, befindet Lintzel, "daß die Sachsen, die' an dem alten Recht 'und den alten Gebräuchen festhielten, die Bestimmungen der Capitulatio, die diese'alten Bräuche nut denselben Strafen bedrohte, durch die sie früher geschützt waren;als eine Ungeheuerlichkeit empfinden mußten.107 'Unter der Decke des Christentums hielt, wie z, B. die Translatio Liborii noch amEnde des 9. jh, feststellt108, das gewöhnliche Volk am heidnischen Glauben fest.

    , Heidnische, Kulthandlungen und -stätten im Widerspruch zum Kirchenglaubensind aus dem sächsischen Einzugsgebiet des Kölner Bistums und aus Holstein nochfür das späte 10. jh. bzw. die Zeit um 1030 bezeugt.109 Als der fränkische Feudal- ',staat 840 in seine Krise geriet, schlug die Stunde der heidnischen Reaktion. DieStellinga entschieden sich 841, bezeugt Prudentius,;,lieber dafür, den Kultbrauch, der Heiden nachzuahmen, als die Sakramente des christlichen Glaubens zu wahren."'Zum Strafgericht 842 heißt es dann: ..Sie hätten den christlichen Glauben beinaheverlassen." 110 ' ' " ,'Es soll in keiner Weise behauptet werden, daß es in Sachsen vor der fränkischen"Eroberung keine Feudalentwicklung. keine Herrschafts- und Abhängigkeitsver-, hältnisse, keinen starken Adel gegeben hätte. Aber die Frage der politischen Machtwar nicht und sie wurde erst im Zuge der Zerschlagung der stammesgesellschaft-lichen Organisationen und der politischen wie ideologischen Unterwerfung dersächsischen Bauern durch den fränkischen Feudalstaat und die ihm nun verbundenesächsische Aristokratie entschieden. Und erst diese Entscheidung schuf die Voraus-setzung für die volle Entfaltung des Feudalisierungsprozesses. Für diese war diefrühfeudale Staats- und Kirchenorganisation mit ihren politischen und religiös-ideologischen Zwangsmitteln unabdingbar. Über deren' Handhabung ~ur Bereiche-ru.ng und zur Bildung von Feudaleigentum und persönlichen Abhängigkeiten seitensder fränkischen Grafen, anderer Träger staatlicher Funktionen, der Bischöfe. Abteund adligen Elgenkirchenherren sind wir durch die fränkischen Kapitularien des

    'ersten Drittels des 9. lh. gut unterrichtet.l11 Die sächsischen Vorgänge sind nicht"überliefert. Doch dürfte kein Zweifel bestehen, daß die Adels- und Kirchenherren,'die domini Sachsens, die feudale Staats- und Kirchenmacht, das Grafen- und dasKirchenamt wie die christliche Ideologie nicht ähnlich eingesetzt und genutzthätten. um die Bauern zu bedrücken, neue oder weitere Abgaben, Dienste undZehnten zu erlangen 'un:d das kleine Allod in fe'udales Grundeigentum umzuwan-deln: 'I I

    , 106 Lex Saxon. c. 62; Müller-Merteas, Karl, S.69ff.107 Lintzel, Capitulatio, S. 388. ' I108 Translatio Liborü, in: MGR. SS, IV, S. 151.

    , 109 K. D. Kahl, Randbemerkungen zur Chelselanisierung der Sachsen, in: Vorchristlich-christliche" Frühgeschichte in Niedersachsen. Beih. z. Jahrbuch d. Gesellschaft £. niedersächsische Kirchen-

    geschichte, 1966, 5.123£. . .110 AnnaL Beet. ad a. 841 u, 842.111 Müller-Mertens, Karl, S. 93-110.

  • Der Stelliflgaall!stand 841Von der vollen Entfaltung des Feudalisierungsprozesses einschneidend betroffen;kamen die früheren Teilhaber an den ehemaligen ~tammesgesellschaftlichen Organi-sationen auf die erbittert verteidigten und verlorenen Rechte und Einrichtungen; ,die alte Freiheit und damit auch die Frage der politischen Macht zurück. Die Ge-legenheit bot die Krise des Frankenreiches, die Spaltung der sächsischenAdels-herren in den feudalen Fraktionskämpfen und Bruderkriegen sowie der VersuchKaiser Lothars, die kriegerische Kraft des sächsischen Volkes gegen seinen BruderLudwig den Deutschen und die diesem anhängende Partei im sächsischen Adel insFeld zu bringen. Wirtschaftlich durch neue Abgaben- und Dienstforderungen sowieden Kirchenzehnten bedrückt, von der Feudalisierung erfaßt oder bedroht, er-hoben sich Frilinge und Lazzen gegen die politischen und ideologischen Bedin-'gungen dieser sozialökonomischen Entwicklung. Sie standen bewaffnet gegen dieInhaber der frühfeudalen Staats- und Kirchenrnacht, gegen ihre domini auf, im Be-streben, die lex et consuetudo antiquorum Saxonum wieder herzustellen, Daß sichunter den beteiligten Frilingen und Lazzen eine sehr gewichtige Zahl feudalabhän-giger Bauern befand, soll keineswegs bestritten werden. Andererseits muß auch.nach dem Anteil vonAngehörigen der unteren nobiles-Schicht gefragt werden, dadiese vom Feudalisierungsprozeß nicht unberührt blieb. Auch nobiles liefen Ge-fahr, in Feudalabhän'gigkeit und Knechtschaft zu geraten. Dazu sei nur auf dieStrafbestimmungen gegen den Verkauf von nobiles durch nobiles außer Landesin der Lex Saxonum verwiesen.112 . .Übrigens wurde die Machtfrage im Stellingaaufstand, dem adlig-kirchlichen Ver-ständnis gemäß und in der entsprechenden Terminologie, auch von Nithard undGerward angesprochen. Dieser klagte: "Durch ganz Sachsen war die potestas derseroi weit hinausgewachsen über ihre demisi, Und die nobiles dieses Landes w~rdenvon den Knechten sehr geschädigt und erniedrigt (hllmiliatl)."l13 Und Nithardschrieb zum blutigen Ende des Aufstandes "ac sic auctoritate interiit, quod sineauctoritate surgere praesumpsit," 11'

    *Damit sei der Schlußpunkt hinter diesen Aufsatz gesetzt. Die, Frage der Auswir-kungen des Stellingaaufstandes, der sozialen, ökonomischen und politischen, bleibeeiner anderen Veröffentlichung vorbehalten. Hier war herauszustellen, was dieQuellen über seine Umstände, Träger und Ziele zu erkennen geben. Der nun zu-sammenzufassende Befund ist folgender: Die Stellinga waren weder in ihrer Ge-samtheit noch in ihrer bestimmenden Überzahl feudalabhängige Bauern. DerStellingaaufstand wurde nicht allein von der Feudalbauernklasse getragen. Die Er-hebung war nicht typisch für den Klassenkampf im Rahmen des Feudalismus nachder Herausbildung feudaler Produktionsverhältnisse! Sie war keine von der Klasse

    112 Lex Saxon. c. 20.113 Annal. Xant. ad a. 841.114 Nith. hist. IV, 6.

  • 842 I frkhar" Miller-Mu/ellsI

    . .der Feudalbauern innerhalb der Feudalgesellschaft nur allmählich geschaffene neueForm des organisierten Kampfes. Auf Grund der Quellen kann diese Aussage mit

    '" Sicherheit als Feststellung getroffen werden.I Wer die Aufständischen wirklich waren und worauf ihre Verschwörung. und Er-

    hebung zielte, darüber konnte teils wahrscheinlich, teils vermutlich, teils sicher be-'funden werden: Die SteIlinga waren hauptsächlich Angehörige der Rechtsstände 'der Freien und Liten. Sozial waren sie geschichtet vor allem in Gruppen von Allod-bauern, halbfreien Bauern in vorfeudaler Abhängigkeit, bäuerlichen Schutzab-hängigen und feudalabhängigen Bauern. Die Übergänge zwischen den Gruppen

    ," waren fließend. Dabei gab es in allen Gruppen auch Freie und Liten, die ihrerseitsüber abhängige Bauern und Knechte geboten. Beträchtliche Interessenunterschiedeund -abstufungen dürfen nicht übersehen werden, denn die bäuerlichen Schichten., aus denen die Stellinga kamen. waren unterschiedlich der Adels- und Kirchenherr-schaft unterstellt und von ihr betroffen, die einen gestuft, da verschieden vom Feuda-

    I Iisierungsprozeß erfaßt oder bedroht, die ,anderen differenziert durch stark vonein-ander abweichende Grade und Formen der gegebenen feudalen Ausbeutung.Daraus ergaben sich einerseits gegen die Feudalisierung gerichtete Formen des,bäuerlichen Klassenkampfes, andererseits bäuerliche Klassenkampfformen imRahmen feudaler Produktionsverhältnisse und von Grundherrschaften. Für alle

    , Gruppen gemeinsam und im Widerstand einend war: die neue Qualität des ausbeu-:' terischen Zugriffes, der Handhabung der Bereicherung und der Verfolgung der" .Feudallnteressen seitens der Adels- und Kirchenherren auf der Grundlage der früh-" feudalen Staats- und Kirchenorganisation, des Rückhaltes im Frankenreich und der

    vollen Entfaltung des Feudalisierungsprozesses. , ' ,:',:Von wesentlicher Bedeutung für die Verdichtung der sozialen Kämpfe zu einem be-'" waffneten Aufstand war das zeitliche Zusammentreffen von frühfeudaler fränkischer. Reichskrise und noch lebendigenTraditionen der stammesgeseUschaftlichen Organi-sationen, des organisierten Kampfes sowie das Vorhandensein einer noch zahlen-

    ',;' ,mäß~g starken Allodbauernschaft. Das Ziel war die einschneidende Einschränkung" der Adels- und Kirchenmacht, ihrer politischen und ideologlschen. Zwangsmittel.durch die Wiederherstellung der in den Sachsenkriegen zerstörten Rechte und Ein- ., richtungen. . ' '