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VERWALTUNG & MANAGEMENT November/Dezember 2006 · ISSN 0947-9856 E 21241 Zeitschrift für allgemeine Verwaltung Aus dem Inhalt Carl Böhret Bessere Rechtsvorschriften durch Gesetzesfolgenabschätzungen? Brigitte Reetz und Kurt U. Heldmann Neue Verwaltungssteuerung und Fortbildung in Hessen Hans-Peter Schwöbel Curriculumentwicklung und Persönlichkeitsentwicklung in der Verwaltungsausbildung Friedrich W. Bolay Was haben eigentlich die Bürger von der Verwaltungsreform? Oliver Märker Online-moderierte Dialoge zur Öffentlichkeitsarbeit in der Planung Nomos

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VERWALTUNG &MANAGEMENT

November/Dezember 2006 · ISSN 0947-9856 E 21241

Zeitschrift für allgemeine Verwaltung

Aus dem Inhalt

Carl Böhret

Bessere Rechtsvorschriften durch Gesetzesfolgenabschätzungen?

Brigitte Reetz und Kurt U. Heldmann

Neue Verwaltungssteuerung und Fortbildung in Hessen

Hans-Peter Schwöbel

Curriculumentwicklung und Persönlichkeitsentwicklungin der Verwaltungsausbildung

Friedrich W. Bolay

Was haben eigentlich die Bürger von der Verwaltungsreform?

Oliver Märker

Online-moderierte Dialoge zur Öffentlichkeitsarbeitin der Planung

Nomos

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»Auf ein Wort …«

VM 6/2006 281

Zwölf Jahre nach Gründung der »VM« und im dritten Jahr mei-ner Emeritierung werde ich zum Ende dieses Jahres die Schriftlei-tung von »Verwaltung und Management« abgeben. Mit Beginndes neuen Jahres werden Universitätsprofessor Dr. Veith Mehde(Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Verwaltungsrecht,an der Universität Hannover), Dr. Tino Schuppan (Institute foreGovernment an der Universität Potsdam) und Dr. Martin Wind(Institut für Informationsmanagement Bremen an der UniversitätBremen) gemeinsam die Schriftleitung übernehmen. Für ihre Be-reitschaft, die »VM« weiterzuführen, danke ich ihnen verbindlich.

Die Gründung der »Verwaltung und Management« vor zwölfJahren erfolgte am Beginn einer Neuorientierung der Auffassun-gen von öffentlicher Verwaltung, die im deutschsprachigen Raumgemeinhin mit Begriffen wie »Neue Steuerung«, international mit(New) Public Management gekennzeichnet wird. Die »VM« woll-te – und will – dieses Phänomen diskursiv begleiten. In meinemersten Editorial (VM Nr. 1/1995, S. 1) habe ich dafür den Begriff»Paradigmenwechsel« verwendet – und habe die Erkenntnis ge-winnen müssen, dass wohl selten ein an sich präzise gefasster Be-griff (in diesem Falle durch Thomas Kuhn in seinem Buch »DieStruktur wissenschaftlicher Revolutionen« 1962) so missverstan-den wird! Oft genug bin ich nämlich gefragt worden, ob der Para-digmenwechsel denn nun endlich abgeschlossen oder ob er nichtdoch wieder einmal ausgeblieben sei. Aber: Dieser Begriff meintja das Gegenteil – bitte lesen Sie noch mal: das genaue Gegenteil– von »Umlegen eines Schalters«! Gemeint ist vielmehr die zähe,langwierige und oft jahrzehntelange Auseinandersetzung um alteund neue Auffassungen, hier von Auftrag und Funktion öffentli-cher Verwaltung. Und diese Auseinandersetzung findet – werwollte das bestreiten – ja in der Tat und ausführlich statt, und die-se Fachzeitschrift hat sich, wie beabsichtigt, zu einem der Forendafür entwickelt.

Man muss wohl damit leben, dass der Begriff »Paradigmen-wechsel« genauso in Gefahr ist, missverstanden zu werden, wieder Begriff »Bürokratie« im Sinne seiner Prägung durch Max We-ber. Seine Bürokratie sollte ja Zuverlässigkeit und Rechtmäßigkeitöffentlichen Handelns gewährleisten – und tut dies auch, wie nichtzuletzt internationale Vergleiche der deutschsprachigen Verwal-tung immer wieder belegen. Wieso dann aber Bürokratie »abbau-en«? Wohl aber ist unsere Zeit, anders als die aus heutiger Sichteher statische Max Webers, durch hohe Dynamik vieler Lebensbe-reiche, durch Interdependenz und Vernetzung vieler Arbeitsfelder,durch ein sehr verändertes Selbstverständnis der Staatsbürger,durch Überstrapazierung der öffentlichen Ressourcen und durchgrundlegend neue Arbeitstechniken geprägt. Und die öffentlicheVerwaltung mit adäquaten Einstellungen, Strukturen und Verfah-ren darauf einzustellen, in einem ausreichend Zeit erforderndenProzess des Abwägens von Alt und Neu, das eben ist der Paradig-menwechsel (und das Bürokratiemodell wird dabei nicht »aufge-geben«, sondern – im wohlverstandenen Sinne! – »aufgehoben«).Wohl durchaus in Übereinstimmung hiermit hat Hans Peter Bullals Präsident der Deutschen Sektion des Internationalen Institutsfür Verwaltungswissenschaften auf dessen Speyerer Tagung aus

Anlass des fünfzigjährigen Bestehens vor einigen Wochen seinenSchlussvortrag mit »Fortschritte, Fehlschläge und Moden: eineZwischenbilanz« überschrieben. Die Fachzeitschrift »Verwaltungund Management« wird auch weiterhin ein Forum für die Einstel-lung der öffentlichen Verwaltung auf ihre drastisch neuen Heraus-forderungen sein.

In den vergangenen zwölf Jahren habe ich viel wertvolle, ja un-verzichtbare Unterstützung von verschiedenen Seiten erfahren.Ohne diese wäre ein kontinuierliches und pünktliches Erscheinendieser Fachzeitschrift sechsmal im Jahr und mit rund zehn Abhand-lungen pro Ausgabe aus Verwaltungswissenschaft und Verwal-tungspraxis nicht möglich gewesen. Zu danken ist dem Beirat derZeitschrift. Mit Persönlichkeiten aus allen maßgeblichen Teilendes öffentlichen Sektors besetzt, hat dieser mir jederzeit mit Ratund Tat zur Seite gestanden. Ein besonderer Dank gilt weiter denAutorinnen und Autoren für ihre insgesamt über siebenhundertFachbeiträge während meiner Schriftleitung. Diese werden letzt-lich für die Leserschaft verfasst, die allerdings – schön wär’s ja! –keineswegs mit der Zahl der Abonnenten übereinstimmt. Kopier-maschinen, Telefax und Internet prägen heute bekanntlich die Le-segewohnheiten und damit auch den Zeitschriftenmarkt erheblich,ja: entscheidend. Hinzukommt die leidlich bekannte Krise der öf-fentlichen Haushalte, die den Blick der Behörden bei der Suchenach Einsparmöglichkeiten auch auf die Ansätze für Zeitschriften-abonnements fallen lässt (gewünschte Abhandlungen erhält man jaauch auf anderen Wegen – siehe den Satz zuvor ...). In dieser Lagekommt, neben den Abonnenten, den Inserenten auch für eine Fach-zeitschrift besondere Bedeutung zu, wenngleich in den letzten Jah-ren leider auch der Werbemarkt insgesamt stark geschrumpft ist.

Der Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden bin ich deshalbzu ganz besonderem Dank verpflichtet; denn diese hat sich auchin wirtschaftlich schwierigen Situationen stets vor »Verwaltungund Management« gestellt, zunächst in der Person von Dr. VolkerSchwarz, in den letzten Jahren sodann mit Staatssekretär a.D. Pro-fessor Dr. Klaus Letzgus. Dafür und auch für die Zusammenarbeitmit den weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlagesdanke ich verbindlich! Nicht zuletzt habe ich eine große Dankes-schuld bei meinen beiden Mitarbeitern in Speyer abzutragen: FrauMarion Pfundstein und Herr Wilfried Frankenbach. Herausgabeund Schriftleitung einer Fachzeitschrift bringen eine Fülle konzep-tioneller und operativer Tätigkeiten mit sich, die ich ohne dieSachkunde und die Einsatzbereitschaft der beiden unmöglich hättebewältigen können. Allen Genannten herzlichen Dank für eine in-halts- und erlebnisreiche Zeit »am Puls der Verwaltungsmoderni-sierung«!

Mit den besten Wünschen

Verehrte Leserinnen und Leser!

Dr. Heinrich ReinermannEm. UniversitätsprofessorDeutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

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Impressum

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VERWALTUNG UND MANAGEMENTZeitschrift für allgemeine Verwaltung

12. Jahrgang, Heft 6/2006, Seiten 281-336

Schriftleiter und Herausgeber:Univ.-Prof. em. Dr. Heinrich Reinermann, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

Beirat:Prof. Dr. Hinrich E.G. Bonin, Universität Lüneburg

Jochen Dieckmann, MdL, Staatsminister a.D., DüsseldorfUniv.-Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Peter Eichhorn, Universität Mannheim

Hans Jörg Duppré, Landrat, Präsident des Deutschen Landkreistages, BerlinProf. Dr. Klaus-Eckart Gebauer, Direktor beim Landtag Rheinland-Pfalz, Mainz

Peter Heesen, Bundesvorsitzender des Deutschen Beamtenbundes, BonnDr. Jürgen Hensen, Präsident des Bundesverwaltungsamtes und des Bundesausgleichsamtes, Köln

Dr. oec. HSG Albert Hofmeister, Chef des Inspektoriat des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport, Bern

Dr. Gerd Landsberg, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, BerlinUniv.-Prof. em. Dr. Klaus Lenk, Universität Oldenburg

Prof. Dr. Marga Pröhl, Bundesministerium des Innern, BerlinUniv.-Prof. em. Dr. Christoph Reichard, Universität PotsdamDr. Thilo Sarrazin, Senator für Finanzen des Landes Berlin

Dr. Sebastian Saxe, Vorstand Technik der Dataport Anstalt des öffentlichen Rechts, AltenholzUniv.-Prof. em. Dr. Dr. h.c. Heinrich Siedentopf, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

Dr. Hedda von Wedel, Mitglied des Europäischen Rechnungshofes, LuxemburgDr. Arthur Winter, Sektionschef im Bundesministerium für Finanzen, Wien

Christian Zahn, Mitglied des Bundesvorstands der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Berlin

Redaktionsanschrift: Verwaltung und ManagementPostfach 1409D-67324 SpeyerTel. (06232) 654-325, Fax (06232) 654-407E-Mail: [email protected]: http://www.dhv-speyer.de/rei/vm

Verwaltung und Management erscheint in der

Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden

Druck und Verlag:

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Inhalt

VM 6/2006 283

Auf ein Wort ... 281

Bessere Rechtsvorschriften durch Gesetzesfolgenabschätzungen? 284

Carl Böhret

Seit alters her werden die großen Mengen an Rechts-vorschriften und deren Qualitätsmängel kritisiert, ob-wohl das doch »damals« alles überschaubarer und we-niger komplex gewesen sein soll. Seit einiger Zeit wirdnun versucht, mittels Gesetzesfolgenabschätzung(GFA) die Normenproduktion zu rationalisieren undfolgenanalytisch zu beurteilen. Das in Speyer ent-wickelte und experimentell erprobte Konzept und In-strumentarium der GFA ist schon mehrfach erfolgreichangewendet worden. Ausgewählte Beispiele werdenhier dargestellt, jeweils zu den drei anerkannten Modu-len (prospektiv, begleitend und retrospektiv).

Neue Verwaltungssteuerung und Fortbildung in Hessen 293

Brigitte Reetz und Kurt U. Heldmann

Das Land Hessen nimmt derzeit einen Paradigmen-wechsel vor: Mit der Einführung der neuen Verwal-tungssteuerung (NVS), der hessischen Ausprägung desneuen Steuerungsmodells, werden Haushalt und finan-zielle Transaktionen konsequent auf das betrieblicheRechnungswesen umgestellt. NVS geht jedoch weitdarüber hinaus: Sie ist eine Führungs- und Arbeitskul-tur, aufbauend auf betriebswirtschaftlichen Steuerungs-techniken und unternehmerischen Managementmetho-den. Da die Qualität der Leistungen die zweite wichtigeStellgröße neben den Kosten darstellt, kommt einemsystematischen Qualitätsmanagement (QM) eine her-ausragende Bedeutung zu. Dieser Beitrag beschreibtein beispielhaftes Projekt zur Implementierung einesQM-Systems für die landeseigenen Fort- und Weiter-bildungseinrichtungen.

Curriculumentwicklung und Persönlichkeits-entwicklung in der Verwaltungsausbildung 298

Hans-Peter Schwöbel

Von vielen, die mit Ausbildung zu Verwaltungskompe-tenzen befasst sind, wird auch nach vierzig Jahren welt-weiter Curriculumentwicklung Curriculum immer nochmit Studien- oder Lehrplan gleichgesetzt. Daraus erge-ben sich negative Folgen für das Verstehen von Bil-dungs- und Ausbildungskrisen sowie Reformpotentia-len und -zielen. Nur der Paradigmenwechsel von derÜberarbeitung von Lehrplänen zur Transformation kol-lektiver Lernsysteme hat in den 60er, 70er und 80erJahren des letzten Jahrhunderts den Begriff Curriculumweltweit etabliert und legitimiert.

Noch sind die Länderhaushalte sanierbar (Teil 4 und Schluss) 307

Joachim Lohmann

Der Zustand der öffentlichen Haushalte ist besorgniser-regend, die Perspektiven sind schlecht. Zwar hat sichdie Berliner große Koalition das ehrgeizige Ziel ge-setzt, ab 2007 sowohl die Verfassungsgrenze als auchdie Drei Prozent-Defizitgrenze der EU zu unterschrei-

ten. Aber nur bei wenigen Ländern gibt es eine ähnlichüberzeugende Stabilisierungspolitik. Trotz alledem –auch die Länderhaushalte sind sanierbar. Dabei verbie-tet sich der Weg, die Steuern weiter – als von der Berli-ner Koalition geplant – anzuheben. Die über die verbes-serten Steuereinnahmen hinausgehende notwendigeSanierung muss von den Ausgaben her erfolgen.

Jura oder Rechtswissenschaft? 321Ralf Sowitzki

Wissenschaft hat sich als erfolgreiche Problemlösungs-hilfe etabliert. Nach einer kurzen Skizzierung ihrer Sy-stematik und üblicher Standards wird das Beherrschender wissenschaftlichen Methode als eine zunehmend anBedeutung gewinnende Schlüsselqualifikation postu-liert. Ob auch die Jurisprudenz als Wissenschaft be-zeichnet werden kann, wird differenziert beantwortet:Einige Teile sind Formalwissenschaft, größere Teilegenügen als normative Aussagen nicht den Anforderun-gen wissenschaftlicher Erkenntnis. Empirische Theori-en dienen als Hilfswissenschaften. Die Rechtswissen-schaft selbst jedoch ist in ihrem Kernbestand keineErfahrungswissenschaft.

Was haben eigentlich die Bürger von der Verwaltungsreform? 325Friedrich W. Bolay

Die aktuellen Verwaltungsreformen sind bisher häufigüber eine technokratische Binnenmodernisierung nichthinausgekommen. Dies stellt eine Gefahr für die Unter-stützung durch die wichtigen Anspruchsgruppen, diePolitiker, die Mitarbeiter und die Bürger dar. Der Bei-trag untersucht die Frage, ob die gesellschaftlichen Wir-kungen des Verwaltungshandelns in ein betriebswirt-schaftliches Konzept integriert werden und Bezugs-punkt für das gemeinsame Interesse dieser Anspruchs-gruppen sein können. Dies wird am Beispiel vonKindertagesstätten dargestellt, die aber nur ein Beispielfür öffentliche Einrichtungen sein sollen.

Online-moderierte Dialoge zur Öffentlichkeitsbeteiligung in der Planung 329Oliver Märker

In der Planungspraxis lässt sich die Herausbildung einesneuen Verfahrentyps beobachten: »Online-mediierteVerfahren«, in denen Planer unter Rückgriff auf neueMedien versuchen, Planungs- und Entscheidungsver-fahren zu öffnen und die Vielfalt an Wissensformenund Ordnungsvorstellungen der Bürgerschaft produktivzu nutzen. Konzeptionell und verfahrenstechnisch wer-den online-mediierte Verfahren in Form online-mode-rierter Dialoge umgesetzt. Dieser Beitrag skizziert, wel-che Funktionen und Potenziale diese Verfahren zurÖffentlichkeitsbeteiligung in der Planung haben undwelches organisatorische Vorgehen notwendig ist.

Nachrichten 336

IT-Einsatz in Staat und Verwaltung

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Ungewöhnliche Einführung in ein schwieriges Feld

Stellen Sie sich vor, es gelänge, ein paar be-deutende Personen der Geschichte zu einerErörterung der Erzeugung, der Qualität undder Folgenanalyse von Gesetzen zu versam-meln. Hier sei's gewagt. In einer virtuellenArbeitstagung von WiDuT (Wissenschaftli-che Dokumentations- und Transferstelle fürVerwaltungsmodernisierung in den Län-dern)* sollen sich ausgewählte Klassiker

zum Thema äußern und sich danach dieSpeyerer Versuche der angewandten Geset-zesfolgenabschätzung vortragen lassen, umdiese dann zu beurteilen. Wir berichten hierüber ausgewählte Argumente und Beurtei-lungen während der von WiDuT moderier-ten Tagung. Mitwirkende sind: Stauferkai-ser Friedrich II., Thomas Morus, ThomasHobbes, Friedrich von Spee, Charles deMontesquieu, John Stuart Mill und Alt-reichskanzler Otto von Bismarck.

Moderator (WiDuT): Verehrte Gäste, besten Dank, dass Sie ander virtuellen Gesprächsrunde teilnehmen.Wir möchten von Ihnen lernen und wirmöchten, dass Sie unsere Versuche undErfahrungen beurteilen. Darf ich zunächstum Ihre kurze Stellungnahme bitten?

Thomas Morus:Ich plädierte (schon 1516) für weniger, abertrefflichere und befolgbare Gesetze. Ich lei-tete das ab aus einem gesellschaftlichen

Idealbild und der »Befolgbarkeit« von Re-geln: »An Gesetzen haben die Utopier un-gewöhnlich wenig; sie kommen bei ihrenEinrichtungen mit einem Mindestmaß da-von aus. Bei anderen Völkern missbilligensie vor allen anderen Dingen, dass selbstunendliche Bände von Gesetzen und Geset-zesauslegungen nicht genügen. Sie halten esfür überaus unbillig, Menschen durch Ge-setze zu verpflichten, die zu zahlreich sind,als dass man sie lesen kann, oder zu dunkel,als dass sie von jedem verstanden werden.«

Otto von Bismarck: Ich hatte längst entdeckt, wo die Ursacheder »vielen und schlechten« Gesetze liegt.1898 schrieb ich’s nieder: »Die Vorberei-tung der Gesetzentwürfe durch das Staats-ministerium ist unvollkommen ... Die Wir-kung eines beabsichtigten Gesetzes auf daspraktische Leben im voraus zu beurteilen,(dazu) wird ... auch der Ressortministernicht imstande sein ... So liegt die Gefahrvor, dass auch ministerieller Unsinn glattdurch die parlamentarischen Stadien geht...«. (Jedenfalls ist es) ... »ein bedenklicherIrrtum ... anzunehmen, dass unseren Geset-zen heut zu Tage die Prüfung und vorberei-tende Arbeit zu Teil werden, deren sie be-dürfen.«

Charles de Montesquieu:Ich habe schon in meinen »PersischenBriefen« (1721) kritisch darauf verwiesen,dass man Rechtsregeln auch aufstellenkönne, um Ungerechtigkeit in eine Gesell-schaft zu bringen. Rechtstechnik allein be-wirkt noch kein »gutes Gesetz«.

»Oft sind Gesetze zu spitzfindig und fol-gen mehr logischen Ideen als der Billigkeit... Allerdings muss man auch zugeben, dasseinige von den Gesetzen viel Weisheit ver-

Bessere Rechtsvorschriften durch Gesetzesfolgenabschätzungen?

Ein Uralt-Thema

von Carl Böhret

Seit alters her werden die großen Mengen an Rechtsvorschriftenund deren Qualitätsmängel kritisiert, obwohl das doch »damals« al-les überschaubarer und weniger komplex gewesen sein soll. Seit ei-niger Zeit wird nun versucht, mittels Gesetzesfolgenabschätzung(GFA) die Normenproduktion zu rationalisieren und folgenanaly-tisch zu beurteilen. Das in Speyer entwickelte und experimentell er-probte Konzept und Instrumentarium der GFA ist schon mehrfacherfolgreich angewendet worden. Ausgewählte Beispiele werden hierdargestellt, jeweils zu den drei anerkannten Modulen (prospektiv,begleitend und retrospektiv). Freilich, man wünschte sich noch vielmehr Anwendungen; die Gründe für Zurückhaltung sind wenigerin der Methodik als in politisch-administrativen Rahmenbedingun-gen zu suchen. Das neuerdings heftig propagierte Standard-Kosten-Modell (SKM) ist nachweislich nichts Neues und – wenn überhaupt– als bescheidener Ansatz innerhalb der GFA zu verorten. Je schwie-riger und komplexer das Regelungsumfeld wird, desto nötiger ist diefolgenanalytische Unterstützung der Rechtsetzung. In einigen Ge-schäftsordnungen von Ministerien ist die GFA schon verankert, inder Literatur wird sie vielfach gefordert. Die GFA kann dabei hel-fen, Regelungsvorhaben zu unterstützen und zu verbessern.

Univ.-Professor em. Dr. Carl Böhret, Deutsche Hochschulefür Verwaltungswissen-schaften Speyer.

Eine virtuelle Konferenz mit historischen Größen aus aktuellem Anlass

284 Verwaltung und Management12. Jg. (2006), Heft 6, S. 284-292

* Für vielfache Unterstützung bin ich Ass. iur.Carsten Brenski (WiDuT/Deutsches For-schungsinstitut für öffentliche VerwaltungSpeyer – FÖV) sehr dankbar. WiDuT wurde1996 gegründet und hat sich seitdem als zentra-le Dokumentations- und Service-Einrichtungmit zusätzlichen Forschungs- und Beratungs-tätigkeiten etabliert. Siehe dazu im Internet:http://www.foev-speyer.de/widut.

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rieten ...«, wenn wegen ihrer guten Absich-ten ihre Akzeptanz und Befolgbarkeit er-reicht wurden – wie ihr heute sagen würdet.

»Die meisten Gesetzesmacher sind(aber) beschränkte Leute gewesen ... dieausschließlich ihre Vorurteile und Launenzu Rate zogen... Sie scheinen sogar Größeund Würde ihrer Aufgabe verkannt zu ha-ben ... Oft haben sie ohne hinreichendenGrund Gesetze abgeschafft, die sie in Gel-tung fanden ... Zwar ist es mitunter not-wendig, gewisse Gesetze zu ändern. DerFall ist jedoch selten, und wenn er eintritt,darf man daran nur mit zitternder Handrühren. Man muss (dann) ... Vorsichtsmaß-nahmen anwenden und Förmlichkeiten be-obachten ...«.

Thomas Hobbes: Schon 1561 habe ich mich dezidiert füreine folgenorientierte »gute« Gesetzge-bung eingesetzt, denn ... »es ist die Pflichtdes Gesetzgebers ... soviel als möglich dieGründe und Ursachen für jedes Gesetz an-zugeben, die Gesetze selbst aber kurz undbestimmt abzufassen ... (Auch sind) diewahrscheinlichen Folgen eines jedenSchrittes, der erwogen wird, deutlich ge-nug darzustellen ... Ebenso muss der Lan-desherr für gute Gesetze sorgen ... ein gu-tes (Gesetz) wird es aber dadurch, dass eszum Wohle des Volkes nötig ... ist.«

Stauferkaiser Friedrich II.: Mit der Einführung moderner öffentlicherInstitutionen wurde auch eine fortschrittli-che Rechtsetzung erforderlich. Veralteteoder widersprüchliche Normen waren auf-zuheben. Wir brauchten wirksame, ver-stehbare und zukunftssichernde Gesetze.Dazu waren auch neue Verfahren erforder-lich. Deshalb ... »fiel es mir (1244) zu, not-wendige und zugleich dauernde Heilmittelzu ersinnen, wie wir den Rost der altenVerordnungen mit der Feile unserer Pflegefortputzen und mit Rates Fülle das Un-zulängliche ergänzen könnten.«

Friedrich von Spee: In meinem 1632 anonym erschienenenBuch »Cautio Criminalis« habe ich einigeHinweise zum Vorgehen bei der Rechtsge-staltung gegeben. Mir ging es um fachlicheBreite, methodische Verbesserung und lau-fende Bewährungsprüfung.

»Bei der Ausarbeitung einer Vorschriftmüssen nicht nur Juristen, sondern auchTheologen und Mediziner mit ihrem Urteilund ihrer Kritik gehört werden ... Sowiedann die Verordnung fertiggestellt ist,muss sie zunächst einigen Akademien zurBeurteilung und Beratung vorgelegt wer-den mit der Aufforderung, stets darüber zuberichten, falls innerhalb eines Jahres eine

... Schwierigkeit auftreten sollte, oder sichzeige, dass etwas hinzugefügt, gestrichenoder abgeändert werden müsse. Auf Grunddieser Berichte kann dann das Gesetz neuberaten ... (und angepasst) werden.«

John Stuart Mill: Dazu wäre vielleicht auch eine Kodifizie-rungskommission hilfreich. Ein solchesGremium, hatte ich 1863 vorgeschlagen,denn »jede für eine hohe Entwicklungsstu-fe geeignete Regierung sollte als eines ih-rer Grundelemente in einem kleinen Kolle-gium von Männern (und Frauen), derenZahl nicht über die der Mitglieder einesKabinetts hinausgehen dürfte, eine Gesetz-gebungskommission besitzen, die speziellfür den Zweck, Gesetze zu machen, er-nannt werden sollte ... Sie wäre ... dazu be-stimmt, bei (der) Abfassung (der Gesetze)das Element der Einsicht zu vertreten,während das Parlament das des Willensvorstellen würde.«

Moderator (WiDuT):Besten Dank an unsere virtuellen Gäste. Esscheint sich ja wenig geändert zu haben –durch all die Jahrhunderte. Wir sinnierenimmer noch darüber, wie man denn end-lich weniger, aber bessere Gesetze produ-zieren könnte, um damit politische Intentio-nen zu erreichen, den Vollzug zu rationali-sieren und die Akzeptanz bei den Norm-adressaten zu erhöhen. Die erwünschtenFolgen sollen eintreten, schädliche Effekteund Risiken minimiert werden. Aber: Ge-setze waren und sind noch immer das zen-trale Produkt der Politik, ihre Entstehungwar und ist eine politische Veranstaltungsui generis, Vorausdenken über Folgenund Nebeneffekte ist nur ein kleiner Teilder langwierigen Rechtserzeugung unterMitwirkung gesellschaftlicher Kräfte in ei-nem besonderen Regierungssystem. Alles,was von außen mitwirkt – nicht zuletzt diewissenschaftliche Analytik – hat nur Hilfs-und Beratungsfunktionen: wichtig, abernicht entscheidend! Und von der Gesetzge-bungspraxis kritisch beobachtet.

Unsere Gesprächsteilnehmer haben die-ses besondere Spannungsverhältnis ange-

sprochen, aber zugleich betont, wie wichtigdoch die Verbesserung der rechtsförmigenProdukte gerade wegen der stets herzustel-lenden langfristig geltenden Akzeptabilitätund Wirkungsoptimalität sei.

Nun scheinen wir aber in jüngerer Zeiteinen Schritt voran gekommen zu sein. Dawurden Verfahren entwickelt und Instru-mente erprobt, die jene durchdachteren, fol-genorientierten Gesetze ermöglichen könn-ten. Also ungefähr das, was StauferkaiserFriedrich II. als »Heilmittel« und »Rostbe-seitigung« charakterisierte. Vor allem inSpeyer wurde die Methodik der so genann-ten Gesetzesfolgenabschätzung (GFA) ent-wickelt und mit der Praxis zusammen ange-wendet und weiterentwickelt. Die Verfah-ren wurden sogar in Geschäftsordnungenund Leitfäden festgeschrieben. Das GFA-Handbuch1 enthält ausführliche Darstellun-gen des empfohlenen Vorgehens und vielepraxisbewährte Beispiele.

Es soll Ihnen nun holzschnittartig undexemplarisch das Speyerer Konzept der»experimentellen Rechtsetzung« und des-sen instrumentelle Ausprägung in den Ver-fahren der Gesetzesfolgenabschätzung vor-gestellt werden. Es wäre sehr hilfreich,wenn Sie, unsere Tagungsgäste, danachunsere Versuche aus Ihrer »historischenErfahrung« beurteilen würden.

Kurzes Referat (von WiDuT):Das Speyerer GFA-Konzept nebstausgewählter Experimente

Schon Mitte der 70er Jahre des 20. Jahrhun-derts wurde am Forschungsinstitut für öf-fentliche Verwaltung an der Hochschule fürVerwaltungswissenschaften Speyer über-legt, wie man Gesetzentwürfe vor ihrem In-krafttreten »auf den Prüfstand« stellen undauf ihre Wirksamkeit und Praktikabilität hinuntersuchen und gegebenenfalls verbessernkönnte. Eine frühe Muster-Prüfliste wurde

Carl Böhret, Bessere Rechtsvorschriften durch Gesetzesfolgenabschätzungen?

VM 6/2006 285

1 Vgl. Böhret/Konzendorf: Handbuch Gesetzes-folgenabschätzung (GFA), Baden-Baden 2001.

Bild 1: Drei GFA-»Module«

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entwickelt, und erste Tests von Gesetzent-würfen kamen hinzu. Dies alles begleitetvon Arbeitstagungen, Fortbildungssemina-ren und Forschungsprojekten zu den Poten-tialen und Schwierigkeiten einer experi-mentellen Rechtssetzung, die von der Inten-tion geleitet wurde, weniger, aber bessereGesetze zu erzeugen und damit auch dieAkzeptabilität der Regelungen zu erhöhen.Nach einem frühen »Hoch« um 1980 sta-gnierte die Entwicklung; erst Mitte der 90erJahre kam es zu einem neuen Aufschwung,der seitdem anhält, wobei die Menge der»bearbeiteten« Normierungen gering blieb.2Von Anfang an wurde postuliert und erhofft, dass durch vollzugsfreundlichereund wirkungsbeachtende Rechtsvorschrif-ten auch die Entbürokratisierung gefördertwerden könnte.3 Ein bedeutsamer Schrittwar dann die Entwicklung und Erprobungprospektiver Analysen – einer Art »präle-gislativer Forschung«. Womit der Start zurexplorativen GFA gelang und das heute gel-tende Konzept kategorial und methodischerreicht wurde.

Gesetzesfolgenabschätzungen sollen da-bei helfen, ex ante die wahrscheinlichen

Folgen, Nebenwirkungen und die Praktika-bilität von Regelungsalternativen zu ermit-teln und zu beurteilen – bevor Rechtsvor-schriften in Kraft treten. Und sie sollentatsächlich eingetretene Wirkungen gelten-der Rechtsnormen überprüfen. Gesetzes-folgenabschätzungen dienen also� der expertengestützten Entwicklung von

Regelungsalternativen und deren ver-gleichender Folgenbeurteilung

� der Überprüfung von Regelungs-Ent-würfen nach bestimmten Kriterien (wieKosten-Nutzen, Vollzugspraktikabilität,Verständlichkeit und Konsistenz)

� der laufenden oder zeitpunktbezogenenEvaluierung in Kraft gesetzter Rechts-vorschriften (Gesetzes-Controlling).

Zu jedem dieser Bausteine (»Module«)wurden Abschätzungsmethoden entwickeltund mehrfach erprobt. In Bild 1 werdendie wichtigsten Merkmale der drei GFA-Module dargestellt.

Die »Politiknähe« ist beim ersten Mo-dul am deutlichsten, die begleitende GFA(Test und Prüfung) unterstützt vor allemdie administrative Wirksamkeit und testetdie erwartbare Befolgbarkeit durch die

Normadressaten. Die »Bewährungsprüfun-gen« sind auch Lernanstöße für neue Re-gelungsvorhaben: Was haben wir nichthinreichend analysiert und abgeschätzt?

Freilich, der ganze Prozess der Entste-hung des »Produktes« Gesetz ist notwen-dig politisiert, vollzieht sich in den zentra-len Nervenbahnen des politisch-admini-strativen Systems. Vereinfachte politischeNutzen-Abwägungen fördern oder behin-dern Gesetzesfolgenabschätzungen. Eswird ja neuerdings ganz offen zugegeben,dass GFA gerade deshalb nicht »funktio-niere«, weil die politischen Ziele kontro-vers seien4 oder weil zu große Ziele unddamit verbundene Komplexität mit derGFA »(auch) nicht mehr zu bearbeiten sei-en«. Ja, aber mit was dann? Oder bleibenwir dann doch am besten beim »Schuss insDunkle« (Ernst E. Hirsch)? Oder welchesUnbehagen der Gesetzgebungspraxis undwelche Interessen von Partikularistenstecken hinter all dem? Das Auf und Aberleben wir seit dreißig Jahren und es sei –deswegen – abzuschätzen, dass die Zeitder GFA für bedeutsame Regelungsabsich-ten erst noch kommt. Komplexes kannnicht unterkomplex analysiert oder gar ge-regelt werden. Auch »isolierende Abstrak-tion« muss die erkenntnisschaffendenKomponenten »im Spiel belassen«.

Es soll nun zu jedem der drei GFA-Mo-dule ganz knapp ein erfolgreich durchge-führtes Projekt dargestellt werden. FallsSie mehr und Genaueres wissen wollen,dürfen wir auf die einschlägigen Veröf-fentlichungen hinweisen und auf die Be-handlung der GFA-Ergebnisse im politi-schen (Gesetzgebungs-) Prozess.

Zur prospektiven GFA (pGFA)

Die prospektive GFA dient der Erkundungund Konkretisierung alternativer Rege-lungsmöglichkeiten, der vergleichendenFolgenabschätzung und einer optimalenLösung, die danach in einen rechtsförmi-gen Entwurf überführt werden soll.

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2 Vgl. zur GFA-»Konjunktur« Böhret: Experi-mentelle Rechtsetzung: Rechtsoptimierungdurch GFA, in: Sommermann/Ziekow (Hrsg.),Perspektiven der Verwaltungsforschung, Ber-lin 2003, S. 85 ff. und ders.: Gesetzesfolgen-abschätzung (GFA): Heutiger Stand der Me-thodik und Erfahrungen mit der Integration indie Gesetzesvorbereitung in Deutschland, in:Schäffer (Hrsg.): Evaluierung der Gesetze/Ge-setzesfolgenabschätzung, Wien 2005, S. 17 ff.

3 Böhret/Hugger: Entbürokratisierung durchvollzugsfreundlichere und wirksamere Geset-ze, Speyerer Arbeitshefte 35, Speyer 1980.

4 Bericht über einen Vortrag von Linschoten in:Ernst/Koop: Bürokratiekostenmessung inDeutschland, in: Zeitschrift für GesetzgebungHeft 2/2006, S. 177 ff. [185 f].

Bild 2: Vorgehensweise bei der pGFA

Bild 3: Arbeits- und Zeitplan der pGFA zu einem DatenschutzauditG des Bundes

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Mit dem Forschungsprojekt »Folgenab-schätzung zu Regelungsalternativen für diesomatische Gentherapie«5 wurden dieGrundlagen für prospektive GFAn erarbei-tet. Deren Ausbau und reale Anwendungkonnte dann mit bislang fünf Projektenvorangebracht werden:� Entwurf eines Zeugenschutzgesetzes6

� Regelungsvorhaben Waldgesetz7

� pGFA zu einem Datenschutzauditgesetz8

� Regelungsvorhaben Naturschutzgesetz9

� Entwurf EU-Richtlinie »Dienstleistun-gen im Binnenmarkt«.10

Weitere Kurzanalysen (AltenhilfestrukturG,Steuerstrukturreform/Entstrickung) bestätig-ten die Praxistauglichkeit der Methodik.11

Bild 2 skizziert das grundsätzliche Vor-gehen bei einer prospektiven GFA.12

Zumeist handelt es sich um eine Kombi-nation system- und folgenanalytischer Ver-fahren, ergänzt um dynamische Fallstudienund Expertenbefragungen. Vorgedachte undvon Experten geprüfte Varianten von Rege-lungsteilen (gegebenenfalls auch vorgefer-tigte Alternativen) werden auf die zu erwar-tenden Effekte mittels vereinbarter Kriterien(zum Beispiel Zielereichung, Aufwand,Verteilungswirkungen, Praktikabilität) vordem Hintergrund gesellschaftlicher Ent-wicklungsannahmen (»Szenarios«) in nach-vollziehbaren Verfahren bewertet. Darausergeben sich optimierte und zweitbeste Re-gelungsalternativen, deren interne Konsi-stenz und deren Einpassung in die Entwick-lungskorridore dann nochmals überprüftwerden.

Einen typischen (Grob-)Verlauf demon-striert der Arbeits- und Zeitplan der pGFAzu einem Datenschutzauditgesetz des Bun-des (DSAG) (Bild 3).13 Es folgen in denBildern 4 bis 6 Hinweise zu einzelnen Ar-beitsphasen der pGFA-DSAG.14

Zur begleitenden Gesetzesfolgenabschätzung (bGFA)

Liegt ein Diskussions- oder Referentenent-wurf vor, also die vorläufige rechtsförmigeAusgestaltung eines Regelungsvorhabens(idealerweise auf der Basis einer mittelspGFA ermittelten optimierten Alternative),dann können zwei unterschiedliche Testver-fahren (Praxistest und Planspiel) oder ver-schiedene einfachere Prüfinstrumente (zumBeispiel Funktionendiagramme, Schnittstel-len- und Kostenanalysen, Leistungsflüsse,Interdependenzen, Verständlichkeit) einge-setzt werden. Mit der bGFA lassen sich vorallem folgende Aspekte untersuchen undoptimieren:� Sind die geplanten Regelungen für das

gesamte Regelungsfeld geeignet?� Ist interne Konsistenz und Verstehbar-

keit erreicht?

� Sind sie für die Normadressaten befolg-bar und akzeptabel, vollziehbar und effi-zienzfördernd?

� Stehen Be- und Entlastungen in einemangemessenen Verhältnis (zum BeispielKosten/Nutzen, Verteilungsoptimalität)?

Testverfahren: Vergleich von Praxistest und Planspiel

Beim Praxistest findet die Erprobung einesrechtsförmigen Entwurfs im Realfeld (zumBeispiel der Vollzugsverwaltung) statt;

Carl Böhret, Bessere Rechtsvorschriften durch Gesetzesfolgenabschätzungen?

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naturschutz, Untersuchungsbericht mit Emp-fehlungen, Speyer 2004.

10 Böhret/Grunow/Ziekow (Hrsg.): Der Vor-schlag zu einer Richtlinie des europäischenParlaments und des Rates über Dienstleistun-gen im Binnenmarkt, Speyerer Forschungsbe-richte 241, Speyer 2005.

11 Bundesministerium des Innern (Hrsg.): Praxis-test zur Gesetzesfolgenabschätzung, Berlin2002.

12 Aus Böhret: Gesetzesfolgenabschätzung(GFA): Heutiger Stand der Methodik und Er-fahrungen mit der Integration in die Gesetzes-vorbereitung in Deutschland, in: Schäffer(Hrsg.), Wien 2005, S. 17 ff. [23].

13 Aus Böhret: Prospektive Gesetzesfolgenab-schätzung zu Regelungsmöglichkeiten desDatenschutzaudit; Untersuchungsbericht mitEmpfehlungen, Speyer 2003, S. 4.

14 Siehe Fn. 13, Abb. auf S. 7, S. 52 und S. 88.

Bild 4: Gesamtsystemanalyse Regelungsfeld DSAG

Bild 5: Ausschnitt aus der vergleichenden Beurteilung der Varianten zum Regelungsteil 4(»Anerkannte Einrichtung«)

5 Grün/Morsey: Prospektive Gesetzesfolgenab-schätzung zum Problembereich somatischeGentherapie, Speyerer Forschungsberichte176, Speyer 1997.

6 Brocker: Zeugenschutzgesetz – Gesetzesfol-genabschätzung, in: Staatskanzlei Rheinland-Pfalz (Hrsg.), Gesetzesfolgenabschätzung,VORAN – Schriften zur Verwaltungsmoder-nisierung Heft 5, Mainz 1997, S. 17 ff.

7 Böhret/Konzendorf: Rechtsoptimierung mit-tels Gesetzesfolgenabschätzung: WaldgesetzRheinland-Pfalz, Speyerer Forschungsberichte192, Speyer 1998.

8 Böhret: Prospektive Gesetzesfolgenabschät-zung zu Regelungsmöglichkeiten des Daten-schutzaudit; Untersuchungsbericht mit Emp-fehlungen, Speyer 2003.

9 Böhret/Brenski: Prospektive Gesetzesfolgen-abschätzung zum Regelungsvorhaben Landes-

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beim »Laborexperiment« (Planspiel) wer-den einige Verkürzungen vorgenommen,aber immer werden aus der Praxis entnom-mene Fälle verwendet.

Im Planspiel zum Umweltverträglich-keitsrecht16 wurden parallel drei größere»Fälle« (Genehmigungsverfahren, Planfest-stellung) unter Anwendung des Referenten-entwurfs »durchgespielt« (vgl. Bild 8).

Aus Planspiel und intensiver Auswer-tung konnten wesentliche Erkenntnisseüber die Funktionalität und Praktikabilitätgewonnen und bei der rechtsförmigenAusgestaltung berücksichtigt werden.

Bisher durchgeführte größere Tests vonGesetzentwürfen (bGFA)

� Jugendhilfegesetz (JHG): Praxistest� Landesbrand- und Katastrophenschutz-

gesetz (LBKG): Planspiel� VwV Umweltverträglichkeit (nach

UVPG): Planspiel� Teile eines LWaldG: Prüfinstrumente.Mehrere Instrumente der bGFA wurden beiEinzel-Prüfaufträgen eingesetzt und teilwei-se neu entwickelt, zum Beispiel beim Wahl-statistikG, bei der OrthopädieVO.17 Vielezusätzliche Anwendungs-Beispiele werdenauch im GFA-Handbuch dargestellt.18

Die Ergebnisse der Tests und die darausfolgenden Empfehlungen für zusätzlicheVerbesserungen der Entwürfe wurden imweiteren Gesetzgebungsprozess wie imfertigen »Produkt« berücksichtigt.19

Testverfahren und Prüfinstrumente las-sen sich leicht kombinieren, zum Beispielwurden Kostenanalysen und Personalauf-wandsschätzungen innerhalb von Praxis-tests eingesetzt.20

Auch die Anforderungen der Legistiksind zu berücksichtigen: klarer und schlüs-siger Aufbau (Konsistenz) der Entwürfe

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15 Aus Böhret: Gesetzesfolgenabschätzung(GFA): Heutiger Stand der Methodik und Er-fahrungen mit der Integration in die Gesetzes-vorbereitung in Deutschland, in: Schäffer(Hrsg.), Wien 2005, S. 17 ff. [26].

16 Böhret/Hofmann: Umweltverträglichkeit. Testvon Umweltrecht im Planspiel, Frankfurt u.a.1992.

17 Vgl. Bundesministerium des Innern (Hrsg.):Praxistest zur Gesetzesfolgenabschätzung, Ber-lin 2002.

18 Vgl. Böhret/Konzendorf: Handbuch Gesetzes-folgenabschätzung (GFA), Baden-Baden 2001,dort insbesondere S. 148-253.

19 Vgl. exemplarisch: Bundestagsdrucksache 12/584 (Unterrichtung der Bundesregierung überdie Ergebnisse des UVP-Planspiels, Landtags-drucksache Rheinland-Pfalz 13/5733 (Gesetz-entwurf Landeswaldgesetz).

20 Vgl. im Einzelnen mit Beispielen: Böhret/Kon-zendorf: Handbuch Gesetzesfolgenabschätzung(GFA), Baden-Baden 2001 und Bundesministe-rium des Innern (Hrsg.): Praxistest zur Geset-zesfolgenabschätzung, Berlin 2002.

Bild 6: Morphologisches Schema: Auffinden der optimalen Regelungsalternative (bewerteteVarianten pro Regelungsteil)

Bild 7: Aufbau und Unterschiede der Testverfahren15

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mit einem Minimum an Verweisungen,schlanke und dennoch verstehbare Nor-men, sprachliche Verständlichkeit, Nach-vollziehbarkeit der rechtsförmigen Aussa-gen (zum Beispiel Rechte und Pflichten,Sanktionen). Bei der GFA zum LWaldGwurde beispielsweise ein »Schlankheits-test« durchgeführt. Im Vergleich zum Vor-gängergesetz (LFG) wurde die Anzahl derWörter um zehn Prozent reduziert; es gibtnur zwei statt vorher 38 Binnenverweisun-gen und 19 statt vorher 34 Außenverwei-sungen. Auch die vergleichende Verständ-lichkeitsprüfung »gewann« das LWaldGmit deutlichem Vorsprung.21

Mit der bGFA wurden bisher einerseitsRegelungslücken, Vollzugsprobleme undVerständnisschwierigkeiten aufgedeckt,andrerseits aber auch nachgewiesen, dasswesentliche Teile des jeweiligen Rege-lungsentwurfs intentionsgerecht, praktika-bel und akzeptabel sein dürften. Geradebei der begleitenden GFA ist dieser Dop-peleffekt zu beachten und nutzenstiftend.

Exkurs: Bürokratiekostenanalyse/Standardkostenmodell

In jüngster Zeit wird die traditionelle »Büro-kratiekostenanalyse«22 als bereichsspezifi-sches Instrument (Bürokratiebelastung derWirtschaft durch Informationspflichten)wiederentdeckt und aus anderen EU-Län-dern (re-)importiert – jetzt als »Standard-Kosten-Modell«(SKM). Damit soll ein Bei-trag zum effektiven Bürokratieabbau gelei-stet werden.23 Prima! Das angebotenestandardisierende Instrument könnte durch-aus spezielle Regulierungsbelastungen er-kennen und senken helfen, falls die erhobe-nen Ergebnisse dann auch im politisch-ad-ministrativen Prozess beachtet werden,wofür ein Normenkontrollrat beim Bundes-kanzleramt sorgen soll. Ob dieser NKRnoch zusätzlich Prüf-Aufgaben übernehmenkönnte, wird noch kontrovers diskutiert.Denn: Vorsicht! Damit käme man ja wiederin die Nähe zur GFA, und die soll wegen ih-res komplexen (und »politischen«) Ansatzesja eigentlich nicht so richtig funktionieren.24

Im Übrigen sollte nicht übersehen wer-den� dass jedes Gesetz »Kosten« verursacht

(und seien es nur die Herstellaufwen-dungen)

� dass mit jedem Gesetz ja wohl etwas»bewirkt« werden soll, weshalb auch dielängerfristigen Nutzen und Verteilungs-effekte als intendierte Folgen abzuschät-zen sind, also gerade die (Nicht-)Errei-chung politischer Ziele. Vielleichtbraucht die Politik gerade die (statisti-schen) Informationen – auch im Interes-se der Wirtschaft?

� dass ein Folgen missachtendes odernicht hinreichend analysierendes Gesetzimmer teurer ist als die Aufwendungenfür eine GFA.

Auch der an sich begrüßenswerte Normen-kontrollrat ist keine neue Erfindung. Ähnli-che Einrichtungen gab und gibt es in denmeisten Bundesländern.25 Der durch Volks-entscheid verworfene Bayerische Senat(»Dritte Kammer«) hatte auch die Funktionvon Normprüfungen übernommen. Auchder Sachverständigenrat »Schlanker Staat«schlug die Institutionalisierung der Norm-prüfungen im Bundeskanzleramt vor. Viel-leicht ist jetzt »das Zeitfenster« für einenwirksamen NKR geöffnet, wenn dieser sichnicht zu sehr auf das SKM einengen lässt.Es hülfe dabei sehr, wenn man die Arbeitder schon existenten Gremien und die Auf-lösungsgründe für andere näher betrachtete

– man könnte vielleicht Bürokratiekosteneinsparen! Und nochmals: SKM ist nochkeine GFA, sondern nur ein – durchauswichtiger – Teilaspekt von Kostenfolgen-analysen, die je nach Modul mit unter-schiedlichem Erkenntnisinteresse eingesetztwerden können.

Zur retrospektiven GFA (rGFA)

Konzentriert sei hier auf bislang gute Erfah-rungen mit dem 3. Modul, der retrospekti-ven GFA (Bewährungsprüfung, Gesetzes-controlling) hingewiesen.26 Bei der rGFAgeht es darum, zu bestimmten Zeitpunktenoder laufend die erwünschten Effekte einerschon in Kraft befindlichen Rechtsvor-schrift – also in ihrem tatsächlichen Wir-kungsfeld – zu evaluieren (auch Rechtstat-sachenforschung). Werden die Ziele er-

Carl Böhret, Bessere Rechtsvorschriften durch Gesetzesfolgenabschätzungen?

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25 Im Einzelnen Bräunlein: Integration der GFAins Politisch-Administrative System der Bun-desrepublik Deutschland, Frankfurt u.a. 2004und frühe Hinweise bei Fricke: Modelle zurInstitutionalisierung einer Gesetzeskontrolle,Frankfurt/Bern 1983 und Unkelbach: Die In-stitutionalisierung der GFA auf Länderebene,Aachen 1998; auch Böhret: Gesetzesfolgenab-schätzung: Soll sie institutionalisiert werden?,in: Grupp/Ronellenfitsch (Hrsg.): Planung –Recht – Rechtsschutz, Berlin 1998, S. 51 ff.

26 Ausführlicher und mit Beispielen: Böhret: Ge-setzescontrolling – ein gewichtiges Elementder Gesetzesfolgenabschätzung, in Budäusu.a. (Hrsg.): Neues öffentliches Rechnungs-wesen, Wiesbaden 2000, 550 ff. und Böhret/Konzendorf: Handbuch Gesetzesfolgenab-schätzung (GFA), Baden-Baden 2001 sowieBundesministerium des Innern (Hrsg.): Praxis-test zur Gesetzesfolgenabschätzung, Berlin2002.

Bild 8: Grober Ablaufplan des UVP-Planspiels

21 Böhret/Konzendorf: Rechtsoptimierung mit-tels Gesetzesfolgenabschätzung: WaldgesetzRheinland-Pfalz, Speyerer Forschungsberichte192, Speyer 1998, S. 94.

22 U.a. Laubinger/Krause: Schwerbehindertenge-setz und Personalaufwand, Speyerer Arbeits-hefte 16, Speyer 1977, Böhret/Hugger: DerPraxistest von Gesetzentwürfen, Baden-Baden1980, Böhret/Konzendorf: Handbuch Geset-zesfolgenabschätzung (GFA), Baden-Baden2001 mit vielen Beispielen, etwa S. 180 ff.,206 ff., 288 ff., – auch zu anderen Feldern wieBürokratiekosten bei ambulanten Diensten;oder zur Demokratiekostenanalyse!

23 Frick/Brinkmann/Ernst: Das Standard-Kosten-Modell – Ein neuer Ansatz für effektiven Büro-kratieabbau, in: Zeitschrift für GesetzgebungHeft 1/2006, S.28 ff. und Ernst/Koop: Bürokra-tiekostenmessung in Deutschland, in: Zeit-schrift für Gesetzgebung Heft 2/2006, S. 177 ff.

24 S.o. und Berichte in ZG 2006, vgl. Fn. 4 und 23.

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reicht, sind die prognostizierten Kostenent-wicklungen und Ent- bzw. Belastungen ein-getreten, befolgen die Normadressaten dieVorschriften hinreichend, welche nicht-in-tendierten Folgen sind feststellbar, ist die»Klagehäufigkeit« reduziert worden usw.?Die rGFA soll also den eingetretenen(Miss-) Erfolg verabschiedeter Regelungennachweisen und/oder die Novellierung oderAufhebung einer Rechtsvorschrift begrün-den helfen. Für die Bewährungsprüfungenwerden eingesetzt:� Soll-Ist-Vergleiche� Vorher-Nachher-Vergleiche� ex-post-Analysen (zum Beispiel Zeit-

reihen� Fallstudien (zum Beispiel Vergleich mit

Regelungen in verschiedenen Ländern/Rechtsgebieten)

Das zentrale Prüfkriterium für rGFAn istder Zielerreichungsgrad, weitere Eva-

luierungen beziehen sich auf Kostenent-wicklungen, Kosten-Nutzen-Effekte, Ak-zeptanz, Vollzugspraktikabilität, Neben-wirkungen.

Auswahl bisher am FÖV Speyer durchgeführter Bewährungsprüfungen27

� Pflegeversicherungsgesetz� Täter-Opfer-Ausgleichsgesetz� Zeugenschutzgesetz� Landesbrand- und Katastrophenschutz-

gesetz (LBKG)(rund zwanzig Jahre nach der bGFAzum LBKG: Erfolgsbestätigung).

Bild 9 demonstriert eine empfohlene Vor-gehensweise der rGFA.28 Bild 10 enthälttypische Fragestellungen (am Beispiel:rGFA »Täter-Opfer-Ausgleich (TOA)« �Strafprozessordnung, BRAGO (Gebühren-ordnung für Rechtsanwälte).29

Abwägungen

Die erstrebte schlankere und dennochwirksame(re) Rechtsetzung erfordert Ge-setzesfolgenabschätzungen. Die GFA-Me-thodik ist schon gut entwickelt und in derPraxis erfolgreich erprobt. Sie ist dort besonders hilfreich, wo sie die vorhandeneProfessionalität der Produzenten vonRechtsvorschriften unterstützt, auch indem sie deren Vorarbeiten fördert und be-stätigt. Die GFA vermag politische Inten-tionen zu rationalisieren und geltende Vor-schriften systematisch zu evaluieren. Den-noch – oder gar deswegen? – werdenrelativ wenige Folgenanalysen durchge-führt. Gründe sind wohl im Anspruch derMethodik selbst zu suchen (komplexe Vor-haben sollten nicht unterkomplex analy-siert werden), aber auch in den verständli-chen Vorbehalten der administrativenFachleute, die eine andere »Sozialisation«für die Rechtserzeugung durchliefen alsdie System- und Folgenanalytiker. Erfreu-licherweise gibt es aber immer mehr Ge-setzesvorbereiter, die Vorteile der GFA er-kennen und nutzen. Entscheidend bleibtder Wille der politischen Führung, sich derneuen Vorgehensweisen zu bedienen undsich – ein wenig – von den tradierten Ver-fahren zu verabschieden. Immer dann,wenn die politische Führung die GFAnwollte und deren Ergebnisse als Entschei-dungshilfe nutzte, kamen gute und bestän-dige Ergebnisse heraus. Es war nachweis-lich erfolgreich, wenn sich politischeFührung, innovative Fachleute und externeGFA-Methodiker zusammenfanden und inGFA-Innovationsbündnisen auf Zeit ko-operierten.30

Was soll man nun davon halten?

Moderator (WiDuT):Verehrte Gäste und geneigte Leserinnenund Leser, Sie haben nun erfahren, wasund wie man derzeit versucht, die Rege-

Eine virtuelle Konferenz mit historischen Größen aus aktuellem Anlass

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27 Vgl. u.a. Böhret/Konzendorf: Handbuch Ge-setzesfolgenabschätzung (GFA), Baden-Baden2001 und Bundesministerium des Innern(Hrsg.): Praxistest zur Gesetzesfolgenabschät-zung, Berlin 2002.

28 Böhret/Konzendorf: Leitfaden zur Gesetzes-folgenabschätzung, hrsg. vom Bundesministe-rium des Innern, Berlin 2000, S. 33.

29 Nach Bundesministerium des Innern (Hrsg.):Praxistest zur Gesetzesfolgenabschätzung,Berlin 2002, S. 80.

30 Vgl. Böhret, Gesetzesfolgenabschätzung(GFA): Heutiger Stand der Methodik und Er-fahrungen mit der Integration in die Gesetzes-vorbereitung in Deutschland, in: Schäffer(Hrsg.), Wien 2005, S. 17 ff. [29].

Bild 9: Empfohlene Vorgehensweise der rGFA

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lungsqualität zu erhöhen, wobei der Geset-zesfolgenabschätzung eine wichtige Funk-tion zukommt und diese zunehmend auchinstitutionalisiert wird. Einige von Ihnenhaben ja gerade auf diesen Punkt beson-ders hingewiesen. Wir beginnen heute ei-nen verwaltungswissenschaftlichen Grund-satz ernst zu nehmen: »Nur was institutio-nalisiert ist, existiert wirklich«. Insoweitwar es wichtig, dass die GFA in Geschäft-sordnungen der Ministerien einging oderwenigstens Empfehlungen zur GFA-An-wendung gegeben wurden. Das GFA-In-strumentarium ist wohl fürs Erste gut ent-wickelt, kann und muss aber bei neuenAnalysen angepasst werden. Darf ich nunum die Urteile unserer Gäste bitten?

Stauferkaiser Friedrich II.:Wenn ich Leitfäden, das GFA-Handbuchund die erfolgreichen GFA-Projekte anse-he, dann sind das doch die von mir undmeiner (Staats-)Kanzlei (Petrus v. Vinea)schon damals geforderten »Heilmittel«.Wir hätten die Verfahren an meiner neugegründeten Universität Neapel gelehrtund die Angehörigen meiner Staatskanzleizur Anwendung verpflichtet. Michael Sco-tus hätte ich zum GFA-Beauftragten er-nannt. Aber wir waren methodisch ebennoch nicht so weit. Durchgesetzt hätte iches, das dürfen Sie mir glauben!

Otto von Bismarck:Es ist in der Tat sehr erfreulich und förde-rungswürdig, dass die Gesetzesvorberei-tung – zum Beispiel durch die prospektiveGFA – einen großen Schritt voran gekom-men ist; gut auch, dass Tests und Einzel-prüfungen eines Entwurfs vor dem Inkraft-treten durchgeführt werden; weiter so!Damit wird einer meiner Kritikpunkte mi-nimiert.

Freilich sehe ich mit Schrecken, dass dieauch von mir geforderte »vorbereitendeArbeit« noch nicht bei allen Vorhaben hin-reichend erfolgt, dass die Folgenanalysesich in den Ressorts noch keineswegsdurchgesetzt hat. Ich kann nur dringendempfehlen, die verlautbarte Bereitschaftzur experimentellen Rechtsetzung diesmalernsthaft umzusetzen. Dazu gibt es endlichso manche gute Handreichung, so manchepraxiserprobte Anweisung. Das ist gewissmehr, als uns damals zur Verfügung stand!

Thomas Morus:Mit den vorgestellten Methoden hätten dievon den Utopiern erstrebten Vereinfachun-gen erreicht und die Verstehbarkeit undAkzeptabilität erhöht werden können. Be-folgbarkeit ist rechtspolitisch ein hohesGut. Dazu müssen die geltenden Rechts-normen überschaubar und einsehbar sein,nur so werden sie gültig. Sehr viel wenigerist sehr viel mehr. Nur wirklich notwendi-

ge Gesetze sind zu erlassen; die Folgenab-schätzungen helfen bei der Notwendig-keitsprüfung.

Thomas Hobbes:Ich unterstütze Thomas Morus. Wir wollengute und knappe Gesetze haben, derenExistenz muss begründbar sein und die zuerwartenden Folgen sind zu antizipieren.Die uns vorgestellten Verfahren und In-strumente könnten dafür geeignet sein.Dieser Ansatz kommt übrigens meiner ra-tionalistischen Grundüberzeugung nahe.

Charles de Montesquieu:Mit den vorgestellten Methoden könnteman die von mir beklagten Vorurteile undLaunen, aber auch die Spitzfindigkeitenvieler Gesetzesmacher und bloßer Rechts-techniker weitgehend vermeiden. Ich habegelernt, dass man durchaus mit fester Handund der retrospektiven Analyse die Be-währung in Kraft befindlicher Gesetzeüberprüfen kann, um dann vorsichtig zu no-vellieren und dabei für andere Vorhaben imvoraus zu lernen. Im übrigen sollte immerdie Notwendigkeit einer rechtsförmigen Lö-sung begründet werden; auch das wirddurch die Speyerer Verfahren erreichbar.

Friedrich von Spee:Ich finde meine damaligen Vorschläge be-stätigt: Interdisziplinäre Abschätzungenschon bei der Entwurfsausarbeitung, Ein-beziehung wissenschaftlicher Analysenund Prognosen und Gesetzes-Controllingdurch laufende Wirkungsberichte. Alledrei GFA-Module hatte ich – mit etwas an-deren Worten – als unabdingbare Stufender Rechtsgestaltung benannt. Ja, so wiedie Speyerer das vorschlagen und vorma-chen, so muss es sein.

John Stuart Mill:Ich schließe mich dem gerne an. Wenn ichzugleich die Schwierigkeiten (Bismarck)und kritisierten Spitzfindigkeiten (Montes-quieu) beachte, dann scheint es immernoch angemessen zu sein, die eigentlicheGesetzesvorbereitung zumindest untergleichrangiger Einbeziehung von GFA-Ex-perten zu betreiben. Ich kann nur unterstüt-zen, was die heutigen GFA-Vertreter for-dern, nämlich das »Innovationsdreieck aufZeit« für Entwicklung und Test der Norm-entwürfe einzurichten. Genau das schweb-te mir mit meiner »Kodifizierungskommis-sion« vor, und Friedrich von Spee sah dasja ganz ähnlich.

Carl Böhret, Bessere Rechtsvorschriften durch Gesetzesfolgenabschätzungen?

VM 6/2006 291

Bild 11: Innovationsbündnis auf Zeit

Bild 10: Typische Fragestellungen

PFPolitischeFührung

IFInnovativeFachleute

(Ressort, Parlament)

externerSachverstand

(GFA-Methodiker plus»Laiensachverstand«)

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Moderator (WiDuT):Vielen Dank, meine Herren, für diese Be-urteilung der vorgestellten Versuche zu ei-ner Verbesserung der Rechtsvorschriften.Aus unterschiedlicher Sicht und auf derGrundlage verschiedener historischer Er-fahrungen haben Sie doch alle eine durch-aus vergleichbare Einschätzung abgegeben.Vielleicht kann man zusammenfassend sa-gen: Das, was da neuerdings vorgeschlagenund erprobt wird, dürfte durchaus zu einerwesentlichen Verbesserung der Rechtsge-staltung führen, der experimentelle Ansatzin allen Modulen der Gesetzesfolgenab-schätzung könnte – gerade bei immer kom-plexeren Lagen – zu einem Durchdringendes Dschungels und zu einer folgenbeach-tenden Normierung führen. Wenn – jawenn – die von Ihnen ebenfalls genanntenVorbehalte und Hinterhalte reduziert wer-den können, was am ehesten durch die viel-leicht zu erzwingende Kooperation in denInnovationsdreiecken zu erreichen wäre.Freilich, der Stoff der Politik ist noch viel-fältiger, wohl auch noch undurchsichtigergeworden, Gesetze scheinen der wichtigsteNachweis politischer Produktivität zu sein,das Produkt selbst wird sich schon irgend-wie verkaufen, und Konkurrenz gibt es oh-nehin kaum. Muss man alles so ernst neh-men? Wenn Niccolo Machiavelli hier wäre(er hat sich wegen Unpässlichkeit entschul-digen lassen), würde er hier gewiss dazwi-schenrufen: »Ich glaube nicht, dass man ei-nem Staat ein schlechteres Beispiel gebenkann, als ein Gesetz zu erlassen und esdann nicht zu beachten ...«. Wenn dies allesdas Credo der Rechtsproduktion bleibensollte, dann allerdings haben die GFA-Ver-treter nur geringe Chancen – am ehestennoch auf Nebenschauplätzen. Ich sehe Ihrzustimmendes Nicken, meine Herren. Aberdas darf doch – nicht zuletzt vor Ihren Ar-gumenten – eigentlich nicht sein, oder? Sieschütteln den Kopf! Danke! Also – es gehtweiter! Und, meine Herren, Sie scheinen jaauch darin überein zu stimmen, dass jenesmodisch gewordene Reden über GFA al-lein noch keine zukunftsbeständige Rechts-gestaltung bewirken kann, sondern dassdiese erst erwächst aus der fortgesetztenkritischen Anwendungserfahrung, die auchzur kontinuierlichen Verbesserung der Fol-genanalytik herausfordert.

Literatur

Berichte über durchgeführte GFA (soweitzitiert, vgl. außerdem GFA-Handbuch 2001)

Laubinger, H. W./Krause, D.: Schwerbehinder-tengesetz und Personalaufwand (= Speyerer Ar-beitshefte 16) Speyer 1977.

Böhret, Carl/Hugger, Werner: Der Praxistestvon Gesetzentwürfen, Baden-Baden 1980.

Hugger, Werner: Praktikable Vorschriften durchEntwurfserprobung. Der Test eines Landesgeset-zes (LBKG), in: Verwaltungsarchiv, Heft 2/1984, S. 162 ff.

Böhret, Carl/Hofmann, Michael: Umweltver-träglichkeit. Test von Umweltrecht im Plan-spiel, Frankfurt u.a. 1992.

Grün, Maleika/Morsey, Benedikt: ProspektiveGesetzesfolgenabschätzung zum Problembe-reich somatische Gentherapie (= Speyerer For-schungsberichte 176), Speyer1997.

Brocker, Lars: Zeugenschutzgesetz – Gesetzes-folgenabschätzung, in: Staatskanzlei Rheinland-Pfalz (Hrsg.), Gesetzesfolgenabschätzung,VORAN – Schriften zur Verwaltungsmoderni-sierung Heft 5, Mainz 1997, S. 17 ff.

Böhret, Carl/Konzendorf, Götz: Rechtsoptimie-rung mittels Gesetzesfolgenabschätzung: Wald-gesetz Rheinland-Pfalz, (= Speyerer For-schungsberichte 192), Speyer 1998.

Böhret, Carl: Prospektive Gesetzesfolgenab-schätzung zu Regelungsmöglichkeiten des Da-tenschutzaudit; Untersuchungsbericht mit Emp-fehlungen, Speyer 2003.

Böhret, Carl/Brenski, Carsten: Prospektive Ge-setzesfolgenabschätzung zum Regelungsvorha-ben Landesnaturschutz, Untersuchungsberichtmit Empfehlungen, Speyer 2004.

Böhret, Carl/Grunow, Dieter/Ziekow, Jan(Hrsg.): Der Vorschlag zu einer Richtlinie deseuropäischen Parlaments und des Rates überDienstleistungen im Binnenmarkt (= SpeyererForschungsberichte 241), Speyer 2005.

Hilfsmittel für GFA

Böhret, Carl/Konzendorf, Götz: Leitfaden zurGesetzesfolgenabschätzung, hrsg. vom Bundes-ministerium des Innern, Berlin 2000.

(auch erschienen als Guidelines on RegulatoryImpact Assessment (= Speyerer Forschungsbe-richte 234), Speyer 2004.

Böhret, Carl/Konzendorf, Götz: Handbuch Ge-setzesfolgenabschätzung, Baden-Baden 2001.

Bundesministerium des Innern (Hrsg.): Praxis-test zur Gesetzesfolgenabschätzung (Abschlus-sbericht über den Praxistest zur Erprobung desHandbuches und des Leitfadens zur Gesetzes-folgenabschätzung an ausgewählten Vorhabender Ressorts), Berlin 2002.

Institutionalisierung

Fricke, Peter: Modelle zur Institutionalisierungeiner Gesetzeskontrolle, Frankfurt/Bern 1983.

Unkelbach, Ingo: Die Institutionalisierung derGFA auf Länderebene, Aachen 1998.

Bräunlein, Tobias: Integration der GFA ins Po-litisch-Administrative System der Bundesrepu-blik Deutschland, Frankfurt u.a. 2004.

Sonstige Literatur rund um die GFA(Auswahl, weitere Nachweise im GFA-Handbuch und inden zitierten Veröffentlichungen)

Böhret, Carl/Hugger, Werner: Entbürokratisie-rung durch vollzugsfreundlichere und wirksa-mere Gesetze (= Speyerer Arbeitshefte 35),Speyer 1980.

Böhret, Carl: Prüfstand für Gesetze? Ein Bei-trag zur Bürokratiediskussion, in: C. Böhret:

Politik und Verwaltung, Opladen 1983, S. 78 ff.

Böhret, Carl: Gesetzesfolgenabschätzung: Sollsie institutionalisiert werden?, in: K. Grupp/M.Ronellenfitsch (Hrsg.): Planung – Recht –Rechtsschutz, Berlin 1998, S. 51 ff.

Böhret, Carl: Gesetzescontrolling – ein gewich-tiges Element der Gesetzesfolgenabschätzung,in Budäus, D. u.a.: Neues öffentliches Rech-nungswesen, Wiesbaden 2000, 550 ff.

Böhret, Carl: Experimentelle Rechtsetzung:Rechtsoptimierung durch GFA, in: K. P. Som-mermann/J. Ziekow (Hrsg.): Perspektiven derVerwaltungsforschung, Berlin 2003, S. 85 ff.

Böhret, Carl: Gesetzesfolgenabschätzung: Heu-tiger Stand der Methodik und Erfahrungen mitder Integration in die Gesetzesvorbereitung inDeutschland, in: Heinz Schäffer (Hrsg.): Eva-luierung der Gesetze/Gesetzesfolgenabschät-zung, Wien 2005, S. 17 ff.

Ernst,Tobias/Koop, Alexander: Bürokratieko-stenmessung in Deutschland, in: Zeitschrift fürGesetzgebung Heft 2/2006, S. 177 ff.

Frick, Frank/Brinkmann, Henrik/Ernst, Tobias:Das Standard-Kosten-Modell – Ein neuer An-satz für effektiven Bürokratieabbau, in: Zeit-schrift für Gesetzgebung Heft 1/2006, S. 28 ff.

Eine virtuelle Konferenz mit historischen Größen aus aktuellem Anlass

292

Neuerscheinung

Öffentliches Finanzmanagement im internationalen Vergleich

Bauer/Handler/Schratzenstaller (Hrsg.):Finanzmanagement im föderalen Staat – Internationale und nationale Reformansätze,Öffentliches Management und Finanzwirt-schaft, Band 5, hrsg. vom KDZ – Zentrumfür Verwaltungsforschung, Redaktion: A.Penzendorfer und A. Steffek, ISBN-10: 3-7083-0390-3/ISBN-13: 978-3-7083-0390-1, 191 Seiten; 38,80 Euro.

Für die anstehende Modernisierung des öf-fentlichen Finanzmanagements wurdendurch einen Workshop »Reform des Finanz-ausgleichs/öffentlichen Finanzmanagements– Internationale Erfahrungen und Reform-perspektiven für Österreich« mit ausgewiese-nen Experten aus Deutschland, der Schweizund aus Österreich vielfache theoretischeEinblicke und praktische Ansatzpunkte ge-boten. Sie werden nun – teilweise in erwei-terter Form – allen Interessierten in einemBand zugänglich gemacht.

Teil 1: Internationale Entwicklungen undErfahrungen. Hier werden u.a. Kriterienund Erfahrungen mit der Verteilung vonAufgaben, Ausgaben und Einnahmen in fö-deralen Staaten diskutiert sowie die jünge-ren Entwicklungen der Finanzsysteme fö-deraler Staaten am Beispiel des »Neuen Fi-nanzausgleichs« der Schweiz illustriert.

Teil 2: Reformperspektiven für Öster-reich. Behandelt werden Steuerungszieleund -instrumente im Finanzausgleich fö-deraler Staaten sowie die Probleme der in-tragovernmentalen Gemeindetransfers; wei-ters wird die Forderung nach mehr Steuer-autonomie für Länder und Gemeindenbegründet sowie die geplante Haushaltsre-form 2006 des Bundes dargelegt.

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Warum Qualitätsmanagement inder hessischen Fortbildung?

Das Land Hessen nimmt derzeit einen Pa-radigmenwechsel vor: Mit der Einführungder neuen Verwaltungssteuerung (NVS),der hessischen Ausprägung des neuenSteuerungsmodells, werden Haushalt undfinanzielle Transaktionen konsequent aufdas betriebliche Rechnungswesen umge-

stellt. In Hessen bedeutet das die flächen-deckende Einführung der doppelten Buch-führung, der Kosten-Leistungsrechnungund eines Produkthaushalts, wobei dieProdukte der Landesverwaltung bezogensind auf ein politisches Zielsystem.

Qualitätsmanagement – eine Anforderung der Neuen Verwaltungssteuerung

Nachdem die Umstellung auf die Doppikbereits vollzogen ist, wird mit der Ein-führung weiterer Elemente der Neuen Ver-waltungssteuerung das Thema Qualitäts-management für die hessische Verwaltunginsgesamt relevant.

Einführung der Kosten-Leistungs-Rech-nung heißt, dass den Kosten für ein be-stimmtes Produkt oder eine bestimmte Lei-stung neben dem Umfang (Quantität) eineentsprechende Qualität gegenübergestelltwerden muss. Die Steuerung über Budgetsführt dazu, dass Qualitätskriterien für einezu einem bestimmten Preis zu erbringendeLeistung definiert werden müssen.

Dies wird zukünftig für alle Organisati-onseinheiten der hessischen Landesverwal-tung relevant und somit auch für die Fort-bildungsinstitutionen des Landes.

Neben der Ergebnisqualität wird auchdie Prozessqualität Bedeutung erlangen.

Die neue Form der – output-orientierten –Steuerung lenkt den Blick der Beteiligtenauf die in der Verwaltung ablaufendenProzesse. Das heißt, zukünftig wird manProdukte und Leistungen auch danach be-werten, ob mit den vorhandenen knappenRessourcen das bestmögliche Ergebnis er-zielt wurde.

Dieser Betrachtungsweise können sichdie landeseigenen Bildungseinrichtungennicht entziehen. Sie werden also lernenmüssen, damit im Hinblick auf die spezifi-schen Implikationen ihres Arbeitsgebietsumzugehen.

Zugleich wird sich die Perspektive ver-ändern, mit der von Seiten der übrigenLandesbehörden, also quasi »von außen«,Fortbildung für die Beschäftigten des Lan-des betrachtet wird. Fortbildung als Teileiner Gesamtorganisation gehört betriebs-wirtschaftlich gesehen zu den so genann-ten Overhead-Kosten und macht – aus derKostensicht – die Produkte und Leistungender Verwaltung teurer. Wenn man die Nut-zen-Seite betrachtet, muss sie aus Sicht derBeteiligten wie der Entscheider einen»Mehrwert« bieten, also einen Nutzen, derdie entstehenden Kosten als gerechtfertigterscheinen lässt.

(Fort-)Bildung im Spannungsfeld zwischen Effektivität und Effizienz

Im Zusammenhang mit Bildung von einerKosten-Nutzen-Relation zu sprechen, istheikel. Denn sofort stellen sich (minde-stens) folgende Fragen: Kann man Bil-dungs- bzw. Lernprozesse überhaupt ei-nem betriebswirtschaftlichen Effizienzden-ken unterwerfen? Ist das legitim? Undwenn ja, wie will man einen solchen»Mehrwert« feststellen?

In dem so skizzierten Spannungsfeldzwischen betriebswirtschaftlicher Betrach-tung der eigenen Arbeit und deren Prozess-organisation sowie dem spezifischen Tätig-keitsgebiet, das eine Bildungseinrichtungzum Gegenstand hat, standen und stehendie Fortbildungseinrichtungen des LandesHessen. Damit so umzugehen, dass beidenBelangen Rechnung getragen werden

Neue Verwaltungssteuerung und Fortbildung in Hessen

Lernerorientierte Qualitätstestierung als Muster

von Brigitte Reetz und Kurt U. Heldmann

Das Land Hessen nimmt derzeit einen Paradigmenwechsel vor:Mit der Einführung der neuen Verwaltungssteuerung (NVS), derhessischen Ausprägung des neuen Steuerungsmodells, werdenHaushalt und finanzielle Transaktionen konsequent auf das be-triebliche Rechnungswesen umgestellt. NVS geht jedoch weit dar-über hinaus: Sie ist eine Führungs- und Arbeitskultur, aufbauendauf betriebswirtschaftlichen Steuerungstechniken und unterneh-merischen Managementmethoden. Da die Qualität der Leistungendie zweite wichtige Stellgröße neben den Kosten darstellt, kommteinem systematischen Qualitätsmanagement (QM) eine herausra-gende Bedeutung zu. Dieser Beitrag beschreibt ein beispielhaftesProjekt zur Implementierung eines QM-Systems für die landesei-genen Fort- und Weiterbildungseinrichtungen.

Qualitätsmanagement in der Weiterbildung als Bestandteil des neuen Steuerungsmodells

Verwaltung und Management12. Jg. (2006), Heft 6, S. 293-297

293

Dipl.-Verw. Kurt U. Heldmann, Amt für LehrerbildungHessen, Gutachter undBerater für LQW, Kassel.

Ministerialrätin Brigitte Reetz ist Referatsleiterin

zentrale ressortüber-greifende Fortbildung

im Hessischen Ministerium des Innern

und für Sport.

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kann, war das entscheidende Motiv zurEntwicklung eines Qualitätsmanagement-Konzepts für die hessische Fortbildung.

Angestoßen wurde die Entwicklung ei-nes solchen Konzepts vom Referat zentraleressortübergreifende Fortbildung im Hessi-schen Innenministerium. Dieses Referathat neben operativen vor allem auch strate-gische Aufgaben.

Die Fortbildungsorganisation für diehessischen Beschäftigten besteht aus di-versen eigenständigen Einheiten undDienststellen in den verschiedenen Res-sorts. Neben dem bereits genannten Refe-rat, das im wesentlichen Führungskräfte-fortbildung anbietet, gibt es in jedem Mini-sterium ein Fortbildungsreferat für dasjeweilige Ressort. Daneben bestehen spe-zifische (Fort-) Bildungseinrichtungen wiedas Amt für Lehrerbildung oder die Hessi-sche Polizeischule. Des Weiteren wirdFortbildung auch von Ausbildungseinrich-tungen angeboten (zum Beispiel Verwal-tungsfachhochschule).

Schon bei der Entwicklung des Modellswaren die Adressaten beteiligt

Charakteristisch für die Erarbeitung einesQualitätsmanagement-Konzepts in Hessenwar die aktive Beteiligung aller Fortbil-dungseinrichtungen sowie auch nahezu al-ler Ausbildungseinrichtungenvon Anfangan. Damit war sowohl eine breite Akzep-tanz sichergestellt, als auch, dass den un-terschiedlichen Belangen Rechnung getra-gen werden konnte.

Zunächst wurde bei den in Hessen be-reits bekannten Methoden zur Erarbeitungvon Qualitätsmanagement-Konzepten, wiesie die Verwaltung zum Teil schon anzu-wenden beginnt, angesetzt. Es wurden ge-meinsame Kriterien für die Qualitätssiche-

rung und -entwicklung in den verschiede-nen Phasen des Fortbildungsprozesses –Planung und Vorbereitung, Durchführung,Nachbereitung – herausgearbeitet. Dabeiwar klar, dass Qualitätsentwicklung in derFortbildung besondere Eigenheiten zu be-rücksichtigen hat.

Denn »Lernen ... unterliegt immer derSelbststeuerung des Lernenden, die nur ge-fördert, aber nicht determiniert werdenkann. Dass Qualitätsentwicklung wesent-lich auf die Verbesserung des Lernens zie-len muss, aber der konkrete Lernprozessdurch Qualitätsentwicklung nicht direktsteuerbar ist, kennzeichnet die paradoxeHerausforderung für Weiterbildungsorga-nisationen.«1 Deshalb geht es beim Qua-litätsmanagement in der Fortbildung umdie Gestaltung von Lernumfeldbedingun-gen, die das Gelingen des Lernprozessesmöglichst gut erreichbar werden lassen.

Bei der Umsetzung der entwickeltenKriterien in ein konsistentes Gesamtkon-zept wurde auf ein schon existierendesModell – das LQW (»LernerorientierteQualitätstestierung in der Weiterbildung«)– zurückgegriffen und dieses auf die Funk-tion und Situation hessischer landeseigenerFortbildungseinrichtungen spezifiziert.

Die Idee des lernerorientiertenQualitätsmodells

Prämissen von LQW

Das lernerorientierte Qualitätsmodell gehtvon folgenden Prämissen aus2:� Im Mittelpunkt aller Qualitätsbemühun-

gen steht »der Kunde, der Abnehmer re-spektive der Lerner« als Referenzgröße.

� Über die Sicherung eines erreichtenQualitätsstandards hinaus geht es um

die Weiterentwicklung »der Einrich-tung ... in einem ständigen Prozess aus-gehend von sich verändernden Umwelt-bedingungen«.

� LQW ist geprägt von einer wertschätzen-den Grundhaltung, aus der heraus sowohl»große (wie) kleine Organisationen«gleichermaßen angesprochen werden, in-dem »eine einrichtungsindividuelle Aus-füllung der Anforderungen und eine spe-zifische Justierung des Modells möglich«ist. Dies bedeutet jedoch nicht Beliebig-keit. Die definierten Anforderungen gel-ten für alle Einrichtungen, Flexibilität be-steht hinsichtlich der spezifischenGestaltung, wie sie erfüllt werden.

� Durch die Synthese von Selbstreportund Fremdevaluation entsteht eineGleichwertigkeit zwischen einem selbstgesteuerten Organisationsentwicklungs-prozess und einer gleichermaßen begut-achtenden und beratenden Außensicht.Im Sinne einer von der Organisationselbst verantworteten und auch nurselbst verantwortbaren Entwicklungträgt der Prozess der Erstellung des vonLQW verlangten Selbstreports zu einerintensiven eigenen Betrachtung bei, die,das zeigen bisherige Erfahrungen3, überden Qualitätsentwicklungsprozess weithinaus reicht. Gleichzeitig spiegelt dasGutachten, das neben dem formalenTeil einen umfangreichen Anteil an be-ratender Betrachtung enthält, der Orga-nisation ihren Selbstreport wider undlenkt damit den Blick etwa auf blindeFlecke oder selbst nicht wahr genom-mene (Entwicklungs-)Potenziale.

Qualitätssicherung in Weiterbildungseinrichtungen

Seit geraumer Zeit wird im Bereich derWeiterbildung der Qualitätsentwicklung undsicherung ein besonderer Wert beigemessen.

Standardisierte, für andere Branchenentwickelte Qualitätsmodelle wie ISO9000ff oder EFQM erfüllen nicht die spe-zifischen, an eine Weiterbildungseinrich-tung zu stellenden Anforderungen. Undauch regional wirksame Qualitätssiegelentfalten mehr einen Marketing- und Ima-geeffekt, als dass sie die Qualitätsentwick-lung einer Einrichtung fördern.

Mit LQW wurde kein neues Verfahrenerfunden, sondern »vorhandene Entwürfe

Qualitätsmanagement in der Weiterbildung als Bestandteil des neuen Steuerungsmodells

294

1 ArtSet: Lernerorientierte Qualitätstestierung inder Weiterbildung – Das Handbuch, Hannover2004.

2 Vgl. ebenda, S. 8.3 Vgl. dazu Matzen, J./Flörken-Erdbrink, H.:

»Das hört nicht auf. Nie hört das auf«; in:Zech, R. (Hrsg.): Qualität durch Reflexivität,Hannover 2004, S. 51 ff.

Bild 1: Kontinuierliche Qualitätsentwicklung

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und Strategien zu einem einheitlichen Sy-stem«4 gebündelt, verdichtet und weiter ent-wickelt. Neben den oben genannten Prämis-sen des Modells wurde bei der Entwicklungdie Erkenntnis berücksichtigt, dass es inBildungsprozessen eine Differenz zwischenVermittlung und Aneignung gibt.

Bildung, so die entscheidende Aus-gangsüberlegung, ist kein Produkt undauch keine Dienstleistung. »Bildung istdas Ergebnis einer subjektiv begründetenLernanstrengung eines Individuums. Ler-nen mag intersubjektiv vermittelt sein,bleibt aber immer die selbst gesteuerte Ak-tivität des Lernsubjekts« (Zech/Braucks).

Weiterbildungseinrichtungen bietenalso keine Bildung an, so Zech/Braucks,»sondern die infrastrukturell und interper-sonell unterstützte Möglichkeit, sich zubilden«. Sie machen Bildungsangebote,»ob und wie jemand dieses Angebot an-nimmt, liegt nicht in ihrer Hand. Auch istnicht sicher gestellt, ob ein Kunde, der aneinem Angebot teilnimmt, aus dem ihmAngebotenen ein Lernergebnis erarbeitet –und wenn er dies tut, wie dieses Lerner-gebnis aussieht«.

Vor dieser Überlegung wurde LQW ineinem Pilotprojekt der Bund-Länder-Kom-mission im Auftrag des Bundesministeri-ums für Bildung und Forschung vom Insti-tut ArtSet in Hannover entwickelt, erprobtund gemeinsam mit dem Deutschen Insti-tut für Erwachsenenbildung evaluiert.LQW ist als relevantes Qualitätsmanage-mentsystem offiziell anerkannt.

Das Qualitätsentwicklungs- undTestierungsmodell

Wie bereits erwähnt, verbindet LQW eineSelbstevaluation der (Weiter-)Bildungsein-richtung in Form eines Selbstreports miteiner Fremdevaluation in Form einer Be-gutachtung des Selbstreports durch zweiGutachter. Mit der Testierung durch dieunabhängige Testierungsstelle ist der Qua-litätsprozess nicht beendet. Die Fort-führung ist bereits vorgezeichnet, indemdie Einrichtung strategische Entwicklungs-ziele definiert. Diese sind Basis des näch-sten Qualitätskreislaufs, der wiederum miteiner (Re-)Testierung endet.

Alles dreht sich um das gelungene Lernen

Der gesamte Qualitätsentwicklungsprozessnach diesem Modell geht von einer von derEinrichtung selbst formulierten Definitiongelungenen Lernens aus. Die Einrichtungarbeitet heraus, »warum ein bestimmterProzess in welcher Weise die Bedingungenfür gelungenes Lernen der Teilnehmenden

verbessert« (Zech/Braucks). Dazu werdennicht für alle gleiche Standards, jedoch ein-heitliche Anforderungen gesetzt. Entschei-dend ist, dass jede Einrichtung in ihremUmfeld, unter ihren Bedingungen, mitihrem Auftrag »begründet das tut, was inihrem besonderen Fall der Verbesserungder Bildungsbedingungen dient« (Zech/Braucks).

Diese Definition dient im Weiteren alsAusweis des Selbstverständnisses der Wei-terbildungsorganisation gegenüber denKunden und »als Fokus aller Qualitätsan-strengungen, wenn nämlich weitere Maß-nahmen darauf hin zu begründen sind, wassie zur Verbesserung des Lernprozessesbeitragen« (Ehses/Zech).

Eingeblendet ist die Definition gelunge-nen Lernens in das Leitbild der Weiterbil-dungseinrichtung als eine »organisations-intern vereinbarte Selbstbeschreibung, (die)in der Lage ist, die Operationen des Sy-stems anzuleiten. Das Leitbild muss vonaußen als Profil der Organisation erkenn-bar und von innen erlebbar sein.«5

Die Qualitätsbereiche von LQW

LQW ist in Schichten aufgebaut. Um denKern der Definition gelungenen Lernensherum ranken sich im Sinne der Ermögli-chung von Lernen von innen nach außendie Qualität des Lehrens, der Lerninfra-struktur und der Organisation. Diese vierEbenen werden operationalisiert in den zubearbeitenden Qualitätsbereichen, die ih-

rerseits einer oder ggf. auch mehreren derEbenen zugeordnet werden können. AlleQualitätsbereiche stehen gleichwertig ne-beneinander, müssen bearbeitet und dieErfüllung der Anforderungen im Selbstre-port beschrieben werden

Da sich die Anforderungen der weiterenzehn Qualitätsbereiche auf das Leitbildund die Definition gelungenen Lernens be-ziehen, können sie sinnvoll erst entwickeltwerden, wenn diese vorliegen.

Die Relevanz des lerner-orientierten Qualitätsmodells inder Weiterbildung

Zurzeit (November 2006) sind 548 Weiter-bildungseinrichtungen, davon 17 aus Öster-reich, bei LQW angemeldet. Der größteTeil hat den Testierungsprozess inzwischenerfolgreich durchlaufen, 2006 haben die er-sten sechs Einrichtungen das Retestierungs-verfahren erfolgreich absolviert. Die ange-meldeten Einrichtungen kommen aus allenBundesländern; es handelt sich um öffent-lich-rechtliche wie auch privatrechtlicheTräger der allgemeinen und der beruflichenWeiterbildung ganz unterschiedlicher Grö-ße und Struktur.6

Brigitte Reetz und Kurt U. Heldmann, Neue Verwaltungssteuerung und Fortbildung in Hessen

VM 6/2006 295

4 Ehses, C./Heinen-Tenrich, J./Zech, R.: Das ler-nerorientierte Qualitätsmodell für Weiterbil-dungsorganisationen; Hannover 2002, S. 8.

5 ArtSet, LQW-Handbuch.6 Eine aktuelle Liste gibt es unter http://www.

artset-lqw.de/html/organisationen.html.

Bild 2: Die Schichten des LQW-Modells

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Bisher testierte bzw. sich recht weit imVerfahren befindende Organisationen be-tonen den hohen Stellenwert, den der Pro-zess für die Qualitäts- und vor allem Orga-nisationsentwicklung hat.

Wie geht es weiter mit dem hessischen Projekt?

Zentrale Umsetzung in einer landesweiten Arbeitsgruppe

Als die hessischen Fortbildungseinrichtun-gen mit der Erarbeitung eines Qualitätsma-nagement-Konzepts begannen, waren dieexistierenden Qualitätsmodelle ISO 9000ff,EFQM und LQW bekannt. Dennoch wur-de ein eigener Weg eingeschlagen. Daswar notwendig, um sich zunächst der be-reits oben skizzierten Unterschiede, aberauch der Gemeinsamkeiten zu versichern.Denn mit einer systematischen Kooperati-on und der gemeinsamen Arbeit an einerThematik wurde Neuland betreten – bisdahin arbeiteten die Fortbildungseinrich-tungen weitgehend unabhängig voneinan-der. Des weiteren galt es herauszuarbeiten,welches denn die spezifischen Anliegenstaatlicher Fortbildungseinrichtungen sind,die – überwiegend – nicht am Markt ope-rieren, sondern einen gemeinsamenDienstherrn haben, der auch »Kunde« imSinne von Auftraggeber ist.

Nachdem die hessische ArbeitsgruppeQualitätskriterien für die verschiedenenAspekte von Fortbildung entwickelt hatte,waren bereits zahlreiche Übereinstimmun-gen mit LQW festzustellen. Insofern lag es

nahe, die Struktur und die »Philosophie«von LQW zugrunde zu legen und die hes-sischen Spezifika darin entsprechend abzu-bilden. Das konnte nicht zuletzt deshalbgut gelingen, weil LQW kein starres Kor-sett bildet, sondern »gewissermaßen einGefäß«, das mit den jeweiligen Ausprä-gungen der es nutzenden Einrichtungen»gefüllt« werden kann.

Dementsprechend sind die Qualitätsbe-reiche im hessischen Modell:1. Leitbild mit einer Definition

gelungenen Lernens2. Bedarfserschließung3. Schlüsselprozesse4. Lehr-Lern-Prozess5. Evaluation der Bildungsprozesse

5.1. Evaluation der Lehr-Lern-Prozesse

5.2. Transfer (Praxis/Arbeitsumfeld) 6. Infrastruktur7. Führung8. Personalentwicklung9. Kundenkommunikation

10. Controlling11. Strategische Entwicklungsziele

11.1. bezogen auf die Gesamt-organisation Hessische Landes-verwaltung

11.2. Qualitätsentwicklungsziele bezogen auf die Fortbildung

Um noch einmal zu den Ausgangsüberle-gungen zurückzukehren: Wie wird nun mitdiesem Konzept Belangen der neuen Ver-waltungssteuerung Rechnung getragen? ImHinblick auf den Aspekt Prozessqualitätliegt die Antwort auf der Hand. Das Qua-litätsmanagement-Konzept ermöglicht die

Durchleuchtung und Überprüfung allerProzesse der Konzeption und Organisationvon Fortbildung mit dem Ziel der Optimie-rung unter Kosten-Nutzen-Aspekten.

Und die Ergebnisqualität, also der inhalt-liche Nutzen für Beteiligte und Entscheider?Dieser liegt im gelungenen Lernen. Die Be-urteilung, ob Lernen gelungen ist, ist natür-lich kaum im Sinne des klassischen »Mes-sen, Wiegen, Zählen« feststellbar, sondernunterliegt einer subjektiven Beurteilung – daLernen ein individueller, subjektbezogenerAkt ist, kann das nicht anders sein. Die Be-urteilung innerhalb der hessischen Landes-verwaltung etwa ist aber in der Regel inter-subjektiv: das heißt, der Nutzen muss sichaus Sicht der Teilnehmenden, aus Sicht vonderen Vorgesetzten und aus Sicht des Auf-traggebers einstellen und wird letztlich ausdiesen drei Perspektiven bewertet.

Neben der Quantität stellt die Qualitätdie zweite Stellgröße bei der Aufstellungdes Produkthaushalts dar. Das Qualitäts-modell bietet eine fundierte Entschei-dungsgrundlage für die Antwort auf dieFrage, in welcher Qualität die Leistungenerbracht werden sollen.

Das weitere Verfahren in Hessen

Nachdem das Konzept »Qualitätsmanage-ment in der Hessischen Fortbildung« imJuni 2005 offiziell vom Hessischen Kabi-nettsausschuss Verwaltungsreform undVerwaltungsinformatik beschlossen wur-de, wird seit September 2005 mit der Um-setzung begonnen. Begleitet und gesteuertwird der Umsetzungsprozess durch einezentrale Arbeitsgruppe aller am Prozessbeteiligten Aus- und Fortbildungseinrich-tungen mit Unterstützung durch ProfessorDr. Zech, einen der »Väter« von LQW. Dadas hessische Konzept eine externe Testie-rung nicht zwingend vorsieht, tritt durchdiese Arbeitsgruppe faktisch eine Intervisi-on der Prozesse und ihrer Ergebnisse alsandere Form der Fremdevaluation an dieStelle der externen Gutachtersicht.

Dezentrale Umsetzung in den Fortbildungseinrichtungen

Normierte Standards, Offenheit in derUmsetzung

Eine besondere Stärke von LQW wie auchdes daran angelehnten hessischen Qua-litätsmodells besteht in der Gleichzeitig-keit von Vergleichbarkeit der Einrichtun-gen einerseits und hohem Gestaltungs-spielraum bei der Umsetzung andererseits.Die Vergleichbarkeit wird durch einheitli-che Anforderungen gewährleistet, die vonjeder Einrichtung erfüllt werden müssen.

Qualitätsmanagement in der Weiterbildung als Bestandteil des neuen Steuerungsmodells

296

Bild 3: Die Prozessorganisation und Leitfragen für den QM-Prozess

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Ein Beispiel: Im Qualitätsbereich »Be-darfserschlie-ßung« lautet die Anforderung:»Die Einrichtung führt regelmäßige Bedarf-sanalysen durch und bedient sich dabei ge-eigneter Instrumente.« Dies bedeutet, 1. Be-darfsanalysen durchzuführen, 2. dies regel-mäßig zu tun, 3. dazu geeignete Instrumente(da Mehrzahl, mindestens zwei) entwickeltzu haben und diese 4. einzusetzen.

Wie sie dies tut, und darin besteht dieAusgestaltungsmöglichkeit, ist allein derEinrichtung überlassen. Sie definiert dieRegel, nach der sie die Bedarfsanalysendurchführt und – das ist wichtig – begrün-det, warum sie dies so tut. Es gibt dabeikein generelles »Richtig« oder »Falsch«.Während zum Beispiel die eine Einrich-tung begründet, dass für ihr Klientel jährli-che Bedarfsanalysen erforderlich sind,können es bei einer anderen völlig andereRhythmen sein. Gleiches gilt auch für dieInstrumente, die eingesetzt werden, zumBeispiel Telefonbefragungen bei (potenzi-ellen) Auftraggebern, Fragebogenaktionen,Marktanalyse durch Dokumentenauswer-tung, Benchmarking usw. Welche derdenkbaren Instrumente und Verfahren eineEinrichtung für ihre Zwecke für sinnvollhält, entscheidet sie allein. Sie sollte sichdafür die »richtigen« Fragen stellen. Bild 3bietet Leitfragen, die helfen können, eineorganisationsspezifische Begründung zuerarbeiten.

Ein starres Modell wäre bei der Diffe-renziertheit seiner Adressaten nicht umsetz-bar. Ein Fortbildungsreferat in einem Mini-sterium unterscheidet sich ebenso deutlichvon einem Verwaltungsseminar wie einePolizeischule von der am Markt agierendenIT-Fortbildung der Hessischen Zentrale fürDatenverarbeitung. Und trotzdem sind siealle interne Fortbilder, für die das LandQualitätsstandards setzt. Aber auch inner-halb einer Einrichtung bedeutet die Offen-heit des Modells eine Stärke.

Zum Beispiel das Amt für Lehrerbil-dung (AfL): Dort sind, das stellt eine Be-sonderheit dar, alle drei Phasen der Lehrer-aus- und -fortbildung verzahnt, die univer-sitäre erste Phase, die zweite während desVorbereitungsdienstes und die dritte be-rufsbegleitend. Das hessische Qualitätsmo-dell betrifft unmittelbar nur die Angebotedes AfL zur Fortbildung, also der drittenPhase. Aber selbstverständlich wird ein sy-stematisches Qualitätsmanagement in ei-nem Teil des Amtes, den Fortbildungsde-zernaten und Tagungsstätten, auch auf dieübrigen Bereiche ausstrahlen. Die meistender Anforderungen sind durchaus auch imAusbildungsbereich realisierbar, allerdingshäufig mit anderen Instrumenten oder dif-ferenzierter Praxis. Dies zu tun, erlaubt dasModell. Das heißt, die verbindliche Um-

setzung im Fortbildungsbereich könnteganz im Sinne der neuen Verwaltungs-steuerung als Initialzündung zu einemganzheitlichen Qualitätsmanagement überalle Bereiche bis hin zu den internenDienstleistern (zum Beispiel Verwaltung,Serviceeinheiten) führen.

Definierte Meilensteine, offene Prozessgestaltung

Eine weitere Stärke stellt die Prozessarchi-tektur dar. Festgelegt sind einige Meilen-steine, wie die Verpflichtung, 2007 einenUmsetzungsbericht vorzulegen, und dieDreischrittigkeit in der Vorgehensweise:� Definition des organisationspezifischen

Referenzrahmens der Qualitätsentwick-lung mit dem Leitbild und der Definiti-on gelungenen Lernens

� Bearbeitung der Anforderungen derQualitätsbereiche

� Formulierung strategischer Entwick-lungsziele.

Das Leitbild an den Anfang und die strate-gischen Entwicklungsziele an das Endedes Prozesses zu stellen, ist, wie in denDarstellungen zum Modell Lernerorien-tierte Qualitätstestierung in der Weiterbil-dung beschrieben, sinnvoll. Der Bearbei-tungsprozess der übrigen Qualitätsbereichehingegen ist der Einrichtung freigestellt.Das trifft auf die Reihenfolge ebenso zuwie auf Projektstruktur, -steuerung und-realisierung.

Sinnvoll ist jedoch, mit einer Bestands-aufnahme zu beginnen. Die Erfahrungzeigt, dass circa achtzig Prozent der Anfor-derungen längst erfüllt werden. Der Ge-winn für die Einrichtung besteht darin,sich dieser Potenziale selbst zu vergewis-sern, die Instrumente und Verfahren zu be-schreiben und zu systematisieren.

Im zweiten Schritt können dann dienoch fehlenden Anforderungen bearbeitetwerden, indem dafür geeignete Verfahrenentwickelt, eingeführt und ausgewertetwerden. Dies kann parallel oder sequenti-ell bearbeitet, zentral oder dezentral ge-steuert werden. Wichtig sind jedoch eineLeitung, die offensiv die Gesamtverant-wortung übernimmt und eine professionel-le Projektstruktur und Prozesssteuerung.

Nach dem Motto »Wie esse ich einenElefanten? – In kleinen Häppchen!« kannso dieses durchaus anspruchsvolle und her-ausfordernde Projekt erfolgreich abgear-beitet werden, ohne dass es im Kernge-schäft Fortbildung zu Beeinträchtigungenkommt. Im Gegenteil, vermutlich werdendie Kunden bereits lange, bevor der Selbst-report geschrieben ist, die Erfolge desQualitätsmanagement spüren – und genaudazu soll der Prozess dienen.

Brigitte Reetz und Kurt U. Heldmann, Neue Verwaltungssteuerung und Fortbildung in Hessen

VM 6/2006 297

Aktueller Stand und Perspektive der Governance-Forschung

Governance-ForschungVergewisserung über Stand und EntwicklungslinienHerausgegeben von Prof. Dr. Gunnar Folke Schuppert, Wissen-schaftszentrum Berlin für Sozial-forschung2. unveränderte Aufl age 2006, 469 S., brosch., 69,– € ISBN 3-8329-2149-4(Schriften zur Governance-Forschung, Bd. 1)

»Governance« ist das sozialwis-senschaftliche Modethema par excellence. Der Band untersucht disziplinenübergreifend den Stand der Forschung. Dabei werden Go-vernance-Strukturen in wichtigen Politikbereichen vorgestellt von Internet-Governance bis zu Gover-nance von Finanzmärkten. Zukünf-tige Entwicklungslinien werden bereits aufgezeigt.

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Überarbeitungen von Prüfungsordnungenund Studienplänen reichen nicht aus, umEntwicklungsnotwendigkeiten von Bil-dungssystemen und -prozessen gerecht zuwerden. Curriculumreformen vollziehensich nicht nur als Weiterentwicklung vonStudienplänen, Prüfungsordnungen, Lei-stungsanforderungen und -kontrollen, son-dern mehr noch als Reformen der Einstel-lungs- und Verhaltensmuster sowie der all-täglichen Beziehungen zwischen Lernendenund Lehrenden, Mitarbeitern und Vorge-setzten.

Dies erfordert Bereitschaft zur stetigenPersönlichkeits- und Kommunikationsent-wicklung bei allen Beteiligten. Anders istkontinuierliche und nachhaltige Qualitäts-verbesserung nicht zu haben. Oberste ge-meinsame Lernziele: Professionalität, Au-tonomie, Kreativität, Initiative, Kompe-tenz, aber auch Kollegialität, sowieVerantwortungs- und Solidarisierungsbe-reitschaft stärken. Autonomie am Arbeits-platz entsteht durch die Fähigkeiten, Ler-

nen, Arbeiten und Kommunikation – mög-lichst ohne Druck von Dritten – selbst zuorganisieren, sich selbst ein Urteil zu bil-den, Entscheidungen zu treffen und ihreUmsetzung qualifiziert zu bewerkstelligen.

Curriculum

Das Curriculum > lateinisch curriculum =(Zeit-)ablauf. In der Pädagogik meint Cur-riculum die Gesamtprozesse kollektivenLernens, die sich vollziehen zwischen:Lernenden, Lehrenden, Vorbildern, Leit-bildern, Studienplänen, Lernzielen, Lern-inhalten, Lerngegenständen, Lernstörun-gen, Methoden, Veranstaltungsformen,Medien, Evaluierungen, wechselseitigerKritik, methodenabhängigen und lernziel-orientierten Lernkontrollen, Prüfungsord-nungen, Prüfungen, Verwertungsperspekti-ven, gesellschaftlichem Umfeld sowieselbst- und fremdgesteuerten Rückkoppe-lungsprozessen ...

Diese Elemente und die komplexen Be-ziehungen zwischen ihnen konstituierendas System Curriculum. Jede Veränderunghat Konsequenzen für alle anderen Aspek-te und für das Gesamtsystem. Curriculum-reformen sind Eingriffe ins Curriculum,um die Beziehungen zwischen den einzel-nen Aspekten neu zu gestalten. Sie setzenauch an Studienplänen an, finden aber be-sonders durch tägliche Praxis von Lehren-den und Lernenden, Vorgesetzten und Mit-arbeitern statt.

Interdependenzen

Exemplarisch sei hier auf einige Elementedes Systems Curriculum und ihre Bezie-hungen eingegangen:� Neue Lernziele benötigen verändertes

Lern- und Lehrverhalten sowie neueFormen von Lernkontrollen. Inhaltlicheund methodische Lernziele entfaltensich nicht unabhängig, sondern durch-dringen einander. Und: VerändertesLehr- und Lernverhalten erzeugt neueLernziele, ob sich die Beteiligten dessenbewusst sind oder nicht. Aufgabe alltäg-licher Curriculumentwicklung ist unteranderem, latente Lernziele bewusst zumachen, um sie erfolgreicher anstrebenoder gegebenenfalls auch meiden zukönnen. Die alles durchdringende Inter-dependenz ist das zentrale Charakteristi-kum curricularer, das heißt, systemi-scher Sichtweise. Die Kunst der Curri-culumanalyse und -reform besteht darin,diese Wechselbeziehungen aufzuspüren,sowie ihre Wirkungsrichtungen, Ver-stärkungen, Brechungen, Schwächungenzu erkennen, um entsprechend Einflussdarauf ausüben zu können. Dabei darfdem Abwesenden nicht weniger Auf-merksamkeit gewidmet werden als demVorhandenen. Hier spielt die Erfahrungmit Curriculumreformen eine Rolle undder Vergleich mit anderen Bildungssy-stemen.

Curriculumentwicklung und Persönlichkeitsentwicklung in der

Verwaltungsausbildungvon Hans-Peter Schwöbel

Von vielen, die mit Ausbildung zu Verwaltungskompetenzen befasstsind, wird auch nach vierzig Jahren weltweiter Curriculumentwick-lung Curriculum immer noch mit Studien- oder Lehrplan gleichge-setzt. Daraus ergeben sich negative Folgen für das Verstehen vonBildungs- und Ausbildungskrisen sowie Reformpotentialen und -zie-len.1 Nur der Paradigmenwechsel von der Überarbeitung von Lehr-plänen zur Transformation kollektiver Lernsysteme hat in den 60er,70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts den Begriff Curricu-lum weltweit etabliert und legitimiert.

Dr. Hans-Peter Schwöbel ist Professorfür Soziologie an derFachhochschule desBundes für öffentlicheVerwaltung sowieSchriftsteller und Kabarettist in Mannheim.

Eine Neubetrachtung von Lernzielen und Schlüsselkompetenzen

298 Verwaltung und Management12. Jg. (2006), Heft 6, S. 298-306

1 Zu Fragen von Curriculumreform der Verwal-tungsausbildung s. auch: Susanna Martinez,Hans-Peter Schwöbel: Persönlichkeitsent-wicklung und Verwaltungsreform. Professio-nalität, Selbstbewusstsein und Kompetenz inöffentlicher Verwaltung. Übergreifende Lern-zielkomplexe. Verwaltung & Management,11/12 95 und 1/96. Heinz-Peter Gerhardt,Hans-Peter Schwöbel (Hrsg.): Verwaltungsre-form. Stichworte, Einwürfe, Argumente.Brühl, 1996. ISBN 3-930732-22-X.Hans-PeterSchwöbel: Verwaltungsreform als Bildungsre-form. Verwaltung & Management, 5/6 und7/8, 1997.

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� Medien, Methoden, Veranstaltungsfor-men, Evaluierungsprozesse und wech-selseitige Kritik sind selbst Träger vonLernzielen. Meist wirken Lernziele, dieauf wissenschaftlich-methodische Kom-petenzentwicklung und auf Befähigungzu rationaler, professioneller Kommuni-kation und Selbstorganisation gerichtetsind, nachhaltiger als inhaltlich-fachli-che. Unter den gegenwärtigen Bedin-gungen technologischer Revolution undfortwährenden Wandels von Aufgaben-zuordnung und Organisationsstrukturen(Privatisierung, Dezentralisierung, Aus-lagerung von Aufgaben... – und immerwieder Umkehrung dieser Prozesse)verändern oder verlieren letztere oftrasch ihre Bedeutung.

� Besonders der alltägliche Umgang mit-einander sowie mit Aufgaben und Pro-blemen löst Lernen aus und führt offenoder latent auf Lernziele zu. Und nichtnur unsere Handlungen tragen Lernzie-le, auch unsere Unterlassungen. In ei-nem Milieu, in dem nicht kooperiertwird, lernt man hervorragend »Nicht-Kooperieren«. In einem Umfeld, in demKritik nicht willkommen geheißen wird,lernt man, den Mund zu halten. Dasheißt, Curriculum Entwickeln verlangtmehr als alles andere stetiges Reflektie-ren, Analysieren, Evaluieren und Kriti-sieren der selbst- und fremderzeugtenVorgänge und Gegebenheiten. Hierin zuführen, und diese Funktionen nicht ab-zuwehren, gehört zu den vornehmstenAufgaben eines jeden Wissenschaftlersund Pädagogen, ganz gleich, für wel-ches Bildungssystem und in welcherDisziplin er seinen Dienst tut.

� Neue Zielgruppen verlangen anderenUmgang mit Medien, Methoden und In-teraktionsformen. So hat sich in der Zu-sammensetzung der Lernenden in den25 Jahren des Bestehens der Fachhoch-schule des Bundes für öffentliche Ver-waltung im Fachbereich Bundeswehr-verwaltung ein starker Wandel vollzo-gen. Während weibliche Studierende inden ersten Jahren weniger als dreißigProzent eines Jahrgangs stellten, hatsich das Verhältnis zwischen den Ge-schlechtern inzwischen umgekehrt. Da-mit einhergehend sank das Durch-schnittsalter der Studierenden. Da jungeFrauen im Allgemeinen ihr Lernen pro-blem- und sachorientierter, verlässli-cher, eigenständiger, interaktiver und imHinblick auf Klausuren und Prüfungenweniger opportunistisch gestalten alsihre männlichen Kollegen, ergibt sichalleine daraus eine gestärkte Perspektivefür Gruppenarbeit, Rollenspiele, hand-lungs- und themenorientierte Projekte

und andere Formen selbst gesteuertenund recherchierenden Lernens.

� Studienpläne sind nicht das ganze Curri-culum, aber insofern wichtig, als in ih-nen bestimmte Lernziele, Lerninhalte,Intensitätsstufen, Lerngegenstände, Ver-anstaltungsformen festgeschrieben sind.Zentrale Aufgabe von Studienplänen ist,die Spannung zwischen Stabilität undFlexibilität in kollektiven Lernprozessenzu organisieren. Lernziele sind dabei alsSollens- bzw. im Idealfall als Willenser-klärungen im Hinblick auf Wissens-,Verstehens-, Einstellungs- und Hand-lungskompetenz-Entwicklungen ver-fasst: »Die Studierenden sollen...«, bes-ser natürlich, wenn daraus aus der Sichtder Studierenden wird, »ich will...«. Erstvon nun an reden wir völlig zu Rechtvon Lern- statt von Lehrzielen.Lernziele sind in der Regel relativ allge-mein gefasst, aber verbindlich. Die zuden Lernzielen führenden Lerninhalteund Lerngegenstände dagegen sind mög-lichst konkret und spezifisch zu be-

schreiben, können aber durch andereThemen und Stoffe ersetzt werden. Bei-spiel zu Beginn des Studiums: Die Stu-dierenden sollen/wollen ihre Lernkom-petenz verbessern. Lerninhalt diesesLernabschnittes ist das Lernen selbst,Lerngegenstand ist der Aufsatz »Prü-fungsangst – was tun?«2. ZwischenLernzielen, Lerninhalten und Lerngegen-ständen vollzieht sich eine Entwicklungvom Allgemeinen zum Spezifischen undvom Abstrakten zum Konkreten. Das Lernziel »Verbesserung der eigenenLern- und Arbeitskompetenz« kann undsollte aber auch in allen anderen Fächernmit deren Lerninhalten und Lerngegen-ständen angestrebt werden. Es gibt keineDisziplin, die von dieser Aufgabe ent-bunden wäre. Das setzt voraus, dassLehrende auch für sich an den entspre-chenden Fähigkeiten weiterarbeiten. Vorallem: Aktualisierung in den FeldernWissenschaftstheorie und wissenschaftli-che Methodenlehre, Aneignung undUmsetzung systemtheoretischer Ansätze,Curriculumentwicklung, Didaktik undMethodik des eigenen Fachs sowie kun-diger und produktiver Umgang mit denmodernen Medien Computer, Internet

etc. Hinzu kommt die Notwendigkeit,seine Allgemeinbildung aktiv weiterzu-entwickeln, eingedenk der Mahnung, dieverschiedenen Autoren zugeschriebenwird: »Wer nur etwas von Physik ver-steht, versteht auch davon nichts...« ent-sprechend: »Wer nur etwas von Recht ...,von Verwaltung etc. versteht ...«Genauso lassen sich bestimmte Lernzie-le in den verschiedenen Lernfeldern vonÖkonomie, Recht, Organisation oder an-deren Gebieten von Verwaltungshandelnmit unterschiedlichen Lerninhalten undLerngegenständen anvisieren. Es gehörtzum professionellen Geschick, zur Er-fahrung und zum Vorbereitungsaufwandseitens der Dozenten, fachspezifisch,aber auch fächerverbindend, herauszu-finden, welche Lerninhalte, Lerngegen-stände, Medien, Methoden, Handlungs-muster, Projekte und Interaktionsformenbestimmte Lernziele tragen bzw. welcheLernziele die Auswahl bestimmter Lern-inhalte, Lerngegenstände, Methoden etc.nahelegen.

Wissenschaft und Kunst

An Verwaltungshochschulen wird verschie-dentlich immer noch zwischen wissen-schaftlichen und nicht-wissenschaftlichenFächern unterschieden. Das ist Unfug. DieAlternative zur wissenschaftlichen Verfas-sung von Erkennen und Wissen ist das Ge-schwätz. Es gibt in der Verwaltungsausbil-dung kein Thema, das sich dem Bemühenum Wissenschaftlichkeit entziehen darf.

Vom Postulat Wissenschaftlichkeit alsGrundlage von Verwaltungsausbildungmöchte ich nur eine Ausnahme gelten las-sen, nämlich die Kunst, respektive dieKünste. Künste sind hochkarätige Erkennt-nis- und Gestaltungsprozesse, die teilweiseanderen Prinzipien und Regeln folgen alswissenschaftliches Erkennen. Ich zögerenicht, ihnen in einer Verwaltungsausbil-dung, die Professionalisierung durch Per-sönlichkeitsentwicklung anstrebt, einen

Hans-Peter Schwöbel, Curriculumentwicklung und Persönlichkeitsentwicklung in der Verwaltungsausbildung

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»Studienpläne reichen nicht aus, um Entwicklungsnotwendigkeiten von Bildungssystemen gerecht zu werden.«

2 Schwöbel, Hans-Peter: Prüfungsangst – Wastun? Überwindung von Arbeitsstörungen undVerbesserung von Lernverhalten. In: Unter-richtsblätter für die Bundeswehrverwaltung5/1998. R. v. Decker’s Verlag Hüthig. Heidel-berg.

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wichtigen Platz einzuräumen. Warum soll-ten Verwaltungshochschulen nicht überOrchester, Chöre, Theatergruppen, Kaba-retts, Tanzgruppen, Foto-Workshops, Kü-chenkünstler etc. verfügen? Der potentielleBeitrag solcher Aktivitäten zu einer positi-ven Persönlichkeitsentwicklung kann kaumüberschätzt werden. Der Bereitschaft, überden Tellerrand zu blicken und sich fürDinge zu interessieren, die nichts mit Ver-waltung zu tun haben, sollte schon in denEinstellungsverfahren Beachtung ge-schenkt werden und ganz besonders imAlltag der Hochschule. Ich würde mu-sisch-künstlerischen (auch handwerkli-chen) Interessen und Initiativen keinenaußer-curricularen Status zuweisen, son-dern sie als integrierten Teil des Curricu-lums begreifen.

Projekt: Wir erkunden die Kurpfalz

Seit mehreren Jahren offeriere ich meinenStudierenden in zwei Folgen das Projekt»Wir erkunden die Kurpfalz«. Im Grund-studium Projekt 1, das in den Hauptstudien

mit anspruchsvolleren und aufwändigerenExkursionen fortgesetzt wird.

Was sich liest wie eine schlecht ka-schierte Einladung zu netten Ausflügen,erweist sich als praxisrelevant und lern-zielträchtig: Die Studierenden sollen (wol-len!) ihre Organisations- und Kommunika-tionskompetenz entwickeln.

Zwei bis drei Studierende übernehmendie Organisation einer Exkursion. Von mirerhalten sie die komplette Adresse einesAnsprechpartners. Ihre Aufgabe bestehtnun darin, mit diesem Kontakt aufzuneh-men und Details des Ausflugs zu verabre-den und zu planen. Darüber hinaus sollensie weitere Informationen über das Ziel be-schaffen (incl. Voraus-Tour und Suche imInternet) und den Teilnehmern des Wahlfa-ches zugänglich machen. Auf diesem Wegekommen ganze Informationshefte bzw.CD-Roms zustande. Die Leitungsgruppe istfür den Transport zum Ziel und zurück ver-antwortlich. Auftretende Schwierigkeitenmüssen die Studenten selbst meistern. Sieverfassen qualifizierte Einladungen an dieanderen Projektteilnehmer, die auch demProjektpartner und verschiedenen Mitarbei-

tern in der Hochschulverwaltung zugehen.Diese Einladungen müssen hohen An-sprüchen im Hinblick auf Informationsge-halt, Sprache, Prägnanz und Ästhetik genü-gen. Bei der Begegnung selbst stellt dieLeitungsgruppe die Teilnehmer des Projek-tes und unsere Partner, die uns an Ort undStelle führen, einander vor. Ich halte michim Hintergrund und greife nur in Ausnah-mefällen ein.

Über die Ausflüge wird in der Studen-tenzeitschrift »Argus« und im Intranet derBundeswehrverwaltung berichtet. Sie wer-den sorgfältig ausgewertet, und es gibt ei-nen Nachkontakt zum jeweiligen Partner,eingedenk der Tatsache, dass die deut-schen Tätigkeitswörter denken und dankenaus der selben Sprachwurzel wachsen.Lernziele, zusätzliche Informationen undFotos, die auf den Reisen entstehen, wer-den auf CD-Rom gebrannt, jedem Teilneh-mer ausgehändigt und unseren Partnernzugeschickt. All dies machen die Studie-renden in eigener Regie. Entsprechendgroß ist die Befriedigung bei allen Betei-ligten. Besonders unsere Partner reagierenerfreut und stolz, wenn nach mehrerenWochen ein Nachkontakt erfolgt und sie

mit der CD-Rom einen eindrucksvollenBeweis für ihre Arbeit in Händen halten,den sie auch Dritten zeigen können.

Neben den Lernzielen »Steigerung derOrganisations- und Kommunikationskom-petenzen« spielen auch Lernziele im Hin-blick auf soziologische Erkenntnisperspek-tiven eine Rolle. Beispiele aus den letztenJahren: – Jüdische Gemeinde Mannheim,Synagoge, jüdischer Friedhof. – SultanSelim Moschee in Mannheim. – Evangeli-sche Hafenkirche in MA-Jungbusch incl.Gang durch den Jungbusch und Hafen-rundfahrt mit dem Boot der Schifferseel-sorge. Der sehr multinationale Jungbuschist aus soziologischer Sicht einer der inter-essantesten Stadtteile Mannheims. – Rö-mer-Stadt Ladenburg: Politik, Verwaltungund Geschichte einer der ältesten deut-schen Städte. – Prinzhornsammlung inHeidelberg: Bilder und Skulpturen psy-chisch kranker Menschen; Fahrt mit demSolar-Katamaran auf dem Neckar; Philo-sophenweg und Heiligenberg; Schloss. –Worms: Dom, Reformationsdenkmal, Jü-discher Friedhof. – Speyer entsprechend. –Hambacher Schloss mit Führung durch die

Geschichte plus Gang durch die NeustadterInnenstadt (unter anderem Elwedritsche-Brunnen). – Schönau bei Heidelberg: Kir-chen und Klosteranlagen plus an-schließendem Essen in einem deutsch-in-dischen Restaurant. – Begegnung mit demblinden Hobby-Historiker Fritz Hartmannin Schriesheim; er verfügt über ein legen-däres Gedächtnis und kann den Studieren-den viele Details aus dem Alltag in derKurpfalz der letzten siebzig Jahren vermit-teln.3 – Luisenpark Mannheim, Führungmit Blick hinter die Kulissen: Administra-tion, Ökonomie und Technik einer bedeu-tenden Parkanlage. – Saint Gobain GlassDeutschland GmbH (Spiegelfabrik), MA-Luzenberg als Beispiel einer besonders tra-ditionsreichen Industrieansiedlung. – Land-wirtschaftliche Betriebe. – Einrichtungen,die über alternative Energiebasen verfügen.– Führung über den Hauptfriedhof Mann-heim: Geschichte, ökologische Funktion,Spiegel sozialen Wandels.

Wir begegnen auf unseren Ausflügensowohl der klassischen Kurpfalz mit tiefenBlicken in die Jahrhunderte (besonders La-denburg, Heidelberg, Speyer, Worms,Mannheim), als auch jenen Milieus, in de-nen sich eine stark multinationale undmultikulturelle Dynamik ausgeprägt hat. InMannheim leben heute 170 Nationen.

Ziel aus Sicht der Soziologie ist, die Ge-sellschaft und das Land, denen unsere Stu-dierenden dienen sollen, an besonderen Bei-spielen kennen – und schätzen zu lernen.Wer Deutschland mit Herz und Verstanddienen will, sollte dieses Land in seinertatsächlichen Vielfalt kennen. Die meistenunserer Studierenden haben in ihren Hei-matregionen zuvor Orte, wie die oben ge-nannten, noch nicht besucht und erlebenentsprechende kognitive und emotionaleLerneffekte, die sie in aller Regel offenermachen und zur aktiven Neugierde gegen-über deutscher und europäischer Kultur imAllgemeinen animieren und ihrer Heimatre-gionen im Besonderen. Regelmäßig höreich Studierende fragen, warum haben unse-re Lehrer das nicht mit uns gemacht, nach-dem wir die Jüdische Gemeinde in Mann-heim oder die Moschee besucht haben.

Als besonders beglückende Rückmel-dung erlebe ich, wenn Teilnehmer des Pro-jektes sich anregen lassen, sich in ihrerDienst- oder Heimatregion stärker umzu-sehen, um von deren Schönheiten, Beson-derheiten und Problemen zu berichten,teilweise gestützt auf Informationsmappen,die sie zu diesem Zwecke zusammenstel-

Eine Neubetrachtung von Lernzielen und Schlüsselkompetenzen

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3 Von ihm erschien 2005 eine beeindruckendeDoppel-CD: Kriegsende und Befreiung inSchriesheim. Zeitzeuge Fritz Hartmann er-zählt. www.henhouse-music.de.

»Immer noch zwischen wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Fächern zu

unterscheiden, ist Unfug.«

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len, ohne dafür Leistungsscheine zu erwar-ten.� Lern- und Arbeitsstörungen und ihre

Überwindung bilden besonders wichti-ge Punkte im Spannungsfeld curricula-rer Entwicklungen, ohne dass sie inStudienplänen oder vergleichbaren Do-kumenten auch nur auftauchen würden.Die Fähigkeit, sie zu erkennen, zu ana-lysieren und zu überwinden, gehört zuden wichtigsten Zielen selbst gesteuer-ter Professionalisierung. Es ist Aufgabe eines jeden Studieren-den, die entsprechenden emotionalenund kognitiven Anstrengungen selbst zuerbringen. Ihre Ausbilder und Lehrermüssen ihnen dabei aber helfen, keines-wegs nur in Fächern wie »Sozialwis-senschaftliche Grundlagen von Verwal-tungshandeln«. Ausbilder, Dozentenund das gesamte Bildungssystem müs-sen sich der Frage stellen, inwieweitvon ihnen Lern- bzw. Arbeitsstörungenausgehen und wie diese gegebenenfallsüberwunden werden könnten. Entspre-chende Fortbildung kann ebenso dazubeitragen wie wechselseitige Hospita-tion von Lehrenden, eine auf Qualitäts-verbesserung gerichtete Evaluierungebenso wie regelmäßige Kritik durchdie, die wir ausbilden.

»Es gibt keine andere vernünftige Erzie-hung als Vorbild sein, wenn’s nicht andersgeht, ein abschreckendes.«4

� Unter Vorbildern verstehe ich konkreteMenschen, denen andere nacheifern(können). Am Arbeitsplatz kann undsollte jeder Vorbild sein, unabhängigvon seinem Status. Von einigen aber istVorbild verbindlich zu erwarten – es zusein, ist Teil ihrer Fachkompetenz imengeren Sinne. Dies ist von allen zuverlangen, die pädagogisch tätig sind:Lehrer, Erzieher, Ausbilder, Dozentenetc. Sie haben nicht das Recht, keinVorbild sein zu wollen. Die Vorbild-funktion gehört in diesen Tätigkeitenzum professionellen Einstellungs-, Ver-haltens- und Methodenrepertoire. Wird hier Unfehlbarkeit im pädagogi-schen Alltag erwartet? Keineswegs.Auch bei bestem Bemühen machen wirFehler genug. Wir können uns vollkom-men sicher fühlen vor den Gefahren derVollkommenheit. Wogegen ich michwende, ist die Neigung, unter demSchutz von Sätzen wie »Nobody is per-fect!«, »Das darf man nicht so eng se-hen!«, »Ich bin halt so!« sich selbst Ge-neralabsolution zu erteilen. Wir solltenden schlechten Gewohnheiten, der un-zureichenden Vorbereitung und unserenFehlern nicht den Status der Standard-variante einräumen oder sie gar als Sta-

tusprivileg verstehen, sondern in all un-serer Unvollkommenheit zu überwin-den trachten.Unsere Studenten werden nicht so höf-lich, freundlich, kritisch, integer, ver-bindlich, frustrations- und korruptionsre-sistent, kreativ und verantwortungsbereitsein, wie wir es ihnen predigen, sondernwie wir es selbst sind. Wir können vonihnen Pünktlichkeit nur einfordern, wennwir selbst pünktlich sind, inhaltlich undformal anspruchsvolle Papiere nur, wennwir selbst entsprechende Handreichun-gen bieten und nicht Tafel und Tages-lichtfolien mit Unleserlichem überzie-hen. Klare Sprache und überzeugendeArgumente ermutigen wir bei den Stu-denten, wenn wir selbst nicht verworrendaher reden, eigene Recherche, wennwir selbst auf dem Laufenden sind, ver-lässliche Organisation, wenn wir selbstgut organisieren. Vor allem: Studierendewerden Urteil, Kritik und Korrekturdurch Dozenten innerlich nur akzeptie-ren, wenn wir uns selbst beurteilen, kriti-sieren und korrigieren lassen.

Einsteins Bemerkung ist nicht nur eintreffliches Bonmot. Es umreißt eine lern-psychologische Tatsache: KomplexeEinstellungs- und Verhaltensmuster undvieldimensionale Kompetenzen könnennicht »beigebracht« werden. Lernendekönnen sie am ehesten aufnehmen, aus-bilden und verinnerlichen, wenn sie alstägliche, glaubwürdige Anschauung vor-gelebt und praktiziert werden. So dankenwir unseren Sprachkosmos viel wenigersprecherzieherischen Anstrengungen vonEltern, Lehrern und anderen Orientie-rungsträgern als deren tatsächlichem,nicht unbedingt pädagogisch intendier-tem Gebrauch von Sprache im Alltag.Gleiches gilt für technisch-handwerkli-che, organisatorische, künstlerische undmoralische Kompetenzen. Und nicht zu-letzt gilt dies für die Ausbildung von ko-gnitiven und emotionalen Fähigkeiten.Daraus ergibt sich die curriculare Bedeu-tung von Einstellungs- und Verhaltens-mustern aller an einem bestimmten Bil-dungssystem Beteiligten, besonders abervon Dozenten und Ausbildern.

� Neben dem praktischen Vorbild kommtPersönlichkeits- sowie Strukturleitbil-

dern Orientierungsfunktion zu. Im Ge-gensatz zum Vorbild verstehe ich unterLeitbildern nicht konkrete Menschen,sondern idealtypische Konstrukte. IhrEntwurf muss, zusammen mit der Pro-blemanalyse der bestehenden Verhält-nisse an einer Bildungsstätte, am An-fang jeder Curriculumreform stehen undsie dauerhaft begleiten. Alle fachspezifi-schen, methodischen, didaktischen, me-dialen Zustände und Veränderungen vonStudienplänen und Prüfungsordnungen,aber auch jedes praktische Verhaltenmüssen sich vor diesen Leitbildernrechtfertigen. Persönlichkeitsleitbilder werden ge-schaffen in Beantwortung der Frage:»Welcher Persönlichkeitstypus soll Zielunserer Bildungs- und Ausbildungs-bemühungen sein? Welche Werthaltun-gen, Kenntnisse, Handlungsbereitschaf-ten und Verhaltensstandards wollen wirbei uns selbst und unseren Studierendenentwickeln?«5 Im Falle von Strukturleit-bildern lauten die entsprechenden Fra-gen: »Welchen Organisationstypus und

welche Kooperationsmuster sollen unse-re Strukturreformen hervorbringen?« Persönlichkeits- und Strukturleitbildermüssen auf einander bezogen werden.Wenn unsere wichtigsten Persönlich-keitsmerkmale zum Beispiel heißen»Autonomie und Verantwortungsbereit-schaft«, diese Persönlichkeit aber wei-terhin auf autokratische Strukturentrifft, dann werden die Beteiligten nichtnur leiden, das Ganze wird auch nichtfunktionieren, sondern unter Verursa-chung hoher Kosten scheitern.Persönlichkeitsleitbilder dürfen nicht aufeinsamen Beschlüssen bestimmter Füh-rungspositionen beruhen oder von klei-nen Gruppen hervorgebracht werden. Siewerden Akzeptanz nur finden und Orien-tierungshilfe bieten können, wenn sievon allen Beteiligten eines Bildungs-

Hans-Peter Schwöbel, Curriculumentwicklung und Persönlichkeitsentwicklung in der Verwaltungsausbildung

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»Dozenten haben nicht das Recht, kein Vorbild sein zu wollen.«

4 Albert Einstein, zitiert in: Der Jüdische Kalen-der 2003 – 2004/5764, 25. November/30.Cheschwan. Augsburg 2003. www.oelbaum-verlag.de.

5 Vgl. Hans-Peter Schwöbel: GesellschaftlicherWandel – Persönlichkeitsentwicklung – Struk-turreform. In: Psychologie Verstehen! Heft2/2000. ISSN 0941-3049.

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und Leistungssystems erschaffen wer-den. Kleine Gruppen von für Curricu-lumreform besonders Qualifizierten kön-nen dabei Organisations- und Steue-rungsfunktionen übernehmen, indem sieder internen Öffentlichkeit von Hoch-schule, Hochschulverwaltung, Ministeri-en, Kommunen etc. notwendige Kennt-nisse und Informationen vermitteln, Ta-gungen vor- und nachbereiten, Textelektorieren und vieles mehr. Aber ihreFührungsfunktion muss immer wiederrückgekoppelt werden in den administra-tiven, politischen und pädagogischenAlltag und Gesamtkontext. Gelegenhei-ten hierfür bieten pädagogische Tagun-gen, Veröffentlichungen, spezielle Auf-gaben für Seminar- bzw. Diplom-Arbei-ten, gemeinsame Projektarbeit von Stu-denten, Ausbildern und Dozenten,Fortbildungsveranstaltungen, Seminare,Podiumsdiskussionen, gemeinsame Ta-gungen von Hochschulen mit Verwal-tungspraktikern, kontinuierliche curricu-lare Kontakte mit Schwesterhochschulenund vieles mehr.

»Wo ohne Angst über Fehler gesprochenwerden kann, können alle Probleme gelöstwerden.«6

� Eine nach wie vor heikle Schnittstellein der permanenten Curriculumreformist mit den Stichworten »wechselseitigeKritik« und »regelmäßige Evaluierung«verbunden. Offenkundig können politische, admini-strative und pädagogische Systeme undalltägliches Handeln ohne Kritik undohne Evaluierung nicht erfolgreich re-formiert werden. Die wichtigsten Steue-rungsinformationen können ohne Kritikgar nicht ins System gelangen. Die leni-nistisch-stalinistischen Strukturen imOsten sind mehr als an allem anderen anihrem Kritikverbot gescheitert. Dies be-deutet, das Recht, Kritik zu üben, istnicht nur ein Postulat demokratischerEthik – es bildet eine ökonomische Res-source ersten Ranges. Wer Kritik unter-bindet und die Möglichkeit, sie als Teilprofessioneller Lernprozesse zu üben,behindert, verursacht dem System, indem er arbeitet, immense Kosten. Kritikund Evaluierung stellen Schlüsselfunk-tionen für den Erhalt und die Transfor-mation eines jeden Systems dar.

Es gibt keine menschliche Möglichkeit,den Diktaturen des Unrechts, des Irr-tums und der schlechten Qualität Ein-halt zu gebieten, als die Kritik. Nicht zuletzt ist das Unvermögen, qua-lifiziert zu kritisieren und Kritik entge-gen zu nehmen, wichtiger Aspekt vonFührungsschwäche. Persönlichkeiten, diein untergeordneten Positionen nicht denMut, das Sprachvermögen und die not-wendigen Sozialkompetenzen ausbil-den, in Wahrung der eigenen Würdeund der des anderen, den Mund aufzu-machen, haben schlechte Aussichten,diese Fähigkeiten in der Führungsposi-tion zu erwerben. Im Mangel an diesenKompetenzen sehe ich eine der Haupt-ursachen für Mobbing, Intrigen undBrüllereien am Arbeitsplatz.

Kritik ist ein Geschenk

Kritik verliert ihre Schrecken, wenn sienicht nur deklaratorisches, sondern ganzpraktisches Lernziel für alle Beteiligten

wird. Das Recht und die Pflicht, Kritik zuüben, muss von Machtpositionen gelöst undin den Dienst zentraler System- und Persön-lichkeitsziele gestellt werden, nämlich derQualitätsverbesserung von Arbeitsabläufen,Kooperationsprozessen, Produkten undnicht zuletzt des Arbeitsklimas.

Den Schutz, auf den der Kritisierte An-spruch hat, darf nicht die Machtpositionbieten, sondern eine allseits gültige Kulturstatusunabhängiger Höflichkeit und Ach-tung. Sie hervorzubringen, zu entwickelnund zu stabilisieren, muss genauso Ziel ge-meinsamer Anstrengungen sein, wie dasInstrument Kritik selbst. Friedrich vonSchiller: »Man muss einen Fehler mit An-mut rügen und mit Würde bekennen.«7

In vielen Fällen ist es nicht sinnvoll,sich gegen Kritik umgehend zu verteidi-gen, denn sie stellt keinen Angriff dar. DieChancen, eine Kritik zu verstehen, steigen,wenn man sich Zeit nimmt, über das Kriti-sierte nachzudenken. Solange Kritik in ei-nem zivilisierten Ton geübt wird, ist esrichtig, sich vor jeder anderen Reaktiondafür zu bedanken; denn genau betrachtet,stellt sie ein kostbares Geschenk dar. Zumeinem eigenen Erstaunen habe ich be-sonders viel von Kritik gelernt, die ich im

ersten Moment als ungerecht und unzutref-fend, vielleicht sogar dumm empfand –wobei das Gelernte nicht zwingend den In-tensionen des Kritikers entsprechen muss.Oft ging mein Lernen andere Wege undweit über das hinaus, was der Kritiker mitseiner Kritik meinte und was ich selbst imersten Moment erkennen konnte.

In die umfassende Funktion Kritikgehört die Evaluierung. Evaluierung derLehre sollte federführend von den Studie-renden hervorgebracht und durchgeführtwerden. Dozenten können sich, wenn sieüber entsprechende Qualifikationen verfü-gen, unterstützend und beratend beteiligen.Evaluierung von außen durch darauf spe-zialisierte Firmen sollte nur in größerenAbständen erfolgen, zur Überprüfung derhausinternen Evaluierung.

Man wird vielleicht fragen: Woher dieZeit nehmen für so aufwändige Reform-bemühungen? Ein Teil dieses Aufwandessollte schlicht Teil unserer täglichen Aus-und Fortbildungsarbeit sein. Alle Beteilig-ten können dabei wichtige Lernziele fürmodernes Verwaltungshandeln anstreben.Wo, wie und wann kann man mehr lernenals durch kritische Transformation seinereigenen Handlungsvoraussetzungen?

Persönlichkeitspotentiale entwickeln

Problem- und Handlungsorientierung,Stärkung von Ich-Kompetenz, Eigeninitia-tive und Kommunikationsvermögen, aberauch Befähigung zu eigenständiger Theo-riebildung (Zusammenhänge durchschau-en!), sind Hauptmerkmale einer Professio-nalisierung durch Persönlichkeitsentwick-lung. Wo diese Prozesse gelingen, begeg-nen sich Lehrende und Lernende inwohltuender Weise als lernbereite, neugie-rige, hoch motivierte Fachleute, denenkein Aufwand zu viel ist, das Projekt »ge-meinsame Selbstqualifikation« voranzu-treiben. Nie erlebe ich Lernende motivier-ter, fleißiger und zufriedener, als wenn sieihr Lernen selbst gestalten können.

Manipulation durch Emanzipation?

Selbst von Fachkollegen wurde mir schonskeptisch entgegengehalten, man solledoch die Hände lassen von so etwas Inti-mem wie der Persönlichkeit. Wer Persön-

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6 Uri Landau, Kibbuzz Schluchot, Israel, vor-mals Pforzheim, Deutschland.

7 Zitiert in: Frankfurter Rundschau, 10. Novem-ber 2003, »Wörterbuch«.

»Das Recht, Kritik zu üben, ist nicht nur einPostulat demokratischer Ethik – es bildet eine

ökonomische Ressource ersten Ranges.«

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lichkeitsentwicklung (das bedeutet natür-lich Persönlichkeitsveränderung) anstrebe,betrete ein Gebiet, das ihn als Lehrer oderAusbilder zu einer säkularen Professionnichts angehe und Manipulationsmöglich-keiten Tür und Tor öffne. Dem halte ichentgegen: Menschen können zu vielemmanipuliert werden, nicht aber zu Emanzi-pation, Autonomie, zum aufrechten Gangund zur psychisch-geistigen Reifung. Die-se Früchte wachsen auf einem freien Wil-len und stärken diesen wiederum in dialek-tischen Prozessen. Emanzipatorische An-strengungen erzeugen eine selbsttragendeDynamik, die von Dritten nicht miss-braucht werden kann.

Im Übrigen bewirkt jede EinflussnahmePersönlichkeitsveränderungen, sei sie nochso abstrakt, distanziert, emotional und mo-ralisch »neutral« und auf Herausbildungscharf umgrenzter Qualifikationen gerich-tet. Wir können nicht nur nicht kommuni-zieren (Paul Watzlawick), wir sind auchnicht in der Lage, uns nicht zu beeinflus-sen. Umso wichtiger ist zu durchschauen,wie dies geschieht und zu welchen Folgenes bei allen Beteiligten führt.

Ich habe zwei Lernzielsysteme ent-wickelt, die einander in der Persönlichkeits-entwicklung durchdringen und aufeinanderangewiesen sind (vgl. Bild 1). Wo die eineSeite leidet oder vernachlässigt wird, nimmtauch die andere Schaden. Ein Zielfeld nen-ne ich »Persönlichkeit und emanzipatori-sche Potentiale – Schlüsselkompetenzenpersönlicher Identität«, das andere »Persön-lichkeit und funktionale Potentiale –Schlüsselkompetenzen persönlicher Lei-stungsfähigkeit«. Einige der wichtigstendieser Kompetenzen werden seit einigerZeit merkwürdigerweise unter der Über-schrift »Soft Skills« diskutiert.8 Was ist anMut, Autonomie, Teamfähigkeit und Kon-fliktfähigkeit weich und was an Fachkom-petenz hart?

Lernzielkomplex: Emanzipation

Unter Emanzipation9 verstehe ich dasBemühen, Unmündigkeit, Abhängigkeiten,Unterworfenheiten, ungerechtfertigte Herr-schaft und vor allem eigene Beschränkthei-ten zu überwinden. Emanzipation ist einProzess. Nie werden wir ankommen in demSinne, dass wir nun für alle Zeiten emanzi-piert sind. Immer wieder gibt es Rück-schläge und Unvollkommenheiten, denenwir uns neu stellen müssen. Aber wir kön-nen heute etwas aufrechter gehen als ge-stern, und morgen mit etwas mehr Mut, Zi-vilcourage und Verstand auf Menschen undProbleme reagieren als heute. Die entspre-chenden Anstrengungen sind vor allem Ei-

genleistungen. Emanzipation kann nichtgelehrt und nicht gewährt werden. Mankann nicht durch andere emanzipiert wer-den. Wir müssen uns selbst emanzipieren,weil es um die Überwindung innererBlockaden, Borniertheiten und Ängstegeht. Aber wir können einander bei diesemBemühen unterstützen und ermutigen.Und: Wir können uns nicht voneinanderemanzipieren, sondern nur miteinander.Freiheiten, derer wir uns auf Kosten ande-rer bemächtigen, haben wenig mit Emanzi-pation zu tun, umso mehr mit Privilegienund Ansätzen von neuer Herrschaft.

In Bildungssystemen kommt es daraufan, Denk- Fühl- und Handlungsspielräumezu eröffnen, in denen emanzipatorische Er-fahrungen gemacht werden können.

Als Frucht emanzipatorischer Anstren-gungen wächst vor allem die Autonomie.Darunter verstehe ich nicht das Recht, an-deren auf der Nase herumzutanzen. Im Ge-genteil, wichtigste Schwesterkompetenzzur Autonomie scheint mir die Verantwor-tungsbereitschaft zu sein. Autonomie ist,wie Freiheit insgesamt, eine Sozialkompe-tenz. Autonomie wird gestärkt, wo positiveErfahrungen mit Verantwortungsbereit-schaft gemacht werden können.

Autonomie ist, wie andere Schlüssel-kompetenzen auch, ein ganzheitliches Phä-nomen. Wir können aber kognitive undemotionale Dimensionen dieser Eigen-schaft unterscheiden und beim Kampf umAutonomie unterschiedliche Schwerpunkteerkennen. Unter kognitiver Autonomieverstehe ich das Vermögen, einen Sach-verhalt, ein Problem, einen Prozess, einenMenschen eigenständig zu verstehen, ohnedauernde Rückversicherung bei Dritten,ein Urteil zu fällen und Entscheidungen zu

treffen. Diese Kompetenz wird durch star-ken Bildungswillen, hohe professionelleAufmerksamkeit, aktive Informationsauf-nahme, vertieftes Wissen und durch positi-ve Erfahrungen im praktischen Umgangmit diesem Wissen bei Problemlösungengestärkt.

Größter Feind emotionaler Autonomieist die Angst. Wie es scheint, nimmt sie amArbeitsplatz wieder zu. Es gibt nach wievor Menschen in Führungspositionen, diedie Angst ihrer Mitarbeiter für eine Produk-tivkraft halten. Welch ein Verkennen derrealen Prozesse zwischen Selbstbewusst-sein, Motivation, Frustration, Kreativität,Fleiß, Leistungsbereitschaft, Problemlö-sungsvermögen, Arbeitszufriedenheit undLebensfreude! Ich halte demgegenüber dieFreiheit von Angst am Arbeitsplatz für eineder wichtigsten Ressourcen in der post-in-dustriellen Gesellschaft. Lehrende, Ausbil-

Hans-Peter Schwöbel, Curriculumentwicklung und Persönlichkeitsentwicklung in der Verwaltungsausbildung

VM 6/2006 303

8 Siehe zum Beispiel Helga Ideler, FrankfurterRundschau, 11. Februar 2006: Soft Skills sindim Job immer mehr gefragt.

9 Emanzipation (lat. emancipare: einen Sklavenoder erwachsenen Sohn aus dem mancipium –das ist die feierliche Eigentumserwerbungdurch Handauflegen – in die Eigenständigkeitentlassen). Im 17./18. Jahrhundert erfolgteeine Bedeutungsverschiebung: Aus dem Aktdes Gewährens von Selbstständigkeit wurdeeine Aktion gesellschaftlicher und insbeson-dere politischer Selbstbefreiung; Ziel jedesemanzipatorischen Bestrebens ist ein Zuge-winn an Freiheit bzw. Gleichheit durch Kritikan Diskriminierung und/oder paternalistischenStrukturen. Web: Emanzipation – Wikipedia.Emanzipation bezeichnet die Entwicklung desMenschen zum freien, aktiven Bürger in sei-ner Gesellschaft, seine Befreiung aus einemihn unterdrückenden rechtlichen, politischenoder sozialen Abhängigkeitsverhältnis. www.soziologicus.de/lexikon.

Bild 1

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dende, Vorgesetzte und Kollegen, die Angstverbreiten, schaden nicht nur den ihnen an-vertrauten Menschen, sondern auch demSystem, dessen Nutzen sie mehren sollten,und nicht zuletzt sich selbst. Angst ist keineRessource, sie untergräbt Ressourcen.

Gleichzeitig kann emotionale Autono-mie nicht entstehen ohne eigene Anstren-gung zur Überwindung von Angst. Vielesoziale Bewährungs- und Versagensängstekönnen nur überwunden werden, indemman sich in die Angst auslösende Situationbegibt. Wer Angst hat, vor Gruppen zusprechen, sollte es so oft wie möglich tun.Wer Angst hat, seine Meinung vor seinenKollegen oder Vorgesetzten zu äußern,muss es tun, und sei es unter Erröten und

Stottern. Wir werden unsere Möglichkei-ten nicht ausschöpfen, wenn wir unsererAngst erlauben, unsere Handlungen zu be-stimmen. Mut zu Kritik, Konflikt, Konsensund Solidarität ist Frucht einer freier wer-denden Gemeinschaft und der Selbstüber-windung des Einzelnen. Ganz besonders indieser Frage geht die meiste Wirkung voneinem mutigen Vorbild aus. Ich habe im-mer wieder erlebt, dass Studierende aufmeine Appelle, sie sollten Zivilcourageentwickeln, so lange skeptisch reagierten,bis sie erlebten, wie ich in einer brisantenSituation selbst Zivilcourage zeigte. Vonda an waren sie überzeugt und fassten auchfür sich selbst mehr Mut.

Im Lernzielfeld »emanzipatorische Per-sönlichkeitsentwicklung« kommt Einstel-lungen und Kompetenzen im Hinblick aufDemokratie, Ökologie, Ökonomie großeBedeutung zu. Wo Demokratie nur Staats-form ist, wird sie auch als solche nichtüberleben. Demokratische Grundwerte und-normen müssen in unseren Kommunikati-onsmustern ebenso tief verankert werdenwie in den individuellen Persönlichkeits-strukturen. Toleranz und Zivilcourage, Re-spekt vor Mehrheitsentscheidungen unddie Bereitschaft, Minderheitspositionenund Minderheiten zu verteidigen, Ordnun-gen einhalten und sie infrage stellen.

Im Zentrum demokratischer Gemein-schafts- und Persönlichkeitsverfassung ste-hen nicht bestimmte Verfahren, sondernder uneingeschränkte Respekt vor derWürde des Anderen und vor den Men-schenrechten. Wichtigste Tugend am Ar-beitsplatz ist die Achtung, die größte Sün-

de ist die Respektlosigkeit. Das Achtungfördernde Kommunikationsmuster ist derDialog. Er kann nur gelingen, wenn sichdie jeweiligen Partner auf möglichst glei-cher Höhe begegnen. Weisungsbefugnisseund Weisungsgebundenheiten stehen ei-nem respektvollen Umgang auf Gegensei-tigkeit nicht im Wege. Niemals darf manam Arbeitsplatz zulassen, dass bestimmteMinima an Höflichkeit unterschritten wer-den. Wo es geschieht, hat jeder das Rechtund die Pflicht einzugreifen, besondersVorgesetzte, denen in diesem Feld eineVorbildleistung abzuverlangen ist.

Nicht zuletzt gehört zu den Bemühun-gen um Emanzipation durch Aufklärung,sich in den gesellschaftlichen Problem-

und Krisenfeldern Ökonomie und Ökolo-gie nach Kräften kundig zu machen undEinsichten in Handlungsmöglichkeitenumzusetzen. Ökologie ist kein Modethe-ma, sondern ein Bewusstseins-, Kommuni-kations-, Entscheidungs- und Handlungs-feld von existenzieller Bedeutung. Es gibtkeine Funktion, schon gar nicht in der Ver-waltung, die von entsprechenden Qualifi-kationserfordernissen frei wäre. Und auchunsere ökonomischen Krisen können of-fenkundig nicht durch kleine Zirkel von»Experten« gelöst werden. Nur die vonvielen Menschen weiterentwickelten Kom-petenzen im rationalen, verantwortungsbe-wussten und pflegenden Umgang mit denkostbaren materiellen, aber auch psy-chisch-sozialen und kulturellen Ressour-cen bieten Aussicht auf Vermeidung kata-strophaler Entwicklungen.

Lernzielkomplex: Leistung, Wirkung, Qualität

In der modernen Arbeitswelt wird dasStreben nach Autonomie und voller Entfal-tung der Persönlichkeit nicht gelingen,wenn nicht auch die Schlüsselkompeten-zen persönlicher Leistungsfähigkeit ent-wickelt werden. Wir müssen etwas leisten,wir müssen Wirkung erzielen und wirmüssen die Qualität unserer Arbeit verbes-sern. Wie bei der Entwicklung der Schlüs-selkompetenzen persönlicher Identität gehtes hier ebenfalls nicht um das Aufflammenvon Strohfeuern, sondern um Dauer undNachhaltigkeit. Auch bei diesem Lernziel-

komplex empfehle ich exemplarisch sechsKompetenzen unserer besonderen Auf-merksamkeit.

Ahnung, Voraussicht, Planung

Da alles Handeln und Unterlassen insKünftige gerichtet ist, kommt der Fähigkeitzur gedanklichen Vorwegnahme, der Anti-zipation eines Geschehens oder einer Ent-wicklung im Lernzielfeld professionellerLeistungsfähigkeit Schlüsselbedeutung zu.

Die früheste Form der Antizipation istdie Ahnung, eine vage Vorstellung vondem, was eintreten könnte, wenn ... . Lern-ziel sollte sein, diese Ahnung in qualifizier-te und verlässliche Voraussicht weiter zuentwickeln, die wiederum Grundlage ist fürprofessionelles Planen, Vorbereiten undschließlich Umsetzen von Vorstellungen.

Oft überlassen wir diese Fähigkeit dempersönlichen Geschick und einer ominösenallgemeinen Erfahrung, die das schon mitsich bringen werde. Dabei gilt für dieseKompetenz, was für alle Fähigkeiten zu-trifft, die wir im vorliegenden Kontext dis-kutieren: Es sind konkrete Lernziele, diemit Hilfe bestimmter Lerninhalte, Lernge-genstände, Lernsequenzen, Methoden undErlebnisspielräume angestrebt werden kön-nen und müssen.

Beispielsweise können in Rollenspie-len10 Situationen dargestellt und analysiert,sowie Lösungsstrategien erprobt und einge-übt werden. Ihre Umsetzung in später ein-tretenden alltäglichen Situationen am Ar-beitsplatz wird selten im Verhältnis 1:1möglich sein. Es gibt keine Rezepte für denUmgang mit zwischenmenschlichen Kon-flikten und die Lösung von Problemen.Aber Rollenspiele, Planspiele und kritischeAufarbeitung bisheriger Projekte und Ver-haltensmuster können das scheinbare Para-dox antizipatorischer Erfahrung bewirken.Rollenspielen als Übungsmöglichkeiten insAntizipatorische biete ich großen Raum. Ichrate meinen Studenten, an die Entwicklungeines Rollenspiels mit folgenden Fragenheranzugehen: Wie spielt sich ein bestimm-tes Ereignis (zum Beispiel ein Konflikt) inWirklichkeit wahrscheinlich ab, wer verhältsich wie und warum so? Und: Wie könntenAlternativen aussehen, und was wären ihreVoraussetzungen?

Eine Neubetrachtung von Lernzielen und Schlüsselkompetenzen

304

10 Anregungen und Ausgangssituationen für Rol-lenspiele und szenische Übungen finden Sie inSchwöbel, Hans-Peter: Mit den Augen lau-schen. Teil 2. Verwaltung & Management,Heft Juli/August 2004, S. 217.

»Wo Demokratie nur Staatsform ist, wird sie auch als solche nicht überleben.«

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Stark statt mächtig

Dabei empfehle ich den »Blick von un-ten«, das heißt Lösungen zu suchen, dienicht durch den Faktor Macht abgesichertsind, weil man über diese Macht im ent-scheidenden Moment oft nicht verfügt.Und weil Macht in vielen Fällen nicht Teilder Lösungen ist, sondern Teil der Proble-me. Ich glaube sowohl im großen gesell-schaftlichen Kontext als auch im »kleinen«professionellen Alltag eher an die Pro-blemlösungswirkungen und Entwicklungs-energien aus den Quellen individueller undgemeinschaftlicher Mut, Empathie, sozialeIntelligenz, Solidarität, Kollegialität, Ver-antwortungsbereitschaft, Selbstachtungund Achtung vor Anderen als an die hei-lende Wirkung von Macht. Oft ist die Kar-riere am Arbeitsplatz nicht Ergebnis wach-sender Ich-Stärke, sondern deren Ersatz.

Antizipatorische Fähigkeiten lassensich auch unterstützen durch das Führeneines Tagebuches: Zehn Minuten am Tagden Fragen widmen, »Was war heute, wasist mir gelungen, was nicht, was kommtmorgen, was kommt in nächster Zeit aufmich zu? Wie kann ich mich darauf ein-stellen?« Besonders beim Betreten vonNeuland Checklisten anlegen: Ziele, Mit-tel, Probleme, Fehlerquellen, Gefahren,Gegner, Bündnispartner etc. Viel halte ichvon schriftlicher Befestigung des individu-ellen oder gemeinschaftlichen brain-stor-mings. Durch kritische Nachbereitung undBegleitung eines bestimmten Projektesoder Prozesses können die Checklistendann systematisch verbessert und realitäts-tauglicher gemacht werden. Es gibt vieleWege, Antizipationskompetenz zu fördern.Letztlich läuft es auf die Entwicklung ei-ner besonderen Aufmerksamkeit hinaus.

Die Organisationskompetenz erscheintmir mit der Antizipationskompetenz ähn-lich eng verwoben wie die Verantwor-tungsbereitschaft mit der Autonomie. Sielässt sich als eine besondere Form nach-haltiger Aufmerksamkeit gegenüber orga-nisationsrelevanten Daten und Sachverhal-ten verstehen.

Praktische Grundlage für erfolgreichesOrganisieren sind aktuelle und vollständigeDatenspeicher. Unvollständige Unterlagenfrustrieren, verursachen Fehler, und sie sindenorme Zeitfresser. Leider herrscht inDeutschland nach wie vor eine unterent-wickelte Kommunikationskultur. Das Mit-führen und Aushändigen von Visitenkärt-chen ist immer noch nicht selbstverständ-lich und unterliegt merkwürdigen Vorbehal-ten. Mindestens achtzig Prozent meinerE-Mail-Partner übermitteln mir nicht ihreumfassende Erreichbarkeit. Oft muss ichnachfassen, um die Telefonnummer etc. zu

erfahren. In Mitteilungen sollten immer dieAdresse und alle relevanten Daten angege-ben werden, außer man hat konkrete Grün-de, es zu unterlassen.

Die Leitfrage, von der sich qualifiziertesOrganisieren steuern lässt, sollte lauten:Was muss ich und vor allem, was müssenmeine Partner wissen, um schnell, bequemund möglichst irrtumsfrei agieren zu kön-nen? Organisationstalent ist nicht zuletztdas Vermögen, sich in Bedürfnisse, Ver-haltenswahrscheinlichkeiten und Irrtums-möglichkeiten Anderer hineinzuversetzen.Nichts darf als selbstverständlich gelten(»das wissen die doch, das weiß doch je-der...«). In aller Regel ist es viel ökonomi-scher, die Grunddaten (zum Beispiel füreine Tagung) konstant mitzuliefern, als sei-nen Partnern die Suche nach dem wer, was,wann und wo zuzumuten. Genauigkeit undVollständigkeit sind die wichtigsten Stüt-zen erfolgreicher Organisation. Schlampi-ges Führen von Unterlagen macht vielmehr Arbeit als sorgfältiges. Man sollteschon aus Bequemlichkeit genau sein.

Das Leistungspotential, das den Kompe-tenzen Organisations- und Antizipations-vermögen innewohnt, ist so offenkundigwie ihr Beitrag zur Emanzipation. Wer zurVoraussicht und zur Umsetzung in Organi-sation fähig ist, kann sich selbst vertrauen,und andere können sich auf ihn verlassen.

Fremdes vertraut machen – Gewohntes verfremden

Wichtiger Aspekt von Globalisierung istdie zunehmende Multikulturalität der weit-aus meisten Gesellschaften auf der Weltund die weltweite interkulturelle Durch-dringung.11 Damit wird noch dringlicher,Sprachen zu lernen und sich mit fremdenkulturellen Mustern zu befassen. Wer nichtEnglisch kann, verschafft sich ernsteNachteile. Das haben wir begriffen. Aberviel mehr wäre nötig. Dass wir Deutschekaum Türkisch sprechen und insgesamtwenig Interesse zum Beispiel an slawi-schen Sprachen und am Arabischen hegen,viel zu wenige von uns Spanisch und Fran-zösischen lernen, nicht zu reden vom He-bräischen und Jiddischen (die in besonde-rer Weise Teil unserer Geschichte sind), istkein Glanzlicht und schadet uns selbst am

meisten. In vielen Regionen Afrikas be-herrschen formal relativ ungebildete Men-schen vier, fünf Sprachen. Warum solltenwir Europäer das nicht schaffen? Auf Per-fektion käme es dabei meist nicht an.

Es gibt viel an Curriculumreform, waswir, unter anderem als Reaktion auf die Er-gebnisse der Pisa-Studien, in die Wege lei-ten müssten. Man kann in Deutschland dasAbitur machen und Studien aufnehmen,ohne etwas von Wirtschaft und von Ver-waltung zu verstehen. Angesichts dieser Si-tuation wäre ich als letztes auf die Idee ge-kommen, die Zeit zum Abitur zu verkürzen.

Rationale Befassung mit fremden Kultu-ren könnte Teil unseres Überlebenspotenti-als sein. Dabei kann man von den Sozial-wissenschaften lernen: Erst hinschauen, be-schreiben, vergleichen, analysieren unddann urteilen, nicht umgekehrt. Sich Frem-des vertraut machen und Gewohntes ver-fremden. Auch seine eigene Kultur besserkennen lernen. Zu Recht wurde beklagt,dass Christen, Juden und Muslime nicht nurzu wenig voneinander wissen. Viele haben

auch ihre eigenen Wurzeln verloren. Genaudies verursacht Probleme zwischen ihnen.

Technisch-handwerkliche Komponenten von Verwaltungshandeln

Zu den funktionalen Kompetenzen gehörtdas Feld Fachwissen, Methoden, Technik –Fähigkeiten also, die zur praktischen Erfül-lung von Aufgaben und dem wirkungsvol-len Ausfüllen bestimmter Stellen im Systemadministrativer Arbeitsteilung unerlässlichsind. Dabei handelt es sich in der Verwal-tung vor allem um spezifische Rechtskennt-nisse, Kenntnisse in ökonomischen Fragen,

Hans-Peter Schwöbel, Curriculumentwicklung und Persönlichkeitsentwicklung in der Verwaltungsausbildung

VM 6/2006 305

»Nur im Wechselspiel mit anderen Schlüsselkompetenzen vermag FachwissenNutzen zu stiften.«

11 Zum Thema Globalisierung siehe auchSchwöbel, Hans-Peter: Wir sind die Umstän-de der anderen – ändern wir also die Umstän-de. Gesellschaftlicher Wandel im Spannungs-feld zwischen Persönlichkeitsentwicklung undStrukturreform. Festvortrag bei der 7. Fachta-gung des Bundesverbandes Deutscher Kran-kenhausapotheker, Mannheim, 23. April1999. Veröffentlicht in: Krankenhauspharma-zie. Zeitschrift des Bundesverbandes Deut-scher Krankenhausapotheker (ADKA). Heft6/1999.

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Beherrschung bestimmter Handlungsabläu-fe, Gestaltung von Führungs- und Kommu-nikationsprozessen (incl. Gesprächsfüh-rung, qualifiziertes Telefonieren, Umgangmit Bürgern und Kunden, Konfliktbewälti-gung, Prozesskontrolle, Arbeit am PC etc.)sowie Fähigkeiten und Kenntnisse, die zurErfüllung ganz bestimmter Aufgaben erfor-derlich sind. Nach meiner Erfahrung wirddem konkreten Wie von Verwaltungshan-deln in Ausbildung und Praxis oft nicht diegebührende Aufmerksamkeit geschenkt.

Ich schätze die Bedeutung dieserAspekte von Professionalität hoch ein.Aber auch sie dürfen nicht über den Ge-samtkomplex der Schlüsselkompetenzenerhoben, sondern müssen in diesen inte-griert werden. Vermittlung und Aufnahmevon Fachwissen im konventionellen Sinnemuss sich der Frage stellen, ob es erkenn-bare Beiträge zu einer emanzipatorischenund qualitätsorientierten Verwaltungsaus-bildung leistet. Formal praxisrelevant zusein, und immer schon dem Kanon vonLernzielen angehört zu haben, genügtnicht als Legitimation. Nur im Wechsel-spiel mit den anderen Schlüsselkompeten-zen vermag Fachwissen den Nutzen zustiften, den wir von ihm erwarten. Der

»Fachidiot« ist in einer modernen Verwal-tung mehr den je eine Fehlbesetzung.

Hinzu kommt, Fachkompetenz ist ge-nau der Kompetenzbereich, der in der Pra-xis dem schleunigsten Wandel unterwor-fen ist. In vielen Fällen ergibt sich darausdie Empfehlung, Teile der fachbezogenenLernziele aus der Grundausbildung zuVerwaltungsberufen herauszunehmen undspeziellen Fortbildungen anzuvertrauen,die in Anspruch genommen werden könn-ten, wenn die Betreffenden sich auf diespeziellen Positionen zubewegen.

Alle Kompetenzen, von denen in mei-nen Lernzielsystemen die Rede ist, sindFührungskompetenzen, die aber nicht ein-fach auf Führungsseminaren »gelehrt« wer-den können. Vielmehr sind sie langfristiganzustreben, lange bevor jemand sich in ei-ner herausgehobenen Position befindet.Dazu können dann noch besondere Füh-rungstechniken kommen, die sich auf Men-schenführung, Gesprächsführung, Entschei-dungsfindung, Prozessorganisation etc. be-ziehen. Da gibt es Lerninhalte undLerngegenstände, die in Form kurzer, the-matisch klar umrissener Seminare und Kur-se vermittelt und aufgenommen werdenkönnen. Sie werden ihre heilsame Wirkung

in der Führungsdynamik von Verwaltungaber nur entfalten, wenn der Rest der Lern-zielfelder gut bestellt ist.

Schließlich: Lernziel Wissensmanage-ment. Wohl als Novum der Menschheits-geschichte leben wir in einer Epoche, dienicht nur durch Mangel an Information,Wissen und Verstehen geprägt ist, sonderndurch Gefahren der Informationsüberflu-tung. Sie zeitigt neue Mangelphänomene:Mangel an Orientierung, an Sinn, an Ver-stehen; Zeitvernichtung durch hilflosesRudern im Daten-Daten-Ozean. Daraus er-gibt sich erhöhter Lern- und Beratungsbe-darf für den Umgang mit Medien als be-sondere Herausforderung an den IT-Unter-richt, an die Sozialwissenschaften aberauch alle anderen Disziplinen in Studien-plänen und Prüfungsordnungen. Ganz be-sonders wirken sich die neuen Gegeben-heiten auf Fragestellungen und Betreuungvon Seminararbeiten, Projekten und Di-plom-Arbeiten aus. Wir müssen lernen,Themen zu formulieren, die nicht einfachaus den unendlichen Weiten des Internetsherunter geladen werden können, sondernalle Beteiligten dazu bringen, reale Proble-me zu lösen und die neuen Medien kompe-tenz- und leistungsfördernd zu nutzen.

Eine Neubetrachtung von Lernzielen und Schlüsselkompetenzen

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Konkrete Antworten und Entscheidungs-hilfen zum Thema Privatisierung

Handbuch Unternehmen der öffentlichen HandHerausgegeben von RAin Dr. Beatrice Fabry und Stb Ursula Augsten2. Aufl age 2007, ca. 800 S., brosch., ca. 89,– €, ISBN 3-8329-1660-1Erscheint Februar 2007

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Einleitung

Die vorangegangenen Kapitel haben daserhebliche Einsparpotential von Struktur-reformen aufgezeigt. Damit kann der Ver-waltungsbereich seinen mittelfristig not-wendigen Anteil zur Haushaltssanierungder Länder beitragen. Das Ausgabenniveaufür die Verwaltung kann so auf Zeit ge-senkt oder stabilisiert werden; doch derTrend zu ungehemmten Ressortanmeldun-gen von Ausgabenwünschen auch in Zu-kunft ist dadurch nicht gebrochen. Weiter-hin dürfte das Prinzip herrschen: Fordernstatt Umschichten. Die längerfristigeHauptaufgabe bleibt, die bisherige Dyna-mik der Wünsche zu drosseln.

Zentrales Anliegen muss es sein, zu ei-nem betriebswirtschaftlichen Denken aufallen Ebenen der Verwaltung zu kommen.Dies gilt sowohl für die Administration,den Personalbereich und die Zuwendungenan Kommunen und an Sonstige. Dabeisind nicht nur die Fachressorts betroffen,

sondern auch die Finanzpolitik. Eine Öko-nomisierung von Politik und Verwaltungist unabdingbar, soll eine Verstetigung derKonsolidierungspolitik gelingen. Nurwenn jede Behörde und jeder Mitarbeiterauf Effizienz achtet, kann das Prinzip desForderns statt Umschichtens abgeschwächtwerden. Ansonsten werden Wirtschaftskri-sen prozyklisch wirkende Haushaltsreak-tionen bewirken, mit denen Wirtschaft undArbeit zusätzlich belastet werden.

Ökonomisierung der Administration

Situation

Von einer finanzpolitischen Mitverantwor-tung der nachgeordneten Behörden und ih-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aberselbst der Fachressorts sind Politik undVerwaltung weit entfernt. Immer noch ig-norieren die Ressorts in den meisten Län-dern die Haushaltsvorgaben des Finanzmi-nisters und selbst die Eckwertbeschlüssedes Kabinetts. Vorschläge zur Effizienz-steigerung im eigenen Ressort kommenhöchst selten, und wenn, dann beanspruchtdas Ressort nicht nur die Effizienzgewinnefür sich, sondern will die erforderlichenhöheren Erstausgaben zusätzlich einwer-ben. Die Fachministerien sperren sich dar-über hinaus, ihr Monopolwissen über Ko-sten, Leistungen und Wirkungen sowieüber Vergleichsdaten zu Gunsten des Fi-nanzministeriums preiszugeben.

Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter verhalten sich entsprechend arbeitsplatz-egozentrisch. Da Haushaltsreste grundsätz-lich entfallen und die Haushaltsansätzestark von den vorausgegangenen Ist-Ergeb-nissen abhängen, sind sowohl der Referentwie die Behörde bestrebt, die Ansätze völ-lig auszuschöpfen. Trotz teilweise willkürli-cher Ergebnisse der Haushaltsberatungen,trotz dringlicheren Bedarfs bei einem ande-ren Titel oder trotz drängender Reaktionenauf neue Herausforderungen – selbst bei zuhohen Titelansätzen: Die Titelausschöpfunginnerhalb des Haushaltsjahres geht traditio-nell und prinzipiell vor: haushälterischeBuchstabentreue statt Ressorteffektivität,solange das Entgegenkommen des Finanz-ministers nicht voll berechenbar ist – Res-sortegoismus statt finanzwirtschaftlicherMitverantwortlichkeit.

Wirtschaftlichkeitsverantwortung generell

Finanzverantwortung wird nur übernehmen,wer auch Finanzverantwortlichkeit erhält.Am besten wissen die Behörden und ihreBeschäftigten, wo sie am ehesten sparenkönnen. Im Gegensatz dazu steht die deut-sche Staatstradition. Sie ist bestimmt vonder Trennung der Fach- und Ressourcenver-antwortung, und entsprechend sind die Er-gebnisse. Was selbst auf die Ministerebenezutrifft, auf der nur der Finanzminister fürden Etat zuständig ist, bestimmt auch dasVerhältnis der Ministerien zu den nachge-ordneten Behörden. Auch hier ist die Fi-nanz- und Personalverantwortung weitge-hend zentralisiert. Innerhalb der Behördensetzt sich die Trennung zwischen den Haus-halts- und Fachreferaten fort.

In der Regel sollte jede Behörde ein ei-genes Haushaltskapitel und einen eigenenStellenplan erhalten. Jede Fachabteilungeines Ministeriums, die fachlich für einennachgeordneten Bereich zuständig ist, soll-te auch über die Sach- und Personalres-sourcen verfügen. Nur so haben sie genü-gend Instrumente, um den nachgeordnetenBereich sinnvoll steuern zu können. Dieallgemeinen Abteilungen sollten auf eineKoordinierungsstelle reduziert werden.

Noch sind die Länderhaushalte sanierbar(Teil 4 und Schluss)

von Joachim Lohmann

Der Zustand der öffentlichen Haushalte ist besorgniserregend, diePerspektiven sind schlecht. Zwar hat sich die Berliner große Ko-alition das ehrgeizige Ziel gesetzt, ab 2007 sowohl die Verfassungs-grenze als auch die Drei-Prozent-Defizitgrenze der EU zu unter-schreiten. Aber nur bei wenigen Ländern gibt es eine ähnlichüberzeugende Stabilisierungspolitik. Trotz alledem – auch die Län-derhaushalte sind sanierbar. Dabei verbietet sich der Weg, dieSteuern weiter – als von der Berliner Koalition geplant – anzuhe-ben. Die über die verbesserten Steuereinnahmen hinausgehendenotwendige Sanierung muss von den Ausgaben her erfolgen.

Finanzstaatssekretära.D. Dr. Joachim Lohmann, Kiel.

Das Instrumentarium zur Ausgabensenkung

Verwaltung und Management12. Jg. (2006), Heft 6, S. 307-320

307

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Finanzverantwortung wird nur überneh-men, wer auch Anreize erhält. Das sind kei-nesfalls nur persönliche Vorteile, vielmehrgeht es vor allem um Vorteile für den eige-nen Aufgabenbereich und die eigene Behör-de. So müssen die Mitarbeiterinnen undMitarbeiter im Rahmen ihrer Aufgaben, dieam besten als Ziele vereinbart werden, zwi-schen Titeln verschieben und Reste übertra-gen können, deren Freigabe sichergestelltsein muss.27 Die vorhandene Fachverant-wortung der Beschäftigten würde bei über-tragener Finanzverantwortung dazu führen,knappe, gekürzte Budgets optimal zu nut-zen. Die Bereitschaft, darüber hinaus zumWohle der Staatsfinanzen noch – wennmöglich – zu sparen, dürfte abgesehen vonEinzelfällen von weitergehenden immateri-ellen und materiellen Anreizen für Behör-den und Personen abhängen.

Am stärksten wird Finanzverantwor-tung übertragen, wenn eine Behörde ver-selbstständigt wird. Sofern sie eine Lan-desgesellschaft wird, hängt auch ihre Exi-stenz von positiven Bilanzen ab. Daraufwurde in den vorangegangenen Artikelfol-gen schon eingegangen.

Die Bereitschaft, sich im Rahmen einesBudgets zu bewegen, wächst mit der Lauf-zeit einer Etatplanung. Erfreulicher Weisesind inzwischen fast alle Länder zu Zwei-jahreshaushalten übergegangen. Dagegenfehlt der fünfjährigen mittelfristigen Fi-nanzplanung weiter jegliche Verbindlich-keit; diese sollte durch Parlamentsbeschlusserhöht werden.

Als Gegenkonzept hat seit Anfang der90er Jahre die KGSt die dezentrale Budge-tierung propagiert. Einzelne Elemente sindbreiter aufgegriffen worden, ein umfassen-derer Durchbruch gelang bisher nur ver-einzelt. Weit fortgeschritten ist die Budge-tierung nur bei den Ländern mit Produkt-haushalten.

Der Bremer Produktgruppenhaushalt istin 191 Produktgruppen untergliedert. Beiden Produktgruppenverantwortlichen istdie Fach- und Ressourcenverantwortungzusammengeführt worden. Sie verfügeninnerhalb der Produktgruppen über einweitgehendes Recht zur Deckung undÜbertragung, das allerdings durch Parla-mentsvorbehalt eingeschränkt ist, sowieüber ein Stellenbesetzungsrecht.

Berlin stellt Landesmittel auf Grundvon Zielvereinbarungen je nach Produktenden Bezirken zur Verfügung; diese habendas Recht zur gegenseitigen Deckung undzur Resteübertragung; ansonsten sind diesächlichen Verwaltungsausgaben je Ein-zelplan untereinander deckungsfähig undübertragbar.

In Hessen wird künftig – nach der er-folgten Einführung der Doppik – der öf-fentliche Haushalt als Produkthaushalt inForm eines Wirtschaftsplans aufgestellt.Die finanziellen Mittel sollen über eineumfassende Budgetierung zur Verfügunggestellt und dezentral verantwortet werden.

Einsparpotentiale

Da mit einer dezentralen Budgetierung zu-gewiesene Mittel effektiver als bisher ver-wandt werden können, ist es verantwort-bar, den jeweiligen Behörden geringereMittel zuzuweisen. Bei einem Produkt-haushalt mit klaren Zielvorgaben, einemfunktionierenden Controlling und landes-internen Vergleichsdaten bietet es sich an,die Produktkosten des oberen Drittels oder

der oberen Hälfte zu Grunde zu legen unddie Mittel schrittweise auf diese Höhe zureduzieren. So lange Länder aber keinenProdukthaushalt vorweisen, sollten anStelle spezieller Vergütungseingriffe dieMittel für die Behörden prozentual – even-tuell gestaffelt nach Gruppierungsnum-mern – gekürzt werden. Gekoppelt werdensollte dieser Finanzeingriff mit einemweitgehenden Globalhaushalt für dieBehörde, mindestens aber mit umfassen-den Deckungsmöglichkeiten und mit derzugesicherten Freigabe von Haushaltsre-sten. Zumeist ist ein einmalig stärkererEingriff mit Garantie stabiler Zuweisungenfür die Folgejahre am effektivsten, weil eram ehesten zu strukturellen Veränderun-gen führt.

Bei einer dezentralen Budgetierung istzugleich davon auszugehen, dass dieBehörden auch stärker die Einnahmepo-tentiale auszuschöpfen beabsichtigen. EinBeleg für diese Potentiale ist die Steuer-verwaltung, die sich vehement gegen dieso genannte GNOFÄ wehrte. Mit dieserVorschrift sollten die FinanzbeamtenSteuererklärungen mit geringfügigem Auf-

kommen globaler prüfen, um Zeit für dieschwergewichtigen Einkommens-, Körper-schafts- und Umsatzsteuererklärungen zugewinnen.

Bei Bund, Ländern und Gemeindenmuss es dazu kommen, dass einerseits al-len Behörden und ihren Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern finanzpolitische Verant-wortung übertragen und diese auch wahr-genommen wird und dass andererseits einekameralistisch geprägte Finanzwirtschaftüberwunden wird. Deutschland muss zueiner ökonomieorientierten Staatswirt-schaft kommen

Ökonomisierung der Personalpolitik

Der größte Ausgabenblock bei den Län-dern sind die Personalkosten. Die Perso-nalausgaben betragen durchschnittlich37,2 Prozent der Länderausgaben in 2005.Dieser Wert erscheint durch zwei Tatsa-chen als zu günstig. Zum einen liegt diePersonalkostenquote in den neuen Ländernmit 24,9 Prozent deutlich niedriger als inden alten Flächenländern mit 40,6 Prozent,obwohl jene deutlich mehr Personal be-schäftigen als diese. Doch deren Quote istgeringer, da die Vergütungen niedriger lie-gen, kaum Pensionskosten vorhanden sind,und vor allem, da sie deutlich höhere Aus-gaben pro Einwohner aufweisen. Zum an-deren haben auch die Stadtstaaten eineniedrigere Personalkostenquote, da sieauch die gemeindlichen Aufgaben wahr-nehmen, deren Personalkostenanteil unterdem der Flächenländer liegt.

Wer die Haushalte sanieren will,kommt an Einsparungen im Personalbe-reich nicht vorbei. In den vorangegange-nen Abschnitten sind vor allem strukturelleVeränderungen behandelt worden, die zueiner Verringerung der Personalkostenquo-te beitragen. Darüber hinaus ist es erfor-derlich, dass auch das vorhandene Perso-nal soviel wie sozialverträglich möglichleistet.

Leistungsvergütung statt Alimentation

Traditionell sind das Beamtenrecht unddas von ihm mitbestimmte Recht der öf-fentlichen Angestellten wenig leistungsori-entiert. Vielmehr ist das Beamtenrechtstark vom Misstrauen gegenüber Willkürder Obrigkeit bestimmt, daher gilt das Le-

Das Instrumentarium zur Ausgabensenkung

308

27 In manchen Ländern wird nur ein Teil der Re-ste freigegeben mit dem Ergebnis, doch allesim laufenden Kalenderjahr ausgeben zu wol-len, selbst wenn dies nicht zur größten Effekti-vität oder Effizienz führt und die Liquiditätdes Haushalts belastet.

»Eine Ökonomisierung von Politik und Verwaltung ist unabdingbar, soll eine

Verstetigung der Konsolidierungspolitik gelingen.«

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benszeitprinzip; Kündigungen sind grund-sätzlich nach einer Anwartschaft ausge-schlossen. Bei den Beförderungen ist dasAnciennitätsprinzip weiterhin ein maßgeb-licher Faktor.

Besoldung und die Pension sind dar-über hinaus von dem Alimentationsprinzipbestimmt. Das Sozialprinzip eines standes-gemäßen Unterhaltes mit der Berücksichti-gung der Lebenshaltungskosten nach Ar-beitsort, Ehe- und Familienstand gibt es indieser Ausprägung nur im öffentlichen undgemeinnützigen Bereich. Sonderleistun-gen, die weder der Staat noch die Wirt-schaft ansonsten – von wenigen Ausnah-men abgesehen – vorsehen, leistet er sichauch bei der Ausbildung für den gehobe-nen und höheren Dienst. Und trotz der Be-deutung der Ökonomie – bei der Ausbil-dung und Einstellung führt sie noch immerein Schattendasein.

In den letzten Jahren haben die Ländermehrfach in die Besoldung sowie in dieWochenarbeitszeit eingegriffen. Mit derFöderalismusreform haben sie das Rechtzu weiteren Einschnitten erhalten. Diemehrfachen generellen Eingriffe in die Be-soldung hat die Stimmung im Landes-dienst verschlechtert. Dabei ist die Motiva-tion der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitereine wichtige Voraussetzung dafür, mehrVerantwortung zu übernehmen, strukturel-le und prozessuale Reformen mitzutragenund effizienter zu arbeiten. Von daher soll-te vorrangig versucht werden, Personalko-sten zu Gunsten von Leistungsanreizenumzuschichten.

Inzwischen haben sich mehrere Sozial-verbände vom Bundesangestelltentarifver-trag BAT zu Gunsten eines selbstständigenTarifvertrages mit größeren Leistungsan-reizen verabschiedet. Einen Einstieg inmehr Leistungsanreize für Angestellteeröffnet das neue »Tarifrecht für den öf-fentlichen Dienst« (TVöD). Diese vorsich-tigen Ansätze sollten nicht nur konsequentgenutzt, sondern auch auf das Beamten-recht übertragen werden.

Sonderstatus abbauen

Öffentliche Berufsausbildung

Darüber hinaus sollte vor weiteren Ein-schnitten in die Besoldungs- und Ruhe-geldstruktur an den Abbau von Besitzstän-den gedacht werden.

Sonderlösungen, die es außerhalb des öf-fentlichen Dienstes kaum noch gibt, beste-hen vor allem in der Ausbildung. Der schu-lische Teil der Ausbildung des mittlerenund gehobenen Dienstes der allgemeinen,der Steuerverwaltung und der Polizei istverbunden mit verpflichtender oder er-

wünschter Internatsunterbringung. Ein In-ternat ist sehr teuer und pädagogisch oftproblematisch. Deshalb sollte man daraufso weit wie möglich verzichten; nicht um-sonst gibt es diese Ausbildungsform außer-halb des öffentlichen Dienstes fast nicht.

Genau so sollte im öffentlichen Dienstauf eine Doppelausbildung als Regel ver-zichtet werden. Sie besteht vor allem beider Polizei. Ziel der Polizeigewerkschaftist es, die so genannte zweigeteilte Lauf-bahn – also nur noch eine Beschäftigungim gehobenen oder höheren Dienst –durchzusetzen. Manche Landesregierun-gen haben die Durchsetzung der zweige-teilten Laufbahn ausgesetzt, aber mehrAufstiege versprochen. Doch statt einenweitgehenden Regelaufstieg zu realisieren,wäre es kostengünstiger, die Doppelausbil-dung auch bei den anderen Anwärtern ein-zuschränken und stattdessen verstärkt dieFachhochschulausbildung als erste Berufs-ausbildung vorzusehen.

Eine international einmalige Ver-schwendung leistet sich der deutsche Staatmit der »Doppelausbildung« der Juristenund Lehrkräfte durch Studium und Refe-rendariat. Auf ein im Staatenvergleich sehrlanges Studium in beiden Studiengängenfolgt ein extrem teures, vergütetes Refe-rendariat, das bei den Lehrkräften doppeltso aufwändig ist wie das Erststudium.28

Zudem führt die Doppelausbildung zu ei-ner verringerten Lebensarbeitszeit.

Es ist grotesk, dass der Staat es hin-nimmt, dass die Hochschule nur teilweiseberufsfähige Abgänger entlässt. Nun hatdie große Koalition auf Bundesebene be-schlossen, trotz des Bologna-Abkommensdie Juristenausbildung in dieser Legislatur-periode nicht anzutasten; doch bei derLehrerausbildung erhalten die Länder mitder Föderalismusreform Spielraum zu wei-tergehenden Veränderungen.

Wenig verständlich ist auch, dass dieAusbildung für den gehobenen nicht-tech-nischen Dienst an verwaltungsinternenFachhochschulen stattfindet und die Stu-denten den einmaligen Anwärterstatus be-sitzen. Damit erhalten sie ein Studenten-honorar, während an den öffentlichenHochschulen in vielen Bundesländern Stu-diengebühren eingeführt werden sollen.Stattdessen sollte die Ausbildung für denallgemeinen Verwaltungsdienst wie in ein-zelnen Bundesländern als ein Schwerpunkt

eines betriebswirtschaftlichen Studiums aneiner öffentlichen Fachhochschule stattfin-den, um damit zugleich den künftigen be-triebswirtschaftlichen Anforderungen desöffentlichen Dienstes gerecht zu werden.Die Ausbildung an einer öffentlichen Fach-hochschule bietet zudem die Chance, stär-ker bedarfsgerecht einzustellen und diequalifiziertesten Bewerber zu gewinnen,statt bisher Jahre im Voraus den Einstel-lungsbedarf – fast immer – zu optimistischeinzuschätzen und nachher wegen einesBeschäftigungsmonopols zu einer Beschäf-tigungsgarantie weitgehend gezwungen zusein und über die finanziellen Möglichkei-ten hinausgehend aufzunehmen.

Lebensarbeitszeit erhöhen

Ein Faktor unter den Personalkosten droht,selbst Sanierungsanstrengungen bei denLänderhaushalten zu sprengen: die Versor-gungslasten. Nach dem 2. Versorgungsbe-

richt der Bundesregierung29 betrugen dieVersorgungsausgaben 2000 einschließlichder sonstigen Bereiche 31,4 MilliardenEuro, hinzu kommen die Leistungen nachVBL und AKA30 in Höhe von 6,3 Milliar-den Euro. Der Bericht prognostizierte denAnstieg der Versorgungslasten nach dermittleren Variante bis 2040 auf das 3,3-fa-che und der Zusatzversorgung auf das 8,7-fache – zusammen fast 160 MilliardenEuro. Für die Länder sind die Prognosennoch dramatischer, denn die Versorgungs-ausgaben sollen danach von 14,5 Milliar-den Euro im Jahr 2000 auf das 4,7-fache –also auf 68 Milliarden Euro – in 2040 an-steigen. Nun werden die Auswirkungen dersteigenden Belastungen durch zusätzlicheSteuereinnahmen abgemildert. Mussten imJahre 2000 4,9 Prozent der eingehendenSteuern aller Gebietskörperschaften fürVersorgungslasten aufgewendet werden, sosollen es 7,1 Prozent im Jahre 2025 sein –plus 45 Prozent. Dieser Durchschnitt ver-deckt indes die Unterschiede: Bei den Ge-meinden soll die Zunahme ein Prozent-

Joachim Lohmann, Noch sind die Länderhaushalte sanierbar

VM 6/2006 309

»Finanzverantwortung wird nur übernehmen,wer auch Finanzverantwortlichkeit erhält.«

28 Bei diesen Zahlen ist schon der Gegenwertder von Lehrerreferendaren erteilten Unter-richtsstunden abgerechnet.

29 2. Versorgungsbericht der Bundesregierung,Drucksache 14/7220 vom 14. Oktober 2001.

30 VBL (Versorgungsverband des Bundes undder Länder) und AKA (Arbeitsgemeinschaftkommunale und kirchliche Altersversorgung).

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punkt auf 5,7 Prozent der Steuereinnahmenbetragen, und beim Bund soll die Versor-gungssteuerquote sogar rückläufig sein –sie fiele von 2,4 Prozent auf 2,0 Prozent imJahre 2025. Dramatisch ist der Anstieg beiden Ländern; die schon 2000 sehr hoheQuote von 7,6 Prozent-Punkten soll biszum Jahre 2025 um 72 Prozent auf 13,2Prozent-Punkte anwachsen.

Bei den Prognosen wurden haushaltsbe-zogen günstige Annahmen getroffen: We-gen der eingeführten Versorgungsabschlä-ge wurde das Ruhestandseintrittsalter deut-lich angehoben und zugleich die realeWirtschaftsentwicklung optimistisch mitjährlich zwei Prozent Wachstum bis 2015und ein bis eineinhalb Prozent bis 2040 an-genommen.

Tatsächlich haben der Bund und die ein-zelnen Länder mit generellen Eingriffen indie Vergütung und Versorgung – Kürzun-gen des Weihnachts- und Urlaubsgeldes –und harten Tarifverhandlungen den Anstiegder Versorgungskosten stärker gebremst alserwartet. So bleiben die Länder um rundzehn Prozent unter der Voraussage, dieHaushaltssituation hat sich dadurch jedochnicht entspannt, denn auch die Steuern ge-

nerell lagen 2005 um durchschnittlich zehnProzent unter den Erwartungen des Versor-gungsberichtes, die der Länder sogar umfast vierzehn Prozent, so dass die Versor-gungssteuerquote für die Länder 2005 sogarnoch über der Prognose lag. Die Steuerbela-stungsquote der Länder hat sich mithinnoch verschärft.

Um die künftigen Pensionslasten in denGriff zu bekommen, ist ein Bündel von fi-nanz- und personalwirtschaftlichen Maß-nahmen erforderlich.

Finanzwirtschaftlich müssen der Bedarfan Pensionsrückstellungen jährlich veröf-fentlicht und die Ressorts finanziell fürFrühpensionierungen verantwortlich wer-den. Dass sich Regierungen und Parlamen-te den künftigen gravierenden Pensionsla-sten stellen, ist nur zu erwarten, wenn siejährlich fortgeschrieben werden. Alleindeshalb ist die Einführung der kaufmänni-schen Buchführung von entscheidenderBedeutung, weil mit ihr die Notwendigkeitverbunden ist, jährlich im Haushalt Rück-stellungen für Pensionen und Hinterbliebe-nenrenten zu bilden.

Ebenso müssen die Ressorts die Finanz-belastung bei frühzeitiger Pensionierung

aus ihrem Personalkostenbudget tragen.Denn bisher schieben viele Behörden Per-sonal mit eingeschränkten Leistungen mitder Begründung der Dienstunfähigkeit ab,anstatt sich um deren Rehabilitation zubemühen. Denn die Kosten der Invaliditättrug bisher in fast allen Ländern der Finanz-minister, während die Behörden eher aufeine neue Besetzung der Stellen mit jungen,voll leistungsfähigen Mitarbeiter setzten.

Die Länder werden die Pensionsfinan-zierung jedoch nur dann in den Griff be-kommen, wenn sie auch zu personalwirt-schaftlichen Maßnahmen bereit sind, mitdenen sie das theoretische und faktischeRuhestandseintrittsalter weiter anheben.Ansonsten sind zusätzliche Eingriffe in dasNiveau der Renten und Pensionen unver-meidlich. Im OECD-Vergleich hat Deutsch-land mit 40 Prozent eine sehr niedrige Be-schäftigungsquote der 55 bis 64-jährigen,die in Großbritannien und den USA sechzigProzent, in Schweden sogar siebzig Prozentbeträgt. Die von der Bundesregierung be-schlossene Anhebung des gesetzlichen Ren-teneintrittsalters auf 67 Jahre wird auf diePensionen übertragen werden müssen. Gro-tesk ist die Altersgrenze von 65 Jahren für

Professoren in vielen Bundesländern. Sieführt dazu, dass Spitzenforscher mit Errei-chen der Altergrenze teilweise in die USAauswandern, um dort weiter forschen zukönnen.

Auch das faktische Ruheeintrittsaltermuss angehoben werden. Das gilt auch fürden öffentlichen Dienst, besonders für dieBeamten. Infolge des Alimentationsprin-zips gab es früh eine mit der Wirtschaftunvergleichbar hohe Mindestpension, eineschnelle Erreichbarkeit einer beachtlichenHöchstpension und eine günstige Invali-ditätsregelung.

Inzwischen sind mehrere Eingriffe er-folgt, so dass der öffentliche Dienst beimÜbergang in den Ruhestand vom Durch-schnitt der gesetzlichen Rentenversiche-rung (60,3 Jahre statt 60,4 Jahre für EU-und Altersrenten) kaum noch abweicht.Doch befriedigend sind diese Zahlen nicht;denn nach Qualifikation und Art der Be-schäftigung gehen vergleichbar Beschäf-tigte in der Wirtschaft später auf das Al-tenteil. Zugleich sieht die Bundesregierungvor, die Beschäftigung Älterer in der Wirt-schaft durch ein spezielles Programm an-zuheben.

Erforderlich ist vor allem auch eine wei-tergehende Flexibilität beim Einsatz vonBeamten in anderen Aufgabenbereichenund mit anderer Besoldung. Dazu gehörteine weitergehende Befristung bei der Be-setzung von Führungsfunktionen.

Organisatorisch haben viele Länder dieInvaliditätsprüfung verschärft, da die frü-here amtsärztliche Prüfung durch dieKreisgesundheitsbehörden eher großzügigzu Gunsten der Betroffenen ausfiel.

Den weitaus wichtigsten Beitrag zurAnhebung des Pensionseintrittsalters ha-ben die finanziellen Eingriffe erbracht.Zwar sind mit den Abschlägen bei vorzei-tigem Ruhestand auch Härten verbunden,doch bürokratisch lässt sich unnötiger Vor-ruhestand kaum vermeiden. Generell ist essinnvoll, lieber finanziell das Ruhestands-eintrittsalter zu steuern. Generell31 ist zuverantworten, beim vorzeitigen Ruhestanddie Mehrkosten für den Staat durch Ab-schläge bei den Pensionen zu finanzieren.Die jetzigen Abschläge decken aber dieMehrkosten nicht, die durch frühzeitigereWiederbesetzung von Stellen und denfrüheren Pensionslasten der neu Einge-stellten entstehen.

Wenn schon die vorzeitige Pensionie-rung auf Antrag mit den Abschlägen fürden Staat nicht kostenneutral ist, so erstrecht nicht die in den meisten Ländern be-stehende Altersteilzeitregelung, deren Ein-bußen für die Betroffenen deutlich gerin-ger liegen. Wenn Stellen durch Neueinstel-lungen wieder besetzt werden und vorhernicht jede Umsetzung – auch nach nötigwerdender Nachschulung – geprüft wurde,ist die Altersteilzeit kameralistisch be-trachtet vielleicht vorteilhaft, betriebswirt-schaftlich ist sie ein Verlustgeschäft.

Ruhestandsbezüge

Darüber hinaus besteht weiterhin eine Bes-serstellung der Beamten gegenüber den Be-schäftigten in der Privatwirtschaft bei denRuhestandsbezügen. Wenn man eingreifenmuss, dann eher bei den Pensionären als beiden Aktiven. So ist ein Beamter nach fünfJahren pensionsberechtigt und erhält eineMindestrente von 35 Prozent seiner ruhege-haltsfähigen Dienstbezüge, mindestens je-doch 1.290 Euro in den alten Bundeslän-dern. Ebenso großzügig wird die Pensionauf das Endgehalt der letzten drei Dienst-jahre – und nicht wie bei den Arbeitneh-mern in der Privatwirtschaft auf das Durch-

Das Instrumentarium zur Ausgabensenkung

310

31 Sonderregelungen sollten nach strenger Prü-fung für nachgewiesene Invalidität gemachtwerden.

»Wer die Haushalte sanieren will, kommt an Einsparungen im Personalbereich

nicht vorbei.«

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schnittsgehalt – berechnet und beträgt gut71 Prozent nach vierzig Dienstjahren.32

Ökonomie gleichberechtigt mit Juristerei

Zwar setzt sich – mindestens theoretisch –immer mehr durch, dass ökonomischeSteuerung neben die bisher herrschende ju-ristische Steuerung treten muss, Eingang indie Ausbildung aller Dienststufen findet sienur sehr zögerlich. Ohne die betriebswirt-schaftliche Qualifizierung kann aber dienotwendige Ökonomisierung der Verwal-tung nicht gelingen. Das Sinnvollste fürden gehobenen Dienst wäre eine betriebs-wirtschaftliche Ausbildung an einer öffent-lichen Fachhochschule mit dem Schwer-punkt öffentliche Verwaltung. In einigenBundesländern gibt es Ansätze der Ökono-misierung sowohl innerhalb der internenVerwaltungsfachhochschule wie durch eineAusbildung an externen Hochschulen.

Die Einstellung von Betriebswirten imhöheren Dienst findet weiterhin äußerstselten statt, obwohl sie einen Innovations-schub bedeuten würde.

Ökonomisierung der Kommunalpolitik

Die kommunalen Zuwendungen der Flä-chenländer an ihre Gemeinden sind nachden Personalausgaben der zweitgrößteAusgabenblock. Mehr als 27 Prozent derAusgaben der Flächenländer gingen 2005an die Kommunen. Dabei sind die Unter-schiede zwischen den neuen und den altenFlächenländern erheblich. Die neuen Län-der gaben 2005 mit 37,6 Prozent fast 50Prozent mehr für ihre Kommunen aus alsdie alten Länder (25,5 Prozent). Dabei wa-ren die Unterschiede zwischen den neuenLändern geringfügig, während sie bei denalten Ländern zwischen 16 Prozent imSaarland und fast 30 Prozent in Baden-Württemberg differierten.

Bei der Haushaltskrise der meisten Län-derhaushalte ist es zwangsläufig, dass auchdie kommunalen Zuwendungen in Fragegestellt werden. In den meisten Ländernsind sie gekürzt worden, in manchen sogarmehrfach.

Nicht selten wurden die Zuwendungeneher pauschal gekürzt, vor allem bei demkommunalen Finanzausgleich. Ein vorran-gig pauschaler Eingriff ist allerdings wenigüberzeugend, verbleibt den Kommunendoch nur das passive Umgehen mit geringe-ren Einnahmen. Sie werden weder gegendie Folgen mit wirtschaftlicheren Struktu-ren gerüstet, noch greifen die Kürzungen anden Stellen ein, wo die Kommunen durch

eigenes finanzpolitisches Handeln die Fol-gen der Mindereinnahmen abmildern kön-nen. Eine Ökonomisierung der Kommunal-politik der Länder wäre dringend erforder-lich – nicht nur zum Wohl der kommuna-len, sondern auch der Landesfinanzen.

Die Eingriffe bei den kommunalen Zu-wendungen sind nicht unproblematisch,weil viele Gemeinden bundesweit ihre lau-fenden Ausgaben nicht mehr durch laufen-de Einnahmen decken können. Einigemüssen sie schon seit Jahren teilweise mitKrediten decken. Doch die Finanzausstat-tung der Gemeinden in Bezug auf ihreAufgaben ist sehr unterschiedlich. Da gibtes selbst kleine Gemeinden, die gesetzlichzu einer Mindeststeuer gezwungen wer-den, obwohl die Finanzzuweisungen fürihre beschränkten Ausgaben ausreichen;finanziell gut ausgestattet sind zumeistauch die Stadtrandgemeinden, die von vie-len Aufgaben durch die benachbarte Stadtentlastet werden – nicht umsonst sprichtman von dem Speckgürtel im Umfeld derGroßstädte. Hinzu kommt die wegen der

engen Bemessungsgrundlagen der Gewer-besteuer eher zufällige kommunale Fi-nanzkraft, die dazu führt, dass selbst einigegrößere Gemeinden nur wenige Gewerbe-steuerzahler haben, andere in ihren Mög-lichkeiten kaum eingeschränkt sind.

Ein Schwerpunkt sollte sein, den hohenAufwand für die kleinteilige Gemeinde-und Verwaltungsstruktur zu verringern.Auf deren Reform im Hinblick auf höhereWirtschaftlichkeit und als Chance für eineFunktionalreform ist schon im Teil III ein-gegangen worden. Nach langem Stillstandkommt wieder Bewegung in die Szene: somit der Gebiets- und Funktionalreform inMecklenburg-Vorpommern, mit der Funk-tionalreform in Baden-Württemberg undmit einer voraussichtlichen Gebiets- undFunktionalreform in Schleswig-Holstein.

Der andere Schwerpunkt sollten Finanz-eingriffe sein, deren Folgen die Kommunendurch höhere Effizienz und Effektivität ab-mildern können. Hier gibt es vielfältige An-sätze, weil die Länder einerseits durch Bun-desrecht häufig politisch und finanziell mitkommunalen Aufgaben verflochten sindund andererseits sich durch Recht oder Fi-nanzhilfen politischen Einfluss auf den

kommunalen Bereich gesichert haben. DerVerbundföderalismus besteht keinesfallsnur zwischen Bund und Ländern, sondernebenso zwischen Ländern und Gemeinden.

Die Ineffizienz eines Nebeneinanderssich teilweise ergänzender oder gemeinsa-mer Zuständigkeiten wird wohl nur nochüberboten durch die Trennung von Fach-und Ressourcenverantwortung unter-schiedlicher Staatsebenen. Im ersten Fallwerden die finanziellen Überlappungender anderen Seite extensiv genutzt und dieVerantwortlichkeiten und Lösungen zwi-schen den Ebenen hin- und her geschoben,im zweiten Fall geht man großzügig überdie Finanzfolgen für den anderen hinweg.

Nichts ist daher in einer strukturellenFinanzkrise sinnvoller, als die Ineffizienzdes Verbundföderalismus zu reduzieren.Bei einer Delegation von Zuständigkeitenohne volle finanzielle Kompensation odermit Kürzung von Zuwendungen könnendie Kommunen versuchen, durch höhereWirtschaftlichkeit die Finanzfolgen zu ver-ringern.

Die bisher schwerwiegendste Überlap-pung bestand zwischen der Arbeitslosen-und der Sozialhilfe; sie ist mit der Agenda2010 überwunden worden. Einer der größ-ten Ausgabenblöcke von Ländern undKommunen bleibt weiter der Sozialhilfe-bereich – die Eingliederung von Behinder-ten und Kranken in ambulante und sta-tionäre Betreuung, für die das Bundesrechteinen örtlichen bzw. überörtlichen Trägervorsieht. Mehr als die Hälfte der Flächen-länder hat sich zu einer Fachverantwortungauf nur einer Ebene durchgerungen, davondas Saarland auf der Landesebene, dieübrigen auf der Kommunalebene. Bei die-sen Ländern sind für den überörtlichenTräger durchweg kommunale Verbündezuständig. Bei einer kommunalen Fachver-antwortung sind auch die Kommunen fürdie Ressourcen verantwortlich, nicht je-doch in Schleswig-Holstein. Hier über-nimmt das Land trotzdem die Kosten der

Joachim Lohmann, Noch sind die Länderhaushalte sanierbar

VM 6/2006 311

»Die Ineffizienz eines Nebeneinanders von Zuständigkeiten wird wohl nur nochüberboten durch die Trennung von Fach- und Ressourcenverantwortung unterschiedlicher Staatsebenen.«

32 Als Gegenargument gegen eine günstige Pen-sionsregelung wird auf die Betriebsrenten inder Privatwirtschaft verwiesen; diese machenbisher allerdings erst fünf Prozent der Renten-zahlungen aus.

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überörtlichen Aufgaben. Bei den übrigenLändern bleibt es bei getrennter Fach- undFinanzzuständigkeit für ambulante undstationäre Versorgung. Mit einheitlicherKompetenz würden Finanzen gespart undgleichzeitig die sozialpädagogisch über-zeugendere Ambulanz gegenüber stationä-rer Unterbringung gestärkt.

Ähnlich wie bei der Sozialhilfe wirdauch bei der Jugendhilfe zwischen örtlichemund überörtlichem Träger getrennt. Dieserkann nach Landesrecht ein kommunalerVerband oder das Land sein. Im letzten Fallist die Gefahr vorhanden, dass Jugendlicheauch aus finanziellen Gründen an denüberörtlichen Träger abgeschoben werden.

Eine finanziell problematische Regelunggab es auch beim Unterhaltsvorschussge-setz: Den Vorschuss finanzierten langeZeit Bund und Land, die Erstattung hattendie Kommunen einzutreiben, um sie anBund und Land weiterzuleiten. Sie hattenKosten, aber keinen Finanzvorteil. So isteine gelegentlich anzutreffende geringeMotivation für das Eintreiben der Außen-stände nicht verwunderlich. Sinnvoll ist,die Kommunen sowohl an dem Vorschusswie an den Erstattungen zu beteiligen, ja

das Land sollte ihnen – vom Bundesanteilabgesehen – alle eingetriebenen Erstattun-gen – auch zum eigenen Vorteil – überlas-sen. Inzwischen haben die Länder die ge-setzliche Freiheit, über den eingetriebenenLandesanteil zu bestimmen. Nur noch dreiFlächenländer beteiligen die Kreise wederan den Einnahmen noch an den Ausgaben.Sieben Flächenländer beziehen die Ländermit 33 Prozent und mehr bei den Ausga-ben und mindestens im gleichen Prozent-satz an den Einnahmen mit ein, vier vonihnen überlassen ihnen sogar den gesamtenLandesanteil, mindestens bis zur Deckungaller kommunalen Aufwendungen. Immer-hin schafft das Land Bayern sogar ohneeine Kommunalbeteiligung einen Rück-griff von dreißig Prozent, dagegen ein an-deres Bundesland nur elf Prozent.

Eine höhere Effektivität der eingesetz-ten öffentlichen Mittel ist die Kürzungbzw. Streichung von Landesmitteln bei derMischfinanzierung, bei der Krankenhaus-oder Schulbausanierungen als Umbautenaufgestockt und frisiert werden, um höhereLandeszuschüsse zu erhalten. Vor allemsollte der Träger den Größtteil der Kostentragen und es keine Überschneidungen mit

anders geförderten Tatbeständen gebenkönnen.

Auch mit der Reduktion von sich über-lappenden Zuständigkeiten zwischen Landund Kommunen lässt sich Geld einsparenund gleichzeitig die Effektivität der einge-setzten Mittel steigern. Dazu zählen vor al-lem Überschneidungen zwischen demschulischen und dem sozialpädagogischen,sportlichen und kulturellen Bereich.

Ökonomisierung der Zuwendungspolitik

Die Zuwendungen an Wirtschaft, Gesell-schaft und Kultur einschließlich Investitio-nen und Darlehen sind an den Länderaus-gaben mit 18,4 Prozent beteiligt. Dabeiliegt der Anteil in den alten Flächenlän-dern bei 16,2 Prozent, bei den neuen Län-dern um 50 Prozent höher. Bei diesen Mit-teln an Dritte ist seit den Haushaltskrisender 90er Jahre und des neuen Jahrzehntsam stärksten eingegriffen worden. Hiersoll im Folgenden nur auf zwei Punkte ein-gegangen werden: die Zuschussförderungund das Zuwendungsrecht.

Trotz der Kürzung der Förderung ist derStaat teilweise weiterhin großzügig. So er-halten Existenzgründer oder kleine und mit-telständische Unternehmen kaum Bankkre-dite wegen der hohen Prüfkosten und derAusfallrisiken. In dem Fall ist es sinnvoll,dass die öffentliche Hand einspringt unddas Ausfallrisiko übernimmt. Dazu reichenallerdings Darlehen und nicht Zuschüsse.Denn bei tragfähigen Konzepten sollten imAllgemeinen nach wenigen Jahren Zinsenund Tilgungen gezahlt werden können.

Auch bei Investitionen zum Energiespa-ren oder zur Energieumwandlung bestehtfür viele Unternehmer das Problem darin,Zusatzmittel zu erhalten. Die Rentabilitätsollte bei den hohen Energiepreisen Vor-aussetzung sein, so dass Darlehen ausrei-chen. Auch bei kofinanzierten Programmender EU oder des Bundes sollte , um mit we-niger Mitteln dennoch effektiv fördern zukönnen, auf Darlehen umgetellt werden.

Grotesk ist das Zuwendungsrecht – min-destens gegenüber den Sozial-, Jugend-,Kultur- und Sportverbänden. Grundsätzlichsieht das Zuwendungsrecht der Länder vor,dass bei institutioneller Förderung die Bil-dung von Rückstellungen nur zulässig ist,

soweit sie gesetzlich vorgeschrieben ist undRücklagen nicht gebildet werden dürfen.Bei der anteiligen Projektförderung sind beigeringeren Gesamtausgaben die Mittel an-teilig, bei Fehlbedarfsfinanzierung vollzurückzuerstatten.

Die Folgerungen der Zuwendungsemp-fänger sind klar: Ohne Rücklagen müssensie bei den Anträgen ans Land Reserveneinbauen. Erhaltene Mittel einschließlichder genehmigten Reserven geben sie in je-dem Fall aus, Effizienzreserven werdennicht ausgeschöpft und auf potentielleDrittmittel wird verzichtet. Nicht vorran-gig durch Aufsicht, sondern vor allem überAnreize für wirtschaftliches Verhalten –wie gegenseitige Deckung, Übertragungund Rücklagen – kann Wirtschaftlichkeiterreicht werden.

Ökonomisierung der Finanzpolitik

Dieser Artikel ist bisher auf die Verwal-tung allgemein und auf gewisse Politikbe-reiche eingegangen und hat ihre stärkereÖkonomisierung gefordert. Dabei ist dieFinanzverwaltung selbst nicht direkt ange-sprochen worden. Der mögliche Eindruck,diese sei der Hort des ökonomischen Den-kens und demzufolge eine kritische Analy-se entbehrlich, ist allerdings falsch. Viel-mehr ist die Forderung der Ökonomisie-rung auch an die Finanzpolitik und-verwaltung zu richten.

So haben viele Haushaltsabteilungenzunächst eine vor allem zentrale Steuerungverteidigt und für sich reklamiert, inzwi-schen allerdings hat sich die dezentraleBudgetierung bei den Ländern – im Gegen-satz zum Bund – weitgehend durchgesetzt.

Doch weiterhin wird Rücksicht zu Gun-sten eigener Ressourcen und zu Lasten derWirtschaftlichkeit genommen, und nochimmer geht Liquidität vor Effizienz, Si-cherheit vor risikobehaftetem Sparen undkurzfristige vor langfristiger Orientierung.

Primat Wirtschaftlichkeit

Den Vorrang der Wirtschaftlichkeit durch-zusetzen, fällt bei vorhandenen landeseige-nen Kapazitäten am schwersten, so bei denPlanungs- und Durchführungskapazitätenim Hoch- und Tiefbau.

Der Wirtschaftlichkeit im Baubereichwiderspricht auch die Rücksichtnahme aufkleine und mittelständische Unternehmenund die heimische Wirtschaft. Sie führt zudem enormen Aufwand der Einzelgewerk-

Das Instrumentarium zur Ausgabensenkung

312

33 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht April2005, S. 30 f.

»In der Zuwendungspolitik sollte versuchtwerden, zu einer Darlehensförderung

zu kommen.«

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ausschreibung. Viele Unternehmen sind imHochbaubereich längst dazu übergegangen,nur noch Bedarfe bzw. Rohentwürfe auszu-schreiben und die Detailplanung den Wett-bewerbern zu überlassen. Dies hat den dop-pelten ökonomischen Vorteil, einerseits dieeigenen Planungskosten zu verringern unddie Planungskapazitäten abzubauen und an-dererseits den Wettbewerbern die Suchenach günstigen Entwürfen, Konstruktionenund Baudurchführungen zu überlassen. Diejüngste Entwicklung geht dahin, das Objektnur als Miet- oder Leasinglösung auszu-schreiben und damit auch zu optimiertenlaufenden Kosten zu kommen.

Schwer haben es ökonomische Argu-mente auch gegenüber landeseigenen Ge-sellschaften. Dies gilt beispielsweise fürLandesenergieversorger, aber schwierig istes auch mit inzwischen privatisierten Lan-desgesellschaften. Nicht selten fühlt sichdie Politik selbst noch ehemaligen Staats-unternehmen verpflichtet, so bei der Postoder der Telekom.

Effizienz vor Liquidität

Es gibt weitere, sogar erhebliche mittelfri-stige Einsparpotentiale. Diese erfordernhäufig einen Erstaufwand als Bedingung fürkünftiges Sparen – sehr häufig Investitio-nen, aber es können genau so Gutachten,befristete Personaleinstellungen, Personal-qualifizierung oder Abfindungen sein.

Notwendige Erstausgaben

Bei Investitionen im Hoch- und Tiefbausowie bei der Ausstattung mit IT gibt eseinen erheblichen Investitionsstau. Bei denImmobilien betrifft er einerseits die Bau-unterhaltung, den Um- und Neubau vonBehördenbauten und andererseits den derVerkehrsinfrastruktur und der Ver- undEntsorgungssysteme.

Bei der Bauunterhaltung wurden dieMittel sowohl im Hoch- wie im Tiefbau seitJahren zu niedrig angesetzt. Dazu zählenauch Gelder für Maßnahmen zur Verringe-rung des Strom-, Wärme- sowie des Reini-gungsbedarfs. Ein weiterer Investitionsbe-darf besteht bei der Gebäudenutzung. Fastalle Änderungen der äußeren und viele derinneren Reorganisation führen zu einemveränderten Raumbedarf. Oft kann die Effi-zienz erhöht werden, wenn man Behördenoder ausgelagerte Behördenteile konzen-triert. Zudem haben die Immobilien oft ei-nen falschen Zuschnitt, um ein Front-Officeerrichten zu können oder Projektarbeit zuermöglichen. Nicht selten gibt es auch Ob-jekte, deren Vergleichskosten von Mieteund Nebenmietkosten günstiger liegen, undÄhnliches mehr.

In der Verwaltung besteht darüber hinausein ganz erheblicher rentierlicher Investiti-onsbedarf bei den Informations- und Kom-munikationstechniken. Mit einem digitalenVorgangs- und Aktenmanagement könntendie »divisionalen« Beteiligungen bei Vor-gängen schneller und effizienter abgewickeltwerden. Sein Ausbau kommt in allen Län-dern nur schleppend voran.

Aber nicht nur Investitionen können ef-fizient sein, sondern auch die Gutachtenoder Beraterverträge können gleich wirt-schaftlich sein.

Gutachten können Grundlage für Refor-men sein, die ansonsten nicht oder vorsich-tiger oder verspäteter eingeleitet würden.Denn eine Landesverwaltung hält nicht je-den Sachverstand vor, oder dieser ist nichtabkömmlich oder befangen. Nicht selten

würde er sich in seinem Arbeitsbereichkompromittieren, würde er eine solche Re-form initiieren. Vielmehr braucht er – so-wie oft auch die politische Ebene – eineLegitimation durch ein Gutachten.

Auch Beratungsgesellschaften mit einerProjektbegleitung zu beauftragen, ist oftvom Vorteil, denn auch in der Wirtschaftschätzt man, dass die Hälfte aller Projektenicht oder nur begrenzt erfolgreich sindoder sich verzögern. Liegt zu geringe Pro-jekterfahrung allgemein oder für diesenSchwerpunkt vor, spricht vieles für die Be-auftragung einer Beratungsgesellschaft.

Selbst die Einstellung von Personal kannwirtschaftlich sein. Für manche Reformengibt es einen Bedarf an Spezialisten, den dieVerwaltung nicht vorhält, beispielsweisebeim Kreditmanagement. Wenn sich selbstviele Banken wegen fehlenden Fachver-standes davor scheuen, in diesem speziellenMarkt tätig zu werden, kann die Verwal-tung dies nicht mit vorhandenen Kräftenversuchen. Hier ist das Einsparpotential füreine Landesverwaltung so hoch, dass sichselbst Dauereinstellungen lohnen. Auchbeim Aufbau von Stäben, beispielsweise fürVerwaltungsmodernisierung oder für einleistungsfähiges Informations- und Kom-munikationskonzept, ist es oft von Vorteil,Fachleute von außen zu gewinnen.

Wenn durch Umstrukturierungen oderArbeitsrückgang ein Bedarf an Mitarbeiternnicht mehr besteht, ist die humanste und zu-meist auch wirtschaftlichste Lösung, sie auf

gleich- oder höherwertige Arbeitsplätzeumzusetzen und den dafür gegebenenfallserforderlichen Aufwand für Fortbildungoder Umschulung bereitzustellen.

Wenn jedoch – trotz Fortbildung undEinstellungsstopp – mehrjährig eine Umset-zung nicht gelingt, vielmehr die Arbeits-kräfte unterbeschäftigt sind oder in Be-schäftigtengesellschaften weiter aufgefan-gen werden müssen, sind auch Abfindungs-angebote sinnvoll. Dies trifft sicher fürLänder zu, deren Haushalte seit Jahren Tau-sende von kw-Stellen vor sich herschieben.Die einmalig hohen Kosten einer Abfin-dung für Angestellte wie für Beamte ma-chen sich dann eher bezahlt. Denn wenn dieöffentliche Verwaltung den schärfsten Kün-digungsschutz aufrechterhalten will, musssie zumindest bei Anreizen für ein freiwilli-

ges Ausscheiden beweglich sein. Zwar be-stehen in vielen Ländern sehr aufwändigeunterschiedliche Altersteilzeitregelungen,dagegen fehlt fast immer die Abfindungslö-sung, mit der vor allem die Unternehmenauf die Marktsituation reagieren.

Erstausgaben finanzieren

Ein dauerhafter Stau bei rentierlichen Erst-ausgaben gefährdet den Staat und seine Fi-nanzen. Offensichtlich ist dies bei den Inve-stitionen. Eine dauerhaft unzureichende Un-terhaltung führt zur Vernichtung öffentli-cher Güter; diese Entwicklung vollziehtsich seit langem, wird aber in der staatli-chen Rechnungslegung – der Kameralistik– nicht transparent, weil sie keine Abschrei-bung kennt. In der doppelten Buchführung– der Doppik – müssen dagegen Investitio-nen abgeschrieben werden, so dass unzurei-chende Bauunterhaltung in der Bilanz alsVermögensverzehr ausgewiesen wird. Dra-matisch ist, dass dieser Anlagenverzehrschon seit mehreren Jahren nicht durch ei-nen Vermögensaufbau an anderer Stellekompensiert wird. Nach Auswertungen derDeutschen Bundesbank ist die Bilanz schonseit dreißig Jahren öfter, in den letzten Jah-ren aber stetig und erheblich negativ.33

Noch dramatischer ist es, wenn rentableErstausgaben unterbleiben. Nun ist keines-falls jede Erstausgabe wirtschaftlich, viel-mehr kann sie im Bildungs-, Kultur- undSportbereich zu höheren laufenden Kosten

Joachim Lohmann, Noch sind die Länderhaushalte sanierbar

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»Der Eindruck, die Finanzverwaltung sei der Hort des ökonomischen Denkens unddemzufolge eine kritische Analyse entbehrlich, ist falsch.«

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führen. Sofern es hier – wie für das Kon-zept »Schulen ans Netz« – dringendenHandlungsbedarf gibt, kann er nur überdauerhaft höhere Mittel in den Haushaltenbefriedigt werden. In diesem speziellenFall ist wieder die doppelte Finanzverant-wortung von Land und Kommunen einAusstattungshindernis, indem die Verant-wortung hin und her geschoben wird. Dochhäufig sind die Fachressorts weder bereit,eine Investition als rentabel darzustellen,noch den wirtschaftlichen Vorteil demHaushalt insgesamt zu gute kommen zulassen.

Können jedoch Investitionen wirtschaft-lich im Sinne der Barwertmethode gestaltetwerden, so liegt eine große Unverantwort-lichkeit vor, wenn sie nicht finanziert wer-den, sofern der Finanzminister durchsetzenkann, dass ihre Rentabilität den Gesamt-haushalt entlastet. Ein Land, das sich nichtin der Lage sieht, solche Investitionen zu fi-nanzieren, arbeitet unwirtschaftlich. Aucheine verspätete Einführung rentabler Inve-

stitionen bedeutet einen Verlust für dieLandeskasse. Eine Sanierungspolitik kanndann nur auf dem Rücken der Beschäftigtenoder zu Lasten der Aufgabenerfüllung ge-schehen und muss längerfristig scheitern.Gleichzeitig wird mit einem Investitions-verzicht der öffentlichen Hand die Kon-junktur geschwächt und der Arbeitsmarktnicht einmal kurzfristig entlastet.

Wenn aber selbst bei einer Hauptaufgabeder Länder – bei der Schule – eine verbes-serte IT-Ausstattung kaum vorankommt,sind ausreichende Haushaltsmittel für Bau-unterhaltung, Um- und Neubau oder IT-Ausstattung politisch schwer durchsetzbar.

Ein Grund ist, dass rentable Erstausga-ben zunächst zu höheren Kosten führenund die Einsparungen sich erst später aus-wirken. Dies ist vor allem ein Problem derKameralistik. Hier werden die Gesamtko-sten schon im Anschaffungsjahr veran-schlagt, bei der Gewinn- und Verlustrech-nung der Doppik müssen nur die Abschrei-bungen gegenfinanziert werden. Dielangfristig sauberste Lösung ist daher dieDurchsetzung der doppelten Buchführung,die in sehr vielen Gemeinden und inzwi-schen auch in vier Ländern eingeführtwird.34 Kurzfristig hilft dies allerdingsnicht. Deshalb müssen andere Lösungengefunden werden.

Am überzeugendsten ist, dass ein Fi-nanzminister bei den Etatberatungen härtereSparanstrengungen als geplant durchsetzt,es sei denn, die Ressorts bieten für Erstfi-nanzierung von effizienten Reformen län-gerfristig überzeugende und abgesicherteEinsparungen an. Das ist für Gutachten, fürdie Einstellung von Spezialisten oder fürAbfindungsmittel zwingend. Scheitert dieseForm der Finanzierung von Erstaufwendun-gen für Investitionen oder Projektbegleitun-gen am Widerstand des Kabinetts oder derRessorts, muss anders vorgegangen werden.

Bei der Gebäudeunterhaltung haben diemeisten Länder einen Weg gefunden, derzumindest weitgehende Abhilfe schafft,nämlich die wirtschaftliche Verselbstständi-gung der Immobilien in Landesbetriebe.Bei einer auch rechtlichen Selbstständigkeitist der Bilanzdruck so groß, dass er einenVerlust an Substanz weitgehend ausschließtund deren Erhalt über Mieteinnahmen fi-nanziert wird. Ist der Liegenschaftsverwal-tung eine Kreditfähigkeit eingeräumt, dürf-

ten ihr auch Umbauten zur Senkung techni-scher oder infrastruktureller Kosten oder zuGunsten höherer Funktionalität nichtschwer fallen, sofern sie die höheren Mie-ten durchsetzen kann.

Bei dem Straßenunterhalt gehen inzwi-schen einige Länder ebenfalls den Weg derLandesanstalt oder des Landesbetriebes.Richtig wäre, auch hier das Eigentum derStraßen wirtschaftlich und rechtlich zu ver-selbstständigen. Eine solche Gesellschaftmüsste den Wertverlust für die Landes-straßen bilanzieren, die Geschäftsführungwäre in der Pflicht, neben dem Druck aufdie Landesfinanzen selbst alle verantwort-baren wirtschaftlichen Lösungen zu suchen,um zu einer positiven Bilanz zu kommen.Dazu könnte eine noch weitergehendeÜbernahme der Straßenbauleistungen derKommunen zählen. Wenn die Bilanzen die-ser Landesbetriebe in vielen Ländern den-noch auf Dauer negativ sein sollten, dürfteein LKW-Mautsystem auch für Landes-strassen unvermeidlich werden.

Ein großes Problem in vielen Ländernstellt der dringliche Ausbau der IT dar.Den relativ hohen Erstkosten der Planung,Anschaffung und Schulung können hohelaufende Einsparungen in den Folgejahrengegenüber stehen. Auch hier bestehenmehrere Vorgehensmöglichkeiten.

Zunächst bieten sich andere Finanzie-rungsformen an, die tendenziell etwas teu-rer sein könnten als eine öffentliche Inve-stition, aber ein Verzicht und selbst eineverzögerte Einführung rentabler Maßnah-men belasten eine Bilanz – und fast immermehr als eine hinausgeschobene Direktin-vestition. Im IT-Bereich bietet sich dieMiet- oder die Leasing-Lösung an. Dabeimüssen diese Verträge nicht mit dem Her-steller oder dem Systemhaus geschlossenwerden, auch eine landeseigene Datenzen-trale käme in Frage. In solche Verträgelassen sich gegebenenfalls auch die Kostenfür eine Projektbegleitung oder für Um-schulung mit einbeziehen.

Eine weitergehende Maßnahme ist dieVerselbstständigung des gesamten IT-Auf-wandes in einer landeseigenen Gesellschaftoder auch deren Privatisierung, die zuneh-mend von den großen Unternehmen reali-siert wird. Die letzte Lösung bietet sich be-sonders beim Netzumbau an, um die Inter-nettelefonie einzuführen. So konnteSchleswig-Holstein durch den Verzicht aufeigene Netze und deren Ausschreibung eineleistungsfähige Infrastruktur verwirklichen.

Haushaltsvorteil sichern

Eine wesentliche Bedingung für die Bereit-schaft des Finanzministeriums zur Finanzie-rung des Erstaufwandes für an sich effizien-te Maßnahmen ist die Sicherung einer hin-reichenden Effizienzrendite, die den Ge-samthaushalt in den Folgejahren entlastet.

Bei effizienten Investitionen sollte daszuständige Ressort die Abschreibung imBeschaffungsjahr aus seinem Etat finan-zieren, für die Folgejahre sollten die erfor-derlichen ausstehenden Abschreibungsbe-träge als Minderausgaben jährlich veran-schlagt werden. Damit sichert sich derFinanzminister die Unterstützung des Fi-nanzausschusses zur Verwirklichung derFolgeeinsparungen.

Der Auftrag an einen Gutachter solltemit der Auflage versehen werden, eine rea-lisierbare laufende Einsparung von bei-spielsweise mindestens zehn Prozent nach-zuweisen, und beim Etat des Fachressortssollte der für erforderlich gehaltene Ein-sparbetrag für den Gesamthaushalt als lau-fende Minderausgabe verankert werden.Ähnlich sollten die Auflagen für einen Be-ratervertrag an die jeweilige Gesellschaftwie das Ressort gestaltet werden.

Vergleichbar könnten auch die Aufla-gen bei Einstellung von Spezialisten for-muliert werden. Bei Abfindungen solltennicht nur die Stellen gestrichen, sondern

Das Instrumentarium zur Ausgabensenkung

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34 Weitere fünf Länder sind in der Planung, Prü-fung oder bei Modellversuchen.

»Ein Land, das sich nicht in der Lage sieht,Investitionen zu finanzieren, arbeitet

unwirtschaftlich.«

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gleichzeitig die Personalkostenbudgets ab-gesenkt werden.

Risiko statt Sicherheit

Das Auftreten der Verwaltung als Käufergegenüber der Privatwirtschaft war langeZeit durch Scheu vor Risiken und Konflik-ten geprägt. Konsequenz war, dass sieüberteuert deren Leistungen einkaufte. Eslag teilweise auch daran, dass sie zersplit-tert auftrat. Bis vor wenigen Jahren tratgrundsätzlich nicht nur jedes Ressort, son-dern zumeist auch jede Behörde getrenntam Markt an. Die Landesverwaltung warsich ihrer Marktmacht nicht bewusst.35

Konflikt statt überhöhte Kosten

Bei dem Erwerb von Gütern wird ge-schätzt, dass die öffentliche Hand minde-stens zehn Prozent überhöhte Preise zahlt.Gründe dafür sind die Transparenz der vonder öffentlichen Hand erwarteten Kosten,sofern das jeweilige Gut gesondert veran-schlagt wurde und zu großzügig erfolgte,und der Verzicht auf eine Nachverhand-lung.

Die Skepsis und der Einflusswille desParlaments hat zu einer Aufblähung desHaushaltes auf bis zu 25.000 Titeln mit ei-ner Einzelveranschlagung fast aller größe-ren Maßnahmen geführt. Demzufolge sindvorgesehene Kosten weitgehend für dieAnbieter transparent. Die Scheu der Res-sorts, bei Ansatzüberschreitung überplan-mäßige Mittel beim Finanzminister bean-tragen, Deckung aufbringen und diese vordem Finanzausschuss rechtfertigen zumüssen, führt zu einer eher großzügigenVeranschlagung.

Selbst wenn Ausschreibungen anschei-nend zu überteuerten Angeboten führen,wird nur äußerst selten die Ausschreibungaufgehoben; und Nachverhandlungen, beidenen die Privatwirtschaft Preisnachlässein der Größenordnung von 10 Prozentdurchsetzen kann, finden nicht statt.

Die sinnvollste Gegenmaßnahme gegendie Detailveranschlagung sind die Global-budgets. Bei weiteren Einzelveranschla-gungen sollten grundsätzlich die Haus-haltsansätze unter den Kostenvoranschlä-gen liegen. Bedingung allerdings wäre,dass überplanmäßige Ausgaben in einemvereinfachten Verfahren ohne Vorwürfegenehmigt werden.

Darüber hinaus sollten sich die Ministe-rien dazu durchringen, bei Verdacht auf zuhohe Angebote grundsätzlich die Aus-schreibung aufzuheben und ein neues Ver-fahren einzuleiten. Vor allem aber solltejetzt grundsätzlich auf Internetausschrei-bungen und -angebote umgestellt werden.

In dem Fall können die Länder den Nach-teil fehlenden Nachverhandelns überwin-den, indem sie die inverse Ausschreibungpraktizieren. Danach können die Anbieterin Kenntnis günstigerer Angebote ohneNamenskenntnis ihr eigenes Angebotnachbessern.

Risikomanagement statt Zinssicherheit

Auch bei den aufgenommenen Kreditenhaben die Länder Möglichkeiten, die Kon-ditionen zu verbessern. Denn die Zinsaus-gaben belasten die Länderhaushalte erheb-lich. Im Jahre 2005 waren dies durch-schnittlich 8,1 Prozent der Nettoausgaben.Bedrohlich sind schon jetzt die unter-schiedlichen Zinslasten, denn währendBayern mit 3 Prozent – gefolgt von Sach-sen mit 3,8 und Baden-Württemberg mit4,2 Prozent – von dieser Bürde kaum be-troffen wird, müssen fünf Länder über 10Prozent ihres Etats für Schuldzinsen auf-bringen, davon Berlin und das Saarlandüber 11 Prozent und Bremen sogar 12,1

Prozent. Diese Zinslast ist heute einer derHauptgründe für diese Länder, den Haus-haltsnotstand zu erklären und beim Bun-desverfassungsgericht auf Sonderergän-zungszuweisungen zu klagen.

Bei dieser Höhe des Schuldendiensteswird es in den folgenden Jahren nicht blei-ben, vielmehr wird sie drastisch ansteigen.Denn einerseits haben sich die Länder von2001 bis 2005 zwischen gut 24 und gut 30Milliarden Euro neu verschuldet – das sinddie höchsten jährlichen Neuverschuldungenin der Geschichte der Bundesrepublik –,und diese Nettokreditaufnahme soll in denmeisten Ländern nur langsam zurückge-führt werden. Andererseits liegen die Zins-sätze noch sehr niedrig; denn Deutschlandhat den niedrigsten Zinssatz für zehnjährigeStaatsanleihen seit Jahrzehnten. Doch eineZinswende ist seit Ende 2005 eingeleitet;der EZB-Leitzins stieg von 2,0 auf inzwi-schen 2,5 Prozent an. Die Analysten erwar-ten bisher mehrheitlich einen weiteren An-stieg auf 3,0 Prozent. Das Bittere für dieLänderhaushalte ist, dass sich der neueZinssatz ja nicht nur auf die Zusatzkrediteauswirkt, sondern auch auf die Ersatzauf-nahme auslaufender Kredite. Wenn derdurchschnittliche Zinssatz aller Schuldzin-sen in den nächsten zwei bis drei Jahren beiden Ländern nur um 0,5 Prozent-Punkte an-

steigen würde, bedeutete dies allein länger-fristig einen gut zehnprozentigen Anstiegder Schuldzinsen. In seiner Prognose ge-genüber der EU rechnet der Bund bei denLändern – vorsichtig – mit einem relativenZinsanstieg von 3 Prozent in 2006 und je2,5 Prozent in den beiden Folgejahren,während zum Beispiel das Finanzministeri-um in Schleswig-Holstein – auch wegen er-heblicher Neuverschuldung – von jährli-chen Zuwächsen des Zinsdienstes von 4,9Prozent in 2007, 9,8 Prozent in 2008 und7,9 Prozent in 2009 ausgeht.

Die Zinsausgaben sind aber durch einZinsmanagement beeinflussbar. In 2005mussten die Länder durchschnittlich 4,7Prozent des Haushalts für Schulden auf-bringen. Ein Bundesland hatte einen umgut 6 Prozent niedrigeren Zinssatz, ein an-deres musste 11 Prozent mehr als derDurchschnitt aufwenden. Ein Teil der un-terschiedlichen Zinshöhe ist auf den Zeit-punkt der Aufnahme von Neu- und Um-schuldungen zurückzuführen, der größteTeil aber auf das Zinsmanagement.

Es gibt mehrere Möglichkeiten für gün-stigere Kredite. So sind große Anleihenmit mindestens einer Milliarde Euro – sogenannte Jumbos – günstiger zu haben alskleinere. Deshalb haben kleinere Länderseit zehn Jahren gemeinsam Anleihen vongut dreißig Milliarden Euro auf den Marktgebracht. Große Länder können auch aufAuslandsmärkten Anleihen akquirieren.

Eine andere Form ist der Einsatz unter-schiedlicher Instrumente von Zinsderiva-ten, also von Möglichkeiten, Zinssätze zusichern oder zu tauschen. Damit muss mandas Risiko eingehen, die Zinsentwicklungfalsch eingeschätzt zu haben und deshalbeventuell günstigere Zinsen zu einem spä-teren Zeitpunkt nicht mehr wahrnehmen zukönnen. Die Einsparchancen sind jedocherheblich.

Eine noch weitergehende Möglichkeitbesteht darin, nicht Langläufer kurzfristigzu tauschen, sondern gleich auf Kurzläuferumzusteigen. Die Commerzbank hat in ei-ner Untersuchung von 2001 für den Zeit-raum von 1974 bis 2000 für den Bundnachgewiesen, dass sich erhebliche durch-

Joachim Lohmann, Noch sind die Länderhaushalte sanierbar

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»Die Landesverwaltung als Käufer ist sich ihrer Marktmacht nicht bewusst.«

35 Auf die Probleme der Beschaffung allgemeinsowie die von Strom und Wärme und vonKommunikationsdiensten ist schon früher ein-gegangen worden.

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schnittliche Einsparungen durch Kurzläuferoder Geldmarktmittel gegenüber 10-jähri-gen Bundesschuldverschreibungen ergebenhätten: »Im Vergleich zu einer regelmä-ßigen Emission zehnjähriger Bankschuld-verschreibungen hätte zum Beispiel einezeitliche Aufteilung der Emission in zweifünf-jährige Schuldverschreibungen demEmittenten eine Zinsersparnis von durch-schnittlich 0,4 Prozent pro Jahr beschert.Die jeweilige zeitliche Aufteilung in fünfzweijährige Schuldverschreibungen hättedie relative Zinsersparnis auf knapp einProzent pro Jahr anwachsen lassen. Dengrößten relativen Zinskostenvorteil mitdurchschnittlich 1,4 Prozent pro Jahr hätteder Emittent jedoch über eine permanenteGeldmarktfinanzierung erreicht. Die Geld-marktfinanzierung erwies sich im Durch-schnitt der Betrachtungsperiode auch ge-genüber der Emission fünfjähriger (1,2 Pro-zent pro Jahr) und zweijähriger Schuldver-schreibungen (0,7 Prozent pro Jahr) amgünstigsten.«36, 37

Auch wenn die Länder inzwischen einenTeil der Potentiale genutzt haben und auch

wenn die Margen bei stärkerer Nutzungdurch die öffentliche Hand innerhalb derEU fallen sollten, besteht weiterhin eineChance für eine zehnstellige Euro-Entla-stung der Länder insgesamt.

Die Länder haben den Derivateeinsatzals Erstes erkannt. Schleswig-Holstein hat-te wegen des dritthöchsten Schuldenstan-des als erstes Bundesland 1994 begonnen,mit Derivaten die Schuldzinsen zudrücken. Inzwischen sind fast alle Länder,der Bund und einige Kommunen dem Bei-spiel gefolgt. Bei dem Einsatz der Derivatehat es auch in Schleswig-Holstein Fehlein-schätzungen gegeben, doch hat bisher je-des Jahr zu einem positiven Resultat ge-führt. So hat diese Zinspolitik in 2005 einwirtschaftliches Ergebnis von allein 130Millionen Euro erbracht, für 2006 rechnetman mit 90 Millionen Euro. Durch denfrühzeitigen Einsatz neuer Kreditinstru-mente ist es dem Land gelungen, im Län-dervergleich einen guten durchschnittli-chen Schuldzinssatz zu erreichen.

Doch weder der Bund noch die Ländernutzen die Potentiale hinreichend aus.Vielmehr bleiben die meisten Länder wei-terhin bei längeren Laufzeiten, der Einsatzvon Derivaten wird prozentual begrenzt.Teilweise gibt es Höchstmargen für das

Risiko, und ausländische Währungskreditewerden zumeist nur bei voller Währungs-absicherung gesetzlich zugebilligt. So be-grenzt der Bund den Einsatz von Derivatenauf zehn Prozent seiner Gesamtschuldenund Währungskredite auf vier Prozent. DieLänder binden den Derivateeinsatz häufigauf 20 bis 25 Prozent der Gesamtschulden,oder die Nettokreditaufnahme ist das Li-mit; andere begrenzen das Risiko. Dies istkein Risikomanagement in einer Zeit, inder man den Bürgerinnen und Bürgerndeutliche Einschnitte zumutet.

Nachhaltigkeit statt Kurzfristigkeit

Doppik statt Kameralistik

Ein grundlegendes Manko der Finanzpoli-tik ist eine unzureichende nachhaltige Ori-entierung. Dieser Mangel ist zwar nicht aufdie Finanzpolitik beschränkt, vielmehr fin-det er sich auch in anderen Politikberei-chen. In der Finanzpolitik ist aber einelangfristige Orientierung unverzichtbar.Denn nur wenn die Langfristfolgen von

Mehreinstellungen, höheren Sozialtransfersund stärkere Kreditaufnahmen konkret er-kannt werden, wachsen die Hemmungengegen eine stärkere Ausgabenpolitik.

Theoretisch müsste die Finanzpolitiksogar vorbildlich sein, gibt es doch das In-strument des Mittelfristigen Finanzplans.Noch bis vor wenigen Jahren wurde er als»Märchenbuch des Landes« verspottet,erst in letzter Zeit wächst seine Bedeutung.Doch selbst wenn die Prognosen der Ein-nahme- und Ausgabenerwartungen im mit-telfristigen Finanzplan realistischer wer-den, einer nachhaltigen Orientierung derFinanzpolitik entspricht er nicht.

Eine nachhaltige Finanzpolitik ist un-denkbar ohne die Auseinandersetzung mitkünftigen Herausforderungen. Sie mussauf systematischen Analysen und Progno-sen der Pensionskosten unter Berücksichti-gung des Ruheeintrittsalters wie der Dauervon Pensionen und Hinterbliebenenrentenaufbauen, desgleichen auf der Kostenent-wicklung von Beihilfe und Heilfürsorgewie auch der Kosten für ambulante undstationäre Jugend- und Sozialhilfe. Ebensowären stetige Überblicke über die Vermö-gensbewertung und Stand und Entwick-lung des Investitionsstaus im landeseige-nen Vermögen erforderlich. Solche Daten

werden aber nicht systematisch erstellt,sondern höchstens sporadisch auf Antragder Parlamente.

Wenn schon erhebliche Defizite bei deranalytischen Nachhaltigkeit der Finanzpo-litik bestehen, so erst recht bei der synthe-tischen, also einer systematischen und ste-tigen Zusammenfassung aller finanzpoli-tisch entscheidenden Prognosen imjährlichen Haushaltsentwurf. Nur mit einersolchen finanzpolitischen Aufklärung ge-winnt die Finanzpolitik die Maßstäbe füreine Nachhaltigkeit.

Eine überzeugende Lösung bietet nurdie doppelte Buchführung. Theoretischkönnte man auch alle genannten Daten ste-tig dem kameralistischen Haushaltsentwurfanhängen. Es fehlte dann aber immer nochdie komprimierte Zusammenfassung derDoppik mit der Bilanz sowie der Gewinn-und Verlustrechnung und die Gesamtkon-solidierung eines Landesetats mit allenLandesbeteiligungen.

Die doppelte Buchführung haben vieleLänder den Gemeinden vorgeschrieben,andere Länder stellen dies den Gemeindenfrei. Auf kommunaler Ebene ist damit derDurchbruch für ein neues Rechnungswe-sen gelungen; auch Länder – wie Bremen,Hamburg, Hessen und Niedersachsen –führen die kaufmännische Buchführungein. Mit der Doppik und der dezentralenBudgetierung dringt betriebswirtschaftli-ches Denken in die Landesverwaltung ein.Diese Ökonomisierung der Politik ist er-forderlich, damit sie finanzierbar bleibt,ohne dass es zu einer Dominanz der Öko-nomie kommen darf.38

Flexibilität statt Besitzstand

Die Finanzpolitik ist in den meisten Län-dern traditionell verantwortlich für denLandesbau und fast überall für das inzwi-schen weitgehend eingeführte Gebäudema-

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36 Ralf Welge, Peter Müller, Christoph Rieger,Finanzierungskosten des Bundes, Commerz-bank, Fixed Income Information, 9. März2001.

37 Die prozentualen Einsparungen beziehen sichauf die Höhe der Schuldverschreibung.

38 S. Kuhlmann hat vor kurzem die Ökonomisie-rung von Politik und Verwaltung durch dieNeuen Steuerungsmodelle als teilweise Fehl-entwicklung dargestellt. Sie kritisiert zuRecht, dass dezentrale Budgets ohne Sparvor-gaben nicht zu Einsparungen führen, über-mäßige Enthierarchisierung ineffektiv seinkann und dass die Datenflut der KLR oft we-nig ausgewertet wird und wenig Ergebnissezeitigt. Doch Kuhlmann muss auch positiveErgebnisse der Neuen Steuerung anerkennen.Außerdem weist sie keine Alternativen zurÜberwindung der Haushaltskrisen auf. S.Kuhlmann, Hat das »Neue Steuerungsmodell«versagt?, Verwaltung und Management, 2006,S. 149 ff.

»Die Schuldzinsbelastung lässt sich durch eingezieltes Zinsmanagement senken.«

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nagement. Die Einführung hat zu erhebli-chen Einsparungen bei dem technischenund dem infrastrukturellen Facility Mana-gement geführt, aber der Durchbruch zueiner flexiblen Nutzung der Immobilienunter dem Gesichtspunkt der Optimierungaller Kosten und der Funktionsfähigkeit istkaum gelungen.

So gibt es günstige Miet- oder Eigen-tumsobjekte am Markt, die wirtschaftlicherund oft auch funktionsfähiger wären, dieaber nicht realisiert werden, weil es Wei-terverwendungsprobleme der dann aufzu-gebenden Immobilien bei den Landeslie-genschaftsgesellschaften gibt. Grund sindteilweise gefallene Preise bei den Immobi-lien seit ihrer Veräußerung an diese Ge-sellschaften. Damit ist faktisch ein Verlustbei dem Liegenschaftsfonds eingetreten,der sich wohl nicht in der Bilanz niederge-schlagen hat. Doch mindestens für die Ob-jekte, die Behörden abgeben wollen, umfür den Haushalt günstigere Lösungen zufinden, müssen die Bilanzwerte abgewertetwerden, um die Chancen für wirtschaftli-chere Lösungen nicht zu verpassen. Dazumuss man entweder zu einem Bilanz-schnitt auf Kosten der Liegenschaftsver-waltung oder des Landesanteils oder zu ei-nem Landeszuschuss bereit sein; jedenfallsdarf die ökonomischere Lösung nicht anmangelnder Flexibilität leiden. Bei renta-blen Neubauprojekten bestehen zudemnicht nur die Möglichkeiten des Mietensoder des Leasens, sondern auch die der Pu-blic-Private-Partnership. Bund und Länderbemühen sich seit kurzem, die Hemmnissegegenüber öffentlich-privaten Partner-schaften zu verringern.

Strukturen statt Subventionen

Die Situation der Finanzpolitik erfährt einezweite Zukunftsbelastung dadurch, dassdie Nachhaltigkeitsorientierung auch ande-rer Politikbereiche wenig ausgeprägt ist.

Die einzig überzeugenden, stetigen undlangfristigen Prognosen gibt es zur Renten-politik, die auch am ehesten auf Nachhaltig-keit angelegt ist. Ähnliches gibt es bei denLändern für die Ruhestandsbezüge nicht.

Ein großes Problem der Länderpolitikist die laufende Subventionierung fragli-cher Strukturen. Dies trifft sowohl für dieWirtschafts- und Landwirtschaftspolitikals auch für die Landeskommunalpolitikzu. Eine Subventionspolitik kommt für dieFinanzpolitik immer doppelt teuer: Einer-seits entwickelt sich eine Subvention fastimmer zu einer Dauersubvention, die nurmit großen Konflikten abgebaut werdenkann, und andererseits lenkt sie Kapitalfalsch und behindert das Wachstum an an-derer, effektiverer Stelle.

In der Wirtschaftspolitik gibt es Länderwie Sachsen und das Saarland mit deutli-cher Zukunftsorientierung, ihnen stehennoch immer Länder gegenüber, die weiteran alten Strukturen festhalten und Stein-kohle und Werften subventionieren. Gera-dezu gigantisch ist der Subventionsauf-wand für die Landwirtschaft.

Ebenso kurzsichtig ist der Erhalt zukleiner Gemeinden und Kreise. Der Ver-waltungsaufwand ist relativ hoch, die Un-terstützung aus dem Finanzausgleich teuerund die wirtschaftliche Entwicklung ge-hemmt.

Vor- statt Nachsorge

Auch die sehr hohen Arbeits- und Sozial-hilfeleistungen beruhen teilweise auf einerJahre zurückliegenden unzureichenden all-gemein- und berufsbildenden Qualifikationder Beschäftigten. Nachsorgende Sozial-transfers sollen die Härten vorausgegange-ner unzureichender Qualifikation mildern.

Insgesamt führt eine Kurzatmigkeitnicht nur der Finanzpolitik, sondern derLandespolitik insgesamt zu einer andau-ernden Haushaltsüberforderung. Nur miteiner nachhaltigen Politik kann der Haus-halt dauerhaft saniert werden.

Sanierungsfähigkeit der Länderhaushalte

Die meisten Landeshaushalte sind sanie-rungsbedürftig, aber sie sind auch sanie-rungsfähig. Die Reformpotentiale sind fastunübersehbar. Sie gibt es in jedem Bereichder äußeren, der inneren und der prozes-sualen Strukturen innerhalb jeder Gebiets-körperschaft wie vor allem zwischen denGebietskörperschaften. Hinzu kommen dieMöglichkeiten einer verstärkten ökonomi-schen Ausrichtung der Verwaltung, derPersonal- und der Zuwendungspolitik so-wie bei den Finanzdienstleistungen. Dievorangegangenen Ausführungen habendies aufgezeigt. Die geplante Mehrwert-steuererhöhung, an der die Länder mit ei-nem Prozentpunkt beteiligt werden sollen,erleichtert zusätzlich die Etatkonsolidie-rung.

Bitter ist, dass sich nur ein Teil derLänder jetzt auf den Weg einer strikten

Haushaltssanierung mit mittelfristig ehr-geizigen Zielen, überzeugenden Konzep-ten und deutlichen Schritten macht. Viel-mehr scheint der Sanierungswille ehernachzulassen. Dabei ist die Situation mitüber den Prognosen liegenden Steuerein-nahmen und der geplanten Mehrwertsteue-rerhöhung einmalig günstig: Eine ansatz-weise ähnliche Chance hat es seit Beginnder 90er Jahre nicht gegeben, und sie wirdsich so leicht nicht wiederholen.

Sanierungschancen für die Länderhaushalte

Zur Haushaltssanierung der Länder werdenForderungen leicht erhoben, und es wirdauf Konsequenzen gedrängt. Die Kernfrageaber ist, wie sich die Forderungen umset-zen und ob die Zuständigen willens unddurchsetzungsfähig sind. Die in vielen Län-dern enttäuschenden Reaktionen der Fi-nanzpolitiker zeigen die institutionellen

Schwächen einer Finanzpolitik auf. Waskann getan werden, damit der Wille unddie Möglichkeiten der Finanzpolitiker ge-stärkt werden, eine nachhaltige Haushalts-sanierungspolitik durchzusetzen?

Rechtliche Chancen

Die bisherigen Verfassungsgrenzen habendem Ausgabendruck der Fachressorts nichtstandgehalten. Die Kreditobergrenze istzusammen mit dem Investitionsbegriff un-ter dem Druck der Fachressorts bis zur Un-kenntlichkeit ausgedehnt worden, sie hatihre inhaltliche Rechtfertigung verlorenund ist zudem mehrheitlich durchbrochenworden. Mit dem Alibi des Bundes hat dieMehrheit der Länder 2002 die Verfas-sungsgrenze überschritten. Viele Finanz-minister haben nur darauf gewartet, imWindschatten des Bundes relativ konflikt-los die Kreditobergrenze zu vernachlässi-gen. Die Kritik der Rechnungsprüfung undselbst Urteile der Landesverfassungsge-richte über eine Verfassungswidrigkeit vonLänderhaushalten haben wenig nennens-werte Sanierungsanstrengungen bewirkt.

Um die Sanierungsanstrengungen derLänder zu befördern, verlangen Rech-nungshöfe, Experten und Öffentlichkeitvon Bund und Ländern ein strikteres Ver-

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»Eine überzeugende Lösung für die nötige finanzpolitische Aufklärung bietet nur diedoppelte Buchführung.«

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schuldungsrecht. Zumindest soll die Kre-ditobergrenze um die notwendigen Ab-schreibungen und um Vermögensveräuße-rungen reduziert werden. Weitergehend istdie Forderung nach einem Verschuldens-verbot in den Verfassungen von Bund undLändern.

Ein Verfassungsverbot würde inhaltlicheinen großen Schritt weiterführen. Zwarsetzt es – kameralistisch geprägt – bei derLiquiditätsbegrenzung an, erschwert so dieInvestitionen erheblich und fördert eineprozyklische Ausgabenpolitik des Staates,aber andererseits kann es nachhaltig dieSchuldenbelastung begrenzen. Allerdingsist auch das Verschuldensverbot durchKassenkredite manipulierbar, aber wenigerals die bisherige Kreditobergrenze, weil estransparenter und für die Öffentlichkeitverständlich ist; seine Verletzung würde zugrößeren öffentlichen Protesten führen.

Das Verfassungsverbot aber zu realisie-ren, ist sehr schwierig. Denn die Befür-worter appellieren an die Finanzpolitiker,eine sie einengende Gesetzesnovelle ein-zubringen, und an die Fachpolitiker in Re-

gierung und Parlamenten, diese Selbstkne-belung zu beschließen.

Die Bundes-CDU schlägt jetzt eine ge-schickte Strategie über Parteitagsbeschlüs-se ein. Nach der CDU-Programmkommis-sion soll in den Verfassungen von Bundund Ländern ein Verschuldungsverbot spä-testens wirksam ab 2012 verankert wer-den. Zwar ist der Zeitpunkt generell unrea-listisch, aber mit einer Umsetzung eineswahrscheinlichen Parteiprogammpunkteseiner Volkspartei in die eine oder andereVerfassung ist zu rechnen. Dem rechtli-chen Vorbild würden nach und nach dieanderen Gebietskörperschaften folgen unddas neue Verfassungsziel wenigstensgrundsätzlich anstreben.

Einen anderen Weg zu einer strikterenVerfassungsgrenze könnte die Rechtspre-chung – besonders der Verfassungsgerich-te – in Gang setzen.

Aufsichtslösung

Nach Meinung des Präsidenten des Lan-desrechnungshofes von Mecklenburg-Vor-pommern, T. Schweisfurth, hat eine bun-desweite Sanierungspolitik nur die Alter-

native Aufsichts- oder Marktlösung – oderaber eine Zwischenlösung.39

Die Aufsichtslösung ist zwar in derTheorie überzeugend, aber kaum in derPraxis. So darf der Bund schon mit dembestehenden Recht einen Sparkommissarfür ein Land einsetzen, in dem gegen einverbindlich vereinbartes Sanierungspro-gramm oder gegen grundlegende Haus-haltsgesetze verstoßen wird.

Obwohl zwei Länder seit Jahrzehnten imHaushaltsnotstand leben und es seit länge-rem abzusehen war, dass die erheblichenSanierungsmittel zu keiner Haushaltskonso-lidierung führen würden, hat der Bund die-ses Rechtsmittel nicht ergriffen, wissend,dass er erneut Zig-Milliarden-Forderungengegenüberstehen dürfte. Der Bund konnteaus politischen Gründen gar nicht gegendiese Länder vorgehen, da er auf ihre Stim-men im Bundesrat angewiesen war. Zudemwar er sich sicher, dass eine Anwendungdieses Rechts an der Zustimmungspflichtdes Bundesrates scheitern würde.

Auch die vom Bundesverfassungsge-richt zuerkannten Sanierungshilfen an die

Haushaltsnotlageländer Bremen und Saar-land Ende der 80er Jahre waren mit Aufla-gen verbunden, die Aufsicht wurde jedochvon Bund und dem Finanzplanungsrat sehrkursorisch wahrgenommen. Eventuellkönnte ein neues Urteil des Bundesverfas-sungsgerichtes eine schärfere Aufsichtslö-sung als Bedingung für weitere Bundeshil-fen verlangen.

Sanktionslösung

Eine weitgehende Aufsichtslösung mitSanktionsrecht besteht allerdings innerhalbder Wirtschafts- und Währungsunion derEU. Sie hatte die Bundesregierung als Be-dingung für die Einführung der neuenWährung im Zusammenhang mit den Fis-kalkriterien durchgesetzt. Sie sollte ur-sprünglich der finanziellen Disziplinierunganderer Beitrittsstaaten dienen, wandte sichdann aber auch gegen den Bund und dieLänder. Dabei wurde der EU eine Aufsichts-funktion zugestanden. Der Kommissionwurde auferlegt, dass die Länder ihr zu be-richten haben und dass sie die Länder zuanalysieren, zu begutachten und deren mehr-fache Finanzverstöße zu sanktionieren hatte.

Diese Aufsichtsfunktion der EU-Kom-mission hat sich als das wirksamste Mittelgegen die Staatsverschuldung auch inDeutschland erwiesen. Die ständige EU-Kritik hat öffentliches Bewusstsein füreine nachhaltige Finanzpolitik geschaffen.

Doch die EU-Fiskalkriterien betreffendie Gebietskörperschaften einschließlichder sozialen Sicherungssysteme eines Mit-gliedslandes insgesamt, während bishernur der Bund sanktionsbetroffen war.

Erstaunlich ist, dass es zu einem Bünd-nis des Bundes mit den sanierungswilligenLändern bei der Föderalismusreform ge-kommen ist, so dass jetzt die Länder beiEU-Sanktionen automatisch in die Mithaf-tung genommen werden. Mit der Grundge-setzänderung tragen die Länder direkt 35Prozent der Kosten von Zwangsmaßnah-men, davon zu 65 Prozent die Länder, diefür diese verantwortlich sind. Diese Sankti-onslösung dürfte künftig nicht nur für denBund, sondern abgeschwächt auch für dieLänder disziplinierende Wirkung haben.

Mit weitergehenden Sanktionsmaßnah-men ist höchstens auf Grund einer entspre-chenden Auflage des Bundesverfassungs-gerichts zu rechnen. Ob sie dann auch an-gemessen administriert werden, bleibtfraglich.

Kapitalmarktlösung

Alternativ zur Aufsichts- und Sanktionslö-sung stünde eine Kapitalmarktlösung, beider die Haftungskette für Schulden derLandesebene zu Lasten der Bundesebeneaufgegeben würde. Dann sind die Schul-den weniger gesichert, und der Kapital-markt würde je nach Schuldenstand, Lei-stungskraft und Landessicherheiten desLandes unterschiedliche Zinssätze verlan-gen bzw. keine Kredite mehr vergeben; derMarkt würde politikunabhängig die jewei-ligen Länder disziplinieren.

Dieser Vorschlag hätte weit reichendeKonsequenzen, doch politisch durchzuset-zen ist er auf Bundesebene mit Zustimmungdes Bundesrates mit verfassungsändernderMehrheit nicht, denn nicht wenige Länderwären von dieser Reform finanziell negativbetroffen. Nur ein Bundesverfassungsge-richtsurteil, das den Notlageländern zusätz-lichen Anspruch auf Bundesmittel versagenwürde, könnte vom Kapitalmarkt als Infra-gestellung der Haftungskette bewertet wer-den.

Das Instrumentarium zur Ausgabensenkung

318

39 Tilmann Schweisfurth, Auf Kosten der ande-ren, o.A., o.J.

»Forderungen zur Haushaltssanierung werden leicht erhoben – die Kernfrage aber

ist, ob die Zuständigen willens und durchsetzungsfähig sind.«

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Öffentlich-politische Chancen

Mit der Föderalismusreform hat sich erst-mals eine direkt wirkende politikunabhängi-ge Sanktionslösung durchgesetzt, die einegewisse disziplinierende Wirkung entfaltendürfte.

Darüber hinaus kann ein Verschul-dungsverbot in einem Grundsatzprogrammeiner Volkspartei längerfristig eine Sanie-rungspolitik bei den Ländern bewirken.Möglich sind auch Auflagen der Verfas-sungsgerichte von Bund und Ländern.

Doch eine Sanierungspolitik der Länderhängt maßgeblich von der politischen Ge-samtlage, der Lage der Gebietskörper-schaften und der Öffentlichkeit ab, aberauch von der Finanzpolitik selbst.

Politische Gesamtlage

Die Gebietskörperschaften werden von derEinnahmeseite her durch die Steueranhe-bungen sowie den Abbau von Steuersub-ventionen einerseits und die positive Kon-junktur andererseits kurzfristig entlastet.

Doch längerfristig wird der Druck aufdie Länderhaushalte von der Einnahme-wie der Ausgabenseite wieder zunehmen.

Die Wirtschaftsentwicklung hat zwar zueiner leichten Wende am Arbeitsmarkt ge-führt; dennoch bleibt die Arbeitslosigkeit –auch im Auslandsvergleich – noch er-schreckend hoch, so dass weiterhin derDruck auf Senkung der Lohnnebenkostenund auf Einführung von Kombilöhnen zuLasten einer Steuerfinanzierung erhaltenbleibt. Damit droht auch eine Neuvertei-lung des Finanzaufkommens zwischen denGebietskörperschaften.

Auch wenn die deutsche Wirtschaftwieder auf einen Wachstumskurs einge-schwenkt ist, bleibt sie im OECD-Maßstabbei eher durchschnittlichen Wachstumsra-ten. Weiterhin werden Arbeitsplätze undKapital eher ab- statt zuwandern. Die For-derungen nach weiteren Entlastungen derUnternehmenssteuern werden anhalten.

Zudem kommen die sozialen Siche-rungssysteme wegen der demografischenEntwicklung unter zunehmenden Druck,und es droht eine stärkere Steuerfinanzie-rung mit einer Änderung der Steuerauftei-lung. Bei den Renten ist wenigstens einemittelfristige Lösung gelungen, bei derGesundheitsreform droht eine nur kurzfri-stige Lösung mit höherer Steuerfinanzie-rung, und die Reform der Pflegeversiche-rung ist offen.

Die Länderhaushalte werden zudem vonder Ausgabenseite her stark belastet. DieSchuldzinsen ziehen weiter an, und einEnde des Anstiegs ist noch nicht abzuse-hen. Sie werden die Haushalte mindestens

kurz- und mittelfristig belasten. Sodannwachsen die Lasten der Ruhestands- undHinterbliebenenbezüge sowie die Sozialhil-fekosten stetig. Zugleich steigen die Forde-rungen nach erhöhten Ausgaben für Schuleund Hochschule.

Gebietskörperschaften

Die verschiedenen Gebietskörperschaftenreagieren auf die neue Entwicklung äu-ßerst unterschiedlich.

Die EU-Kommission hat die schwereKrise um die Fiskalkriterien überwunden.Sie verschärft ihre Kritik am Finanzgeba-ren der einzelnen Mitgliedsländer und for-muliert weitergehende Maßstäbe. So setztsie das Ziel einer nur noch einprozentigenNeuverschuldung am Bruttoinlandspro-dukt und erwartet von Deutschland, seinstrukturelles Defizit jährlich um 0,5 Pro-zent zu reduzieren.

Der Bund dürfte auf absehbare Zeit sei-ne Lektion aus der Auseinandersetzungmit der EU-Kommission gelernt haben.Zwar hat die Kommission Zugeständnisseeinräumen müssen, insgesamt aber hat dieFinanzpolitik des Bundes international wiein der deutschen Öffentlichkeit gelitten.Zumindest eine vorsichtige Verringerungder Nettokreditaufnahme – auch für Reser-ven bei einer möglichen neuen Wirt-schafts- und Finanzkrise – dürfte sich trotzaller Forderungen zur Sanierung der Sozi-alsysteme durchsetzen. So wird der Bundvoraussichtlich weitere Verwaltungsrefor-men über den Bürokratieabbau hinaus –wenn auch vorsichtig – durchziehen.

Die Haushaltslage der Länder ist denk-bar unterschiedlich. Zwei Bundesländerhaben Haushaltsentwürfe ohne Neuver-schuldung, mehrere Länder haben die Ver-fassungsgrenze überschritten, drei befin-den sich in einer Haushaltsnotlage. Dabeistehen die finanzschwachen Länder vor ei-ner doppelten Herausforderung:� Der Wettbewerbsföderalismus der durch

die Föderalismusreform gestärkten Län-der ist im vollen Gange. Der Wettstreitum Wirtschaft, Arbeitsplätze und Wohl-stand wird auch über die Finanzpolitikgeführt. Bayern und Sachsen habenHaushaltspläne ohne eine Neuverschul-dung vorgelegt. Bayern will damit nicht

nur seine Attraktivität steigern und Vor-bild für die Länder sein. Vielmehr willBayern auch nachweisen, dass Länderauf die Kreditaufnahme verzichten kön-nen und dass die bayerische Staatsregie-rung die erforderliche Kraft hat, um Wi-derstände zu überwinden. Der Nachweisder Sanierungsfähigkeit eines Landes-haushaltes aus eigener Kraft soll auchden Solidaranspruch der finanzschwa-chen Länder in Frage stellen. Dieser dia-metrale Ländergegensatz zwischen Fi-nanzvorbildlichkeit einerseits undHaushaltsnotlage andererseits verschärftden Konflikt zwischen den Geber- undden Nehmerländern und besonders denHaushaltsnotlageländern.

� Die andere Herausforderung ist die Ent-scheidung des Bundesverfassungsge-richts zu den Klagen der Haushaltsnotla-geländer Berlin, Bremen und demSaarland. Berlin rechnet sich – wohl zu

Recht – vor dem Bundesverfassungsge-richt keine Chance auf Bundeshilfe ohneerhebliche Eigenanstrengungen aus. Des-halb verpflichtet sich Berlin, den Primär-haushalt ohne Schuldzinsen und ohneKreditaufnahme zu decken und möglicheBundeshilfen außerhalb des Finanzaus-gleiches nur zur Schuldentilgung zu ver-wenden. Dies hat schon jetzt dazu ge-führt, dass Bremen unter Zugzwangschärfere Sanierungsanstrengungen an-bietet. Dass künftig noch weitere Länder,die eine Haushaltsnotlage anmelden, Sa-nierungshilfe gerichtlich durchsetzenkönnen – und besonders einige ostdeut-sche Länder stehen vor dieser Situationspätestens mit dem Auslaufen des Soli-darpaktes –, ist äußerst unwahrscheinlich.

Die recht intensive Diskussion auch um dieVerschuldung der Länderhaushalte wirdvoraussichtlich dazu führen, dass kein Land– vom Vorwahl- und Wahljahr abgesehen –die Neuverschuldung anheben wird. Dage-gen werden die EU-Fiskalkriterien bei denLändern erst dann zu härteren Konsolidie-rungsmaßnahmen führen, wenn Sanktionendrohen. Wenigstens werden die Länder dieüber den Haushaltsplan hinausgehendenSteuermehreinnahmen überwiegend zumAbbau der Nettokreditaufnahme verwenden.

Größere Sanierungsanstrengungen undumfassende Verwaltungsmodernisierungen

Joachim Lohmann, Noch sind die Länderhaushalte sanierbar

VM 6/2006 319

»Die Landeshaushalte sind sanierungsfähig,denn in allen Ländern gibt es erhebliche Effizienzreserven, vornehmlich bei denStrukturen und Prozessen.«

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stehen kaum an. So bleibt bei den Haus-haltsnotlageländern die Sorge, ob sie auchbei ungünstigem Ausgang ihrer Klagen zueiner Sanierungslösung bereit sind. Bei denübrigen Ländern mit einer Verletzung derVerfassungsgrenze bleibt die Befürchtung,ob sie mittelfristig zu einem verfassungs-mäßigen Haushalt zurückkehren werden.Bei den anderen Ländern ist offen, ob siekurzfristig die Kreditobergrenze weit genugunterschreiten werden, um bei einer mögli-chen neuen Wirtschafts- und Finanzkriseverfassungskonforme Haushalte vorlegenzu können.

Öffentlichkeit

Der wichtigste Garant für eine Haushalts-sanierungspolitik ist eine wachsame Öf-fentlichkeit. Sie ist – auch wegen der Zu-kunft der sozialen Sicherungssysteme unddurch den Streit um die Einhaltung derEU-Fiskalkriterien – viel kritischer gegen-über einer Neuverschuldung geworden.Die Rechnungshöfe und eine Vielzahl vonVerbänden sind maßgebliche Größen derÖffentlichkeit. Es ist davon auszugehen,dass diese ihren Einfluss weiter im glei-chen Sinne wahrnehmen werden.

Der Schwerpunkt der Öffentlichkeitliegt bei der Analyse und Kritik. Eingroßes Manko im Finanzbereich der Län-der ist ein weitgehendes Fehlen einer kon-struktiven Öffentlichkeit wie durch dieKommunale Gemeinschaftsstelle (KGSt)für die Gemeinden.

Vermisst werden systematische, verglei-chende Bestandsaufnahmen der Organisati-on und der Prozesse bei den Ländern, dergrößeren Reformpotentiale und vergleichen-den Analysen von Reformen. Die Verwal-tungswissenschaft konzentriert sich entwe-der auf den Bund oder die Kommunen. Ein-zig die Rechnungshöfe nehmen sich ehersporadisch der vergleichenden Analysen an.Für die Finanzpolitik wäre es eine großeHilfe, wenn die Rechnungshöfe eine solcheAufgabe trotz aller Schwierigkeiten über-nehmen könnten.

Finanzpolitik

Wenn es abgesehen von Gerichtsentschei-dungen und möglichen späteren Verfas-sungsänderungen nicht zu rechtlich ver-schärften Auflagen der Finanzpolitik kom-men wird, hängt alles von dem Verhaltender Finanzpolitiker ab: Wie können sie unddie Finanzpolitik selbst gestärkt werden?

Rechtlich sind die Möglichkeiten be-schränkt, sieht man von einer Revision desexzessiv verstandenen Ressortprinzips ab.

Es gibt die oben ausführlich diskutierteMöglichkeit, grundsätzlich alle Behörden

und Mitarbeiter in die Finanzverantwor-tung einzubeziehen.

Darüber hinaus liegt es aber weitgehendin der Hand der Finanzpolitiker, ihren Ein-fluss auszubauen. Mit größerer Transparenzder Vermögens- und Verschuldungslage unddes Rückstellungsbedarfes gegenüber derÖffentlichkeit würden sie mit deutlichererUnterstützung rechnen können.

Die überzeugendste Möglichkeit ist dieEinführung des doppischen Rechnungswe-sens:� Die Gewinne bzw. Verluste unter Ein-

bezug von Abschreibungen, Rückstel-lungen, Erwerb und Veräußerungenwerden klar erkennbar.

� Darüber hinaus werden die Vermögenund Verluste wiederum unter Ein-schluss von Abschreibungen, Rückstel-lungen u.a. bilanziert.

� Es werden nicht nur die Landesverwal-tung, sondern auch die Landesbeteili-gungen konsolidiert.

� An die Stelle der kameralistischen Ge-heimwissenschaft eines Haushalts trittdie Übersichtlichkeit einer Bilanz.

Die Öffentlichkeit wird sich deshalb miteinem doppischen Haushalt intensiver be-fassen können.

Gleichzeitig werden dadurch die Anfor-derungen an die Finanzpolitik gesteigert:� Die Öffentlichkeit wird auf eine positive

Gewinn- und Verlustrechnung drängenund damit eine weitergehende Sanierunganfordern; denn zunächst werden fastalle Haushalte mit negativen Ergebnis-sen abschließen, da bei der Doppik auchAbschreibungen und neue Rückstellun-gen erwirtschaftet werden müssen.

� Die Öffentlichkeit wird ebenso eine po-sitive Bilanz einfordern, aber zunächstwerden bei den meisten Ländern dieVerluste das Vermögen übersteigen.

Damit erhält eine auf nachhaltige Konsoli-dierung angelegte Finanzpolitik eine deut-liche Rückenstärkung in der Öffentlich-keit.

Die Chance ist relativ groß, dass sichdie doppelte Buchführung auf Länderebe-ne durchsetzt:� Auf Anweisung der Länder werden die

Gemeinden in manchen Ländern ge-schlossen, in anderen überwiegend dieDoppik einführen.

� Die Ausgründungen in Landesgesell-schaften und Landesbetriebe haben inden letzten Jahren erheblich zugenom-men; fast immer arbeiten sie auf doppi-scher Grundlage.

� Der Überblick der Politik und der Öf-fentlichkeit über die Finanzsituation ei-nes Landes einschließlich seiner Betrie-be und Gesellschaften ist nur über eineGesamtkonsolidierung möglich, die ih-

rerseits nur auf doppischer Grundlageerarbeitet werden kann.

In das Rechnungswesen der Länder ist in-zwischen durchaus Bewegung gekommen.Bremen, Hamburg, Hessen und Nieder-sachsen führen die Doppik ein, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein planenbzw. prüfen den Einstieg. Einige unter ih-nen überlegen zudem eine Bundesratsi-nitiative für eine Novelle des Haushalts-grundsätzegesetzes des Bundes.

Schluss

Die Landeshaushalte sind sanierungsfähig,denn in allen Ländern gibt es erhebliche Ef-fizienzreserven, vornehmlich bei den Struk-turen und Prozessen, was die vorangegan-genen Artikelfolgen aufgewiesen haben.Die Steuermehreinnahmen durch Steueran-hebungen und Wirtschaftsentwicklung er-leichtern die Möglichkeiten zur Haushalts-konsolidierung.

So besteht auch die Aussicht, dass es zueiner Haushaltssanierung kommen wird.

Chancen bestehen auf Grund der sankti-onsbewehrten Aufsichtsfunktion der EU-Kommission über die Mitgliedsstaaten unddes Durchgriffs dieser Sanktionen auf dieLänder dank der Föderalismusreform. Dar-über hinaus besteht mittel- bzw. längerfri-stig die Chance eines verschärften Ver-schuldungsrechtes.

Hinzu kommen die Auswirkungen eineszunehmenden Wettbewerbsföderalismus,eine bewusstere Öffentlichkeit und eineverbesserte Aufklärung durch ein neuesRechnungswesen. Von erheblicher Bedeu-tung kann zudem die Entscheidung desBundesverfassungsgerichtes über die Kla-ge der drei Notlageländer sein.

Nachwort

Zum Zeitpunkt der Fahnenkorrektur fälltedas Bundesverfassungsgericht sein Urteilüber die Berlin-Klage. Die klare Entschei-dung des Bundesverfassungsgerichts warauch vom Verfasser so nicht erwartet wor-den. Sie birgt Vor- und Nachteile. Vorteil-haft ist die eindeutige Verantwortlichkeitdes Landes für die Überwindung der »Über-schuldung«, ohne noch auf Sondermittel set-zen zu können. Nachteilig ist, dass eineSanktionslösung mit scharfen Auflagen anSondermitteln entfällt. Alles hängt jetzt vomSanierungswillen der Länder ab, vor allemder sieben, welche die Kreditobergrenzeverletzen. Neben dem politischen und öf-fentlichen Druck wird es vor allem vomBund und übrigen Ländern abhängen, ob sienachhaltigen Druck ausüben können.

Das Instrumentarium zur Ausgabensenkung

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Wissenschaftliche Erkenntnis alsProblemlösungshilfe

Die an (Fach-)Hochschulen und Berufsaka-demien gelehrten Studienfächer werden üb-licherweise als »Wissenschaftsdisziplinen«bezeichnet. Ihnen ist gemeinsam, dass sieErkenntnisse darstellen und produzierenwollen, die das Prädikat »wissenschaftlich«verdienen. In Abgrenzung zu anderen Er-kenntnissystemen scheint gesellschaftlicherKonsens, dass man mit der Wissenschafteine Methode zur Erkenntnisgewinnungund Erkenntnisprüfung entwickelt hat, diesich von anderen Wegen positiv abhebt undals erfolgreich ausgezeichnet ist. Nicht ein-deutig geklärt scheint jedoch die still-schweigend unterstellte Antwort auf dieFrage, wann eine Disziplin den »üblichen«Standards der Wissenschaftlichkeit genügt.

Für jede »Lehre« heißt zu klären, wannder jeweilige Studienbetrieb mehr als eine»Kunde«, mehr als nur Ansichten, Mei-nungen, mehr als praktisch-technologischeFertigkeiten vermittelt, – nämlich derartfundierte Erkenntnisse, dass das begehrtePrädikat »wissenschaftlich« vergeben wer-

den darf. Trotz kritischer Diskussion die-ser Frage hat sich eine »herrschende Mei-nung« in den letzten Jahrzehnten immerdeutlicher herauskristallisiert.

Im Folgenden wird versucht zu zeigen,dass eine Ausbildung zum »Juristen«, diezur korrekten Anwendung1 bestehenderGesetze befähigt, als Formalwissenschaftzu kennzeichnen ist. Die – für manche be-dauerliche – Konsequenz ist dann, dass ankeiner (objektiven) Realität die Richtigkeit(»Wahrheit«) der hier produzierten Aussa-gen geprüft werden kann; ausschließlichdie auf Konventionen beruhenden Ansich-ten der beteiligten Menschen schaffen –wie in der Mathematik – das System, andenen sich diese juristischen Aussagenmessen lassen können. Der Schwerpunktder Ausbildung und Praxis ist dann ange-wandte Logik. Streben sie dabei – wie fürWissenschaften quasi konstitutiv – nachintersubjektiv überprüfbar wahren Aussa-gen, liegt dem eine »Konsenstheorie derWahrheit« zu Grunde.

Wird allerdings ein Studium »Rechts-wissenschaften« versprochen, ist der An-spruch für die überwältigende Mehrheitder Beteiligten bedeutend höher: Die betei-ligten Fachwissenschaftler, zumeist derÜberzeugung, dass ihr Fach eine »Sozial-wissenschaft« sei, wollen ihre Aussagenhinsichtlich der Richtigkeit an der Wirk-lichkeit messen lassen. Die dem dann –wenn auch oft nur implizit – unterstellte»Korrespondenztheorie der Wahrheit«setzt voraus, dass eine (wie auch immergeartete) objektive2 Realität das Entschei-dungskriterium bildet.

Sollten jedoch Juristen nicht mehr wol-len, als menschliches Zusammenleben –normativ – zu gestalten, wäre es eine»Kunstlehre«,wäre es Politik, als »Entschei-dungskunst« jedoch keine Wissenschaft.

Für die Studienfächer »Jura« oder»Rechtswissenschaft« soll geklärt werden,unter welchen Aspekten sie in das Gefügeder Wissenschaftssystematik einzuordnenwären. Werden die geforderten Kriterienfür »Wissenschaftlichkeit« mit der jeweili-gen Praxis bzw. den Zielen der juristischenTeilaufgaben verglichen, kann dies zu ei-ner realistischeren Beurteilung der Lei-stungen beitragen.

Zur Wissenschaftssystematik

Alle Fachwissenschaften unterteilen sichin Formalwissenschaften – hierzu zähltman die Mathematik, die Logik, Teile derInformatik – und Realwissenschaften, ob-wohl die exakte Abgrenzung nicht ganzunstrittig ist. Im Gegensatz zu den Formal-wissenschaften geht man bei den Untersu-chungsobjekten in den verschiedenenRealwissenschaften davon aus, dass dieseauch unabhängig vom menschlichen Geist,vom Denken existieren. Die Objekte derFormalwissenschaften, die Zahlen, dasAddieren, das ideale Dreieck, der logischeSchluss, hingegen sind – nach »herrschen-der Ansicht« – in der Realität nicht vor-findbar; sie existieren nur in der menschli-chen Vorstellungswelt.

Die »Wirklichkeitswissenschaften« un-terteilen sich wiederum in die Naturwis-senschaften (zum Beispiel Physik, Che-mie, Biologie) und die Sozialwissenschaf-ten (auch Geistes- bzw. Kulturwis-senschaften genannt, zum Beispiel Psycho-logie, Ökonomie, Politologie, Soziologie).

Diese Unterteilung ist insofern nützlich,als nicht in allen Wissenschaften die glei-chen Aufgaben verfolgt werden. Zwar gilt

Jura oder Rechtswissenschaft?Welche »Theorie« und welche »Praxis« wird – wann und warum – zu einer »Wissenschaft«?

von Ralf Sowitzki

Wissenschaft hat sich als erfolgreiche Problemlösungshilfe etabliert.Nach einer kurzen Skizzierung ihrer Systematik und üblicher Stan-dards wird das Beherrschen der wissenschaftlichen Methode als einezunehmend an Bedeutung gewinnende Schlüsselqualifikation postu-liert. Ob auch die Jurisprudenz als Wissenschaft bezeichnet werdenkann, wird differenziert beantwortet: Einige Teile sind Formalwis-senschaft, größere Teile genügen als normative Aussagen nicht denAnforderungen wissenschaftlicher Erkenntnis. Empirische Theoriendienen als Hilfswissenschaften. Die Rechtswissenschaft selbst jedochist in ihrem Kernbestand keine Erfahrungswissenschaft.

Dr. Ralf Sowitzki istDozent und Fachgrup-penleiter für Sozial- undWirtschaftswissenschaf-ten an der Fachhoch-schule der SächsischenVerwaltung in Meißen.

Wissenschaftlichkeit als Schlüsselqualifikation

Verwaltung und Management12. Jg. (2006), Heft 6, S. 321-324

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1 Einschließlich der »korrekten« Entscheidungauf der Grundlage dieser Gesetze.

2 Das bedeutet hier: unabhängig von den Er-kenntnissen und Sichtweisen der beteiligtenSubjekte.

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für alle, dass bestimmte Sätze produziertwerden, die in einen logischen Zusammen-hang zu stellen sind, die wahr sein sollen,und dass begründete Erkenntnisse zumWissenschaftsbestand hinzugefügt werden– aber nicht alle Fachwissenschaften habenObjekte der Realität zum Gegenstand, ver-wenden die gleichen Methoden zur Fest-stellung der Wahrheit. Auch wollen nichtalle etwas erklären, etwas prognostizierenoder gar Handlungsempfehlungen geben.

In Abgrenzung zu anderen Erkenntnis-systemen haben Wissenschaftler den An-spruch, eine ausschließlich vernunftgesteu-erte Veranstaltung zu betreiben. Demzu-folge erfordert jede Behauptung eine –intersubjektiv nachvollziehbare – Begrün-dung. Diese wiederum ist – von ihrerStruktur her – ein logisches Argument.

Fragt man nach den Zielen der Wissen-schaftler, so werden für die Erfahrungswis-senschaften – traditionell – drei in den Vor-dergrund gestellt: Wissenschaftler wollen � erklären, warum etwas so (und nicht an-

ders) ist� prognostizieren, wie etwas sein wird

und� Handlungsempfehlungen geben.Voraussetzung (und für manche ebenfallseine Aufgabe der Wissenschaft) ist dabeieine genaue Beschreibung (die wiederumexakte Definitionen der untersuchten Ge-genstände und Sachverhalte erfordert) des-sen, worüber man spricht.

In der Wissenschaftstheorie wird ver-sucht, die Bedingungen für eine korrekteErklärung, eine korrekte Prognose, einewissenschaftlich begründete Handlungs-empfehlung anzugeben.

Die Einordnung der Rechtswissenschafterfordert zumindest grundsätzlichen Kon-sens über die in diesem Kapitel genanntenAspekte der zu Grunde liegenden Wissen-schaftsphilosophie (und ihrer Wahrheits-theorie). Sich dieser Fragen bewusst zuzu-wenden, ermöglicht Antworten auf die Be-dingungen und die Leistungsfähigkeit unddürfte daher lohnend sein.

Standards für Wissenschaftlichkeit

Bezüglich der Herausarbeitung der »übli-chen« Standards für Wissenschaftlichkeitlassen sich zwei Vorgehensweisen unter-scheiden. Man könnte durch Beobachtungund Beschreibung feststellen, wie sich dieWissenschaftler verhalten, welche Regelnsie befolgen, welche Voraussetzungen sieannehmen bzw. verwerfen. Dies wäre einedeskriptive Analyse.

Ausgehend von bestimmten Zielstellun-gen, Absichten und Hoffnungen könnteman, zum Beispiel, weil man es für ratio-

nal begründet hält, festlegen, wie Fachwis-senschaftler forschen sollten. Diese norma-tive Theorie hat sich, aus philosophischenÜberlegungen abgeleitet, als »Wissen-schaftstheorie« etabliert.3 Wenn auch mit-unter strittig ist, wer warum berechtigt seinkönnte, diese Wissenschaftsstandards fest-zulegen, so ist doch überwiegend aner-kannt, dass der kritische Dialog zur Ver-besserung der herrschenden Wissen-schaftspraxis unabdingbar ist.

Bei der Forderung nach Wissenschaft-lichkeit geht es in erster Linie um metho-disch korrektes Arbeiten, wobei »metho-disch korrekt« durch die zurzeit gültigenStandards der »Wissenschaftlergemein-schaft« definiert wird, also historisch rela-tiv4 zu sehen ist.

Wissenschaft befasst sich mit der Pro-duktion von Aussagen, Erfahrungswissen-schaft mit Aussagen »über die Welt« (dieRealität). Von diesen wissenschaftlichenAussagen fordert man, sie sollen begrün-det sein, sie dürfen nicht widersprüchlichsein, sie sollen wahr sein, sie müssen(prinzipiell) einer (intersubjektiven) Über-prüfung zugänglich sein, – und für dieRealwissenschaften: Sie müssen an neuenErfahrungen scheitern können.

»Echte« Wissenschaft grenzt sich be-wusst und strikt von Nichtwissenschaft-lichkeit ab. Aber auch zu den »Pseudowis-senschaften«5,6 – zu Disziplinen, die sichals Wissenschaften ausgeben, den damitverbundenen Anspruch aber nicht einlösen– wird eine Trennungslinie durch die ge-nannten Aspekte gezogen.

Entwicklungstendenzen im Hochschulbereich

Im Zuge der Arbeitsmarktentwicklung undder Forderung nach einer Neuordnung derStudiengänge (»Bologna-Prozess«) ist fürHoch- und Fachhochschulen, speziell deröffentlichen Verwaltung, die curriculareGestaltung neu zu bedenken. Waren esfrüher eher Fragen nach dem erforderlichenAnteil der reinen Wissensvermittlung ge-genüber der möglichst selbstständigen Erar-beitung methodischer Kompetenz, auch be-züglich der Gewichtung der »Theorieantei-le« gegenüber der »Praxisbezogenheit«,7 soartikulieren Beteiligte heute ein grundsätzli-cheres »Unbehagen« an einer stark arbeits-platzbezogenen Ausbildung der Studenten.Andere befürchten, dass sie die erworbenenQualifikationen nicht in einem Arbeitsfeldanwenden können, für das sie in der Regelnach überalterten und wenig flexiblen Lehr-plänen ausgebildet werden. Es entstandenForderungen nach veränderten Ausbil-dungsschwerpunkten. Die früher eher als

garnierende »Nebenfächer« angesehenen»Allgemeinen Lehrgebiete« erhalten eineneue Bedeutung. Themenbereiche aus derVolks- und Betriebswirtschaftslehre (hierspeziell aus dem betrieblichen Rechnungs-wesen mit Statistik, doppelter Buchführung,Kostenrechnung und Planung, Controllingund Organisationslehre), Finanzwissen-schaft, Psychologie und Soziologie werdennicht mehr nur für Klausuren gelernt, son-dern hinsichtlich ihrer potentiellen Verwert-barkeit in vermuteten Arbeitsfeldern be-dacht.

Verglichen mit den oft sehr speziellenInhalten der Studienlehrpläne erhoffen sicheinige von der Vermittlung mehr methodi-scher, mehr »grundsätzlicher« Inhalte einebessere Anpassungsfähigkeit der qualifi-zierten Arbeitskraft an die Anforderungender »offenen« und hinsichtlich des Bedarfskaum zu prognostizierenden Arbeitswelt.

Der Grundgedanke ist nicht neu: Mitder stärkeren Vermittlung so genannter»Schlüsselqualifikationen« wurde diese

Wissenschaftlichkeit als Schlüsselqualifikation

322

3 Die »moderne« Wissenschaftstheorie, in derRegel verbunden mit den Ansichten Stegmül-lers, versucht einen dritten Weg einzuschla-gen. Seine »rationale Rekonstruktion« dessen,was Fachwissenschaftler tun, versucht, ohneVorschriften auszukommen: Durch Präzisie-rung dessen, was im Wissenschaftsbetrieb»gewollt« ist, wird hier versucht anzugeben,wie man wissenschaftlich arbeiten sollte, umzu diesen Zielen zu gelangen. Man geht sozu-sagen davon aus, dass die Fachwissenschaftlerweder genau wissen, welche erkenntnistheore-tischen Überzeugungen ihre Arbeit leiten,noch wie sie diese Ziele erreichen können.Beispielsweise wollen sie etwas »erklären«,wissen jedoch nicht, wie eine korrekte Er-klärung sprachlich konstruiert sein sollte, zwarsuchen sie nach wahren Aussagen, wissen je-doch nicht, wann man eine Aussage als»wahr« bezeichnen darf ...

4 Wie (und dass) sich diese Standards der»scientific community« ändern, hat ThomasKuhn in seinem bedeutenden Buch: »DieStruktur wissenschaftlicher Revolutionen«(Frankfurt a. M., 3. Aufl. 1978. Originalausga-be: »The Structure of Scientific Revolutions«,Chicago 1962) eindrucksvoll nachgewiesen.Dieser »Paradigmenwechsel« ist (glücklicher-weise) selten, so dass derart »Grundsätzli-ches« im Leben eines Wissenschaftlers sich inder Regel nur einmal ändert ...

5 Zu diesem Themenbereich ist der Artikel vonVollmer, Gerhard: Wozu Pseudowissenschaf-ten gut sind. Argumente aus Wissenschafts-theorie und Wissenschaftspraxis. In: Universi-tas 2/93, S. 155-166, informativ.

6 Hierzu zählen zahlreiche Wissenschaftler dieAstrologie, Graphologie und Homöopathie, ei-nige die Marxsche Mehrwerttheorie, den Hi-storischen Materialismus, die Psychoanalyseund die Akupunkturtheorie, manche gar dieJuristerei.

7 Wobei der dabei in der Regel unterstellte»Theoriebegriff« kritisch zu reflektieren wäre:Eine gute Theorie steht – selbstverständlich –nicht im Gegensatz zur »Praxis«.

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Problematik bereits vor Jahrzehnten inzahlreichen Berufsfeldern zu entschärfenversucht. Allerdings scheint es nicht be-friedigend gelungen zu sein, diesen Begriffinhaltlich unstrittig zu füllen. Schlüssel-qualifikationen dürften nicht für lange Zeiteindeutig festlegbar sein. In einer dynami-schen Gesellschaft liegt es auf der Hand,dass von Zeit zu Zeit neu darüber befun-den werden muss.

Somit ist dieser Aspekt auch für dieAbsolventen universitärer Studiengängeinteressant. Diese müssen sich häufig –immer noch – mit dem Vorwurf einer we-nig praxisrelevanten Ausbildung auseinan-der setzen, denn ihr Studium gilt den in derArbeitswelt Tätigen oft als »theorielastig«und den spezifischen Anforderungen desAlltags nicht ausreichend angepasst. Auchhier dürfte unstrittig sein, dass die benötig-ten »praktischen« Fertigkeiten einem steti-gen Wandel unterliegen und die schnelleund möglichst reibungslose Anpassung aneben diesen Wandel eine zu entwickelndeQualifikation darstellt.

Die wissenschaftliche Methode alsSchlüsselqualifikation

Wettbewerb als Strukturmerkmal unsererGesellschaftsordnung spart das Bildungs-wesen nicht aus. Auf diesem zukunft-strächtigen Markt werden Lebenschancenverteilt. Hochschulen werden sich dabeials Leistungsanbieter zunehmend der Kon-kurrenz stellen müssen und den »Nachfra-gern« qualitativ hochwertige Produkte prä-sentieren. Erklärungen, Prognosen undHandlungsempfehlungen, die auf Grundwissenschaftlicher Methoden gewonnenwurden, die geprüft wurden und sich be-währt haben, gelten dazu allgemein als an-zustrebende Wissenschaftsziele. An diesenwerden die unterschiedlichen Leistungengemessen und gegeneinander abgewogen.

Die Merkmale einer guten erfahrungs-wissenschaftlichen Theorie lassen sich innotwendige und wünschenswerte untertei-len. Üblicherweise hält man für unabding-bar:� (logische) Zirkelfreiheit der Definitio-

nen und Argumente� (logische) Widerspruchsfreiheit� Konsistenz mit dem akzeptierten Basis-

wissen� Erklärungsfähigkeit� Prüfbarkeit (sie müssen an der Erfah-

rung gemessen werden können)� Testerfolg (wenn die Theorie getestet

wurde, soll sie auch bestanden haben).Die Theorie beinhaltet wesentlich logischeAspekte. Für Aussagenzusammenhängegilt, dass zum Beispiel Definitionen und

Argumente »logisch zirkelfrei«, wider-spruchsfrei und folgerichtig sein müssen.Für alle Fachwissenschaften (normalerwei-se sogar für alle geschriebenen und ge-sprochenen Produkte des menschlichenGeistes) gilt, dass die Gesetze der Logiknicht verletzt werden dürfen, sondern striktbeachtet und eingehalten werden sollen.

Während manche (insbesondere Mathe-matiker und Physiker) gar »Schönheit«und »Eleganz«, »Kürze« und »Einfach-heit« nannten, kristallisierten sich die fol-genden Merkmale als erwünscht heraus:� hoher Allgemeinheitsgrad� hohe Genauigkeit� Prognosefähigkeit� Reproduzierbarkeit der Phänomene.Anhand dieser Merkmale lässt sich nun dieUnterscheidung zwischen einer »guten«und einer (noch) nicht wissenschaftlichenTheorie (bzw. Hypothese) treffen. Dogma-tische, unwiderlegbare8 und unpräzise9

Aussagen, zirkuläre und widersprüchlicheBeweise erfüllen nicht die gefordertenStandards von Wissenschaftlichkeit.

Wissenschaft als Praxishilfe: Die Handlungsempfehlung

Bezüglich des Anspruchs an die Wissen-schaft, nicht nur mitzuteilen, »was der Fallist«, sondern auch »was man tun sollte«,besteht (seit Jahrhunderten!) ein Streit, be-kannt als: »Werturteilsstreit in den Wissen-schaften«, der zunächst die Philosophenund später auch die beteiligten Fachwissen-schaftler entzweite. Auch hier bildete sich,belegt durch zahlreiche Forschungsergeb-nisse sowohl in der Logik als auch in zahl-reichen Fachwissenschaften, eine »herr-schende Meinung« heraus: Man kann nicht– weder logisch noch »irgendwie anders«wissenschaftlich – von einem »Sein« aufein »Sollen« schließen10. Was sein soll,bleibt im Bereich der (persönlichen) Ent-scheidung; es ist nie eine wissenschaftlicheErkenntnis.

Zahlreiche Sozialwissenschaftler, zu-nächst aus der Betriebswirtschaftslehre,aber auch Juristen, konnten sich mit diesemErgebnis nur ungern anfreunden. Vonihrem Selbstverständnis als »Entschei-dungshelfer« bezüglich der Probleme derMenschen kam es ihnen als Vertreter einer»Kunstlehre« vornehmlich darauf an, anzu-geben, was man tun soll (zum Beispiel, umdie Kosten zu reduzieren, die Kriminalitätzu senken).

Hier bietet die Wissenschaftstheorie ei-nen Weg, werturteilsfrei11 anzugeben, wasman tun sollte: Voraussetzung für eine lo-gisch korrekte Handlungsempfehlung, dienicht normativ ist, erfordert, dass der Fra-

gende seine Zielstellung (quasi sein »Wer-turteil«) vorgibt! Ein Beispiel:»Was soll man tun, damit x«?Prämisse 1: Immer wenn y, dann x.Prämisse 2: Realisiere y.Konklusion: Dann x.Werturteilsfrei und zwingend wird x eintre-ten, wenn die Prämissen erfüllt (wahr) sind.

Mit diesem Ergebnis kann der Bedarfnach Gestaltung durch die Wissenschaftengedeckt werden, ohne sich dem Vorwurfauszusetzen, unbegründbare Normen zusetzen.

Jura oder Rechtswissenschaft?

In der unübersehbaren Masse der juristi-schen Literatur nimmt die Beschäftigungmit der Frage nach der Wissenschaftlichkeiteinen äußerst bescheidenen Raum ein. DieErfordernisse des Alltags schaffen den Be-darf – die Einordnung und Qualifizierungder Leistung des Fachpersonals scheintnicht erforderlich und demzufolge auch we-nig zu interessieren. Dennoch überraschtder teilweise gereizt wirkende Ton, sobaldsich Juristen auf dieses Terrain begeben.

Unter der Überschrift »Die Wissen-schaftlichkeit der Jurisprudenz« schreibtBydlinski12, wenn diese auch den Exakt-heitsanforderungen der Naturwissenschaf-ten nicht genüge: »Entscheidend ist abernur, dass sie eine bestimmte, in dieser Weltsinnvolle Erkenntnisaufgabe, nämlich dieSuche nach den benötigten, konkreterenRechtsregeln, mit rationalen Mitteln verfolgt... . Wenn das feststeht, dann kann sie auchauf die Weihe des Wissenschaftsbegriffs

Ralf Sowitzki, Jura oder Rechtswissenschaft?

VM 6/2006 323

8 Nicht immer lassen sich Aussagen auf dem er-sten Blick als gegen jegliche Erfahrung im-munisiert erkennen. Möglicherweise vermit-teln tautologisch oder raum-zeitlichunbestimmte Sätze (»Die Aktienkurse werdensteigen oder gleich bleiben, eventuell sogarfallen!«) ein Gefühl von Wahrheit. Unreflek-tiert bleibt dann zu oft die (Un)brauchbarkeitdieser Sätze für die Wissenschaft.

9 Aussagen wie »meistens passiert ...« oder»manchmal wird jedoch ...« sind wenig exaktund deshalb kaum zu widerlegen.

10 Auch kann man – selbstverständlich – nichtumgekehrt vom »Sollen« (ein Bereich, deneine spezielle Logik, die Deontik, untersucht)auf ein »Sein« schließen.

11 Es liegt auf der Hand, dass sich die Kritikerdieser Verfahrensweise nicht mit dem Ergeb-nis anfreunden können und hierin einen »billi-gen Trick« sehen. Der Unterschied zwischeneinem Normen voraussetzenden und einemNormen »erkennenden« bzw. (aus deskripti-ven Sätzen) Normen ableitenden Wissen-schaftler ist meines Erachtens jedoch eindeu-tig und gravierend.

12 Bydlinski, Franz: Juristische Methodenlehreund Rechtsbegriff. 2., ergänzte Auflage,Wien, New York 1991, S. 76 ff.

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verzichten.« Dem Vorwurf der fehlendenWissenschaftlichkeit begegnet er (resigna-tiv oder herausfordernd?) mit der Frage,welche Erkenntnistheorie denn gelten soll?Der Positivismus, Kritischer Rationalismus,Hermeneutik, Phänomenologie, Dialektik,...?13 Die Aufzählung suggeriert eineGleichrangigkeit, die nicht mehr gegebenist: Trotz Pluralismus- und Toleranzgebot,trotz der – meines Erachtens unberechtigten– Anrufung von Popper und Stegmüller als»Zeugen gegen Monopolansprüche be-stimmter erkenntnistheoretischer Positio-nen«: Den aus den Erkenntnissen der mo-dernen Wissenschaftstheorie gewonnenenAnforderungen muss sich jede Disziplinstellen, wenn sie sich nicht aus dem Kreisdieser als Wissenschaft definierten Veran-staltung entfernen möchte!

Verwundern muss auch, dass er diePrinzipien der Naturwissenschaften zumMaßstab nimmt: Ein Einordnung derRechtswissenschaft in diese Kategorie fin-det sich kaum – und wenn er (stillschwei-gend) unterstellt, dass für die Sozialwis-senschaften identische Forderungen gelten,so übersieht er ein breites Spektrum dies-bezüglicher Wissenschaftstheorie.

Auch hält er selbst die Forderung nachnachprüfbaren Aussagen über Teilgebieteder Wirklichkeit, die üblicherweise für allewissenschaftlichen Untersuchungen fürzentral gehalten werden, für nicht zwin-gend. Er resümiert: »Die Jurisprudenz soll-te nach allen bisherigen Erfahrungen dieVersuche aufgeben, sich einfach an einesder aktuellen erkenntnistheoretischen Sy-steme anzuschließen, die ohne oder jeden-falls ohne zureichende Beachtung ihrerBedürfnisse entwickelt wurden und diezum Teil auf der Verallgemeinerung phy-sikalischer Erkenntnisverfahren beruhen.Sie wird gut daran tun, vor allem die me-thodischen Regeln festzuhalten, die nachihrer eigenen Erfahrung ihrem Gegenstandund ihren Aufgaben adäquat sind.«14

Auch hier appelliert er an ein – nichtvorhandenes! – Grundverständnis: Rechts-wissenschaftliche Theorie ist sich keines-wegs einig über »ihren Gegenstand undihre Aufgaben«!

Auch Adomeit äußert sich kritisch (undmissverständlich), wenn er schreibt: »Aberjuristische Streitfragen sind anderer Art alsdie unter Philosophen oder Physikern.«Streitfragen haben in den Naturwissen-schaften prinzipiell klärbar zu sein ... »Da-gegen ist in der Jurisprudenz nicht zu se-hen, welchen Beweis ein Professor für sei-ne bestrittene Ansicht bringen könnte.«15

Er wendet sich gegen den Vorschlag, die»herrschende Meinung als Beweis« zu se-hen. »Über die Wahrheit kann es keineAbstimmung geben ...«16

Unreflektiert (oder unbewusst) unter-stellt Adomeit hier die Geltung der (bereitsgenannten) Korrespondenztheorie der Wahr-heit. Es ist richtig, dass diese hier keineAnwendung finden kann. »Wahrheit« indiesem Bereich wird durch Konsens ermit-telt; sie folgt aus Definitionen.

Adomeits Ausweglosigkeit bietet eingutes Beispiel für die Notwendigkeit derBeschäftigung mit wissenschaftstheoreti-schen und wissenschaftssystematischenGedanken: Weder formalwissenschaftlichenoch subjektive Erkenntnisse lassen sichdurch Rekurs auf die Realität »beweisen«.Jeder »Beweis« setzt – weil Intersubjekti-vität bereits zum Begriff gehört! – die An-erkennung von Regeln und anderen – inder Regel stillschweigend unterstellten –Prämissen voraus. Wenn er später17 fest-stellt, »›Sein‹ und ›Sollen‹ bleiben ge-trennte Welten. Es ist logisch nicht zuläs-sig, aus (Seins-)aussagen – mögen es nochso viele sein – auf ein Sollen zu schließen«gibt er (ungewollt?) selbst einen »Beweis«dafür: Er unterstellt die Allgemeingültig-keit logischer Regeln.18

Ein Fazit

In einem kurzen Aufsatz untersuchtSchnee19 »Unterschiede zwischen Rechts-und Wirtschaftswissenschaft«. Während inder Ökonomie menschliches Verhalten »zuerklären versucht wird, definiert (!,R.S.) dieRechtswissenschaft ... Verhaltensvorschrif-ten.«20 Wissenschaftstheoretische Analysender Theorie des Definierens konnten deut-lich machen, dass diese Tätigkeit formal-wissenschaftlicher Art ist. Eine weitereHauptaufgabe, »die Erforschung des ›Wil-lens‹ des Kollektivorgans ›Gesetzgeber‹ ...«21 erfordert empirische, konkret: sozialwis-senschaftliche Analysen. Hierzu werden Er-kenntnisse aus anderen Wissenschaftsdiszi-plinen herangezogen und als Begründunggenutzt. Die Rechtsetzung ist als normativerAkt – solange die herrschende Meinung nurdeskriptive Aussagen als wissenschaftlicheErkenntnisse akzeptiert – Politik und keineWissenschaft.

Die unterschiedlichen Teilbereiche desUntersuchungsgegenstandes dieser Ab-handlung sind somit nicht einheitlich be-züglich ihrer Wissenschaftlichkeit zu be-werten: Juristen handeln normativ, Rechts-wissenschaftler formalwissenschaftlich.Der inzwischen breit gefächerte Kanon derSozialwissenschaften lässt die überwie-gend (in den Einführungskapiteln derLehrbücher) anzutreffende Qualifizierungals eigenständige »Sozialwissenschaft« alsPostulat, nicht als überzeugenden Nach-weis erscheinen.

Literatur

Adomeit, Klaus: Rechtstheorie für Studenten.Normlogik – Methodenlehre – Rechtspolitolo-gie. 3. ergänzte Auflage, Heidelberg 1990.

Adorno, Theodor W.: Zur Logik der Sozialwis-senschaften. In: Adorno, Theodor W. u.a.: DerPositivismusstreit in der deutschen Soziologie.5. Auflage, Darmstadt und Neuwied, 1976,S.125-143.

Bochenski, I.M.: Die zeitgenössischen Denk-methoden. 8.Auflage, München 1980.

Bydlinski, Franz: Juristische Methodenlehreund Rechtsbegriff. 2., ergänzte Auflage, Wien,New York 1991.

Herberger, Maximilian/Simon, Dieter: Wissen-schaftstheorie für Juristen. Logik – Semiotik –Erfahrungswissenschaften. Frankfurt a. Main1980.

Kuhn, Thomas: Die Struktur wissenschaftlicherRevolutionen. Frankfurt a. M., 3. Aufl. 1978.

Pawlowski, Hans-Martin: Einführung in die ju-ristische Methodenlehre. Ein Studienbuch zuden Grundlagenfächern Rechtsphilosophie undRechtstheorie. Heidelberg 1986.

Pawlowski, Hans-Martin: Methodenlehre fürJuristen. Theorie und Norm des Gesetzes. EinLehrbuch. 2., überarbeitete und erweiterte Auf-lage, Heidelberg 1991.

Popper, Karl R.: Ausgangspunkte. Meine Intel-lektuelle Entwicklung. 2. Aufl., Hamburg 1982.

Popper, Karl R.: Die Logik der Sozialwissen-schaften. In: Adorno, Theodor W. u.a.: Der Po-sitivismusstreit in der deutschen Soziologie. 5.Auflage, Darmstadt und Neuwied, 1976, S.103-123.

Schaff, A.: Objektivität. In: Speck, Josef (Hg.):Handbuch wissenschaftstheoretischer Begriffe.Band 2. Göttingen 1980, S. 460.

Schnee, Andreas, R.J.: Für wen lohnt sich Fremd-gehen? JuS 1997, S. 382-384.

Stegmüller, Wolfgang: Wertfreiheit, Interessenund Objektivität. Das Wertfreiheitspostulat vonMax Weber. In: Ders.: Rationale Rekonstrukti-on von Wissenschaft und ihrem Wandel. Stutt-gart 1979, S. 177-203.

Vollmer, Gerhard: Wozu Pseudowissenschaftengut sind. Argumente aus Wissenschaftstheorieund Wissenschaftspraxis. In: Universitas 2/93,S. 155-166.

Wissenschaftlichkeit als Schlüsselqualifikation

324

13 Ebd., S. 60.14 Ebd., S. 61.15 Adomeit, Klaus: Rechtstheorie für Studenten.

Normlogik – Methodenlehre – Rechtspolitolo-gie. 3. ergänzte Auflage, Heidelberg 1990,S. 8 f.

16 Ebd.17 Ebd., S. 23.18 Diese Regeln sind übrigens nicht unumstritten

und keineswegs sämtlich immer »wahr« ge-wesen.

19 Schnee, Andreas, R.J.: Für wen lohnt sichFremdgehen? JuS 1997, S. 382-384.

20 Ebd., S. 382.21 Ebd. S. 383.

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Welchen Nutzen hat die Verwaltungsreform?

Mitten in der Umsetzung des Neuen Steue-rungsmodells (NSM) erfährt der gestressteBeamte, dass New Public Management»out« ist und jetzt »Good Governance«,»Bürgerkommune« oder irgendwas anderes»in« sei. Gerade hat man Produktbeschrei-bungen und Kostenstellenpläne erstelltoder fängt an kaufmännisch zu buchen, dawerden neue Reformen angekündigt unddie alten für überholt erklärt. Die Reformerfühlen sich düpiert und die Reformgegner,die schon immer gesagt hatten »abwarten,auch diese Reform geht vorbei« sehen sichbestätigt. Dabei muss man erkennen, dassein Teil dieser neuen Ansätze im Grundeauch eine Reaktion auf erkennbare Defizitebei der Umsetzung des NSM darstellen, diebisher über eine technokratische Binnen-

modernisierung häufig nicht hinausgekom-men ist. Die wichtigsten »Stakeholder« derVerwaltungsreform sind die Politiker, dieBürger und die Mitarbeiter. Wenn manfragt, was diese Bezugsgruppen bisher vonder Verwaltungsreform profitiert haben,kann man nur bilanzieren, außer Verunsi-cherung und Zusatzbelastungen eigentlichnichts. Den hohen Kosten in der Gegen-wart stehen positive Erwartungen und Nut-zen für die Zukunft gegenüber, die sichaber bisher noch kaum realisiert haben. Esbleibt also die Frage, wie lange das »Prin-zip Hoffnung« trägt und ob eine Reformerfolgreich sein kann, von der lange Zeitniemand etwas hat.

Besorgniserregend ist weiter, dass beider Implementierung viele handwerklicheFehler gemacht werden. Der Nutzen derReformen kann aber nur realisiert werden,wenn man es »richtig« macht. Es zeigtsich in vielen Fällen, dass mit den Infor-mationen, welche die neu implementiertenKostenrechnungen liefern, wenig anzufan-gen ist und nicht gesteuert werden kann.Ein Grund dafür ist, dass man bei der Ein-führung von Instrumenten das Ziel, denSinn und Zweck des Ganzen aus den Au-gen verloren hat. Mit dem Konzept derwirkungsorientierten Verwaltungssteue-rung, das in den Verwaltungsreformen derSchweiz eine zentrale Rolle spielt, wirdversucht, den Nutzen für die Bürger alsBezugspunkt der Verwaltungsreformen

herauszuarbeiten.1 Dies soll in der Folgeam Beispiel von Kindertagesstätten darge-stellt werden, wobei diese nur ein Beispielfür öffentliche Einrichtungen sein sollen.Die Betrachtung könnte in gleicher Weiseauf Jugendzentren, Volkshochschulen oderHaftanstalten übertragen werden. Geradein den Bereichen, in denen die Anwend-barkeit auf den ersten Blick problematischerscheint, stellt sich die Frage nach demNutzen der betriebswirtschaftlichen Me-thoden.

Was versteht man unter Wirkungsorientierung?

Eine Wirkung ist eine Veränderung, dieman auf Ursachen zurückführen kann. Sol-che Ursachen sind menschliches Handelnund für unsere Betrachtung das Handelnvon Verwaltungen und öffentlichen Ein-richtungen. Verwaltungshandeln ist dannwirtschaftlich (effizient) und wirksam (ef-fektiv), wenn die angestrebten Wirkungen(Ziele) mit einem angemessenen Mittelein-satz (Kosten) erreicht werden. Erfahrungs-gemäß gibt es neben den geplanten Wir-kungen auch noch ungeplante »Risikenund Nebenwirkungen«, die positiv odernegativ sein können.

Es gibt verschiedene Einteilungen vonZielen wie etwa Formal- und Finanzzieleoder Sachziele, Entwicklungs- oder Erhal-tungsziele und eben auch Wirkungsziele.Jede dieser Zielkategorien kann sinnvoller-weise verfolgt werden, es spricht aber ge-rade im öffentlichen Bereich viel dafür,positive Veränderungen in Gesellschaftund Wirtschaft ins Auge zu fassen undwirkungsorientierte Ziele zu Maßstäbendes Handelns zu machen. Die Verwaltungist für die Bürger da, und auch die Politi-ker haben ein vitales Interesse daran, Er-

Was haben eigentlich die Bürger von derVerwaltungsreform?

Wirkungsorientierte Verwaltungssteuerung und betriebswirtschaftliche Modernisierung

von Friedrich W. Bolay

Die aktuellen Verwaltungsreformen sind bisher häufig über einetechnokratische Binnenmodernisierung nicht hinausgekommen.Dies stellt eine Gefahr für die Unterstützung durch die wichtigenAnspruchsgruppen, die Politiker, die Mitarbeiter und die Bürgerdar. Der Beitrag untersucht die Frage, ob die gesellschaftlichenWirkungen des Verwaltungshandelns in ein betriebswirtschaftli-ches Konzept integriert werden und Bezugspunkt für das gemein-same Interesse dieser Anspruchsgruppen sein können. Dies wirdam Beispiel von Kindertagesstätten dargestellt, die aber nur einBeispiel für öffentliche Einrichtungen sein sollen.

Professor Dr. FriedrichW. Bolay, Verwaltungs-fachhochschule Wiesbaden, Fachbe-reich Verwaltung – Abteilung Mühlheim.

Was Kindergartenplätze nützen und kosten

Verwaltung und Management12. Jg. (2006), Heft 6, S. 325-328

325

1 Siehe dazu Kuno Schedler, Ansätze eine wir-kungsorientierten Verwaltungsführung, Bern,Stuttgart, Wien 1995.

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folge darstellen zu können, wie etwa »dieVerkehrssituation hat sich verbessert« oder»es wurden mehr Verbrechen aufgeklärt«.

Was bedeutet Wirkungs-orientierung, beispielsweise imKindergarten?

Wenn man nach Zielen fragt, darf mandaran erinnern, dass die Verwaltung imRechtsstaat an Gesetze gebunden ist. Be-triebswirtschaftliche Methoden habennicht den Zweck, Gesetze außer Kraft zusetzen, sondern wollen einen Beitrag dazuleisten, dass der Zweck von Gesetzen bes-ser erreicht wird, indem öffentliche Ein-richtungen effizienter und effektiver wer-den. Dies kann man am Beispiel von Kin-dertagesstätten (Kita) anschaulich machen.

§ 22 Absatz 2 SGB VIII lautet:Tageseinrichtungen für Kinder und Kin-dertagespflege sollen1. die Entwicklung des Kindes zu einer

eigenverantwortlichen und gemein-schaftsfähigen Persönlichkeit fördern,

2. die Erziehung und Bildung in der Familie unterstützen und ergänzen,

3. den Eltern dabei helfen, Erwerbstätig-keit und Kindererziehung besser mit-einander vereinbaren zu können.

Absatz 3: Der Förderauftrag umfasst Erziehung, Bil-dung und Betreuung des Kindes und beziehtsich auf die soziale, emotionale, körperlicheund geistige Entwicklung des Kindes. Erschließt die Vermittlung orientierenderWerte und Regeln ein. Die Förderung sollsich am Alter und Entwicklungsstand, densprachlichen und sonstigen Fähigkeiten, ander Lebenssituation sowie den Interessenund Bedürfnissen des einzelnen Kindes ori-entieren und seine ethnische Herkunftberücksichtigen.

Diese Formulierungen enthalten zu-nächst Aufgabendefinitionen (»soll die Ent-wicklung des Kindes ... fördern«). EineAufgabe beschreibt, wie der Begriff »Haus-aufgabe«, etwas, was man tut oder tunmuss, aber nicht, was man damit erreichen,verändern oder bewirken will.2 Gleichwohlergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut, dass

das Wirkungsziel von Kitas »eine möglichstgute Entwicklung von Kindern« ist, wobeidies zunächst eine relativ offene Formulie-rung darstellt. Diese Entwicklung wird dannin einzelnen Persönlichkeitsaspekten vomGesetz näher qualifiziert.

Die Begriffe fördern, betreuen, erziehenbeschreiben das, was getan werden sollund der Begriff »Entwicklung« im Sinnedes Ausschöpfens der individuellen Mög-lichkeiten und Potentiale das, was damiterreicht werden soll. Die Forderung nachChancengleichheit und Komplementaritätzur Familienerziehung erfordert das Einge-hen auf die individuellen Bedürfnisse desKindes und seiner Familie. Dies ist eigent-lich nur möglich, wenn dafür individuelleDiagnosen und Förderpläne erstellt wer-den. Die Entwicklung von Kindern kannmit Testverfahren, zum Beispiel Schulein-gangstests, gemessen werden. Klar ist,dass dies nicht ohne eine bessere Ausbil-dung, Personalentwicklung und anderePersonalschlüssel geleistet werden kann.Gegen solche Vorstellungen gibt es ver-mutlich viele methodische, praktische undvor allem finanzielle Einwendungen, dieaber auch die Frage beantworten müssten,wie die Vorgaben des Gesetzes auf ande-rem Wege erfüllt werden könnten.

Leistungsprozess, Kosten undWertschöpfung

In Kitas werden Produktionsfaktoren einge-setzt, etwa Räume, Bastelmaterialien oderFachkräfte. Die Beschaffung dieser Mittelverursacht Ausgaben. Im Leistungsprozessentstehen Kosten, weil Ressourcen wie Ar-beitszeit, Energie, Papier usw. verbrauchtwerden. Als Ergebnis des Leistungsprozes-ses wird ein Kitaplatz zur Verfügung ge-stellt und ein Kind betreut und gefördert.Dafür bezahlen die Eltern Gebühren, weilsie sich einen Nutzen für sich und ihr Kinddavon versprechen.3

Es findet also eine Wertschöpfung statt,für die sich notfalls auch ein Marktpreis er-mitteln lässt.4 Die Gebühren sind aus sozia-len Gründen nicht kostendeckend, sondernwerden politisch festgelegt. Das bedeutet

Was Kindergartenplätze nützen und kosten

326

2 Hier wird teilweise auch mit den »neuhoch-deutschen« Begriffen input, throughput, out-put oder outcome operiert.

3 Werner Röck, Allokations- und Verteilungs-wirkungen verschiedener Formen von Kinder-gartenbeiträgen, Diskussionspapiere der Fach-hochschule für öffentliche Verwaltung KehlNr. 95-8.

4 Thomas Mosiek, Birgit Gerhardt, Outcome-orientiertes Verwaltungsmanagement. EineAnalyse der Wertschöpfungskette am Beispielder Bezirksregierung Münster, Verwaltungund Management 2003, S. 288 ff.

Bild 1: Ziele und Wirkungen

Bild 2: Ziele und Wirkungen

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aber nicht, dass die Höhe der Kosten unin-teressant ist.5 Die Politiker sollten wissen,wie hoch der Zuschussbedarf ist, den dieAllgemeinheit aus Steuermitteln finanziert.6

Ein Kindergartenplatz kann etwa 500bis 900 Euro kosten. Die Gebühren der El-tern liegen etwa zwischen 100 und 150Euro. Der Aufwand ist also wesentlichhöher als die Erträge. Es ist aber offen-sichtlich, dass daraus nicht geschlossenwerden kann, dass Kindergärten unwirt-schaftlich sind, sondern dass man das ge-setzlich vorgegebene Ziel als Beurtei-lungsmaßstab für die Wirtschaftlichkeitheranziehen muss. Dies kann man nur,wenn die Zielerreichung nachprüfbar istund nachgeprüft wird. Maßnahmen, wel-che die Entwicklung von Kindern wir-kungsvoll unterstützen, sind wirtschaftlich,Maßnahmen, die dies vergleichsweise we-niger gut tun, sind unwirtschaftlich. DieFrage der Wirtschaftlichkeit und Wirksam-keit muss in erster Linie von Pädagogenoder Entwicklungspsychologen beantwor-tet werden, die aber im Hinblick auf dienotwendigen Kostenanalysen mit Betriebs-wirten zusammenarbeiten müssen. Ein be-triebswirtschaftliches Konzept als Grund-lage der Kosten- und Leistungsrechnunghat dies zu beachten.7 Im Prinzip könnteman dabei auch daran denken, die Lei-stungsrechnung um eine Wirkungsrech-nung zu erweitern.8 Genauso könnte dieBildungsökonomie Aussagen dazu ma-chen, welchen volkswirtschaftlichen Nut-zen es hat, wenn die Schulreife früher er-reicht wird. Im Hinblick auf die aktuellePraxis sind solche Überlegungen danndoch vielleicht etwas futuristisch.

Kitas arbeiten mit unterschiedlichenpädagogischen Konzepten, die wohl auchunterschiedliche Kosten verursachen. Esgibt altersgleiche oder altersgemischteGruppen, Waldkindergärten, Experimentemit Kindergärten ohne Spielzeug, mit undohne Computer usw. Im Grunde müssteunter den Gesichtspunkten der Wirtschaft-lichkeit und Wirksamkeit für Städte undGemeinden von Interesse sein, wie dasKosten-Wirkungsverhältnis dieser Kon-zepte ist. Selbst wenn sich unter pädagogi-schen Gesichtspunkten zeigen würde, dasssich die Frage nicht abstrakt-generell beur-teilen lässt, sondern manche Konzepte fürbestimmte Kinder besser geeignet sind alsandere, wäre dies für die Gestaltung derAngebotspalette und die Beratung der El-tern eine wichtige Information.

Leider setzen sich viele kommunaleProduktbeschreibungen mit solchen Fra-gen kaum auseinander, obwohl die Wirt-schaftlichkeit unter Kosten-Wirksamkeits-gesichtspunkten zu beurteilen und zu steu-ern ist. Lediglich der KGSt-Bericht zum

Qualitätsmanagement behandelt diesenAspekt.9 Er stellt mit Blick auf die Wir-kungsdimension die Schulreife und die Er-gebnisse der Schulfähigkeitsuntersuchungin den Mittelpunkt. Er enthält im Anhang(Anlage 6) eine Produktbeschreibung derStadtverwaltung Münster, die in vielerHinsicht vorbildlich ist. Sie nennt alsKennzahlen/Indikatoren:� Durchschnittliche Qualität nach KES

(Kindergarten-Einschätz-Skala)� Personal pro Gruppe� Fachkraftwochenstunden� Ergänzungskraftwochenstunden� Fachberaterstunden� Öffnungszeitenspanne� tgl. Öffnungszeiten aller Einrichtungen� Öffnungszeiten je Einrichtung � Schließungszeiten pro Jahr� Zahl der Plätze für behinderte Kinder� Zufriedenheit der Eltern und Kinder.Die so genannte Kindergarten-Einschätz-Skala (KES) bewertet 37 Einzelaspektepädagogischer Prozessqualität in diesenBereichen� Betreuung und Pflege� Möbel und Ausstattung� sprachliche und kognitive Anregungen� fein- und grobmotorische Aktivitäten� kreative Aktivitäten und Aktivitäten zur

Sozialentwicklung� Unterstützung für Erzieherinnen und

Eltern.

Diese Einschätzungen sind, ebenso wie dieoben dargestellten Kennzahlen der Pro-duktbeschreibung, eher input- oder prozes-sorientiert als erfolgs- oder wirkungsorien-tiert.10 Dies fördert eine einseitige Koste-norientierung, die unter dem Druck derHaushaltskonsolidierung ohnehin das Den-ken der Entscheidungsträger mehr undmehr dominiert.11

Friedrich W. Bolay, Was haben eigentlich die Bürger von der Verwaltungsreform?

VM 6/2006 327

5 Zur Finanzsituation der Kommunen sieheManfred Neumann, PISA 2000 – eine finanz-politische Nachlese, in: Der Gemeindehaus-halt 2003, S. 73 ff.

6 Gisela Färber, Theorie und Praxis kommuna-ler Gebührenkalkulation, Speyer Dezember2000.

7 Alexander Herbert, Eberhard Goebel, Kosten-und Leistungsrechnung in Kindertagesstätten.Die Einführung betriebswirtschaftlicher In-strumente zur Steigerung der Wirtschaftlich-keit. 2. Auflage, Helsa 1998.

8 Sieh dazu Armin Goldbach, Die Leistungs-rechnung im Rahmen der öffentlichen Kosten-und Leistungsrechnung, Verwaltung und Ma-nagement 2003, S. 122 (Teil 1) und S. 205 ff.(Teil 2)

9 KGSt-Bericht 2/2001 Kommunales Qua-litätsmanagement von Bildung, Erziehung undBetreuung in Tageseinrichtungen für Kinder.

10 Siehe dazu Ilse Wehrmann, Rolf Dieter Abel,Von der Kindertagesstättenverwaltung zumKindertagesstättenmanagement, Bremen2000, S. 146 ff.

11 Zur Messung von Indikatoren der Lebensqua-lität siehe Wolfgang Pippke, Neues Steue-rungsmodell, Bürgerkommune und lokale Le-bensqualität, Baden-Baden 2000, S. 284 ff.

Bild 3: Betrieblicher Leistungsprozess im Kindergarten

Bild 4: Kostenwirksamkeit

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Scheingegensätze und falscheFronten

Die betriebswirtschaftliche Modernisie-rung verführt immer wieder zu Scheinge-gensätzen und falschen Fronten. Die Fach-leute fühlen sich, häufig zu recht, durcheinseitige Kostenorientierung in ihrempädagogischen Anspruch bedroht. Es wer-den Gegensätze zwischen Rechtstaatlich-keit und Wirtschaftlichkeit, demokrati-scher und betriebswirtschaftlicher Steue-rung oder fachlichen und finanziellenAnforderungen konstruiert. Bei einem»richtigen« Verständnis lösen sich dieseGegensätze nicht in Luft auf, aber es ent-steht eine Plattform, die gemeinsame Pro-blemlösungen erleichtert.12

Recht und Gesetz

Gesetze haben einen Sinn und Zweck, dersich aus dem Wortlaut erschließen lässt. Esist Aufgabe der Verwaltung, Gesetze zuvollziehen. Indem sie dies tut, verwirklichtsie Recht in der gesellschaftlichen Realität,beispielsweise den Rechtsanspruch auf ei-nen Kindergartenplatz. Dieser bleibt aberrein formal, wenn er nicht das Recht vonKindern auf eine optimale, das heißt ihnengemäße Entwicklung zum Inhalt hat. Dierechtliche Steuerung ist in Deutschlandhoch entwickelt, wird aber mit dem Argu-ment der Überregulierung auch kritisiert. Esist wohl so, dass die Effizienz und Effekti-vität unserer öffentlichen Einrichtungen mitdem Instrumentarium des Rechts nicht ein-seitig weiter optimiert werden kann.

Fachlichkeit

Fachleute orientieren sich oft einseitig amfachlich Wünschbaren und empfinden dieFrage nach den Kosten oft fast als unan-ständig. Dabei ist aber klar, dass niemandsich heute der Frage nach den Kosten ent-ziehen kann. Wenn man fachliche Lei-stungsprozesse unter Kostengesichtspunk-ten analysiert, kann dies auch in fachlicherHinsicht fruchtbar sein. Ein Benchmarkingführt eben nicht nur zur Identifikation vonEinsparpotenzialen, sondern kann auchhelfen, eine »best practice« zu entdecken.Im Rahmen eines Sozialmanagement, Kul-turmanagement oder Kindergartenmanage-ment müssen fachliche und ökonomischeAspekte integriert und dürfen nicht gegen-einander ausgespielt werden.13

Betriebswirtschaft

In der Praxis von Unternehmen ist einSpannungsverhältnis beispielsweise zwi-schen den Ingenieuren in der Produktion

und Controllern üblich und normal. Dabeide Seiten wissen, dass ihr Arbeitsplatzdavon abhängt, dass sie eine produktiveProblemlösung finden, klappt das in derRegel auch. Diesen Erfolgsdruck gibt esfür öffentliche Einrichtungen nicht in glei-cher Weise, auch wenn wettbewerbsähnli-che Verhältnisse zunehmen, zum Beispielmit der Konkurrenz freier und kommuna-ler Kitas, Benchmarking oder Gutschein-modellen.14 Eine Ausrichtung an Zielen,die gesellschaftliche Wirkungen oder die»Mission« einer öffentlichen Einrichtungbeschreiben und den Mitarbeitern dahereine intrinsische Motivation vermittelnkönnen, bleibt unabhängig vom externenDruck wichtig.

Kontraktmanagement und Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarungen

Im Kontrakt verpflichtet sich die Leitungeiner öffentlichen Einrichtung, den Bür-gern/Kunden quantitativ und qualitativ ge-nau beschriebene Leistungen mit einementsprechenden Budget oder Kostenrah-men zu erbringen. Dies kann sie nur, wennalle Mitarbeiter einen Beitrag erbringen,der in der Summe ausreichend sein muss,den Kontrakt zu erfüllen. Deshalb wird sieim Rahmen von Mitarbeitergesprächen diedafür erforderlichen Zielvereinbarungenabschließen. Diese Vereinbarungen kön-nen sich auf den Mitteleinsatz, den Lei-stungsprozess, Arbeitsergebnisse oder dieZielerreichung beziehen (Bild 3). Die Er-füllung von Kontrakten und Zielvereinba-rungen muss nachprüfbar sein und deshalbmit Kennziffern oder Indikatoren belegtwerden. Es handelt sich um ein ganzheitli-ches Managementkonzept, bei dem man davon Kontrakten redet, wo Budgets übertra-gen werden, und von Zielvereinbarungen,wo keine Budgets übertragen werden. DasControlling überwacht die Einhaltung desKontrakts, sowohl unter Kosten-, als auchunter Leistungsgesichtspunkten. Gesteuertwird aber nicht vom Controlling, sondernvon der Leitung. Die »Schrauben«, an de-nen die Leitung drehen kann, sind be-schränkt. Sie kann in Technik investieren,sie kann Strukturen und Prozesse optimie-ren oder die Mitarbeiter besser motivierenoder qualifizieren, sie kann neue Produkteentwickeln oder das Preis/Leistungsver-hältnis bestehender Produkte verändern.Die Alternativen sind beschränkt und lau-fen fast alle darauf hinaus, dass menschli-ches Verhalten beeinflusst wird. Zwangund Kontrollen sind teuer und oft nichtwirkungsvoll. Deshalb muss ein ganzheit-liches Personal- und Organisationsmana-

gement sicherstellen, dass die Mitarbeiterfreiwillig das tun, was sinnvoll und not-wendig ist. Ein Instrument dafür kann einmitarbeiterorientiertes Controlling sein,das mit Information, Analysen und Metho-den der Selbstbewertung die notwendigenVeränderungsprozesse unterstützt.

Viele der Probleme, welche durch diePISA-Studien in die Diskussion gekommensind, haben ihre Ursachen in den Familienund im Kindergarten. Ein hoher Prozent-satz an Schülern verlässt die Schulen ohneAbschluss. Selbst bei Schülern mit Ab-schluss meinen manche Arbeitgeber, dassdiese kaum darauf vorbereitet sind, eineLehre zu machen. Oft sind dies Kinder mitMigrationshintergrund, die Sprachschwie-rigkeiten haben und sozial und kulturellbesser integriert werden müssten. Arbeits-losigkeit mit entsprechenden ökonomi-schen Konsequenzen ist in vielen Fällenprogrammiert. Es spricht also viel dafür,die Effizienz und Effektivität der Kinder-gärten zu verbessern, welche die Kinderbesser auf die Schule vorbereiten müssen.Man hat den Eindruck, dass das Problemerkannt worden ist und es die Bereitschaftgibt, hier zu investieren. Das Neue Steue-rungsmodell bietet die Chance, das Mana-gement öffentlicher Einrichtungen zu ver-bessern. Dies kann aber nur gelingen, wennauch die Ausrichtung an den Interessen dermaßgeblichen »Stakeholder« Bürger, Poli-tiker und Mitarbeiter verbessert wird. Hierkönnen Schnittmengen im Bereich positi-ver gesellschaftlicher Wirkungen gefundenwerden.

Was Kindergartenplätze nützen und kosten

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12 Daniela Belhadi, Alfons Scheitz, Kindertages-stätten und Wirtschaftlichkeit – eine annehm-bare Herausforderung oder ein Widerspruch insich!? Hessische Städte- und Gemeinde-Zei-tung 2002, S. 327 ff.

13 Kommunalwissenschaftliches Institut (KWI)der Universität Potsdam, Fachseminar: Kin-dertagesstätten und Kommunen. Von der Ver-waltung zum Management (Tagungsmappe),Potsdam Dezember 2000.

14 Kathrin Bock-Famulla, Beate Irskens, NeueFinanzierungsmodelle für Kitas: bedarfsge-recht, flexibel und qualitätsbewusst? Teil 1:NDV 2002, S. 257 ff, Teil 2, S. 299 ff. Siehedazu auch zum Beispiel KGSt-Materialien Nr.1/2003: Kommunen im Wettbewerb – Wettbe-werb gestalten, Leistungen verbessern.

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Einleitung: Vielfalt als Herausforderung

Stand in früheren Diskussionen zur Öffent-lichkeitsbeteiligung insbesondere die Absi-cherung (und gegebenenfalls die Er-höhung) der Legitimität und Akzeptanzvon Planungsprojekten im Vordergrund, sogewinnt auf Grund sich ändernder gesell-schaftlicher Rahmenbedingungen undTrends eine dritte wichtige Funktion vonÖffentlichkeitsbeteiligung an Bedeutung:die Nutzung bürgerschaftlicher Expertisezur Qualifizierung von Planungs- und Ent-scheidungsprozessen. Warum? Infolge derzunehmenden funktionellen Differenzie-rung moderner Gesellschaften in eine Viel-zahl autonom agierender Teilsysteme mitunterschiedlichen Erwartungen und Ord-nungsvorstellungen wird immer deutlicher,dass es keinen Besser- oder Richtigwissen-den geben kann, sondern immer nur Wis-sende mit verschiedenen Lösungen. Und

dass ausgewählte Lösungen immer aufEntscheidungen zurückzuführen sind, dienie im Sinne einer objektiven Richtigkeitzu rechtfertigen wären.1 Man kann also ineiner sich differenzierenden Gesellschaftimmer weniger auf Übereinstimmungen inden Sichtweisen und Lösungsvorstellun-gen hoffen. Stattdessen ist bereits auf derkommunalen Ebene, also dort, wo die Bür-ger politische Entscheidungen hautnah er-leben, mit auseinanderstrebenden Wertvor-stellungen, Erfahrungshintergründen undWissensvoraussetzungen zu rechnen.

Die Planung ist von dieser Entwicklungnicht ausgeschlossen. Auch hier gibt es –für alle erkennbar – keinen Besser- oderRichtigwissenden mehr, stattdessen nurnoch Vertreter unterschiedlicher Problem-sichten und Lösungsvorstellungen. Mankann auch sagen, dass die alte Trennungvon Experten hier und Bürger dort veraltetist und nicht mehr ohne weiteres aufrech-terhalten werden kann. »Und vieles (...)weist darauf hin, dass eine aus verschie-denartigen Leuten zusammengesetzteGruppe mit besseren, verlässlicheren Pro-gnosen hervortreten und intelligentere Ent-scheidungen treffen wird als selbst derkompetenteste Entscheidungsträger«2. Rit-tel hat dieses Phänomen schon 1972 poin-tiert mit dem Begriff »Symmetrie der Ig-noranz« zum Ausdruck gebracht.3 Freund-lich übersetzt: Wissen und Nichtwissen istgleichmäßig verteilt und weder in der ei-nen noch in der anderen Form auf »Exper-ten« bzw. »Bürger« konzentriert. Aus Rit-tels Sicht ist daher die eigentliche Kunst

der Planung, nicht zu früh zu wissen, wieein Planungsproblem zu lösen ist.

Die Vielfalt in den Interessen undSichtweisen darf daher nicht »ausgesperrt«bzw. als ein hinzunehmendes bzw. zu ent-schärfendes Problem behandelt werden,sondern sollte als eine produktive Ressour-ce genutzt werden, durch die die Qualitätvon Entscheidungen verbessert werdenkann. Planung ist daher gefordert, (neue)Möglichkeiten der Einbeziehung undBerücksichtigung möglichst vieler Betei-ligter bzw. Perspektiven zu schaffen. DieForderung ist daher, dass kooperative bzw.partizipative Formen der Einbindung sämt-licher beteiligter Akteure gesucht werden,in denen Wissen nicht mehr von einerübergeordneten Planungsinstanz bean-sprucht wird, sondern aus vielen unter-schiedlichen Quellen fließen kann.4 Zu dengroßen Herausforderungen der Planunggehört deshalb, Verfahren zu finden, die eserlauben, mit dieser Heterogenität einenangemessenen Umgang zu finden, alsoauch zu erkennen, wie Wissen in Konflikt-und Aushandlungssituationen erzeugt, ver-breitet und genutzt werden kann. Aller-dings sind Planungs- und Beteiligungsver-fahren (bzw. die dahinter stehenden Pla-nungs- und Beteiligungskulturen) vordiesem Hintergrund als kritisch einzu-schätzen: Denn erstens sind sie in einemrelativ späten Phase im Planungszyklusverankert. Zweitens wird in ihnen die Ideeder Beteiligung weitgehend auf Informati-on über Vorhaben reduziert. Und drittensscheinen sie Vielfalt in den Sichtweisenund Auffassungen der Betroffenen eher zubehindern als zu befördern.

Partizipation + E: Neue Impulsedurch neue Medien

In den letzten Jahren wurden jedoch ver-mehrt informelle Beteiligungsverfahren

Online-moderierte Dialoge zur Öffentlichkeitsbeteiligung in der Planung

von Oliver Märker

In der Planungspraxis lässt sich die Herausbildung eines neuenVerfahrentyps beobachten: »Online-mediierte Verfahren«, in de-nen Planer unter Rückgriff auf neue Medien versuchen, Planungs-und Entscheidungsverfahren zu öffnen und die Vielfalt an Wis-sensformen und Ordnungsvorstellungen der Bürgerschaft produk-tiv zu nutzen. Konzeptionell und verfahrenstechnisch werden onli-ne-mediierte Verfahren in Form online-moderierter Dialogeumgesetzt. Dieser Beitrag skizziert, welche Funktionen und Poten-ziale diese Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung in der Planunghaben und welches organisatorische Vorgehen notwendig ist.

Dr. Oliver Märker ist Mitarbeiter beim Fraunhofer Institut Intelligente Analyse-und Informations-systeme (IAIS) in St. Augustin und bei zebralog – medienüber-greifende dialoge inBerlin.

IT-Einsatz in Staat und Verwaltung

Verwaltung und Management12. Jg. (2006), Heft 6, S. 329-335

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1 Hill 2002.2 Surowiecki 2005: 60.3 Rittel 1972.4 Wehner 2001.

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entwickelt und auch eingesetzt, in denenPlanung als ein kommunikativer, argumen-tativer oder kooperativer Prozess zwischenheterogenen Akteuren verstanden wird.Aufwind erhalten Bemühungen um eineÖffnung der Planungs- und Beteiligungs-verfahren für die Interessen und Sichtwei-sen der bislang nur Planungsbetroffenendurch die Verbreitung des Internets. Dieneuen Medien werden im Rahmen der E-Government-Reformbewegung als Wei-chenstellung für eine Reformierung insti-tutioneller Arrangements im politisch-ad-ministrativen System gedeutet undeingesetzt. Dabei geht es nicht um die Nut-zung der neuen Medien um ihrer selbstwillen, sondern um soziale Innovationen,das heißt mehr um Government als um Electronic; denn E-Government meintnicht die Digitalisierung vorhandener Ver-waltungsabläufe, sondern die Neu- undUmgestaltung von Verwaltungsprozessenauf der Basis neuer organisatorischerSpielräume, die sich durch die Einführungneuer Medien ergeben. Ebenso geht es beiE-Partizipation nicht um die bloße Digita-lisierung vorhandener Planungs- und Ent-scheidungsverfahren. Ziel ist es vielmehr,mit Hilfe neuer Medien neue Beteiligungs-verfahren zu entwickeln und diese als Teileiner neuen Verwaltungs- und Entschei-dungskultur zu etablieren: E-Partizipationist also die Suche nach innovativen Betei-ligungsmöglichkeiten unter Rückgriff aufdie Möglichkeiten internet-basierter IuK.Welche Möglichkeiten sind damit ge-meint? Mit Blick auf Ansätze, die Planungals einen argumentativen Prozess zwischenverschiedenen Akteuren interpretieren,5geht es vor allem um die Möglichkeit, mitHilfe neuer Medien Diskurse neu zu orga-nisieren,6 wobei »organisieren« zwei Ebe-nen umfasst: � Kommunikationstechnisches Potenzial

neuer Medien (»Medien 1. Ordnung«)� Verfahren (»Medien 2. Ordnung«).

Neue Optionen durch neue Medien

Mit Medien 1. Ordnung7 wird der »techni-sche Kern« neuer Medien im »Roh-zustand« angesprochen, also Diskursoptio-nen, die sich aus den spezifischen Eigen-schaften computer-vermittelter Kommuni-kation (CvK), insbesondere der Ortsunab-hängigkeit, Zeitunabhängigkeit und Textba-siertheit ableiten lassen: So erlauben esneue Medien prinzipiell, Kommunikations-prozesse zeitlich und räumlich zu flexibili-sieren. Dadurch kann die potenzielle Zahlder Teilnehmer erhöht und die strukturelleSchwäche konventionell-informeller Betei-ligungsverfahren, die aktive Teilnahme aufwenige Teilnehmer zu begrenzen, teilweiseoder ganz behoben werden. Durch CvKkann außerdem die Transparenz von Kom-munikation erhöht werden, insofern alsmehr Akteure aktiv teilnehmen können und(laufende) Diskurse bzw. ihr »digitaler Nie-derschlag« in Schriftform an einem für alleAkteure zugänglichen Ort gespeichert undvisualisiert werden. Neben der Flexibilisie-rung in der raum-zeitlichen Gestaltung istzusätzlich eine größere thematische Offen-heit und Differenzierung möglich: Währendin einer Präsenzdiskussion Themen bzw.Aufmerksamkeit häufig durch die aktuellenWortbeiträge (einiger weniger) bestimmtwerden, ermöglicht asynchrone CvK, dassDiskussions- und Konfliktpunkte – insbe-sondere in Verbindung mit neuen Methodender Diskursvisualisierung und Strukturie-rung – anders aufgenommen, langsamerund reflektierter ausgewählt sowie angegan-gen werden können. Durch die Parallelisie-rung von Diskursthemen können nicht nurvöllig neue, sondern auch mehr Bezügezwischen Beiträgen hergestellt werden, so-dass interaktive Kommunikation auch beideutlich höheren Teilnehmerzahlen möglichwird.

Vom »kommunikationstechnischen Po-tenzial« her gesehen, erlauben neue elek-

tronische Medien also neuartige Möglich-keiten der Öffnung der bestehenden Pla-nungsverfahren für unterschiedliche Sicht-weisen und deren Diskussion. Dass dieseMöglichkeiten allein jedoch nicht ausrei-chen, um einen produktiven Wissensaus-tausch zu realisieren, verdeutlicht einBlick in viele brachliegende Diskussions-foren im Internet oder in Foren, die zwarvon unterschiedlichen Akteuren besuchtwerden, aber nicht durch einen argumenta-tiven und konstruktiven Kommunikations-modus gekennzeichnet sind. Potenziale in-formatischer Werkzeuge zur Flexibilisie-rung von Kommunikation, zur Initiierungvon Lernprozessen zwischen vielen unter-schiedlichen Akteuren, können erst dannin Wert gesetzt werden, wenn sie durchgeeignete Verfahren in ein übergeordnetesNutzungskonzept eingebettet werden.

Neue Optionen durch neue Verfahren

Mit Medien 2. Ordnung wird der den tech-nischen Kern umgebende »institutionelleKomplex«8 bezeichnet, durch den die Nut-zung neuer Medien bestimmt wird. Medi-en 2. Ordnung sind Verfahren, die daskommunikationstechnische Potenzial neu-er Medien entsprechend der zugedachtenNutzung in Wert setzen, indem sie Wissenliefern, wie unter Rückgriff auf Medien er-ster Ordnung, die zugedachte Nutzung rea-lisiert werden kann. In diesem Sinne kön-nen Verfahren als institutionelle Innovati-on auch als ein Medium 2. Ordnungbetrachtet werden. Ein produktiver Einsatzvon IuK in der öffentlichen Planung zurDurchführung von Diskursen zur Öffnungbestehender Planungsverfahren wird alsodavon abhängen, ob es gelingt, für neueMedien (1. Ordnung) angemessene An-wendungsbereiche, Gebrauchssituationenund -zwecke sowie Regeln ihrer Nutzungzu definieren, einzuüben und zu institutio-nalisieren. Dadurch wird auch klar, dassInteraktivität keine natürliche, den neuen»interaktiven Medien« innewohnende Ei-genschaft ist, sondern ein Kommunikati-onsmodus, der erst durch Verfahren reali-siert werden muss.9

Online-moderierte Dialoge

Im Zusammenhang der hier eingenommenSicht lässt sich in der Planungspraxis seitder Jahrtausendwende die Herausbildungeines neuen Verfahrentyps beobachten:

IT-Einsatz in Staat und Verwaltung

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5 Rittel 1972.6 Lenk 1976.7 Kubicek 1998.8 Kubicek 1998; Wesselmann 2002.9 Habermas 1992.

Bild 1: Beteiligungsstufen, Formen elektronisch unterstützter Bürgerbeteiligung und informa-tische Systeme.

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»Online-mediierte Verfahren«10, die sichmöglicherweise als Anzeichen für einePlanungskultur werten lassen, in der Pla-ner versuchen, anstelle Wissensmonopolezu behaupten und Planungen »von obennach unten« durchzusetzen, die Vielfalt anWissensformen und Ordnungsvorstellun-gen zuzulassen und produktiv zu nutzen.Der Gedanke der Beteiligung wird hier inGestalt online-moderierter Dialoge umge-setzt. Kennzeichen dieser interaktiven Ver-fahren online sind – möglicherweise inKombination mit konventionellen Beteili-gungsangeboten (Medienmix) – elektro-nisch unterstützte Foren, die es vielen Teil-nehmern ermöglichen, sich innerhalb einesdefinierten Zeitfensters (zum Beispiel dreioder vier Wochen) zu einem ebenfalls fest-gelegten Thema zu äußern. Die Erstellungder Beiträge durch die Teilnehmer bzw.die Diskussionen werden zum einen durchModeratoren betreut und zum anderendurch mediative Verfahrenselemente ge-steuert – es sind diskursiv gestaltete Betei-ligungsverfahren mit mediativen Elemen-ten. Diskursiv, weil versucht wird, denAustausch von Argumenten zu befördern.Mediativ, weil sie auf Prozesswissen ausder Mediation zur Verfahrensstrukturie-rung und Methoden zur Vermeidung,Deeskalation oder Vermittlung von Kon-flikten – die im Diskurskontext entstehen –zurückgreifen. Es sind also durch die Me-diationstheorie und -praxis inspirierte, me-dienunterstützte Dialogverfahren, die auchals online-mediierte Verfahren bezeichnetwerden können.11

Einordnung und Einsatzbereiche

Online-mediierte Verfahren sind also elek-tronisch unterstützte, online-moderierteDialoge mit mediativen Elementen. Mit ih-nen werden die Bürger dazu aufgefordert,zu (vorher) ausgewählten Themen ihrespezifischen Sichtweisen und Erfahrungenin eine Diskussion einzubringen und dortin der Auseinandersetzung mit anderenTeilnehmern Perspektiven, Anregungen,Ideen und Vorschläge zu sammeln bezie-hungsweise (weiter) zu entwickeln. DieBürger werden also zu bestimmten Aspek-ten der Planung konsultiert. Online-medi-ierte Verfahren sind daher zeitlich befriste-te Konsultationsprozesse zur Ideen- undWissensgenerierung. Wie in Bild 1 darge-stellt, stellen online-mediierte Verfahrenbzw. ihre konzeptionelle Umsetzung alsonline-moderierte Dialoge auf Grund ihresinteraktiven Charakters die oberste Ebeneim »Beteiligungsdreieck« elektronisch un-terstützter Bürgerbeteiligung dar.

Durch die erste, unterste Ebene »Infor-mieren – online aber nicht interaktiv« wird

Transparenz durch Was- und Wie-Infor-mationen hergestellt, denn nur informierteBürger können sich qualifiziert beteiligen(Bild 1). Neben der Transparenz durchumfassende Informationen, sollte die pla-nende Verwaltung jederzeit für die Bürgeransprechbar sein (»bilaterale Kommunika-tion«, mittlere Ebene, Bild 1). Dazugehören verlässliche Ansprechpartner, dieauf Informationsanfragen zeitnah reagierenund als Vermittler für eingehende Anre-gungen und Bedenken zwischen Bürgernund den Planungs- und Entscheidungspro-zessen im back office fungieren. Insbeson-dere während der 1. und 2. Stufe der Bür-gerbeteiligung der vorbereitenden und ver-bindlichen Bauleitplanung (Bild 2, F2, F3,B2, B3) sollten Eingabemöglichkeiten vonAnregungen und Bedenken an prominenterStelle im Web angeboten werden. Die 1.Ebene können wir als informatives Grun-drauschen (»online aber nicht interaktiv«),die zweite, mittlere Ebene als konsultati-ves Grundrauschen (»reaktiv«) bezeich-nen, das – im Gegensatz zu interaktivenBeteiligungsangeboten wie online-mode-rierte Dialoge – immer hörbar sein sollte.Neben der Ausschöpfung des interaktiveninformationstechnischen Potenzials durchVerfahren (»Medien 2. Ordnung«, sieheoben), unterscheiden sich online-mediierteVerfahren zur 1. und 2. Ebene im »Dreieckzur elektronischen Bürgerbeteiligung«(Bild 1) also auch durch ihren zeitlich be-fristeten Charakter. Wobei wir davon aus-gehen können, dass Verwaltungen diese 3.Ebene nur dann verwirklichen und ihre Po-tenziale ausschöpfen können, wenn zuvorauch die 1. und 2. Ebene realisiert wurde.

Ansatzpunkte online-mediierter Verfah-ren (Bild 1, Ebene 3) sind insbesondere dieIdeenfindungs- und Vorschlagsphase, alsodann, wenn noch eine ausreichende Offen-heit der Planungen gegeben ist.

Im Falle der Bauleitplanung sind diesinsbesondere die Felder F1, F2, B1 und B2in Bild 2. Wobei sich insbesondere dievorbereitende Bauleitplanung anbietet, dadort, im Gegensatz zur Aufstellung detail-lierter B-Pläne, das Interesse der Bevölke-rung größer ist (Planungsgrundzüge dergesamten Gemeinde bzw. ganzen Region)und mehr von Interessen des Allgemein-wohls als von persönlichen Interessen ge-prägt ist. Interaktive Formen elektronischerBürgerbeteiligung eigenen sich daher be-sonders im Rahmen der »vorgezogenenBürgerbeteiligung« während der Aufstel-lung des F-Plans (Bild 2, F1, F2), da dortIdeen und Wissen der Bürger einfacher ge-neriert und integriert werden können.

In der Praxis werden online-mediierteVerfahren (bislang) entweder nicht mit un-mittelbarem Bezug zur Bauleitplanungdurchgeführt oder im Vorfeld des förmli-chen Verfahrens und der damit verbunde-nen Stufen der Bürgerbeteiligung. Rele-vante Einsatzfelder sind:12

� Visions- und Leitbildprozesse, wie zumBeispiel »Wachsende Stadt Hamburg«13

– Entwicklung von Projektideen zurStadtentwicklung durch Hamburger Bür-ger (Online-Verfahren ohne Präsenzver-anstaltungen), vgl. Bild 4.

Oliver Märker, Online-moderierte Dialoge zur Öffentlichkeitsbeteiligung in der Planung

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10 Märker 2005.11 Märker 2005.12 Vgl. Roeder et al. 2004.13 Lührs 2003.

Bild 2: Stufen der vorbereitenden und verbindlichen Bauleitplanung und Ansatzpunkte füronline-mediierte Verfahren als interaktive Form elektronisch unterstützter Bürgerbeteiligungim Planungsverlauf (Quelle: Märker 2005).

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� Prozessen zu städtebaulichen Verände-rungen und Stadtgestaltung, wie zumBeispiel »Planung verbindet!«14 – Ent-wicklung von Ideen zur zukünftigen regionalen Flächennutzung im Bal-lungsraum Frankfurt/Rhein-Main (einOnline-Verfahren ohne Präsenzveran-staltungen), »Interaktive Bürgerbeteili-gung Alexanderplatz« – Entwicklungvon Kriterien zur zukünftigen Platznut-zung /-gestaltung durch Berliner Bürger(Online-Verfahren mit einer Präsenz-veranstaltung), »Kulturforum Berlin«15

– Entwicklung von Vorschlägen für den»Masterplan für das Kulturforum« (On-line-Verfahren und Präsenzveranstal-tungen), »Internet-basierte Bürgeran-hörung Esslingen«16 – Anhörung derBürger (insbesondere Gegner) zu einemgeplanten Neubaugebiet in Esslingen(Online-Verfahren mit einer Präsenz-veranstaltung).

� Prozesse zur Verteilung von Ressour-cen, Anlagen oder Einrichtungen, wiezum Beispiel »Esslinger Haushalt imDialog« oder »Bürgerhaushalt Lichten-berg«17 – Beteiligung der Bürger beider Entwicklung von Vorschlägen beider Aufstellung des kommunalen Haus-halts (beides waren Online-Verfahren inKombination mit mehreren Präsenzver-anstaltungen)

In allen Fällen gibt das politisch-administra-tive System der Bürgerschaft den Auftrag,sich zu relevanten Themen Gedanken zumachen und so zur Planungs- und Entschei-dungsvorbereitung beizutragen: Die Bürgerwerden aufgefordert mittels Diskussions-beiträgen (auch in Präsenzveranstaltungenvor Ort: Medienmix18), an der Entwicklungund Ausgestaltung von Alternativen mitzu-wirken oder über mögliche Auswirkungenvon Alternativen zu diskutieren. Im Vorder-grund steht also nicht, per Mausklick zwi-schen vorgegebenen Alternativen zu ent-scheiden. Vielmehr sind online-mediierteVerfahren dadurch charakterisiert, dass ihrErgebnisse kein Mehrheitsentscheid, son-dern ein in online-moderierten Dialogenentwickeltes Wissensspektrum ist, das danndem politisch-administrativen System alszusätzliches Abwägungsmaterial vorgelegtwird. Bei Online-Dialogen steht daher nichtRepräsentativität, sondern die Generierungvon Ideen und Wissen im Vordergrund.19

Organisatorische Voraussetzungen

Die Analyse online-mediierter Verfahrenzur Öffentlichkeitsbeteiligung in der Pla-nungspraxis hat gezeigt, dass zur Realisie-rung online-mediierter Verfahren Überset-zungsarbeiten geleistet werden müssen,

um ein praxistaugliches Verfahren zu ge-winnen.20 Diese Arbeiten gehen in zweiRichtungen: � Erstens bedürfen online-mediierte Ver-

fahren einer aktiven Gestaltung »nachinnen«, damit neues Wissen kommuni-kativ generiert werden kann.

� Zweitens bedürfen sie der Anschlus-sfähigkeit an das politisch-administrati-ve System, damit das (so) generierteWissen in Planungs- und Entschei-dungsprozesse einfließen kann.

Diese verfahrensinterne als auch -externeRelevanz ist entscheidend, damit potenzi-elle Teilnehmer sowohl in die Produkti-vität als auch die Reichweite online-medi-ierter Verfahren vertrauen können. Siestellen die Eckpfeiler im organisatorischenVorgehen bei der Umsetzung online-mo-derierter Dialoge zur Öffentlichkeitsbetei-ligung in der Planung dar.

Organisatorische Vorgehen I: Interne Relevanz sichern

Zur Sicherung interner Verfahrensrelevanzspielt die prozedurale Steuerung online-mediierter Verfahren eine wichtige Rolle,wobei insbesondere zwei Einflussfaktorenbeobachtet werden können: Verfahrenspla-nung und Online-Moderation. Wie bereitsbetont, lassen sich neue Medien und derenspezifischen Potenziale 1. Ordnung erstdann nutzen, wenn sie durch Verfahren inMedien 2. Ordnung in Wert gesetzt wer-den. Sprechen wir von Verfahren, dannliegt diesem Begriff das Verständnis zuGrunde, dass es sich dabei um einen zeit-lich befristeten und thematisch definiertenProzess handelt, mit einem klar definiertenAnfang und Ende. Unter Verfahrenspla-nung können dann alle auf die Binnenweltdes Verfahrens gerichteten, konzeptionel-len Entscheidungen und Aktivitäten ver-standen werden, die festzulegen haben, inwelchen – gegebenenfalls iterativen oder

auch nebenläufigen – Prozessschritten, mitwelchen Medien und Methoden, zu wel-chen Zeiten und Orten bzw. in welchenZeiträumen und mit welchen Akteuren dasGesamtziel eines Verfahrens erreicht wer-den soll.

Es muss also eine Verfahrenschoreogra-fie entlang der in Bild 3 aufgeführten Di-mensionen entwickelt werden, durch dieder Dialog ziel- und ergebnisorientiert um-gesetzt werden kann. Online-mediierteVerfahren machen sich dabei das Prozes-swissen aus der Mediationspraxis zu nutze,in der Phasen mit abstrakten Zielen diffe-renziert werden: � Verfahrensablauf und -regeln klären� Informationen und Themen sammeln� Interessen klären� Optionen bilden� Optionen bewerten� Ergebnisse (Vereinbarung, Umset-

zungsplan) erstellen und verschriftli-chen.

IT-Einsatz in Staat und Verwaltung

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14 Vgl. http://www.planung-verbindet.de [Zugriff:24.3.2006].

15 Vgl. http://www.stadtentwicklung.berlin.de/pla-nen/staedtebau-projekte/kulturforum/ [Zugriff:24.3.2006].

16 Wurde unmittelbar im Vorfeld der formalenBauleitplanung als informelles Beteiligungs-angebot durchgeführt. Trénel et al. 2003.

17 Vgl. http://www.buergerhaushalt-lichtenberg.de[Zugriff: 24.3.2006]

18 Zum Begriff Medienmix vgl. Abschnitt »Or-ganisatorisches Vorgehen III: Grenzen beach-ten und Übergänge schaffen«.

19 Dennoch sind Informationen über die sozioö-konomische bzw. -demographische Strukturder Teilnehmer online-mediierter Verfahrenvon Vorteil (Daten können zum Beispiel beider Registrierung der Teilnehmer erhobenwerden), um besser einschätzen zu können,welche Teilöffentlichkeiten das Angebotwahrnehmen/-nahmen, und umgekehrt, wel-che spezifische Selektivität das Online-Ange-bot hat/te.

20 Märker 2005.

Bild 3: Dimensionen der Verfahrensplanung (Quelle: Märker 2005)

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Sind sämtliche der hier angesprochenenFragen geklärt, lassen sich die Ergebnissezu Verfahrensplänen für online-mediierteVerfahren zusammenfassen. Auf der Basissolcher Pläne kann den Teilnehmern nochvor Beginn des Verfahrens eine Vorstel-lung vom Ablauf vermittelt werden. SolchePläne sind außerdem die Grundlage für dieEinrichtung und Konfiguration der infor-matischen Werkzeuge und für Maßnahmenzur Verfahrenssteuerung durch Online-Mo-deration. Bild 4 zeigt beispielhaft einenPlan des Verfahrens »Wachsende StadtHamburg«. Zielsetzung dieses Verfahrenswar die Entwicklung von Ideen zur zukünf-tigen Stadtentwicklung. Über fünfhundertTeilnehmer registrierten sich zur Teilnah-me. Knapp viertausend Beiträge wurden indem von vier Online-Moderatoren mode-rierten Dialog in vier Wochen eingebracht.Von den insgesamt 58 entwickelten Ideenwurden fünf durch eine Jury prämiert. DieUmsetzung dieser Ideen wird durch dieVerwaltung geprüft und verfolgt. Zukünf-tig wird es darum gehen, auf der Basis vie-ler solcher Pläne und unter Berücksichti-gung der jeweiligen Anwendungskontexteeine umfassende Methodologie online-me-diierter Verfahren zu entwickeln. Ein Ver-fahrenskanon und Kriterienkatalog kanndann wertvolle Hilfe bei der Entscheidungleisten, welcher Plan mit welchem Medien-mix für welche Ziele, Akteure und Kontex-te am besten geeignet ist.

Neben der konzeptionellen Verfahrens-planung ist die Online-Moderation ein wei-terer zentraler Faktor zur Erzeugung internerRelevanz. Verfahrenspläne bilden die Basiszur Umsetzung online-mediierter Verfahrenin einen lebendigen Kommunikationspro-zess durch Online-Moderation. Sie umfasstfolgende Aufgabenbereiche (2005):� Prozessstrukturierung in Anlehnung an

den Verfahrensplan: Durch Öffnen undSchließen von Diskussionsforen, Ein-richtung und Konfiguration von Unter-foren, Rekonfiguration der Plattform(Änderungen der Zugangs- und Nut-zungsrechte, Sichtbarkeit von Funktio-nen, Diskursontologie etc.).

� Anmoderation von Themen und The-menfeldern durch Startfragen zu Beginnsowie im Laufe des Prozesses und Her-ausforderung von Themen und Fragendurch die Teilnehmer (Offenheit ge-währleisten).

� Über den Prozess informieren (Feed-back, zum Beispiel durch Moderatoren-Mailing).

� Gewährleistung von Fairness in derDiskussion durch für alle Teilnehmersichtbare Regeln für einen fairen Um-gang in der Diskussion (Netiquette).Bei Überschreitungen zieht die Modera-

tion betroffene Beiträge zurück und for-dert – gegebenenfalls mit Formulie-rungsvorschlägen (Reframing) – dieAutoren zur Überarbeitung ihrer Beiträ-ge auf.

� Argumentation herausfordern und wei-terentwickeln, indem die Moderationden Dialog durch »interaktionsauslö-sende Fragen« fördert und darauf ach-tet, dass sich Teilnehmer aufeinanderbeziehen (Lernprozesse durch Konfron-tation unterschiedlicher Perspektivenunterstützten).

� Thematische (Re)Strukturierung. Her-stellung von Übersichtlichkeit und Er-gebnisorientierung durch Sortierung undVerknüpfung der eingehenden Beiträgeund der Erstellung von Zusammenfas-sungen (inhaltliche Strukturierung).

� Technische Erläuterungen und Hilfe-maßnahmen zur Bedienung der Beteili-gungsplattform durch direkte Anspra-che der Teilnehmer oder Erläuterungenim Forum.

� Reflexivität des Verfahrens ermöglichen,indem Gestaltung und Verlauf des Onli-ne-Dialoges und das eigene Moderations-verhalten zur Diskussion gestellt wird.

� Konflikteskalationen bearbeiten. Ver-mittlung (zum Beispiel via E-Mail) au-ßerhalb des Forums.

Organisatorische Vorgehen II: Einbettung in Planungs- und Entscheidungsvorbereitung

Die Sicherung der internen Relevanz ist fürein Beteiligungsprojekt eine notwendige,aber keine hinreichende Bedingung. Zusätz-

lich zur Verfahrensplanung und -steuerungsowie Online-Moderation muss die externeRelevanz, also die Bedeutung eines compu-ter-unterstützten Verfahrens im politisch-administrativen System, gewährleistet sein.So sollten online-mediierte Verfahren füralle Akteure deutlich erkennbar in überge-ordnete politisch-administrative Zusam-menhänge eingebettet werden. Ihre Funkti-on zur Wissensproduktion sollte für alle Be-teiligten erkennbar werden. Ferner sollteklar sein, was mit den Ergebnissen nachAbschluss des Projekts geschieht. In öffent-lichen Planungen sollten daher die politi-schen Entscheidungsträger sowohl vor sichselbst als auch vor der Bürgerschaft als drit-te Kraft im Demokratiedreieck zu erkennengeben, welche Relevanz das Verfahren ha-ben soll. Insbesondere folgende Maßnah-men begünstigen die Produktion verfah-rensexterner Relevanz21:� Eine eindeutige Ziel- und Funktionszu-

weisung für das Verfahren� Die Wahl eines relevanten, zielgrup-

penadäquaten Diskursgegenstands (zumBeispiel Haushaltsentwurf, oder städte-bauliches Leitbild wie »WachsendeStadt Hamburg« – vgl. Bild 4)

� Die Definition von Schnittstellen zulaufenden Planungs- und Entschei-dungsprozessen (vgl. Bild 5, Einbettungonline-mediierter Verfahren)

� Eine ausreichende Verfügbarkeit perso-neller Ressourcen

� Die (Neu)Regelung von Zuständigkei-ten in der Verwaltung

� Eine intensive Zusammenarbeit mit denlokalen Medien (Marketing und Öffent-lichkeitsarbeit)

Oliver Märker, Online-moderierte Dialoge zur Öffentlichkeitsbeteiligung in der Planung

VM 6/2006 333

Bild 4:Verfahrensplan »Wachsende Stadt Hamburg« (Quelle: Märker 2005)

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� Die (pro)aktive Einbindung von Stake-holdern

� Eine Ergebnis- und Feedback-Absiche-rung.

Besonders bedeutend ist die Durchführungeiner Interessensanalyse im Vorfeld online-mediierter Verfahren. Gespräche mit Stake-holdern aus dem politisch-administrativenSystem sind eine wichtige Voraussetzung,um ein realistisches Bild darüber zu erhal-ten, welche Ziele, Funktionen und Wirkun-gen dem online-mediierten Verfahren imKontext der Planungshistorie und der lau-fenden Planungs- und Entscheidungspro-zesse zugewiesen werden (können) und vonwelcher verfahrensexternen »Basisrele-vanz« ausgegangen werden kann. Währendeiner Interessensanalyse können durch Ge-spräche auch Spielräume zur Öffnung lau-fender Planungs- und Entscheidungsprozes-se aufgezeigt und gegebenenfalls zur Rele-vanzerhöhung im Sinne der Bürgerausgebaut werden. Darüber hinaus erleich-tert eine Interessensanalyse – neben derKonkretisierung des Diskursgegenstands(Welche Fragestellungen und Themen sindfür den Dialog geeignet?) – die Definitionvon Schnittstellen zu laufenden Planungs-und Endscheidungsprozessen (Bild 5) undstellt einen ersten wichtigen Schritt dar, Sta-keholder aus Politik und Verwaltung alsBefürworter, Unterstützer oder sogar als ak-tive Teilnehmer einzubinden.

Organisatorische Vorgehen III: Grenzen beachten und Übergängeschaffen

Online-mediierte Verfahren sind wie ande-re konventionelle Beteiligungsangebote se-lektiv, wenn auch ihre Selektivität dadurchrelativiert wird, dass sie keine repräsentati-ve Funktion haben, sondern vielmehr dieAufgabe neues Wissen zu generieren, dasals zusätzliches Abwägungsmaterial in Pla-nungs- und Entscheidungsfindung einfließt.In Anlehnung an Gabriel und Mößner(2002) kann die Selektivität online-medi-ierter Verfahren auf die Nachfrageseite vonE-Partizipationsangeboten bezogen wer-den, die durch Medienzugang und -kompe-tenz gesteuert wird, also durch Zugangsbe-schränkungen wie� technische (mangels Zugangsmöglich-

keiten zum Internet),

� materielle (mangels finanzieller Res-sourcen zur Beschaffung von Computeroder Online-Anschluss) und/oder

� bildungsbedingte (mangels Medien- bzw.Netzkompetenz22).

Zu den drei Punkten, die der »Barriere«Internetzugang in Bild 6 zugeordnet wer-den können, kommt eine weitere »Barrie-re« hinzu, nämlich die � gemeinsame Sprache (vgl. Bild 6), die – insbesondere im Kontext von Bür-gern mit Migrationshintergrund als poten-zielle Adressaten eines Beteiligungsange-botes – ein hohes Selektivitätsniveauaufweisen kann. Besonders bei online-me-diierten Verfahren spielt die Schriftspra-che, also die Fähigkeit sich schriftlich (undorthographisch korrekt) ausdrücken zukönnen, eine besonders große Rolle. Onli-ne-moderierte Dialoge sind also vorausset-zungsvoll und können zu einer Reproduk-tion der schon vorhandenen (muttersprach-lichen) Mittelschichtzentrierung führen.23

Allerdings entziehen sich diese Aspekteder Nachfrageseite von E-Partizipation aufder lokalen Ebene weitgehend einer unmit-telbaren Einflussnahme und muss durcheine entsprechende Bildungs- und Medien-politik mittel- und langfristig positiv beein-flusst werden, wie zum Beispiel durch:24

� Herstellung gleicher Zugangsbedingun-gen, informationelle Grundversorgungdurch Abbau finanzieller und techni-scher Zugangsbarrieren

� Politisch-mediale Chancengleichheit:Anstrengungen zur Vermittlung einerspezifischen Medienkompetenz: politik-bezogene Medienkompetenz muss alsSchlüsselqualifikation erkannt und ge-fördert werden

� Kostenfreie Einführungsschulungen,flächendeckende Bereitstellung öffentli-cher Terminals, Intensivierung der poli-tischen Bildung, insbesondere in denSchulen, Computer-Ausstattung derSchulen usw.

Allerdings zeigen gute Beispiele wie etwader BürgerPC in Esslingen25, dass auchKommunen auf die Nachfrageseite (Sen-kung der Zugangsschwelle) bzw. die me-dienspezifische Selektivität durch entspre-chende Konzepte und Infrastrukturen Ein-fluss nehmen können. So bietet die StadtEsslingen an verschiedenen öffentlich zu-gänglichen Plätzen (zum Beispiel Bürger-

haus, Bibliotheken, Schulen) Internetzu-gänge, die von ehrenamtlichen Tutoren be-treut werden und Bürgern auf Wunsch beider Nutzung vor Ort helfen (zum Beispielbei der Bedienung, Orientierung und Betei-ligung in einem Diskussionsforum.26 Diemedienspezifische Selektivität kann auchauf der Angebotsseite durch einen entspre-chenden Medienmix also durch einen Mixkonventioneller und internet-basierter Me-dien ausgeglichen werden27, also dadurch,dass E-Partizipation im Allgemeinen bzw.online-mediierte Verfahren im Speziellenals zusätzliches Instrument im Beteili-gungskanon angeboten werden und durchdie Kombination unterschiedlicher konven-tioneller und virtueller Beteiligungsange-bote die »Gesamtselektivität« insgesamtgesenkt wird. Wobei dann allerdings durchdie Verfahrensplanung (siehe oben) dieFunktion und Beziehung einzelner Beteili-gungsformate zu einem sinnvollen Gesamt-paket geschnürt werden müssen (zum Bei-spiel Gewährleistung des Ergebnistransfersaus einem online-moderierten Forum ineine Präsenzveranstaltung und umgekehrt).Für Migranten können online-mediierteVerfahren durch eine mehrsprachige Auf-bereitung der Planungsinformationen (=unterste Ebene Bild 1) und möglicherweiseauch durch den Einsatz von Moderatorenaus der Bürgerschaft28 mit Migrationshin-tergrund (= oberste Ebene von Bild 1)geöffnet werden. Voraussetzung ist, dassder »Internetzugang« (Bild 6) keine Barrie-re darstellt, also keine Zugangsbeschrän-kungen bei den Adressaten vorliegen bzw.diese durch entsprechende Maßnahmen(siehe oben) überwunden werden können.

Ausblick

Die Möglichkeiten der Unterstützung be-teiligungsorientierter Foren für den Infor-mationsaustausch zwischen Verwaltungensowie Bürgern und anderen Akteuren wei-sen enorme Fortschritte auf. »Online-me-diierte Verfahren« können diese neuenWerkzeuge sinnvoll einsetzen und dadurch

IT-Einsatz in Staat und Verwaltung

334

21 Märker 2005.22 Darunter wird die Fähigkeit verstanden, Com-

puter und netzwerkbasierte Anwendungen be-nutzen und nutzen zu können, zum Beispielauch eine »Navigationskompetenz« zum Auf-finden relevanter Informationen im »digitalenHeuhaufen« (Hoecker 2002).

23 Hoecker 2002; Wesselmann 2002.24 Hoecker 2002.25 http://www.buerger-gehen-online.de.26 Märker 2005.27 Hoecker 2002; Wesselmann 2002; Westholm

2003.28 Erfahrungen zur Moderation durch Bürger/in-

nen, vgl. Märker 2005.

Bild 5: Einbettung online-mediierter Verfahren in Planungs- und Entscheidungsprozesse

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konstruktive und ergebnisreiche Dialoge inder Planung ermöglichen. Doch diese Ent-wicklungen dürfen nicht darüber hinweg-täuschen, dass solche Verfahren immer derGefahr ausgesetzt sind, dass Verwaltungund Politik sich nicht nachhaltig und trans-parent mit den Ergebnissen auseinander-setzen. Online-mediierte Verfahren sinddaher paradoxer Weise Ausdruck einerkommunikativ orientierten Planungs- undBeteiligungskultur und gleichzeitig Indika-tor für Kräfte, bestehende Wissensmono-pole aufrechtzuerhalten.

Es ist gut möglich, dass Politik undVerwaltung ihre Planungs- und Entschei-dungsprozesse auch in naher Zukunft nichtin Richtung diskursiver Verhandlung re-formieren und damit für externe Akteureöffnen werden. Allerdings spricht einigesdafür, dass online-mediierte Verfahren aufdem den Kernzonen des politisch-admini-strativen Handelns vorgelagerten Feld derAußendarstellung und der Informationsbe-schaffung eine wichtige Rolle spielen wer-den. Sie dienen dort als ein Legitimationbeschaffendes und gleichzeitig effizientfunktionierendes Verfahren für den Um-gang mit heterogenem Wissen. Für dieBürger würde eine Institutionalisierungsolcher Verfahren bedeuten, dass zwar kei-ne Möglichkeiten der direkten Einmi-schung in Planungs- und Entscheidungs-prozesse bestehen (was auch aus Bürger-sicht eine durchaus diskussionswürdigeOption wäre), allerdings neue Möglichkei-ten der Information über zukünftige Pla-nungsprojekte und deren Diskussion ge-wonnen werden.

Der praktische Nutzen online-mediierterVerfahren für Verwaltung und Politik liegt(gegenwärtig) weniger darin, Bürger in Pla-nungs- und Entscheidungsprozesse zu inte-grieren, als vielmehr darin neue Möglich-

keiten zu eröffnen, unterschiedliche Pro-blemverständnisse nicht länger als Störfak-toren zu verstehen, sondern solches Wissenzu ermitteln und als produktive Ressourcefür intern abzuarbeitende Planungs- undEntscheidungsprozesse zu nutzen. Es gehtalso vorrangig um eine Steigerung der In-formationsgewinnungs- und -verarbeitungs-kapazitäten und damit der Lernfähigkeit po-litisch-administrativer Einrichtungen. Undes geht um Verfahren, die über die Raum-planung hinaus auch für die Beteiligung aufLänder- und Bundesebene (E-Parlament)interessant sind, um neben dem »Experten-wissen« auch das Wissen der Bürger zunutzen und in Wert zu setzen.

Literatur

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Habermas, Jürgen (1992): Faktizität und Gel-tung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechtsund des demokratischen Rechtsstaates. Frank-furt (Main): Suhrkamp.

Hill, Hermann (2002): »Partnerschaften undNetzwerke – Staatliches Handeln in der Bürger-gesellschaft.« VBI Bayerische Verwaltungsblät-ter, Zeitschrift für öffentliches Recht und öf-fentliche Verwaltung (BayVBI) 2002,11:321-326.

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Lenk, Klaus (1976): »PartizipationsförderndeTechnologien?« S. 111-123 in Informations-rechte und Kommunikationspolitik. Entwick-lungsperspektiven des Kabelfernsehens und derBreitbandkommunikation, Hrsg: Klaus Lenk,Beiträge zur juristischen Informatik, 4. Darm-stadt.

Lührs, Rolf (2003): »Online-Mediation undDiskursmanagement – Ergebnisse aus dem For-schungsprojekt DEMOS und der Internetdiskus-sion zum Hamburger Leitbild ›WachseneStadt‹.« ZKM – Zeitschrift für Konfliktmanage-ment 6, 5 (2003):215-216.

Märker, Oliver (2005): Online-Mediation alsInstrument für eine nachhaltige Stadt- und Re-gionalplanung. Eine qualitative Untersuchung

zur internen und externen Relevanz online-me-diierter Verfahren. Fraunhofer Series in Infor-mation and Communication Technology,2/2005. Aachen: Shaker Verlag.

Rittel, Horst W.J. (1972): »On The PlanningCrisis: Systems Analysis of the First and Se-cond Generation.« Stuttgart: Institut für Grund-lagen der Planung IGP.

Roeder, Stefanie, Oliver Märker, SusanneMichaelis, Annika Poppenborg, Stefan Salz undNils Zierath (Hrsg.) (2004): »Moderation inter-netbasierter Planungs- und Beteiligungsprozes-se.« in CORP 2004, Hrsg: Manfred Schenk.Wien: Technische Universität.

Surowiecki, James (2005): Die Weisheit derVielen. Warum Gruppen klüger sind als Einzel-ne und wie wir das kollektive Wissen für unserwirtschaftliches, soziales und politisches Han-deln nützen können. München: C. BertelsmannVerlag. Originalausgabe 2004.

Trénel, Matthias, Oliver Märker und Hans Ha-gedorn (2003): »Internetgestützte Bürgerbeteili-gung: Das Esslinger Fallbeispiel.« S. 33-53 inWie das Internet die Politik verändert. Einsatz-möglichkeiten und Anwendungen, Hrsg: ArneRogg. Opladen: Leske+Budrich.

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Wesselmann, Christoph (2002): Internet undPartizipation in Kommunen. Strategien des op-timalen Kommunikations-Mix. Sozialwissen-schaft, Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Ver-lag.

Westholm, Hilmar (2003): »›Adaptability‹ inonline democratic engagement: A multi-channelstrategy to enhance deliberative policy.« Com-munications 2003, 28:205-227.

Oliver Märker, Online-moderierte Dialoge zur Öffentlichkeitsbeteiligung in der Planung

VM 6/2006 335

Bild 6: Voraussetzungen für E-Partizipation:Gleiches Interesse an einem Thema, Zugangzum Internet und eine gemeinsame Sprache(Quelle: Baumhauer 2005)

Neuerscheinung

Handbuch IT in der Verwaltung

Im Springer-Verlag (ISBN: 3-540-21879-3)ist soeben das von Martin Wind (Institut fürInformationsmanagement Bremen) undDetlef Kröger (Mindwerk AG) herausgege-bene Handbuch IT in der Verwaltung er-schienen. Auf fast 750 Seiten wird der Ein-satz der Informationstechnik in der öffentli-chen Verwaltung in 29 Beiträgen vonWissenschaftlern und Praktikern umfassendbeleuchtet.

Alle Autoren verfügen über langjährigeErfahrungen im Anwendungsfeld. Der Sam-melband vereint Analysen und praxisnaheEinblicke zum IT-Einsatz in der öffentli-chen Verwaltung. Er bietet somit vielfälti-ges Material für die Beschäftigung mit die-sem für die Modernisierung des öffentlichenSektors zentralen Thema.

Nähere Informationen bei:Institut für Informationsmanagement BremenGmbH, Dr. Martin Wind, Am Fallturm 1,28359 Bremen, Telefon: (0421) 218-4852,Internet: www.ifib.de, E-Mail: [email protected].

Page 57: ZCOV VM 6 2006 4c 22.11.2006 12:49 Uhr Seite U1 … · maschinen, Telefax und Internet prägen heute bekanntlich die Le-segewohnheiten und damit auch den Zeitschriftenmarkt erheblich,

ver.di modernisiert IT

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), eine der größ-ten Gewerkschaften der Welt, modernisiert und harmonisiert ihreIT und stellt sie auf Microsoft um. Dadurch verbessert ver.di dieKommunikations-Infrastruktur, kann sie besser betreuen und senktdie IT-Kosten. Siemens Business Services (SBS) unterstützt dabeiden IT-Bereich von ver.di. ver.di ist aus dem Zusammenschlussvon fünf Gewerkschaften entstanden, die jeweils unterschiedlicheIT-Systeme nutzten – derzeit sind bei ver.di die Server auf bundes-weit 174 Standorte verteilt. SBS konsolidiert, zentralisiert diesesRückgrat der IT, tauscht die vorhandenen Server gegen neue Gerä-te und stellt die derzeit eingesetzte heterogene Unix-Umgebungeinheitlich auf Windows-Server-2003 und Microsoft Exchangeum. Zudem nutzen alle 4.000 Mitarbeiter von ver.di künftig aufihren Rechnern das Betriebssystem Windows XP sowie MicrosoftOffice 2003. Das Projekt soll bis Ende 2007 abgeschlossen sein.

Weitere Informationen: Siemens AG, Corporate Communicati-ons, 80312 München, 81730 München, Telefon: (089) 636-43734;E-Mail: [email protected].

Bußgeldbescheide schneller

Wer in Mödling zu schnell oder bei Rot fährt, bekommt künftigschneller sein Strafmandat. Denn die österreichische Stadt hat einneues Sicherheitskonzept entwickelt und für die Umsetzung im Rah-men eines Private-Public-Partnership-Modells die Gesellschaft KSS(Kommunale Sicherheits- und Services Mödling GmbH) gegründet.Kooperationspartner sind Porr Solutions, Securitas und Siemens Bu-siness Services. Neben der Gesamtprojektleitung ist die Siemens-Tochter verantwortlich für die Auswertung und Archivierung derDaten sowie für Fernwartung und den Betrieb der Systeme.

Von jedem Fahrzeug, das stationär »geblitzt« wird, werden zweiBilder gemacht. Alle gespeicherten Bilddaten werden über UMTSan das SBS-Rechenzentrum übermittelt. Hier werden sie von einerSoftware mit automatischer Kennzeichenerkennung ausgewertetund dann an die Bezirkshauptmannschaft weiter gegeben. Diese istfür die Ausstellung der Strafmandate und die Bußgelderhebung zu-ständig. Zusätzlich zu den zwölf stationären sind in Mödling auchmobile digitale Radargeräte mit demselben System im Einsatz.

Weitere Informationen: Siemens AG, Corporate Communicati-ons, 80312 München, 81730 München, Telefon: (089) 636-52749;E-Mail: [email protected].

Bundesinnenministerium veröffentlicht aktualisierte Standards für E-Government-Anwendungen

Das Bundesministerium des Innern veröffentlichte das Dokument»Standards und Architekturen für E-Government-Anwendungen«(SAGA) in der Version 3.0. Interessierte können das Dokumentvon der Website der Koordinierungs- und Beratungsstelle der Bun-desregierung für Informationstechnik in der Bundesverwaltung(KBSt) unter http://www.kbst.bund.de/saga abrufen.

Leitfaden für IT-Investitionen mit Leasing-Finanzierung

Angesichts der weit verbreiteten Haushaltsprobleme in der Öffent-lichen Verwaltung gewinnen alternative Finanzierungsformenauch für die IT-Beschaffung eine zunehmende Bedeutung. Sie ver-folgen insbesondere das Ziel, die vorhandenen Haushaltsmittelnicht durch Einmal-Investitionen zu belasten. Allerdings betretendie Behörden damit vielfach Neuland und stehen dabei sehr ver-schiedenartigen Finanzierungsmethoden gegenüber, deren jeweili-ge Nutzenbewertung sich als schwierig erweist. Das relativ breite

Spektrum an unterschiedlichen Modellen von Price-per-Seat- oderPrice-per-Click-Modellen über Leasingkonzepte bis hin zu kom-plexen und derzeit häufig diskutierten öffentlich-privaten Partner-schaften ist selbst für den Fachmann kaum noch zu überblicken.

Infora hat deshalb eine vierzigseitige und kostenlose Praxishilfeherausgegeben. Der Leitfaden wird kostenlos unter www.infora.dezum Download bereitgestellt.

E- Mails revisionssicher archivieren

Revisionssichere E-Mail Archivierung ist Gegenstand des Archi-vierungsmoduls iQ.Suite Store. Es wurde erstmals auf der DMSExpo 2005 gezeigt und liegt jetzt in der erweiterten Version 3.4vor. Die Software steuert nach individuellen Regeln alle Prozessefür die gesetzeskonforme, automatische Archivierung von E-Mailsund Anhängen. Sie unterstützt Komprimierung und das Auslagernder Nachrichten und Anhänge auf kostengünstige Medien, liefertein umfangreiches Suchsystem und ermöglicht es, E-Mails ori-ginalgetreu in die Nutzer-Mailbox wiederherzustellen.

Die Software schützt vor Verlust und Manipulation der zu ar-chivierenden E-Mails, indem sie alle Nachrichten bereits bei ihremEintreffen auf dem Mail-Server abfängt, prüft und als »Original«an das Archivsystem weiterleitet, noch bevor sie der eigentlicheEmpfänger erhält. Vor der Archivierung werden die Nachrichtenentschlüsselt, auf Einhaltung von Vorschriften, Spam und Virengeprüft und nach Inhalten und Adressdetails klassifiziert. Dadurchgelangen nur »saubere« und geschäftsrelevante E-Mails samt An-hang in die Archive.

Weitere Informationen: GROUP Technologies AG, Kirstin Fi-scher, Hospitalstraße 6, 99817 Eisenach, Telefon: (03691) 7353-12,E-Mail: [email protected], Internet: www.group-technologies.com.

Institut Arbeit und Technik wird aufgeteilt

Nach einer Entscheidung des nordrhein-westfälischen Kabinettswird das Institut Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen) mit seinerin achtzehn Jahren am Standort Gelsenkirchen gewachsenen undbundes- und europaweit renommierten Forschungsarbeit in zwei In-stitute mit jeweils etwa der Hälfte der fast siebzig Beschäftigten auf-geteilt.

Der eine Teil wird unter dem Namen Institut Arbeit und Tech-nik (IAT) als zentrale wissenschaftliche Einrichtung an der Fach-hochschule Gelsenkirchen in Kooperation mit der Ruhr-Univer-sität Bochum fortgeführt. Prof. Dr. Franz Lehner wird als Profes-sor der RUB die Leitung übernehmen. Die Arbeits- undBildungsforschung des IAT unter Leitung von Prof. Dr. GerhardBosch wird eine eigenständige wissenschaftliche Einrichtung imFachbereich Gesellschaftswissenschaften an der Universität Duis-burg-Essen, Campus Duisburg. Die laufenden und neu hinzu kom-menden Projekte werden planmäßig verwirklicht.

Kommunales E-Government

Eine aktuelle Bestandsaufnahme von Difu und KGSt bestätigt,dass die Kommunen, die das Thema E-Government zur Chefsachegemacht haben, deutlich weiter vorangeschritten sind als andereKommunen. Die dominierenden Technikthemen sind IT-Sicher-heit, Datenschutz sowie die Standardisierung von Datenstrukturen(xÖV) und Prozessen.

Die Studie kann bestellt werden bei: Deutsches Institut für Ur-banistik, Postfach 120321, 10593 Berlin, E-Mail: [email protected],Internet: www.difu.de/publikationen/abfrage.php3?id=898.

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