Zentrum Frau in Beruf und Technik - Unternehmen im Wandel ......1 Unternehmen im Wandel: Den kleinen...
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Unternehmen im Wandel: Den kleinen Unterschied nutzen Impulstagung 24. September 2002 im Dienstleistungszentrum Erin (DIEZE)
Vortrag Männer und Frauen in der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts Michael Astor Prognos AG, Berlin
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich konzentriere mich in diesem Vortrag auf die
Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts, also eher die zweite Hälfte des Titels „Männer und Frauen
in der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts“. Ich denke, die Fragen zu Chancengleichheit und
die Wahrnehmung spezifischer Geschlechterrollen werden Sie in den Arbeitsgruppen und
auch auf dem Podium noch diskutieren. Mir ist es erst einmal wichtig, einen Hintergrund für
die folgenden Diskussionen und Beiträge abzubilden. Welche Entwicklungen kennzeichnen
unsere Zukunft? Was sind die wichtigsten ökonomischen Trends? Frau Ihlefeld-Bolesch hat
schon einen dieser übergeordneten Entwicklungstrends genannt: Der „demographische
Wandel“ – das ist sicherlich ein Trend, der Arbeits- und Privatwelt, soziale
Sicherungssysteme und politisches Handeln in den nächsten Jahren und Jahrzehnten
dominieren wird.
Auf diesem Gebiet kann ich in dieser Darstellung auf eigene Forschungsergebnisse
zurückgreifen, die im Rahmen des Arbeits- und Forschungsschwerpunktes
„demographischer Wandel“, gefördert durch das BMBF erarbeitet worden sind. Das BMBF
fördert seit Jahren Projekte, zunächst im Grundlagenforschungsbereich, dann auch im
Umsetzungsbereich, die sich mit den Folgen des demographischen Wandels für unsere
Gesellschaft beschäftigen. Im Zuge dieser jetzt nun bald zwölfjährigen Forschung wird auch
zunehmend diskutiert, was diese Veränderung der betrieblichen Altersstrukturen für Frauen
und Männer in der Arbeitswelt bedeutet. Ich muss zugeben, dass die Kombination dieser
beiden Fragestellungen – veränderte Belegschaftsstrukturen und unterschiedliche
Geschlechterrollen in der Arbeitswelt – nicht im Vordergrund stand als dieser
Förderschwerpunkt startete. Das Bewusstsein für diese Frage fehlte und ist erst im Laufe der
Untersuchungen dazugekommen.
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Im Bild sehen sie einen kurzen Überblick über die Gliederung des Vortrags.
Ich möchte versuchen, im Rahmen von ungefähr 40 Minuten zu bleiben, damit wir noch ein
bisschen Gelegenheit zur Diskussion haben. Ich möchte Ihnen kurz vorstellen, wer eigentlich
die Prognos AG ist. Dann werde ich auf ökonomische Rahmendaten bis zum Jahre 2020
eingehen. Mit dieser 20-Jahresprognose haben wir die ökonomische Entwicklung des 21.
Jahrhunderts abgeschnitten. Einmal, weil das noch ein relativ zuverlässiger
Prognosezeitraum ist. Andererseits aber auch, weil wir dazu jetzt ganz konkret aktuelle
Daten vorgelegt haben, die im Rahmen des Deutschland-Reports veröffentlicht wurden.
Dann möchte ich auf das Schwerpunktthema demographischer Wandel eingehen und
erläutern, was diese gesellschaftliche Entwicklung eigentlich bedeutet für
Erwerbspersonenpotentiale und andere Faktoren wie strukturelle Veränderungen in der
Wirtschaft. Frau Kersting hat den Strukturwandel der Montanindustrie bereits angesprochen,
den Sie im Ruhrgebiet bereits einmal bewältigt haben. Es steht wahrscheinlich ein neuer
Wandlungsschritt an und wir werden dann auch sehen, in welchen Branchen und Bereichen
überhaupt neue Arbeitsplätze entstehen werden. Dann möchte ich auf die Betriebe
eingehen, auch auf Fragen, wie man denn die Probleme der Zukunft managt. Unsere
Analyseebene waren immer demographische Fragestellungen, wobei die Diskussion
sicherlich auch weiter führt. Was passiert zum Beispiel mit den älteren Menschen, die nicht
in den Betrieben sind, die ausgegliedert sind? Ähnliche Fragestellungen, denke ich, können
wir hier in diesem Kontext dann auf die Frage von Frauen und Männern im Arbeitsprozess
anwenden.
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Die Prognos AG ist eine Aktiengesellschaft nach Schweizer Recht mit Hauptsitz in Basel,
gegründet 1959, damals vom Schweizer Bankverein.
Wir sind rund 100 Mitarbeiter, verteilt über vier Standorte. Schwerpunkt ist Basel. Außerdem
verfügt die Prognos über ein Hauptstadtbüro Berlin, in dem auch ich arbeite, und dann noch
zwei „Niederlassungen“ in Köln und in Bremen. In Köln wirken wir zum Beispiel an der
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Leitbildentwicklung für die Stadt Köln mit – und an dieser Stelle muss ich eine selbstkritische
Anmerkung machen: Als wir in Köln mit acht Beratern auf dem Podium standen, war
darunter nur eine Frau. Dies provozierte natürlich die Frage, ob wir denn bei dieser Männer-
Frauen-Gewichtung die Richtigen sind, um ein Zukunftsleitbild für eine Stadt zu entwickeln.
Diese Teamzusammensetzung haben wir dann im Nachhinein noch modifiziert, da sie uns
im ersten Schritt der Aufgabenverteilung gar nicht bewusst geworden war
Wir beschäftigen uns mit Zukunftsfragen auf unterschiedlichen Ebenen. Im Gegensatz zu
Trendforschern wie Horx und anderen aber eher vom schweizerisch soliden Standpunkt. Wir
rechnen immer erst einmal, wir prüfen immer erst mal: Was sagen uns die Zahlen, wo geht
die Reise hin? Erst in einem zweiten Schritt versuchen wir, die Schlussfolgerungen zu
ziehen. So haben wir in der Regel eine sehr solide Zahlen- und Datenbasis. In der Regel
führen wir Auftragsarbeiten für öffentliche oder auch privatwirtschaftliche Einrichtungen
durch. Wir haben keinerlei öffentliche Finanzierung im Sinne einer Basisfinanzierung. Wir
leben von den Aufträgen, die wir erwirtschaften. Ich denke, unsere Stärke liegt in der
Analyse und Bewertung von Trends. Dabei erweist sich unser Schweizer Stammsitz als
Vorteil – einfach, weil wir sagen können, dass wir von außen auf die Dinge gucken.
Dieses Tellermodell soll unsere Organisation vorstellen.
Ganz unten stehen die Daten und Fakten zur Entwicklung von Wirtschaft und Bevölkerung,
das sind quasi die entscheidenden Grundlagen für unsere Arbeit. Dann sind wir über die
Standorte hinweg nach unterschiedlichen Schwerpunkten organisiert, wobei wir uns mit
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Fragen der Regionalentwicklung, der Wirtschaftsförderung beschäftigen, mit Fragen zu
Verkehr und Infrastruktur, mit Fragen zu Medien, Kommunikationstechnologien, zu
Umweltfragen und auch zur Globalisierung von Wirtschaft, Finanzen, Arbeit und Soziales.
Ich selbst bin in diesem letzt genannten Bereich tätig, wo wir uns dann auch über
Zukunftstrends verständigen und versuchen, die wichtigen Faktoren, die über zukünftige
Entwicklungsverläufe entscheiden, zu identifizieren.
Die nächste Folie stellt einige unserer Produkte vor.
Der Deutschland-Report ist gerade erschienen, und aus diesem Report werde ich Ihnen
auch einige Daten vortragen. Dann gibt es unterschiedliche Media-Reports, einen World-
Report. Diese Studien sind verkäuflich und dokumentieren unser Zukunftswissen in einer
übersichtlichen Form. Das ist der einzige Fall, wo wir als Unternehmen auch in Vorleistung
gehen, eine Arbeit erbringen, die wir erst hinterher am Markt verkaufen.
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Diese Mind-Map soll kurz veranschaulichen, welche Faktoren und Einflussgrößen wir in
diesen Studien zu berücksichtigen versuchen.
Oft gibt es Prognosen, die einzelne Zahlenreihen einfach weiterrechnen. Die Kollegen in
Basel von der volkswirtschaftlichen Abteilung hingegen untersuchen tatsächlich auch den
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Wirkungszusammenhang unterschiedlicher Einflussfaktoren. Sie sagen: Wenn wir uns das
Bruttosozialprodukt angucken, müssen wir z.B. auch die europäische Integration mitdenken,
wir müssen den sektoralen Wandel aufgreifen, wir müssen neue Formen der internationalen
Arbeitsteilung berücksichtigen. Diese Zahlen werden in einem umfassenden Gesamtmodell
integriert. Auf diesem Modell beruhen auch die nun folgenden Aussagen. Das sind im
Wesentlichen die Rahmenbedingungen für Deutschland bis 2020.
Globalisierung – ein Stichwort, das immer wieder genannt wird. Es ist tatsächlich auch auf
der konkreten betrieblichen Ebene von großer Bedeutung, auch in kleinen und
mittelständischen Unternehmen. Denn internationale Arbeitsteilung findet in stärkerem Maße
statt und führt dazu, dass auch die Aufgabenteilung in und zwischen den Betrieben sich
verstärkt. Hieraus resultieren wiederum auch Folgen für die geforderten sozialen
Kompetenzen und für kommunikative Kompetenzen. Es gilt nicht nur, dass niedrig
qualifizierte Arbeit an preiswerte Standorte verlagert wird, sondern auch, dass im
hochtechnischen Bereich eine internationale Arbeitsteilung zu neuen qualifikatorischen
Herausforderungen führt. Im Bereich Biotechnologie zum Beispiel zwischen den starken
Nationen USA, Großbritannien und auch Deutschland. Das hat auch für die
Unternehmensorganisation und für die Beschäftigten in den Unternehmen drastische Folgen.
Sie müssen sich mit unterschiedlichen Kooperationspartnern verständigen können. Sie
müssen in der Regel in der Lage sein, Verhandlungen in unterschiedlichen Sprachen zu
führen. Sie müssen gemeinsame Projekte planen, sie müssen dabei unterschiedliche
Kulturen berücksichtigen. Jeder hier im Raum, der schon einmal ein internationales Projekt
durchgeführt hat, weiß was das bedeutet. Vom 1. bis 31. August erreicht man zum Beispiel
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die Partner in Spanien und anderen südeuropäischen Staaten nicht, so dass einzelne
Aufgaben in dieser Zeit nicht bearbeitet werden können. Es gibt andere Arbeitszyklen, auch
andere Verbindlichkeiten in der Ergebnisorientierung, die dann immer wieder auch eigene
Arbeitsprozesse hemmen. Angesichts der mir zur Verfügung stehenden Zeit will ich nicht auf
alle Faktoren, die hier genannt sind, eingehen.
Ich denke, wir werden eine weitere Liberalisierung der Güter- und Finanzmärkte haben, was
wiederum einen schnelleren Austausch von Waren- und Dienstleistungen impliziert. All diese
Diskussionen um den Schutz von regionalen und nationalen Märkten werden sich in den
nächsten 20 Jahren nicht aufrecht erhalten lassen. Die Wachstumsprognosen sind nicht so
bedeutend für die uns interessierende Fragestellung der Arbeitswelt von morgen, aber wir
werden sehen, dass sie in Europa und auch in Deutschland im Durchschnitt deutlich
niedriger ausfallen werden als in der gesamten Welt, was wiederum Folgen für den
Arbeitsmarkt hat. Der Vergleich von Produktivitätsfortschritt und Wachstum legt nahe, dass
wir weiterhin mit einer hohen Arbeitslosigkeit leben werden müssen. Auch hier sind die
Folgen und die Wechselwirkungen mit zu betrachten. Auf dem Weltmarkt wird wenig
Spielraum sein für Preiserhöhungen, es wird voraussichtlich auch keine ressourcenbedingte
Verknappung von Rohöl geben.
Der letzte Spiegelstrich zum Thema Geldpolitik: Die Haushaltskonsolidierung in den
europäischen Staaten wird sich fortsetzen, es wird also in den nächsten Jahren eine Politik
der knappen Kassen vorherrschen. Wir in Berlin kennen auch die Situation in den neuen
Bundesländern relativ gut. Da werden einzelne Regionen mit dem Beitritt der
osteuropäischen Staaten ihren Status als strukturell stark benachteiligte und damit bevorzugt
geförderte Region verlieren.
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Was heißt das für die Lohnpolitik?
Wir gehen davon aus, dass Löhne und Gehälter sich an den Produktivitätsfortschritten
orientieren werden, dass es moderate Lohnsteigerungen geben wird, auch weil der Druck
auf dem Arbeitsmarkt groß bleiben wird. Und dass es zu einer Flexibilisierung der
betrieblichen Arbeitszeitgestaltung kommt. Die Flexibilisierung der Arbeit wird weiter
voranschreiten. In Deutschland liegen wir immer noch weit unter dem europäischen
Durchschnitt – insbesondere, was die Frage von Teilzeitarbeitsplätzen von Männern angeht.
Nach wie vor gilt hier in Beziehungen und Partnerschaften von zwei Berufstätigen noch das
Modell der Vollzeiterwerbsarbeit der Männer und Teilzeitarbeit der Frauen. Die Stiftung zur
Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Dublin (European Foundation for the
Improvement of Living and Working Conditions) hat Anspruch und Wirklichkeit untersucht.
Sehr viele der Paare, bei denen beide Partner berufstätig sind, wünschen sich Modelle, in
denen beide Teilzeit arbeiten können. Hier ist der Wunsch auch von beiden Seiten artikuliert,
aber die Realität hinkt dem insbesondere in Deutschland noch weit hinterher.
Was den technischen Fortschritt angeht, gehen wir davon aus, dass in Deutschland das
Potential vorhanden ist, im globalen Wettbewerb mitzuhalten, allen Unkenrufen zum Trotz.
Es wird immer wieder viel über diesen Standort geredet, und dieser Standort wird zum Teil
auch schlechtgeredet – wir gehen davon aus, dass das unbegründet ist. Es gibt genügend
Bereiche – nicht nur in der Musterbranche Automobil – in denen hohe Innovationskraft mit
qualitativ hochwertiger Produktion und hochpreisigen Gütern einhergehen, die trotz des
hohen Preises am Weltmarkt präsent sind und eine große Nachfrage erzielen.
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Wir gehen davon aus – ich muss immer wieder diese Einleitung benutzen, denn wir reden
über die Zukunft und können nicht sagen „es wird so sein“ – wir gehen also davon aus, dass
es innovationsfreundliche Strukturen in den Unternehmen geben wird, die es ermöglichen,
schnell neue Produkte und Produktionsprozesse einzuführen, und dass generell ein positives
Investitionsklima herrschen wird. Hier hat Deutschland auch den Vorteil, hochwertige
Qualifikationen am Arbeitsmarkt anzubieten, Hochqualifizierte auszubilden, auf den Markt zu
bringen und damit eben auch von der Seite der Humanressourcen die Voraussetzungen für
eine kreative Innovationspolitik in den Unternehmen zu schaffen.
Die Einschätzung der zukünftigen Ausprägung der Sozialpolitik ist angesichts der aktuellen
Diskussionen und dem großen Reformdruck in den unterschiedlichen Bereichen schwierig,
zukünftige Reformen sind wahrscheinlich. Jetzt ist die Wahl gerade vollzogen: Was wird
zurückgeführt? Was geht voran? Ich denke, da werden viele Vorschläge debattiert werden,
die vor allen Dingen angesichts des zur Verfügung stehenden Finanzrahmens auch im
Hinblick auf ihre Chancen zur Realisierung geprüft werden müssen. Andere Maßnahmen
werden möglicherweise zunächst auf die lange Bank geschoben werden. Wir denken, dass
die Grundstruktur der sozialen Sicherungssysteme erhalten bleiben wird. In der Steuerpolitik
gehen wir auch davon aus, trotz notwendiger Modifikationen, dass die Ökosteuer und
ähnliche verbrauchsbezogene Abgaben bleiben werden. Vielleicht wird man auch unter
Beteiligung der Grünen zu einer stärker verbrauchsbezogenen Bemessung von Steuern
kommen. Und auch im Hinblick auf die steuerliche Freistellung der
Rentenversicherungsbeiträge sind die Diskussionen noch nicht abgeschlossen. Das wird ja
noch verhandelt in Karlsruhe, da wird es eine Entscheidung geben müssen.
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Nun kurz zur Demographie. Im Bild sehen wir die Entwicklung der zusammengefassten
Geburtenziffer.
Es soll eigentlich nur noch einmal zwei Dinge veranschaulichen. Erstens, dass wir seit
Anfang der 70er Jahre hier in Deutschland die so genannte Reproduktionsrate – ich finde
das einen furchtbaren Begriff – nicht mehr erfüllen, dass also die durchschnittliche
Geburtenrate pro Frau unter 2,1 Kindern liegt und damit ein langfristiges Schrumpfen der
deutschen Bevölkerung einhergeht. Ich will diese unsägliche Debatte „wir Deutsche sterben
aus“ nicht führen, aber ein zweiter Punkt ist ganz interessant: dieser starke Knick in den
neuen Bundesländern, die rote Linie. Hier wird deutlich, dass ein drastischer politischer
Wandel ganz einschneidend wirken kann. Zu fragen bleibt immer, ob es irgendeinen
politischen Wandel geben kann, der auch in die andere Richtung, d.h. in eine drastische
Zunahme der Geburten, ausschlägt. In den neuen Bundesländern war es einfach die
ökonomische und politische Unsicherheit, die zunächst bei vielen Betroffenen dazu geführt
hat, Familienplanung erst einmal auszusetzen. Allmählich gleichen sich diese Kurven wieder
an, wir gehen davon aus, dass sie sich relativ bald wieder treffen werden.
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Was heißt das für die Bevölkerung in Deutschland insgesamt? Wir würden ohne
Zuwanderung bis zum Jahr 2020 auf etwa 77 Millionen Personen abnehmen.
Das klingt wenig dramatisch, wir sind heute etwa bei 82 bis 83 Millionen. Aber angesichts der
großen Diskussionen um Fachkräftemangel ist schon zu sehen – insbesondere wenn wir uns
gleich die Altersverteilung angucken –, dass wir da ein Problem kriegen werden. Wir gehen
wiederum davon aus, dass wir jährlich eine Zuwanderung von 200.000 Menschen in die
Bundesrepublik haben werden. Damit wird die Bevölkerungszahl ungefähr stabil bleiben über
die nächsten 20 Jahre.
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Wie sieht das nun für die Altersgruppen aus?
Die Bevölkerung in Deutschland unter 50 Jahren wird um 9,3 Millionen Personen abnehmen.
Das ist ein ganz drastischer Schwund. Die einzige Gruppe, über die wir heute noch nichts
sagen können, ist die im Alter von 0 bis 19, die sind noch nicht geboren. Aber alle anderen
Gruppen leben heute schon und wandern nur durch die einzelnen Jahre hindurch.
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Insbesondere die Gruppe der über 50- bis 64-Jährigen wird um knapp vier Millionen
Personen zunehmen. Das sind die, die eigentlich regulär noch dem Arbeitsmarkt zur
Verfügung stehen, die einen Teil des Erwerbspersonenpotentials bilden und eben auch die
Welt in den Betrieben in der Zukunft prägen werden. Die zweite Gruppe, die stark wächst, ist
die der über 80-Jährigen. Auch da müssen wir überlegen: Was heißt das eigentlich auf der
Nachfrageseite für persönliche Dienstleitungen, für soziale Dienstleistungen, für
Gesundheitsberufe? Müssten wir nicht viel offensiver damit umgehen, neue Konzepte zu
realisieren? Oder sollten wir nicht erst einmal über neue Versorgungsmöglichkeiten
nachdenken, möglicherweise auch neue Wohn- und Lebensformen planen, in denen wir uns
auch als 80-Jährige wohl fühlen und ein menschenwürdiges Leben führen können?
Hier sehen wir noch einmal eine Zusammenfassung für die Erwerbsbevölkerung im Alter von
20 bis 65 Jahren.
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Das sind jetzt relative Zahlen. Man sieht deutlich: Die Gruppe von 20 bis 65 Jahren
schwindet um 17 bis 18 Prozent. Das ist unser klassisches Erwerbspersonenpotential, das in
diesem Zeitraum im entsprechenden Maße abnehmen wird. Wir wissen jedoch, dass heute
kaum einer der 65-Jährigen tatsächlich noch in den Betrieben zu finden ist. Es sind
insgesamt weniger als 10 Prozent, die tatsächlich dieses Renteneintrittsalter erreichen, die
meisten gehen in den Vorruhestand. Angesichts der gültigen Rentengesetzgebung, die
zunehmend Abschläge für den frühzeitigen Renteneintritt formuliert, gehen wir aber davon
aus, dass eine stärkere Erwerbsorientierung auch bei den Älteren vorhanden sein wird.
Angesichts der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung gehen wir auch davon aus, dass die
Betriebe bereit sein werden, ältere Beschäftigte länger im Unternehmen zu halten. Es gibt
also zwei Trends, die den frühzeitigen Ruhestand und die Vorverrentung konterkarieren. Sie
sehen, der Balken ist immer noch nicht so riesig groß bei den 60- bis 64-Jährigen, bei den
Männern liegt er knapp über 50 Prozent, bei den Frauen bei 30 Prozent. Von 70 oder 80
Prozent sind wir weit entfernt.
Es wird in den nächsten Jahren wohl eine Menge sozialpolitischer Debatten geben, ob man
über diese Grenze von 65 Jahren hinaus die Lebensarbeitszeit verlängern wird. Aber wir
nehmen diese Grenze erst mal als gegeben, möglicherweise wird es Instrumentarien geben,
mit denen eine Erwerbstätigkeit über das 65ste Lebensjahr hinaus belohnt wird. Auch die
Betriebe werden sich in dieser Hinsicht möglicherweise flexibler zeigen. Ich denke, im
Moment haben beide Seiten – also Arbeitgeber und Arbeitnehmer – das Modell verinnerlicht,
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dass erstens die Leute möglichst früh in ihren wohlverdienten Ruhestand gehen sollen und
zweitens über das 65ste Lebensjahr eigentlich nur in Ausnahmefällen Personen weiter
arbeiten. Das sind Geschäftsführer, das sind Selbstständige, Politiker, vielleicht einige
wenige Hochqualifizierte, die als Wissens- und Know-how-Träger in den Unternehmen nicht
ersetzbar sind. Heute wird die „Grenze 65“ nur von wenigen erreicht. Aber in Zukunft wird
der Druck, auch der ökonomische Druck, auf jeden Erwerbstätigen steigen, wenn er nicht
Abschläge von 18 Prozent oder mehr bei seiner Rente in Kauf nehmen will. Für einen
Prognosezeitraum von 20 Jahren gehen wir davon aus, dass die Grenze noch bei 65 Jahren
gezogen sein wird.
Wir sehen auch in diesem Bild, dass bei Frauen die Angleichung an die Erwerbsquoten der
Männer nach wie vor nicht erzielt werden wird. Es findet ein leichter Aufholprozess statt, aber
immer noch wird ein deutlich größerer Teil der Frauen nicht zu den Erwerbspersonen
gehören. Betrachtet man die Arbeitskräfte in den einzelnen Altersgruppen, dann sehen wir:
Es gibt in allen Altersgruppen eine Abnahme von Arbeitskräften, wenn auch das
Gesamtpotential an Erwerbspersonen ungefähr gleich bleibt, nur in der Gruppe der 50- bis
65-jährigen gibt es eine deutliche Zunahme. Das ist nach unseren Erkenntnissen der
Haupttrend, an dem sich auch die zukünftige betriebliche Personalpolitik orientieren muss.
Kurz zum Wirtschaftswachstum.
Wir gehen davon aus, dass es um die 2 Prozent schwanken wird. Wenn man einen
Produktivitätsfortschritt von 1,5 Prozent annimmt, kann man sagen, dass vom Wachstum
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keine oder nur geringe Impulse auf die Beschäftigung ausgehen werden. Wer sind Gewinner
und Verlierer? Wo wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten Beschäftigung entstehen?
Wir haben die Entwicklungen im Hinblick auf die einzelnen Wirtschaftszweigen klassifiziert.
Zu den Gewinnern im sektoralen Strukturwandel werden vor allen Dingen Dienstleistungen
für Unternehmen gehören.
Es wird der ganze Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik sowie der
Nachrichtenübermittlung sein. Und es wird der Bereich Gesundheit sein. Außerdem in
geringerem Umfang das Versicherungsgewerbe – es ist einfach vom Umsatzvolumen, vom
Bruttosozialprodukt, von der Bruttowertschöpfung her nicht so groß. Ansonsten sehen wir,
dass wir bei fast allen Branchen, insbesondere auch im verarbeitenden Gewerbe, einen
Abbau von Arbeitsplätzen zu erwarten haben. Dies gilt auch – ich denke, da steht gerade die
nächste große Rationalisierungswelle an – für das Kreditgewerbe und die Banken. Für den
Bau und Verwaltungen im öffentlichen Bereich gehen wir von einem deutlichen Rückgang
der Erwerbstätigkeit aus. Da wird sich insbesondere in den neuen Bundesländern in den
nächsten Jahren noch ein großer Problemdruck aufbauen, denn dort liegt die Beschäftigung
im öffentlichen Bereich noch weit über dem Durchschnitt der alten Bundesländer.
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Im nächsten Chart haben wir dann die Industrie im Einzelnen betrachtet.
Da sehen wir ganz deutlich die Nulllinie oben. Es wird nach unseren Erkenntnissen keine
Branche geben, die einen positiven Beschäftigungseffekt zu verzeichnen haben wird in den
nächsten 20 Jahren. Selbst die ganz starken Branchen – Automobilbau,
Werkzeugmaschinenbau, Mess- und Regeltechnik, Spezialmaschinenbau, Kraftmaschinen –
liegen zwar von der Bruttowertschöpfung in den jährlichen Steigerungsraten in einem
positiven Bereich, aber es wird dort keine neue und keine zusätzliche Beschäftigung
entstehen.
Die Frage nach den Bubbles in der Abbildung lässt sich dahingehend beantworten, dass
diese als Referenzgröße dienen und in der jeweiligen Branche den Jahresumsatz in
Milliarden Euro angeben. D.h. je nachdem, wie groß die jeweiligen Kugeln sind, desto größer
ist die Wertschöpfung in den einzelnen Branchen. Es geht da um die Bruttowertschöpfung in
den einzelnen Branchen, so dass sich auch das daraus ableitbare Arbeitsvolumen als
Indikator für Beschäftigung betrachten lässt.
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Wie verteilt sich das Wirtschaftswachstum regional?
Hier in Nordrhein-Westfalen werden wir leicht unter dem Bundesdurchschnitt liegen. Die
klassischen Gewinnerländer – nach wie vor Hessen, Baden-Württemberg und Bayern –
werden weiter vorne sein: Zwei Länder aus den neuen Bundesländern, Sachsen und
Thüringen, werden eine ähnlich positive Wirtschaftsentwicklung nehmen.
Damit möchte ich die makro-ökonomische Perspektive abschließen und auf die
Unternehmensebene kommen.
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Was bedeuten die angezeigten Entwicklungslinien für das einzelne Unternehmen? Ich muss
dazu sagen, dass wir in den Forschungsarbeiten, auf die ich mich beziehe, immer einen
starken Fokus auf Technologie produzierende und Technologie entwickelnde Unternehmen
gelegt haben, und dort gerade auf die hoch innovativen Bereiche. Wissenschaftlichkeit und
Globalisierung wirken sich in diesen Unternehmen besonders auf Prozesse der
Produktentwicklung und auf die Arbeitsteilung aus. Wir werden eine immer schnellere
Abfolge von Innovationszyklen vorfinden, auch eine Integration von Service- und
Dienstleistungsfunktionen. Es gibt keinen großen Maschinenbauer, der es sich leisten kann,
keine Fernwartung mehr anzubieten, keinen 24-Stunden-Service, keine weltweite Betreuung
der Produkte vor Ort. Die Notwendigkeit zu interdisziplinären Kooperationen steigt, sowohl
innerhalb der Unternehmen als auch über Unternehmens- und Branchengrenzen hinweg.
Die Fortschritte in der Biotechnologie wären nicht denkbar, wenn nicht zugleich die
Rechnerleistungen aus der Informations- und Kommunikationstechnik zur Verfügung
gestanden hätten, um überhaupt diese großen Datenmengen bearbeiten zu können. Und es
wird weiter ein hoher Wettbewerbsdruck in jeder Hinsicht herrschen, sei es in Bezug auf
Kosten, Preise, Qualität oder auch eben die Zeit, in der man mit einem Produkt zum Markt
kommt.
Was bedeutet das für die Organisationsstrukturen?
Es werden Interdisziplinarität und funktionsübergreifende Zusammenarbeit gefordert, sowohl
in den Unternehmen als auch wieder über die Unternehmensgrenzen hinweg, d.h. es werden
auch bei den Beschäftigten vermehrt soziale und kommunikative Kompetenzen gefragt sein.
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Starre Strukturen werden sich auflösen. Es wird mehr Flexibilität in den Unternehmen geben
und auch eine Dezentralisierung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Es wird also mehr
Verantwortung auf untere Ebenen weitergereicht werden, wir beobachten das ja heute schon
mit Teambildungen und anderen Prozessen. Unternehmen werden darauf angewiesen sein,
ihren internen Wissenstransfer zu organisieren und zu systematisieren. Man wird es sich
nicht mehr leisten können, dass einzelne Know-how-Träger ihr eigenes Süppchen kochen,
sondern man wird diese Vorteile auf dem Weltmarkt ausspielen wollen und wird sie in alle
Unternehmensbereiche einbeziehen wollen. Kundenorientierung wird als wesentliches
Leitbild von Organisationen alle Bereiche durchdringen.
Was bedeutet das für den Einzelnen oder die Einzelne im Prozess der Arbeit?
Der Trend zur Beschleunigung der Prozesse und zur Verwissenschaftlichung heißt natürlich
auch, dass das einmal gelernte Wissen schneller unwirksam wird und dass eine
Notwendigkeit zu lebenslangem Lernen besteht. Wir beobachten bereits hohe
Anforderungen an fachliche Qualifikationen. Die Leute müssen in der Lage sein, Produkte
über den gesamten Entwicklungs- und Lebenszyklus zu betreuen. Wir finden Teams in
Unternehmen, in denen schon der Werkzeugbauer und die Produktionsvorbereitung in den
Produktentwicklungsprozess mit integriert werden, um die Produkte, die zunächst von ihren
technischen Merkmalen aus geplant werden, auch in der Produktion gleich umsetzen zu
können. Ich habe schon mehrfach erwähnt, dass höhere Anforderungen an kommunikative
und sprachliche Fähigkeiten gestellt werden. Auch die Bedeutung von Erfahrungswissen
wird wachsen. Wie organisiere ich einen Prozess? Wie schaffe ich mir intern die Ressourcen
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dafür? Wie trete ich gegenüber den Partnern in den Projekten auf? Wie trete ich gegenüber
Kunden auf? Es wird eine Notwendigkeit zu mehr Eigenverantwortung und Selbststeuerung
geben.
Ich habe versucht, in ein einfaches Schaubild zu überführen, wie früher eine
Erwerbsbiographie aussah und wie sie heute aussieht.
Diese Bild beruht auf unseren Forschungsergebnissen zum Thema Demographie. Man
könnte sagen, früher hatte das einmal gelernte Wissen eine hohe Bedeutung am Anfang der
Berufskarriere. Aber man wusste eigentlich am Anfang nicht so genau, wie die betrieblichen
Abläufe organisiert sind, man musste sich einfinden, man musste Allianzen bilden, musste
vom Meister lernen, vom Vorarbeiter lernen. Irgendwo in der Mitte der Biographie kreuzten
sich diese Kurven von fachlichem und prozessualem Wissen. Es wurde immer wichtiger,
dass ich als Älterer Bescheid wusste, wie organisiere ich was.
Wir werden es uns in Zukunft nicht mehr leisten können, Fachwissen derart brachliegen zu
lassen. Diese Kurven sind sicherlich ein bisschen überspitzt, aber dienen der Verdeutlichung
dieses Wandels. Wenn Prozesse in den Unternehmen wissenschaftlicher werden, wenn sie
kundenorientierter werden, wenn sie auf mehr Kooperationen angewiesen sind, dann ist es
umso bedeutsamer, dass ich jeweils auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft oder der
Sachkenntnis des Produktes und seiner implementierten Technologien bleibe.
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Als hoch innovativ erwiesen sich in unseren Untersuchungen nicht unbedingt die Betriebe,
die besonders junge Belegschaften hatten, sondern die, die eine systematische
Personalpolitik betrieben, die alle Belegschaftssegmente einbezogen hat, die sehr offensive
Bildungsangebote formuliert haben, die breite Qualifizierung durchgeführt haben – und zwar
nicht nur im Bereich der Techniker und Ingenieure, sondern über alle Funktionen in den
Unternehmen hinweg.
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Das ist eine Erkenntnis, bei der wir vielleicht eine Brücke schlagen können von
demographischen Aspekten zum Thema Frauen – Männer.
In einem Unternehmensbeispiel wurde klar gesagt: Wenn wir das Leitbild
Kundenorientierung haben, dann muss es anerkannt und gelebt werden von den Leuten aus
der Telefonzentrale bis zum Entwickler. Auch in der Telefonzentrale muss klar sein, wohin
wir die Leute vermitteln, wie verbindlich unsere Angebote sind. Und der Entwickler muss
wissen: Ich habe nicht nur ein tolles technisches Patent, sondern ich weiß, diese Funktion
nützt meinem Kunden im Arbeits- und Produktionsprozess. Diese These haben wir damals
mit dem Fokus auf ältere Erwerbstätige untersucht. Einschränkend sagen muss, dass unsere
Gesprächspartner in der Regel Männer waren, weil wir insbesondere die
Unternehmensbereiche in Konstruktion und Technik betrachtet haben, und Frauen in der
Regel nur noch in der Funktion der technischen Zeichnerin in den Teams anzutreffen waren.
Und auch diese Funktion wurde vom Modernisierungsprozess überholt, weil inzwischen die
Konstruktion am Bildschirm stattfindet, sodass wir eine stark von Männern dominierte,
technologiebezogene Welt in den Unternehmen vorgefunden haben. Eine Folgerung aus
unserer Studie könnte sein, dass neue Innovations- und Managementleitbilder, wie sie
gerade auch im Konzept des „Managing Diversity“ diskutiert werden, darauf ausgerichtet
werden müssen, dass das Know-how und die Entwicklungspotentiale aller Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter zu berücksichtigen sind: jung und alt, Mann und Frau, international und
einheimisch. Hier geht es ja darum, produktive, kreative Teams zusammenzustellen, die in
den Unternehmen den Innovationsimpuls setzen können und die Produktentwicklung
vorantreiben.
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Die Frage, die sich anschließt: Können Befunde aus der Demographie-Forschung mit der
Gender-Frage parallel gesetzt werden? Wir haben untersucht, ob das betriebliche
Innovationsgeschehen durch alternde Belegschaften beeinflusst wird und wenn ja, in welcher
Form. Wir haben 35 vertiefte Fallstudien gemacht. Wir haben in den Unternehmen
herausgefunden, dass in der Regel den Aufgaben des Innovationsmanagements immer ein
hoher Stellenwert beigemessen wurde. Aber alle nachfolgenden Aspekte (Wie ist der
Wissenstransfer organisiert? Werden Teams so gebildet, dass wir das ältere
Erfahrungswissen einbeziehen? Geben wir dem Personalmanagement einen hohen
Stellenwert? Machen wir eine Personalentwicklungsplanung?) hatten in der Regel
altersselektive Elemente inne. Die wenigen sehr innovativen Betriebe hatten hier andere
Konzepte und Lösungen entwickelt. Genau diese ausgrenzenden Altersmarken haben sie
nicht gesetzt, sondern gesagt: Wenn wir Personalentwicklung machen, dann betrifft es alle
Beschäftigten über alle Altersstufen hinweg.
Ein zweiter Befund, der auch übertragbar ist auf unsere Diskussion heute, betrifft die
Wahrnehmung der älteren Beschäftigten.
Es gab einen eklatanten Widerspruch zwischen allgemein negativen Einschätzungen über
die Leistungsfähigkeit von älteren Beschäftigten und dann immer wieder der positiven
Schilderung von Ausnahmen des Leistungsträgers XY, der die Prozesse vorangebracht hat.
Diese Erkenntnis der spezifischen Leistungsfähigkeit älterer Mitarbeiter dringt aber nicht in
das Bewusstsein der Verantwortlichen. Ältere Beschäftigte unterliegen spezifischen
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Qualifizierungsrisiken. Das ist möglicherweise auch eine Fragestellung, die wir auf das
Thema Frauen im Beruf übertragen können: Dass die Chancen, an
Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen, geringer sind und irgendwann auch gesagt wird,
die Investition tätigen wir nicht mehr, weil wir nicht mehr wissen, wie lange wir diese
Arbeitskraft nutzen können und nutzen müssen.
Was sind nun Good-Practice-Elemente einer innovativen Personalführung oder eines
innovativen Personalmanagements?
Wir haben in der Regel in den Unternehmen, die wir untersucht haben, projektorientierte
Organisationsformen, von starren Abteilungsstrukturen hat man sich getrennt. Verantwortung
wurde in die Teams verlagert, wir haben horizontale Kommunikations- und
Kooperationsstrukturen. Es wird also keine Hierarchie durchdekliniert, sondern es wird auf
der Arbeitsebene miteinander kommuniziert und miteinander diskutiert. Wichtig war immer
die Fähigkeit zur Prozess- und Technologiebeherrschung. Es gab ein gezieltes
Kooperationsmanagement, und die Unternehmen selbst hatten dynamische Fähigkeiten. Sie
haben sich selbst in Frage gestellt, sie haben ihre Produktpalette in Frage gestellt, ihre
Kundenkreise, ihre Marktsegmente.
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Was heißt das für Teambildungsprozesse?
Was heißt das für Maßnahmen des Managements? Durch die Teambildung soll die Chance
gewährleistet sein, Erfahrungswissen und analytisch-wissenschaftliche Kompetenzen
zusammenzubringen, sollen über die Funktion hinaus Kompetenzen entwickelt werden. Zu
eng spezialisierte Fachkenntnisse sind nicht gewünscht. Es wird auch von technisch
qualifizierten Mitarbeitern erwartet, dass die Leute Führungsqualitäten entwickeln und
Verantwortung übernehmen. Es gibt in diesen Unternehmen auch langfristige
Laufbahnplanung. Jemand der nicht mehr den Superstress haben möchte, mit 60 in einem
Entwicklungsteam zu arbeiten, hat auch die Möglichkeit in die Produktbetreuung zu gehen.
Niemand wird prinzipiell wegen seines Alters ausgegliedert. Es gibt teamorientierte
Leistungssysteme und anforderungsbezogene Qualifizierung, auch hier ohne Altersmarken.
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Der nächste Begriff „Bad-Practice“ ist ungewöhnlich, nur steht im Gegensatz zu „Good-
Practice“ kein besserer zur Verfügung.
Das waren Unternehmen, die relativ starre Strukturen hatten, die noch streng in Hierarchien
dachten, die ihre Abläufe sequenziell gestalteten und Strukturen festgeschrieben haben, in
denen Wissen als Machtquelle eingesetzt wurde. Hier haben wir eine relativ unproduktive
Konkurrenz zwischen neuen und alten Belegschaftsmitgliedern gefunden. Wir haben eine
Arbeitsteiligkeit gefunden, die Kooperationen eher blockiert. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
haben das Unternehmen öfter verlassen, weil es keine eigenen Entwicklungsperspektiven
gab, so dass auch eine höhere Fluktuation zu verzeichnen war. Es gab kaum
Personalentwicklungsmaßnahmen oder Qualifizierungsplanung, und es gab auch keine
systematischen Anreize für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sich selbst
weiterzuentwickeln. Wir haben als Schlussfolgerung daraus gezogen, dass Teambildung ein
Weg zur Erschließung ungenutzter Ressourcen sein kann. Bei den Unternehmen haben wir
den Typ „souveräner Innovator“ gefunden, der genau diesen Prozess ganz bewusst
gestaltet, der altes und junges Wissen in die Teams hineingeholt hat, der über die
Disziplingrenzen hinausgegangen ist, Entwicklungsbereiche mit den Mitarbeitern aus dem
Vertrieb kombiniert und vernetzt hat.
Die Frage der Zusammenarbeit von Frauen und Männern spielte in der von uns
eingenommenen altersbezogenen Perspektive keine Rolle. Es wurde immer wieder gesagt:
Wir würden gerne Frauen auch in technischen Berufen einstellen, aber wir finden sie nicht.
Ich kann das nur wiedergeben, das sind Aussagen der Personalverantwortlichen aus diesen
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Unternehmen, die auch in sehr offensiven Phasen, wo sie 20, 30 Ingenieure auf einen
Schlag eingestellt haben, angeblich keine Frauen am Arbeitsmarkt gefunden haben. Das ist
ein Statement, das wir als Forscher einfach nur konstatieren können.
Wie kann man die genannten Untersuchungsergebnisse in eine innovations- und
personalsorientierte Unternehmensstrategie umsetzen?
Ich denke, es ist notwendig, betriebliche Innovationspolitik und Personalpolitik wirklich eng
miteinander zu verzahnen. Das sind oft noch getrennte, nebeneinander herlaufende
Bereiche in den Unternehmen, die sich zwar manchmal in Strategiezirkeln treffen, aber doch
nicht strategisch verzahnt miteinander kooperieren. Es ist eine Koordination und Kooperation
auf Managementebene erforderlich, aber auch auf allen anderen Unternehmensebenen. Und
es sind eben auch intergenerative Aspekte zu berücksichtigen: Wie kann der Wissens- und
Erfahrungstransfer im Arbeitsprozess gestaltet sein? Alle Modelle, die diese Fragen aus den
konkreten Arbeitsprozessen herauslösen, wo irgendwelche Wissenszirkel oder Ähnliches
gegründet werden, haben sich nicht bewährt. Der Erfahrungstransfer kann nur am konkreten
Gegenstand erfolgen. Wir brauchen eine Neuorganisation der Teambildung, oftmals auch
eine Moderation dieser Teams. Denn jemand, der Wissen preis gibt, verliert natürlich auch
etwas von seiner eigenen Reputation, von seiner eigenen Stellung im Unternehmen. Da ist
es oft gefragt, eben diese Position auch sicher zu gestalten und zu sagen: Auch wenn
Kollege XY oder Kollegin XY jetzt etwas von deinen Verantwortungen übernimmt, heißt das
nicht, dass dein Gehalt in Frage gestellt wird oder dass du schlechter angesehen bist. Wir
brauchen die Fähigkeit und Bereitschaft von allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen,
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Veränderungsprozesse zu gestalten und sich auch in diese Veränderungsprozesse
einzubringen.
Zum Abschluss zeige ich Ihnen ein zusammenfassendes Schaubild.
Ich denke, es ist wesentlich, dass eine klare Unternehmensstrategie formuliert wird, die
Aspekte der Innovationsziele und Marktorientierung, aber auch personalpolitischer
Zielsetzungen aufgreift. Diese Unternehmensstrategie kann sich auf Fragen zu
unterschiedlichen Altersgruppen, kann sich aber eben auch auf Fragen zum Verhältnis und
zur Kooperation von Frauen und Männern beziehen, kann auch Fragen zu Zuwanderung und
nationalen Belegschaftssegmenten beinhalten. Wichtig ist, dass diese Strategie umgesetzt
wird, nicht nur in den Strukturen, sondern auch in der Kultur des Unternehmens, und das ist
die eigentliche Aufgabe eines fortschrittlichen und innovativen Personalmanagements. Damit
möchte ich auch zum Ende meiner Ausführungen kommen. Danke.