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1 Unternehmen im Wandel: Den kleinen Unterschied nutzen Impulstagung 24. September 2002 im Dienstleistungszentrum Erin (DIEZE) Vortrag Männer und Frauen in der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts Michael Astor Prognos AG, Berlin Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich konzentriere mich in diesem Vortrag auf die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts, also eher die zweite Hälfte des Titels „Männer und Frauen in der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts“. Ich denke, die Fragen zu Chancengleichheit und die Wahrnehmung spezifischer Geschlechterrollen werden Sie in den Arbeitsgruppen und auch auf dem Podium noch diskutieren. Mir ist es erst einmal wichtig, einen Hintergrund für die folgenden Diskussionen und Beiträge abzubilden. Welche Entwicklungen kennzeichnen unsere Zukunft? Was sind die wichtigsten ökonomischen Trends? Frau Ihlefeld-Bolesch hat schon einen dieser übergeordneten Entwicklungstrends genannt: Der „demographische Wandel“ – das ist sicherlich ein Trend, der Arbeits- und Privatwelt, soziale Sicherungssysteme und politisches Handeln in den nächsten Jahren und Jahrzehnten dominieren wird. Auf diesem Gebiet kann ich in dieser Darstellung auf eigene Forschungsergebnisse zurückgreifen, die im Rahmen des Arbeits- und Forschungsschwerpunktes „demographischer Wandel“, gefördert durch das BMBF erarbeitet worden sind. Das BMBF fördert seit Jahren Projekte, zunächst im Grundlagenforschungsbereich, dann auch im Umsetzungsbereich, die sich mit den Folgen des demographischen Wandels für unsere Gesellschaft beschäftigen. Im Zuge dieser jetzt nun bald zwölfjährigen Forschung wird auch zunehmend diskutiert, was diese Veränderung der betrieblichen Altersstrukturen für Frauen und Männer in der Arbeitswelt bedeutet. Ich muss zugeben, dass die Kombination dieser beiden Fragestellungen – veränderte Belegschaftsstrukturen und unterschiedliche Geschlechterrollen in der Arbeitswelt – nicht im Vordergrund stand als dieser Förderschwerpunkt startete. Das Bewusstsein für diese Frage fehlte und ist erst im Laufe der Untersuchungen dazugekommen.

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Unternehmen im Wandel: Den kleinen Unterschied nutzen Impulstagung 24. September 2002 im Dienstleistungszentrum Erin (DIEZE)

Vortrag Männer und Frauen in der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts Michael Astor Prognos AG, Berlin

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich konzentriere mich in diesem Vortrag auf die

Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts, also eher die zweite Hälfte des Titels „Männer und Frauen

in der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts“. Ich denke, die Fragen zu Chancengleichheit und

die Wahrnehmung spezifischer Geschlechterrollen werden Sie in den Arbeitsgruppen und

auch auf dem Podium noch diskutieren. Mir ist es erst einmal wichtig, einen Hintergrund für

die folgenden Diskussionen und Beiträge abzubilden. Welche Entwicklungen kennzeichnen

unsere Zukunft? Was sind die wichtigsten ökonomischen Trends? Frau Ihlefeld-Bolesch hat

schon einen dieser übergeordneten Entwicklungstrends genannt: Der „demographische

Wandel“ – das ist sicherlich ein Trend, der Arbeits- und Privatwelt, soziale

Sicherungssysteme und politisches Handeln in den nächsten Jahren und Jahrzehnten

dominieren wird.

Auf diesem Gebiet kann ich in dieser Darstellung auf eigene Forschungsergebnisse

zurückgreifen, die im Rahmen des Arbeits- und Forschungsschwerpunktes

„demographischer Wandel“, gefördert durch das BMBF erarbeitet worden sind. Das BMBF

fördert seit Jahren Projekte, zunächst im Grundlagenforschungsbereich, dann auch im

Umsetzungsbereich, die sich mit den Folgen des demographischen Wandels für unsere

Gesellschaft beschäftigen. Im Zuge dieser jetzt nun bald zwölfjährigen Forschung wird auch

zunehmend diskutiert, was diese Veränderung der betrieblichen Altersstrukturen für Frauen

und Männer in der Arbeitswelt bedeutet. Ich muss zugeben, dass die Kombination dieser

beiden Fragestellungen – veränderte Belegschaftsstrukturen und unterschiedliche

Geschlechterrollen in der Arbeitswelt – nicht im Vordergrund stand als dieser

Förderschwerpunkt startete. Das Bewusstsein für diese Frage fehlte und ist erst im Laufe der

Untersuchungen dazugekommen.

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Im Bild sehen sie einen kurzen Überblick über die Gliederung des Vortrags.

Ich möchte versuchen, im Rahmen von ungefähr 40 Minuten zu bleiben, damit wir noch ein

bisschen Gelegenheit zur Diskussion haben. Ich möchte Ihnen kurz vorstellen, wer eigentlich

die Prognos AG ist. Dann werde ich auf ökonomische Rahmendaten bis zum Jahre 2020

eingehen. Mit dieser 20-Jahresprognose haben wir die ökonomische Entwicklung des 21.

Jahrhunderts abgeschnitten. Einmal, weil das noch ein relativ zuverlässiger

Prognosezeitraum ist. Andererseits aber auch, weil wir dazu jetzt ganz konkret aktuelle

Daten vorgelegt haben, die im Rahmen des Deutschland-Reports veröffentlicht wurden.

Dann möchte ich auf das Schwerpunktthema demographischer Wandel eingehen und

erläutern, was diese gesellschaftliche Entwicklung eigentlich bedeutet für

Erwerbspersonenpotentiale und andere Faktoren wie strukturelle Veränderungen in der

Wirtschaft. Frau Kersting hat den Strukturwandel der Montanindustrie bereits angesprochen,

den Sie im Ruhrgebiet bereits einmal bewältigt haben. Es steht wahrscheinlich ein neuer

Wandlungsschritt an und wir werden dann auch sehen, in welchen Branchen und Bereichen

überhaupt neue Arbeitsplätze entstehen werden. Dann möchte ich auf die Betriebe

eingehen, auch auf Fragen, wie man denn die Probleme der Zukunft managt. Unsere

Analyseebene waren immer demographische Fragestellungen, wobei die Diskussion

sicherlich auch weiter führt. Was passiert zum Beispiel mit den älteren Menschen, die nicht

in den Betrieben sind, die ausgegliedert sind? Ähnliche Fragestellungen, denke ich, können

wir hier in diesem Kontext dann auf die Frage von Frauen und Männern im Arbeitsprozess

anwenden.

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Die Prognos AG ist eine Aktiengesellschaft nach Schweizer Recht mit Hauptsitz in Basel,

gegründet 1959, damals vom Schweizer Bankverein.

Wir sind rund 100 Mitarbeiter, verteilt über vier Standorte. Schwerpunkt ist Basel. Außerdem

verfügt die Prognos über ein Hauptstadtbüro Berlin, in dem auch ich arbeite, und dann noch

zwei „Niederlassungen“ in Köln und in Bremen. In Köln wirken wir zum Beispiel an der

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Leitbildentwicklung für die Stadt Köln mit – und an dieser Stelle muss ich eine selbstkritische

Anmerkung machen: Als wir in Köln mit acht Beratern auf dem Podium standen, war

darunter nur eine Frau. Dies provozierte natürlich die Frage, ob wir denn bei dieser Männer-

Frauen-Gewichtung die Richtigen sind, um ein Zukunftsleitbild für eine Stadt zu entwickeln.

Diese Teamzusammensetzung haben wir dann im Nachhinein noch modifiziert, da sie uns

im ersten Schritt der Aufgabenverteilung gar nicht bewusst geworden war

Wir beschäftigen uns mit Zukunftsfragen auf unterschiedlichen Ebenen. Im Gegensatz zu

Trendforschern wie Horx und anderen aber eher vom schweizerisch soliden Standpunkt. Wir

rechnen immer erst einmal, wir prüfen immer erst mal: Was sagen uns die Zahlen, wo geht

die Reise hin? Erst in einem zweiten Schritt versuchen wir, die Schlussfolgerungen zu

ziehen. So haben wir in der Regel eine sehr solide Zahlen- und Datenbasis. In der Regel

führen wir Auftragsarbeiten für öffentliche oder auch privatwirtschaftliche Einrichtungen

durch. Wir haben keinerlei öffentliche Finanzierung im Sinne einer Basisfinanzierung. Wir

leben von den Aufträgen, die wir erwirtschaften. Ich denke, unsere Stärke liegt in der

Analyse und Bewertung von Trends. Dabei erweist sich unser Schweizer Stammsitz als

Vorteil – einfach, weil wir sagen können, dass wir von außen auf die Dinge gucken.

Dieses Tellermodell soll unsere Organisation vorstellen.

Ganz unten stehen die Daten und Fakten zur Entwicklung von Wirtschaft und Bevölkerung,

das sind quasi die entscheidenden Grundlagen für unsere Arbeit. Dann sind wir über die

Standorte hinweg nach unterschiedlichen Schwerpunkten organisiert, wobei wir uns mit

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Fragen der Regionalentwicklung, der Wirtschaftsförderung beschäftigen, mit Fragen zu

Verkehr und Infrastruktur, mit Fragen zu Medien, Kommunikationstechnologien, zu

Umweltfragen und auch zur Globalisierung von Wirtschaft, Finanzen, Arbeit und Soziales.

Ich selbst bin in diesem letzt genannten Bereich tätig, wo wir uns dann auch über

Zukunftstrends verständigen und versuchen, die wichtigen Faktoren, die über zukünftige

Entwicklungsverläufe entscheiden, zu identifizieren.

Die nächste Folie stellt einige unserer Produkte vor.

Der Deutschland-Report ist gerade erschienen, und aus diesem Report werde ich Ihnen

auch einige Daten vortragen. Dann gibt es unterschiedliche Media-Reports, einen World-

Report. Diese Studien sind verkäuflich und dokumentieren unser Zukunftswissen in einer

übersichtlichen Form. Das ist der einzige Fall, wo wir als Unternehmen auch in Vorleistung

gehen, eine Arbeit erbringen, die wir erst hinterher am Markt verkaufen.

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Diese Mind-Map soll kurz veranschaulichen, welche Faktoren und Einflussgrößen wir in

diesen Studien zu berücksichtigen versuchen.

Oft gibt es Prognosen, die einzelne Zahlenreihen einfach weiterrechnen. Die Kollegen in

Basel von der volkswirtschaftlichen Abteilung hingegen untersuchen tatsächlich auch den

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Wirkungszusammenhang unterschiedlicher Einflussfaktoren. Sie sagen: Wenn wir uns das

Bruttosozialprodukt angucken, müssen wir z.B. auch die europäische Integration mitdenken,

wir müssen den sektoralen Wandel aufgreifen, wir müssen neue Formen der internationalen

Arbeitsteilung berücksichtigen. Diese Zahlen werden in einem umfassenden Gesamtmodell

integriert. Auf diesem Modell beruhen auch die nun folgenden Aussagen. Das sind im

Wesentlichen die Rahmenbedingungen für Deutschland bis 2020.

Globalisierung – ein Stichwort, das immer wieder genannt wird. Es ist tatsächlich auch auf

der konkreten betrieblichen Ebene von großer Bedeutung, auch in kleinen und

mittelständischen Unternehmen. Denn internationale Arbeitsteilung findet in stärkerem Maße

statt und führt dazu, dass auch die Aufgabenteilung in und zwischen den Betrieben sich

verstärkt. Hieraus resultieren wiederum auch Folgen für die geforderten sozialen

Kompetenzen und für kommunikative Kompetenzen. Es gilt nicht nur, dass niedrig

qualifizierte Arbeit an preiswerte Standorte verlagert wird, sondern auch, dass im

hochtechnischen Bereich eine internationale Arbeitsteilung zu neuen qualifikatorischen

Herausforderungen führt. Im Bereich Biotechnologie zum Beispiel zwischen den starken

Nationen USA, Großbritannien und auch Deutschland. Das hat auch für die

Unternehmensorganisation und für die Beschäftigten in den Unternehmen drastische Folgen.

Sie müssen sich mit unterschiedlichen Kooperationspartnern verständigen können. Sie

müssen in der Regel in der Lage sein, Verhandlungen in unterschiedlichen Sprachen zu

führen. Sie müssen gemeinsame Projekte planen, sie müssen dabei unterschiedliche

Kulturen berücksichtigen. Jeder hier im Raum, der schon einmal ein internationales Projekt

durchgeführt hat, weiß was das bedeutet. Vom 1. bis 31. August erreicht man zum Beispiel

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die Partner in Spanien und anderen südeuropäischen Staaten nicht, so dass einzelne

Aufgaben in dieser Zeit nicht bearbeitet werden können. Es gibt andere Arbeitszyklen, auch

andere Verbindlichkeiten in der Ergebnisorientierung, die dann immer wieder auch eigene

Arbeitsprozesse hemmen. Angesichts der mir zur Verfügung stehenden Zeit will ich nicht auf

alle Faktoren, die hier genannt sind, eingehen.

Ich denke, wir werden eine weitere Liberalisierung der Güter- und Finanzmärkte haben, was

wiederum einen schnelleren Austausch von Waren- und Dienstleistungen impliziert. All diese

Diskussionen um den Schutz von regionalen und nationalen Märkten werden sich in den

nächsten 20 Jahren nicht aufrecht erhalten lassen. Die Wachstumsprognosen sind nicht so

bedeutend für die uns interessierende Fragestellung der Arbeitswelt von morgen, aber wir

werden sehen, dass sie in Europa und auch in Deutschland im Durchschnitt deutlich

niedriger ausfallen werden als in der gesamten Welt, was wiederum Folgen für den

Arbeitsmarkt hat. Der Vergleich von Produktivitätsfortschritt und Wachstum legt nahe, dass

wir weiterhin mit einer hohen Arbeitslosigkeit leben werden müssen. Auch hier sind die

Folgen und die Wechselwirkungen mit zu betrachten. Auf dem Weltmarkt wird wenig

Spielraum sein für Preiserhöhungen, es wird voraussichtlich auch keine ressourcenbedingte

Verknappung von Rohöl geben.

Der letzte Spiegelstrich zum Thema Geldpolitik: Die Haushaltskonsolidierung in den

europäischen Staaten wird sich fortsetzen, es wird also in den nächsten Jahren eine Politik

der knappen Kassen vorherrschen. Wir in Berlin kennen auch die Situation in den neuen

Bundesländern relativ gut. Da werden einzelne Regionen mit dem Beitritt der

osteuropäischen Staaten ihren Status als strukturell stark benachteiligte und damit bevorzugt

geförderte Region verlieren.

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Was heißt das für die Lohnpolitik?

Wir gehen davon aus, dass Löhne und Gehälter sich an den Produktivitätsfortschritten

orientieren werden, dass es moderate Lohnsteigerungen geben wird, auch weil der Druck

auf dem Arbeitsmarkt groß bleiben wird. Und dass es zu einer Flexibilisierung der

betrieblichen Arbeitszeitgestaltung kommt. Die Flexibilisierung der Arbeit wird weiter

voranschreiten. In Deutschland liegen wir immer noch weit unter dem europäischen

Durchschnitt – insbesondere, was die Frage von Teilzeitarbeitsplätzen von Männern angeht.

Nach wie vor gilt hier in Beziehungen und Partnerschaften von zwei Berufstätigen noch das

Modell der Vollzeiterwerbsarbeit der Männer und Teilzeitarbeit der Frauen. Die Stiftung zur

Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Dublin (European Foundation for the

Improvement of Living and Working Conditions) hat Anspruch und Wirklichkeit untersucht.

Sehr viele der Paare, bei denen beide Partner berufstätig sind, wünschen sich Modelle, in

denen beide Teilzeit arbeiten können. Hier ist der Wunsch auch von beiden Seiten artikuliert,

aber die Realität hinkt dem insbesondere in Deutschland noch weit hinterher.

Was den technischen Fortschritt angeht, gehen wir davon aus, dass in Deutschland das

Potential vorhanden ist, im globalen Wettbewerb mitzuhalten, allen Unkenrufen zum Trotz.

Es wird immer wieder viel über diesen Standort geredet, und dieser Standort wird zum Teil

auch schlechtgeredet – wir gehen davon aus, dass das unbegründet ist. Es gibt genügend

Bereiche – nicht nur in der Musterbranche Automobil – in denen hohe Innovationskraft mit

qualitativ hochwertiger Produktion und hochpreisigen Gütern einhergehen, die trotz des

hohen Preises am Weltmarkt präsent sind und eine große Nachfrage erzielen.

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Wir gehen davon aus – ich muss immer wieder diese Einleitung benutzen, denn wir reden

über die Zukunft und können nicht sagen „es wird so sein“ – wir gehen also davon aus, dass

es innovationsfreundliche Strukturen in den Unternehmen geben wird, die es ermöglichen,

schnell neue Produkte und Produktionsprozesse einzuführen, und dass generell ein positives

Investitionsklima herrschen wird. Hier hat Deutschland auch den Vorteil, hochwertige

Qualifikationen am Arbeitsmarkt anzubieten, Hochqualifizierte auszubilden, auf den Markt zu

bringen und damit eben auch von der Seite der Humanressourcen die Voraussetzungen für

eine kreative Innovationspolitik in den Unternehmen zu schaffen.

Die Einschätzung der zukünftigen Ausprägung der Sozialpolitik ist angesichts der aktuellen

Diskussionen und dem großen Reformdruck in den unterschiedlichen Bereichen schwierig,

zukünftige Reformen sind wahrscheinlich. Jetzt ist die Wahl gerade vollzogen: Was wird

zurückgeführt? Was geht voran? Ich denke, da werden viele Vorschläge debattiert werden,

die vor allen Dingen angesichts des zur Verfügung stehenden Finanzrahmens auch im

Hinblick auf ihre Chancen zur Realisierung geprüft werden müssen. Andere Maßnahmen

werden möglicherweise zunächst auf die lange Bank geschoben werden. Wir denken, dass

die Grundstruktur der sozialen Sicherungssysteme erhalten bleiben wird. In der Steuerpolitik

gehen wir auch davon aus, trotz notwendiger Modifikationen, dass die Ökosteuer und

ähnliche verbrauchsbezogene Abgaben bleiben werden. Vielleicht wird man auch unter

Beteiligung der Grünen zu einer stärker verbrauchsbezogenen Bemessung von Steuern

kommen. Und auch im Hinblick auf die steuerliche Freistellung der

Rentenversicherungsbeiträge sind die Diskussionen noch nicht abgeschlossen. Das wird ja

noch verhandelt in Karlsruhe, da wird es eine Entscheidung geben müssen.

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Nun kurz zur Demographie. Im Bild sehen wir die Entwicklung der zusammengefassten

Geburtenziffer.

Es soll eigentlich nur noch einmal zwei Dinge veranschaulichen. Erstens, dass wir seit

Anfang der 70er Jahre hier in Deutschland die so genannte Reproduktionsrate – ich finde

das einen furchtbaren Begriff – nicht mehr erfüllen, dass also die durchschnittliche

Geburtenrate pro Frau unter 2,1 Kindern liegt und damit ein langfristiges Schrumpfen der

deutschen Bevölkerung einhergeht. Ich will diese unsägliche Debatte „wir Deutsche sterben

aus“ nicht führen, aber ein zweiter Punkt ist ganz interessant: dieser starke Knick in den

neuen Bundesländern, die rote Linie. Hier wird deutlich, dass ein drastischer politischer

Wandel ganz einschneidend wirken kann. Zu fragen bleibt immer, ob es irgendeinen

politischen Wandel geben kann, der auch in die andere Richtung, d.h. in eine drastische

Zunahme der Geburten, ausschlägt. In den neuen Bundesländern war es einfach die

ökonomische und politische Unsicherheit, die zunächst bei vielen Betroffenen dazu geführt

hat, Familienplanung erst einmal auszusetzen. Allmählich gleichen sich diese Kurven wieder

an, wir gehen davon aus, dass sie sich relativ bald wieder treffen werden.

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Was heißt das für die Bevölkerung in Deutschland insgesamt? Wir würden ohne

Zuwanderung bis zum Jahr 2020 auf etwa 77 Millionen Personen abnehmen.

Das klingt wenig dramatisch, wir sind heute etwa bei 82 bis 83 Millionen. Aber angesichts der

großen Diskussionen um Fachkräftemangel ist schon zu sehen – insbesondere wenn wir uns

gleich die Altersverteilung angucken –, dass wir da ein Problem kriegen werden. Wir gehen

wiederum davon aus, dass wir jährlich eine Zuwanderung von 200.000 Menschen in die

Bundesrepublik haben werden. Damit wird die Bevölkerungszahl ungefähr stabil bleiben über

die nächsten 20 Jahre.

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Wie sieht das nun für die Altersgruppen aus?

Die Bevölkerung in Deutschland unter 50 Jahren wird um 9,3 Millionen Personen abnehmen.

Das ist ein ganz drastischer Schwund. Die einzige Gruppe, über die wir heute noch nichts

sagen können, ist die im Alter von 0 bis 19, die sind noch nicht geboren. Aber alle anderen

Gruppen leben heute schon und wandern nur durch die einzelnen Jahre hindurch.

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Insbesondere die Gruppe der über 50- bis 64-Jährigen wird um knapp vier Millionen

Personen zunehmen. Das sind die, die eigentlich regulär noch dem Arbeitsmarkt zur

Verfügung stehen, die einen Teil des Erwerbspersonenpotentials bilden und eben auch die

Welt in den Betrieben in der Zukunft prägen werden. Die zweite Gruppe, die stark wächst, ist

die der über 80-Jährigen. Auch da müssen wir überlegen: Was heißt das eigentlich auf der

Nachfrageseite für persönliche Dienstleitungen, für soziale Dienstleistungen, für

Gesundheitsberufe? Müssten wir nicht viel offensiver damit umgehen, neue Konzepte zu

realisieren? Oder sollten wir nicht erst einmal über neue Versorgungsmöglichkeiten

nachdenken, möglicherweise auch neue Wohn- und Lebensformen planen, in denen wir uns

auch als 80-Jährige wohl fühlen und ein menschenwürdiges Leben führen können?

Hier sehen wir noch einmal eine Zusammenfassung für die Erwerbsbevölkerung im Alter von

20 bis 65 Jahren.

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Das sind jetzt relative Zahlen. Man sieht deutlich: Die Gruppe von 20 bis 65 Jahren

schwindet um 17 bis 18 Prozent. Das ist unser klassisches Erwerbspersonenpotential, das in

diesem Zeitraum im entsprechenden Maße abnehmen wird. Wir wissen jedoch, dass heute

kaum einer der 65-Jährigen tatsächlich noch in den Betrieben zu finden ist. Es sind

insgesamt weniger als 10 Prozent, die tatsächlich dieses Renteneintrittsalter erreichen, die

meisten gehen in den Vorruhestand. Angesichts der gültigen Rentengesetzgebung, die

zunehmend Abschläge für den frühzeitigen Renteneintritt formuliert, gehen wir aber davon

aus, dass eine stärkere Erwerbsorientierung auch bei den Älteren vorhanden sein wird.

Angesichts der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung gehen wir auch davon aus, dass die

Betriebe bereit sein werden, ältere Beschäftigte länger im Unternehmen zu halten. Es gibt

also zwei Trends, die den frühzeitigen Ruhestand und die Vorverrentung konterkarieren. Sie

sehen, der Balken ist immer noch nicht so riesig groß bei den 60- bis 64-Jährigen, bei den

Männern liegt er knapp über 50 Prozent, bei den Frauen bei 30 Prozent. Von 70 oder 80

Prozent sind wir weit entfernt.

Es wird in den nächsten Jahren wohl eine Menge sozialpolitischer Debatten geben, ob man

über diese Grenze von 65 Jahren hinaus die Lebensarbeitszeit verlängern wird. Aber wir

nehmen diese Grenze erst mal als gegeben, möglicherweise wird es Instrumentarien geben,

mit denen eine Erwerbstätigkeit über das 65ste Lebensjahr hinaus belohnt wird. Auch die

Betriebe werden sich in dieser Hinsicht möglicherweise flexibler zeigen. Ich denke, im

Moment haben beide Seiten – also Arbeitgeber und Arbeitnehmer – das Modell verinnerlicht,

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dass erstens die Leute möglichst früh in ihren wohlverdienten Ruhestand gehen sollen und

zweitens über das 65ste Lebensjahr eigentlich nur in Ausnahmefällen Personen weiter

arbeiten. Das sind Geschäftsführer, das sind Selbstständige, Politiker, vielleicht einige

wenige Hochqualifizierte, die als Wissens- und Know-how-Träger in den Unternehmen nicht

ersetzbar sind. Heute wird die „Grenze 65“ nur von wenigen erreicht. Aber in Zukunft wird

der Druck, auch der ökonomische Druck, auf jeden Erwerbstätigen steigen, wenn er nicht

Abschläge von 18 Prozent oder mehr bei seiner Rente in Kauf nehmen will. Für einen

Prognosezeitraum von 20 Jahren gehen wir davon aus, dass die Grenze noch bei 65 Jahren

gezogen sein wird.

Wir sehen auch in diesem Bild, dass bei Frauen die Angleichung an die Erwerbsquoten der

Männer nach wie vor nicht erzielt werden wird. Es findet ein leichter Aufholprozess statt, aber

immer noch wird ein deutlich größerer Teil der Frauen nicht zu den Erwerbspersonen

gehören. Betrachtet man die Arbeitskräfte in den einzelnen Altersgruppen, dann sehen wir:

Es gibt in allen Altersgruppen eine Abnahme von Arbeitskräften, wenn auch das

Gesamtpotential an Erwerbspersonen ungefähr gleich bleibt, nur in der Gruppe der 50- bis

65-jährigen gibt es eine deutliche Zunahme. Das ist nach unseren Erkenntnissen der

Haupttrend, an dem sich auch die zukünftige betriebliche Personalpolitik orientieren muss.

Kurz zum Wirtschaftswachstum.

Wir gehen davon aus, dass es um die 2 Prozent schwanken wird. Wenn man einen

Produktivitätsfortschritt von 1,5 Prozent annimmt, kann man sagen, dass vom Wachstum

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keine oder nur geringe Impulse auf die Beschäftigung ausgehen werden. Wer sind Gewinner

und Verlierer? Wo wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten Beschäftigung entstehen?

Wir haben die Entwicklungen im Hinblick auf die einzelnen Wirtschaftszweigen klassifiziert.

Zu den Gewinnern im sektoralen Strukturwandel werden vor allen Dingen Dienstleistungen

für Unternehmen gehören.

Es wird der ganze Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik sowie der

Nachrichtenübermittlung sein. Und es wird der Bereich Gesundheit sein. Außerdem in

geringerem Umfang das Versicherungsgewerbe – es ist einfach vom Umsatzvolumen, vom

Bruttosozialprodukt, von der Bruttowertschöpfung her nicht so groß. Ansonsten sehen wir,

dass wir bei fast allen Branchen, insbesondere auch im verarbeitenden Gewerbe, einen

Abbau von Arbeitsplätzen zu erwarten haben. Dies gilt auch – ich denke, da steht gerade die

nächste große Rationalisierungswelle an – für das Kreditgewerbe und die Banken. Für den

Bau und Verwaltungen im öffentlichen Bereich gehen wir von einem deutlichen Rückgang

der Erwerbstätigkeit aus. Da wird sich insbesondere in den neuen Bundesländern in den

nächsten Jahren noch ein großer Problemdruck aufbauen, denn dort liegt die Beschäftigung

im öffentlichen Bereich noch weit über dem Durchschnitt der alten Bundesländer.

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Im nächsten Chart haben wir dann die Industrie im Einzelnen betrachtet.

Da sehen wir ganz deutlich die Nulllinie oben. Es wird nach unseren Erkenntnissen keine

Branche geben, die einen positiven Beschäftigungseffekt zu verzeichnen haben wird in den

nächsten 20 Jahren. Selbst die ganz starken Branchen – Automobilbau,

Werkzeugmaschinenbau, Mess- und Regeltechnik, Spezialmaschinenbau, Kraftmaschinen –

liegen zwar von der Bruttowertschöpfung in den jährlichen Steigerungsraten in einem

positiven Bereich, aber es wird dort keine neue und keine zusätzliche Beschäftigung

entstehen.

Die Frage nach den Bubbles in der Abbildung lässt sich dahingehend beantworten, dass

diese als Referenzgröße dienen und in der jeweiligen Branche den Jahresumsatz in

Milliarden Euro angeben. D.h. je nachdem, wie groß die jeweiligen Kugeln sind, desto größer

ist die Wertschöpfung in den einzelnen Branchen. Es geht da um die Bruttowertschöpfung in

den einzelnen Branchen, so dass sich auch das daraus ableitbare Arbeitsvolumen als

Indikator für Beschäftigung betrachten lässt.

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Wie verteilt sich das Wirtschaftswachstum regional?

Hier in Nordrhein-Westfalen werden wir leicht unter dem Bundesdurchschnitt liegen. Die

klassischen Gewinnerländer – nach wie vor Hessen, Baden-Württemberg und Bayern –

werden weiter vorne sein: Zwei Länder aus den neuen Bundesländern, Sachsen und

Thüringen, werden eine ähnlich positive Wirtschaftsentwicklung nehmen.

Damit möchte ich die makro-ökonomische Perspektive abschließen und auf die

Unternehmensebene kommen.

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Was bedeuten die angezeigten Entwicklungslinien für das einzelne Unternehmen? Ich muss

dazu sagen, dass wir in den Forschungsarbeiten, auf die ich mich beziehe, immer einen

starken Fokus auf Technologie produzierende und Technologie entwickelnde Unternehmen

gelegt haben, und dort gerade auf die hoch innovativen Bereiche. Wissenschaftlichkeit und

Globalisierung wirken sich in diesen Unternehmen besonders auf Prozesse der

Produktentwicklung und auf die Arbeitsteilung aus. Wir werden eine immer schnellere

Abfolge von Innovationszyklen vorfinden, auch eine Integration von Service- und

Dienstleistungsfunktionen. Es gibt keinen großen Maschinenbauer, der es sich leisten kann,

keine Fernwartung mehr anzubieten, keinen 24-Stunden-Service, keine weltweite Betreuung

der Produkte vor Ort. Die Notwendigkeit zu interdisziplinären Kooperationen steigt, sowohl

innerhalb der Unternehmen als auch über Unternehmens- und Branchengrenzen hinweg.

Die Fortschritte in der Biotechnologie wären nicht denkbar, wenn nicht zugleich die

Rechnerleistungen aus der Informations- und Kommunikationstechnik zur Verfügung

gestanden hätten, um überhaupt diese großen Datenmengen bearbeiten zu können. Und es

wird weiter ein hoher Wettbewerbsdruck in jeder Hinsicht herrschen, sei es in Bezug auf

Kosten, Preise, Qualität oder auch eben die Zeit, in der man mit einem Produkt zum Markt

kommt.

Was bedeutet das für die Organisationsstrukturen?

Es werden Interdisziplinarität und funktionsübergreifende Zusammenarbeit gefordert, sowohl

in den Unternehmen als auch wieder über die Unternehmensgrenzen hinweg, d.h. es werden

auch bei den Beschäftigten vermehrt soziale und kommunikative Kompetenzen gefragt sein.

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Starre Strukturen werden sich auflösen. Es wird mehr Flexibilität in den Unternehmen geben

und auch eine Dezentralisierung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Es wird also mehr

Verantwortung auf untere Ebenen weitergereicht werden, wir beobachten das ja heute schon

mit Teambildungen und anderen Prozessen. Unternehmen werden darauf angewiesen sein,

ihren internen Wissenstransfer zu organisieren und zu systematisieren. Man wird es sich

nicht mehr leisten können, dass einzelne Know-how-Träger ihr eigenes Süppchen kochen,

sondern man wird diese Vorteile auf dem Weltmarkt ausspielen wollen und wird sie in alle

Unternehmensbereiche einbeziehen wollen. Kundenorientierung wird als wesentliches

Leitbild von Organisationen alle Bereiche durchdringen.

Was bedeutet das für den Einzelnen oder die Einzelne im Prozess der Arbeit?

Der Trend zur Beschleunigung der Prozesse und zur Verwissenschaftlichung heißt natürlich

auch, dass das einmal gelernte Wissen schneller unwirksam wird und dass eine

Notwendigkeit zu lebenslangem Lernen besteht. Wir beobachten bereits hohe

Anforderungen an fachliche Qualifikationen. Die Leute müssen in der Lage sein, Produkte

über den gesamten Entwicklungs- und Lebenszyklus zu betreuen. Wir finden Teams in

Unternehmen, in denen schon der Werkzeugbauer und die Produktionsvorbereitung in den

Produktentwicklungsprozess mit integriert werden, um die Produkte, die zunächst von ihren

technischen Merkmalen aus geplant werden, auch in der Produktion gleich umsetzen zu

können. Ich habe schon mehrfach erwähnt, dass höhere Anforderungen an kommunikative

und sprachliche Fähigkeiten gestellt werden. Auch die Bedeutung von Erfahrungswissen

wird wachsen. Wie organisiere ich einen Prozess? Wie schaffe ich mir intern die Ressourcen

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dafür? Wie trete ich gegenüber den Partnern in den Projekten auf? Wie trete ich gegenüber

Kunden auf? Es wird eine Notwendigkeit zu mehr Eigenverantwortung und Selbststeuerung

geben.

Ich habe versucht, in ein einfaches Schaubild zu überführen, wie früher eine

Erwerbsbiographie aussah und wie sie heute aussieht.

Diese Bild beruht auf unseren Forschungsergebnissen zum Thema Demographie. Man

könnte sagen, früher hatte das einmal gelernte Wissen eine hohe Bedeutung am Anfang der

Berufskarriere. Aber man wusste eigentlich am Anfang nicht so genau, wie die betrieblichen

Abläufe organisiert sind, man musste sich einfinden, man musste Allianzen bilden, musste

vom Meister lernen, vom Vorarbeiter lernen. Irgendwo in der Mitte der Biographie kreuzten

sich diese Kurven von fachlichem und prozessualem Wissen. Es wurde immer wichtiger,

dass ich als Älterer Bescheid wusste, wie organisiere ich was.

Wir werden es uns in Zukunft nicht mehr leisten können, Fachwissen derart brachliegen zu

lassen. Diese Kurven sind sicherlich ein bisschen überspitzt, aber dienen der Verdeutlichung

dieses Wandels. Wenn Prozesse in den Unternehmen wissenschaftlicher werden, wenn sie

kundenorientierter werden, wenn sie auf mehr Kooperationen angewiesen sind, dann ist es

umso bedeutsamer, dass ich jeweils auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft oder der

Sachkenntnis des Produktes und seiner implementierten Technologien bleibe.

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Als hoch innovativ erwiesen sich in unseren Untersuchungen nicht unbedingt die Betriebe,

die besonders junge Belegschaften hatten, sondern die, die eine systematische

Personalpolitik betrieben, die alle Belegschaftssegmente einbezogen hat, die sehr offensive

Bildungsangebote formuliert haben, die breite Qualifizierung durchgeführt haben – und zwar

nicht nur im Bereich der Techniker und Ingenieure, sondern über alle Funktionen in den

Unternehmen hinweg.

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Das ist eine Erkenntnis, bei der wir vielleicht eine Brücke schlagen können von

demographischen Aspekten zum Thema Frauen – Männer.

In einem Unternehmensbeispiel wurde klar gesagt: Wenn wir das Leitbild

Kundenorientierung haben, dann muss es anerkannt und gelebt werden von den Leuten aus

der Telefonzentrale bis zum Entwickler. Auch in der Telefonzentrale muss klar sein, wohin

wir die Leute vermitteln, wie verbindlich unsere Angebote sind. Und der Entwickler muss

wissen: Ich habe nicht nur ein tolles technisches Patent, sondern ich weiß, diese Funktion

nützt meinem Kunden im Arbeits- und Produktionsprozess. Diese These haben wir damals

mit dem Fokus auf ältere Erwerbstätige untersucht. Einschränkend sagen muss, dass unsere

Gesprächspartner in der Regel Männer waren, weil wir insbesondere die

Unternehmensbereiche in Konstruktion und Technik betrachtet haben, und Frauen in der

Regel nur noch in der Funktion der technischen Zeichnerin in den Teams anzutreffen waren.

Und auch diese Funktion wurde vom Modernisierungsprozess überholt, weil inzwischen die

Konstruktion am Bildschirm stattfindet, sodass wir eine stark von Männern dominierte,

technologiebezogene Welt in den Unternehmen vorgefunden haben. Eine Folgerung aus

unserer Studie könnte sein, dass neue Innovations- und Managementleitbilder, wie sie

gerade auch im Konzept des „Managing Diversity“ diskutiert werden, darauf ausgerichtet

werden müssen, dass das Know-how und die Entwicklungspotentiale aller Mitarbeiterinnen

und Mitarbeiter zu berücksichtigen sind: jung und alt, Mann und Frau, international und

einheimisch. Hier geht es ja darum, produktive, kreative Teams zusammenzustellen, die in

den Unternehmen den Innovationsimpuls setzen können und die Produktentwicklung

vorantreiben.

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Die Frage, die sich anschließt: Können Befunde aus der Demographie-Forschung mit der

Gender-Frage parallel gesetzt werden? Wir haben untersucht, ob das betriebliche

Innovationsgeschehen durch alternde Belegschaften beeinflusst wird und wenn ja, in welcher

Form. Wir haben 35 vertiefte Fallstudien gemacht. Wir haben in den Unternehmen

herausgefunden, dass in der Regel den Aufgaben des Innovationsmanagements immer ein

hoher Stellenwert beigemessen wurde. Aber alle nachfolgenden Aspekte (Wie ist der

Wissenstransfer organisiert? Werden Teams so gebildet, dass wir das ältere

Erfahrungswissen einbeziehen? Geben wir dem Personalmanagement einen hohen

Stellenwert? Machen wir eine Personalentwicklungsplanung?) hatten in der Regel

altersselektive Elemente inne. Die wenigen sehr innovativen Betriebe hatten hier andere

Konzepte und Lösungen entwickelt. Genau diese ausgrenzenden Altersmarken haben sie

nicht gesetzt, sondern gesagt: Wenn wir Personalentwicklung machen, dann betrifft es alle

Beschäftigten über alle Altersstufen hinweg.

Ein zweiter Befund, der auch übertragbar ist auf unsere Diskussion heute, betrifft die

Wahrnehmung der älteren Beschäftigten.

Es gab einen eklatanten Widerspruch zwischen allgemein negativen Einschätzungen über

die Leistungsfähigkeit von älteren Beschäftigten und dann immer wieder der positiven

Schilderung von Ausnahmen des Leistungsträgers XY, der die Prozesse vorangebracht hat.

Diese Erkenntnis der spezifischen Leistungsfähigkeit älterer Mitarbeiter dringt aber nicht in

das Bewusstsein der Verantwortlichen. Ältere Beschäftigte unterliegen spezifischen

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Qualifizierungsrisiken. Das ist möglicherweise auch eine Fragestellung, die wir auf das

Thema Frauen im Beruf übertragen können: Dass die Chancen, an

Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen, geringer sind und irgendwann auch gesagt wird,

die Investition tätigen wir nicht mehr, weil wir nicht mehr wissen, wie lange wir diese

Arbeitskraft nutzen können und nutzen müssen.

Was sind nun Good-Practice-Elemente einer innovativen Personalführung oder eines

innovativen Personalmanagements?

Wir haben in der Regel in den Unternehmen, die wir untersucht haben, projektorientierte

Organisationsformen, von starren Abteilungsstrukturen hat man sich getrennt. Verantwortung

wurde in die Teams verlagert, wir haben horizontale Kommunikations- und

Kooperationsstrukturen. Es wird also keine Hierarchie durchdekliniert, sondern es wird auf

der Arbeitsebene miteinander kommuniziert und miteinander diskutiert. Wichtig war immer

die Fähigkeit zur Prozess- und Technologiebeherrschung. Es gab ein gezieltes

Kooperationsmanagement, und die Unternehmen selbst hatten dynamische Fähigkeiten. Sie

haben sich selbst in Frage gestellt, sie haben ihre Produktpalette in Frage gestellt, ihre

Kundenkreise, ihre Marktsegmente.

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Was heißt das für Teambildungsprozesse?

Was heißt das für Maßnahmen des Managements? Durch die Teambildung soll die Chance

gewährleistet sein, Erfahrungswissen und analytisch-wissenschaftliche Kompetenzen

zusammenzubringen, sollen über die Funktion hinaus Kompetenzen entwickelt werden. Zu

eng spezialisierte Fachkenntnisse sind nicht gewünscht. Es wird auch von technisch

qualifizierten Mitarbeitern erwartet, dass die Leute Führungsqualitäten entwickeln und

Verantwortung übernehmen. Es gibt in diesen Unternehmen auch langfristige

Laufbahnplanung. Jemand der nicht mehr den Superstress haben möchte, mit 60 in einem

Entwicklungsteam zu arbeiten, hat auch die Möglichkeit in die Produktbetreuung zu gehen.

Niemand wird prinzipiell wegen seines Alters ausgegliedert. Es gibt teamorientierte

Leistungssysteme und anforderungsbezogene Qualifizierung, auch hier ohne Altersmarken.

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Der nächste Begriff „Bad-Practice“ ist ungewöhnlich, nur steht im Gegensatz zu „Good-

Practice“ kein besserer zur Verfügung.

Das waren Unternehmen, die relativ starre Strukturen hatten, die noch streng in Hierarchien

dachten, die ihre Abläufe sequenziell gestalteten und Strukturen festgeschrieben haben, in

denen Wissen als Machtquelle eingesetzt wurde. Hier haben wir eine relativ unproduktive

Konkurrenz zwischen neuen und alten Belegschaftsmitgliedern gefunden. Wir haben eine

Arbeitsteiligkeit gefunden, die Kooperationen eher blockiert. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen

haben das Unternehmen öfter verlassen, weil es keine eigenen Entwicklungsperspektiven

gab, so dass auch eine höhere Fluktuation zu verzeichnen war. Es gab kaum

Personalentwicklungsmaßnahmen oder Qualifizierungsplanung, und es gab auch keine

systematischen Anreize für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sich selbst

weiterzuentwickeln. Wir haben als Schlussfolgerung daraus gezogen, dass Teambildung ein

Weg zur Erschließung ungenutzter Ressourcen sein kann. Bei den Unternehmen haben wir

den Typ „souveräner Innovator“ gefunden, der genau diesen Prozess ganz bewusst

gestaltet, der altes und junges Wissen in die Teams hineingeholt hat, der über die

Disziplingrenzen hinausgegangen ist, Entwicklungsbereiche mit den Mitarbeitern aus dem

Vertrieb kombiniert und vernetzt hat.

Die Frage der Zusammenarbeit von Frauen und Männern spielte in der von uns

eingenommenen altersbezogenen Perspektive keine Rolle. Es wurde immer wieder gesagt:

Wir würden gerne Frauen auch in technischen Berufen einstellen, aber wir finden sie nicht.

Ich kann das nur wiedergeben, das sind Aussagen der Personalverantwortlichen aus diesen

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Unternehmen, die auch in sehr offensiven Phasen, wo sie 20, 30 Ingenieure auf einen

Schlag eingestellt haben, angeblich keine Frauen am Arbeitsmarkt gefunden haben. Das ist

ein Statement, das wir als Forscher einfach nur konstatieren können.

Wie kann man die genannten Untersuchungsergebnisse in eine innovations- und

personalsorientierte Unternehmensstrategie umsetzen?

Ich denke, es ist notwendig, betriebliche Innovationspolitik und Personalpolitik wirklich eng

miteinander zu verzahnen. Das sind oft noch getrennte, nebeneinander herlaufende

Bereiche in den Unternehmen, die sich zwar manchmal in Strategiezirkeln treffen, aber doch

nicht strategisch verzahnt miteinander kooperieren. Es ist eine Koordination und Kooperation

auf Managementebene erforderlich, aber auch auf allen anderen Unternehmensebenen. Und

es sind eben auch intergenerative Aspekte zu berücksichtigen: Wie kann der Wissens- und

Erfahrungstransfer im Arbeitsprozess gestaltet sein? Alle Modelle, die diese Fragen aus den

konkreten Arbeitsprozessen herauslösen, wo irgendwelche Wissenszirkel oder Ähnliches

gegründet werden, haben sich nicht bewährt. Der Erfahrungstransfer kann nur am konkreten

Gegenstand erfolgen. Wir brauchen eine Neuorganisation der Teambildung, oftmals auch

eine Moderation dieser Teams. Denn jemand, der Wissen preis gibt, verliert natürlich auch

etwas von seiner eigenen Reputation, von seiner eigenen Stellung im Unternehmen. Da ist

es oft gefragt, eben diese Position auch sicher zu gestalten und zu sagen: Auch wenn

Kollege XY oder Kollegin XY jetzt etwas von deinen Verantwortungen übernimmt, heißt das

nicht, dass dein Gehalt in Frage gestellt wird oder dass du schlechter angesehen bist. Wir

brauchen die Fähigkeit und Bereitschaft von allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen,

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Veränderungsprozesse zu gestalten und sich auch in diese Veränderungsprozesse

einzubringen.

Zum Abschluss zeige ich Ihnen ein zusammenfassendes Schaubild.

Ich denke, es ist wesentlich, dass eine klare Unternehmensstrategie formuliert wird, die

Aspekte der Innovationsziele und Marktorientierung, aber auch personalpolitischer

Zielsetzungen aufgreift. Diese Unternehmensstrategie kann sich auf Fragen zu

unterschiedlichen Altersgruppen, kann sich aber eben auch auf Fragen zum Verhältnis und

zur Kooperation von Frauen und Männern beziehen, kann auch Fragen zu Zuwanderung und

nationalen Belegschaftssegmenten beinhalten. Wichtig ist, dass diese Strategie umgesetzt

wird, nicht nur in den Strukturen, sondern auch in der Kultur des Unternehmens, und das ist

die eigentliche Aufgabe eines fortschrittlichen und innovativen Personalmanagements. Damit

möchte ich auch zum Ende meiner Ausführungen kommen. Danke.