Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

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Buchner (Hrsg.) . Vision und Wandel

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Buchner (Hrsg.) . Vision und Wandel

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Dietrich Buchner (Hrsg.)

Vision und Wandel

Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

GABLER

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Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Untemehmen / Dietrich Buchner [Hrsg.]. - Wiesbaden : Gabler, 1995

ISBN-13: 978-3-322-82697-8 e-1SBN-13: 978-3-322-826%-1 DOl: 10.10071978-3-322-826%-1

NE: Buchner, Dietrich [Hrsg.]

Der Gabler Verlag ist ein Untemehmen der Bertelsmann Fachinformation.

© Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler GmbH, Wiesbaden 1995 Softcover reprint of the hardcover I st edition 1995 Lektorat: Ulrike M. Vetter

Das Werk einschlieBlich alier seiner Teile ist urheberrechtlich geschutzt.Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfal­tigungen, Obersetzungen, Mikroverfilmungen und die Ein­speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Hochste inhaltliche und technische Qualitat un serer Produkte ist unser Ziel. Bei der Produktion und Verbreitung un serer Bucher wollen wir die Umwelt schonen: Dieses Buch ist auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Die EinschweiBfolie besteht aus Polyathylen und damit aus organischen Grundstof­fen, die weder bei der Herstellung noch bei der Verbrennung Schadstoffe freisetzen.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daB solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Marken­schutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften.

Umschlaggestaltung: Schrimpf und Partner, Wiesbaden Satz: FROMM Verlagsservice GmbH, Idstein

ISBN-13: 978-3-322-82697-8

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Vorwort

Die Energie, mit der sich Veranderungen vollziehen, ihr Tempo, ihre gestaltenden Krafte werden durch Visonen erzeugt. Wir nennen den U nterschied zwischen dem, was ist, und dem, was gewunscht wird, die "kreative Spannung". Ihre Voltzahl macht Tempo, Druck, Sog, wie immer Sie es betrachten.

Veranderungen finden statt, ob mit oder ohne Vision: Besser, Sie haben eine. Wenn Sie namlich wissen, was Sie wollen, wohin Sie wollen und warum Sie es wollen, werden Sie sich auf den Werg machen. Sie werden erleben, daB sich Ihre Vision in manchen Teilen viel schneller verwirklicht, als Sie gedacht haben. Andere Teile brauchen Zeit oder werden neu eingeord­net, neu wahrgenommen, in einer neuen Gestalt erlebt. Auch die Vision andert sich damit, daB Sie sich andern. Sie wird naher oder Realitat und ist dann keine Vision mehr, und schon entsteht eine neue. In jeder neu geschaffenen Realitat liegt der Samen fur eine neue Vision.

Vision und Wandel sind beide Ursache und Wirkung. Wandel erzeugt neue Visionen, und neue Vision en erzeugen Wandel. Dazwischen liegen Prozesse, die unterschiedlich erlebt werden. Oem einen geben sie den Kick, dem anderen Herausforderung und harte Jobs, dem dritten immer noch Schocks, Verneinun­gen und Schmerzen.

Diese Prozesse der Veranderung sollen heute schneller und okologischer sein. Schnell bedeutet, im Wettlauf die Nase vorn zu haben, okologisch bedeutet, sich "ohne" Nebenwirkungen oder unter Integration aller wichtigen Einwande zu andern.

Andern konnen sich einzelne Personen, Teams, Organisations­einheiten, komplexe Systeme, Burokratien, Konglomerate,

Vorwort 5

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Netzwerke: Solche ,Jebenden" Organisationen haben unter­schiedliche Eihigkeiten, sich zu verandern. Sie haben unter­schiedliche Glaubenssatze iiber die Veranderungsnotwendig­keiten, und sie haben unterschiedliche Identitaten und Chan­cen, sich zu verandern:

Die Vision ist die Wahrnehmung der zukiinftigen Identitat. Gebe ich mir die Chance, diese anders als heute zu sehen, lose ich damit Wandel aus. Nur scheinbar ,,fertige, perfekte" Syste­me - Menschen, Organisationen, Biirokratie etc. - entwickeln Visionen, die das Heute reflektieren. Es entstehen keine Span­nungen, keine kreativen Herausforderungen, das ,,1st" ist die Vision. Solche "stuck"-Situationen treten haufig bei wahrneh­mungsgestorten Systemen auf. Das sind Systeme, die sich fast ausschliemich mit Innensichten beschaftigen und weder Ver­gleiche anstellen, noch sich durch Umweltveranderungen sto­ren lassen. Die AuRenwelt wird eventuell als feindlich, storend, unfreundlich oder voriibergehend "wahr"genommen.

Andere lassen sich aufriitteln, sie nehmen die AuRenwelt wahr - lassen sich herausfordern, entwickeln Szenarien und fiihlen sich - oder nicht - darauf vorbereitet. Sie stellen sich anders als heute in einer neuen Umwelt vor. Sie haben sich diese kreative Spannung erzeugt, die verandert. Das Leben ist inter­essant, macht neugierig, unzufrieden. Erreichte Veranderungen machen gliicklich, Erfolge werden gefeiert, SpaR und Freude, StreR und Herausforderungen motivieren. Es ist Leben in der Bude - Obergange sind Unordnungen, Veranderungen sind Experimente, Fehler sind Entwicklungschancen -, Menschen werden gefordert, gelegentlich auch iiberfordert.

Vision und Wandel konnen sich schneller oder langsamer, strukturierter oder chao tischer, produktiver oder destruktiver entwickeln. Die Veranderung ist eine Gelegenheit und eine Gefahr - zumindest wird sie so erlebt.

Wer solche Prozesse vielfach begleitet hat, nimmt Einwande gelassener hin. Die Dynamik und die Energie der Entwicklun-

6 Vorwort

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gen lassen sich "bandigen", wenn sie wie das Wildwasser in Bahnen bzw. Kanale gelenkt, Turbinen zugefuhrt werden und fokussiert Strom erzeugen, produktiv werden. Die Verande­rungsberater von Winner's Edge haben Hunderte von Visions­prozessen ausgelost, begleitet und ebensoviel Wandel initiiert. Einige dieser Erfahrungen und Konzepte sind in diesem Buch zusammengetragen. Die Idee dabei ist, die Rolle der Vision fur intelligente Organisationen und deren Veranderung herauszu­arbeiten. Dabei kam es darauf an, den Rahmen zu setzen, dann aber auch Wege aufzuzeigen, wie der Rahmen sich umsetzt, und schlieRlich einige Techniken zu skizzieren.

Ais Herausgeber mochte ich meinen Partnern und Freunden danken, die sich engagiert haben, urn soIehe Konzepte zu prasentieren: Dr. Maria Kubin, die mitten in einem Visions­prozeB steht und eine Gruppe von internen Veranderern, genannt Visions-Coaches, managt; Sabine Hoffmeister, die sich der Rolle des mittleren Managers angenommen hat; Martina Schmidt-Tanger, mit der ich das Coachen des Veran­derungsprozesses skizziere; Dr. Norbert Homma, der die Faden zwischen Vision und lernender Organisation knupft; Prof. Dr. Josef Schmelzer, der uber den Sinn von Visionen nachdenkt und mit dem ich das Vergnugen hatte, eines der spannendsten Veranderungsprojekte zu machen, das wir als Fallbeispiel vorstellen; Henning Strenger und Norbert Hom­rna, die ihre Erfahrungen in der "Zukunftswerkstatt" einbrin­gen. Damit dieses Buch entstehen konnte, waren andere fleiBige Helfer zur Stelle. kh mochte insbesondere Wolfgang Drummer, Petra Rohm und Nicole Springer danken.

Vision und Wandel ist der Versuch, einen Rahmen zu geben, der von Managern, Veranderungsbegleitern, Teams, Organisa­toren etc. ausgefullt werden kann. Die Aspekte dieser Disziplin sollen Anreize, DenkanstoBe und Starter sein. Die Fortsetzung findet bei Ihnen statt.

Dusseldorf, im Mai 1995 DIETRICH BUCHNER

Vorwort 7

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Inhalt

Vorwort ____________________________________ ___

Vision und Wandel

Dietrich Buchner

LEDA und der Sinn ____________________________ _

Josef Schmelzer

Vision und lernende Organisation

Norbert Homma

Die Zukunftswerkstatt __________________________ __

Henning Strenger/Dietrich Buchner/Norbert Homma

Visionen fiir das mittlere Management ______________ __

Sabine Hoffmeister

Management by Vision - Auf dem Weg zur intelligenten Organisation ________________________ _

Dietrich Buchner

Vision Coaches als Berater und Schrittmacher im VisionsprozeB ____________________________ _

Maria Kubin

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Implementation von Veranderungen: Das FRAKTAL-Modell _ 163

Dietrich Buchner und Martina Schmidt-Tanger

Vision und Wandel- Eine Fallstudie ________________ _ 207 Dietrich Buchner und Joseph Schmelzer

Die Autoren 237

Vorwort 9

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1 Vision und Wandel Dietrich Buchner

Wollen Sie? Brauchen Sie eine Vision?

25 Grunde, uber eine Unternehmensvision trifft zu trifft nachzudenken (kreuzen Sie an!) nicht zu

1. Die Zukunftsszenarien fUr Ihre Geschafte D D werden immer widerspruchsvol ler, unklarer, weniger aussagefahig.

2. Ihr Unternehmen hat eine turbulente D D Markt- und Umweltentwicklung. Voraussagen uber drei bis funf Jahre sind hochst fraglich .

3. Die Marktsituation verlangt neue D D Orientierungen des ganzen oder von Teilen Ihres Unternehmens. Sie mussen schnell und umfassend umgesetzt werden.

4. Die Rolle Ihres Unternehmens im Umfeld D D wird anders als vor zehn Jahren bewertet. Sie mussen sich auf eine kritische Umwelt mit einer geanderten Wertehierarchie einstellen.

5. 1m Wertewandel der Gesellschaft erhalten D D Ihre Produkte eine andere Bedeutung. Ihre Mitarbeiter mussen lernen, dies fur sich und die Markte umzusetzen.

6. Die Steuerung Ihres Unternehmens uber D D langfristige Strategien und mittelfristige Planungen ist immer weniger moglich.

Vorwort 11

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trifft zu trifft nicht zu

7. Sie haben das Gefuhl, daB eine grundlegende Neuorientierung fur Ihr

D D Unternehmen notwendig ist. Ihre Kollegen bestiitigen das.

8. Viele Kollegen in Ihrem Unternehmen klagen uber zu viel "Adhocratie" und zu

D D wenig liingerfristige Orientierung (bei gleichzeitig gewunschter Flexibilitiit).

9. Viel zu wenig Mitarbeiter konnen in liingeren Zeitriiumen denken. Ihr

D D Zeithorizont ist zu kurz, um sich neue Unternehmensprozesse vorzustellen, die radikale Veriinderungen darstellen.

10. Die Identitiit Ihres Unternehmens hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Es wird

D D Zeit, dies allen bewuBt zu machen.

11. Ihre Organisation muB mal wieder richtig durchgeschuttelt werden. Sie muB alte

D D Zopfe loswerden. Sie braucht einen frisch en Start.

12. Das Tempo von Veriinderungen ist Ihnen D D zu langsam.

13. Veriinderungen werden in Ihrem Unternehmen immer noch als

D D Einzelereignisse, nicht als Dauerzustand angesehen, Sie brauchen aber eine dynamische, sich stiindig veriindernde Organisation.

14. Sie fordern in Ihrem Unternehmen immer D D mehr Eigenverantwortung und Unternehmertum.

15. Die Befiihigung der Mitarbeiter, mit Strategien und Zielen zu arbeiten, reicht

D D nicht mehr aus, um die kreativen Herausforderungen gut zu bewiiltigen.

12 Vision und Wandel

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trifft zu trifft nicht zu

16. Sie beginnen die Hierarchie in Ihrem Unternehmen abzuflachen.

0 0 Fuhrungspositionen werden nicht mehr besetzt.

17. Die Kontroll- beziehungsweise 0 0 Fuhrungsspannen in Ihrem Unternehmen haben sich in den letzten funf Jahren wesentlich vergroBert.

18. Funktionsubergreifende Projektteams sind bei Ihnen wesentliche

0 0 organisatorische Elemente geworden.

19. Ihre funktional spezifischen Organisationseinheiten werden

0 0 zunehmend durch interdisziplinare Teams erganzt.

20. Sie haben begonnen oder daruber nachgedacht, zentrale Funktionen,

0 0 Overheads, Burokratie etc. drastisch abzubauen.

21. Es entstehen zunehmend Forderungen, formale Kontrollsysteme abzubauen, weil

0 0 sie immer weniger nutzlich sind.

22. Sie haben die "Richtlinien" in Ihrem 0 0 Unternehmen in den letzen drei Jahren mindestens einmal durchgeforstet und von Uberflussigem befreit.

23. Sie haben die Overheads in den letzen 0 0 drei Jahren gesenkt.

24. Sie haben begonnen, uber neue 0 0 Fuhrungsstile nachzudenken, die alten stellen Sie zunehmend in Frage.

25. Sie brauchen eine neue Orientierung fur 0 0 aile: Sinn, Auftrag, Begeisterung.

Vision und Wandel 13

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Vision als UnternehmensprozeB

In Zeiten, in denen sich Markte und Umwelt schneller veran­dern als die Strukturen, Systeme und Strategien, werden neue Methoden zur langfristigen Steuerung von Unternehmenspro­zessen und Netzwerken sinnvoll. Die "Vision" ist keine neue Methode, aber ihre bewuRte Anwendung zur Veranderung von Unternehmensidentitaten ist neu. Visionare Unternehmer ha­ben friiher ihre Fabriken gebaut und Handelshauser errichtet und ihre Vision mit Hilfe stabiler Kontrollstrukturen und Biirokratien umgesetzt. Die langen Anpassungszeiten erlauben zentrale Steuerungen und Kontrollen, und es reichte immer einer, der eine Vision hatte.

Das ist fiir Unternehmen in turbulenten Zeiten anders. Die Anpassungsprozesse sind so kurz, daR tiefe Hierarchien, zen­trale Biirokratien, feste Strukturen, langfristige Steuerungen durch Strategien oder Fiinf-Jahresplane in Frage gestellt wer­den. Neue Organisationsformen wie zum Beispiel Netzwerk­organisation/Cluster soHen Flexibilitat sichern, Dezentralisie­rung soH Kunden- und Marktnahe bringen, interdisziplinare Projektteams sollen die Kompetenzgrenzen iiberwinden, flache Hierachien sollen Biirokratie-Nachteile verhindern.

Fiir solche Prozesse der, Detaillierung, Delegation, Dezentrali­sierung und die damit verbundenen flexiblen Strukturen wer­den neue Bande notwendig, wie sie Vision und Mission darstellen. Wichtig sind dabei der Begriff und der ProzeR der gemeinsamen Vision (shared vision). Denn nicht mehr ein einzelner Unternehmer hat eine Vision (auch das kann sein), sondern aHe im Unternehmen. Das macht den Anspruch heutiger Visionen aus. 1m Unterschied zu den alten Unterneh­mensvisionen mit zentralen Fiihrungsstrukturen konnen mo­derne Vision en dezentrale Netzwerke nur dann zusammenhal­ten, wenn sie als "gemeinsame Visionen" entwickelt werden. Von daher wird der ProzeR der Entwicklung einer gemeinsa­men Vision erfolgskritisch.

14 Vision und Wandel

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Dabei miissen die traditionellen Steuerungsmittel, wie Strate­gie, Budgetplanung usw. nicht iiberfliissig werden. 1m Gegen­teil, ihre Instrumente werden auch weiterhin gebraucht und genutzt. Der Kontext der Vision und der Mission erlaubt aber schnelle Anderungen, flexible Anpassungen und zwingt gerade nicht zur (unflexiblen) Erfiillung von einmal definierten Ziel­und MaBnahmenkombinationen.

Entsprechendes gilt fiir die Zeitdimension:

Visionen miissen langfristig gedacht sein. Manche Unterneh­men hang en Jahreszahlen wie ,,2000", ,,2005" oder ,,2010" hinter die "Vision", urn die Zeitperspektive deutlich zu ma­chen. Aber Visionen sind keine Zielscheiben mit definierter Distanz, sie sind beweglich. Eine Vision, die die ersten Schritte nicht sofort erlauben wiirde, hatte keine Wirkung. Insofern ist die Zeitdimension der Vision gleichzeitig he ute, drei Monate, drei Jahre oder 10 bis 15 Jahre (Abbildung Seite 16). Die Instrumente, mit den en die Vision angestrebt wird, sind auch Strategien und operative Plane, die durch die Vision eingestellt werden, sich jedoch an neue Bedingungen im Markt und U mfeld standig anpassen kannen.

Die Vision ist die Wahrnehmung der zukiinftigen Identitat des Unternehmens und der dadurch ausgelaste ProzeB der Veran­derung. Die Wahrnehmungsliicke zwischen der heutigen Identitat und der zukiinftigen Identitat erzeugt eine positive kreative Spannung, deren Lasung Veranderungen bewirkt.

Damit sind die wichtigsten Elemente des Visionsbegriffes genannt. Die Vision ist ein Bild, eine visuelle Reprasentation der vorgestellten Realitat und damit ein Modell, das sich ein Unternehmen schafft. Dieses Bild wird besonders gut wirksam, wenn es als "gemeinsame Vision" entsteht. Die Vision wird nicht notwendigerweise durch identische Bilder bei allen Teilen oder Personen in einer Organisation reprasentiert, sondern eher durch solche, die als Puzzle zusammengesetzt ein Ganzes ergeben.

Vision als UnternehmensprozeB 15

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Operative Handlungen

- Aktionsplane - Handlungen - Budget - Kontrolle - Feedback

Strategie

- Ziele - Mal3nahmen - Ressourcen - Verantwortungen - Fahigkeiten

Mission

- Auftrag - Rahmen - Modelle - Rolle - Glaubenssiitze

Vision

- Umwelt - Identitat - Kultur - Grundwerte

Der Zoom-Mechanism us von der Vision zur Planung

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Dabei sind die einzelnen Bilder des Puzzles durch eine (gemein­same) Identitatsvorstellung verbunden, die in wenig en Identi-6ts- und Wert-Aussagen formuliert sind. Diese Aussagen gestalten die Entwicklung des zukunftigen Unternehmens. So bildet die Vision einen Rahmen, in dem und auf den sich das Unternehmen zubewegt. Die Vision stellt somit einen Kontext fur Fahigkeit und Handeln dar.

definiert die zukunftige Identitiit

definiert den zukunftigen Auftrag, den wir uns heute geben

definiert die Ziele, MaBnahmen und Ressoureen fur die Umsetzung des Auftrags in heutiger Sieht

definiert die heutigen Sehritte in die Riehtung der Vision

Vision schafft den Kontext fur Mission, flexible Strategien und flexibles Handeln

Die Vision ist ein ProzeB der U msetzung kreativer Spannung, denn das "Visionierte" ist heute nicht Realitat oder nur Teilrealitat. Wenn die Vision attraktiv ist, erzeugt sie eine Energie, eine positive, kreative Spannung. Diese Spannung setzt sich zum Beispiel urn in Auf trag (Mission), Ziele, Fahig­keiten, Ideen (Strategie) und in MaBnahmen, Schritte, Fehler, Korrekturen (Handlungen).

Bei diesem ProzeB verandern sich Wertehierachien, Zielsyste­me, MaBnahmenprioritaten und damit der gesamte Unterneh-

Vision als UnternehmensprozeB 17

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mensprozeg und des sen Ergebnisse. Es andert sich auch die Vision, denn mit jedem Schritt hin zur Vision wird der Blickwinkel verandert und damit die Wahrnehmung. Die Er­fahrung in vielen Visionsprozessen zeigt, dag die Vision naherriickt, sich also bewegt und eine neue Gestalt annimmt. Die Wahrnehmung, das Bild von der zukiinftigen Unterneh­mensidentitat verandert sich dadurch. Mit der Erfiillung ent­steht ein neuer Teil der Vision, damit die Vision weiter attraktiv bleibt.

Der Visionsprozeg wird anfangs bewugt gemanagt, urn sich moglichst bald in weitgehend unbewugte habitualisierte Un­ternehmensprozesse (Methoden, Vision als einprogrammiertes Modell) zu entwickeln (Abbildung). Dabei sind Widerstande, Einwande, unterschiedliche Zeitperspektiven zu integrieren, die in der Regel Niitzliches aus Vergangenheit und Gegenwart bewahren wollen.

Das Management, insbesondere an der Spitze einer Organisa­tion, nimmt eine Vorbildrolle ein. Zeit en des Visionierens sind besonders sensibel. Visionen scharfen den Blick fiir Unterschie­de, so daR hohe Anforderungen an jeden einzelnen gestellt werden, sich ab sofort visionskonform zu verhalten. Andere wichtige Rollen konnen die Meinungsfiihrer einnehmen, die es zu finden, gewinnen und als Multiplikatoren zu nutzen gilt. Letztlich will ein Unternehmen jeden einzelnen fiir die Vision begeistern. Nur so wird es eine gemeinsame Vision.

Urn Visions- und beabsichtige Veranderungsprozesse zu be­schleunigen, werden temporar Prozegberater (Visions- und Veranderungscoaches) eingesetzt. Sie stellen nicht nur ihre Expertise in Visionsprozessen zur Verfiigung, sie entwickeln auch visionskonform Veranderungsmechanismen (wie zum Beispiel Trainings von neuen Werte- und Verhaltenspraktiken), und sie coachen einzelne und Gruppen.

Alle Aktivitaten in einem beginnenden VisionsprozeR sollen die Integration der Vision in die Organisation sichern. Vision

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wird damit alles und jedes. Alles, was ich tue und was nicht die Vision ausfiillt, ist Verschwendung. MaRstab fur diese Integration ist die erzielte Kongruenz zwischen allen Elemen­ten: Vision-Mission-Strategie-Handeln.

Daraus leiten sich folgende Elemente und Perspektiven fur einen erfolgreichen VisionsprozeR ab:

1. Vision als Reprasentation der zukunftigen Identitat des Unternehmens

2. Vision als ProzeR der kreativen Spannung (der Identitatsentwicklung)

3. Vision als Kontext

4. Vision als Steuerung (der Unternehmenstransformation)

5. Vision als lockendes Ziel im VeranderungsprozeR

6. Vision als integrierter UnternehmensprozeR

7. Vision und ProzeRberatung

Die Vision als Reprasentation der zukunftigen Identitat des Unternehmens

Die Vision ist die Wahrnehmung der zukunftigen Identitat des Unternehmens. Sie stellt ein Modell einer konstruierten Wirk­lichkeit dar, denn es gibt sie noch nicht, und es gab sie auch in der Vergangenheit nicht, und es wird sie auch nie so geben (Abbildung).

Visionen sind also "konstruierte" Zukunftsmodelle, die unser Handeln steuern. Dabei gestalten wir unsere eigene Zukunft durch heutige "Programme", Muster und Modelle der "Wahr­nehmung". Das zumindest ist der ubliche Weg. Die Zukunfts-

20 Vision und Wandel

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"Wahr"nehmung ist das Abbild dieser Modelle und Pro­gramme, die wir heute haben. Wir schauen in die Zukunft durch unsere Brille, die wir gestern erworben haben. Wirklich neue, kreative Visionen haben die wenigsten, aber gerade diese wollen genutzt werden. Oft werden diese Visionare als Spin­ner, Mavericks, Querdenker usw. angesehen, ihre Visionen dementsprechend auch nicht ernst genommen. Wenn aber diese kreativen Ansatze in die Unternehmensvision integriert werden oder diese gar bestimmen, dann werden andere ihre Sichtweisen andern mussen, sich also in ihrer Zukunftswahr­nehmung reprogrammieren. Das fallt nicht jedem leicht, kann aber durch Coaching und ProzeBberatung unterstutzt werden.

Die Ergebnisse der ProzeBberatung sind abhangig davon, daB die Beteiligten mitmachen. Man kann niemandem eine Vision gegen seinen Willen aufzwingen. Die, die eine Vision positiv wollen, erweitern in der Regel ihre Flexibilitat durch weitere neue Wahrnehmungprogramme. Dabei ist die ,,Modellierung" der "kreativen Visionsmodelle" zum Beispiel durch Submoda­litatenmuster und das "Nachstellen" dieser Modelle eine er­folgreiche Methode, eigene Visionen mit anderen vertraglich zu gestalten und neue eigene Visionen zu entwickeln. Gemein­same Visionen erfordern haufig solche neuen Wahrnehmun­gen.

Urn ein Managementteam in einen kreativen visionaren "Res­sourcenzustand" zu bring en, eignet sich besonders die Fanta­siereise in die Zukunft, in Verbindung mit verschiedenen Kreativitatsmethoden. Dabei werden ebenfalls Submodalitaten der Wahrnehmung verandert.

Visionen werden durch Sprache ausgedruckt. Es handelt sich dabei, und das wird oft verkannt und miBdeutet, urn eine doppelte Reprasentation. Die Bilder, die visuelle Wahrneh­mung, die die zukunftige Identitat reprasentieren, werden wiederum durch Sprache reprasentiert. Das macht es so schwierig, die Vision zu formulieren und einen Konsens uber die ,,richtige" Formulierung zu finden.

Die Vision als Reprasentation der zukunftigen Identitat 21

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Page 20: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Von daher sollte es immer erlaubt sein, Visionstexte mehrfach zu erganzen, verandern oder verbessern (Achtung, nicht mit Verneinung verwechseln). Wenn jedem klar ist, daR der Visionstext nur die durch Sprache ausgedruckten Zukunftsbil­der und Zukunftswahrnehmungen darstellt, dann wird die Bedeutung des Textes relativiert. Er wird trotzdem ernst genommen, denn Sprache ist die gemeinsame Kommunika­tion. Gelingt es, die Vision durch Sprache bildhaft auszudruk­ken, sind Transferverluste geringer. Ein gutes Beispiel dafur ist Prasident Kennedys Vision, daR "noch in dies em Jahrzehnt ein Amerikaner seinen FuR auf den Mond setzt".

Der gemeinsame Visions text kann sehr stark und attraktiv sein, oft ist er es nicht. Eine Anhaufung von Allgemeinplatzen, die es jedem rechtmachen konnen, mit wenig Herausforderun­gen, die Anreize und lockende Ziele darstellen konnten.

Eine einzige ,,richtige" Struktur des Sprachprogrammes gibt es nicht, jedoch erlauben bestimmte Grundorientierungen eine starkere Attraktion als andere. Der Visionstext benutzt besser konkrete Bilder als abstrakte Begriffe und Prinzipien. Er ist positiv hin zu orientiert, entweder zeitlos oder (eher) als Zukunft formuliert. Er detailliert nur dann, wenn das Detail als Metapher fur ein allgemeines Prinzip verstanden wird. Eine Vision differenziert, eher als daR sie Ahnlichkeiten zu heute betont. Sie ist eher als Option formuliert, die in der Umsetzung zum ProzeR wird.

Der gemeinsame Text schafft noch keine gemeinsame Vision, aber eine gemeinsame Referenz, und ist insofern unentbehrlich. Jeder, der sich in diesen Text "einkauft" und seine eigene Vision entwickelt, leistet damit einen Teil zu der "gemeinsamen" Vision. Wie es fur Kennedy wichtig war, daR sich moglichst viele Amerikaner hinter seine Vision, den Mond zu betreten, stellten und aktiv mitwirkten, so geht es mit der gemeinsamen Vision eines Unternehmens. Sie erlaubt jedem einzelnen, sich mit seinen eigenen Vorstellungen so einzubringen, daR es eine attraktive Herausforderung wird. Sie erlaubt jedem, seinen Teil

Die Vision als Reprasentation der zukOnftigen Identitat 23

Page 21: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

zu verstehen und anzunehmen und die Vision zu seiner Vision zu machen, das heiRt "von ihr Besitz zu ergreifen". Die gemeinsame Vision ist ein Text, der viele unterschiedliche und gemeinsame Bilder zu dem Wunsch einer zukunftigen Identitat verbindet. Die gemeinsame Vision ist auch das gemeinsame Handeln und Gestalten und der ProzeR, sich in dieses "Puzzle" zu integrieren.

Nicht der Amerikaner auf dem Mond ist die Vision, sondern im damaligen Wettbewerb der Systeme (nach dem Sputnik­Schock) Technologiefuhrer (im Weltraum) zu sein.

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24 Vision und Wandel

Page 22: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Gute Visionen sind wohlgeformt (SPEZI-Modell)

® Die Vision mu~ sinnlich wahrnehmbar sein; dies wird meist uber Bilder, aber auch uber auditive Wahrnehmungen moglich.

® Sie mu~ positivausgedruckt sein, aile Formulierungen sind "Hin­zu-Orientierungen": lockende Ziele, Attraktivitiit.

® Sie mu~ eigenstandig erreichbar sein, das hei~t glaubwurdig bleiben, realistisch und mach bar erscheinen. Oft werden Visionen uber den Zeithorizont so weit gestreckt da~ Machbarkeit kein Problem zu sein scheint.

o Sie mu~ im Zusammenhang definiert sein, im Umfeld, im Markt, im Wettbewerb. Visionen werden oft relativ zu anderen ausge­druckt.

CD Sie mu~ gute Absichten (auch von Einwiindenl integrieren, das hei~t auch Erhaltenswertes erhalten.

Die Vision als kreative Spannung

Eine attraktive Vision verandert. Niemand glaubt heute noch, sein Unternehmen, seine Abteilung oder er selbst brauche sich nicht zu verandern. Wir haben unter mehreren Tausend Mana­gern nicht einen einzigen entdeckt, der gemeint hatte, es konne alles so bleiben, wie es ist. Wenn aber jeder meint, Verande­rung en seien notwendig, dann entsteht die Frage: Wie?

Es gibt nur zwei grundsatzliche Moglichkeiten:

1. Weg von 2. Hin zu

Beide Moglichkeiten werden praktiziert, allerdings mit unter­schiedlichen Resultaten. Etwa 40 Prozent der gut ausgebilde­ten, methodisch geschulten Manager bewegen sich immer noch primar eher "weg von" als ,,hin zu". Sie wenden sich Problemen zu und wollen sie los werden, und wenn das geschehen ist, wenden sie sich anderen Problemen zu usw. Sie

Die Vision als Reprasentation der zukGnftigen Identitat 25

Page 23: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

wissen, was sie nicht wollen, aber sie wissen nicht, was sie wollen. Stellen Sie sich vor, Sie steigen in ein Taxi und bitten den Taxifahrer darum, von dart, wo sie sind, wegzufahren. Er wiirde sie sofort fragen: "Wohin?" Ihre Antwort kannte dann sein: ,,Bitte nicht zum KaIner Dam." So etwa verhalten wir uns, wenn wir die Energie auf etwas verwenden, was wir nicht wollen. Schlimmer noch, wir fokussieren uns auf das, was wir nicht wollen, und erhalten genau das, oft anders und neu, aber im Prinzip das gleiche alte Problem.

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1m Unterschied zur kreativen Spannung wird hier eine Frust­spannung auf-, ab- und wieder aufgebaut usw., die unsere Energie ungerichtet diffundiert (Abbildung).

Wie stark die "Hin-zu-Orientierung" wirkt, laBt sich mit der Gummiband-Metapher erlautern. Stellen Sie sich vor, die Vision spannt ein Gummiband.

26 Vision und Wandel

Page 24: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

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1ST Vision

Hebt die Vision ab, so daB keiner mehr daran glaubt, dann reiBt das Band, die Vision geht zu weit weg. Sie wird unglaub­wiirdig, nur wenige wollen ihr folgen.

Die Vision als Reprasentation der zukLinftigen Identitat 27

Page 25: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Die Kunst besteht also darin, die richtige Herausforderung mit der Vision zu erzeugen, die moglichst breit kreative Spannung, Herausforderung fur eine gemeinsame Veranderung: mit sich bringt.

So gesehen setzt ein erster Visionstext einen ProzeB in Gang, indem er Spannung zwischen dem 1ST und der Vision erzeugt. Dieses Spannung lost in der Regel heftige Diskussionen aus, die generativ sind und die das Veranderungsklima aufbauen.

Die wohlgeformte Visionsformulierung kann zu diesem Zeit­punkt noch gar nicht existieren, da wesentliche Einwande nicht bekannt sind und die Vielfalt der sinnlichen Wahrnehmungen nicht ausgeschopft ist. Das bedeutet aber auch, daB der Weg von einer Managementvision zu einer gemeinsamen Vision genau diesen ProzeB der Auseinandersetzung und Diskussion braucht:

Was an der Vision ist wichtig fur mich/uns?

Was genau bedeutet das?

Wie setzt sich das in konkrete sinnliche Erfahrungen, Ziele und MaBnahmen fur un simich urn?

Welche Bilder, Hoffnungen, Erwartungen entstehen?

Wie lautet me in Auftrag/meine Herausforderung?

Eine Menge Dinge passieren bei einer solchen Visionsdiskus­sion in der Organisation. Zwei Aspekte seien hervorgehoben:

1. Viele bezweifeln, daB die anderen, insbesondere das Ma­nagement, sich so verandern konnen.

? Das glauben die doch nicht wirklich! ? Das war langst fallig, aber auch jetzt ... ! ? Das ist zu schon, urn wahr zu sein! ? Das wird bei uns nicht klappen!

2. Die Vision (als Zukunftswahrnehmung) verandert sich, sie wird konkreter und "naher".

28 Vision und Wandel

Page 26: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Das ist doch nichts wirklich Neues. Genau das brauchen wir, aber nicht erst in zehn Jahren. Damit konnen wir morgen schon anfangen. Das haben wir in unserer Abteilung schon eingefiihrt.

Beide Aspekte haben EinfluR auf den ProzeK

Die Verschiebung der Verantwortung auf andere beinhaltet die Absicht einer ganzheitlichen Veranderung sowie eine Projek­tion, mit der sich der einzelne vor Veranderungen schiitzen will. Hierzu wird im Abschnitt "Vision und Veranderung" eine detailliertere Analyse erfolgen. Die Veranderung der Vision auf der Zeitachse wird unter "Vision und Zeit" beantwortet.

Eine Vision, mit der Sie etwas erreichen wollen, muR diskutiert und bearbeitet werden. Sie verandert sich, sie verbessert sich. Sie wird selbst zum ProzeR der Gestaltung der Organisation durch die dann ablaufenden Prozesse. Die Verinnerlichung der Teile oder der ganzen Vision ist der KemprozeR, der am Anfang ablauft.

Wenn die Vision sich bei jedem einzelnen durch eigene Bilder und konkrete sinnliche Wahrnehmungen umsetzt, eigene Ein­wande integriert und seine Zeitlinie mit denen der Gesamt­vision synchronisiert, sprechen wir von Verinnerlichung. Das ist das Beste, was Sie erreichen, damit Ihre Vision wirken kann.

Sie werden zum Beispiel in "Visionstage" Zeit und Geld investieren, an den en die Vision vor Ort in spezifische eigene Visionen oder Teile von Visionen definiert wird. Die Methodik eines solchen Visionstages macht es sinnvoll, einen ProzeRbe­rater zu nutzen.

Die Vision ist also kein festes Zukunftsbild, das wie ein Ziel angestrebt und erreicht wird. Sie ist der ProzeR einer standigen Entwicklung der Organisation durch eine sinnliche Reprasen­tation, die sich selbst immer wieder emeuert und anpaRt.

Die Vision als Reprasentation der zukiinftigen Identitat 29

Page 27: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Vision als ProzeB Veranderungen kreative Spannung Zeitraumveranderungen Vision - Mission

Meine Haltung zur Vision individuelle Positionen

Veranderungskurve Einwande wurdigen gute Absichten erhalten

Struktur der logischen Ebenen kognitiver Rahmen

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Vision als Herausforderung unterschiedlicher Zeitperspektiven

Wenn Sie mit Visionen arbeiten, werden Sie eine uberraschen­de Feststellung machen: Die Vision ruckt naher, je mehr Sie sich damit beschaftigen. Das ist bei genauerem Hinsehen aber nicht so verwunderlich, denn genau genommen bewegen Sie sich auf die Vision zu. Diesen Ablauf konnen ProzeBberater einerseits produktiv nutzen, andererseits verstarken.

Es handelt sich also urn einen gewunschten Effekt. Jeder, der den Visionstext fur sich ubersetzt, selektiert und eigene Prio-

30 Vision und Wandel

Page 28: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

ntaten setzt (zum Beispiel seine individuelle Wertehierachie), interpretiert die Vision durchaus egozentrisch. Das beinhaltet auch seine Zeitperspektive, die nicht 10 oder 15 Jahre sein wird, wie es zum Beispiel in die Vision hineingeschrieben sein kann.

Unterschiedliche Personen haben unterschiedliche Zeitper­spektiven, mit denen sie die Zukunft abgreifen konnen. Nur die wenigsten denken in soleh langfristigen Zeitraumen. Die groRe Mehrzahl Ihrer Manager durfte eher ganz kurzfristig auf sechs bis acht Wochen, drei Monate oder ein Jahr eingestellt sein. Eine langere Perspektive wird fur sie unscharf, ist aber vorstellbar. Sie hat nur dann eine Handlungsrelevanz, wenn zwischen unscharfer Zukunft und konkret vorstellbarem Zeit­raum eine Verbindung hergestellt wird. Wenn das gelingt, wird in der Tat die Vision "umgebaut" und so auf die Zeitachse gelegt, daR sie von jedem in seinem Zeitverstandnis wahrge­nommen wird.

Dieser ProzeR ist schwierig und provoziert eine Menge Kritik. Verneinungen und Zweifel werden geauRert, da die in der Vision langfristig angestrebten Veranderungen zu kurzfristig abgebildet werden. ,,Der Berg steigt zu steil an", der Blickwin­kel wird zu groR (Abbildung).

Veranderungen werden erschwert oder scheitern, wenn die Einwande nicht als Ressourcen genutzt und integriert werden. Gute Visionstexte sind sehr allgemein formuliert. Das heiRt nicht nur fur jeden, sondern auch fur alles. Verallgemeinerun­gen in der Zeit erlauben Schritte heute, Schritte morgen und ubermorgen. Die Angebote der Vision sind zeitselektiv um­setzbar. Manches kann sofort, anderes spater sein. Bei der Bearbeitung der Vision durch die Organisation werden beson­ders die Elemente herausgepickt, die eher schneller umsetzbar sind, die fruher oder sofort machbar erscheinen. Diese Umset­zung zu erlauben kann die Annahme der Vision erleichtern, aber Achtung: die langfristigeren Aspekte gehen dabei gele­gentlich verloren.

Die Vision als Reprasentation der zukiinftigen Identitat 31

Page 29: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Der Blickwinkel sndert s/ch durch die Zeitperspektlve

Langfrist-Denker (10 Jahre und mehr)

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Mit Verkiirzung der Zeitperspektive wi!.chsl der Widerstand. Der Blickwinkel entpuppt sich als Anstieg auf einen Berg, der zu erklimmen ist:

Der Kurzfrist-Denker sieht den steilen Berg: Er liihlt sich iiberfornert.

Vision und Zeitperspektiven

32 Vision und Wandel

Der Langfrisl-Denker nimmt den Hac hen Berg wahr.

Page 30: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Dafur brauchen Sie ,,Kummerer". Eine kleine Zahl von Kolle­gen, die langsame und langfristige Veranderungen wahrneh­men und die auch schnelle Veranderungen in ihrer langfristigen Bedeutung einschatzen. Dazu brauchen Sie eventuell Projekte, die auRerhalb der operativen Aufgaben etabliert werden, oder Sie schaffen ein Netzwerk von "Visionaren", die die langfristi­gen Veranderungen im Auge behalten.

Es ist gar nicht anders machbar, als aus der Vision sofortige Aktionen, die in operative Routinen munden, solchen Mitar­beitern zu ubertragen, die operativ kurzfristig orientiert sind, andere solchen, die die Gabe haben, sich ein biRchen langer zu orientieren. Der Vorteil dieser Mischungen in Teams und Organisationen ist, daR sich alle - trotz unterschiedlicher zeitlicher Orientierung der Vision - begegnen konnen, ohne daR der Anspruch der Vision auf "Ganzheit" aufgegeben werden muRte. Das ist einfacher, als alle zum Langzeitdenken umerziehen zu wollen.

Die Vision als neue Hihrungsorientierung

Die Vision ist ein evolutionarer ProzeR der Entwicklung der Unternehmensidentitat. Sie steuert und kontrolliert auf eine andere Art, als Steuern und Kontrollieren im traditionellen Managementkonzept verstanden werden.

Fast alle Ihre Mitarbeiter haben den mehr oder weniger ausgepragten Wunsch, die Geschehnisse mitzugestalten, zu steuern und zu kontrollieren. Es wird immer wieder vor Ort bewiesen: wenn Personen das Gefuhl haben, eine Sache zu kontrollieren, leisten sie mehr und sind belastbarer. Das gilt auch, wenn es sich bei der eigenen Kontrolle urn eine Illusion handelt.

Die Vision als neue FOhrungsorientierung 33

Page 31: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Die Fuhrung Ihres Unternehmens durch eine Vision wird einiges von dieser Energie freisetzen, vorausgesetzt, Fuhrungs­stil und Fuhrungskultur gehen mit dem Prinzip einer Unter­nehmenssteuerung durch "Vision" einher.

Eine "Delegationstreppe" kann das Prinzip veranschaulichen (Abbildung). Auf der untersten Stufe sagt der Vorgesetzte nicht nur was, sondern auch wie etwas gemacht werden soll. Seine Rolle ist die des Supervisors, der vormacht und der die Ausfuhrung kontrolliert.

Wenn der Vorgesetzte aber die Person befahigt, die Arbeit auszufuhren und danach die Ausfuhrung nicht mehr zu kon­trollieren braucht, dann hat er delegiert, er kontrolliert nur noch das "Was" (zum Beispiel Management by Objectives). Seine Rolle verandert sich, indem er nicht mehr den ProzeR, sondern die Ergebnisse kontrolliert.

Die nachste Stufe besteht darin, eine Strategie (Fahigkeiten) zu entwickeln, die nicht mehr konkrete Leistungen und Ziele, sondern komplexere Ergebnisse hervorbringt, die lediglich Abwicklungen kontrolliert, aber diese Ergebnisse standig re­produzieren (zum Beispiel Management by Exceptions). Die Rolle des Managers entwickelt sich parallel. Er wird die Mitarbeiter in die Lage versetzen, Ergebnisse zu produzieren, Erfolgsstrategien zu erarbeiten und sie zu vermitteln ("Trainer­rolle").

Noch eine Stufe hoher wird der Auf trag (Mission) fur den einzelnen beziehungsweise eine Abteilung in den Mittelpunkt gestellt, in dessen Rahmen sich der einzelne oder die Abteilung weiterentwickelt und neue Ergebnisse produziert, die besser sind, als es sich die Organisation beziehungsweise der Vorge­setzte vorher ausdenken konnen - Expertise entwickelt sich. Die Rolle des Managers wird zu einer "Coach-Rolle", er wird zunehmend helfen, fur den Auf trag (Mission) alle notigen Ressourcen und Unterstutzung zu geben. Er wird Berater, und er wird immer weniger eingreifen.

34 Vision und Wandel

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Page 33: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

SchlieRlich ist die Stufe der hochsten Befahigung die, daR jeder seine Rolle als Teil des Ganzen nahezu "blind" versteht und diese Rolle voll als aktiven Teil der Organisation einbringt, urn im Zusammenspiel mit anderen die Organisation zu entwik­keln. Das heiRt, immer auch alle Vorstufen und deren niitzliche Techniken (Zielsetzung, Strategien usw.) zu beherzigen und zu beherrschen. In dieser Rolle identifiziert, wird jeder einzelne, jedes Team und jede Abteilung ihren maximalen Beitrag zum Gesamten leisten. Der "Chef" ist dabei ein Vorbild und Mentor. Die Rolleninhaber sind sich selbststeuernde Einheiten, die am besten wissen, welchen Weg sie zu nehmen haben, urn den Erfolg des Unternehmens zu sichern.

Aus dieser Vision leitet sich der Auf trag und die Rolle der Teile abo Wie das Wasser, das sich selbst steuert, indem es den Weg ins Tal findet, so braucht die Vision auch Mechanismen, die diese Steuerung bewirken. Wie die Schwerkraft das Wasser ins Tal zieht, konnen Interessenparallelitaten zwischen Unterneh­mensvision und handelnden Einheiten steuern, damit die Vision bestens umgesetzt wird (zum Beispiel Profit-Center­Strukturen, Leistungs-Center, Anreizsysteme). Durch die Selbststeuerung werden die jeweils besten Losungen gefunden, wie auch das Wasser urn Steine herumflieRt oder sich so lange sam melt, bis es den Widerstand iiberwindet. Visionare Fiih­rung heiRt dann, Energien zu biindeln und flexibel auf die Vision zu richten.

Die Vision als VeranderungsprozeB

Die Vision ist Herausforderung, sie ist positiv und attraktiv, und sie ist wohlgeformt. Sie wird von einigen sofort angenom­men, andere haben Schwierigkeiten und auRern diese. Die meisten Menschen glauben an die Notwendigkeit der Veran­derung, wollen sich aber selbst so wenig wie moglich veran-

36 Vision und Wandel

Page 34: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

dern, sie wollen auch ihre unmittelbare Organisation, ihrenJob und alles, was daran hangt, kaum verandern. Auf diese Mehr­heit muB sich der VeranderungsprozeB einstellen. Sie werden dabei auf die kleine Minderheit, die sich nicht mehr verandern laBt, "verzichten".

Ihre Vision wird Teile beinhalten, die von vielen als Prinzip angenommen werden kann, zum Beispiel Unternehmertum zu schaffen, zu belohnen und zu verbreiten. Unternehmerisches Handeln mit Ergebnisorientierung und zum Beispiel erfolgsab­hangiger Entlohnung ruft aber sofort Angste, Schocks, Wider­stande usw. hervor, die zu bewaltigen sind, wenn das Prinzip nicht nur als theoretische Idee oder als abstrakter Wert existie­ren sollen. Urn den Wert in Verhaltenspraktiken und Alltags­routinen umzusetzen, werden Sie die Veranderung mit allen Konsequenzen managen, mit neuen Rahmenbedingungen, neuen System en, neuen Anreizen, neuen Strukturen, neuen Rollendefinitionen usw. Was nicht neu ist, sind die Menschen. Damit diese mitschwingen, werden sie durch den Verande­rungsprozeB gefiihrt, der sich anhand des "FRAKTAL"-Mo­delles erklaren laBt (Abbildung).

Veranderungen sind Entwicklungen unterschiedlicher Kompe­tenzwahrnehmungen. Sie werden zum Beispiel Menschen, die sich selbst iiberschatzen, eher zu Veranderungen bringen als solche, die sich eher unterschatzen. Die Wahrnehmung der eigenen Kompetenz schwankt im VeranderungsprozeB, und die Sicherheit in der alten Jobsituation ist in der Regel auch ein gutes Kompetenzgefiihl (Start).

1. Das BewuBtmachen der Veranderung, zum Beispiel als Unternehmer zu handeln, lost im ersten Moment eine Verwirrung, Oberraschung oder gar Schock aus: "Das kann ich nicht." Die Personen sind eingeengt und wie gelahmt. Hier wird F = Flexibilisierung notig, wofiir verschiedene Moglichkeiten bestehen: Zeit, Bewegung, Pro­gramm un terbrech ung.

Die Vision als VeranderungsprozeB 37

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Page 36: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

2. Aus diesem Zustand heraus steigt die eigene Kompetenz­einschatzung wieder, und es folgt die Phase der Vernei­nung: ,,Mit mir nicht, die brauchen keine Unternehmer, die brauchen Fachleute". Urn diese Haltung aufzubrechen, die in der Regel problem- und vergangenheitsorientiert ist, wird der ProzeBberater neue Perspektiven erlauben, neue Bezugsrahmen setzen usw. R = Reframing.

3. Das ermoglicht es, sich zunehmend rational mit der Ver­anderung zu beschaftigen, ohne daB sie dadurch angenom­men ware: Diese Auseinandersetzung wird unterstiitzt durch A = Als-ob-Szenarien und neue Rahmen, in denen die Veranderung Sinn macht, wie zum Beispiel Unterneh­mertum in einem neuen Kontext.

4. Das neue Verstandnis geht mit Kompetenzverlusten einher, die noch starker im Punkt der emotionalen Akzeptanz abfallen. Die K = Konfrontation mit der Realitat ist auch eine Kapitulation der alten Kompetenz und eine Art Neu­anfang. Wenn es nicht dazu kommt, besteht die Wahr­scheinlichkeit eines Kreislaufs, der immer wieder bei der Verneinung endet. Wenn die Veranderung emotional ak­zeptiert ist, kann neue Kompetenz entwickelt werden. In dieser Phase der geringsten eigenen Kompetenzgefiihle lehnen sich die Betroffenen gerne an: ,,Der starke Mann", wird gesucht, der sich (noch mal) hinstellt und zum Beispiel sagt: "Wir wollen Unternehmertum so und so realisieren. Es gibt dazu keine Alternative usw."

5. Danach kann die alte Kompetenz genutzt werden, urn neue Kompetenz aufzubauen. Gedanken- und Realversuche werden gemacht, mit Fehlern oder Fehlversuchen. Neue Chancen werden gesehen und das Lernen beginnt - eine regelrechte Probierphase, in der Testen erlaubt sein muB, in der Fehler in Feedback und Lernchancen transformiert werden. Wenn Ihre Vision verandern soll, braucht sie eine T = Tolerante Fehlerkultur.

Die Vision als VeranderungsprozeB 39

Page 37: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

6. In dem MaBe, in dem sich neue Kompetenz aufbaut, erfolgstragende Elemente der alten Eihigkeiten, Struktu­ren, Systemen usw. verbindet und neue Ergebnisse und Erfolge produziert, wird das neue JobbewuBtsein steig en, Kompetenz und Wahrnehmung werden hoher sein als vor der Veranderung, denn der ProzeB beinhaltet Lernen, Aus­probieren, neue Erkenntnisse, einen Schritt in eine neue Kultur, neue Umwelt, neue Jobsituation, wie zum Beispiel die des "Intrapreneurs", des internen Unternehmers. Dies gilt es zu A = Ankern und zu integrieren und damit yom Modellverhalten zum Routineverhalten umzusetzen.

7. Hinter allem steht die Vision als L = Lockendes Ziel, auf das sich der ganze VeranderungsprozeB zu bewegt. Dabei ist der Wert "Unternehmertum" weniger der visionare Anreiz, sondern ein Mechanismus beziehungsweise ein Instrument, zum Beispiel Erster zu sein, soziale Verantwor­tung zu zeigen oder Hochstleistungen zu erbringen.

Das FRAKTAL-Modell wird nicht in einem Schritt umgesetzt. Die Zeitraume fUr die Veranderung sind bei den einzelnen Menschen und Abteilungen unterschiedlich. Das Tempo kann aber durch eine systematische Unterstutzung des Verande­rungsprozesses beschleunigt werden. Und darauf kommt es heute an. Darauf zu vertrauen, daB eine gute Vision Wandel von alleine erzeugt, kann ein groBer Fehler sein. Das Tempo des Wandels braucht das Zusammenspiel vieler Elemente und insbesondere das Engagement des Top-Managements. (Fur eine detaillierte Darstellung siehe Seite 163ff.)

Vision als integrierter UnternehmensprozeB

Wenn Sie Ihre Vision etablieren wollen, dann seien Sie versi­chert, daB es bei einer Vision nicht bleibt, sondern daB der VisionsprozeB ein dauernder sein wird. Ais vor ca. 20 Jahren

40 Vision und Wandel

Page 38: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Unternehmen begannen, ihre "Strategien" zu formulieren, wurden Strategien nicht nur einmal entwickelt, sondern als Methode eingefuhrt, die sinnvolle (und uberflussige) Planungen und Veranderungen bewirkte. Was in manchen Unternehmen als "Projekt" gedacht war, wurde zu einem ProzeR der Unter­nehmenssteuerung mit komplizierter Methodik. Man machte aber auch den Grundfehler, diesen ProzeR separaten Strategie­abteilungen zu ubertragen. Inzwischen wurden Strategien viel­fach in die operativen Einheiten ruckintegriert, wo sie auch hingehoren.

Wahrscheinlich geht das mit Visionen einfacher. Vision en sind auch Prozesse, aber nur die Betroffenen selbst konnen sie umsetzen. Niemand ist in der Lage, eine Vision fur einen anderen zu haben. Er kann einen Text, eine Idee dazu, aber nicht die Vision ,,haben".

Visionen sind also Prozesse im Unternehmen und in Teilen des Unternehmens. Die gemeinsame Vision erwachst aus einem komplexen ProzeR von einzelnen Puzzles, die gemeinsam verbunden sind, aIle unterschiedliche Bedeutungen und Inhalte haben und doch uber gemeinsame Identitatsaussagen und Werte verfugen. SoIehe gemeinsamen Visionsprozesse konnen in einem Visionsforum dramatisiert werden. Die Grundstruk­tur ist variabel. Ein Beispiel ist in der Abbildung Seite 42 skizziert. Es geht darum zu erleben, daR aIle und jeder mitzie­hen. Eine soIehe ,,Demonstration" kann insbesondere bei starken Veranderungen sehr hilfreich sein und das Tempo erheblich beschleunigen.

Die Vision setzt sich uber eine Hierarchie von logischen Ebenen in Handeln urn (Abbildung Seite 43). Die Identatsaus­sage und -vorstellung fur das zukunftige Unternehmen macht nur Sinn, wenn dieUmwelt eine soIehe Identitat erlaubt. Dieser Rahmen wird durch soziookonomische Bedingungen, durch die Struktur des lokalen Umfeldes (Gemeinde, Nachbarschaf­ten), durch die Gesetze des Marktes (Wettbewerber, Kunden) usw. gesetzt. Deshalb finden Sie auch in den meisten Visions-

Vision als integrierter UnternehmensprozeB 41

Page 39: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

statements Beziige zur Gesellschaft, zum Kunden und zum Wettbewerb: Wir sind ein Unternehmen, das sich fur die natiirlichen Ressourcen verantwortlich fuhlt.

Shop 1 Shop 17 Shop 16 Shop 15

V '\

Shop 2 Plenum Shop 14

1. Das Management zeigt sein Commit-ment zur Vision durch seine Visions-prasentation, Fakten, Veranderungen,

Shop 3 Signale. Shop 13

2. Organisationseinheiten prasentieren ihre Mission in individuellen Shops.

Eingang Shop 12 3. Die Teilnehmer wandern umher und

informieren sich (1.Runde).

Cafeteria 4. Familiengruppen entwickeln Ziele und Shop 11 Ma~nahmen (2. Runde).

5. Die Ergebnisse werden in Poster-Sessions vorgestellt. Shop 10

6. Pinnwande nehmen Anderungs- und

'- Erganzungswunsche auf (Proze~- / instruktion im Plenum).

Shop 4 Plenum Shop 9

Shop 5 Shop6 Shop7 Shop 8

Oas Visions forum

42 Vision und Wandel

Page 40: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Wir sind Teil von

-----Wir sind < Vision'

0 Wirwollen ~

Mission

----- 0 Fahigkeiten

Verhaltenspraktiken

Wir konnen ~ Strategie

~ (>

Wir tun --- Handeln

vIsion und loglsche Ebenen

Die Identitatsvorstellungen, also das, was Sie "sein" wollen, werden in diesem Rahmen ausgedruckt. Sie beziehen sich auf alles, was Sie sich erlauben, beziehungsweise wozu Sie sich in Ihrem Selbstverstandnis eine Chance geben wollen. Das sind Sie, und das macht Sie attraktiv und dahin wollen Sie sich entwickeln:

"Wir sind ein Unternehmen, in dem zu arbeiten Freiraum, SpatS und Verantwortung bedeutet."

"Wir sind ein Unternehmen, das Unternehmertum als hoch­sten Wert verwirklicht."

Daraus leiten sich Glaubenssatze und Werte abo Sie beziehen sich auf alles, was Sie und Ihre Mitarbeiter glauben oder glauben sollen, es sind Prinzipien und Motivationen fur die Orientierung der notwendigen auszubildenden Fahigkeiten und Verhaltenspraktiken.

Vision als integrierter UnternehmensprozeB 43

Page 41: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Wie das im einzelnen in den Bereichen oder Abteilungen funktionieren so11, ist in den Missionen, den Auftragen der einzelnen Einheiten, konkretisiert.

Die Werte setzen sich urn in Fahigkeiten. Unternehmertum erfordert zum Beispiel Benchmarking, Profit-Center-Manage­ment, Risikobereitschaft, Erfolgsorientierung. Solche Fahigkei­ten sind nicht apriori verbreitet. Sie muss en insbesondere bei noch spezialisierter Arbeitsteilung regelrecht trainiert werden. Der Wert "Teamarbeit" ubersetzt sich in Kooperationsfahigkeit, Hierarchieabbau, Toleranz, interdiziplinare Teamstrukturen, Vertrauen etc.

A11e diese Fahigkeiten mussen erworben sein, bevor sie sich im Verhalten umsetzen konnen. Und auch hier bedeutet jedes einzelne Verhalten einer einzelnen Person zum gleichen Grund­prinzip etwas anderes als das einer anderen Person. Zum Beispiel wird der Hubschrauberpilot des Vorstandes eine an­dere "Fehler"toleranz haben als der Forscher, der ,,Fehl"versu­che braucht, urn Ergebnisse zu finden (Abbildung Seite 45).

So versteht sich der VisionsprozefS als ein Unternehmenspro­zefS der Angleichung der logischen Ebenen, bei unterschiedli­cher inhaltlicher Auspragung. In diesem ProzefS nehmen alle ihre Rolle ein: Die wichtigste ist die des Top-Managements.

Der MafSstab fur die Umsetzung und Weiterentwicklung, also Wirksamkeit einer Vision, ist die Kongruenz zwischen Vision und Wirklichkeit - oder auf dem Wege dahin: zwischen Vision und Weg.

Eines der grofSten Probleme ist die Inkongruenz im Verhalten des Top-Managements. Sie aufSert sich in vielen Formen wie zum Beispiel darin, dafS das, was jemand sagt, mit dem, was er tut, nicht ubereinstimmt. Oder, was er sagt und wie er es sagt, ist nicht stimmig. Oder die Rahmenbedingungen fur Unternehmertum mussen geandert werden, sie werden es aber nicht. Gleichzeitig fordert die Fuhrungsspitze "unternehmeri­sches Verhalten". Solche Widerspruche, oft unbewufSt, schaf-

44 Vision und Wandel

Page 42: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

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Page 43: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

fen Glaubwiirdigkeitsprobleme und konnen zu einer Vertrau­enskrise fiihren. Deshalb erfordert jeder VisionsprozeB viel Klarheit, deutliche und eindeutige Signale und Vorbildverhal­ten.

Immer wenn Inkongruenzen - nicht nur im Top-Management - auftreten, immer dann, wenn die logischen Ebenen nicht in Einklang gebracht sind, wird der VisionsprozeB gestort und die Funktion der Entwicklung der Unternehmensidentiat un­terbrochen beziehungsweise konterkariert.

Vision und ProzeBberatung

Vision en entstanden, entstehen und setzen sich urn. Ohne sie ist kein Unternehmen groB und erfolgreich geworden. Also warum jetzt den ProzeB? Dafiir gibt es einige gute Griinde:

Visionen heute haben eine andere Bedeutung als Visionen friiher. Sie sollen das Unternehmen steuern, wenn die biirokratisch autoritaren Fiihrungsinstrumente weniger niitzlich sind.

Visionen heute sollen wie friiher verandern, aber das Entscheidende ist, daB diese Veranderungen nicht nur schneller zu geschehen haben als friiher, sondern vie! schneller.

Visionen sind gemeinsame Bezugssysteme fiir alles unter­schiedliche Handeln. Sie stellen Vorbildstrukturen und normative Orientierungen dar, an denen alle gem essen werden.

Das bedeutet aber nicht mehr Visionen einzelner Unterneh­mer, sondern gemeinsame Visionen aller fiir Transformations­prozesse ganzer Unternehmen (Abbildung).

46 Vision und Wandel

Page 44: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

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Leader Treiber (e_.) • VolOild VOollil<l8, . Treiber , . lielo VOrgesetzie - Modetatoron - VisionspcozaB

~ Meinungstohrer • Foedback·N.lz""r1<

~ t / MeinungsKlhnu Gemelnsame Vision Meinunosf.lh,er

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Vorgus~zr8 FORUM " All. macnon mlr"

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Ob.r.ougo, t.4einungstUhrer Umselzer VoIOi1d&r • VOf Ort VISIon • _ t . WortolGlaubon VOfg8selzie

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· Ve,_ooon vo, Ort

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'" Die Vision gilt uberall und fur jeden

Dabei konnen Veranderungscoachs und ProzeRberater

1. den gesamten VisionsprozeR planen und steuern,

2. die einzelnen Schritte begleiten, Workshops moderieren,

3. die Veranderungen coachen,

4. neue Werte und Verhaltenspraktiken trainieren (keine m­haltlichen Trainings),

5. den einzelnen Unternehmenseinheiten bei der Umsetzung helfen,

6. Multiplikatoren als Visionschampions ausbilden und deren Programm moderieren etc.

Vision als integrierter UnternehmensprozeB 47

Page 45: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Solche ProzeRberater brauchen eine Ausbildung als Verande­rungscoachs. Dafur gibt es keine allgemeingultigen Standards.

Winner's Edge hat folgende Anforderungen fur ProzeRberater von Visions- und anderen Veranderungsprozessen erstellt:

1. a) Abgeschlossenes Hochschulstudium und mindestens funf oder b) zehn Jahre Fuhrungserfahrung.

2. Dber 500 Trainings- und Coaching-Tage als Berater.

3. NLP-Ausbildung mindestens als Master und als NLP-Trai­ner (Dauer ca. drei Jahre, ca. 450 Stunden Training plus Co-Tatigkeit in der Praxis).

4. Nachgewiesene jahrliche Up-dates in Spezialdisziplinen wie NLP, Business Reengineering, ProzeRberatung, Verande­rungscoaching, Personlichkeitstraining etc.

5. Teilnahme an mindestens zehn unterschiedlichen Verande­rungsprojekten in verschiedenen Unternehmen.

48 Vision und Wandel

Page 46: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

2 LEDA und der Sinn

T

Josef Schmelzer

Der Klimawandel

empora mutantur et nos mutamur in illis - die Zeiten iindern sich, und wir iindern uns in ihnen. 1st das so? Tun wir das? Und tun wir das schnell genug?

Die Unternehmen gestalten sich urn. Lean Production, Lean Management, Kaizen, Kontinuierlicher VeriinderungsprozeR, Total Quality Management, Total Quality Control, Seven Zero Program, Reengineering ... Warum das alles? Warum das alles gerade jetzt und nicht schon viele Jahre friiher?

Warum werden gerade jetzt alte Tabus durch neue ersetzt oder ganz abgeschafft? Warum werden gerade jetzt neue Manager­typen in die Vorstandsetagen gehievt und sind dort erfolgreich? Hat die weiche Wertewelle endgiiltig allen die Hirne aufge­weicht und gewaschen?

Stehen wir an der Schwelle einer neuen Ara, oder sind wir Zeugen des kollektiven Managementwahnsinns?

Innovationsdynamik

"Der einzig richtige Weg, mit der Zeitfrage umzugehen, besteht darin, entschlossen nach vorn zu blicken" (Faith Popcorn, Der Popcorn-Report, 1991).

Dieser banal klingende Satz enthiilt eine wichtige Botschaft: Die zentrale Orientierung ist nicht die nach gestern, sondern die nach morgen. Je turbulenter die Miirkte und Umwelten

Vorwort 49

Page 47: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

sich verandern, urn so wichtiger sind Gedanken dariiber, was morgen sein wird. Und urn so weniger niitzlich sind Betrach­tungen dariiber, wie gut es doch vorgestern war.

So, wie es war, wird es nie wieder werden. 1m Gegenteil.

"Du muRt so schnelllaufen, wie du kannst, urn zu bleiben, wo du bist. Willst du woandershin, muRt du mindestens doppelt so schnelllaufen" (Alice im Wunderland).

Der Wandel hat manche Freunde und viele Feinde im Unter­nehmen. Jeder, der etwas zu verlieren hat, ist ein potentieller Feind des Wandels. Erfolgsentscheidend ist daher, denen, die etwas zu verlieren haben, eine Perspektive zu geben fiir das, was sie gewinnen konnen.

Weiche Faktoren steuern harte Faktoren

,,Mit heiRer Luft kann man kein Auto betreiben oder gar schneller machen." Das war gangige Meinung vieler Automo­bilexperten. Bis zur Erfindung des Turboladers.

1m Unternehmenskontext werden die "weichen Faktoren" manchmal als ,,heiRe Luft" bezeichnet. Das ist dann abfallig gemeint und will sagen, daR jedenfalls kein greifbarer Unter­nehmensnutzen daraus resultieren wird.

Nun mag es Beispiele geben, in denen weiche Faktoren wie die Entwicklung einer Vision, eines guten Betriebsklimas, einer Kultur von Vertrauen und Befahigung etc. nicht zu den gewiinschten Resultaten fiihrte. So hat zum Beispiel die briti­sche Firma Jaguar ein Jahr, bevor sie beinahe pleite war, einen Preis fiir besonders gutes Betriebsklima erhalten.

Auch hier kann der Vergleich mit dem Turbolader helfen: Dieser muR richtig konstruiert, sachgerecht dimensioniert und an der richtigen Stelle eingebaut werden. Sonst niitzt er nichts oder kann sogar schaden.

50 LEDA und der Sinn

Page 48: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Einer der wichtigsten weichen Faktoren ist ein Klima von Ernstgenommenwerden, Befahigung und Befugnis. Viele Un­ternehmen haben die produktiven Energien ihrer Mitarbeiter reduziert, abgetotet und umgelenkt, indem sie den Mitarbei­tern das Gefiihl von Wertlosigkeit, Fremdbestimmung und Abhangigkeit vermitteln.

Erwachsene Menschen diirfen, nachdem sie das Werkstor passiert haben, iiber einfache Dinge wie die Anschaffung von griinen Filzstiften oder die Beschaffung eines bestimmten Taschenrechners nicht entscheiden. Das machen Experten, die dafiir "zustiindig" sind. So wird die Beschaffung eines 30-DM­Artikels zu einem Vorgang, der 50 DM Kosten verursacht. U nd am Ende hat das U nternehmen einen Filzstift oder Taschenrechner beschafft, der gerade nicht den Vorlieben oder Anforderungen vor Ort entspricht.

Dieser weiche Faktor entscheidet iiber Einsatz oder Lethargie. "Wenn die da oben so klug sind, dann laR sie doch machen." BewuRte oder unbewuRte MiRachtung provoziert Ablehnung und den bewuRten oder unbewuRten Wunsch des Scheiterns eines Projektes. ,,Die werden schon noch sehen, was sie davon haben."

Die Vision als Fuhrungsinstrument

Die U nternehmensvision ist das Wunschbild der zukiinftigen Identitat des Unternehmens.

Idealziel ist, daR aIle im Unternehmen die Vision teilen.

,,Aber das geht doch gar nicht. Es ware doch fatal, wenn aIle eine gemeinsame Vision hatten. Die Verkaufer, die Revisoren, die Forscher, die Techniker usw. - aIle haben doch andere Funktionen und brauchen demzufolge doch eine andere Vi­sion! ?"

Die Vision als FOhrungsinstrument 51

Page 49: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Eine gemeinsam getragene und verinnerlichte Vision wirkt fur den Firmenkorper wie ein genetischer Code fur einen Orga­msmus.

Alle Zellen Ihres Korpers haben unterschiedliche Funktionen - und doch haben alle Zellen exakt den gleichen genetischen Code!

Die linke Nasenflugelzelle und die Leberzelle zum Beispiel unterscheiden sich stark voneinander in ihrer Funktion, und beide gemeinsam unterscheiden sich von der Netzhautzelle Ihres rechten Auges. Aber ihre Betriebsanweisungen, ihre Visionsengramme, ihr chemischer genetischer Code, sind ex­akt identisch.

"Das kann nicht sein, ich finde das sehr unglaubhaft. Wie solI das moglich sein!?"

Die Leberzelle "weiR", daR sie keine Nasenfliigelzelle und keine Netzhautzelle ist. Und sie "arbeitet" diejenigen Instruktionen ab (liest und interpretiert), die fur sie relevant sind.

Urn ein altes mythisches Bild zu benutzen: 1m genetischen Code der Raupe ist bereits die "Vision" des zukunftigen Schmetterlings enthalten. Der genetische Code ist so umfas­send, daR er sogar den Wandel und die Fortentwicklung der Funktionen einzelner Zellen und Zellverbande einschlieRt.

In der Natur hat es lange Zeitraume und ungezahlte Fehlver­suche bedeutet, den Transformationscode von der Raupe zum Schmetterling zu schreiben, und er entstand vermutlich parallel zur Entwicklung des Codes, der die Zielgestalt des Schmetter­lings optimiert. 1m Unternehmensalltag haben wir nicht soviel Zeit (und wir wollen auch nicht verschwenderisch mit der Moglichkeit von Fehlversuchen umgehen). Daher gehen wir dort zweistufig vor: 1m ersten Schritt wird die Vision als Wunschbild der zukunftigen Identitat des Unternehmens ent­wickelt. 1m zweiten Schritt wird der Code fur die Transforma­tion yom Ist-Zustand zur Vision hin entwickelt.

52 LEDA und der Sinn

Page 50: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Wie solI es moglich sein, daB die Vision gemeinsam getragen wird? Wir sind doch alle Individualisten mit den unterschied­lichsten Vorstellungen. Gerade in unserer europaischen Kultur spielt das Individuum eine so herausragende Rolle, daB eine gemeinsam getragene Vision eine Illusion ist und bleiben wird!?

Wenn jeder im U nternehmen dieses in eine andere Richtung entwickeln will, dann ist es wahrscheinlich, daB dieses Unter­nehmen sich unterproportional entwickelt und von anderen iiberfliigelt wird. Gerade dann, wenn ein solcher Zustand vorherrschen sollte, dann ist der Einsatz von Vision als Fiih­rungsinstrument besonders wichtig und niitzlich.

Natiirlich sind Individualismus und personliche Freiheitsgrade wichtig. Aber auf der Basis eines gemeinsamen Verstandnisses! Nur auf einer solchen Plattform konnen gemeinschaftliche Wohlfahrt und individuelle Freiheit gleichzeitig gedeihen.

Je mehr die Kultivierung einer gemeinschaftlichen Plattform vernachlassigt oder durch das Handeln der Fiihrenden konter­kariert wird, urn so eher werden die Gemeinschaft und die Freiheit zerfallen.

Das beste Mittel, dafiir zu sorgen, daB eine Vision von einer ganzen Organisation gemeinschaftlich getragen wird, ist - die ganze Organisation diese Vision gemeinschaftlich entwickeln zu lassen! Das ist ein ProzeB, in dem man viele Fehler machen kann, der also Know-how erfordert. Aber es lohnt sich.

Immer mehr Unternehmen unterziehen sich einem ProzeB der Umwandlung, und viele Fiihrende sprechen dabei von Vision. Gibt es dazu einen besonderen Grund?

Die Umwelten und Markte verandern sich immer schneller. Die klassischen Strukturen von Unternehmensorganisation, wie sie in einigen alten Lehrbiichern zu finden sind, reichen immer weniger aus. Daher werden Gestaltungsinstrumente gesucht, urn U nternehmen beweglicher und damit iiberlebens-

Die Vision als Flihrungsinstrument 53

Page 51: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

tauglicher zu machen. U nd das hat schon etwas von dem Bild an sich, eine eher trage Raupe zu einem beweglichen und flugtauglichen Schmetterling zu machen.

Ein wichtiges Prinzip, welches ganz einfach einzusehen ist, verdient, in den zukiinftigen Lehrbiichern eine prominentere Rolle einzunehmen. Wir nennen dieses Prinzip das LEDA-Prin­zip:

1. Die klassische gestaffelte Hierarchie ist ein gutes Instru­ment fiir stabile Umwelten. Dieses Instrument kostet zwar Zeit, weil Entscheidungen lange Hierarchiewege zuriickle­gen miissen, aber dafiir optimiert es, wenn es richtig verwendet wird, die Qualitat der Entscheidungen. Wer mehr und besseres Wissen hat, steht in der Hierarchie oben. Dort kontrolliert er, daR keine Fehler gemacht werden. Das hierarchische Unternehmen ist also eine Feh­lervermeidungsinstitution (siehe Buchner/Schmelzer ,,N etz­werk").

2. Je schneller sich eine Umwelt verandert, urn so schneller wird vorhandenes Wissen obsolet. Es kann nutzlos werden - oder sogar zu einer Gefahr, wenn man sich zu fest an das iiberholte Wissen klammert. Je schneller sich eine Umwelt verandert, urn so wichtiger also wird Lerndynamik (= Geschwindigkeit in der Aufnahme und Umsetzung von neuem aktuellen Wissen). Lerndynamik erfordert nicht nur Lernen, sondem auch Verlernen.

3. Die Umwelt ist immer dynamischer (und gleichzeitig ver­netzter und komplexer) geworden. Also miissen die Un­ternehmen schneller werden.

4. Da klassische Hierarchien Entscheidungen verzogem (und zugleich das Spiegeln von Komplexitat behindern konnen), ist heute der Abbau von Hierarchien sinnvoll.

So kann der einzelne im Unternehmen und damit das Unter­nehmen insgesamt schneller lemen.

54 LEDA und der Sinn

Page 52: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Das LEDA-Prinzip sagt also: LErnen Durch Abbau von Hier­archien.

Wir kennen es iibrigens auch aus der Tierwelt: Je hoher ein Lebewesen entwickelt ist, je komplexer und situativer es reagieren muR, urn so mehr ist sein Verhalten nicht mehr zwangsgesteuert (instinktgesteuert), sondern lerngesteuert.

Erst die Zuriicknahme des Instinktzwangs macht dies moglich. Nicht mehr das Kommando ist im Alltag dominierend, son­dern die gelernte Einsicht (die selbstverstandlich beim Tier etwas anderes bedeutet als beim Menschen).

Mission als Fuhrungsinstrument

Die Menschen verfiigen von Urzeiten her iiber effektive Pro­gramme der Gruppenorganisation. Ais wir noch jagend und sammelnd durch die Steppe streiften, haben wir uns schon sozial organisiert und konnten nur so iiberleben. Das ist so stark einprogrammiert, daR die Verbannung - der AusschluR aus der Gruppe - als die harteste Strafe galt.

Fiir die friihen Sippen schon war die sachgerechte Organisa­tion ein Oberlebenskriterium. Diejenigen, die am ausfiihrlich­sten ihre Krafte in unproduktive Debatten investierten, haben sich weniger effektiv fortgepflanzt - und sind nicht unsere Vorfahren geworden, sondern Reprasentanten ausgestorbener Seitenaste der Evolution.

Ebenfalls von Urzeiten her ist den Menschen ein Streben nach Sinn zu eigen. My then, die Sinn und Ewigkeit miteinander verbinden, finden sich rund urn den Erdball. Verbindender Trager von Sinn und Ewigkeit war und ist durchweg die Gruppe, die Familie, die Gemeinschaft.

Mission als FOhrungsinstrument 55

Page 53: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Der Sinn grundete sich in Werten, die das Leben der Gemein­schaft bestimmten. Fur den Menschen war das Leben ein Ganzes, eine Einheit. Ob er jagte, zeugte, kampfte - er lebte. Und er tat es im Kontext des Sinns, der ihm von der Gruppe, den Eltern, den Magiern vermittelt war. Er tat es vielleicht im Kontext seiner Identitat, zu der er sich im Rahmen eines Initiationsrituals entschieden hatte.

In entwicklungsgeschichtlich jungster Zeit haben die Men­schen in ihrem BewuBtsein das Leben aufgespalten in ein Erwerbs- und ein Privatleben. Zum Teil benutzen sie diese Spaltung auch, urn in dem Erwerbsleben gegen Werte verstoB­en zu durfen, die sie im Privatleben ("im eigentlichen Leben") nicht verletzen wurden.

Diese Aufspaltung fuhrt oft dazu, daB die Berufstatigkeit mit reduzierter Energie angegangen wird. Wem Verantwortung weggenommen wird, der handelt leicht verantwortungslos. Das wird man ihm kaum zum Vorwurf machen durfen.

Fremdbestimmtes Handeln, Handeln ohne einsehbaren Sinn, Handeln gegen eigene Werte - das macht die Seele rauh und leer. Der Mensch wird leicht zum Zyniker.

Sinn sucht er in Tatigkeiten nach Feierabend. Dort lebt er sein naturliches Bedurfnis nach Sinn und GroBe aus - wenn er es nicht verkommen laBt.

Der Mensch, der seinen Arbeitsalltag als fremdbestimmt und frustrationsbeladen erlebt, hat ein Ziel: moglichst wenig davon - und moglichst viel dafur bekommen.

Anders ist es, wenn das LEDA-Prinzip greift und mit dem zeitgemaBen Pendant urzeitlicher Rituale erganzt worden ist. Wenn in einem Unternehmen jeder Mitarbeiter auf Anhieb und ohne langes Nachdenken sagen kann, wie er durch seine Tatigkeit zur Sinnerfullung seines Lebens und zum Wohlerge­hen der Enkelgeneration beitragt und wie er selbst diese

56 LEDA und der Sinn

Page 54: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Tatigkeit steuert, dann sind Sie auf ein noch seltenes Exemplar von Unternehmen gestoRen.

Die Mission sagt, wozu das Unternehmen da ist -und welchen Beitrag ich dazu leiste.

Sozioethik als gesellschaftliches FOhrungsinstrument

Was immer ein Unternehmen wollen mag - es sollte in den Kontext des sen passen, was die Gesellschaft von einem Un­ternehmen dieser Art erwartet.

Wenn das erfiillt ist, dann kann ich als Mitarbeiter des Unter­nehmens mich nicht nur dazu bekennen, ich kann und werde stolz darauf sein.

Wenn das erfiillt ist, wird das Unternehmen vom Rest der Gesellschaft nicht als schadliches "Fremdgewebe" abgestoRen und bekampft, sondern das Unternehmen wird im Gesell­schaftskorper positiv verankert.

Das LEDA-Prinzip wird die gesamte Belegschaft in diesen ProzeR der gesellschaftlichen Verankerung integrieren und so auch den starks ten Effekt sichern.

Was tue ich jetzt?

Urn diesen Rahmen Wirklichkeit werden zu lassen, beginnen Sie wie immer mit dem ersten Schritt. U nd da haben Sie die Wahl.

Zum einen konnen Sie einen VisionsprozeR initiieren, in dem das Management und die Belegschaft iiber die zukiinftige

Was tue ich jetzt? 57

Page 55: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Identitat des Unternehmens nachdenken (wie das in Deutsch­land schon etliche Unternehmen erfolgreich getan haben). Aus dieser Vision als gemeinsamem Entwurf werden dann spezifi­sche Maximen (Mission) der einzelnen Bereiche von den Betroffenen entwickelt. Diese erganzen sich im Unternehmen zu einer Leitlinie, die insgesamt zielfiihrend in bezug auf die Vision ist.

Zum zweiten konnen Sie mit einer Zukunftskonferenz starten, die mit einem kurzfristigeren Initialcharakter die geistigen Energien im Unternehmen weckt und fokussiert.

Zum dritten konnen Sie ein Megatrend-Labor einrichten, das Sie und Ihr Management in die Stromungen der Zukunftsent­wicklung eintauchen laRt.

Zum vierten konnen Sie behutsamer starten mit einer Unter­suchung, die die Position Ihres Unternehmens im gesellschaft­lichen Wandel beschreibt - aus der Innen- wie der AuRenper­spektive.

Das ist nur eine kleine Auswahl. Wichtig ist, daR Sie beginnen.

Der erste Schritt sollte, wie auch der GesamtprozeR, auf die spezifische Situation Ihres Unternehmens, seine Geschichte, die Mentalitat der Mitarbeiter und auf die existierenden Kul­turen zugeschnitten sein.

Packen Sie die Zukunft an - denn Sie werden den Rest Ihres Lebens in ihr verbringen!

58 LEDA und der Sinn

Page 56: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

3 Vision und lernende Organisation

v Norbert Homma

iele Unternehmen stehen heute vor der Frage: Wie konnen wir uns den veranderten Marktbedingungen schnell und effektiv anpassen? Oder anders ausge­

driickt: Wie muR unser Unternehmen strukturiert sein, urn ein HochstmaR an Qualitat, Kundennahe und Reaktionsschnellig­keit im Markt zu erzielen?

In diesem Zusammenhang ist viel von der "lernenden Orga­nisation" die Rede. Sie ist gleichsam zum Synonym fiir eine effektive Nutzung von Informationen und Know-how gewor­den. Doch der Alltag der Unternehmen sieht in der Regel (noch) ganz anders aus. Viele tun sich nach wie vor schwer bei der Anpassung an die Erfordernisse des Marktes.

Peter M. Senge, einer der erfahrensten Experten auf dem Gebiet der Lernenden Organisation, nennt dafiir eine Reihe von Ursachen:

Ausschlief5liche Identifikation mit der Position im Unterneh­men Mitarbeiter definieren sich primar iiber die Art ihrer Tatig­keit im Unternehmen. Diese verkiirzte Sichtweise fiihrt dazu, daR Unternehmensaktivitaten ausschlieRlich aus dem Blickwinkel der eigenen Position gesehen werden und iibergeordnete Zusammenhange unberiicksichtigt bleiben.

Die anderen sind der Feind Wer sich stark iiber seine Position definiert, tendiert haufig im Falle von MiRerfolgen dazu, den "anderen" die Schuld zu geben. Fiir diese Form von Selbstverstandnis ist es ganz natiirlich, die anderen als "Feinde" zu erleben.

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Die Illusion, dap Angriff die beste Verteidigung ist Man glaubt den wirtschaftlichen Gegner dadurch bezwin­gen zu konnen, daB man seine bisherigen Aktivitaten intensiviert, ohne jedoch zu uberprufen, inwieweit diese Aktivitaten selbst zum Problem beitragen.

Das Starren auf einzeLne Ereignisse Wir haben uns angewohnt, das Leben als eine Abfolge von Ereignissen zu betrachten. Und fur jedes Ereignis gibt es eine bestimmte Ursache. In Wirklichkeit ist es jedoch so, daB die eigentlichen Gefahren - fur Organisationen und generell - weniger aus Einzelereignisse als vielmehr aus Prozessen erwachsen, die lang sam und weitgehend unbe­merkt vor sich gehen.

Die ParabeL vom gekochten Frosch Wir reagieren gut auf plotzliche Bedrohungen, aber es fallt uns vergleichsweise schwer, lang sam entstehende Gefahren zu erkennen. Das laBt sich mit dem Gleichnis yom Frosch im Wassertopf veranschaulichen. Bei lang sam steigender Temperatur bleibt er sitzen (bis es zu spat ist), da er die schleichende Gefahr nicht erkennt. Bei plotzlich steigender Temperatur ware er gefluchtet.

Der Irrtum, dap man immer aus Erfahrung Lernen kann Ohne Frage lernen wir am besten durch Erfahrung, durch "trial and error", aber wir erleben in den seltensten Fallen die Konsequenzen unserer wichtigsten Entscheidungen. Diese machen sich oft erst nach Jahren, wenn nicht gar erst nach Jahrzehnten voll bemerkbar.

Der Mythos des Managementteams Viele Teams funktionieren weit unterhalb der Fahigkeit der einzelnen Mitglieder. Machtspiele und Bereichsegoismen fuhren oft zu wechselseitiger Blockade mit dem Ergebnis, daB viele Entscheidungen weit unter dem bleiben, was moglich ware.

Vision und lernende Organisation

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Trifft Peter M. Senges Analyse zu, so durfte die Verbesserung des Informationsflusses allein wohl kaum genugen, urn ein Unternehmen wirklich lernfahiger zu machen. Grundlegende Veranderungen im Denken und Handeln der Mitarbeiter - auf allen Ebenen - sind erforderlich. Die Entwicklung zur Lernen­den Organisation erfordert neue mentale Modelle - von sich selbst und vom Unternehmen.

Kontinuierliche Anpassungsprozesse der Art, wie sie sich fur viele Unternehmen bereits heute klar abzeichnen, setzen ein hohes MaR an Begeisterungsfahigkeit und Engagement, aber auch an Einfallsreichtum und Fehlertoleranz voraus - auf allen Ebenen.

Ganz entscheidend wird es auf die Fahigkeit zur Umsetzung neuer Ideen ankommen. DaR es an guten Ideen meistens nicht mangelt, daran besteht kein Zweifel. Aber erst wenn Unter­nehmen in der Lage sind, ihre Ideen auch zu verwirklichen, besitzen sie echte Lernfahigkeit (was nur wenige fur sich in Anspruch nehmen konnen).

Noch ein weiteres kommt hinzu. Lernen bezieht sich nicht primar auf individuelle Lern- und Entwicklungsprozesse. Zu­nehmend wichtiger werden die Veranderungen der Organisa­tion selbst durch die Oberfuhrung der Lernerfahrung in orga­nisatorische Standardprozeduren, Normen, Werte, Prozesse, die unabhangig von den Mitgliedern einer Organisation exi­stieren und Bestand haben. Mit anderen Worten: Zum Lernen des einzelnen kommt das institutionalisierte Lernen der Orga­nisation hinzu.

Und schliemich muss en geeignete Kontrollmechanismen ge­schaffen werden, die eine kontinuierliche Oberprufung (und Korrektur) des Lernprozesses ermoglichen.

1st dieser LernprozeR erst einmal initiiert, wird es zwangslaufig zu verbesserten Anpassungsleistungen kommen, die langfristig das Unternehmen grundlegend verandern werden.

Vision und lernende Organisation 61

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Die lernende Organisation

Was zeichnet nun eigentlich eine ,Jernende Organisation" aus? Wie muR man sich diese vorstellen? Worauf ist besonders zu achten?

1m wesentlichen sind es drei Kernbereiche, die maRgeblichen EinfluR auf die Lernfahigkeit eines Unternehmens ausiiben: Strategische Planung, Unternehmenskultur und Organisations­struktur (hierzu ausfiihrlich Sattelberger, 1994). Diese Bereiche stehen in einem engen inhaltlichen Zusammenhang zueinan­der.

Strategische Planung

Urn die Effizienz des strategischen Lernens zu erhohen, muR die immer noch in vielen Unternehmen giiltige Planungspraxis einer kritischen Priifung unterzogen werden. Eine Optimie­rung des ,,Lernprozesses" erscheint dann moglich, wenn fol­gende Voraussetzungen gegeben sind:

Orientierung an iibergeordneten Zielvorstellungen, die auch langfristige, "visionare" Oberlegungen fiir das Unter­nehmen miteinschlieRen. Durch die Ausrichtung auf lang­fristige Perspektiven kann verhindert werden, daR aus Mangel an konzeptionellen Oberlegungen Planung nichts anderes heiRt als die Fortschreibung des Status quo in die Zukunft.

Aufhebung der Trennung zwischen der Entwicklung von Strategiekonzepten durch Planungsstabe oder sonstige Ex­pertengruppen und deren Umsetzung durch einen anderen - hierarchisch meist niedriger angesiedelten - Personen­kreis. Statt des sen gilt es, moglichst friihzeitig alle relevan­ten Personen, Abteilungen etc. in den PlanungsprozeR einzubeziehen.

62 Vision und lernende Organisation

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Fruhzeitige Behandlung von bestehenden Widerstanden und Vorbehalten (,,Da wurde von denen da oben wieder etwas geplant.") und Integration in das Planungskonzept.

Kreative und innovative Freiraume schaffen, die eine -vom Alltagsgeschaft losgeloste - Auseinandersetzung mit wun­schenswerten Zielen ermoglichen.

Starkere Berucksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Unternehmensaktivitaten (Kunden, Lieferanten, Behorden, Wettbewerber, Verbraucher etc.), das heiBt systemisches Denken.

Starkere Berucksichtigung von prozeBorientierten Frage­stellungen (zum Beispiel Schaffen von Veranderungsener­gie, Verbesserung der Reaktionszeiten, Gestalten von N etz­werkbeziehungen, emotionale Verinnerlichung von Neu­orientierungen etc.).

Den sogenannten "weichen" Faktoren (zum Beispiel innere Einstellungen, Motivationen, Emotionen, Identifikationen) muB groBere Beachtung geschenkt werden. Nachweislich besitzen sie einen erheblichen EinfluB darauf, wie Men­schen miteinander umgehen. Dies wiederum wirkt sich unmittelbar auf die Gestaltung der Arbeitsprozesse aus.

Unternehmenskultur

Veranderungen im Verhalten der Mitarbeiter sind in den meisten Fallen nicht ohne einschneidende Veranderungen der gesamten Unternehmenskultur moglich. Unternehmen, die auf eher traditionellen, hierarchischen, stark formalisierten Struk­turen basieren, werden umdenken mussen. Die Bedeutung von Einstellungen, Motivationen, mentalen Modellen ruckt starker in den Vordergrund.

Hierzu rechnen auch die Kommunikationsstrukturen. Meist sind es die inform ellen Netzwerke und Prozesse, die den

Die lernende Organisation 63

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eigentlichen Kitt der Organisation darstellen. In ihnen werden wichtige Entscheidungen getroffen und umgesetzt beziehungs­weise verhindert.

Schaffung einer Unternehmenskultur, die Eigeninitiative, aber auch Risikobereitschaft und Fehlertoleranz in den Vordergrund steUt. Heute fordem die Untemehmenskulturen eher die Vermeidung von Fehler, wo man doch bekanntlich gerade "aus Fehlern schlau wird". Diese unternehmerische Innovations- und Lemkultur stellt besonders hohe Anfor­derungen an das mittlere und obere Management.

Die Einbeziehung von Kunden in den Planungs- bis hin zum FertigungsprozeR stellt eher die Ausnahme als die Regel in vielen deutschen Unternehmen dar. Dabei gehoren unternehmensexterne Gruppen (Kunden, Lieferanten, ex­terne Gesprachskreise, Universitaten) erwiesenermaRen zu den wichtigsten Informations- und Innovationsquellen der Untemehmen. Zahlreiche Beispiele belegen, wie groRe Unternehmen systematisch durch die Einbindung beispiels­weise ihrer wichtigsten Kunden in den intern en Planungs­und ProduktionsprozeR entscheidende Innovationseffekte erzielen konnten.

Eine bessere Verkniipfung beziehungsweise Integration unternehmensinterner Abteilungen (F & E und Produktion, aber auch zwischen Vertrieb und Marketing).

Zukiinftig wird der Intrapreneur (Unternehmer im Unter­nehmen) eine wichtigere Rolle spielen, speziell in Organi­sationen mit flachen Hierarchien und weitgehender Dezen­tralisierung. Dies erfordert neue Formen von Incentives und Karrierechancen.

Wichtig sind Ferner Werte wie Offenheit und Toleranz sowie die Bereitschaft zur kritischen Auseinandersetzung. Ohne daR diese Wertvorstellungen Teil der gelebten Unter­nehmenskultur werden, sind wirkliche Lernfortschritte kaum zu erzielen.

64 Vision und lernende Organisation

Page 62: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Es muB Anreize zur standigen Lernbereitschaft geben. Speziell die Erfahrungen japanischer Unternehmen belegen die Bedeutung des "kontinuierlichen Verbesserungsprozes­ses" (Kaizen), mit dem dramatische Verbesserung etwa im Bereich der Massenfertigung erzielt wurden.

Vieles deutet daraufhin, daB dem Thema Unternehmenskultur und damit den "Soft Factors" in der Vergangenheit zu wenig Bedeutung beigemessen wurde. Entscheidend sind nicht so sehr die form ellen Strukturen oder Prozesse als vielmehr Einstellungen, Verhaltensweisen und informelle Prozesse, die die formalen hierarchischen Prozesse oftmals unterlaufen, wenn nicht gar konterkarieren.

Organisationsstrukturen

Zu den wichtigsten Voraussetzungen in diesem Bereich im Sinne einer lernenden Organisation gehoren:

die starkere Betonung problem- beziehungsweise chancen­orientierer temporarer Strukturen, die eher netzwerkartig und kunden- beziehungsweise projektorientiert als hierar­chisch orientiert sind,

die Schaffung innovativer Freiraume,

die Schaffung flacher und flexibler Hierarchien,

die Reduzierung der tayloristischen Arbeitsteilung mit dem Ziel der ganzheitlichen Gestaltung des Arbeitsprozesses,

die Reintegration von Denken und Tun in die Linientatig­keit durch Reduzierung der "think-tanks" beziehungsweise der Stabsbereiche,

Integration von Planung, Durchfiihrung und Kontrolle,

prozeBorientierte Definition von Arbeitsbereichenl -feldern und Zusammenfassung in einer Hand ("case-manager"),

Die lernende Organisation 65

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"empowerment" der Mitarbeiter durch Qualifizierung, In­formation, entsprechende Arbeitsmittel, Delegation von Vollmacht und Beteiligung an Entscheidungen zum Ar­beitsplatz und zu Arbeitsinhalten.

Wie kann nun vieles von dem, was hier thematisiert wurde, in die Tat umgesetzt werden? Kein Unternehmen kann im Schnellverfahren zur "lernenden Organisation" getrimmt wer­den. Aber ein Anfang ist moglich, und zwar systematisch und effektiv. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Entwicklung einer Unternehmensvision.

Die Rolle der Vision in der lernenden Organisation

Viele Unternehmen, vornehmlich im angelsachsischen Raum, begannen in den siebziger und achtziger Jahren damit, Visio­nen fur ihr Unternehmen zu entwickeln. Was ist nun unter einer Vision zu verstehen?

Visionen sind generelle "Leitlinien" oder "Wegweiser" fur die langfristige Unternehmensentwicklung. Sie skizzieren das Bild einer attraktiven Zukunft der Organisation und legen Grund­satzpositionen fur das Unternehmen fest. 1m Vordergrund stehen eine Beschreibung der zukunftigen Unternehmenstatig­keiten, aber auch der wichtigsten Merkmale der Unterneh­menskultur sowie der Rolle der Mitarbeiter.

Vision en sind - wie der Begriff schon nahelegt - keine starren Vorgaben, sondern Orientierungspunkte fur die weitere Unter­nehmensentwicklung. Visionen gehoren in den Bereich des "strategic intent". In deutlicher Abgrenzung zur traditionellen strategischen Planung, die haufig eine Fortschreibung der Ziele des letztenJahres darstellt, sind Visionen der bewuBte Versuch, aus etablierten Denkstrukturen auszubrechen (ein "Verlassen

Vision und lernende Organisation

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des Alltagsgeschehens"), urn attraktive Zukunftsbilder fur das Unternehmen zu entwickeln.

Eine wichtige Voraussetzung dafur ist die Einbeziehung der Mitarbeiter in den internen Meinungsbildungs- und Entschei­dungsprozeK Eine fur das gesamte Unternehmen verbindliche Vision bietet die Voraussetzung fur den gezielten Einsatz aller verfugbaren Ressourcen. Auf diese Weise konnen die Anstren­gungen des Unternehmens sinnvoll gebundelt und eingesetzt werden.

Die Vision fordert den Zusammenhalt der Organisation, spe­ziell in stark dezentralisierten Unternehmen. Die Ziele der Funktionseinheiten werden dem gemeinsamen Oberziel (Re­duzierung der Bereichsegoismen) untergeordnet.

Urn tatsachlich etwas zu bewegen, muB eine Vision jedoch mehr bieten als eine vage Vorstellung von der Zukunft des Unternehmens. Sie muB vor allem in der Lage sein, die Mitarbeiter zu motivieren. Erst wenn die Mitarbeiter die Vision auch zu ,,ihrer Sache" machen, sind sie bereit, sich fur sie zu engagieren und sie umzusetzen.

1m Arbeitsalltag erzeugt die Vision eine kreative Spannung zwischen der Realitat einerseits und ihrem schier uneinlosbaren Anspruch andererseits. Zielsetzung der Organisation muB es sein, diese kreative Spannung zu erhalten. So schafft sie sich selbst den Anreiz und den Mechanismus, ihr Verhalten konti­nuierlich zu reflektieren und zu korrigieren. Beruhmte Beispiele sind Coca-Colas Zielsetzung "Coke weltweit in Reichweite jedes Konsumenten zu bringen" oder auch das Apollo-Pro­gramm ,,Als erster einen Menschen auf den Mond zu befor­dern".

Die Rolle der Vision in der lernenden Organisation 67

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Umsetzung der Vision im Unternehmen

Die Erfahrung zeigt, daR verschiedene Aspekte berucksichtigt werden mussen, urn aus einer Vision ein erfolgreiches, umset­zungsfahiges Konzept zu machen:

Die Unternehmensvision integriert die personlichen Visionen der Mitarbeiter Die Vision muR die wichtigsten Werte und Zielvorstellun­gen der Mitarbeiter widerspiegeln. Tut sie dies nicht, so bleibt sie ein Fremdkorper und wirkt "aufgesetzt" und kunstlich. Eine Vision motiviert nur dann, wenn sich die Mitarbeiter personlich angesprochen fuhlen, wenn ihnen die Inhalte der Vision personlich am Herzen liegen.

Gemeinsame Vision Nur eine gemeinsame Vision, das heiRt, eine von den Mitarbietern gemeinsam entwickelte und getragene Vision (keine elitaren Konzepte von oben) wird die Motivationen freisetzen, urn dem Unternehmen die gewunschte Entwick­lungsdynamik zu geben. Nicht der "eine Visionar" im Unternehmen ist gefordert (zumal es ihn oft gar nicht gibt); vielmehr muR der EntwicklungsprozeR der Vision so kon­zipiert sein, daR moglichst viele der im U nternehmen vorhandenen Ressourcen und Talente eingebracht werden konnen. Nur so entsteht letztendlich die zu ihrer Umset­zung notwendige Synergie und Identitat im Unternehmen.

Unterstiitzung durch das Management Entscheidend fur den Erfolg der Vision ist die Unterstut­zung durch das Management. Dies gilt sowohl fur die Phase der Entwicklung der Vision als auch fur die spatere interne Umsetzung. Es darf nicht bei bloRen Lippenbe­kenntnissen des Managements bleiben. Kontinuierliche U nterstutzung im Alltag ist erforderlich. Die Vision muR von allen gelebt werden.

68 Vision und lernende Organisation

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Die Vision als kontinuierlicher Proze(5 Eine Vision ist keine einmalige Sache, kein Konzept oder Positionspapier, das die Leitlinien der U nternehmenspolitik fur aIle Zeiten festschreibt. 1m Gegenteil, die Realisierung der Vision muB als ein kontinuierlicher ProzeB verstanden werden, der flexibel auf Veranderungen reagiert.

Ableitung konkreter Ma(5nahmen Der Visions text bildet quasi die Geschaftsgrundlage fur das gesamte Unternehmen. Fur die einzelnen Bereiche und Abteilungen ergeben sich daraus unterschiedliche strategi­sche und operative SchluBfolgerungen. Diese mussen ge­meinsam erarbeitet werden in Form eines Mission-State­ments, das den genauen Auf trag und seine U msetzung spezifiziert.

Feedback und Kurskorrektur Die Vision besitzt eine wichtige AnstoBfunktion im Unter­nehmen. Dabei darf es jedoch nicht bleiben. Vielmehr muB durch die Vision ein LernprozeB in Gang gesetzt werden, der institutionalisiert wird, urn Management und Mitarbei­tern periodisch Ruckmeldung uber den Stand der Imple­mentierung der gesteckten Ziele zu liefern. Was ist erreicht worden? Wo ist man hinter den Erwartungen zuruckge­blieben? Was ist notwendig, urn den nachsten Schritt zu tun? Nicht Schuldzuweisungen sind gefragt, sondern nuch­tern-pragmatische Losungsvorschlage.

Entwicklung und Umsetzung der Vision beruhren ganz unmit­telbar Aspekte, die eingangs zu den Kernbereichen Strategie, Kultur und Struktur einer lernenden Organisation gehoren:

1m Bereich Strategie

Nutzung des gesamten im Unternehmen vorhandenen Know-hows und der Informationen, indem aIle Hierarchie­ebenen einbezogen werden

Umsetzung der Vision im Unternehmen 69

Page 67: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Zusatzliche Synergien durch das Zusammenfiihren unter­schiedlicher funktionaler Bereiche (interne Spezialisten)

Einbeziehung von Kunden, Lieferanten etc. bei der Ziel­festlegung (ext erne Spezialisten)

Ableitung strategischer Dberlegungen von iibergreifenden, langfristigen U nternehmenszielen

1m Bereich Unternehmenskultur

Verstarkte Identifikation mit dem Unternehmen (Mitarbei­ter konnen sich und ihre Wert- und Zielvorstellungen einbringen)

Schaffung von kreativen und innovativen Freiraumen au­Berhalb der Arbeitsroutinen

Die Bereitschaft zu experimentieren und Fehler zu machen wird gefordert, "trial and error" als wichtiges Verhal­tensprinzip

Weitgehend hierarchiefreier Diskurs

1m Bereich Strukturen

Vernetztes Denken und Handeln durch das Zusammenfiih­ren unterschiedlicher Ebenen und Funktionen

Effektivere Gestaltung von ProzeBablaufen

Ohne Frage, die Vision ist ein erster Schritt in Richtung einer lernenden Organisation. Natiirlich muB die Konzeption und Umsetzung des Visionsprozesses auf die jeweilige Situation eines Unternehmens zugeschnitten sein. Und gewiB wird sich nicht alles auf einmal verwirklichen lassen. Aber der VisionsprozeB kann entscheidend zu einem neuen Verstandnis von zukunfts­orientiertem Handeln beitragen: Der Zweck ist nicht mehr so sehr das Machen von Planen und Strategien, sondern das schnelle .Andern men taler Modelle in den Kopfen der Mitarbeiter.

70 Vision und lernende Organisation

Page 68: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Literatur

CAMPBELL, ANDREWIDEVINE, MARIONIYOUNG, DAVID: Vision, Mission, Strategie: Die Energien des Untemehmens aktivieren, FrankfurtlNew York,1992

GARVIN, DAVID A.: Nicht schone Worte - Taten ziihlen, Harvard Business Manager, I11994

HAMMER, MICHAEL/CHAMPY, JAMES: Business Reengineering, Frankfurtl New York, 1994

HANDY, CHARLES: The Age of Unreason, London, 1989 HEINTEL, PETER: Vision und Selbstorganisation, in: Ulrich Sollmann/Ro­

de rich Heinze (Hrsg.), Visionsmanagement - Erfolg als vorausgedach­tes Ergebnis, Zurich, 1993

PETERS, TOM: Jenseits der Hierarchien, Dusseldorf, 1993 SaTTELBERGER, THOMAS (Hrsg.): Die lemende Organisation, 2. Auflage,

Wiesbaden, 1994 SENGE, PETER M.: The Fifth Dimension, The Art & Practice of The

Learning Organization, London, 1993 SENGE, PETER M. ET AL.: The Fifth Discipline Fieldbook, Strategies and

Tools for Building a Learning Organization, New York, 1994 WOMACK, JAMES P.lJONES, DANIEL T.lRoos, DANIEL: Die zweite Revolu­

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Literatur 71

Page 69: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

4 Die Zukunftswerkstatt

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Henning Strenger/Dietrich Buchner/ Norbert Homma

Aufbruch zum Wandel

arter werdender internationaler Wettbewerb und ein rascher Wandel der Markte, dazu die wachsenden und schnell wechselnden Anspriiche der Kunden, das sind

heute die wichtigsten Herausforderungen an die Unterneh­men. Doch zahlreiche Unternehmen sind schlecht vorbereitet auf diese Veranderungen, denn die Erfolge der Vergangenheit haben bestehende Strukturen und Ablaufe konserviert. Diese Unternehmen laufen Gefahr, den notwendigen Wandel zu versaumen und irgendwann von den Schnelleren verdrangt zu werden. Erst allmahlich wachst die Einsicht, daR gravierende Veranderungen, teilweise sogar radikales Umdenken und Neu­orientieren notwendig sind, urn langfristig iiberleben zu kon-nen.

Die Notwendigkeit tiefgreifender Anderungen der gewohnten Muster wird heute nicht mehr ernsthaft bestritten. BloRes Kurieren einzelner Symptome, wie es in der Vergangenheit oft betrieben wurde und - zeitweise - erfolgreich war, wird in der heutigen Situation nicht mehr ausreichen.

Was also ist zu tun? Wie laRt sich ein Unternehmen verandern zu

konsequenter Kundenorientierung,

ausgepragtem QualitatsbewuRtsein,

einer selbstlernenden Organisation,

mit mehr Teamarbeit und Vernetzung,

Aufbruch zum Wandel 73

Page 70: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

kiirzeren Bearbeitungszeiten,

mehr unternehmerischem Denken und Handeln?

Wie lassen sich die Mitarbeiter fUr das neue Denken gewinnen und motivieren? Wie solI man vorgehen, urn die teilweise hochkomplexen Themen iiberhaupt (be-)greifbar und disku­tierbar zu machen?

UnerlaRlich, da sind sich alle Experten einig, ist radikales U mdenken und Verandern auf allen Ebenen und in allen Bereichen eines Unternehmens. Voraussetzung fiir wirkungs­volle Veranderungsprazesse ist, daR sich das Management des Unternehmens zu den notwendigen Anpassungen bekennt, Offenheit und Flexibilitat im Denken selbst praktiziert und die Mitarbeiter darin fordert. Der Erfolg von Veranderungen wird auch davon abhangen, daR sie nicht als kurzfristig wirksame EinzelmaRnahme verstanden werden, sondern Teil eines in sich abgestimmten, ganzheitlichen Prazesses der Erneuerung des gesamten Unternehmens sind.

Dieser PrazeR muR transparent sein und von den Mitarbeitern aktiv mitgestaltet werden konnen.

Veranderungen bediirfen zunachst einer ,,Initialziindung", eines AnstoRes. Oft genug bleibt es leider bei diesem ersten AnstoR, und die Begeisterung, der Motivationsschub, geht im Alltag schnell wieder verloren. Frust und Enttauschung der Mitarbei­ter dariiber, daR "sich letztlich doch nichts andert", sind dann unvermeidlich. Das Management muR deshalb den Wandel tatsachlich wollen und den PrazeR der Veranderung aktiv unterstiitzen und vorantreiben.

74 Die Zukunftswerkstatt

Page 71: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Die Zukunftswerkstatt als "Entwicklungslabor" des Unternehmens

Mit dem Instrument der Zukunftswerkstatt soIl in einem Unternehmen ein tiefgreifender und umfassender Verande­rungsprozeR ausgelost und kontinuierlich gestaltet werden, der Begeisterung und Motivation erzeugt, Riickblick und Refle­xion gestattet, Visionen und Ziele entstehen laRt, Phantasie und Kreativitat aktiviert und durch Aufbruchstimmung und das Gefiihl der Gemeinsamkeit bei den Beteiligten jenen Schwung und Optimism us hervorbringt, der fiir die notwen­digen Veranderungen gebraucht wird.

Die Zukunftswerkstatt verstehen wir als einen kontinuierlichen ProzeR, in dem die Zukunft des Unternehmens von den Mitarbeitern gemeinschaftlich entworfen, hinterfragt, disku­tiert, konkret beschrieben und umgesetzt wird.

AIle fiir die Zukunft des Unternehmens wichtigen Trends und Entwicklungen sol1en in der Zukunftswerkstatt vorgedacht, diskutiert, gestaltet, ausprobiert und kontinuierlich verbessert werden: Wandel als kommunikativer ProzeR der Betroffenen, damit sie zu Beteiligten werden konnen.

Die Zukunftswerkstatt soIl Forum sein fiir eine kontinuierliche Weiterentwicklung zu einer flexiblen, das heiRt auf Verande­rungen reagierenden, sich selbst steuernden, qualitatsbewuR­ten und kundenorientierten Organisation. Die Zukunftswerk­statt ist eine Art "geistige Entwicklungsabteilung" des Unter­nehmens.

Welchen Nutzen bringt die Zukunftswerkstatt Ihrem Unter­nehmen?

Die Teilnehmer treten heraus aus dem Alltag, urn in einem geeigneten Rahmen neue Ideen, Dberlegungen, Perspektiven entstehen zu lassen ("Grenziiberschreitung").

Die Zukunftswerkstatt als "Entwicklungslabor" des Unternehmens 75

Page 72: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Die Teilnehmer schaffen eine gemeinsame Plattform fur die kunftige Entwicklung des Unternehmens: Visionen, Ziele, Strategien, Wertvorstellungen und das Vorgehen, urn diese Ziele zu verwirklichen.

Die Zukunftswerkstatt erzeugt gemeinsames Problembe­wuBtsein bei den Teilnehmern; das erleichtert den Entschei­dungsprozeB fur Prioritaten, Ziele und Wertehierarchien.

Mitarbeiter und Externe (Kunden, Lieferanten, Experten, Behorden) arbeiten zusammen, urn moglichst viele Gedan­ken und verschiedene Sichtweisen einzubringen.

Die Willensbildung und das Setzen der Prioritaten sind transparent. Das erleichtert die spatere Durchfuhrung der Veranderungen im Alltag und fordert ihre Akzeptanz.

Personliche Wert- und Zielvorstellungen der Mitarbeiter lassen sich in die U nternehmensphilosophie integrieren, so daB sich die Mitarbeiter mit dem Unternehmen identifizie­ren; weil sie sich einbringen konnen.

Die Zukunftswerkstatt ist eine Art Denk-Werkstatt, in der auch Ungewohnliches gedacht werden darf. Mehr Fragen als Sagen. Die Arbeitsweise ist pragmatisch: zuerst werden Ideen entwickelt, dann werden sie ausprobiert und an­schlieBend werden die Ergebnisse und Erfahrungen reflek­tiert und diskutiert.

Vorbehalte und Einwande sind willkommen in der Zu­kunftswerkstatt, denn jeder Einwand enthalt eine gute Absicht und einen verborgenen Nutzen.

Die Zukunftswerkstatt ist ergebnis- und handlungsorien­tiert. Grundliche Vorbereitung der Veranderungen mundet in detaillierte Aktionsplane und konkrete MaBnahmen.

Die breite Beteiligung der Mitarbeiter am Veranderungs­prozeB sichert die Akzeptanz der getroffenen MaBnahmen im Alltag.

76 Die Zukunftswerkstatt

Page 73: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

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Die Zukunftswerkstatt

Aufbruch zu neuem Denken und Handeln

Die Zukunftswerkstatt ist sowohl Veranstaltung (Forum) als auch ProzeB fur die Veranderung des Unternehmens zu einer lernenden, selbststeuernden Organisation.

Ais Forum ist die Zukunftswerkstatt zum Beispiel eine zwei­bis dreitagige Veranstaltung mit beispielsweise 60 Teilneh­mern, die ein reprasentativer Querschnitt des Unternehmens sind. Hierarchieubergreifend sind aIle Funktionsbereiche ver­treten, dazu der Betriebsrat und Minderheiten wie zum Beispiel Teilzeitkrafte und Schwerbeschadigte. Auch externe Partner gehoren dazu, zum Beispiel Kunden, Lieferanten und Experten zu bestimmten fachlichen Themen. Die Beteiligung von Exter­nen offnet den Blick fur neue Sichtweisen und erhoht damit den Nutzen der Zukunftswerkstatt. Sie vermeidet auch die Gefahr, daB die Veranstaltung (wieder) nur zu einer ,,innerbe­trieblichen Nabelschau" gerat.

Die Zukunftswerkstatt hat eine flexible Struktur mit verschie­denen Methoden der Gruppen- und Plenumsarbeit fur einen umfassenden Meinungs- und Gedankenaustausch, fur Dialog und Reflexion, fur Fantasie und Kritik. Sie verbindet sachorien­tiertes Arbeiten mit den Emotionen der Teilnehmer, so daB eine neue Qualitat von Gemeinsamkeit entsteht.

Die Zukunftswerkstatt ist daruber hinaus auch der ProzeB, der Richtung und Inhalte der gewunschten Veranderungen entwik­kelt und ihre Realisierung begleitet: Nach einer Zukunftswerk­statt werden die beschlossenen MaBnahmen durchgefuhrt. Die Ergebnisse sind als Feedback die Basis fur die nachste Zu­kunftswerkstatt, so daB ein iterativer LernprozeB angestoBen und aufrechterhalten wird.

Der von der ersten Zukunftswerkstatt angestoBene Verande­rungsprozeB besteht also immer aus mehreren Folgeveranstal-

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tungen (siehe Abbildung Seite 77), die sich in Inhalt und Ablauf an der Vision und dem bisher Erreichten orientieren.

Diese Kontinuitat des Veranderungsprozesses, unterstutzt durch eine flexible Struktur und vielfaltige Methoden, unter­scheidet die Zukunftswerkstatt wesentlich von ahnlichen Kon­zepten und bewirkt erst ihren hohen Nutzen. Deshalb muR der ProzeR stetiger Veranderung vom Management aktiv gewollt und bestandig unterstutzt werden.

Greifbares Ergebnis der ersten Zukunftswerkstatt ist eine erste Vision, das heiRt eine bildhafte Vorstellung, wie sich die Mitarbeiter das Unternehmens der Zukunft vorstellen. Es entsteht auch eine "Standortbestimmung" des heutigen Unter­nehmens mit Ausblick auf die angestrebten Veranderungen in Form einer umfassenden "Landschaft" von Projekten und Inhalten. Die Inhalte werden abhangig von ihrer Prioritat anschlieRend im Rahmen von Projektteams und Arbeitsgrup­pen vertieft; Detailkonzepte werden erarbeitet. Die Ergebnisse werden auf der nachsten Zukunftswerkstatt vorgestellt und diskutiert. Das Erreichte wird uberpruft und an den Zielen und Erwartungen gemessen, gegebenenfalls wird die Vision er­ganzt oder verandert.

AnschlieRend beginnt die Phase der Umsetzung und Imple­mentierung. Erfolge und MiRerfolge werden erkannt und gehen als notwendiges Feedback in die nachste Zukunftswerk­statt ein. Daraus ergeben sich neue Impulse fur das weitere Vorgehen.

Urn den VeranderungsprozeR und die Motivation der Teilneh­mer zu erhalten, sollte eine Zukunftswerkstatt mindestens einmal im Jahr stattfinden. Abhangig von der Anzahl der Teilnehmer wird die erste Zukunftswerkstatt zwei bis drei Tage dauern, fur Folgeveranstaltungen werden ein bis zwei Tage ausreichen.

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Ergebnisse und Nutzen der Zukunftswerkstatt fur das Unter­nehmen:

In der ersten Zukunftswerkstatt entsteht der Entwurf der Vision des kunftigen Unternehmens.

Die fur den weiteren ProzeB relevant en Schwerpunkte werden identifiziert.

"Die Kopfe werden geoffnet": Die Mitarbeiter werden fur die Entwicklung des Unternehmens und auch fur ihre personliche Entwicklung sensibilisiert.

Die Mitarbeiter erkennen die Notwendigkeit von Verande­rungen.

Gemeinsame Sichtweisen und Interpretationen entstehen und erleichtern die spatere Realisierung.

Die Mitarbeiter werden motiviert ("endlich werden die Dinge angepackt; und wir sind an der Gestaltung dieser Entwicklung beteiligt").

Die Mitarbeiter identifizieren sich mit dem Unternehmen, weil sie aktiv beteiligt sind.

Ein Gefuhl der Gemeinsamkeit und Zusammengehorigkeit entwickelt sich: die Ziele werden gemeinsam gefunden und auch die Wege zu dies en Zielen.

Die Teilnehmer geben ihre Erfahrungen weiter und erzeu­gen Multiplikationseffekte im U nternehmen.

Mit der ersten Durchfuhrung der Zukunftswerkstatt kann der GesamtprozeB der Umgestaltung eines Unternehmens initiiert werden. Doch nur die konsequente Fortsetzung der in der ersten Veranstaltung begonnenen Arbeit laBt das Unterneh­men mittel- und langfristig zu einer sich selbst steuernden, lernenden Organisation werden.

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Der Ablaut einer Zukunftswerkstatt

Die erste Zukunftswerkstatt besteht aus sechs Phasen:

Die Vergangenheit wurdigen.

Entwicklungen und Trends erkennen.

Wo stehen wir heute? Was sind unsere Starken? Was wollen wir noch verbessern?

Personliche Ziele und Wertvorstellungen bewu(Jt machen.

Die Vision entsteht. Das Unternehmen in drei ... funf ... zehn Jahren

Die Zukunft beginnt ... jetzt! MaRnahmen, Aktivitaten fur die U msetzung

Der hier dargestellte Ablauf ist ein Grundmodell fur die erstmalige Durchfuhrung einer Zukunftswerkstatt. Folgever­anstaltungen der Zukunftswerkstatt erfordern andere Schwer­punkte aufgrund der zwischenzeitlich in Projektteams und Arbeitsgruppen geleisteten Arbeit. Deshalb wird dieses Modell im weiteren ProzeRverlauf modifiziert und den jeweiligen Zielen der Folgeveranstaltungen angepaRt.

Die Arbeit in der Zukunftswerkstatt ist ,,hierarchiefrei", das heiRt, jeder Teilnehmer hat gleiche Rechte und Pflichten, es gibt keine Privilegien fUr Funktionsinhaber. Die Teilnehmer arbeiten abwechselnd als GroRgruppe (Plenum) oder in the­menorientierten Kleingruppen. Kleingruppenarbeit steigert die Effizienz, weil die Teilnehmer intensiver diskutieren konnen. Der Wechsel zwischen Plenum und Kleingruppen unterschied­licher Zusammensetzung bringt auch Bewegung und Ab­wechslung in die Gruppe und laRt neue Kontakte und Inhalte entstehen.

Kleingruppen bearbeiten mehrere Themen gleichzeitig oder das gleiche Thema konkurrierend. Die Ergebnisse der Klein-

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gruppen werden im Plenum vorgestellt und diskutiert, so daR der GesamtprozeR fur alle transparent bleibt.

In der Zukunftswerkstatt ist jede Sichtweise und Meinung willkommen und gleichberechtigt. Diese Regel zu akzeptieren und wahrend der Zusammenarbeit zu praktizieren Wlt einer GroRgruppe erfahrungsgemaR schwer. Deshalb empfiehlt es sich, die Zukunftswerkstatt von prozeRerfahrenen Moderato­ren lei ten und begleiten zu lassen.

Die Moderatoren sollen eine gute Arbeitsatmosphare schaffen und aufrechterhalten, alle Teilnehmer zu Wort kommen lassen, Meinungsvielfalt ermoglichen, personliche Animositaten er­kennen und respektvoll ausgleichen konnen. Sie mussen nicht nur im Umgang mit groRen Gruppen geiibt sein, sondern auch miteinander gut harmonieren. Flexibilitat im Umgang mit sich plotzlich ergebenden unerwarteten Situationen oder besonde­ren Wiinschen der Teilnehmer, die Fahigkeit zu Konfliktmana­gement auf offener Biihne oder im Einzelgesprach sind weitere wichtige und notwendige Eigenschaften der Moderatoren.

Eine Zukunftswerkstatt ist keine Projektgruppe, urn Probleme zu analysieren und Losungen zu finden. Sie ist vielmehr ein Instrument, urn den Blick der Teilnehmer auf die Zukunft zu fokussieren; sie stimuliert und nutzt die Phantasie und Kreati­vitat der Teilnehmer, unterschiedliche Aspekte und Meinungen sind erlaubt und sogar erwiinscht, auch Ungewohntes und AuRergewohnliches darf gedacht und ausgesprochen werden.

Anders als in Konferenzen traditioneller Art wird kein separa­tes Protokoll gefiihrt und anschlieRend verteilt. Das Protokoll entsteht vielmehr von selbst auf Pinnwanden und Flip-charts durch die Visualisierung des ProzeRverlaufes. AnschlieRend werden die Papiere fotografiert und auf DIN A4 verkleinert. Jeder Teilnehmer erhalt ein Originalprotokoll der Zukunfts­werkstatt, nichts ist verandert oder subjektiv interpretiert; jeder kann den ProzeR auf Anhieb wiedererkennen und sich damit

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sofort identifizieren. Bei Bedarf lassen sich zusatzliche Unter­lagen erst ellen, urn andere Personen zu informieren.

Die Vergangenheit wOrdigen

Wie jedes Individuum, so hat auch ein U nternehmen seine wechselhafte Geschichte, gekennzeichnet durch Erfolge und Krisen. Sich dieser Geschichte zu erinnern ist der erste Schritt.

In dieser Riickschau geht es urn die Geschichte des Unterneh­mens und wichtige Personen und Ereignisse, die seine Ent­wicklung entscheidend beeinfluBt haben.

Die Teilnehmer fragen sich: Welche Personen haben das Un­ternehmen entscheidend gepragt? Was waren ihre Starken, ihre herausragenden Fahigkeiten? Was genau haben sie fiir das Unternehmen getan? Was waren die groBten Erfolge des Unternehmens, seine erfolgreichsten Produkte? Welche Perso­nen haben sie entwickelt? Welche Hohepunkte haben wir erlebt? Welche MiBerfolge, welche intern en oder externen Krisen hat es im Lebenszyklus des Unternehmens gegeben, und wie haben wir sie gemeinsam gemeistert? Welche Res­sourcen wurden dabei genutzt? Welche dieser Starken der Vergangenheit wollen wir erhalten? Was sind unsere Erfahrun­gen aus guten und schlechten Zeiten? Was waren wichtige Ereignisse und Entwicklungen auBerhalb des Unternehmens, die ihm neue Impulse gegeben haben?

Zur Geschichte des Unternehmens gehoren auch seine Mitar­be iter und ihr personlicher Lebensweg. Jeder Mitarbeiter fragt sich, was ihn in dieses Unternehmen gebracht hat und ihn hier noch halt. Was habe ich hier lernen konnen? Und was macht es attraktiv, hier zu arbeiten? Welche Personen schatze ich besonders? Was bewundere ich an ihnen?

Dieser Riickblick in die gemeinsame Vergangenheit, das Wiir­dig en des gemeinsam Erreichten schafft ein Gefiihl von Ge-

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meinschaft, von Zusammengehorigkeit und Stolz. Die Teilneh­mer erleben individuell und als Teil der Gruppe, daB sie auch schwierige Situationen meistern konnten, daB es in jeder Krise immer auch eine Chance fiir Weiterentwicklung gegeben hat. Dieses Erleben schafft Selbstvertrauen und ein Gefiihl von Starke bei jedem einzelnen und in der Gruppe. Das Einbezie­hen der Umwelt in diese Riickschau verdeutlicht, daB sich auch vieles an unseren Lebensumstanden verandert hat. Es offnet den Blick dafiir, daB wir als Einzelpersonen und als Unterneh­men Bestandteil dieser sich standig verandernden Umwelt sind, ja haufig an den Veranderungen der Umwelt aktiv mitgewirkt haben.

Mit dieser Besinnung auf die personliche und gemeinsame Vergangenheit werden bei den Teilnehmern starke Emotionen geweckt, die Grundlage fiir den weiteren konstruktiven, in die Zukunft gerichteten Dialog sind.

Ergebnisse und Nutzen der ersten Phase:

Die Teilnehmer werden an ihrem ganz personlichen "Stand­ort" abgeholt.

Gemeinsamkeiten werden entdeckt, dadurch entsteht ein starkes Gefiihl der Zusammengehorigkeit.

Personliche und gemeinsame Ressourcen werden bewuBt­gemacht und aktiviert.

Durch die Erinnerung an Erfolge entstehen Selbstvertrauen und Mut.

Entwicklungen und Trends erkennen (Mini-Szenarien)

1m zweiten Schritt geht es darum, das Unternehmen als lebendiges, soziales System zu sehen, das wiederum Teil eines Gesamtsystems ist und langfristig nur dann erfolgreich iiber­leben kann, wenn es seine Aktivitaten auch an den Bediirfnis­sen und Zielen anderer Teilsysteme orientiert.

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Deshalb wird das gesamte Umfeld des Unternehmens beleuch­tet, urn mogliche EinfluBfaktoren und Wechselwirkungen zu erkennen. Die Frage an die Teilnehmer der Zukunftswerkstatt lautet daher: Welche Entwicklungen und Ereignisse sind in den nachsten drei .. . funf ... zehn Jahren absehbar oder zu erwar­ten oder zumindest vorstellbar?

Als Quellen moglicher Einflusse auf das Unternehmen kom­men unter anderem in Betracht:

Kunden

Gesetz­

geber

Offentllchkeit

Lieferanten

.~9Im:J"'-""'"""'i~ Technologle

Wettbewerb

Fur die erfolgreiche Durchfuhrung dieses Schrittes ist es sehr zweckmaBig, sich zunachst uber den aktuellen Stand der Entwicklung auf den einzelnen Gebieten kundig zu machen und gegebenenfalls Einschatzungen uber kiinftige Entwick-

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lungs tendenzen zu verschaffen. Es bietet sich daher an, Vertre­ter der einzelnen Gebiete als Teilnehmer dieser Phase der Zukunftswerkstatt einzuladen und sich von Ihnen durch Kurz­referate informieren zu lassen. Zur Vorbereitung und Informa­tion empfehlen sich auch Artikel aus Zeitungen und Fachzeit­schriften. Die Kurzreferate und Informationen aus der Presse schaffen fur alle Teilnehmer eine gemeinsame Wissensbasis. Davon ausgehend werden anschlieRend in kleinen Arbeits­gruppen die einzelnen Themenfelder intensiver bearbeitet.

Bestandteil dieses Schrittes soUte auch eine Wirkungsanalyse sein: In der Wirkungsanalyse werden die erwarteten Trends und Entwicklungen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts und - sehr wichtig - hinsichtlich ihrer Bedeutung fur das eigene Unternehmen abgeschatzt. Durch diesen methodi­schen Schritt der Risikoabschatzung entsteht ein besonders starkes Gefuhl der Gemeinsamkeit: Jeder erkennt jetzt, welche Herausforderungen auf das Unternehmen und sich selbst zukommen. Daraus entsteht die Einsicht, daR gravierende Veranderungen notwendig sind, die nur durch gemeinsame Anstrengungen erreicht werden konnen.

Ergebnisse und Nutzen der Phase 2:

Die Teilnehmer erfahren Einzelheiten uber erwartete Ent­wicklungen und Trends im U mfeld des U nternehmens.

Durch alternative Zukunftsszenarien entsteht bei den Teil­nehmern eine gemeinsame ,,Landkarte" uber mogliche Entwicklungen im Umfeld des Unternehmens, das heiRt die individuelle Sichtweise wird erweitert.

Die gemeinsame "Landkarte" fuhrt zu einem besseren Verstandnis der notwendigen Veranderungen und erleich­tert die kunftige Zusammenarbeit.

Mogliche Schwerpunkte der weiteren Arbeit werden sicht­bar.

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Eigener Wissenstand auf relevanten Gebieten und der Bedarf an weiteren Informationen und (extemer) Expertise wird erkennbar.

Am SchluR dieser "Landkarte der Trends und Entwicklungen" wandelt sich die zuvor entstandene kreative Unruhe in eine von Energie und Tatendrang geladene Aufbruchstimmung.

Wo stehen wir heute?

Was sind unsere Starken? Was wollen wir noch verbessern?

In dieser Phase reflektieren die Teilnehmer die heutige Situation des Untemehmens: Wo stehen wir? Was hat uns erfolgreich gemacht? Was sind unsere Starken?

Begonnen wird zum Beispiel mit einem bildhaften Identitats­prozeR: Die Teilnehmer finden sich in kleinen Gruppen zusam­men und suchen nach einem Bild oder einer Metapher, mit der sich die Gruppe am besten identifiziert. Daraufhin schlie­Ren sich zwei Gruppen zusammen und wiederholen den ProzeR; anschlieRend finden sich wieder zwei Gruppen zusam­men usw., bis das Plenum eine fur aIle gultige Identitat gefunden hat. Dieser einfuhrende Schritt regt Phantasie und Kreativitat an, fordert den Austausch und die Zusammenarbeit und bringt immer wieder sehr vie I Lebendigkeit und Energie in die Teilnehmer (vgl. S.Placke-Braun/M.Schmidt-Tanger, "TIP TeamidentitatsprozeR", in: Buchner, D. (Hrsg.), Team-Coa­ching, Wiesbaden 1994).

Mit der gemeinsam gewonnenen Identitat fallt es den Teilneh­mem leicht, die Starken und Ressourcen des Untemehmens zu identifizieren:

Vergangenheit Was hat uns erfolgreich gemacht? Was waren un sere wichtigsten Ressourcen fUr diesen Er­folg?

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Gegenwart Was konnen wir gut? Auf welchen Gebieten sind wir fiihrend?

Zukunft Welche Starken wollen wir in die Zukunft mitnehmen? Was konnen wir noch verbessern?

Dieser ProzeRschritt empfiehlt sich auch fur jeden einzelnen Teilnehmer: Was kann ich gut, was sind meine besonderen Starken? Welche Fahigkeiten mochte ich kunftig noch mehr entwickeln? Fur dieses Selbstbild ist es hilfreich, auch die Meinung anderer uber sich selbst kennenzulernen. Was sind meine Starken aus der Sicht meiner Kollegen und Mitarbeiter? Was konnte ich aus ihrer Sicht verandern? Hier konnen die Teilnehmer sich gegenseitig Feedback geben. Dadurch entsteht noch einmal eine sehr lebendiger Austausch von Meinungen und Sichtweisen unter den Teilnehmern, man kommt mitein­ander ins Gesprach, lernt Neues uber sich aus der Sicht der Kollegen.

Diese Fragen werden von jedem Teilnehmer einzeln bearbeitet, dann erfolgen der Meinungsaustausch mit Vertiefung in klei­nen Gruppen und die anschlieRende Prasentation im Plenum.

Ergebnisse und Nutzen der Phase 3:

Die Teilnehmer finden eine gemeinsame Identitat und schaffen damit eine alle tragende Basis fur die Zukunft.

Die erfolgreiche Vergangenheit des U nternehmens wird gewurdigt; das laRt ein Gefuhl von Gemeinsamkeit entste­hen.

Die erhaltenswerten Ressourcen werden identifiziert; das ermutigt fur den VeranderungsprozeK

Die Teilnehmer machen sich ihre personlichen Starken bewuRt; das schafft Selbstvertrauen und motiviert sie fur die Gestaltung der Zukunft.

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Gegenseitiges Feedback uber personliche Starken und Ver­anderungspotentiale schafft Vertrauen unter den Teilneh­mern.

Verbesserungswurdige Ressourcen werden benannt; der Entwicklungsbedarf wird erkennbar.

Personliche Ziele und Wertvorstellungen bewuBt machen

1m vierten Schritt geht es urn den Mitarbeiter: einzeln oder in sich spontan bildenden Gruppen erarbeiten die Teilnehmer ihre personlichen Ziele und Wertvorstellungen fur ihre Arbeit in diesem Unternehmen.

Jeder Teilnehmer solI sich bewuBt machen, was ihm personlich wichtig und notwendig ist fur seine Tatigkeit, so daB er motiviert und engagiert ist und personliche Befriedigung emp­findet. Was sind seine personlichen Wertvorstellungen? Was macht die Mitarbeit in diesem Unternehmen fur ihn personlich "sinn-voll"? Welchen Wertvorstellungen sollte sich das Unter­nehmen verpflichten, damit er als Mitarbeiter sich mit dem Unternehmen identifizieren kann? Was konnte ihn motivieren, in diesem U nternehmen zu bleiben, des sen Entwicklung und damit seine personliche Zukunft aktiv mitzugestalten? Und: Welche Ereignisse oder Umstande konnten ihn dazu bewegen, dieses Unternehmen zu verlassen?

Mit dieser Reflexion werden zwei Ziele verfolgt: die Mitarbei­ter sollen sich ihre personlichen Wertvorstellungen und ihre Erwartungen an die Wertvorstellungen des Unternehmens bewuBt machen, urn sie im vierten Schritt in den Entwurf der Unternehmenszukunft einbringen zu konnen. Damit wird die spatere emotionale Akzeptanz der Veranderungen abgesichert und die aktive personliche Mitarbeit bei der U msetzung gefor­dert, weil sich die Mitarbeiter mit den angestrebten Verande­rungen identifizieren konnen.

Der Ablaut einer Zukunftswerkstatt 89

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Auch sollen die Mitarbeiter rechtzeitig erkennen, in welche Richtung sich ihr Unternehmen entwickeln will und ob diese Richtung ihren personlichen Vorstellungen entspricht.

Weil der ProzeR in der Zukunftswerkstatt jederzeit transparent ist, konnen Einwande und Widerstande friihzeitig geauRert und erkannt werden. Auf diese Weise lassen sich spatere Akzeptanzblockaden, die sich erfahrungsgemaR gern hinter den bekannten langwierigen, scheinbar fruchtlosen Diskussio­nen verbergen, nicht nur vermeiden, sondern prozeRunterstiit­zend einbauen und nutzen.

Die Klarung der eigenen Ziele und Wertvorstellungen verbes­sert auch die personliche Urteilsfahigkeit, erleichtert und be­schleunigt Entscheidungsprozesse und hilft, getroffene Ent­scheidungen konsequent umzusetzen.

Urn den Zugang zu inneren Bildern und den eigenen Emotio­nen, die in unserer Kulturtradition eher gering geschatzt werden, zu erleichtern, bieten sich verschiedene bewahrte Methoden an, wie zum Beispiel Fantasiereisen. Ein geeignetes Umfeld (zum Beispiel ein larmfreier Raum, gedampftes Licht, bequeme Stiihle, leise und beruhigende Musik) und eine entspannte Korperhaltung erleichtern auch ungeiibten Teilneh­mern den Zugang zu inneren Bildern und Gefiihlen, das heiRt zum unbewuRten Teil.

Obwohl diese Art des Arbeitens zunachst ungewohnt und manchmal auch mit Widerstand besetzt ist, wird sie nach einigem Zogern gern ausprobiert und erfahrungsgemaR an­schlieRend sehr begriiRt. Die Teilnehmer sind iiberrascht von ihrem inneren Erleben, das sie anschlieRend individuell auf Flipcharts, einer Collage oder auf andere Art und Weise zu Papier bring en.

Ergebnisse und Nutzen der Phase 4:

Die Teilnehmer orientieren sich gedanklich auf die Zu­kunft.

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Sie machen sich ihre individuellen Wertvorstellungen be­wuBt.

Sie entwickeln ihre personliche Vision.

In Mindmaps/Bildern/Collagen zeigt sich, wie individuell der einzelne die Zukunft wahrnimmt.

Aus den personlichen Visionen werden Gemeinsamkeiten erkennbar.

Die Vision entsteht

Das Unternehmen in drei ... funf ... zehn Jahren

Mit der Vorstellung iiber die heutige Identitat aus Schritt 3 und den individuellen Vision en und Szenarien aus Schritt 4 wird jetzt die Vision des kiinftigen Unternehmens als Bild der kiinftigen Identitat entwickelt.

Das Denken fokussiert sich in dieser Phase auf die gemeinsam zu gestaltende Zukunft. Die jetzt entstehende Vision ist eine erste grobe Skizze, wie sich die Teilnehmer ihr Unternehmen vorstellen. Dabei wird auch die kiinftige Rolle des Unterneh­mens in seiner U mwelt, also der umfassende Rahmen seines gesamten Handelns einbezogen (Makro-Ebene).

Die folgende Darstellung zeigt die fiir den VisionsprozeB relevant en Ebenen und ihr Zusammenwirken:

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Umweltwahmehmung Clef Non . . '.0; .. ... . . Vision o.r .. iotI

Umwelt

Wir sind ein Tell von ...

Wir sind in Zukunft ... e r ... ... ... .. .

V' -/----\:- -------- .. - .. . - .. 't:i

:::;: Mission

doIlnillr1

···D ····· ·· Stl'1ltegle Strategle

(FAhlgkelten, Ressourcen. liele ... )

Wirwollen ...

Wir k6nnen ... i ~ ... D' ...... ~------~----\. .. .. .... .. :s I Operative

Umsettung

Umwelt

Handeln (AktionspUlne. Budget. Kontrolle ... )

Wlrtun ... '

Dieser Teil betrachtet die a11gemeinen Rahmenbedingun­gen, beispielsweise den Markt, die Wettbewerber, Techno­logien, politische und gese11schaftliche EinfluRfaktoren.

Vision (Identitat) Die wichtigste Frage des Visionsprozesses zielt auf den "Sinn" des Unternehmens: Wer wollen wir sein? Oder: Was ist der Zweck des Unternehmens? Welchen Interessen sol1 es dienen? Warum sol1 das Unternehmen iiberhaupt (wei­ter) existieren?

Mission (Werte, Regeln ... ) Die Wertvorste11ungen begriinden die Kultur des Unterneh­mens, die ethischen Normen und Uberzeugungen. Sie spiegeln sich in den geschriebenen und ungeschriebenen

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Regeln, Orientierungen, Glaubenssatzen. Die Wertvorstel­lung en bieten dem Mitarbeiter die Moglichkeit, sich mit dem Unternehmen zu identifizieren. Sie motivieren, stimu­lieren, konnen aber auch einengen und demotivieren. Die Kultur des Unternehmens als Ergebnis alIer gewachse­nen WertvorstelIungen wird vielfach als das tragende Ele­ment in jedem VeranderungsprozeB angesehen.

Strategie (Fahigkeiten, Ressourcen, Ziele ... ) Die Strategie definiert, was wie und wo konkret geplant ist, zum Beispiel die Branche und die Wettbewerbsposition, die das Unternehmen anstrebt, die Ziele, die Ressourcen etc. Sie beschreibt auch die besondere Kompetenz, die Starken und Wettbewerbsvorteile (Fahigkeiten), die das Unternehmen bereits hat oder aufbauen will.

Operative Umsetzung (Aktionsplane, Budget ... ) Vision, Mission (Werte) und Strategie (Ziele, Fahigkeiten, Ressourcen) bestimmen das, was letztlich operativ umge­setzt wird. 1m konkreten Tun manifestiert sich die Kongru­enz von Vision, Mission und Strategie. Die ,Jogischen Ebenen" der Pyramide miissen im Einklang stehen, wenn die Vision als GestaltungsprozeB erfolgreich sein solI.

Die Kernfrage des Visionsprozesses lautet:

Was ist die kunftige Identitat unseres Unternehmens?

Dahinter verbergen sich beispielsweise die Fragen:

Wie wird unsere kiinftige Umwelt aussehen?

Was ist unsere kiinftige Identitat?

Was ist unser kiinftiges Werte- und Glaubenssystem?

Welchen Auf trag geben wir uns?

Was solI unsere kiinftige Strategie sein?

Wie verhalten wir uns, urn die Vision zu erreichen?

Der Ablaut einer Zukunftswerkstatt 93

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ErfahrungsgemaB lassen sich Ziele urn so leichter erreichen, je genauer und konkreter die Vorstellungen daruber sind.

Deshalb werden die Teilnehmer, die sich wieder in Gruppen finden, in diesem Schritt aufgefordert, sich das kunftige Unter­nehmen sinnesspezifisch vorzustellen. Sie tauschen ihre per­sonlichen Erlebnisse aus der Fantasiereise aus und entwickeln daraus gemeinsame Vorstellungen yom kunftigen Unterneh­men, die sie in Form von Bildern, Mindmaps, Collagen und dergleichen darstellen und prasentieren. So entsteht aus den personlichen Visionen des einzelnen das gemeinsame Zu­kunftsbild des gesamten Unternehmens.

Ebenso phantasievoll und kreativ wie die Arbeit in den Grup­pen ist die anschlieBende Vorstellung vor dem Plenum: alle bekannten Methoden, und auch ganz neue, sind erlaubt und willkommen. Der Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt.

Immer wieder eindrucksvoll sind die Begeisterung, die Auf­bruchstimmung und die Energie, mit denen die Teilnehmer dann ihre gemeinsamen Vorstellungen am liebsten "so fort" verwirklichen wollen.

Ergebnisse und Nutzen der Phase 5:

Es entstehen erste Visionsentwurfe als Ausgangspunkte fur den gemeinsamen VeranderungsprozeB (VisionsprozeB).

Die Mitarbeiter konnen ihre individuellen Vorstellungen und Wunsche einbringen; dadurch werden sie sich mit der Unternehmensvision in hohem MaBe identifizieren.

Die Vision wird von allen Teilnehmern gemeinsam entwik­kelt; das erzeugt neben groBer Akzeptanz auch die Bereit­schaft, sich fur die Umsetzung aktiv zu engagieren.

Die Unternehmenskultur als Schlusselfaktor fur einen er­folgreichen VeranderungsprozeB ist in der Vision enthalten.

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Die Vision enthalt erste Aussagen uber kunftige Strategien, Befahigungen und Verhaltensregeln; das erleichtert die Umsetzung.

Vision und gelebte Wirklichkeit lassen sich jederzeit ver­gleichen, dadurch wird ein standiger LernprozeR fur alle eingeleitet.

Die Zukunft beginnt ... jetzt!

MaBnahmen und Aktivitaten fiir die Umsetzung

Nach Wurdigung der Vergangenheit zu Beginn des gemeinsa­men Prozesses, nach der Gewinnung von Informationen uber Trends und Entwicklungen, nach individueller und gemeinsa­mer Reflexion daruber, wie das Unternehmen in Zukunft aussehen und nach welchen Grundsatzen es nach auRen und innen handeln sollte, ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, den ProzeR der Gestaltung aktiv zu beginnen mit der Auswahl und Bearbeitung der Schlusselthemen.

Aus der Fulle der Gedanken und Informationen werden zum Beispiel diejenigen Themen ausgewahlt, von deren Bearbei­tung die Teilnehmer den groRten Veranderungseffekt erwarten. Andere Bewertungskriterien sind durchaus moglich, etwa "Was allen am meisten auf den Nageln brennt" oder ,,Auf welchen Gebieten am schnellsten greifbare Ergebnisse zu erwarten sind".

Zu den Themen bilden sich Arbeitsgruppen. Ihre Aufgabe ist es, auf der Grundlage der in der Zukunftswerkstatt entstande­nen Vision die ausgewahlten Themen zu bearbeiten und erste Ideen und Vorschlage fur die konkrete Umsetzung zu entwik­keln. Dazu sollen die Arbeitsgruppen noch wahrend der Zukunftswerkstatt in einem Szenario erarbeiten, was genau die Ziele ihrer Arbeit sind und in welchem Rahmen sie ihr Thema bearbeiten wollen, zum Beispiel welche Personen sie zusatzlich

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einbeziehen wollen, wie ihr Zeitplan aussieht, welche interne oder externe Unterstutzung benotigt wird usw.

Die Zukunftswerkstatt wandelt sich von einer einmaligen "Aufbruchveranstaltung" zum ProzeR der standigen Verande­rungsarbeit im Alltag. Die themenorientierte T<itigkeit der jetzt benannten Arbeitsgruppen ist der Beginn der Zukunftswerk­statt als ProzeK

Die Arbeitsgruppen prasentieren ihre noch grob strukturierten Aktionsplane im Plenum, so daR Erganzungen von anderen Teilnehmern moglich sind und thematische Querverbindungen und notwendige Abstimmungsprozesse zwischen einzelnen Teams erkennbar werden. Jedes Team verabredet noch minde­stens drei Folgetermine und legt fest, welche Ergebnisse aus diesen Arbeitstreffen bis zu welchem Termin vorliegen sollen.

Die Energie und Aufbruchstimmung der Zukunftswerkstatt werden genutzt, urn verbindliche (Teil-)Ziele zu benennen und den Weg zu ihrer Erreichung sehr konkret zu beschreiben. Das verhindert leichtfertige Absichtserklarungen, die nach der Zu­kunftswerkstatt im Alltag schnell vergessen werden. Die ver­einbarten Aktivitaten werden mit Termin und geplanten Er­gebnissen im sogenannten ,,Aktivitaten- oder MaRnahmen­plan" festgehalten. Wichtig ist dabei, daR die Manager voraus gehen, Vorbild sind und ihre Selbstverpflichtung (commitment) zelgen.

Ergebnisse und Nutzen der Phase 6:

Aus den vielen, teilweise noch vagen und ungeordneten Gedanken, Ideen und Wunschen werden Aufgabenschwer­punkte abgeleitet und fur die weitere Bearbeitung mit Prioritaten versehen. Die bunte und vielfaltige ,,Ideenland­schaft" erhalt eine Arbeitsstruktur.

Die Mitarbeiter entwickeln gemeinsam den Entwurf fur das weitere Vorgehen: Der ,,Makroperspektive" der Vision folgt jetzt die konkrete Umsetzung im Mikrobereich.

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Teams bilden sich, urn die Themen zu vertiefen und Detailkonzepte zu erarbeiten: Es entstehen erste greifbare Ergebnisse.

Der ProzeR der Veranderung wird Bestandteil des Alltags: Akzeptanz und Unterstiitzung des Prozesses werden eben­so erkennbar wie Einwande und Ablehnung.

Die Mitarbeiter beweisen ihre Identifikation mit dem Pro­zeR durch die Mitarbeit in den Teams.

Die Ergebnisse und Erfahrungen der Teams sind die Grund­lage fiir die nachste Zukunftswerkstatt: Sind wir auf dem ,,richtigen" Weg? Welche "Kurskorrekturen" sind notwen­dig?

Ausblick Zum AbschluR wird der Termin fiir die zweite Zukunftswerk­statt beschlossen. Bis dahin sollen die Ergebnisse aller Arbeits­gruppen vorliegen. Diese Arbeitsergebnisse und die Erfahrun­gen aus der gemeinsamen Tatigkeit sind der thematische Rahmen der zweiten Zukunftswerkstatt. Dann wird es darum gehen, die Vision und ihre Aussagen zu priifen und gegebe­nenfalls zu erganzen.

Die Ergebnisse und Konzepte der Arbeitsgruppen werden mit der Vision abgeglichen. Motto: Sind wir auf dem richtigen Weg? Die nachsten Schritte und eventuell begleitende Unter­stiitzung wie Training und Coaching werden definiert und durchgefiihrt. Damit beginnt die Phase der Realisierung. Die Ergebnisse und Erfahrungen gehen wieder in die nachste Zukunftswerkstatt ein, so daR ein standiger praxisnaher Lern­prozeR beginnt. Die Zukunftswerkstatt als "geistige Entwick­lungsabteilung" mit breiter Beteiligung der Mitarbeiter entwik­kelt die gewiinschten Veranderungen nach Art und Richtung und begleitet ihre Durchfiihrung.

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Der Nutzen der Zukunftswerkstatt

Was ist das Besondere der Zukunftswerkstatt, was ist ihr "Zusatznutzen" gegenuber anderen Methoden und Vorge­hensweisen?

Der wichtigste Unterschied und damit der Gewinn aus einer Zukunftswerkstatt besteht in ihrem ganzheitlichen Vorgehen. Wahrend die gewohnten Methoden der Projektarbeit vorran­gig auf greifbare, das heiBt konkrete Ergebnisse im Mikrobe­reich abzielen und dam it spezifisch und sachorientiert sind, integriert die Zukunftswerkstatt die Makroebenen der Vision (Identitat) und Mission (Werte, Regeln) und macht sie zur Grundlage von Strategie und operativer Umsetzung, so daB Kongruenz uber alle Ebenen moglich wird.

Die Zukunftswerkstatt beginnt mit einem Ruckblick auf die Geschichte des U nternehmens, auf durchlebte Krisensituatio­nen und erzielte Erfolge. Es entsteht ein Gefuhl von Gemein­samkeit, auch von Stolz auf das Erreichte, an dem jeder auf seine Weise mitgewirkt hat.

Mit der Frage nach ihren personlichen Zielen und Werten fuhlen sich die Teilnehmer direkt angesprochen und einbezo­gen: Aus Betroffenen werden Beteiligte und aktiv Engagierte. Sie erleben sich nicht langer als Mit-,,Arbeiter", deren Fachwis­sen und Erfahrung gefragt ist, sondern sie haben die Chance, ihre ganz personlichen Visionen und Wertvorstellungen zu artikulieren und im Unternehmen zu verwirklichen, damit also auch ein Stuck von sich selbst verwirklichen zu konnen. Das schafft eine neue Qualitat der Beziehung zwischen Mitarbeiter und Unternehmen: Die Teilnehmer konnen sich mit dem Unternehmen in neuer Weise identifizieren und werden sich bei den Veranderungsprozessen aktiv engagieren. Das Aufdek­ken von personlichen Wertvorstellungen und Visionen ermog­licht neue Begegnungen und Wertschatzungen zwischen den Teil­nehmern, wenn sie unvermutete Gemeinsamkeiten entdecken.

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Die Zukunftswerkstatt ist keine einmalige Veranstaltung, urn Manager und Mitarbeiter neu zu motivieren, sondern sie versteht sich vor allem als ProzeB, in dem Manager und Mitarbeiter aus allen Bereichen aktiv die Richtung und Inhalte der kunftigen Entwicklung des Unternehmens diskutieren und gestalten.

Die Zukunftswerkstatt ist ideal geeignet fur aIle Organisatio­nen, die sich verandern wollen: Unternehmen, Institutionen, Bereiche, Ressorts, Abteilungen und dergleichen.

Eine Zukunftswerkstatt ist immer dann zu empfehlen, wenn akuter Veranderungsbedarf oder einfach der Wunsch nach Neuorientierung besteht. Auch in besonderen Situationen etwa nach dem Kauf eines Unternehmens oder nach einer Fusion, nach der Zusammenlegung von Bereichen oder Ress­orts wie zum Beispiel der Zusammenfuhrung von Verkaufsor­ganisationen, ist eine Zukunftswerkstatt hilfreich, weil sie vorhandene U nsicherheiten und Vorbehalte abbauen kann und dabei gleichzeitig neue Energie erzeugt durch die Fokussierung auf gemeinsame neue Ziele und Aufgaben.

Die Zukunftswerkstatt solI neues Denken erleichtern und dadurch neue Verhaltensweisen ermoglichen. Denn das veran­derte Verhalten des Unternehmens nach innen und auBen ist die Voraussetzung fur sein langfristiges Oberleben.

Die Zukunftswerkstatt allein kann allerdings keine nachhalti­gen Veranderungen bewirken. Ais EinzelmaBnahme wird sie zwar vieles in Bewegung bringen, aber das Management muB anschlieBend durch eigenes Engagement und Vorbild dafur sorgen, daB die Energie und Aufbruchsstimmung der Zu­kunftswerkstatt sich auf den Alltag ubertragt und die initiierten Veranderungsprozesse lebendig bleiben.

Der Nutzen der Zukunftswerkstatt 99

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5 Visionen fOr das mittlere Management Sabine Hoffmeister

Ich habe ein Ziel, also bin ich!

Lean und Light

Schlagworte wie Lean Management und Lean Production, Change Management, Visionen und Strategien beherrschen die "wirtschaftliche Szene" Deutschlands und Europas. Das U mfeld hat sich verandert, das Wirtschaftswachstum hat sich verlangsamt, Firmen schlieRen sich Zllsammen, und die Indu­striegesellschaft verwandelt sich in eine Informationsgesell­schaft. Des weiteren findet eine Angleichung der Produkte statt, so daR QualitatsbewuRtsein und Dienstleistung immer mehr in den Vordergrund rucken.

Welche Auswirkungen hat das nun fur das mittlere Manage­ment?

Anfang der sechziger Jahre war die Karriere fUr das mittlere Management vorbestimmt. Diejenigen, die anstandig arbeite­ten, sich moglichst stromlinienformig verhielten, angepaRt waren und genau die Anweisungen befolgten, wurden zumeist zwangslaufig befordert. Die Zeiten haben sich jedoch geandert!

Durch eine weitgehende Abflachung der Hierarchien und die Reduzierung von Overheads wird es noch enger auf dem Weg nach oben. Fuhrungskrafte oder Manager stehen vor neuen Anforderungen und konnen sich nicht mehr hinter Paragra­phen oder Richtlinien verschanzen. Fuhrungsqualitaten mus-

Lean und Light 101

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sen neu definiert und kommuniziert werden. Es entsteht ein steigender Druck fur die Mitte.

Wenn wir unter dem Begriff U nternehmenskultur "die Gesamt­heit von Normen, Wertvorstellungen und Denkhaltungen, die das Verhalten aller Stufen und somit das Erscheinungsbild eines Unternehmens pragen" (Pumpin, Kobi, Wuthrich) verstehen, befinden wir uns derzeit in einer sogenannten Kulturrevolu­tion. 1m Rahmen dieses U mbruchs verlieren die mittleren Positionen zunehmend an Bedeutung, und viele klassische Postionen werden uberflussig. Gleichzeitig finden sich Satze wie "die Mitarbeiter sind unser groRtes Kapital".

Die Veranderungen beruhren Werte, Einstellungen, Erwartun­gen und Traditionen der Mitarbeiter, und die Vitalitat eines Unternehmens wird wiederum durch diese Mitarbeiter mitbe­stimmt. Das heiRt, die tradition ellen Moglichkeiten wie Auf­stieg in hohere Gehaltsklassen, Machtposition oder Zuteilung von Statussymbolen werden abgeschafft. Karrieren verlaufen nicht mehr nach alten GesetzmaRigkeiten. Fur diejenigen, die ihr Selbstwertgefuhl in hohem MaRe davon abhangig gemacht haben, beginnt das groRe Dilemma. Bereits vorhandene nega­tive Auswirkungen zeigen sich in ausgepragter Konkurrenz­angst, Abteilungsegoismen, sinkender Risikobereitschaft und Produktivitat und einer ubermaRigen Beschaftigung mit sich selbst, die zumeist nicht besonders konstruktiv ist.

Das mittlere Management bildet jedoch einen wesentlichen Beitrag zum InformationsfluR eines Unternehmens von der Spitze zur Basis, und es tragt maRgeblich zum U nternehmens­erfolg bei oder kann diesen auch blockieren oder behindern. Mogliche Versprechungen des Unternehmens werden in den Augen der Mitarbeiter nicht mehr eingelost, und es kommt zu Frustrationen, die sowohl aktiv als auch passiv gelebt werden. Aktiv bedeutet, daR die Guten oder die Besten nach anderen Alternativen Ausschau halten. Das bedeutet nicht, daR diese innerhalb des Unternehmens gesucht werden, sondern eine Neuorientierung am Markt stattfindet oder mittlere Manager

102 Visionen fUr das mittlere Management

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auch den Weg in die Selbstandigkeit wag en. Die Angstlichen oder Risikoscheuen verharren aber zumeist regungslos; hier finden sich die sogenannten Bremser.

Einerseits ist es wichtig, daR das Unternehmen rechtzeitig iiber neue Alternativen nachdenkt, und andererseits ist der Manager gefordert, sich rechtzeitig Gedanken zu mach en iiber seinen weiteren beruflichen Weg und iiber Langfristziele. Karriere darf nicht mehr heiRen, alle machen den gleichen Weg, sondern bedeutet individuelle Wege gehen.

In einer Zeit des standigen Wandels bedeutet das auch mehr Flexibilitat, hin zu teamorientierter Fiihrung, selbstorganisie­renden Projektgruppen und klarer Obernahme von Verantwor­tung. Das mittlere Management sollte sich als Vermittler in einem Netz von wechselnden Abhangigkeiten verstehen, als sogenannte Netzwerkmanager, die unabhangig sind von be­stimmten Strukturen und Hierarchien. Die Rolle des mittleren Managers definiert sich nicht mehr durch Label oder Etiketten, sondern aufgrund von Fahigkeiten und Potentialen. Das Ein­zige, was Fiihrungskrafte wirklich weiterbringt, sind diese Fahigkeiten, denn wer sich an Positionen festklammert, konnte morgen schon vor der Ttir stehen. Es geht darum, Initiative zu ergreifen, zu kooperieren, andere und sich selbst fiir ein gemeinsames Ziel zu begeistern.

Karriereplanung wird also wichtiger denn je! Personliche Ziele und Unternehmensziele miissen in Einklang gebracht werden. Mittlere Manager miissen dringend einen Abgleich machen zwischen ihrer derzeitigen Situation (1st-Analyse) und ihren zukiinftigen Erwartungen (Soll).

Lean und Light 103

Page 99: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Personliche Standortbestimmung -der Weg zu mehr Selbstkompetenz

Machen Sie eine 1st-Analyse und erst ellen Sie Ihr Zufrieden­heitsdiagramm.

Wie zufrieden (in Prozent) sind Sie mit folgenden Bereichen?

Arbeit/Beruf 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

Freizeit/ 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Hobbies

Freunde 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

Familie 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

Partnerschaft 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

Korper/ 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Gesundheit

Heim/ 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Umgebung

Geld/ 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 materieller Wohlstand

personlicher 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Erfolg

Spiritualitiit 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

Sollten Sie in verschiedenen Bereichen unter 50 Prozent liegen, bedarf es dringender Veranderungen in Ihrem Leben!

104 Visionen fUr das mittlere Management

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Karriereanforderungen

Welche Anforderungen werden an die Manager oder Fiih­rungskrafte der neunziger Jahre beziehungsweise im Jahr 2000 gestellt?

Flexibilitat Die einzige Konstante bleibt die Veranderung! Wir befinden uns in einer Zeit des Wandels, das heilSt, diejenigen Unter­nehmen, die schnell auf Veranderungen innerhalb und aulSerhalb der Organisation reagieren, werden erfolgreich sein. Das impliziert natiirlich, daIS die Menschen, die in dies en Unternehmen arbeiten, bereit sind, schnell zu rea­gieren, und dieses wiederum erfordert eine hohe personli­che Flexibilitat. Forderungswiirdige Kandidaten werden diejenigen sein, die Change Management als ihre Aufgabe betrachten, und nicht diejenigen, die auf entsprechende Hinweise "von oben" warten und Veranderung als eine Aufgabe des Top-Managements sehen.

Kundenorientierung Das Hauptaugenmerk einer Organisation sollte in der Befriedigung der Kundenbediirfnisse liegen. Die Energie sollte nach aulSen gerichtet sein, das heilSt kontinuierliche Analysen des Marktes und offensiver Wettbewerb. Effizien­te Manager tragen diesem Punkt Rechnung und biindeln ihre Energien auf dieses Ziel hin. Wenig effiziente Unter­nehmen und deren Manager erkennt man daran, daIS sie so sehr mit innerbetrieblichen Angelegenheiten beschaftigt sind, daIS sie dem Wettbewerb hinterherlaufen.

Coaching Effiziente Fiihrungskrafte werden diejenigen sein, die ihre Rolle als Mentor, Personalentwickler oder Coach ihrer Mitarbeiter vor Ort wahrnehmen. Wer kennt seine Mitar­beiter besser als der jeweilige Vorgesetzte? Das bedingt, daIS effiziente und forderungswiirdige Fiihrungskrafte ihre

Karriereanforderungen 105

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Mitarbeiter mit allen notlgen Informationen versorgen, Ziele mit ihren Mitarbeitern gemeinsam vereinbaren und die Selbstandigkeit ihrer Mitarbeiter fordern. Cute Zen­Meister werden zum Beispiel daran gemessen, wieviel besser ihre Schiiler sind. Das bedeutet natiirlich ein Um­denken und eine hohe Bereitschaft der jeweiligen Fiih­rungskraft, in sich selbst zu investieren und eigene Person­lichkeitsentwicklung zu betreiben.

Obernahme von Verantwortun& Entscheidungsfreude Viele Fiihrungskrafte sehen ihre Hauptaufgabe in der Er­fiillung von Richtlinien und werden erst aktiv, wenn sie yom "oberen Management" Aufgaben und Ziele iibertra­gen bekommen haben. Die Devise ist: "I'll just sit here till life gets easier", und in vielen Unternehmen werden sie sogar dafiir bezahlt. Die Fiihrungskraft der Zukunft wartet nicht, bis sie Anweisungen erhalt, sondern schaut nach vorne und ergreift selbs6ndig Verantwortung. Das bedeu­tet, sie besitzt EntschluRkraft und Risikobereitschaft.

Fehlerkultur Forderungswiirdige Fiihrungskrafte schaffen eine gute Feh­lerkultur, das bedeutet, bei Fehlern wird nicht nach den Schuldigen oder Entschuldigungen gesucht, sondern da­nach, wie in Zukunft diese oder ahnliche Aufgaben besser gelost werden konnen. Mitarbeiter sind nur bereit, etwas auszuprobieren, wenn sie die Moglichkeit haben, ihre Fehler zu korrigieren. Effiziente Fiihrungskrafte iiberneh­men Verantwortung fiir ihre Aktionen und iiberpriifen sich selbst und ihre Anweisungen oder Aufgabenstellungen. Ineffiziente Manager sind damit beschaftigt, bei Fehlern den Ceisteszustand ihrer Mitarbeiter zu iiberpriifen, das heiRt, sie verhalten sich problemorientiert und nicht losungsorieniert. Winston Churchill hat gesagt: ,,Du sollst Fehler so friih als moglich machen, dam it du so viel als moglich daraus lernen kannst." Dieses ist durchaus eine hilfreiche Einstellung beim U mgang mit Fehlern.

106 Visionen fOr das mittlere Management

Page 102: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Durchsetzungsfahigkeit, Macht oder Einfluf5 Viele Manager fiihlen sich in ihrer Position vollig machtlos, und sie nehmen aus diesem Grunde an Veranderungspro­zessen nur als Statist en teil und werden dementsprechend hin und her geschoben. Macht bedeutet immer Beeinflus­sung. Effektive Manager benutzen diese Macht zielgerichtet zur Beeinflussung von Personen und wenden diese in ihrem eigenen Verantwortungsbereich an. Die Grenzen des eige­nen Verantwortungsbereiches sollten nicht im Kopf statt­finden und eigene Barrieren sein. Macht bedeutet zielorien­tierter Einsatz von Ressourcen.

Initiative, Eigendynamik Effektive Fiihrungskrafte sind proaktiv und somit zukunfts­orientiert. Sie gestalten Prozesse im Unternehmen mit und nehmen EinfluB auf die Denkrichtung des Top-Manage­ments. 1m Gegensatz hierzu stehen ineffektive Manager, welche reaktiv sind und Entscheidungen iiber sich ergehen lassen.

Risikobereitschaft, Mut Das reaktive Verhalten geht zumeist einher mit risikoscheu­em Verhalten und ist oftmals darauf gerichtet, die eigene Position zu stabilisieren. EinfluBnehmende Fiihrungskrafte betrachten Risiken als Chancen und Herausforderungen. Sie gestalten ihr Umfeld so, daB schnellstmogliche Anpas­sung an neue Situationen erfolgen kann.

Ziele, Visionen ,,Auf was Du Dich fokussierst, wirst Du bekommen!" Forderungswiirdige Fiihrungskrafte beteiligen sich am Ziel­findungsprozeB des Top-Managements und vereinbaren ihrerseits gemeinsame, motivierende Ziele mit ihren Mit­arbeitern, wahrend die ineffektiven darauf warten, daB sie Zielvorgaben erhalten. Die richtige Strategie ist hin zum Positiven und nicht weg yom N egativen.

Karriereanforderungen 10

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Ergebnisorientierung, Profit Ein standiges Thema in Organisationen ist der Gedanke daran, wie und in welcher Art und Weise der Profit gesteigert werden kann. Ineffektive Manager orientieren sich dabei rein an vorgegebenen Zahlen und iibernehmen somit nur die Aufgabe eines Controllers. Effiziente Fiih­rungskrafte hingegen besitzen zu jeder Zeit Wahlmoglich­keiten und denken dariiber nach, dieses durch Erhohung der Qualitat, durch neue Produkte, das Besinnen auf Kernfaktoren oder durch verbesserte Serviceleistung oder eine schnellere Positionierung der Produkte am Markt zu tun. Sie sind leistungsorientiert und nicht rein machtorien­tiert.

Beziehungsmanagement Effektive Manager kommunizieren mit ihren Mitarbeitern und verbringen nicht die meiste Zeit hinter verschlossenen Biirotiiren. Sie versorgen ihre Mitarbeiter mit Informatio­nen, unterstiitzen sie bei Problemstellungen, fragen auch ihrerseits nach Hilfestellung und sind generell interessiert an ihren Mitarbeitern. Gute Fiihrungskrafte nehmen auch Stimmungen innerhalb ihrer Mitarbeiterschaft wahr und gehen auf Sorgen und Note ihrer Mitarbeiter ein. Sie sind daran interessiert, ein Klima zu schaffen, in dem die Mitarbeiter SpaR an der Arbeit haben und dieses auch zeigen konnen.

Team(ahigkeit Effektive Fiihrungskrafte betrachten ihre Mitarbeiter als wichtigste Ressource und handeln danach. Sie agieren als Primus inter pares und sind auch bereit mitzuarbeiten. Ineffektive Manager fiihren als Biirovorsteher und ver­schanzen sich hinter einer geschaffenen Hierarchie. Effek­tive Manager wissen sehr gut Bescheid iiber die Fahigkeiten ihrer Mitarbeiter -und auch ihre eigenen -und lassen auch ihre Mitarbeiter bei abteilungsiibergreifenden Projekten auftreten, das heiRt, sie entscheiden nach Kompetenz und

108 Visionen fOr das mittlere Management

Page 104: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

nicht nach Hierarchie, sie betrachten ihre Mitarbeiter als interne Kunden und schaffen Gewinner-Gewinner-Situa­tionen.

Logische Ebenen

Wie schaffen es mittlere Manager, diesen Anforderungen gerecht zu werden?

Ein erster Schritt besteht darin, eine personliche Oberprufung der eigenen Ziele, Eihigkeiten, Werte und Einstellungen zum Thema Karriere vorzunehmen. Dieses mochte ich ihnen an­hand des Instrumentariums Logische Ehenen (nach Dilts) vorstellen. Wenn Sie sich uber nachgenannte Faktoren bewuBt sind, sind Sie auch auf dem Weg zu Ihrer personlichen Karriere. Ein passender Satz dazu: "Gestalten Sie Ihren Tag, bevor es andere fur Sie tun." Wobei Sie hier nicht nur Ihren Tag, sondern Ihren Lebensweg planen.

Ais praxisrelevantes Modell fur Veranderungen hat sich das Modell der Logischen Ebenen von Dilts erwiesen. Aufbauend auf Arbeiten von Bateson, der das Lemen auf funf aufeinander aufbauenden Ebenen beschrieb, entstand ein Modell der logi­schen Ebene des ,,Fuhlens und Seins", welches zur Analyse, Beschreibung und Durchfuhrung von Veranderungsprozessen bestens geeignet ist.

Eingebettet in einen Kontext, den wir Umwelt nennen, ist auf der untersten Ebene das Verhalten. Es beschreibt die konkreten Aktionen eines Individuums und beantwortet die Frage: Was tue ich? Wie verhalte ich mich in unterschiedlichen Situatio­nen?

Die nachsthohere Ebene ist die Fahigkeitenebene, auf der Verhaltensweisen als generalisiertes Potential von moglichen Denk-, Fiihl-, und Verhaltensstrategien zur Verfiigung stehen.

Logische Ebenen 109

Page 105: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Wahrend das Verhalten offensichtlich ist, ist damit noch kein RiickschluB auf die vorhandenen Fahigkeiten moglich. Viele Manager besitzen mehr Fahigkeiten als diejenigen, die sie in konkreten Situationen zeigen. Die Frage nach den Fahigkeiten lautet: Was kann ich? Was mochte ich noch konnen?

Vision

~~ '{1''t. ~ ~ • .f$' ~'t

~~ ~_Id_e_nt_ita_· t __ i".-\~ ". ~ ~~~ ~ .~~ ~. Einstellungen -- ....

~- -~~'1. ~ Werte, Glauben \ ~ ~ .,~ ~----------------\ ~~

Fahigkeilen ~ ~

Verhalten

Logische Ebenen

Inwieweit vorhandene Fahigkeiten eingesetzt werden, hangt von der nachsten Ebene ab, den Einstellungen und Werten. Auf dieser Ebene wird die Erlaubnis oder das Verbot fiir die moglichen Aktionen gegeben. Das heiBt, daB sowohl erwei-

110 Visionen fOr das mittlere Management

Page 106: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

ternde als auch limitierende Einstellungen unsere Verhal­tensweisen bestimmen. Hierbei wird die Frage gestellt: Woran glaube ich? Was ist wirklich wichtig? Auf der Identitatsebene werden die ,,Kern"aussagen erarbeitet, und die Frage: "Wer bin ich? Was ist meine wahre Natur?" wird hier beantwortet. Die Frage nach dem Sein fuhrt sehr schnell auf die hochste Stufe innerhalb dieses Erklarungsmodells: die Vision, das heiBt die Frage: Wo will ich hin? Wo will ich sein in funf oder in zehn Jahren? Was ist meine Aufgabe, meine Mission? Auf dieser Ebene geht es urn Fragen nach der eigene Spiritualitat und unserer Einbindung und Aufgabe auf dies em Planeten.

Jede Ebene beeinfluBt die darunterliegenden Ebenen. Robert Dilts verwendet diese "logicallevel" als ,Jogical alignment". Es geht hierbei urn die Stimmigkeit auf allen Ebenen, die eine Person ausmachen und zur Kongruenz fuhren. Diesen ProzeB verwenden wir fur die Standortbestimmung und Personlich­keitsentwicklung insbesondere bei Managern. Die Abflachung der Hierarchien, die haufig den Wegfall von bestehenden Selbstdefinitionen mit sich bringt, zieht ungeahnte Identitats­probleme mit sich. Ein Abteilungsleiter oder Bereichsleiter, der auf einmal keiner mehr ist, geht haufig in die innere Kundigung oder in den Widerstand, obwohl sich an seinem Arbeitsplatz und/oder der Bezahlung nichts geandert hat. "Wer sind wir denn noch?" hort man haufig in solchen Fallen. Die Bedrohung von Autonomie und Sicherheit, das Infragestellen geltender Werte und der Verlust von vermeintlicher Anerkennung und Selbstwert bilden die Inhalte bei Veranderungen, mit denen sich Unternehmen jetzt und in Zukunft auseinandersetzen mussen.

Die neue Vision, die neue Philo sophie fur ein Unternehmen ist schnell proklamiert, die dafur notwendigen Veranderungen in der Selbstdefinition der Manager und die Schaffung der neuen Werte und Einstellungen sind der schwierigere Teil der Aufgabe.

Logische Ebenen 111

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Urn den Wandel eines Unternehmens nicht nur auf Hochglanz­papier in Form von Unternehmensleitlinien zu dokumentieren, muR es eine Verkniipfung aller Ebenen geben und die Umset­zung muR sich im Handeln eines jeden Mitarbeiters wiederfin­den.

Transparenz schaffen

Vorhandene Instrumentarien, urn Transparenz beziiglich des Fiihrungspotentials in Unternehmen zu schaffen, sind zum Beispiel Vorgesetztenbeurteilungen, die von der betreffenden Person selbst, von den jeweiligen Mitarbeitern und auch jeweils vom nachsthoheren Manager ausgefiillt werden. Dieses ist eine Moglichkeit der Oberpriifung des Selbst- und Fremdbildes und kann sicherlich als ein Hinweis oder Spiegel dienen. Fiihrung nach oben wird in vielen Unternehmen auch sehr kritisch betrachtet, denn das wiederum schafft Transparenz, die sich manche Manager nicht wiinschen, da dieses der erste Schritt dahin ist, daR ihr Verhalten gem essen werden kann - was fiir ineffektive Manager Klarheit und auch Enttauschung mit sich bringen kann. Gleichzeitig wird bei Beratungssituationen deut­lich, daR Fiihrung nach oben auch sanktioniert wird. Ein guter Weg der Vorgesetztenbeurteilung fiihrt von oben nach unten, das heiRt, es wird mit dem Top-Management begonnen, und das Ganze pflanzt sich auf den weiteren Leitungsebenen nach unten fort. Ansonsten ziehen unfahige Top-Manager natiirlich unfahige mittlere Manager nach sich.

Auch Top-Manager nutzen ihre Machtposition zur Stabilisie­rung ihrer eigenen Position, unterliegen dem Peter-Prinzip, verhalten sich risikoscheu, setzen Ziele, statt sie zu vereinbaren, geben unklare Anweisungen oder sind risikoscheu und setzen somit das genannte Dilemma in Gang. Es tallt auf, daR auch Top-Manager den gestellten Anforderungen gar nicht entspre-

11 Visionen fUr das mittlere Management

Page 108: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

chen, und die Entscheidungsunfahigkeit auf hochster Ebene fiihrt zu Entscheidungsunfahigkiet auf den nachsten Ebenen. An diesem Punkt werden dann Berater geholt, die diese verkrusteten Strukturen aufbrechen sollen. Auch gute Berater­arbeit setzt beim Top-Management an und macht nicht nur mittlere Manager ,,funktionstiichtig". Wenn das Top-Manage­ment seine Vorbild-Funktion wahrnimmt, ist dieses ein wich­tiger Schritt auf dem Weg zu einer guten Unternehmenskultur. Das bedeutet natiirlich nicht, daB mittlere Manager darauf warten sollten und ansonsten untatig waren, im Gegenteil, es ist immer moglich, im eigenen Verantwortungsbereich seine Fahgkeiten auch wirklich zu leben. Denn ansonsten wiirden sie genau dem vielmals kritisierten Verhalten des Top-Manage­ments entsprechen, und damit ist eine Unternehmung zu volliger Bewegungsunfahigkeit verdammt.

Ein weiterer Schritt ist die Transparenz beziiglich der Kriterien zur Karriereplanung und -forderung. Wenn in einem Unterneh­men die Karrierefaktoren offen benannt werden und kein ,,Ich weiB-etwas,-was-du-nicht-weiBt"-Spiel zum Thema Karriere gespielt wird, konnen sich mittlere Manger auch bewuBt fiir ihre Karriere entscheiden. Das Unternehmen gewinnt dabei auch zusatzliche Energien, denn viel Zeit verbringen mittlere Manager damit, ihre Phantasien iiber Karriereanforderungen in Unternehmen zu spinnen und damit Geriichte iiber mogli­che Faktoren, Entschliisse oder eventuelle forderungswiirdige Kandidaten auszutauschen. Je offener die Anforderungen kom­muniziert werden, desto mehr konnen Energien auf ein Ziel hin ausgerichtet und gebiindelt werden. Hierzu bedarf es eigener Vorstellungen, Visionen und Ideen und gleichzeitig der Moglichkeit, dies wieder auf konkrete Ziele hin zu formulieren.

Transparenz schaffen 11

Page 109: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Personliche Visionsreise

Gute Personalentwicklung in Unternehmen befaBt sich sowohl mit der Lebens- als auch Karriereplanung. Karriereplanung betrifft nicht nur die eigenen Fahigkeiten, Werte und Einstel­lungen zum Beruf, sondern beinhaltet auch immer die Planung innerhalb eines personlichen Umfeldes, namlich der Partner­schaft oder der Familie. Wenn Sie bei der Karriereplanung diese Aspekte auBer acht lassen, ist das Dilemma oder der innere Konflikt vorprogrammiert. Die sogenannte ,,Midlife-Crisis" setzt heute bei Managern schon friiher ein, und Sie tun gut daran, sich auf Ihre Zukunft vorzubereiten, so daB Sie unab­han gig von dem, was in einer Unternehmung passiert, immer Wahlmoglichkeiten besitzen. Personlicher StreB beginnt immer dann, wenn man sich in einer sogenannten ausweglosen Situation befindet, das heiBt nichts anderes, als daB man in dieser Situation keine Alternativen sieht.

Schauen Sie in Ihre Zukunft!

Widmen Sie nun bitte die nachsten Minuten ganz sich selbst und fangen Sie an Ihr Leben zu planen, indem Sie sich iiber nachfolgende Punkte und Fragen Gedanken machen. Gehen Sie auf eine Phantasiereise in die Zukunft, fang en Sie an zu traumen. Lassen Sie sich iiberrraschen, welche Bilder vor Ihnen auftauchen.

Sie sehen sich in Ihrer Vorstellung, fiinf oder zehn Jahre spater, und Sie haben viel erreicht in Ihrem Leben!

Sie sitzen im Wohnzimmer ihres Hauses.

Wie sieht das Zimmer aus?

Wie sind Sie gekleidet?

Wie fiihlen Sie sich in dieser Umgebung?

Mit wem leben Sie zusammen?

114 Visionen fUr das mittlere Management

Page 110: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Jetzt stehen Sie auf und fahren zu Ihrem Arbeitsplatz. Mit was fur einem Fahrzeug fahren Sie?

Sie kommen in Ihrem Buro an, wie sieht es aus?

Sie setzen sich an Ihren Schreibtisch, was fur Post liegt darauf?

Konnen Sie die Absender auf den Briefen lesen?

Ihre Mitarbeiter, Kollegen kommen herein. Mit wem ar­beiten Sie zusammen?

Wie reden Sie mit ihnen? Was haben Sie mit ihnen zu besprechen?

Ihre Arbeit ist beendet, Sie werden abgeholt. Von wem?

Wo gehen Sie hin?

Visionen sind Wunsche und Hoffnungen an die Zukunft, daran, wie sich unser Leben gestalten wird, und beinhalten Ziele, die wir erreichen wollen. Wenn wir uns die Zeit nehmen zu traumen, flieRt vieles aus unserem UnterbewuRten mit ein, was wir im Alltag nicht zu Wort kommen lassen. Visionen stellen einen Anreiz dar und weisen uns einen Weg, dem wir folgen konnen. Visionen wirken sich auf unser Streben und Handeln aus. Wir konnen erkennen, wie unser Weg sein solI, so daR wir groRtmogliche Zufriedenheit erreichen.

Wenn Sie eine Visionsreise unternommen haben, konnen Sie als nachstes eine feinere Strukturierung vornehmen und kon­krete Ziele flir die nachsten flinf Jahre planen und festlegen.

1. Wie solI Ihre berufliche Realitat in funf Jahren aussehen?

2. Wenn Sie sich fur beruflichen Aufstieg entschieden haben und wissen, was das fur Sie ganz personlich ist, listen Sie auf, welches Ihr personlicher Preis dafur sein wird (in bezug auf Partnerschaft, Kinder, Freunde, Hobbys, Haustiere, Mobilitat, Bereitschaft, sich fortzubilden etc.)

Persiinliche Visionsreise 11

Page 111: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

3. Listen Sie jetzt auf, was auf der anderen Seite der Bilanz steht, sozusagen Ihr Lohn fur den Preis: Was alles bekom­men Sie furl oder durch Ihre Karriere (zum Beispiel EinfluB, Status, Freiraume, mehr Geld, Zugang zu anderen gesell­schaftlichen Schichten, mehr Verantwortung etc.)

4. Wagen Sie den Preis und den Lohn einer Karriere in der besonderen Bedeutung fur Sie gegeneinander abo 1st die Bilanz positiv? Sicher?

Zielkonkretisierung

1. Bestimmen Sie nun ein moglichst konkretes Ziel, das Sie in drei bis flinf Jahren erreicht haben wollen. Welche Arbeit mochten Sie dann wo machen?

2. Was mussen Sie alles wissen, urn diese Arbeit machen zu konnen?

3. Welche personlichen und beruflichen Erfahrungen werden notig/nutzlich sein?

4. Welche Fertigkeiten werden notig/nutzlich sein?

5. Welche Kontakte und Beziehungen werden Sie dann brau­chen?

6. Welche auBerbetrieblichen Voraussetzungen mussen dann erfullt sein?

Dieses sind verschiedene Moglichkeiten, uber die eigene Zu­kunft und Karriere nachzudenken; das gleiche gilt fur die Unternehmen, die sich auch uber die zukunftige Rolle und die Angebote fur mittlere Manager Gedanken machen muss en.

116 Visionen fOr das mittlere Management

Page 112: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Die FOhrungskraft als Change-Agent

Der mittlere Manager ist ganz stark in Veranderungsprozesse involviert. Er sollte diese aktiv unterstiitzen und gleichzeitig in der Lage sein, seine Mitarbeiter zu befahigen, dies en ProzeR aktiv mitzugestalten. Das heiRt nicht, daR die Fiihrungskraft von morgen sich darauf beschrankt, Ziele weiterzugeben, sondern das bedeutet, daR sie in der Lage sein muR, ihre Mitarbeiter in deren Fahigkeiten weiterzuentwickeln. Eine Vision fiir mittlere Manager konnte sein: Change-Agent, Trainer und Coach der Mitarbeiter.

Dauerhaften Erfolg wird der mittlere Manager nur haben, wenn er sich auf seine Eihigkeiten bezieht und diese effizient einsetzt, denn es ist heute nicht mehr vorherzusagen, wann oder wie schnell Positionen verandert, im Rahmen einer Umstrukturierung abgebaut oder gar nicht neu besetzt werden. Das heiRt, wer seine Karriereplanung auf Positionen aufbaut, setzt auf ein unabwagbares Risiko. Wenn ich mir aber iiber meine eigenen Fahigkeiten im klaren bin, werden einzelne Positionen nicht mehr so wichtig. 1m Gegenteil, auch das Unternehmen hat die Chance, Mitarbeiter gemaR ihrer Fahig­keiten einzusetzen.

Da die zu bewaltigenden Arbeitsaufgaben immer komplexer werden, miissen auch mittlere Manager in Zukunft in starke­rem MaRe Verantwortung fiir Arbeitsbereiche iibernehmen, die sie seIber im Detail nicht mehr kennen. Sie fiihren in Zukunft, insbesondere in forschenden Unternehmen, ein Team von Spezialisten, die in ihrer fachlichen Qualifikation ihren Vorgesetzten iiberlegen sind. Fiihren bedeutet nicht durchfiih­reno

Gleichzeitig sind die Anforderungen an die soziale Kompetenz des Vorgesetzten gestiegen, das heiRt, es wird eine ganz neue Sensibilitat gefordert. Der Vorgesetzte als Coach oder Mentor nach innen und als Manager nach auRen. Optimales Fiihrungs-

Die Fiihrungskraft als Change-Agent 11

Page 113: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

verhalten ist situationsgerecht, das heiRt, es richtet sich nach den Bediirfnissen des Kunden, des intern en Kunden, der Mitarbeiter, und des externen Kunden, des Marktes.

Wenn wir die Kompetenzfelder von Fiihrungskraften untertei­len in (QueIle Input 1990):

soziale Kompetenz, die Kompetenz im Umgang mit Men­schen,

Fachkompetenz, die Kompetenz in der Lasung von Sach­und Fachaufgaben,

Managementkompetenz, die Kompetenz im Gestalten und Fiihren von Betrieben, Bereichen,

persanliche Kompetenz, Resultante aus den obigen drei Bereichen durch standige persanliche Weiterentwicklung,

steIlen wir sehr schnell fest, daR nur wenige Vorgesetzte aIle diese Pramissen erfiillen. Wenn nun aber Karriere nur bedeutet, daR ich in der Hierarchie nach oben wachse, spricht das nicht gerade fiir die Qualifikation unserer Manager.

Spezialisten

Warum ist es zum Beispiel nicht maglich, daR diejenigen, die zum Beispiel hohe fachliche Kompetenz in einem Bereich besitzen, auch als Spezialisten in dies em Bereich anerkannt werden? Warum werden so haufig aus Spezialisten Fiihrungs­krafte gemacht, die sie eventueIl gar nicht sein wollen oder kannen, weil sie die soziale Kompetenz gar nicht besitzen?

Es gilt aus Unternehmenssicht, die Spezialisten weiter zu fardern im Hinblick auf ihr Fachgebiet oder neue Fachgebiete.

118 Visionen fUr das mittlere Management

Page 114: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Sabbatical

In verschiedenen Einzelcoachings erfuhren wir immer wieder, daR viele mittlere Manager auf ihren Fuhrungsposten recht unglucklich waren, da sie insbesondere in Bereichen wie Forschung und Entwicklung eine ganz andere Form von Karriere ertraumten. "Sabbatical" heiRt das Zauberwort; es bedeutet, zum Beispiel fur ein halbes Jahr oder langer die Moglichkeit zu bekommen, auRerhalb der Firma an renom­mierten Hochschulen und/oder Forschungsinstituten im In­und Ausland Forschungsauftrage oder -moglichkeiten wahrzu­nehmen. Auf diesem Wege bekommt die Firma Kandidaten, die sich in ihrer oder einer anderen Fachrichtung weitergebildet haben und somit auf dem neuesten Stand der Entwicklung sind. Gleichzeitig profitieren die Hochschulen von Kollegen, die insbesondere Erfahrungen in der Wirtschaft gesammelt haben und somit praxisbezogenes Arbeiten weitergeben kon­nen.

Es ware auch denkbar, daR sich Akademiker fur einige Jahre an die Hochschulen zuruckziehen und Studenten ausbilden, urn somit eine starker praxisbezogene Ausbildung zu gewahr­leisten.

"Sabbatical" kann auch bedeuten, dieses in einem firmenfreien Rahmen zu tun. Das heiRt, endlich sich die Zeit fur eine Weltumseglung zu nehmen, sich in anderen Landem in der jeweiligen Sprache weiterzubilden, brachliegende Fahigkeiten zu entdecken und auszubilden. Wenn hiermit Methoden ge­schaffen werden, innerhalb derer sich Menschen ganzheitlich weiterbilden konnen, bedeutet das wiederum fur die Unter­nehmung neue Moglichkeiten, diese Mitarbeiter nach ihrer Ruckkehr in neuen Arbeitsgebieten einsetzen zu konnen: ,,Different strokes for different folks".

Spezialisten 11

Page 115: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Erziehungsjahr/Teilzeit

Eine weitere Moglichkeit besteht darin, auch Vcitem zu ermog­lichen fur die Zeit der Kindererziehung zu Hause zu bleiben und iher Rolle als Vater gerecht zu werden. Wo anders lemen sie soviel uber soziale Kompetenz, wie in der Kindererziehung?

Immer wieder taucht in der Wirtschaft das Thema soziale Kompetenz im Management auf. Kinder haben ein sicheres Gespur im Urn gang mit Erwachsenen, fur das, was sie brau­chen und erwarten.

Wenn wir Kindererziehung und Weiterentwicklung von Mitar­beitem vergleichen, ergeben sich diverse Parallelen: Mitarbeiter fuhren und befahigen - ein wichtiger Teil in der Kindererzie­hung, Kinder fuhren und befahigen. Kreativ und innovativ sein im Management, ungewohnliche Wege finden und gehen, Kinder sind kreativ und innovativ und finden immer wieder neue Moglichkeiten und Wege. Standige Ruckmeldung und lemen aus Fehlem, ein srandiger ProzeR auch im Umgang mit Kindem. Beziehungsmanagement und Konfliktmanagement, wer ab und an mit einer Gruppe von Kindem umgeht, weiR was das bedeutet. Entscheidungen treffen - im Umgang mit Kindem treffen sie von morgens bis abends permanent Ent­scheidungen. Zeitmanagement und Selbstmanagement, wer seinen Tag planen muR und dabei mit Kindem leben will, braucht ein sehr gutes Zeit- und Selbstmanagement. Denken Sie an all die Punkte, die eine gute Fuhrungskraft mit hoher sozialer Kompetenz auszeichnet, und Sie werden diese in der Kindererziehung wiederfinden. Warum sollten Untemehmen nicht Gebrauch davon machen?

Vielleicht wurden sie auch hier schon einen Beitrag leisten, urn den vielen Themen wie Midlife-crisis oder der Frage nach dem Sinn des Lebens vorzubeugen - zu provo kant und progressiv?

120 Visionen fOr das mittlere Management

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Netzwerkmanager (Projektmanager)

1m Rahmen der Umstrukturierungsprozesse in Unternehmen werden zum Beispiel bei der Deutschen Lufthansa ca. 30 Pro­zent der mittleren Manger nicht mehr gebraucht, bei der Hypo-Bank in Miinchen verliert jeder zweite von 400 Filiallei­tern seinen Job, Mercedes-Benz und Volkswagen haben auf dieser Ebene urn zwischen 20 und 30 Prozent reduziert. Der Personalchef im Siemens-Zentralvorstand sagte in einem Zei­tungsinterview: ,,Die soziale Kompetenz, die Fahigkeit, Mitar­beitern Freiraume zu geben, urn sie zu hohen Leistungen anzuspornen, wird bei der Besetzung von Vorgesetztenstellen kiinftig eine starkere Rolle spielen als in der Vergangenheit." Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Babcock AG formu­lierte es drastischer: "Wenn diejenigen, denen ich den Orden Hauptabteilungsleiter wegnehme, nicht den Mumm haben, sich neu aufzustellen, und mit der Schulung nicht klarkommen, konnen wir uns nicht lange mit ihnen aufhalten." Fakt ist jedoch, daB sie eine gewisse Prozentzahl entlassen konnen, aber diejenigen, die bleiben und in dies en Hierarchievorstellun­gen gedacht haben, weiterhin motiviert ihren Job machen sollen.

Ein weiterer Interviewkommentar war folgender: "Zuerst muB sich das Verhalten der Menschen andern. Kastchendenken muB aufhoren. Wir brauchen Mannschaftsgeist und keine Einzelkampfer. Nur wenn die internen Beziehungen stimmen, konnen auch die Beziehungen zu den Kunden funktionieren."

Alle diese Aussagen sind sicherlich richtig. Gleichzeitig waren diese Positionen im mittleren Management auch immer eine Moglichkeit, Fiihrung in einer iiberschaubaren Gruppe zu praktizieren und zu iiben. Wenn sie nun potentielle Kandidaten weiterbefordern, heiBt das, daB diese einen ziemlichen Sprung machen miissen von ihrer bisherigen Aufgabe, nicht selten Sachbearbeitertatigkeit hin zur Fiihrung von Hunderten von

Netzwerkmanager (Projektmanager) 121

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Mitarbeitern. Wo waren die Moglichkeiten, dieses zu uben und zu praktizieren?

Hier bietet sich eine Moglichkeit uber Netzwerkmanagement. Netzwerkmanagement steht nicht zwischen Burokratie und Chaosmanagement, es steht davor. Netzwerkmanagement ver­knupft Expertenkompetenz und Kundenwunsche in neuen Formen der Kooperation, die bei der Eigeninitiative und Selbststeuerung zu einer Ressourcenoptimierung fuhren, ein hoheres Tempo bewirken und Konkurrenzvorteile erzielen. Schlagworte wie schneller, besser und billiger werden hier umgesetzt.

N etzwerkmanagement gibt dem traditionellen Manager neue Moglichkeiten, eine Rolle zu finden, die befriedigender fur ihn ist, die seine Leistung wieder herausfordert, die ihn Fuhrung praktizieren laBt und die auch dem Unternehmen, fur das er arbeitet, nutzlicher sein kann.

Buchstabieren Sie Netzwerk wie folgt:

N = Neuerungen, Innovationen E Experten-Kompetenz verknupfen T = Teameffekte und Hochstleistungen erzeugen Z = ziel- und kundenorientiert handeln W = Wissenstransfer und Systemlernen sichern E = Eigeninitiative und Selbststeuerung starken R = Ressourcen optimiert kombinieren K = Konkurrenzlosungen ubertreffen

Urn Burokratie- und Hierarchieblockaden zu uberwinden, mussen N etzwerke so aufgesetzt werden, daB sie

alle Teile, Teilnehmer, Ressourcen oder Kompetenzen be­reichsunabhangig auf das Ziel des Netzwerkes fokussieren,

hierarchieuberwindend sind - aber prozeBgesteuert arbei­ten, was nicht ausschlieBt, daB sie bestehende Hierarchien als Ressource nutzen konnen, urn ihre Ziele durchzusetzen,

122 Visionen fur das mittlere Management

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kunden- und markt-, also auch auRenorientiert arbeiten, das heiRt, dem Geschaft und nicht der Burokratie dienlich sind.

Netzwerkmanager werden also projektbezogen eingesetzt und etabliert. Hiermit wird Verantwortung delegiert, und Manager werden befahigt. Der Bezugspunkt fur N etzwerke ist nicht der Chef, sondern der Kunde beziehungsweise das Ergebnis. Ex­perten werden zeitweilig Full-time-Mitglieder von Projekten und Projektleiter fur die Dauer des Projektes. Sie werden aus dem Projektbudget bezahlt und konnen fur die Dauer des Projektes die Fuhrung und Verantwortung fur das Team ubernehmen. Hierbei ergibt sich auch die Moglichkeit, Fuh­rung zu uben, und bei wechselnden Projekten auch die Mog­lichkeit fur das U nternehmen, festzustellen, wer auf dem klassischen Wege nach oben wirklich geeignet ist. Auf diesem Wege wird Know-how gebundelt, Wissen wird transferiert, und die Organisation entwickelt sich zu einer lernenden Organisation.

Der Netzwerkmanager sorgt dafiir, daR die Mitarbeiter die Werkzeuge und Fahigkeiten besitzen, die sie fur ihre neue Form der Aufgaben brauchen. Er agiert als Koordinator und Uber­setzer der Prozesse auf sein Team.

Mit den dargestellten Gedanken mochte ich Unternehmen und Managern beziehungsweise Mitarbeitern Moglichkeiten und Wege oder Visionen aufzeigen, damit sie aus dem derzeit herrschenden Dilemma der Situation des mittleren Managers herausfinden. Statt "caught in the middle" sollen sie in Zukunft sagen konnen: "It's fun in the middle."

Netzwerkmanager (Projektmanager) 12

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6 Management by Vision -Auf dem Weg zur i ntelli 9 e nten 0 rg a n isation Dietrich Buchner

Von der Utopie zur Herausforderung und zur RealiHit

Utopien sind Wahrnehmungen oder besser "Wahr"nehmun­gen. Wahrscheinlich haben Sie schon mehrfach die Erfahrung gemacht, daB sich das schier Unmogliche verwirklichen laBt, wenn es nicht als Utopie, sondern als Herausforderung oder als Moglichkeit wahrgenommen wird.

1st Management durch Vision eine Utopie? Sind Menschen in der Lage, eine Organisation allein aus der Kraft und Orientie­rung der Vision wirksam und erfolgreich zu gestalten? Wie fiihrte Kennedy die Nation, als er vor 30 Jahren visionierte, daB ,,noch in diesem Jahrzehnt ein Amerikaner den FuB auf den Mond setzt"?

Wie wissen Sie, ob die erfolgreichen Fiihrungsprinzipien aus der Vergangenheit auch in Zukunft noch erfolgreich sein werden. Erfolg ist eine Falle, da er sich immer wieder repro­duzieren will. Der Erfolg hat dazu Regeln aufgestellt, die sichern sollen, daB das einmal erfolgreiche Verhalten verlangert wird. Regeln sind aber starr, sie entstanden in der Vergangen­heit, entwickeln sich allenfalls mit Zeitverzogerung weiter und bilden sich als Regelwerk oder Biirokratie weiter aus. Das kann in der Wirklichkeit so weit gehen, daB die Regeln so komplex sind, daB sie ihre eigenen ,,Ausfiihrungsbestimmungen" brau-

Von der Utopie zur Herausforderung und zur Realitat 129

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chen usw. Das Menschenbild, das solchen dann entstehenden "Verwaltungsbiirokratien" zugrunde liegt, ist deprimierend: Es bedeutet doch, daR iiber 90 Prozent der Menschen in einer solchen Organisation nachlesen sollen, "wie sie sich verhalten diirfen, weil es so vorgeschrieben ist". Und so etwas heiRt dann folgerichtig Verhaltens"vorschrift".

Wenn die Zeiten turbulenter werden, wird es fiir solche Systeme schwierig. Der Erfolg ist deshalb eine Falle, weil er einprogrammiert (imprinted) wurde. Diese Programme taugen aber nichts, wenn sich die U mwelt, der Markt, der Wettbewerb andern. Und sie taugen urn so weniger, je schneller und je drastischer die Anderungen drauRen sind. Turbulente Bedin­gungen mach en deshalb den in der Vergangenheit erfolgrei­chen Unternehmen oft mehr Schwierigkeiten als den weniger erfolgreichen.

Biirokratie ist Management ohne Vision. Regeln sind Sicht­blenden, die bis zu selbstbegrenzenden Wahrnehmungsstorun­gen wuchern. Dabei miissen es nicht immer die explizit festgeschriebenen Richtlinien sein, die neue Sichtweisen blok­kieren, gerade die nicht bewuRten, selbstgeschaffenen Regeln tun es.

Dabei treffen Sie oft auf ein Paradox: Je weniger eine Biirokra­tie namlich mit den Umweltveranderungen zurecht kommt, urn so mehr Wlt sie in alte Regeln und Regelkontrollen (Programme) zuriick.

Schlechtere Geschafte werden zunachst einmal mit Kostensen­kungsprogrammen, mit scharferen Kosten- und Investitions­kontrollen und mit komplizierteren Genehmigungsverfahren beantwortet. (Das kann dann schon einmal dazufiihren, daR ein Investitionsantrag fiir einen Schreibtischsessel abgelehnt wurde, nachdem der - leicht iibergewichtige - Direktor mit seinem alten Stuhl zusammengebrochen war.)

Manchmal ist ein N euanfang besser. Dazu ware es aber notwendig, die alten Strukturen, Regelwerke und Institutionen

126 Management by Vision

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der Biirokratie zu zerschlagen, sagen die Anhanger des Cha­os-Managements (zum Beispiel Tom Peters). Ein radikales Neudesign auf der Basis von Leidensdruck empfehlen die ,,Business Reengineering"-Vertreter (zum Beispiel Michael Hammer). Wahrscheinlich liegt in beiden Ansatzen ein Kern Wahrheit, und Vision laBt sich damit gut verbinden. Die Transformation von starren Biirokratien in intelligente Orga­nisationen braucht Chaos wie Redesign, aber sie verwirklicht sich erst durch eine gemeinsame Vision.

Urn mit Vision zu fiihren, sind vor allem drei Prozesse erforderlich, ohne die sich eine neue Fiihrungskultur und letztlicheine neue Unternehmensidentitat als umgesetzte Vi­sion nicht entwickeln kann:

1. Die Vision muB eine gemeinsame Vision sein, die fiir den einzelnen attraktiv und motivierend ist. Die Selbstverpflich­tung des einzelnen kann von niemandem erzwungen wer­den. Die Wege zum Commitment und zum Eigentum an der Vision sind der erste ProzeR.

2. Die Fiihrungskultur muB in eine hohere Stufe der Intelli­genz oder auf eine hohere Ebene der Verhaltenssteuerung, wie zum Beispiel Werte, Notwendigkeiten und Freiheits­grade etc., transformiert werden. Delegation und Befahi­gung gehen Hand in Hand. Sie sind systematisch, das heiBt stufenweise und situativ zu entwickeln, und bediirfen eines iiberdurchschnittlichen Investments in Qualifizierungspro­jekte und individuelle Entwicklungen.

3. Die Rolle der Manager muB sich andern. AIle Manager, die von Regelerstellung und Oberwachung gelebt haben, wer­den sich neue Inhalte und Selbstverstandnisse geben miis­sen. Macht wird weniger gefragt sein, dafiir mehr Koope­rations- und Sozialkompetenz.

Von der Utopie zur Herausforderung und zur Realitat 127.

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Von der Vision zum lockenden Ziel

Wenn Steven Spielbergs "E. T." ruft ,,Ich will nach Hause", schieRen Millionen Kinobesuchern die Tranen in die Augen. Nach Hause wollen bedeutet fur uns alle mehr als lediglich die Vorstellung vor dem geistigen Auge, die Visualisierung eines Hauses und des Weges, der zum Haus fuhrt. Das ist zunachst einmal notwendig. Wir wissen, wer dieses Vorstellungsbild nicht hat, findet nicht hin.

Aber wer sich sein Haus als geistiges Bild vorstellt, muR deshalb nicht auch hin wollen. Sie machen sich standig viele Bilder von Orten, zu denen Sie nicht hingezogen werden. Stellen Sie sich Ihre alte Schule vor oder ein Urlaubshotel, in dem der Urlaub schiefging, oder irgendein Haus in der Nahe Ihres "Zuhause". Warum sollten Sie dorthin?

Was macht die unterschiedliche Qualitat aus, wenn Sie dem­gegenuber an Ihr ,,zuhause" denken. Auch dort ist ein Gebaude, und ein Weg fiihrt dorthin. Die Spannung, die es aber auslost, ist emotional: Es sind warme Gefuhle wie Zuwendung, Liebe, Geborgenheit, Verantwortung, die Sie mit Menschen, Raumen und Tieren verbinden. Ihre Kinder, Ihre Frau, Ihr Hund oder Ihre Katze, Ihre gemutliche Ecke usw. Sie alle gehoren dazu, wenn Sie sich Ihre "Vision" von ,,zuhause" bilden. Sie sind es, die es fur Sie "attraktiv" machen, hinzufahren, Abkurzungen zu suchen, moglichst schnell da sein zu wollen und Umleitun­gen mit neuen Strategien und Schleichwegen zu uberlisten. Sie werden flexibel den schnellsten, besten Weg finden, und Sie werden sich nicht mit Teillosungen zufrieden geben, solange Sie nicht ankommen. Ihre Vision von "Zuhause", das Vorstel­lungsbild, lost Gefuhle aus, die sinnlich anders als uber (visu­elle) Bilder wahrgenommen werden. Es sind Korperempfin­dung en, die an die ,,Bilder" angebunden sind (Synasthesie).

Die wirksame Vision ist emotional und "attraktiv", sie bewegt, sie weckt Sehnsuchte, sie integriert und identifiziert. Ich bin Teil

128 Management by Vision

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von Zuhause und umgekehrt, mein Zuhause ist Teil von mir. Nichts konnte den Gegensatz zwischen burokratischer "Ver­haltens"regelung und visionarer Identitatsbildung und Selbst­wertentwicklung krasser bewuRtmachen als der zwischen Identifikation und "geregelt sein".

Das Modell der logischen Ebenen, daR von Gregory Bateson ausgedacht wurde, veranschaulicht die Unterschiede deutlich (siehe Abbildung). Danach bestimmt die nachst hohere Ebene jeweils die darunter liegende. Verhalten (1. Ebene) ist also bestimmt durch das, was ich kann, durch meine Fahigkeiten (2. Ebene). Diese wiederum werden bestimmt durch das, was ich will (meine Werte und Glaubenssatze - 3. Ebene), und diese wiederum durch das, was ich bin (Identitiit/Rolle -4. Ebene), und diese durch meine Umwelt, von der ich ein Teil bin (5. Ebene). (Vergleiche ausfuhrliche Darstellung im Beitrag "Vision und Wandel".)

Management, das Freiraum und Unterstutzung zur Entwick­lung der eigenen Rollenidentitat gibt, das auf der Werte- und Glaubensebene wirksam wird, bezieht den Menschen anders in die Gestaltung eines U nternehmens ein, als es je ein Regelwerk fur Verhalten getan hat. Wenn es gelingt, diese Verbindung zwischen Vision und eigener Rolle beziehungswei­se eigener Mission eng zu knupfen, dann werden Energien freigesetzt, intelligente Losungen gefunden, kurze Wege ent­deckt usw.

Eine effektive Vision schafft kreative Spannung, die Sie beim Traumen von wunderbaren Dingen erleben, bei denen aller­dings oft der Weg fehlt, sie zu erreichen. Diese kreative Spannung ist einem Gummiband vergleichbar, das solange angespannt werden kann, wie es nicht reiRt. Urn diese kreative Spannung aufzubauen, muR der einzelne seine Vision mit der Unternehmensvision harmonisieren konnen, und zwar nicht auf der Verhaltensebene (durch Regeln), sondern auf der Identitatsebene (Rolle) und der Werte- und Glaubensebene (Kriterienhierarchie).

Von der Vision zum lockenden Ziel 129

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Dazu brauchen Sie den Transfer von der Makroebene der Unternehmensvision auf die Mikroebene der kleineren Einhei­ten und der einzelnen Menschen. So schwer und teuer es auch sein mag, eine Vision wird erst dann zu einer (wirksamen) gemeinsamen Vision, wenn sie auf die Mikroebene iibersetzt ist.

Die Vision ist eine Metapher. Den FuR auf den Mond zu setzen war nicht der Inhalt der Vision von Kennedy. Es ging ihm und seiner Nation urn die Wiedererlangung des Selbstwertes nach dem Sputnik-Schock und urn die Technologiefuhrerschaft im Weltraum. Ihre Unternehmensvision, zum Beispiel der Beste im globalen Wettbewerb zu sein, ist schon konkreter, sie wird aber fur Ihre Mitarbeiter erst dann wirksam, wenn Sie diese Analogie zur eigenen "Vor-Ort-Mission" machen, namlich als Forscher, Produc­tioner, Planer, Verkaufer der beste im Wettbewerb sein zu wollen. Diese Analogie zur groRen Vision muR hergestellt, erarbeitet werden. Sie funktioniert nur, wenn aile Betroffenen beteiligt sind.

=

=

Fahlgkelten =

Verhaltenspraktiken =

Umfeld =

Vision und logische Ebenen

130 Management by Vision

Wir sind Tell von

Wirsind ------~ Wirwollen ------~ Wlr konnen ------~ Wirtun ~ Wir reagieren /

Vision

Mission! Motivation

Strategie

Handeln

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Eine gemeinsame Vision erleuchtet die Organisation. Friiher reichte es aus, wenn eine geniale Unternehmerpersonlichkeit ihre Vision hatte und diese durch Fiihrungsdirektiven und Verhaltensvorschriften durchsetzte. Die Welt war berechenba­rer, die Entwicklungen stabiler, einfacher und iiberschaubarer. Wenn durch die zunehmende Komplexitat und die beschleu­nigte Veranderung aller Prozesse aber die gesamte Organisa­tion gefordert ist zu denken und zu handeln, dann ersetzt die Vision die (meisten) Regeln und muR von daher eine gemein­same Vision sein.

Eine gemeinsame Vision konnen Sie nicht erzwingen. Nie­mand wird seine Wertehierarchie, seine Glaubenssatze ohne weiteres andern. Sie miissen iiberzeugen, beteiligen und ver­trauen. Nur dann kann der Transfer von der Vision zur personlichen Mission gelingen. Dazu braucht es Zeit, Intelli­genz und ProzeRsteuerung.

Commitment ich sorge dafur, setze die Vision durch auch gegen Widerstande und Grenzen

Enrollment ich will sie im Rahmen der Regeln umsetzen

Compliance (Uberzeugt) ist o. k., sagt mir, was ich tun soli

Compliance (erzwungen) mache mit, sehe aber keinen Sinn

gleichgultig mir egal, wann ist Feierabend

Non-compliance mache nicht mit, mich kann keiner zwingen

Commitment zur Vision nach der Durchfuhrung eines Makro-Mikro-" Visionstages"

40%

48%

5%

7%

-

-

Von der Vision zum lockenden Ziel 131

Page 126: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Sie werden vielleicht etwas skeptisch sein. Nicht aIle Menschen taugen fur Visionen. Weniger als die Halfte sind uberhaupt nur in der Lage, in eine weitere Zukunft zu denken. Viele sind Traumer, die es zu nichts bring en. Andere sind zu angstlich, als daB sie etwas andern wollten. Wieder andere wollen gar nichts andern, weil sie mit dem jetzigen Hierarchiesystem gut fahren, "Vorschriften und Druck muss en sein, urn mit all diesen Realitaten fertig zu werden."

Das visionare Management muB all diese Unterschiede inte­grieren, nutzen und situativ damit umgehen. Der Traumer ist nutzlich, weil er die Vision urn Ideen und Losungen bereichert. Der Bedenkentrager hat Einwande, die behandelt werden mussen, denn sie sind ja nicht falsch. Der Angstliche hilft, Erhaltenswertes zu erhalten. Die, die nicht visionieren konnen, sind einzubinden. Die groBte Herausforderung stellen aber die jetzigen Interessenhalter der Burokratie dar, die denken, sie konnten nur verlieren, wenn Hierarchien flacher werden, wenn delegiert und dezentralisiert werden solI. Sie werden nur zu gewinnen sein, wenn sie ihre neue Rolle verstehen. Die Konfrontation mit der neuen Realitat ist auch notig, urn emotionale Akzeptanz zu bewirken (siehe Veranderungscoa­ching).

Die Vision ist ein Puzzle: viele Einzelvisionen und Teile verbin­den sich zur Ganzheit. Sie aIle pass en, weil es ein gemeinsames Stanzmuster gibt. Das Puzzle kommt aber erst durch die Zusammensetzung der einzelnen Teile zustande. N eben der Vision und Mission der einzelnen Personen und organisatori­schen Einheiten, gibt es etwas, daB die Vision zu einer gemeinsamen Vision macht. Es ist nicht der Text der Visions­tatements, sondern der gemeinsame Sinn, Geist, die Wertehier­archie, der gemeinsame ProzeB: "AIle machen mit" bedeutet fur die, die angeblich oder tatsachlich nicht visionieren konnen, daB auch sie im ProzeB sind. Manche werden mitgezogen, einige lernen zu visionieren, andere nehmen die Vision als Mentor, an dem sie sich orientieren. "AIle machen mit" erzeugt

13 Management by Vision

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Verbindung, Gemeinsamkeit und birgt Kraft, Widerstande zu uberwinden, die Kommunikation zu beschleunigen und sich schnell urn Klarheit und Transparenz zu bemuhen: Wer nicht mit macht, ist drauBen. Auch das heiBt: "Alle machen mit."

Die Vision ist der Weg, sie wird ubersetzt in Mission, Uber­zeugung und Auf trag, die sich weiter in Ziele konkretisieren lassen. Diese haben einen engeren Zeitbezug zum Hier und Jetzt und reflektieren das, was heute ist und sein soll. Das heiBt auch, wenn sich das Heute andert, konnen sich die Ziele andern.

Ziele, die attraktiv sein sollen, mussen wohlgeformt sein. Hierzu haben wir an anderer Stelle das "SPEZI"-Modell aus­fuhrlicher dargestellt. Dieses Modell bedeutet fur Ziele:

®

®

® @

Sie sind sinnlich wahrnehmbar repriisentiert durch Bilder, Gefuhle, Gehbrtes etc.

Sie sind immer positiv formuliert.

Sie sind eigenstiindig erreichbar.

Sie sind in dem Zusammenhang definiert, fur den sie gelten soli en.

Sie integrieren die Absichten (Intentionen) der Einwiinde.

Die wohlgeformten Ziele reichen aber nicht aus, wenngleich sie notwendig sind. Das Ziel muB gewollt sein, sinnhaft sein und sich mit den eigenen Interessen verbinden lassen. Das konnen Sie nur sicherstellen, wenn die ,,Betroffenen" ihre Ziele aus ihrer Mission selbst entwickeln, urn sie mit anderen zu einem gemeinsamen Zielsystem abzustimmen. Die Betroffe­nen werden am besten fur Ihr Unternehmen sorgen, wenn sie am besten fur sich selbst sorgen - es entsteht Interessenparal­lelitat.

Von der Vision zum lockenden Ziel 133

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Dieser ProzeR ist fiir den Transfer der Vision unbedingt notwendig, weil er die in der ,,Mission" stehende Motivation in der Regel konkretisiert. Damit wird die Vision in ihrer unmittelbaren Bedeutung nicht nur transparent, sie schafft auch Transparenz fiir die in ihr begriindeten Moglichkeiten. Hier ist auch eine Warum-Frage angebracht: Warum ist es fiir mich, fiir uns wichtig, diese Ziele erreichen zu wollen? Was bedeutet es, wenn wir sie erreichen? Was geht uns durch die Lappen, wenn wir die Ziele nicht erreichen?

Ein solcher TransferprozeR von der (Makro-)Vision iiber die Missionen zu den (Mikro-)Zielen wird urn so leichter und schneller, je intelligenter die Organisation ist, das heiRt, je besser die Organisation gelernt hat, selbstverantwortlich und kompetent in allen Rollen zu handeln.

Von der direktiven zur normativen visionaren FUhrung - Die Entwicklung der intelligenten Organisation (10)

Management by Vision (Mb V) wird urn so eher und besser moglich, je intelligenter eine Organisation ist. Stellen Sie sich vor, wie die Intelligenz eines Menschen durch die Verkniipfung von Millionen von Gehirnzellen zustande kommt. Sie stellen insgesamt ein neuronales Potential dar, mit Problemen, Auf­gab en, Herausforderungen, auf eigene kreative oder gelernte Art fertig zu werden. Und nun stellen Sie sich analog dazu die Millionen Verkniipfungen einzelner unterschiedlicher Einheiten einer Organisation vor:

Das konnen einzelne Personen, Teams, Rollen, Datenbanke und Informationen, Produktionsanlagen und Distributionsme­chanismen, Forschungs- und Entwicklungslabors, Marketing­und Vertriebseinheiten usw. sein. Wie intelligent eine Organi-

13 Management by Vision

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sation ist, hangt nicht davon ab, ob sie diese oder aIle notwendigen Einheiten besitzt, sondern davon, wie sie mitein­ander verbunden sind und wie sie diese Verbindungen nutzen. Es gibt keine Standardlosungen fur lOs, die fur unterschiedli­che Markte oder Zeiten gultig waren. In bestimmten Situatio­nen mag die tiefe Hierarchie/Burokratie die richtige Form der Verknupfung leisten, in anderen Situationen ist es eine flache Hierarchie mit Netzwerkcharakter, wieder in anderen ein Konglomerat unabhangiger Einheiten. Das Gemeinsame intel­ligenter Organisationen ist nicht die Symptomatik, in der sie sich manifestieren, sondern wie sie sich in ihrem Kontext entwickeln und wie sie sich dafur einrichten.

Die 10 hat eine Identitat, die sich als Teil des Umfeldes, in dem sie lebt versteht und die im Austausch mit diesem wachst und sich verandert. Aus dem Umfeld bezieht sie ihre Legitimation und ihren Selbstwert. Diese hohe Umfeldreferenz determiniert die Inhalte und die Werte der Organisation (Bedarf, Ethik). Gleichzeitig ist der Wille eingebaut, sich standig weiterzuent­wickeln und als Organisation zu wachsen und somit besser, einfacher, reifer zu werden. Das impliziert eine Reihe von Verbindungen, die die unterschiedlichen Muster ein und der­selben Identitat darstellen. Die Vision umfaBt oder kreiert diese Verbindungen. Ihre Wirksamkeit wird durch die Funktion bestimmt.

Die 10 hat eine gemeinsame Wertehierarchie, die sich aus der Wertehierarchie des Umfeldes (Markt, Kunde, bffentlichkeit) und der eigenen Geschichte entwickelt. Gemeinsame Werte begriinden allein noch keine 10, es sind vielmehr die Stile, die Programme, die Systeme und die Fuhrung, wie diese Werte umgesetzt werden.

1. lOs sind eng mit ihrem Umfeld, den Markten und Kunden verbunden. Dieses Netz sichert gleich einem Antennen-I Sendersystem die Realzeitinformation uber das, was drauB­en geschieht.

Von der direktiven zur normativen visionaren Fiihrung 13

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2. lOs lernen standig. Die Verknupfungen der einzelnen Ein­heiten uber interne Netze (verbunden mit Kundennetzen) sichern Informationsgleichheit einerseits, aber auch Expe­rementieranreize und konstruktiven Wettbewerb anderer­seits. Sie erlauben Fehler als Chance fur Innovationen.

3. lOs sind adaptiv: Wenn sich neue Situationen zeigen, stellen sie sich darauf ein. Je groRer und schneller die Veranderungen im Umfeld, urn so tiefgreifender und schneller sind die Anpassungsprozesse. Der Zeitbedarf der Anpassung ist das okonomische Optimum zwischen Nut­zung von Bewahrtem und neuer Notwendigkeit.

4. Die Einheiten der lOs steuern sich weitgehend selbst. Der Anteil von Koordination und Verwaltung (overheads) stellt das Minimum dar, das noch einen (honorierten) Mehrwert leistet.

5. lOs setzen nahezu 100 Prozent ihrer Energie in produktive Tatigkeiten urn. Der Beitrag der einzelnen Einheiten ist meRbar, wird gemessen und entsprechend seiner Wert­schopfung honoriert.

Das Grundprinzip der 10 ist das Prinzip, nach dem die Entscheidungen und Handlungen auf der Ebene getroffen, ausgefuhrt und weiterentwickelt werden, auf der die dafiir beste Kompetenz vorhanden ist. Wachstum einer 10 bedeutet dann:

1. die Fachqualifizierung und Bildung von verfugbaren (Kern)kompetenzen (zentral oder dezentral),

2. die Rollenqualifizierung und die Schaffung von Freiraumen fur die jeweilige Rolle,

3. die Obertragung von Verantwortung auf die jeweilige Rolle (Delegation).

AIle drei Aufgaben gehen ineinander uber. In den meisten Unternehmen wird ein vergleichbar hoher Aufwand fur die

136 Management by Vision

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fachliche Qualifizierung getrieben. Unter Kernkompetenzen sollen unter anderem Know-how und Expertisenzentren ver­standen werden, die in der Organisation von solchen Einheiten genutzt werden sollen, die sich selbst diese Kompetenz nicht aufbauen konnen (zum Beispiel kritische Masse, knappe Res­sourcen). Was oft hinderlich ist, sind die Abschottungstenden­zen, mit denen sich die ,,Inhaber" von Kernkompetenzen Sonderrechte oder Macht zu erhalten versuchen. Es ist erfolgs­kritisch, Mechanismen zu etablieren, die freie bedarfsgesteuerte Verfiigbarkeit der Kompetenzen sichert. Zentrale Kernkompe­tenzen sind von daher entweder zu dezentralisieren oder als Dienstleistung nach Angebot und Nachfrage zu steuern, das heiRt, sie miissen sich zum Beispiel durch Verkauf rechtferti­gen.

Die Investition in Rollenqualifizierung, Bef<ihigung und Dele­gation wird oft eher auf der Ebene der Lippenbekenntnisse getatigt. Vielleicht ist es auch nicht einfach, systematisch zu delegieren und entsprechend zu befahigen. Ganz sicher aber ist es eine Sache des Managementstiles und der Management­orientierung, die wiederum vom Menschenbild abhangen.

Die Rolle der Vision ist es, in dies em N etz von zunehmender Entstrukturierung und Flexibilisierung die gemeinsame Orien­tierung zu geben, indem sie die zukiinftige Identitat wahr­nehmbar und erstrebenswert reprasentiert.

Das Treppenmodell

Rollenqualifizierung ist keine Frage des Status in der Hierar­chie. Von Ausnahmen abgesehen, kann sich jeder in seinem Job qualifizieren, urn auf eine hohere Stufe der Rollenentwick­lung zu gelangen. Wir wollen das Beispiel an der Rolle einer Sekretarin veranschaulichen (siehe Abbildung Seite 138).

Stellen Sie sich vor, Sie wiirden Ihrer Sekretarin die Anweisung geben, einen Kaffee urn fiinf Minuten vor 9.00 Uhr fiir den

Von der direktiven zur normativen visionaren FOhrung 137

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1 Management by Vision

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9.00-Uhr-Besuch zu machen, dafiir zwei Loffel zu nehmen, die Kaffeemaschine in bestimmter Weise zu bedienen und Milch und Zucker nicht zu vergessen und, da der Besucher Rechts­hander ist, die Tasse mit dem Henkel nach rechts auf den Tisch zu stellen, und zwar auf einen Platz, den Sie ihr genau zeigen.

Wahrscheinlich wiirde Ihre Sekretarin Sie ganz merkwiirdig ansehen und sich manches iiber Sie, aber auch iiber sich denken. So schlecht Sie sich eine solche Anweisung eventuell vorstellen konnen, so haufig passiert sie tagtiiglich, wenn auch mit anderen Inhalten. Ihr liegt ein Konzept zugrunde, das fiir die unterste Stufe der Jobqualifizierung richtig is:. Vormachen, wie es geht, und kontrollieren, ob das Vorgemachte eingehal­ten wird. Was der Manager in einem solchen Fall tut, ist genau folgendes: Er zeigt und sagt dem Mitarbeiter, was er zu tun hat, er zeigt und erklart genau, wie er es zu tun hat. Er sieht genau hin und kontrolliert, ob der Mitarbeiter es so getan hat. Fiir diese Rolle des Managers verwenden wir den Begriff "Supervisor" oder auch "Vorarbeiter". Es hangt von der jewei­ligen Technologie ab, wie viele Mitarbeiter so gefiihrt werden konnen. Die Zahl ist klein. Es konnen drei bis acht sein, kaum mehr. Solange keine Qualifizierung erfolgt ist, muR der Mana­ger das Wie erklaren oder vormachen. Aber schon das Beispiel unserer Sekretiirin veranschaulichte, daR sehr schnell die Gren­ze iiberschritten werden kann, an der das zu genaue Erklaren herabwiirdigend ist. Wer qualifiziert ist, Kaffee zu kochen, nimmt Instruktionen zum Wie als Zumutung, Beleidigung oder MiRtrauen auf und wird demotiviert.

Wenn Ihre Sekretarin weiR, wie sie Kaffee kochen soll, und Sie vertrauen darauf, daR sie es gut und richtig kann, dann reicht es, wenn Sie ihr nur sagen, was Sie wollen. Das Wie werden Sie ihr selbst iiberlassen. Sie werden ihr vielleicht sagen, daR sie urn 9.00 Uhr drei Tassen Kaffee fiir sich und die Besucher haben mochten. Sie nennen ein konkretes Ziel, iiberlassen es aber der Sekretarin, wie sie das Ergebnis produziert, und checken, ob das Ergebnis in Menge und Qualitat zur richtigen

Von der direktiven zur normativen visionaren FOhrung 139

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Zeit da ist. Drei Tassen frisch gekochter Kaffee punktlich zur Besprechung. Das nennen wir MbO, Management by Objec­tives. Hierzu lassen sich viele Varianten und Anreicherungen ausdenken, im Kern aber ist es das: Der Manager vereinbart Ziele und uberpruft, ob sie eingehalten worden sind.

Einer guten Sekretarin braucht man nicht zu sagen, sie mage Kaffee kochen, wenn Besuch kommt. Sie werden einfach von ihr erwarten, daB sie jedem Besucher Kaffee anbietet. Sie tut dies, weil Sie es irgendwann mit ihr als "Standardfreund­lichkeit" ausgemacht haben. Sie hat ein Rollenverhalten als Strategie integriert, das Ergebnisse produziert, die erst dann auffallig werden, wenn sie ausbleiben. MbE, Management by Exceptions, nennen wir diese Stufe der Rollenentwicklung. Ihr liegt eine Fahigkeit zugrunde, Gelerntes immer wieder auch in Variationen anzuwenden, urn damit Resultate zu erzielen. Der Manager braucht nicht aktiv zu werden, solange die Fahigkei­ten und Strategien ausreichen, die erwarteten Ergebnisse zu erzielen.

Aber er kann weiter befahigen und vertrauen. Denn die nachste Stufe auf der Treppe zur visionaren Fuhrung erweitert den Spielraum erheblich. Ihre Sekretarin bietet dem Besucher nicht mehr den Kaffee an, sie fragt ihn, was sie fur ihn tun kann, damit er sich wohlfiihlt. Wenn Ihre Besucher dann ein Fruh­stuck verlangen, wird sie es ihm besorgen. Das hat fur Sie persanlich eventuell den Vorteil, daB weitere Besprechungen im Ihrem Buro stattfinden.

Sie sparen Zeit - allerdings erst einmal kein Geld, es sei denn, Sie sind in einer intelligenten Organisation. Dort namlich kannen Sie Geld fur ein Arbeitsfruhstuck ausgeben, ohne sich vor einer Burokratie rechtfertigen zu mussen.

Ihre Sekretarin hat den Wert und die Notwendigkeit der ,,Kundenorientierung" verinnerlicht. Ein solches Management beginnt in einer ersten Phase, Unternehmertum zu entwickeln, normativ zu steuern, und das heiBt motivieren zum Umsetzen

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der Werte. Solche Spielraume brauchen neben der Werteorien­tierung, die die Vision vermittelt, auch Steuerungsmechanis­men, die die Interessenparallelitat zwischen individuellem Han­deln und Organisation leisten. Ziele spielen dabei auch eine Rolle, sie sind aber eingebettet in ein vollig anderes Manage­mentprinzip. Die Entwicklung der Organisation wird nicht uber Ziele gesteuert, sondern uber Werte, aus denen und fur die gelernt und gehandelt wird. Okonomie und Wohlstand sind auch Werte. Sie zu vermehren muR nicht am Ziel halt­machen. 1m Cegenteil, in der Regel werden uberschieRende Resultate, qualitative wie quantitative, nur so erzielt. Manage­ment auf dieser Stufe ist in erster Linie Coaching. Der Manager setzt die Ressourcen frei, die der Mitarbeiter braucht, urn sich in seiner Rolle so zu qualifizieren, daR er den Freiraum mit seiner besten Kompetenz gestaltet. Mitarbeiter entwickeln, Hindernisse beseitigen, Spielraum absichern, Hochleistungen ankern und reproduzieren, das sind die wesentlichen Aufgaben des Managers als Coach.

Eine Treppe wird von unten bestiegen. Die einzelnen Stufen der Rollenentwicklung bauen sich aufeinander auf. Die Sekre­tarin, die zum Beispiel das Wohlbefinden des ,,Kunden" bezie­hungsweise Besuchers als Teil ihrer Rolle versteht und umsetzt, wird diese Wertorientierung auf andere Bereiche ubertragen und generalisieren. Es bleibt nicht beim Kaffee oder Fruhstuck, es wird im Telefonkontakt, in Briefen, in jeder Kommunikation, Hilfe, Beratung umgesetzt. Die Herausforderung nimmt kein Ende, und das ist der entscheidende Teil des SpaRes oder des Clucks in der Arbeit. Andere Werte wie Okonomie, Okologie oder Kooperation werden analog in die Rolle integriert. Der Mitarbeiter wird zum Unternehmer fur seinen spezifischen Beitrag am Cesamtunternehmen. Die Rolle des Managers verandert sich partiell, zusatzlich zum Coach wird er das Umfeld als Netzwerk gestalten, in dem sich der Mitarbeiter bewegen kann, damit er tatsachlich zum Unternehmer im Unternehmen wird. Er wird aber auch starker als Vorbild und

Von der direktiven zur normativen visionaren Fi.ihrung 141

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Mentor gefordert, das heiBt, seine eigenen Freiheitsgrade werden zwar groBer, aber die Anforderungen an seine Disziplin steig en.

Management by Vision (Mb V) bedeutet, die Mitarbeiter und Unternehmenseinheiten in die unternehmerische Freiheit im Unternehmen zu entlassen, dafur die Rahmenbedingungen zu schaffen und zu helfen, die Vision in konkrete RoUen und Missionen umzusetzen. Je selbstandiger dieser ProzeB ablauft, urn so mehr wird der Manager als Vorbild, als ganzheitlicher Gestalter des Rahmens und des Visionsprozesses wahrgenom­men.

Die hierarchische Burokratie mit inhaltlicher Richtlinienhoheit reprasentiert den direktiven Fuhrungsstil. Er wird durch die stufenweise RoUenentwicklungen immer weniger wichtig und immer mehr durch einen normativen Managementstil mit (zunehmender) ProzeBsteuerung ausgestauscht. Dieser Wandel in der Rolle des mittleren und oberen Managements bedarf einer intensiven Trainings-, Coachings- und Veranderungsar­beit.

Der ganze ProzeB der Rollenentwicklung verdient mehrere gleichrangige Oberschriften. Beide Rollen, die des Managers wie auch die des Mitarbeiters, verandern sich dabei.

1. DelegationlBefugnis Der Mitarbeiter ubernimmt mit seinem Aufsteigen auf der Treppe immer mehr Verantwortung fur das, was er wie tut. Der Manager ubertragt stufenweise diese Verantwortung. Das setzt bei ihm Arbeit frei, verringert die unproduktiven Aktivitaten und verandert seine Rolle.

2. Be(ahigungIQuali(izierung Die Delegation setzt Qualifizierung voraus oder muB zu­mindest mit ihr Hand in Hand gehen, das heiBt, jeder einzelne Mitarbeiter ist in bezug auf das, was er wie tut, als Einzelfall, Stufe fur Stufe, zu qualifizieren. Es gibt keine pauschalen StandardlOsungen.

142 Management by Vision

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3. Vertrauen Und nicht zuletzt muB der Manager vertrauen. Das ganze Spiel besteht darin, die Herausforderung immer starker aufzubauen. Das ist gleichzeitig die Herausforderung fur den Manager, Delegation zu wag en.

Sie mogen bezweifeln, daB die Menschen in den Organisatio­nen sich alle fur eine solche Entwicklung eignen. Dazu gibt es drei Antworten. Erstens stimmt das, zweitens brauchen Sie die kritische Veranderungsmasse, dann ziehen Sie den Rest mit, und drittens bedarf es eines uberdurchschnittlich hohen Invest­ments in die Organisationsentwicklung, in Managementtrai­nings und Coachings.

Die Revolution von der Burokratie mit direktiven Fuhrungs­stilen zur intelligenten Organisation mit visionarer Fuhrung findet nicht in Strukturveranderungen wie zum Beispiel flachen Hierarchien statt. Sie findet nicht im radikalen Reengineering­ProzeB statt. Sie findet in den Kopfen und Herzen der Manager und Mitarbeiter statt. Das ist der Ort des Geschehens. Wenn Sie Wandel erzielen wollen, werden Sie urn dieses Investment nicht herumkommen.

Die neue Managementidentitat: Vom BoB zum Coach

Die meisten Bucher und Seminare uber Fuhrung versuchen erfolgreiches Fuhrungsverhalten zu "modellieren" und daraus Rezepte fur andere zu machen. Das ist den Autoren von "Leadership and the Quest for Integrity", Joseph Badaracco und Richard Ellsworth, besonders gut gelungen. Sie modellier­ten Spitzenmanager (in den USA) aus den vergangenen Jahr­zehnten und unterschieden dabei drei Fuhrungsstile, die deut­lich voneinander abweichen:

Die neue ManagementidentitiH: Yom BoB zum Coach 143

Page 138: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

politische Fiihrung,

direktive Fiihrung,

normative Fiihrung.

Die Reprasentanten dieser Fiihrungsphilosophien haben jeder auf seine Art Erfolg gehabt. Sie unterscheiden sich im Men­schenbild, in ihren Vorannahmen, in ihrer Strategie und im Verhalten im Managementalltag.

Die politische Fiihrungsphilosophie unterstellt zum Beispiel ein Menschenbild, das von Egoismus, Spezialisierung, Zersplit­tern, Tragheit gegen Wandel durch Regeln und ,,Minimalitis" gekennzeichnet ist. Dementsprechend werden Kompromisse und Gemeinsamkeiten gesucht, es wird Konfliktminimierung betrieben (Korridore der Indifferenz). Der Alltag laist sich durch den Weg des geringsten Widerstandes, Versuchsballons, Ge­sichtwahren, Riickfallpositionen und viel informelle Netzwerke beschreiben.

Die direktive Fiihrungsphilosophie unterstellt den Menschen, daR sie sich durch personliche Treiber wie Wettbewerb, Selbst­erfiillung, Herausforderung, Kontrollgefiihl etc. motivieren lassen, aber klarend iiber klare inhaltliche Vereinbarungen oder Vorgaben gesteuert werden miissen. Ziele sind urn so besser, je praziser sie sind. Leistung, nicht Konsens, ist das Ziel. Konflikte werden offen angegangen. Der Alltag ist durch direkte und offene Sprache gekennzeichnet. Der Manager halt sich personlich an die Verantwortlichen, ist hart, aber fair. Wenn Person zu Person oder Leistung zu Anforderung nicht stimmt, gibt es die beiden Moglichkeiten der Versetzung oder Trennung.

Die normative Fiihrungsphilosophie unterstellt ein Menschen­bild, nach dem Sinn und Nutzen fiir die Organisation gemein­same Werte und Mission, Stolz auf Leistung, personlicher Beitrag etc. das Verhalten steuern. Werte haben den hochsten Anreizcharakter. Der Manager iibermittelt seine Vision mit

144 Ma nagement by Vision

Page 139: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

hohem Wertegehalt. Die. Wertehierarchie wird durchgesetzt, dabei werden keine Kompromisse gemacht. Konflikt- und Problemlosungen werden so gestaltet, daR die wichtigsten Werte verstarkt werden. Es geht urn weniger Systeme, weniger Burokratie, flachere Hierarchien und geringere Kontrollen. Manager fragen nach Werten, Credo, Mission. Werte reprasen­tieren die Organisation, nicht ihre Fuhrer.

Die Reprasentanten dieser drei unterschiedlichen Fuhrungsphi­losophien fordern aber auch Gemeinsames wie zum Beispiel

die starke personliche Ethik, ein festgefugtes Wertesystem,

den positiven Glauben an die Mitarbeiter (Vertrauen) und

eine treibende Vision, die sich umsetzt in ein gemeinsames Verstandnis ihrer Organisation durch die Mitarbeiter.

Diese Modelle sind aber selten in Reinkultur verwirklicht. Sie kommen haufiger als ,,Mischmodelle" vor. Das muR auch so sein, denn wenn sich Fuhrungsphilosophien (aus der Vergan­genheit) der zukunftigen Herausforderung stellen, dann sind Veranderungen auch Mixturen.

Wir wagen die Prognose, daR die intelligente Organisation kaum politische Fuhrer haben wird, daR sie die direktiven Fuhrungsstile abbaut und daR sie die normative, visionare Fuhrung ausbaut. Das ist keine Frage des Entweder-Oder, sondern der Verteilung und der Auspragung. Und es ist eine Frage der Entwicklungsdynamik, wohin sich das Management wie schnell bewegt.

Die Kunst des Managers wird dann darin bestehen, den ProzeR zu begleiten, der die Makrowelt der Unternehmensvision in die Mikrowelt des Mitarbeiters transformiert, ohne dabei auf die Stufe der Vorgaben, Anweisungen oder Richtlinien zuruck­zufallen. Die generellen Inhalte, die Substanz der Vision, sind fur alle im Unternehmen gultig (Makrosicht). Sie mussen, urn wirksam zu werden, auf die Ebene der spezifischen Fahigkeiten und Verhaltensweisen des einzelnen transferiert werden.

Die neue Managementidentitat: Vom 8013 zum Coach 14

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Dieser ProzeR ist schema tisch so zu skizzieren:

[ ~ Obersetzt sich (auch) in ~rs. R~ ]

Makro- Mikro-Ebenen II 1\ Ebene

~ ~ , die sich in (§ssionv ¢!I

Mikro-l Ebenen

lb c§.higke~ (Mo~t transferieren lassen und die a1s konkrete Strategien umsetzen, die das

I.b 0erhaltv vor Ort auslosen, ver­andern, bestimmen

Dieser ProzeR wird yom Manager initiiert, gesteuert, beraten im Sinne eines ProzeRmanagements, das sich aus den konkre­ten Inhalten weitgehend heraushalt.

Der Manager ist in der Rolle des ProzeRmoderators. Wir wollen dies en Transfer an einem Beispiel bewuRtmachen:

In einer Vision wird der Wert des "standigen Lernens als organisatorische Mission" verkundet. Er ubersetzt sich unter anderem in Fehlertoleranz, Mut zum Neuen, Kreativitat. Fur diese Attribute sind nun die Modelle fur Fahigkeiten zu finden, wie zum Beispiel

-7 Fehler in Feedback -7 Fehlerkultur -7 Belohnung von Risiko -7 Unternehmertum -7 Schaffung von Freiraumen -7 Spielwiesen

Wie sich diese vor Ort in konkretes Verhalten, Spielregeln, Vereinbarungen und Handlungen umsetzen, konnen nur die Betroffenen selbst wissen.

Fehlerkultur vor Ort heiRt unter anderem: - Welche Fehler wollen wir nicht tolerieren?

146 Management by Vision

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- Welche Fehler werden toleriert? - Wie gehen wir mit den Fehlern urn? - Wie stellen wir sicher, daR aIle davon lernen? - Wie nutzen wir Fehler als Entwicklungschance? usw.

Unternehmertum vor Ort heiRt unter anderem: - Welche Verantwortung ubernimmt wer? - Welche Risiken gehen wir ein? - Wie gehen wir mit den Konsequenzen urn? - Wie messen wir die Ergebnisse? - Wie bestimmen wir deren Honorierung?

Spielwiese vor Ort heiRt unter anderem: - Welche Freiraume brauchen wir, was tun wir, urn uns

immer wieder neue Energie zuzufiihren? - Wie genau konnen wir unsere Freiraume ausdehnen? - Was hat uns eigentlich bisher gehindert, und was mus-

sen wir tun urn es in Zukunft zu uberwinden?

Die Antworten auf solche Fragen machen den Makro-Mikro­Transfer fur jede Abteilung und jeden einzelnen moglich. Die Antworten auf solche Fragen werden je nach "Vor-Ort-Situa­tion" anders ausfallen. Sie konnen weiter reichen, weil die Betroffenen schon weiter sind, oder schneller umgesetzt wer­den, weil eine hohere Veranderungsbereitschaft besteht usw.

Diese Transferprozesse von der (Makro-)Vision zur (Mikro-) Fahigkeit sind sehr anspruchsvolle Herausforderungen, denn es ergeben sich daraus neue Aufgaben, die neue Qualifikatio­nen erfordern, neue Fahigkeiten, neue Einstellungen.

Der Manager, der diesen TransferprozeR von der Vision zum Verhalten begleitet, ubernimmt eine neue Verantwortung auch den einzelnen Menschen gegenuber. Veranderungsprozesse stellen den Kern des Management by Vision dar. Sie sind schmerzhaft fur die, denen Veranderung Angst, Bedrohung und Unsicherheit bedeutet. Damit wurdevoll und mit Respekt umzugehen, bedarf eines neuen Inhaltes des Managements. Nicht der sachinhaltliche (Ober-)Fachmann ist gefragt, sondern

Die neue Managementidentitat: Vom BoB zum Coach 147.

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der Coach, der Veranderungen trotz ihrer Angste usw. hin­kriegt (und zwar ohne Gewalt). Andere Veranderungsfahigkei­ten sind fur entsprechende Situationen gefragt.

Den Transfer von der Vision zum Verhalten zu Managern heiRt auch, Feedback ins ,,Makro"system zu geben, heiRt Koordinie­ren oder Abstimmung zu moderieren. Der Manager, insbeson­dere der auf der mittleren Ebene, muR die Fahigkeit entwik­keln, zwischen Detaillierung und Generalisierung auszuglei­chen. Er hangt im Sandwich zwischen Makroebene und Mikroebene. Genau diese Rolle des helfenden Ubersetzers, der verschiedene Vor-Ort-Situationen uberschaut, macht ihn zu einem "Teamcoach", der Kooperation und gegenseitiges Ler­nen interpretiert und sichert.

Was genau muB sich beim Management by Vision tindern?

Was andert sich wirklich, und wer andert sich wirklich? Das sind keine erfundenen Fragen, sie kommen immer wieder, wenn Unternehmen ihre Vision umsetzen wollen. Das groRte Problem dabei ist die Inkongruenz des Managements. Die Vision miRt sich am Tun. Das mag widerspruchlich klingen, ist es aber nicht in der Wahrnehmung der Mitarbeiter. Wer eine Vision in die Welt setzt, der muR damit rechnen, daR seine Mitarbeiter ihn daran ab sofort messen. Da nutzt es auch nichts, an die Vision das Jahr 2000 oder 2020 zu heften.

Die Vision scharft den Blick. Sie liefert Kriterien, an denen Verhalten gemessen wird. Das gilt besonders fur das Top-, aber auch fur das mittlere Management. Niemand will sich verstek­ken. So strahlen alle standig Signale abo Sind diese mit dem "Visionsbild" im Einklang, ist alles in Ordnung. Sind sie es nicht, wird die Vision zertrummert. Das ist die Crux des Managers. Die selbstgeschaffene Vision kann ihn schnell ein­holen, wenn er nicht bereit ist, die Veranderung als erster, Schnellster mit dem Hang zur Extrovertiertheit sichtbar zu machen. Wie muR ich mich verandern? Was davon wird

14 Management by Vision

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wahrgenommen, oder wie kann ich es sichtbar machen? Diese Signale mussen in die Organisation. Das gilt nicht nur fur den Chef an der Spitze, das gilt fur alle im Management.

Management by Vision ist die groRte Herausforderung, der sich heute ein Manager stellen kann. Stellen Sie sich den Leiter einer Fachabteilung vor. Er wurde es, weil er der beste Experte war, ohne daR er sich Fuhrungskompetenz aneignen konnte. Seine Autoritat bezieht er aus der Fachkompetenz von fruher, die allerdings immer dunner wurde, weil seine Abteilung wuchs und stan dig neue Expertise akquirierte, die er selbst nicht mehr im Detail verfolgen konnte.

Seine Rolle als Coach erfordert eher Fachunkenntnis als Fach­kenntnis, gefragt sind soziale Kompetenz, Veranderungskom­petenz, Coaching von visionaren und normativen Transferpro­zessen etc. Er verliert, was ihm bisher Inhalt war und Halt gegeben hat. Er gewinnt eine neue Rolle. Hier mag ein Hinweis auf die Japaner nutzlich sein. Ich selbst habe in Japan erlebt, wie Manager aus der Forschung ins Marketing und umgekehrt befordert wurden. Was offenbar dort mehr zahlte, war die soziale als die fachliche Kompetenz. Das ist bei uns (immer noch) anders.

Es gibt genugend Beispiele, daR notwendige und vereinbarte Veranderungen aus genau diesen Motiven hintertrieben wer­den. Wenn zum Beispiel ein Meister seine Arbeitsgruppe nicht qualifiziert, weil er dann uberflussig wurde, dann haben wir einen solchen Boykott. Ihm fehlt die neue Perspektive, die neue Chance und das attraktive Ziel fur ihn selbst, urn zur eigenen Veranderung motiviert zu sein. Das aber muR eine Vision auch leisten. Die Attraktivitat fur den Manager zu schaffen, sich selbst verandern zu wollen. Andert er sich nicht, wird er schnell inkongruent, und mit seinem Tun wird auch der Erfolg einer Vision, die Umsetzung des Wertesystems in Frage gestellt.

Vom BoR zum Coach ist ein groRer Sprung. Die Erfolge der Vergangenheit sind die Fallen, in denen alle stecken, die Erfolg

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hatten. Oer "direktive Fuhrer" muB Fachmann sein, er konnte sonst nichts vormachen. Er, der Erfolgreiche, stellt das Modell fur die anderen dar, die er entsprechend seinen Vorurteilen aussucht und behandelt. Oer Manager als Coach ist kein Modell fur die Mitarbeiter, er hat weniger Fachkompetenz, er kann im Zweifel nicht "vormachen". Oafur knupft er Netze, stellt Projektteams zusammen und sichert Rahmenbedingun­gen, unter denen die Teams und einzelne am produktivsten arbeiten. Er befiihigt und er delegiert.

Es gibt kein Standardumschulungsprogramm fur mittlere Ma­nager, die ihre neue Rolle finden und ausfullen wollen, und es gibt keine Garantie, daB ein guter Fachmann auch ein guter Coach, Mentor oder Vorbild werden wird. Die Frage entschei­det sich im Kopf des einzelnen, nicht in den fehlenden Chancen.

150 Management by Vision

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7 Vision Coaches

c

als Berater und Schrittmacher im VisionsprozeB Maria Kubin

oaching ist ein Schlagwort, hinter dem jeder etwas anderes versteht. Und es gibt anscheinend auch keine verlaBliche Definition. Unter Coaching verstehen wir

Beratung und Training, aber auch Mentorschaft. Coaching bedeutet Unterstiitzung jedes einzelnen, aber auch die Unter­stiitzung von Teams und ganzen Abteilungen.

Als "Vision Coaches" bezeichnen wir eine Gruppe von Fiih­rungskraften, die bei unserem VisionsprozeB als Berater und Trainer auftreten. Die "Vision 2010" soll unser Unternehmen auf das veranderte wirtschaftliche und politische U mfeld wie auch die kiinftigen Rahmenbedingungen vorbereiten.

Bildung des Vision ·Coach Teams

1m August 1993 benannte das obere Management 14 Fiih­rungskrafte aus verschiedenen Funktionsbereichen und geo­graphischen Regionen, verschiedenen Alters und unterschied­licher Firmenzugehorigkeit zu Vision Coaches. Ihnen allen war gemeinsam, daB sie sich als engagiert und veranderungswillig erwiesen hatten, daB sie risikofreudig, dabei aber verantwor­tungsbewuBt waren und von ihrer Umgebung akzeptiert wur­den. Gemeinsam mit dem oberen Management erarbeitete dieses Team in mehreren Treffen Rolle und Aufgaben der Vision Coaches.

Bildung des Vision Coach Teams 151

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Zu dieser Zeit war der VisionsprozeB bereits seit mehreren Monaten im Gange. Das Linienmanagement hatte den ProzeB vorangebracht und war fur die Umsetzung der Visionsziele verantwortlich. Den Vision Coaches wurde die Unterstutzung des Prozesses ubertragen. Das hieB: die aktuelle Situation zu analysieren, Vorschlage zur Intensivierung des Prozesses zu machen und fur einen ungefilterten InformationsfluB aus allen Hierarchieebenen zu sorgen. Aus der ProzeBanalyse entwik­kelte sich eine Beratungsfunktion der Geschaftsleitung fur die weitere Gestaltung des Visionsprozesses.

Erste Erfahrungen

Die Vision Coaches interviewten Linienmanagement und Mit­arbeiter in ihren Funktionsbereichen, urn sich ein Bild des Visionsprozesses zu machen und daraus die entsprechenden Folgerungen zu ziehen. Es zeigte sich, daB bis zu diesem Zeitpunkt vorwiegend leitende Mitarbeiter in die Vision ein­bezogen worden waren, wahrend die "Basis", also die Tarif­mitarbeiter, noch kaum von der Vision gehort hatten. Daher begegneten die Mitarbeiter der Vision mit zuruckhaltender Skepsis. Viele begruBten die Ziele der Vision, zweifelten allerdings an ihrer Umsetzbarkeit. Zu ungewohnlich und zu revolutionar klangen die Ideen, als daB sie spontan glaubwur­dig gewesen waren. Auf der anderen Seite gab es auch jene, die dem VisionsprozeB miBtrauten und ihn als vermeintliche Manipulation oder ,,Aushorchtechnik" ablehnten. Wieder an­dere kannten die Vision einfach noch nicht oder wuBten nicht, was mit der Vision bezweckt wurde. Insgesamt zeigte sich, daB der ProzeB in den meisten Bereichen eher lang sam ange­laufen war und nur wenige mogliche Auswirkungen sichtbar wurden.

15 Vision Coaches als Berater und Schrittmacher im VisionsprozeB

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Die Vision Coaches sahen es daher als ihre erste und vordring­lichste Aufgabe an, die Glaubwurdigkeit des Prozesses zu verbessern. Gleichzeitig sollte das obere Management seine Bereitschaft zur Veranderung signalisieren. Das zweite wesent­liche Ziel war die Einbeziehung aller Mitarbeiter in den VisionsprozeK Die Vision Coaches wollten sicherstellen, daR alle Abteilungen und organisatorischen Einheiten ihren Input zur Vision geben und an der Erreichung der Ziele mitarbeiten. Sie entwickelten kreative Ideen, wie die Veranderungen ange­gangen und koordiniert werden sollten, wie die Vision fur alle Beteiligten konkreter gemacht und den Mitarbeitern die ange­strebten Ziele veranschaulicht werden konnten.

UnterstOtzung in den Abteilungen beziehungs­weise Verantwortungsbereichen

Die Vision Coaches begannen in ihren Bereichen damit, die Skepsis der Mitarbeiter durch eine intensive Kommunikation des Prozesses abzubauen. 1m Vordergrund standen die Erkla­rungen der Hintergrunde der Vision, die Anlasse fUr den VisionsprozeR und die Notwendigkeit zur Veranderung, aber auch die erwarteten Ziele, die mit der Vision verfolgt werden. Dazu wurden Gesprache mit einzelnen, aber auch mit ganzen Gruppen und Abteilungen gefuhrt.

In den Abteilungen fan den Visions-Workshops statt, urn die Mitarbeiter in den VisionsprozeR einzubeziehen. Die Mitarbei­ter konnten dabei gemeinsame Zukunftsorientierungen und Ziele erarbeiten. An diesen Workshops nahmen die Vision Coaches beratend teil und brachten Erfahrungen und Anre­gungen aus anderen Bereichen in die Diskussionen ein. Dabei wurde klar, daR es Widerspruche zwischen den gesteckten Zielen und den Erfahrungen der Vergangenheit gab, nach denen eine Firma als schwerfalliges, kaum veranderbares Ge-

Untersti.itzung in den Abteilungen bzw. Verantwortungsbereichen 153

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bilde angesehen wird. Diese Widerspruche muRten ausge­raumt werden. Mit der Zeit gelang es immer mehr, die Mitarbeiter von der Ernsthaftigkeit der in der Vision enthalte­nen Rahmenbedingungen zu uberzeugen. Die Vision Coaches versuchten deutlich zu machen, daR die Vision nur dann gelingen kann, wenn die Mitarbeiter selbst dazu beitrag en, daR die Vision dann aber fur jeden zur MeRlatte kunftigen Verhal­tens wird. Als besonders wichtig erschien es, auch auf Enttau­schungen der Mitarbeiter einzugehen und sie konstruktiv in Veranderungen einzubringen.

Von vornherein war klar, daR die Vision nur umgesetzt werden kann, wenn alle Bereiche, alle Abteilungen, alle Mitarbeiter zu einem neuen Denken und Handeln angeregt werden. Sie sollten ermutigt werden, uber ihre Arbeitsablaufe nachzuden­ken und ihre Probleme selbst auf neue, kreative Weise zu losen. Mit Unterstutzung der Vision Coaches wurden bestehende Schwierigkeiten in Arbeitsgruppen analysiert und Veranderun­gen vorgeschlagen. Diese Vorschlage fugten sich zu Abtei­lungszielen zusammen, die den spezifischen Beitrag zur Ver­wirklichung der Vision ausmachten.

Der nachste Schritt bestand darin, die MaRnahmen auszuar­beiten, die zur Verwirklichung der Bereichsziele erforderlich waren, und diese MaRnahmen auch entsprechend umzusetzen. Bei der U msetzung stieRen die Abteilungen, wie erwartet, haufig auf Schwierigkeiten in der bestehenden Organisation, die den angestrebten Veranderungen im Wege standen. Die vordringliche Aufgabe der Vision Coaches war es, diese Widerstande auszuraumen oder die Mitarbeiter dabei zu bera­ten, die Widerstande selbst zu beseitigen.

Veranderungen, die - wie in diesem Fall - an den Grundfesten der etablierten Firmenkultur ruhren, find en naturlich nicht von heute auf morgen und auch nicht von einem Jahr auf das andere statt. Es ist vielmehr ein langfristiger WandlungsprozeR, der konsequent unterstutzt und gefordert werden muS. Den Vision Coaches geht es darum, die Mitarbeiter von der

154 Vision Coaches als Berater und Schrittmacher im VisionsprozeB

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Notwendigkeit zu iiberzeugen, sich neben ihrer taglichen Arbeit zusatzlich mit den Vorbereitungen auf die Zukunft auseinanderzusetzen. Objektive und subjektive Riickschlage konnten, nach entsprechenden Informationen und Diskussio­nen der Zusammenhange, zum Teil aufgefangen werden. Insgesamt hat die Vision in den Abteilungen zu einer Mobili­sierung der Mitarbeiter beigetragen und eine Plattform geschaf­fen, urn die noch notwendigen Veranderungen in der Zukunft erfolgreich anzugehen.

Bereichsubergreifende MaBnahmen

Urn den VisionsprozeB zu beschleunigen, wurden auch iiber die Bereiche hinaus MaBnahmen ergriffen. Eine wichtige Auf­gabe war es, die Einstellung der Geschaftsleitung zum Veran­derungsprozeB transparent zu machen. Zeichen des oberen Managements sollten deutlich machen, daB der VisionsprozeB Prioritat hat. Eine Diskussionsrunde zwischen Vision Coaches und Geschaftsleitung wurde auf Video band aufgezeichnet, das Mitarbeiter im Rahmen von Seminaren und Workshops anse­hen und kommentieren konnen. Dieses Video wurde zu einem unerwarteten Erfolg. Das war zunachst bezweifelt worden, weil man auf technische Tricks und auf eine fernsehreife Gestaltung des Videos verzichtet hatte. Gerade dadurch wurde es aber als "natiirlich" und realistisch angesehen und von den Mitarbeitern ernst genommen. Die anfanglichen Zweifel an der Glaubwiirdigkeit der Vision konnten auch mit Hilfe dieses Videos iiberwunden werden.

In Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen Winner's Edge in Diisseldorf wurden Seminare durchgefiihrt, die allen leitenden Mitarbeitern die zentralen Aussagen der Vision und die daraus abgeleiteten Verhaltensprinzipien naherbringen soll­ten. Diese Seminare bestanden aus einem intensiven Training

BereichsObergreifende MalSnahmen 155

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zur Vermittlung der Grundwerte der Vision: "Fiihren, Wan­deln, Verbinden und Handeln" sowie dem Erlernen der dazu notwendigen Eihigkeiten. Die Vision Coaches koordinierten die Teilnahme an diesen Seminaren. Zu dieser tiefergehenden Auseinandersetzung mit der Vision wurden alle leitenden Mitarbeiter innerhalb eines Jahres eingeladen. Das Seminar wurde positiv aufgenommen und von den Mitarbeitern als hilfreiche U nterstiitzung angesehen. Diese Seminare waren die Grundlage dafiir, das obere Management davon zu iiberzeu­gen, daR auch die tariflichen Mitarbeiter an diesem Programm teilnehmen sollten. Das wird nun in einem zweiten Schritt ermoglicht.

Das breit angelegte Kommunikationskonzept

Von zentraler Bedeutung war es auch, die Information iiber die Vision und die Kommunikation mit den Mitarbeitern zu verstarken. Den Anfang machten verschiedene EinzelmaRnah­men, zum Beispiel Briefe der Geschaftsleitung, Vortrage des Top-Managements iiber den Fortschritt des Prozesses usw. Diese gingen schlieRlich in ein breites Kommunikationskon­zept iiber. Es richtet sich an alle Mitarbeiter des Geschaftsbe­reichs Pharma. Ziel ist es, die Vision verstandlicher zu machen und die Kernthemen sowie die Wertehierarchie zu erlautern. AuRerdem sollen N otwendigkeit und Auswirkungen des Ver­anderungsprozesses transparenter werden. Weiterhin wird iiber die angelaufenen UmsetzungsmaRnahmen berichtet. Dar­aus konnen die Mitarbeiter Anregungen fiir ihr eigenes Vor­gehen ableiten. Sie sollen aber auch motiviert werden, sich fiir den VeranderungsprozeR zu engagieren, indem sie erkennen, daR sie wirklich EinfluRmoglichkeiten haben und Veranderun­gen anregen konnen.

Die Kommunikation in beiden Richtungen ist der zentrale Erfolgsfaktor der Vision. Je mehr die Mitarbeiter iiber die Hintergriinde des Prozesses wissen, je mehr sie iiber die

156 Vision Coaches als Berater und Schrittmacher im VisionsprozeB

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Chancen erfahren, die ihnen die Vision bietet, und iiber die MafSnahmen, die in anderen Bereichen angestofSen wurden, urn so mehr werden sie bereit sein, sich auch fur ihre Ziele zu engagieren. Die Mitarbeiter miissen von den Zielen, die mit der Vision beabsichtigt sind, iiberzeugt sein, damit sie nicht meinen, hier wiirden irgendwelche heimlichen Endpunkte angestrebt. Denn mit der Vision werden tatsachlich die darin festgeschriebenen Ziele verfolgt, zum Beispiel eine hohere Eigenverantwortung der Mitarbeiter und der offene und ehr­liche Dialog untereinander.

Da die Vision Coaches die direkte Kommunikation als zentra­len Erfolgsfaktor betrachten, investieren sie dafiir einen grafSen Teil ihrer Kapazitat und haben mehrere parallel laufende KommunikationsmafSnahmen initiiert. Auf ihre Anregung stellt sich das Top-Management regelmafSig der Diskussion mit Mitarbeitern, beispielsweise im Rahmen von Seminaren oder per Einladung an die Abteilungen. Dieser Dialog mit dem Top-Management wurde von den Mitarbeitern sehr begriifSt. Nachdem zunachst vorwiegend leitende Mitarbeiter zu sol­chen Gesprachen eingeladen wurden, gilt dieses Angebot in Zukunft fiir aIle Mitarbeiter.

Eine zweite MafSnahme im Rahmen des Kommunikationskon­zeptes ist die Herausgabe der regelmafSig erscheinenden Zei­tung "Vision live" und von Braschiiren, die die Vision aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten. Hier wird der Visions­prazeR erlautert; aufSerdem werden Stellungnahmen von Mit­arbeitern veroffentlicht. Bei diesem kritischen Dialog stehen auch schwierige Situationen zur Debatte.

Zu einer kongrefSahnlichen Informationsveranstaltung wurden alle Mitarbeiter des Geschaftsbereichs eingeladen. Bei diesem "Visionsmarkt" stellten sich unter dem Dach der Vision 2010 alle Abteilungen mit ihren Visionsaktivitaten vor. Die Mitar­beiter konnten sich also gegenseitig iiber ihre Veranderungs­pEine informieren und erfolgreiche Umsetzungskonzepte mit­teilen. AuRerdem wurden Themen, die von allgemeinem In-

Bereichsubergreifende MaBnahmen 15]

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teresse sind, in Diskussionen, Workshops, Interviews usw. aufgegriffen. So hatten die Mitarbeiter Gelegenheit, sich uber Themen wie Arbeitsplatzsicherheit und Zukunftsperspektiven zu informieren, Absprachen mit Kollegen uber bestimmte Fragen zu treffen, zum Beispiel uber die Delegation von Verantwortung zu diskutieren und vieles andere mehr. Die Mitarbeiter sollten sich gegenseitig inspirieren und motivieren, im VeranderungsprozeB auch selbst die Initiative zu ergreifen.

Perspektiven fOr FOhrungskrafte

Veranderungen in der Firmenkultur bedeuten aber nicht nur Chancen, die positiv zu betrachten sind. Veranderungen in einem System erzeugen auch Irritationen. Die Vision Coaches haben den Eindruck, daB die Chancen des Veranderungspro­zesses sehr stark von der Einstellung der Fuhrungskrafte abhangen. Wenn der VeranderungsprozeB den Abbau von Hierarchien und eine verstarkte Delegation von Verantwor­tung verlangt, dann bedeutet das auf der anderen Seite auch, daB eine andere Art von Fuhrung gefordert ist und daB Fuhrungskrafte neue Aufgaben ubernehmen mussen.

Diesen Veranderungen begegnen auch Fuhrungskrafte manch­mal mit Unsicherheit und zum Teil sogar mit Widerstanden. Hier sehen die Vision Coaches eine ihrer Aufgaben. Ihnen geht es dabei zunachst urn einen offenen Dialog uber eventuell bestehende Unsicherheiten und darum, gemeinsam nach einer Lasung der Probleme zu suchen. Die Vision Coaches verste­hen sich dabei in erster Linie als Berater und Koordinatoren. Sie laden Fuhrungskrafte ein, zusammen mit Experten und im Dialog mit dem Top-Management Lasungsansatze und Zu­kunftsperspektiven zu erarbeiten.

An den Fuhrungskraften liegt es, fur den VeranderungsprozeB in ihrem U mfeld eine Art Katalysator zu bilden. Sie bestimmen das Tempo und die Intensitiit der Veranderungen in ihrem

158 Vision Coaches als Berater und Schrittmacher im VisionsprozeB

Page 153: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

U mfeld. Urn so wichtiger ist es, daB sie von dem Verande­rungsprozeB selbst iiberzeugt sind. Solange aber Unsicherhei­ten und Widerstande gegen die Veranderungen bestehen, konnen darunter auch viele MaBnahmen ihrer Mitarbeiter leiden.

Mitarbeiterbefragung zur Akzeptanz

Da sich die Vision Coaches als ProzeBberater verstehen, analysieren und iiberpriifen sie kontinuierlich Fortschritt und Kurs des "Visionsschiffes". Diese ProzeBanalyse verlauft primar in Form von Einzelgesprachen, Workshops und anderen MaB­nahmen im Zuge des Visionsprozesses. Dementsprechend entsteht jeweils ein subjektives Bild, das natiirlich durch die Auffassungen des Vision Coaches beeinfluBt ist. Ziel der Vision Coaches war es daher, die Veranderungen nach dem zweijahrigen VisionsprozeB objektiv zu analysieren. Zu diesem Z weck fand eine Mitarbeiterbefragung statt, bei der 25 Prozent aller Mitarbeiter anhand eines Fragebogens nach ihrer Mei­nung zur Vision befragt wurden. Dabei ging es urn Informa­tionen iiber die Vision, die Akzeptanz des Veranderungspro­zesses und urn das AusmaB der bisher eingetretenen sichtbaren Veranderungen in den einzelnen Bereichen. Ergebnis war ein objektiveres Bild iiber den bisherigen ProzeB, aus dem sich Riickschliisse fiir das weitere Vorgehen ziehen lassen.

Bilanz nach einem Jahr

Ein Jahr nach der Beauftragung der Vision Coaches ist ein guter Zeitpunkt, urn eine erste Bilanz ihrer Aktivitaten zu ziehen. Das aus Mitarbeitern verschiedener Bereiche gebildete Team von Vision Coaches erlebte mitunter turbulente Zeiten. Die Teammitglieder hatten die Moglichkeit, die Zukunft des

Bilanz nach einem Jahr 15

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Unternehmens mitzubeeinflussen, und waren daher hoch mo­tiviert. Je intensiver sie sich selbst mit der Vision auseinander­setzten, urn so starker wurde auch ihr Commitment zum VeranderungsprozeK Da alle Coaches diese Vision-Aufgaben zusatzlich zu ihren bisherigen Arbeiten im U nternehmen uber­nommen hatten, war dieses Commitment auch notig, urn in dem nicht immer leichten VeranderungsprozeB das notige Durchhaltevermogen aufzubringen.

Das generelle Konzept der Vision Coaches hat sich als so erfolgreich erwiesen, daB zur Durchfuhrung der vorgeschlage­nen MaBnahmen weitere Teammitglieder hinzugezogen wur­den. Inzwischen ist das Team auf 20 Kopfe angewachsen und die Mitglieder haben ein neues Selbstverstandnis entwickelt. Sie sehen sich in erster Linie nicht mehr in der Rolle, den VisionsprozeB nur zu unterstutzen, sondern mehr und mehr als diejenigen, die den ProzeB aktiv mitgestalten.

Daher haben sie ihren Auf trag neu formuliert:

Mission

1. Wir initiieren und unterstutzen Veranderungen.

2. Wir leben die Vision vor und machen ihre Inhalte verstand­lich und ihre Chancen bewur..t.

3. Wir gewinnen Vertrauen als Visionsberater und Ansprech-partner.

4. Wir helfen der Organisation, auf Visionskurs zu bleiben.

5. Wir finden und begeistern Mitstreiter.

6. Wir bringen Menschen zusammen und helfen ihnen, Veran­derungen selbstverantwortlich zu gestalten.

7. Wir entwickeln und realisieren spezifische Visionsprojekte.

Die Vision Coaches haben viel erreicht. Sie haben die Vision zu einem Thema fur aIle gemacht. Die Mitarbeiter berufen sich

160 Vision Coaches als Berater und Schrittmacher im VisionsprozeB

Page 155: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

mehr und mehr auf die Vision als MaBstab. Auf der anderen Seite hat die Kommunikation der Vision auch Erwartungen und Hoffnungen geweckt, die noch nicht erfiillt sind und die weiter eingelost werden miissen. Vieles bleibt noch zu tun! Die Vision Coaches haben die Herausforderungen zur Umset­zung der Vision angenommen. Sie haben sich personlich mit den Zielen der Vision identifiziert.

Es bleibt das Ziel, ein U mfeld zu schaffen, das alle Mitarbeiter motiviert, ihre Probleme kreativ selbst zu losen und eine aktivere Rolle an ihrem Arbeitsplatz zu spielen! Jeder soll die Ziele der Vision verinnerlichen und seinen Beitrag zu ihrer Erreichung leisten. Ziel ist es natiirlich auch, die Vision so weit voranzutreiben, daB die Funktion der Vision Coaches als Berater und Schrittmacher des Veranderungsprozesses bald iiberfliissig wird.

Bilanz nach einem Jahr 161

Page 156: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

8 Implementation von Veranderungen

Das FRAKTAL-Modell Dietrich Buchner/Martina Schmidt-Tanger

Veranderungen umsetzen

Die immer starkere Herausforderung an Unternehmen, sich der technischen, wirtschaftlichen und sozialen Veranderung stellen zu miissen, wird als Belastung erlebt, die viele Entschei­dungstrager in Unternehmen, aber auch den einzelnen Mitar­beiter iiberfordert. Wieso Veranderung, fragt man sich, es lief doch alles ganz gut. Naja, ein paar Verbesserungsvorschlage hatte man da schon, aber ...

Der Wunsch nach Wandel und nach einer Auseinandersetzung mit den uns gegebenen Bedingungen, ja sogar die aktive Suche nach solchen Herausforderungen, steht dem Bestreben nach Stabilitat, Sicherheit und Erhaltung gegeniiber.

Aus diesem Konflikt heraus kommt es meist zu der segensrei­chen Entscheidung: "Soil sich doch mal so ein Veranderungs­profi damit befassen". Dann wird einer intern ausgeguckt (unser Mitgefiihl an dieser Stelle) oder ein ProzeRberater engagiert. Der unausgesprochene Auf trag lautet dann mei­stens: "Wasch mich, aber mach mich nicht naK"

Veranderungscoaches und -teams beklagen oft, daR ihre miih­same Arbeit und ihre Ergebnisse nicht gewiirdigt, nicht umge­setzt werden, ,jiir die Katz" sind. Die Konsequenz dieser Wahrnehmung ist meist: Demotivation bis Resignation, Lieb-

Veranderungen umsetzen 163

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losigkeit bei Folgeprojekten und, mindestens genauso schlimm, Glaubwurdigkeitsprobleme derer, die die Veranderungsteams ins Leben riefen. Solche Reaktionen durch Teams und Team­mitglieder als Rechtfertigung fur sich und Schuldzuweisung an die Organisation beziehungsweise das Management verdrang­ten naturlich auch Verantwortung oder projizierten Verantwor­tung auf andere.

Mit NLP als Veranderungsmodell bekommt der Urn gang mit Veranderungen eine neue Perspektive.

Okologie von Veranderungen

Der Grundsatz der Okologie von Veranderungen tragt dem Prinzip der Herstellung, Erhaltung beziehungsweise Wieder­herstellung eines Gleichgewichts Rechnung. Eine Veranderung ist nicht wirklich stabil, solange es noch wichtige Stirn men mit Einwanden innerhalb einer Organisation oder durch eine Person gibt, deren positive Absichten nicht eingebunden wur­den.

Bei Veranderungszielen, die nicht umgesetzt werden, gibt es mindestens zwei Verantwortungen: die Verantwortung desje­nigen, der sie ausdachte, und die derjenigen, die sie umsetzen sollten. Welche Verantwortung muR zum Beispiel ein Veran­derungsteam oder ein Veranderungscoach trag en, urn die Ergebnisse so zu prasentieren, daR der ProzeR der U msetzung beginnt, bereits ablauft oder sich entwickeln kann? Diesen ProzeR wollen wir Implementation nennen, und wir wollen mit der These beginnen, daR die Veranderer auch fur die Implementation verantwortlich sind. Dieses weitgehend si­cherzustellen, hat sich das FRAKTAL-Modell vorgenommen.

164 Das FRAKTAL-Modell

Page 158: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Die Eigenenergie von Systemen nutzen

Veranderungen jeglicher Art, sei es innerhalb einer Person, einer Gruppe oder einer Organisation, folgen einer Kurve, bei der man einige typische Phasen beobachten kann. Ob es dabei urn eine Ehescheidung geht oder das Einfiihren von Total Quality Management innerhalb eines U nternehmens, spielt keine Rolle.

Der wichtigste Faktor dieser Phase ist die sich stark verandern­de Einschatzung der eigenen Kompetenz, etwas aktiv zu seinen Gunsten bewirken zu konnen. Diese Ressource der eigenen internen Kontrolluberzeugung (locus of control) und Hand­lungskompetenz verandert sich uber die Zeit hinweg.

Verstehe ich die Phase, in der sich ein einzelner oder eine Organisation gerade befindet, akzeptiere ich sie und gebe in jeder Situation die ,,richtige" Unterstutzung, kann ich viel fur die Entwicklung und U msetzung einer neuen Sache tun.

Jede Veranderung, die wirklich gut ist fur ein System, hat ihre Eigenenergie, die weiterhilft, jedoch oft von gutgemeinten Veranderungs"pushern" zerstreut und im Widerstand ver­schwendet wird.

Zu wissen, daB Veranderungen unterschiedliche Zeit brauchen, ist genau so wichtig, wie an der richtigen Stelle das Richtige zu tun, urn das System optimal in seiner Eigenbewertung zu unterstutzen. ,,Mit der Energie gehen" ist da die nutzlichste innere Einstellung.

Die systemische ProzeBberatung kann hier anfangen. Grund­legende NLP-Techniken, verbunden mit Veranderungsmodel­len aus der Strategie und Organisationsentwicklung, sind bei der Diagnose und Intervention in jeder Phase das optimale Instrument zur Unterstutzung. Eine detaillierte Betrachtung der Veranderung ermoglicht die gezielte Hilfestellung und

Die Eigenenergie von Systemen nutzen 165

Page 159: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

erlaubt es, den moglicherweise auftretenden Schwierigkeiten effektiver zu begegnen.

Das FRAKTAL-Modell und die Veranderungskurve

Unter Fraktalen werden in der Sprache der Chaosforscher Teile des Ganzen verstanden, die wiederum das Ganze reprasentie­ren. In Analogie dazu so11 das FRAKTAL-Mode11 die Imple­mentation einer Veranderung so aufbauen, daR sie sich in der Realitat als ganzheitlicher VeranderungsprozeR okologisch ge­staltet.

Ausgangspunkt dieses Mode11s sind die Veranderungskurve und die damit skizzierten Veranderungsstrategien, wie sie zum ersten Mal von Martina Schmidt-Tanger (1993) vorgeste11t

Veranderungskurve

Wahrgenommene, elgene Kompetenz

1 ~

Oberraschung (i). FlexlOIIIslenJfI(1

166 Das FRAKTAL-Modell

@'Lustund

Lockendes Ziel

C9. KontronUllion mit _ RMlltst

Emotlonale Akzeptanz

Zeitablal.ff

Page 160: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

wurden. Danach laufen Implementationen (von Veranderun­gen) in etwa sechs Phasen ab, die hier kurz skizziert werden.

1. Phase: Oberraschung bis Schock

Sie fuhrt in der Regel zu Einschrankungen der wahrgenomme­nen Kompetenz. So ruft zum Beispiel der Vorschlag eines Teams, eine Hierarchie-Ebene zu streichen, Schrecken und Teilimmobilisierung der Betroffenen hervor. Das Ziel der Ver­anderung in dieser Phase muR es sein, eine schnelle Flexibili­sierung und Uberwindung des Stuck-States zu erreichen, urn die Wahrnehmung der eingeschrankten Kompetenz wieder auszuweiten und zu offnen.

F = Flexibilisierung

2. Phase: Verneinung

In der Regel ist die Folge der Flexibilisierung ein unmittelbarer Anstieg der wahrgenommenen Kompetenz nach dem Motto: ,,Das geht doch gar nicht; dann bricht hier einiges zusammen; das wollen die doch nicht wirklich. SchlieRlich sind wir die erfolgstragende Hierarchieebene usw." Urn diese Verneinung zu uberwinden, sind neue Rahmen zu setzen und Bedingungen bewuRtzumachen, unter denen die Veranderung mehr Sinn macht. Wir nennen die hierzu notwendige zentrale Coaching­technik "Reframing" (fur "neue Rahmen geben").

R = Reframing

3. Phase: Rationale Einsicht

Die neuen Rahmen und Bedingungen machen bewuRt, daR die Veranderung sehr wohl sinnvoll ist. Das fuhrt zur Senkung

Das FRAKTAL-Modell und die Veranderungskurve 16]

Page 161: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

der Kompetenzwahrnehmung bei gleichzeitiger Wiederholung von Gegenargumenten, die, als Einwande rational verpackt, Erhaltenswertes erhalten wollen. Diese guten Absichten gilt es, im VeranderungsprozeR zu wiirdigen; denn sie stellen positiv verwertbare Ressourcen dar, die genutzt werden kon­nen. Auch in dieser Phase kann Reframing sinnvoll sein. Weiterhin sind Als-ob-Szenarien hilfreich, die die Veranderung darstellen und bewuRtmachen, wie sie funktioniert und wie die erfolgstragenden Elemente eingebaut sind.

A = Absichten erhalten, Als-ob-Szenarien entwerfen

4. Phase: Emotionale Akzeptanz

Dadurch wird der Grad der Betroffenheit in der Regel ver­starkt, und die eigene Kompetenz sinkt weiter ab ("Tal der Tranen"). In solchen Phasen wird oft der "starke Mann" gesucht, der "nun endlich sagt, wo es langgeht". Man braucht einen "anderen", der einen "mitnimmt", Mitstreiter fur eine neue Rolle, Kompagnons und Kampfgenossen, die helfen, die neue Rolle zu konkretisieren, zu klaren und in der alten Rolle zu kapitulieren: ,,Es ist so, und was ist, ist."

K = Konfrontation mit der Realitat und Kapitulation der alten Position

5. Phase: Ausprobieren

Erst dann, wenn die Veranderung emotional akzeptiert worden ist, kann die produktive Phase beginnen, in der neue Moglich­keiten ausprobiert werden. Man spielt gedanklich (Probehan­deln) und dann real neue Moglichkeiten der neuen Rolle oder Situation durch. Damit dieses Probieren beginnen kann, muR eine Fehlerkultur und -toleranz entwickelt werden, die es erlaubt und fordert, neues Verhalten auszuprobieren, Fehler zu

168 Das FRAKTAL-Modell

Page 162: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

machen und diese als Ruckkopplung fur Lernvorgange zu nutzen.

Die entscheidende Phase der positiven Hinwendungen zu neuen Maglichkeiten kann leicht (darf aber nicht) durch zu enge Fehlersanktionen abgeblockt werden. Das heiRt, Veran­derungen mussen ausprobiert werden durfen, Risiko ist er­wunscht.

T = Toleranz von Fehlern furs Lernen

6. Phase: Ankern der neuen Kompetenz

Fehler als Feedback fuhren zum Lernen und zum Ausbau der neuen Kompetenz, ihre Integration fuhrt in eine neue Rolle, fUr neue Situationen oder Herausforderungen durch Wachs­tum, Auf- und Ausbau oder Entwicklungsprozesse. Diese neuen Kompetenzen schlagen sich in (differenzierten) Strate­gien nieder, zum Beispiel in neuen Rollenkonzepten, neuen Aufgabendefinitionen, die resultatbezogen ausgearbeitet sind und sich mit den erfolgstragenden Elementen der Vergangen­heit verbinden. Durch diesen IntegrationsprozeR in zukunftige Handlungen (Strategien und MaRnahmeplane) wird die neue Kompetenz geankert (Future Pacing).

A = Ankern der neuen Kompetenz

7. Phase: Lockendes Ziel- Losungen und Resultate

Sie stellt eigentlich keine Phase im VeranderungsprozeR mehr dar, sondern die Ergebnisse der Anderung, die Lasungen, Resultate der angewandten Kompetenz, die neues Handeln ergeben. Sie beinhaltet Prozesse der neuen Erfahrung (Erfah­rungskurveneffekte), aber auch Nachbesserungen. Die "Lasung von Spannungen" im Veranderungs- und EntwicklungsprozeR wird als auRerordentlich zufriedenstellender und als freudiger

Das FRAKTAL-Modell und die Veranderungskurve 16

Page 163: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

ProzeR erlebt. Das Ergebnis solI als ,Jockendes Ziel" uber allern durchgehend verstanden werden.

L = Lockendes Ziel

Fur das FRAKTAL-Modell und die einzelnen Stufen bietet sich eine groRe Zahl von (Coaching-)Techniken an, urn die Veran­derung zu beschleunigen: Hier solI nicht das ganze AusrnaR des Veranderungscoachings ausgepackt werden; wir werden lediglich auf einfachere Modelle eingehen, die jeder Veranderer kennen sollte.

(Fur eine ausfuhrliche Darstellung siehe Martina Schrnidt-Tan­ger: "Das Veranderungsternpo erhohen" in Dietrich Buchner (Hrsg.), "NLP irn Business", Wiesbaden 1994)

Das FRAKTAL-Modell ("Menu")

F Flexibilisierung 1 - Kontext - Nemawashi 2 - Veranderungsszenarien

R Reframing 3 - Reframing

A Absicht + Als-ob-Szenarien 4 - Als-ob-Szenarien + Prazisionsfragetechnik 5 - Einwandsbehandlung

K Konfrontation mit der Realitat/Kapitulation 6 - Unternehmensprioritaten/Hierarchie der Werte 7 - Commitments (Kampfgenosse und Mitstreiter)

T Toleranz fiir Neueslvon Fehlern 8 - Forum, Probehandeln 9 - Fehlerkultur: Fehler als Feedback

A Ankern und integrieren (Future Pacing) 10 - Strategie, operative Routine, spezifische Commitments

L Lockendes Ziel 11 - Lust auf Resultate, Vision en und lockende Ziele

170 Das FRAKTAL-Modell

Page 164: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

FLEXIBILISIERUNG

Stuck-States

In dieser Phase findet eine Konfrontation mit Bedingungen statt, die gar nicht, nicht in dieser Form oder nicht zu diesem Zeitpunkt erwartet wurden. Diese offensichtliche Nichtiiber­einstimmung der Erwartungen mit der Wirklichkeit fiihrt zu einer langeren (Abteilung/ Position soll aufgelast werden) oder kiirzeren Phase (Kaffeeautomat funktioniert nicht) der Verwir­rung.

Es kommt zu einem kurzen Absinken der wahrgenommenen eigenen Kompetenz, denn die Vorstellung, die sich eine Person gemacht hat, und die daraus abgeleiteten Handlungsentwiirfe passen nicht zur vorgefundenen Situation. Die Strategie ver­sagt. Eine Folge von Konfrontationen mit nicht passenden Strategien ist leider haufig: ,Jetzt erst recht." Denn klappt etwas nicht, neigen Menschen dazu, ihre Anstrengungen im alten Muster zu verdoppeln. (Problem: der Lift kommt nicht! Lasung: haufigeres starkeres, schnelleres Driicken des Lift­knopfes!)

Alsbald ist die spontane Handlungsenergie verbraucht, und das fiihrt zur "Erstarrung". Die Person oder Organisation oder das Team fiihlt sich "wie gelahmt", wie "vor den Kopf geschlagen". In diesem Zustand des Festgefahrenseins ("Stuck-State") ge­hart alles, was wahrgenommen, gefiihlt und gedacht wird, zum Problem.

Haufig ist die Beschreibung des Problems bereits das Problem, denn ware die Beschreibung richtig, ware es die Lasung.

Damit es nicht erst zur Ablehnung kommt, sind zunachst prophylaktische Handlungen sinnvoll. Eine Oberraschung ist keine Oberraschung mehr, wenn ich die Maglichkeit schon einmal gedacht habe oder an der Maglichkeit mitgewirkt habe. Solche prophylaktischen Verfahren sind unter anderem

Phase 1: Uberraschung/Schock 171

Page 165: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Kontext-Nemawashi und

Veranderungsszenarien.

Kontext-Nemawashi

Der Begriff Nemawashi wird in Japan dafur verwandt, Lobby fur ein Projekt oder eine Entscheidung etc. bei allen wichtigen Entscheidern, Betroffenen, Experten etc. zu machen. Dabei werden eine Reihe von Schritten des FRAKTAL-Modells vorweggenommen und in die Losungen eingebaut.

Von jedem, der Veranderungen entwickelt, fordern wir nichts anderes. Er bestimmt genau den Kontext, in dem die Veran­derung sich auswirkt, und er wird die wichtigen Entscheider und Meinungsfuhrer identifizieren, die die Veranderung trag en mussen, damit sie erfolgreich wird. Dafur verwenden wir den Begriff "Kontext-Nemawashi". Die Vorgehensweisen sind un­terschiedlich, das Ziel ist immer das gleiche: die Veranderung moglichst uberraschungsfrei zu gestalten, Flexibilisierung vor­weg zu sichern. Die wichtigsten Prinzipien hier sind:

alle Uberraschungen ankern,

sich selbst einbringen zu konnen,

die Betroffenen teilnehmen zu lassen,

die Einwande zu formulieren,

das Gesicht zu wahren.

Zum Kontext-Nemawashi gehoren einfache Routinen, die vor allem absichern mussen, daB die Veranderungsarbeit auch genugend Prioritat bekommt, sich umzusetzen. Dafur gibt es einen einfachen Check: die Terminabstimmung mit den Ent­scheidern auf der Basis eines Arbeitsplanes, bei kontinuierli­chen Prozessen auf der Basis von definierten Entscheidungs­punkten. Sind die Entscheider nicht bereit, die Abstimmungs­termine fur Zwischenentscheidungen von Anfang an zu fixie-

17 Das FRAKTAL-Modell

Page 166: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

ren, muR man das Projekt in Frage stellen. Alles andere ware Selbstbetrug, denn der Veranderung wiirden spater nur noch Schwierigkeiten gemacht. Urn diese Punkte zu identifizieren, wird sich das Veranderungsteam einen Arbeitsplan erstellen.

Diese Flexibilisierung beginnt vor dem Projekt. Dabei werden die Manager in die Gestaltung und Entscheidung der Projekt­ablaufe einbezogen. Wie dieses geschieht, hangt von der jeweiligen Situation abo Diese bestimmt auch den Zeitaufwand, den das Management aufzubringen hat.

Veranderungsszenarien

Der Kontext-Nemawashi wird formalisiert, wenn mit Betrof­fenen beziehungsweise Beteiligten Veranderungsszenarien ent­wickelt werden.

1m strategischen Management versucht man, mit Turbulenzen fertig zu werden: mit Ereignissen, deren Eintritt erhebliche Einfliisse auf das Geschaft haben kann und die nicht vorher­sehbar sind.

Die Instrumente sind unterschiedlich, es handelt sich bei den meisten entweder urn

alternative Formen von Szenarien (zum Beispiel "weak signals"),

Anpassungsprozesse an eingetretende Oberraschungen (is­sue management),

prophylaktische Einstellung auf Eventualfalle und andere.

Alle diese strategischen Kriicken reichen nicht aus. Sie sind zu langsam geworden.

Urn schnellere Anpassungen zu ermoglichen, will man iiber Netzwerkstrukturen die Wahrnehmung der Veranderungen und die Veranderungsprozesse selbst beschleunigen. Damit kommen Teams als Netzwerkantennen, Expertenteams mit

Phase 1: Oberraschung/Schock 173

Page 167: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Kunden oder Lieferanten, High-tech-Entwicklungsteams usw., zunehmend in die Rolle, Anlasser fur Veranderungen in der jeweiligen Organisation zu werden. Sie werden systematisch sicherstellen, daB die Entscheider in der Organisation "auch in die Glaskugel der Zukunft schauen" und neue Entwicklungen selbst entdecken (aha!). Diese Form des Erfahrungslernens oder Oberraschungslernens stellt am ehesten sicher, daB die Entscheider die neue Sicht als die eigene annehmen (Eigen­tum).

Flexibilisierung als Prophylaxe bedeutet, eine Basis fur Veran­derungen zu leg en, die einen Oberraschungsschock weitge­hend ausschlieBt. Hierzu werden mit den Betroffenen Szena­rien entwickelt. Szenarien sind Reprasentationen der Zukunft, wie Landkarten, nach denen wir fahren und uns entscheiden. Die Vorhersage der Zukunft ist insofern "wahrsagen", wie ich sie "wahr"nehme, und diese Wahrnehmung ist meine Zukunft. Die Modelle von der Zukunft, die wir uns machen, sind unsere HandlungsmaBstabe. Nicht die Zukunft veranlaf5t uns, in be­stimmter Weise zu handeln, sondern unsere Reprasentationen von der Zukunft.

Urn Reprasentationen der Zukunft zu verandern (= Flexibili­sierung), hat es sich als nutzlich erwiesen, nicht von einer Zukunft, sondern von mehreren Zukunften zu sprechen, urn bewuBtzumachen, daB die Zukunft fur den einzelnen immer nur eine Sichtweise ist.

Unter diesem Blickwinkel kann man auch andere Sichtwei­sen/ Perspektiven der Zukunft durch andere Menschen akzep­tieren. Lernprozesse durch Team-Szenarien sind dann moglich und hochst effektiv.

Zukunftsszenarien

1m Unterschied zu umfassenden Szenarioprojekten, die in komplexen Stufen und Vernetzungen (angeblich) in sich logi-

174 Das FRAKTAL-Modell

Page 168: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

sche Szenarien systematisch erarbeiten, ist der Begriff Zu­kunftsszenario hier anders gemeint:

Wir verstehen darunter die Reprasentation der Zukunft durch Expertenteams und Managementteams des Unternehmens. Diese Reprasentationen konnen durch riesige Umweltszena­rien beeinfluBt sein - es ware sogar wunschenswert: Wesent­lich ist fur uns aber, daB die Modelle der Zukunft nicht aufgesetzt, sondern selbst erfahren sind. Sie machen damit Ressourcen frei und werden zum Handlungsausloser.

Der Team-Coach wendet die Struktur des ZIAKA auf die Zukunft an:

Zielfrage: Welche Ereignisse werden eintreten, die auf das Zielgebiet einen erheblichen Effekt haben?

Sammeln,

Auswahlen und Strukturieren,

Eintrittswahrscheinlichkeiten und

Eintrittszeiten abschatzen,

Chancen und Risiken fur den Zielbereich ermitteln (im­pact).

Expertenworkshops

Wie gut ist die Basis?

Verfugen wir uber den aktuellen Stand des Wissens auf einem definierten Gebiet (Zielbereich)? Konnen wir auf dieser Basis unsere Zukunft reprasentieren?

Falls nicht oder nicht sicher, werden externe Informationen beschafft durch:

ext erne Szenarien und

die Durchfuhrung von Expertenworkshops.

Phase 1: Uberraschung/Schock 175

Page 169: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Die Expertenworkshops erweisen sich bei zeitlich genau defi­nierten Projekten als die zweckmaBige Methode, den aktuellen Stand des Wissens zu beschaffen. Sie erlauben uberdies die Integration interner und externer Expertise und konnen zu­satzliche Lerneffekte bewirken. Sie konnen die im Unterneh­men vorhandenen Zukunftsbilder neu strukturieren. Der Pro­phet im eigenem Land holt sich Hilfe.

Fantasie-Reise

Albert Einstein hat mit seinem Ritt auf dem Lichtstrahl eine Fantasie-Reise gemacht, die ihm die Erkenntnis brachte, daB die Wahrnehmung der Zeit abhangig ist von der Geschwin­digkeit, mit der wir uns bewegen. Die Fantasie-Reise ist eine Methode, mit der wir Zugang zum unbewu(5ten Teil von uns gewinnen konnen. Oft erleben wir uns widerspruchlich, indem wir zum Beispiel wissen, daB wir zu dick sind (kognitiv), trotzdem aber weiter zu viel essen (handeln). Dies ist ein Zeichen dafur, daB unsere Handlungen nicht immer be­wuBt/kognitiv gesteuert werden, sondern daB es einen ande­ren Teil gibt, der Regie fuhrt. Wir konnen ihn UnbewuBtes, Nicht-BewuBtes, UnterbewuBtsein etc. nennen. Auch dieses gilt es fur die Zukunft zu aktivieren; denn ob wir etwas tun und was wir tun, wird davon gesteuert:

Manche Menschen weigern sich, allzu weit in die Zukunft zu denken (Sinnfrage, Angste, Relevanz, Unfahigkeit?),

manche Menschen haben ihr BewuBtsein so dominant entwickelt, daB das "unbewuBte" Wissen nicht genutzt wird,

manche Menschen brauchen einfach einen anderen BewuBt­seinszustand, urn die Zukunft differenziert wahrnehmen zu konnen etc.

Unternehmerisches Verhalten - insbesondere wenn es Schritte in die Zukunft sind - hat sehr viel mit diesem anderen Teil zu

176 Das FRAKTAL-Modell

Page 170: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

tun: Intuition, Vorsicht, Mut, Visionen etc. sind nicht durch Datenlagen und Analysen begrundbar, und doch konnen sie die treibenden Krafte sein, die das Verhalten bestimmen - nicht selten gegen Daten und Analysen. Mit der Fantasie-Reise konnen wir uns einen Teil der uns nicht bewuRten Ressourcen zuganglich machen und in unserem BewuRtsein reprasentie­ren.

Zukunftswerkstatt

Alle diese Modelle lassen sich miteinander verbinden, da sie sich gegenseitig gut erganzen. Diese Interpretation leistet die "Zukunftswerkstatt", die Reprasentanten des ganzen Unter­nehmens fur zwei bis vier Tage zusammenfaRt, urn uber wichtige Veranderungen im Umfeld und uber die daraus resultierenden Anpassungen im Unternehmen nachzudenken. Die Ergebnisse einer solchen Zukunftswerkstatt sind in der Regel Vereinbarungen wie zum Beispiel gemeinsame Verande­rungsziele, die Formulierung der Unternehmensvision und die wichtigsten MaRnahmen dazu. 1m Idealfall erhalten wir L = "Lockende Ziele", die motivieren, anziehen, aktivieren und Handlungen auslosen.

Tips fiir Coaches

Oberraschungen sind keine Oberraschungen mehr, wenn ich sie vorwegnehmen. Stuck-States, Schocks treten aber trotzdem ein, da erstens niemand sich auf alles vorbereiten kann und zweitens die "gedachte" und die "eingetretene Realitat" einen groRen Unterschied darstellen.

Hier greift ein umfassenderes Instrumentarium der Flexibilisie­rung, das ausfuhrlicher an anderer Stelle beschrieben wurde (siehe D. Buchner, ,,NLP im Business", Wiesbaden 1994).

Urn nicht in der Anfangsphase einer Veranderung steckenzu­bleiben, ist die Veranderung des Stuck-States anzustreben. Die

Phase 1: Uberraschung/Schock 17

Page 171: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Wiederherstellung der geistigen, emotionalen und haufig auch korperlichen "Bewegungsfahigkeit" ist das Ziel. Hier sind Erfahrungen im Umgang mit Stuck-States notwendig. Das kann unter anderem mit dem Prinzip des Ankerns (Ressour­cen), des Statemanagements (Veranderung der Physiologien) oder prazisen Fragetechniken (siehe SPECI-Modell) erreicht werden. Nicht am Problem arbeiten, sondern an der Verbes­serung der "Hier-und-jetzt"-Physiologie.

REFRAMING

Verneinung

"Das ist doch nicht wahr, die haben sich vertan, die meinen gar nicht mich." Die wahrgenommene eigene Kompetenz steigt in der Phase der Verneinung wieder, vor allem weil die Person zu ihrer Beruhigung versucht sich einzureden, daR die Situation sich gar nicht wesentlich von der alten unterscheidet oder der alte Zustand nach kurzer Zeit schon wieder herzu­stellen sei ("Sie werden schon sehen, daR es ohne mich nicht geht").

An dieser Stelle werden vor allem Werte, Glaubenssatze und Einstellungen aktiv, die sich damit beschaftigen, wie Dinge zu sein haben und was gut und richtig ist. Hieraus ist auch das Ansteigen der wahrgenommenen eigenen Kompetenz ("meine Weltwahrnehmung ist die richtige") zu erklaren. Die Verande­rung von Glaubenssatzen ist in dieser Phase schwierig, da es meist keinen ,,Auf trag" zur Hilfestellung bei der Veranderung gibt. Oder der Auf trag kommt von "oben" als Neuerung, die von der Geschaftsleitung beschlossen wurde und jetzt den Mitarbeitern "beigebracht" werden muK

Entwicklungen werden jedoch immer dann erheblich blockiert, wenn die Notwendigkeit der eigenen Veranderung nicht ak­zeptiert wird oder wenn die anstehenden Veranderungen

178 Das FRAKTAL-Modell

Page 172: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

langwierige Einstellungsanderungen beziehungsweise neue Selbstdefinitionen nach sich ziehen.

Reframing

In der Verneinungsphase kommt es darauf an, moglichst neue Perspektiven und Sichtweisen zu gewinnen. Oafiir eignet sich die ,,Reframing-Technologie", die neue Rahmen produziert.

Reframing faRt aIle solche Techniken zusammen, die bewirken, daB wir eine neue Perspektive zu einer Sache oder einem ProzeB oder einem Glaubenssatz einnehmen. Mit dem Blick­winkel verandert sich die "Wahr"nehmung und die ,,Be"wer­tung.

Sie kennen vielleicht dieses oder ein ahnliches Erlebnis: Sie wollen ein Haus kaufen. Es solI im Griinen liegen - am besten am Waldrand. Sie lieben die Natur und die Nahe zum Wald. Sie walzen schon seit Wochen die Immobilienanzeigen. Oft schon spiirten Sie eine kleine oder auch groBere Erregung bei bestimmten Formulierungen. Und auch heute ist es wieder so, doch als sie nachfragen, sagt Ihnen der Makler: gute Stadtlage, direkte Verbindung zum Zentrum, in zehn Minuten in der Innenstadt. Sie haben das Gefiihl, Sie sprechen von zwei verschiedenen Hausern: Sie lasen yom Waldhaus - der Makler redet yom Stadthaus.

Und doch ist es ein und dasselbe Haus: Sie setzen nur unterschiedliche "Rahmen". Fiir Sie solI das Haus "am Wald" stehen. Sie stellen sich vor, wie Sie bei untergehender Sonne in Ihre Turnschuhe schliipfen und gleich hinter dem Haus durch den Wald joggen.

Oer Makler hat gerade einen tollen AbschluB gemacht. Oem Kaufer kam es vor allem darauf an, schnell in der Innenstadt zu sein. Oiese Argumentation klappte so gut, daR der Makler dies en Erfolg fortsetzen wollte.

Phase 2: Verneinung 17

Page 173: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Sie bedanken sich fur die Auskunft, leg en den Telefonhorer auf und trauern der verflogenen Hoffnung nacho Dem Makler war es nicht gelungen, Ihre Ressourcen zu aktivieren - im Gegen­teil durch seine "Erfolgsargumentation" hat er Ihre Stimmung, Ihre Hoffnung abgebaut. Ihre freudige Erregung, als Sie die Annonce in der Zeitung las en, wurde enttauscht.

Was ware passiert, wenn der Makler Sie gefragt hatte, was an dieser Annonce fur Sie so wichtig war, daR Sie anriefen? Sie hatten ihm von der skizzierten Waldlage erzahlt und er hatte geantwortet: ,Ja, das ist eine wunderschone Waldlage. Sie konnen von ihrem Garten aus direkt in den Wald wandern."

Dasselbe Haus - nun in einem anderen, namlich Ihrem Rahmen. Wahrscheinlich hatten Sie nun urn das Expose gebeten.

G laubenssatze

Wir nehmen die Welt so wahr, wie wir glauben.

Die Person Pi schafft sich ihren Glaubensrahmen Gl. Die Person P2 schafft sich ihren Glaubensrahmen G2. Beide Rah­men sind weder falsch noch richtig, sie sind, wie sie sind. Wollen wir aber die "Ressourcen", Energien und den guten Willen der Pi "aktivieren", kann es zweckmaRig sein, den Rahmen der anderen Person P2 zu benutzen oder den Rahmen der Pi so zu erweitern, daR sie die Dinge neu wahrnehmen kann.

Wie wir die Dinge wahrnehmen, hangt immer auch von der Perspektive ab, yom Standort aus dem wir wahrnehmen. Den Standort zu verandern, bedeutet neu "wahr"zunehmen. Wir nennen das neue Perspektive, neue Sichtweise, neuer Blickwin­kel, neue Ansicht usw.

Der Begriff "Res source" wird so verwandt, wie er im weitesten Sinne definiert ist. Alle Moglichkeiten des anderen sollen

18 Das FRAKTAL-Modell

Page 174: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

aktiviert werden. Durch eine eingeengte Sichtweise werden oft nur begrenzte Moglichkeiten wahrgenommen.

Wie geht das mit der Verneinung?

Ein Manager sagt: "Wir sind nicht innovationsfreundlich. Das ist bei uns (= in unserem Unternehmen) noch zu friih." (Sein Glaubenssatz/seine Sicht bedingt, daB eine bestimmte Innova­tion zum Beispiel NLP nicht eingefiihrt werden kann.) Dieser durch den Glaubenssatz eingeengte Rahmen verhindert, die Ressourcen des Managers zu nutzen. Deshalb macht es Sinn, diese Einschrankung (= Rahmen) zu offnen (= einen neuen Rahmen hinzufiigen).

Man konnte zum Beispiel antworten: "Was ware, wenn dieser Zeitpunkt genau richtig ware?" Antwort: ,,Dann miiBten wir ,es' sofort einfiihren." (1. Ressource aktiviert, aber es besteht immer noch der alte Vorbehalt.) "Und wie wissen Sie, wann der Zeitpunkt fiir diese Innovation richtig ist?" Antwort: ,)ndem ich es teste." (2. Ressource aktiviert). "Was hindert Sie daran, es zu testen?" Antwort: "Eigentlich nichts." (Der alte Vorbehalt wurde aufgeweicht und die Voraussetzung fiir einen Test geschaffen.) "Und was miissen Sie oder wir tun, urn einen Test durchzufiihren?" Antwort: " ... " Jetzt folgen einige prak­tische Schritte, die letztlich zur U msetzung fiihren.

Dieses Beispiel, das verkiirzt wurde, urn die Hauptelemente zu verdeutlichen, zeigt, wie ein einschrankender Glaubensrahmen (= Vorbehalt) schrittweise in einen Versuch umgewandelt wur­de. Der Glaubensrahmen wurde aufgeweicht und mit Ressour­cen ausgestattet. Die Selbstbegrenzung wurde iiberwunden.

Der ProzeR

In Netzwerk-Organisationen mit flacher Hierarchie wird zwangslaufig die Diskussion urn "Delegation" gefiihrt. Die Verneinung der "Delegation" kann zum Beispiel so begriindet

Phase 2: Verneinung 181

Page 175: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

sein: Die Verantwortung fur die Qualitat kann nicht dem Projektteam ubergeben werden. Sie muR bei der Produktion (Qualitatskontrolle) bleiben, nur dort ist sie sicher.

Die Perspektive ist, die Vergangenheit erhalten (was ubrigens gut funktionierte), Detaillierung auf den spezi{ischen Aspekt der Verantwortung fur die Sicherheit der Qualitat (Wert).

Eine Reihe von Perspektiven - Veranderungen sind denkbar:

Wertehierarchie Kommt es darauf an, die Produktionsqualitat oder eher die Gesamtqualitat zu sichern?

ZukunftlEntwicklung Wie konnen wir die gut funktionierende Qualitatskontrolle im zukunftigen Projektteam so nutzen, daR alle davon lernen?

Up- Chunking, Generalisieren Sollen wir dem Projektteam die Gesamtverantwortung fur das Projekt/Produkt geben oder sollen wir die Einzelver­antwortung dort lassen, wo sie bisher war? Wo ware dann der Nutzen des Projektteams?

Die Grundideen des Reframing sind:

Perspektivenwechsel und Rahmenveranderungen, also neue Wahrnehmungen zu schaffen.

Dabei kommt es nicht darauf an, die Perspektive des anderen als falsch oder iiberholtoder unethisch etc. abzuwerten. Es kommt vielmehr darauf an, dem anderen mit neuen Blickwin­keln aus der einzigen (= engen) Sicht herauszuhelfen, durch neue Ideen, neue Kriterien und Werte.

182 Das FRAKTAL-Modell

Page 176: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Ideen zum Reframing

Grundsatz: Erhalte Dein liel- nicht Deine Perspektiven (Position)!

Bediirfnisse: Stelle Dein liel aus der Bedurfnislage des anderen dar, wie immer Du sie erfahrst (Beispiel: StadthauslWaldhaus).

Absichten: Trenne Einwande von den dahinter liegenden Absichten und ent­wickie Perspektiven, die die Absichten integrieren. Die Aufmerk­samkeit wird auf die Absichten gelenkt. Beispiel: "Diese Investition ist zu teuer." R: "Es ware noch teurer, sie nicht zu machen."

Konsequenz:enIFolgen: Richte die Aufmerksamkeit auf die positive/negative Foige/Konse­quenz. R: "Wenn wir das tun, was Sie wollen, dann passiert xy."

GeneralisierunglDetaillierung: Vergr6~ere den Rahmen oder verkleinere ihn, je nach Notwendig­keit. Generalisieren hei~t auf eine h6here Ebene/Klasse zu verallge­meinern. Beispiel : "Dieser Kunde wird sich von uns abwenden, das k6nnen wir nicht tun". R: "Es ware schade, wenn sich dieser Kunde abwendet. trotzdem ge­winnen wir durch den Vorschlag gr6~ere und mehr Kunden hinzu." Detaillieren hei~t auf eine kleinere Einheit fokussieren. Beispiel: "Es ware schade, wenn dieser Kunde sich abwendet. aber k6nnen wir nicht doch unser Programm an ihn verkaufen, das yom neuen Konzept nicht betroffen ist?"

Gegenbeispiel: Finde ein Gegenbeispiel, das die Verallgemeinerung in der Argu­mentation in Frage stellt. Beispiel: "Das hat bei uns noch nie ge­klappt!" R: "Hat es nicht doch damals bei x ein Beispiel gegeben, bei dem es klappte, und k6nnte sich das in lukunft nicht auch wiederholen?"

Analogie: Finde eine Analogie, die dem Einwand entspricht. die aber eine an­dere Schlu~folgerung beinhaltet. Beispiel: "Diese Werbung geht zu weit." R: "Wo gehobelt wird, fallen Spane."

Phase 2: Verneinung 183

Page 177: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Anderes Ereignis: Finde hera us, welches Ergebnis den anderen wirklich interessiert. Beispiel : "Das wird uns zu viele Kosten verursachen." R: "Sie wollen Profit. Dazu mussen wir die Kosten im Griff halten, wichtiger ist jedoch das Wachstum des Ergebnisses und das hangt yom Umsatzerfolg ab, den wir nicht bekommen, wenn ... "

Hierarchie der Werte: Finde heraus, welche Werte wichtig sind, ganz oben stehen und vor anderen Prioritat haben. Beispiel : "Da kann ich nicht mitzie­hen, die Anspruche der Patienten werden immer hoher." R: "Was ist fur uns wichtiger, das Anspruchsniveau der Patienten zu decken (Kosten sparen) oder die Gesundheit moglichst schnell wieder herzustellen?"

Modell der Welt: Finde hera us, was das "Modell der Welt" des anderen ist und bie­te Alternativen. Beispiel: "Werbung so lite verboten werden. Sie ist irrefuhrend und verlogen." R: "Die Abschaffung der Werbung beziehungsweise ihre Verteufe­lung ist im Weltbild eines Planwirtschaftlers sinnvoll, im System der Wettbewerbswirtschaft hat sie eine wichtige Funktion."

Realitiitscheck: Finde hera us, wie genau der andere das ken nt, was er bewertet be­ziehungsweise charakterisiert. Beispiel: "NLP ist umstritten!" R: "Wie genau kennen Sie NLP? Wie genau ist es umstritten? (Wol­len Sie es nicht kennenlernen?)"

Weitere Reframings/Perspektivenwechsel sind zahlreich.

Noch einige Beispiele:

Zeitperspektive, U mweltperspektiven (U mweltrah men), Zielorientierung, personlicher Bezug, Betroffenheit, Dynamik etc.

184 Das FRAKTAL-Modell

Page 178: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

"ALS-OB"

Rationale Einsicht

In dieser Phase ist die rationale Einsicht in die Notwendigkeit der Veranderung bereits vorhanden. Aber Vorsicht bei vor­schnellen, gutgemeinten Losungsangeboten durch den Veran­derungshelfer. DaB wir noch nicht soweit sind, ist erkennbar an den ,Ja, aber ... "-Schleifen, die durch die angebotenen Losungen provoziert werden. Die Wahrnehmung ist immer noch problemorientiert, vergangenheitsbezogen oder auf schnelle Ad-hoc-Losungen fixiert, die das Problem ohne viel Federlesen aus dem Weg raumen soIlen. Eine emotionale Auseinandersetzung hat noch nicht stattgefunden.

"Schein"losungen sind meist yom Wunsch nach rascher Been­digung der unangenehmen Situation getragen und vernachlas­sigen die Prinzipien der bkologie fur die Person und das Gesamtsystem. Es wird an unbedeutenden Ecken etwas ver­andert, was aber nicht den notwendigen Erfolg zeigt und was Ruckfalle bewirkt. Das fuhrt in dieser Phase unweigerlich zu Frustration.

In der Phase der rationalen Einsicht werden Glaubenssatze gegen die Veranderung in Form von Argumenten vorgebracht. "Die Veranderung ist notwendig, aber sie geht bei uns nicht." Diese Argumente sind zu wurdigen und ihre Einengungen zu uberwinden.

Als-ob-Szenarien und prazise Fragen

Als-ob-Szenarien spielen gedanklich die Veranderung durch. "Was ware, wenn die Veranderung eingetreten ware?" In den meisten Fallen resultiert diese Frage in positiven Gedanken, die verstarkt werden konnen. Sie verbinden sich mit Hoffnun­gen und Wunschen zur Veranderung, die bewuBt oder unbe­wuBt ohnehin schon vorhanden waren. Dieser Einstellungs-

Phase 3: Rationale Einsicht 185

Page 179: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

komplex laRt sich ankern und als Ressource fur die Verande­rung aktivieren.

Aber, es kommt auch das Aber - und das bezieht sich auf das, was losgelassen werden soH oder auf den ProzeR von hier und jetzt in die (ungewisse) Zukunft, der nicht geglaubt wird.

Dem ersten Aber liegt die gute Absicht zugrunde, Erhaltens­wertes zu erhalten, erfolgstragende Elemente zu schutzen. Diese guten Absichten zu integrieren ist nicht nur fur die Uberzeugung der Personen wichtig, sie ist auch okonomisch sinnvoll. Man muR nicht erst aHes zerschlagen, urn es dann neu aufzubauen (siehe Einwandsbehandlung).

Das zweite Aber (,,Das geht bei uns nicht.") erhalt die Verbin­dung zum Bestehenden, den Faden, an dem die Vergangenheit und das Heute (noch) festgehalten wird, und das gemeinsame ,,Alte", das sich (und mich) schutzt.

Die prazise Fragetechnik (siehe Kasten nachste Seite) setzt solche Begrenzungen in Ressourcen urn! Fuhrt aus der Pro­blemeinsteHung heraus in Losungshaltungen.

Was ware, wenn es bei uns ginge?

Die Antworten konnten lauten: ,Ja, dann konnten wir endlich ... tun."

Die Frage: "Ware das gut?"

Die Antwort: "Das ware toll."

Die Frage: ,,Also, was genau muR passieren, damit die neue ... durchgesetzt werden kann?"

Die Antwort: "Erstens ... , zweitens ... "

Es geht also darum, limitierende oder problematisierende Glaubenssatze aufzuweichen, ohne zu bedrohen oder anzu­greifen - vielmehr, urn dadurch Kooperation zu erzeugen. Dazu eignet sich die PRAZISE-Fragetechnik.

186 Das FRAKTAL-Modell

Page 180: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Das PRAZISE-Modell

P Problemverallgemeinerung Generalisierung, die nicht zulassig ist: Bei uns geht das nie! - Nie? Gibt es nicht doch irgendein Beispiel, wo es mal ging?

R Regeln Normen, Gedanken, die limitieren: Das durfen wir nicht! - Was ware, wenn sie durften?

A AhnlichkeitenNergleiche die keinen Bezug haben: Das ist nicht neu, das ist zu teuer! - 1m Vergleich wozu?

Z Zeit- oder Tdtigkeitsworter deren Aussage unspezifisch/unvollstandig ist: Wir wollen lernen. - Wie genau? Was genau?

Ideen/Gedanken anderer lesen Mindreading, ohne zu wissen, ob es so ist: Er will doch nur verhindern, da~ x lauft. - Wie wissen Sie, da~ er das will?

S Substantive und Nominalisierungen die unklar sind und Unterschiedliches bedeuten: Wir brauchen die schnelle Veranderung! - Was genau hei~t fur Sie Veranderung? - Wer oder was soli sich verandern?

E Effekt - Behauptungen, Ursachenwirkung Er blockiert mich! - Wie blockiert er Sie?

Einwandbehandlung

Einwande werden oft verteufe1t, gefiirchtet, gemieden. Das gegenteilige Verhalten gegeniiber Einwanden ware richtig.

Einwande sind Ressourcen.

Einwande wollen etwas Gutes. Sie haben die gute Absicht, etwas zu erhalten.

Phase 3: Rationale Einsicht 187

Page 181: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Einwande sind auch Verhalten mit Konsequenzen, wenn sie erfolgreich gemacht werden: Sie verhindern die Veranderung.

In der Phase der "Verneinung und der rationalen Einsicht" kommen die Einwande hoch. Wie gehen wir damit urn? Wir trennen das Einwandverhalten und die hinter dem Einwand liegende Absicht zum Beispiel mit der Frage: "Was wollen Sie genau mit Ihrem Einwand erreichen?", urn dann die Antwort (Absicht) zu wiirdigen, indem wir wieder fragen: "Und wie konnten wir die Absicht in die Veranderung einbauen?"

Das ist das Prinzip: Die gute Absicht des Einwandes zu erhalten, denn sie ist eine Ressource, die in der Regel in Veranderungen eingebaut werden kann und die dann meist auch eine Verbesserung bedeutet.

Diese Form der Einwandbehandlung funktioniert nicht bei destruktiven Absichten. Es wird hier zunachst einmal Koope­ration unterstellt.

Tips fiir Coaches

Oft dreht sich ein Manager, eine Gruppe oder eine Organisa­tion im Kreis. Die rationale Einsicht mit "Aber" macht die Schleife zuriick in die Verneinung.

Deshalb achten Sie besonders auf Sprachverletzungen, wie Verallgemeinerungen, Verzerrungen, Tilgungen, Schuldzuwei­sung en, Gedankenlesen usw. (NLP-Metamodell).

Nicht blenden lassen von der vermeintlichen rationalen Ein­sicht. Es ist wie mit der Einsicht: "Rauchen ist schadlich." Bis hierher sind schon viele gekommen, nicht wahr? Das reicht aber leider noch nicht.

Jedes kleine Unbehagen, jedes ,Ja, aber" ist ein Zeichen dafiir, daB es noch keinen Abschied yom Alten gibt, keine Versoh­nung mit der jetzigen Situation und kein wirklicher Wille zur Veranderung vorhanden ist. Alle Formen des Reframing brin-

188 Das FRAKTAL-Modell

Page 182: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

gen hier eine Erweiterung des festgefahrenen Denkens und eine Chance, auch einen emotionalen Zugang zum Problem zu bekommen.

Hier ist auch mal ein "Vertiefen" der Problemphysiologie gefragt, urn wieder Zugang zu Gefuhlen zu bekommen. Gut ist auch, zu provozieren und den Advocatus Diaboli zu spielen. Mit personlicher Power und einen Satz wie: ,,Also da glaube ich Ihnen kein Wort, ich denke nicht, daB Sie das schaffen", bringt man wieder Bewegung ins System.

KONFRONTATION MIT DER REALITAT

Emotionale Akzeptanz

Durch die emotionale Akzeptanz der neuen Realitat sinkt die Einschatzung der eigenen Kompetenz auf den Tiefpunkt ("Tal der Tranen"). Das gesamte Handlungsrepertoire ist im Rah­men der eigenen Selbstdefinition, der eigenen Einstellungen, Werte und Glaubenssatze ausgeschopft (,Jetzt habe ich doch wirklich alles versucht").

Die emotionale Akzeptanz der anstehenden Veranderungen im Unternehmen ist ein schwieriger Punkt, der manchmal erst erreicht wird, wenn es zu Entlassungen kommt. Die rationale Einsicht, daB etwas verandert werden muB, ist zwar "generell" bei allen gegeben, wird aber fur den eigenen Bereich haufig einfach negiert. Veranderung ist gut, aber verandern sollen sich doch bitte die anderen, die eigentlich "uberflussigen" Abteilun­gen. Man selbst arbeitet naturlich immer in einer Abteilung, die notwendig ist und gute Vorschlage zur Veranderung und Neuerung bei den anderen hat.

Das alte Verhalten, die alten RoBen und Strukturen zu verlas­sen, geschieht erst dann, wenn die Veranderungen emotional akzeptiert werden. Wir nennen das auch Kapitulation, Aufga­be, Loslassen.

Phase 4: Emotionale Akzeptanz 189

Page 183: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Das geschieht urn so leichter,

je mehr Klarheit und Konkretisierung iiber die neuen Verhaltensweisen, Rollen, Situationen besteht (Inhalt);

je mehr gute alte Absichten dafiir sorgten, das Erhaltens­werte, Erfolgstragende aus altern Verhalten, alten Rollen und Situationen gerettet werden konnte (Einwandbehand­lung);

je klarer die Veranderung die neuen Prioritaten und Werte reprasentiert;

je mehr Mitstreiter, Meinungsfiihrer und Kampfgenossen den neuen Weg zeigen und je mehr Commitments sie offentlich machen.

Der erste Punkt betrifft den Inhalt der Veranderung. Der zweite wurde behandelt. Den dritten (Prioritaten) und vierten (Com­mitments) wollen wir bearbeiten.

Hierarchie der Werte: Prioritiiten

Jede Implementation neuer Unternehmenskonzepte verandert die Prioritaten, wenn sie nicht nur die Bestatigung des sen, was ist, darstellt.

Ein neues Prioritaten-Verstandnis muR geschaffen werden, denn iiblicherweise werden die Ressourcen durch neue Strate­gien und Konzepte meist knapper.

Die Hierarchie der Werte/Kriterien kann sich erheblich ver­schieben:

190 Das FRAKTAL-Modell

Page 184: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

alte Wertehierarchie neue Konzepte, neue Wertehierarchien

operatives Ergebnis heute hoch niedrig

zukunftiges Ergebnispotential mittel hoch

Die gesamte Unternehmensidentitdt kann herausgefordert sein, einen Wandel als Voraussetzung fiir eine erfolgreiche Imple­mentation durchzumachen.

Klarheit erhalten wir iiber einen Okologie-Check: Gibt es irgendeinen Teil im U nternehmen, der diese neue Hierarchie der Kriterien nicht tragt? Oder was spricht dagegen, wenn wir diese neuen Prioritaten verwirklichen? Zum Beispiel: Die Ak­tionare machen nicht mit. Oder: Unser ganzes Belohnungssy­stem ist auf kurzfristiger Gewinnmaximierung aufgebaut usw.

Solange die alten Werte die Hierarchie der Kriterien bestim­men, werden die neuen Konzepte nicht iiber den Status von Lippenbekenntnissen hinauskommen. Bei so umfassenden neuen Konzepten muj5 eine Werteveranderung wesentlicher Bestandteil des Konzeptes und seiner Umsetzung werden.

Nun ist nicht jede Veranderung so umfassend auch auf die Anderung des Wertesystems des Unternehmens angewiesen, da sie meist nur Teilbereiche betreffen. Die meisten Verande­rungsziele werden im Rahmen bestehender Werte, Prioritaten und Kriterienentwicklungen erstellt. Ihre Umsetzung wird sich aber der Unternehmensprioritaten bedienen. Diese Rolle gilt es auszufiillen und sicherzustellen.

In einem global tatigen Unternehmen hatten wir die Aufgabe, zur Umsetzung der Firmenvision ein Veranderungsprogramm durchzufiihren. Der Geschaftsfiihrer hatte die Vision als Prio­ritat Nr. 1 bezeichnet und gab dem VeranderungsprozeR Vor-

Phase 4: Emotionale Akzeptanz 191

Page 185: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

fahrt vor fast allen anderen Projekten. Einige clevere Veranderer nutzten die Gunst der Stun de, indem sie alle ihre Veranderun­gen an die Vision hefteten und sie so als Teil des Visionspro­zesses leichter durchsetzen konnten als vorher. Solange die Anderungen in Linie mit der Vision blieben, war dagegen nicht viel einzuwenden. Es wurde erst kritisch, als eine groRere Zahl von Entlassungen mit der Vision begriindet wurden. Alles konnte man eben doch der Vision nicht anhangen, und auch das war richtig.

Das dahinterliegende Prinzip ist aber sehr hilfreich: Bemerkt oder vielfach unbemerkt verandern sich die Hierarchie der Werte und die Kriterien. Vielleicht steht auch ein Wert lange an der Spitze (zum Beispiel Innovation). Dies zu wissen macht die Implementation einer ,,innovativen" Veranderung leichter, als wenn etwas anderes an der Spitze der Kriterienhierarchie steht (wie zum Beispiel Sicherheit). In diesem Fall wiirde die Veranderung dazu beitragen, die Sicherheit zu gewahrleisten.

Veranderungen, die nicht das Werte- und Kriteriensystem, den Kontext, indem sie umgesetzt werden sollen, reprasentieren, tun sich mit der Umsetzung schwer. Meist haben sie keine Chance. Die erfolgreiche Implementation wird Werte, die sich entwickeln und die wichtiger werden, weiter unterstiitzen und reflektieren.

Commitments (durch "Kampfgenossen und Mitstreiter")

Wer entscheidet, wer tragt die Veranderungen, wer sind die 20 Prozent, die wir gewinnen miissen, urn Erfolg zu haben. Entscheider in Fiihrungspositionen, Meinungsfiihrer im N etz­werk, Trager von Kompetenzen oder Verwalter von EngpaR­ressourcen. Diese werden wir identifizieren und friihzeitig auf (kleine) Commitments (im Prinzip, iiber das "tolle Ziel" usw.) einstellen.

Commitments der Entscheider und der Betroffenen iiben Druck aus, sich mit ihrem Inhalt konsistent zu verhalten.

19 Das FRAKTAL-Modell

Page 186: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Weitere Schritte werden so gesteuert, daB sie im Einklang mit den friiheren Commitments sind. Der "Druck" wird sowohl im eigenen Selbst wie auch durch andere erzeugt (Konsistenz­Prinzip).

Die Strategien und Techniken, Commitments zu erhalten, variieren: yom einfachen Festnageln, zum Beispiel durch eine Unterschrift unter den Brief, der ein Veranderungsteam ins Leben ruft, bis hin zu subtileren Formen: Wir mochten aus ihrer Weihnachtsrede zitieren: "Die Menschen sind der wahre Kern unseres U nternehmens ... " und nehmen diesen Satz sehr ernst '" und machen den Vorschlag ... konnten Sie da auch mitgehen?" usw.

Commitments funktionieren besonders gut, wenn sie

subjektiv empfunden aus freien Stiicken gemacht werden (also eigene Wahl sind),

offentlich abgegeben werden,

aktiv als Handeln reprasentiert sind,

moglichst vie I Energie erfordern.

(vgl. Robert B. Caldini, ,,Influence", New York 1993)

Wenn Veranderungen Commitments suchen, werden sie dar­auf achten, daB der Commitment-Geber es aus freien Stiicken, aus innerer Oberzeugung tut. Der Coach wird auf die Kongru­enz achten, und falls widerspriichliche Signale (Metabotschaf­ten) zu erkennen sind, Einwande erfragen, herauskitzeln und integrieren.

Offentlich gemachte Commitments sind widerstandsfahiger und wirken langer. Mit der Veroffentlichung einer Selbstver­pflichtung werden die auBeren Kontrollen vervielfaltigt, sich kongruent und konsistent zu verhalten und entsprechende Entwicklungen und Veranderungen zu unterstiitzen. Falls nicht entstehen Glaubwiirdigkeitsprobleme im Management, derer sich einige bewuBt sind, andere nicht.

Phase 4: Emotionale Akzeptanz

Page 187: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Die Organisation achtet darauf, daB Commitments nicht nur durch Worte, sondern auch durch Handeln ausgedruckt wer­den. Wer handelt, schafft auch einen Rahmen fur zukunftiges Handeln, denn Widerspruche werden maglichst vermieden. Die Beteiligung an der Diskussion von Zwischenergebnissen ist zum Beispiel ein recht harmloses Commitment, aber doch ein deutliches Signal. Das wird sofort deutlich, wenn derjenige zum Beispiel dieser Diskussion fern bleibt.

Je mehr Energie in ein Commitment gesteckt wird, urn so starker wirkt es auf den, der es gemacht hat. Stellen Sie sich vor, Sie zetteln eine Diskussion an und vertreten das Gegenteil von dem, was Sie bei Ihrem Diskussionspartner erreichen wollen. Sie tun dies offen und fordern ihn, alle Argumente fur die Sache, die er und auch Sie wollen, zu aktivieren. Sie argumentieren und stellen in Frage und je mehr Sie das tun, urn so mehr Energie wendet Ihr Gegenuber auf. Er wird sozusagen stark geimpft fur Angriffe gegen das, was er vorher eventuell noch gar nicht so stark vertrat.

Warum brauchen wir die Commitments von ,,Mitstreitern, Weggenossen, Kampfgefahrten"?

Andere (als ich) haben dann besonderen EinfluB auf mich, wenn ich unsicher bin, wenn ich meine Kompetenz niedrig einstufe, wenn ich noch keine Lasung und Klarheit daruber habe, was die Veranderung bringt. In solchen Situationen bin ich bereit, mit anderen zu gehen, an denen ich mich orientieren kann (Kollegen, wie ich, und Meinungsfiihrer, denen ich vertraue).

194 Das FRAKTAL-Modell

Page 188: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Tips fiir Coaches

Die emotionale Akzeptanz bedeutet auch Kapitulation des bisherigen Weltbildes und Rollenverstandnisses. Dazu sind die erwahnten Wertveranderungen (Wertehierarchie) und das Bei­spiel der Mitstreiter (,,AIle machen mit, o. k., ich auch") und deren Commitments wichtig.

Sie konnen gut erganzt werden durch nachgespielte Katastro­phenszenarien (was passiert, wenn nichts geandert wird), die die emotionale Betroffenheit, ohne die es nicht weitergeht, erzeugen.

Da das Infragestellen des eigenen Weltbildes einen flexiblen Perspektivenwechsel voraussetzt, ist das Einnehmen anderer Positionen (2. Position, Metaposition) sehr hilfreich.

AIle Obungen, die mit einem Perspektivenwechsel arbeiten (zum Beispiel Metaspiegel, Selbstcoaching, assoziierenl dissozi­ieren), konnen die Akzeptanz in dieser Phase unterstutzen.

Bei groBen Veranderungen steht vor allem die Unterstutzung bei der N eudefinition der Inhalte der logischen Ebenen im Vordergrund. Welche neue Definition der Identitat, welche neue Rolle wird gebraucht? Welche neuen Einstellungen, Werte und Glaubenssatze sind notwendig, urn angemessen mit dieser Veranderung umgehen zu konnen? Die neue Situation fordert eine Entwicklung noch nicht bekannter oder noch unentwik­kelter Bereiche. Dies muB durch die hoheren logischen Ebenen ermoglicht werden und beinhaltet auch Abschied von alten Dingen.

Achtung: Gelingt an dieser Stelle, die fur eine Makroveranderung (Werte, Einstellungen, Identitat) notwendige Offnung nicht, kommt es haufig zu einem Hin- und Herpendeln zwischen den Phasen 2, 3 und 4. Die fur die emotionale (Nicht-)Akzeptanz notwendige Veranderung kann zur erneuten Verneinung der Situation fuhren und den ProzeB verschleppen oder stoppen. Unterneh-

Phase 4: Emotionale Akzeptanz 195

Page 189: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

men/Organisationen, Teams und Einzelpersonen verschleiRen ihre Energie im Hin und Her bis zur Resignation oder "Pleite".

TOLERANZ FOR FEHLER UNO PROBIEREN

Probierphase

Mit der emotionalen Akzeptanz geht die Suche nach neuen Moglichkeiten und das Finden neuer Wege und RoUen Hand in Hand. 1st die Veranderung der Einstellungen gelungen, gibt es eventuell sogar ein vollig oder in Teilen neues Selbst­bild/Fremdbild, kommt das Ausprobieren neuer Fahigkeiten und Verhaltensweisen hinzu. Dabei gibt es naturlich Erfolge und MiRerfolge.

Es kommen gelegentlich "Ruckschlage", wenn das neue Ver­halten, die neue Strategie noch nicht ,,hinhaut". Diese belasten und konnen in einzelnen Fallen auch in die Verneinung zuruck­fuhren. Wenn die Veranderung nicht wirklich emotional akzep­tiert ist, geschieht das fast regelmaRig. Solche Ruckfalle werden verstarkt, wenn das Umfeld, die Fehlerkultur, das heiRt die Weiterentwicklung verhindert.

Fehlerkultur

Eine Kultur, in der Fehler nicht erlaubt sind, ist in unserer Wirtschaft und Industrie nicht die Ausnahme, sondern leider die Regel. Das fuhrt zu deutlichen Einschrankungen der Krea­tivitat und mangelnder Risikobereitschaft. Die Energie der Mitarbeiter wird fur hartnackiges Sichern der eigenen Position und fur Rankespiele zur Stabilisierung der alten Strukturen benutzt.

Wenn ich Sie frage, wie Sie die Fehlerkultur Ihres Unterneh­mens einschatzen, was antworten Sie dann? Gehoren Sie auch zu den 80 Prozent, die ihre Fehlerkultur als "zu rigide" bezeich-

196 Das FRAKTAL-Modell

Page 190: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

nen, urn geniigend schnell zu lemen, geniigend Risiken einzu­gehen, sich zu entwickeln und zu wachsen?

Wenn neue Rollen gespielt werden sollen, wenn neue Situa­tionen bewaltigt werden, wenn neue Projekte in Angriff ge­nommen werden, wenn neue Kompetenz ausprobiert wird, dann sind das Zeiten fiir Fehler. Wir wollen nicht unbedingt Fehler herbeireden oder sagen, Fehler sollten gemacht werden. Nein. Wir sagen, Fehler passieren, und deshalb sollten Sle gemacht werden diirfen.

In einer Firmenkultur, die keine Fehler erlaubt, wird wemg gelemt; denn es wird

wenig gewagt und von dem, was gewagt wird,

viel vertuscht.

Fehlervertuschungskulturen haben gegeniiber solchen, die Feh­ler als Feedback behandeln, in der Regel erhebliche Entwick­lungsnachteile. Letztere wollen auch keine Fehler, aber sie Wlssen:

Es werden Fehler gemacht, laBt sie uns als Fehlversu­che/Feedback nutzen.

Wenn sie schon passieren, dann laBt uns daraus lemen.

Probierverhalten produziert Resultate, die erwiinscht sind (= richtiges Verhalten) und Resultate, die nicht erwiinscht sind (= entwicklungsfahiges Verhalten). Das erste wird verstarkt (Verstarker-Feedback), das zweite wird nicht kritisiert, sondem en twickelt (En twicklungsfeedback).

Die Struktur des Entwicklungsfeedbacks ist nicht sehr kompli­ziert. Das Verhalten und das Resultat wird ohne Bewertung dargestellt. Die Absicht wird yom Verhalten getrennt (es ist nie die Absicht, nicht erwiinschte Resultate zu erzielen) und positiv als Ressource genutzt, urn neue Losungen und Alter­nativen (Entwicklung) zu finden.

Phase 5: Probierphase 197

Page 191: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Und es ist auch richtig, daR Fehler passieren, die eine Fehler­toleranz nicht abdeckt: Zum Beispiel wenn der Hubschrauber­pilot des Vorstandes einen Fehler macht, wenn Leib und Leben gefahrdet werden und wenn irreversible Schaden verursacht werden. Solche Fehler sind nicht erlaubt.

Und noch etwas: Wiederholungsfehler sind auch nicht erlaubt, das heiRt solche, bei denen man beim ersten Mal hatte lernen sollen.

Findet sich keine solche Fehlerkultur, kann sie gefordert wer­den, denn es gibt gute Grunde. Da dies in der Durchsetzung einer Veranderung aber nur eine zusatzliche Aufgabe ist (deren Ausgang ungewiR ist), reicht es in der Regel, wenn bei Teamergebnissen eine Pilotphase erlaubt wird, in der Fehler gemacht und Erkenntnisse gesammelt werden konnen. Dies wird meist nur im begrenzten Umfang erlaubt, aber erlaubt wird es immer.

Fur ein umfassendes Probehandeln bietet sich das Forum-Mo­dell an.

Das Forum-Modell

Wenn eine Vision, eine Strategie, ein ,~ssue", ein Teamergebnis groRe Verunsicherungen in der gesamten Organisation oder in groRen Teilen der Organisation kurzfristig bewirken solI, dann bietet sich das Forum-Modell an.

Dieser ProzeR schlieRt aIle wichtigen Manager, Meinungsfuh­rer und andere Multiplikatoren ein. Sie kommen an einen gemeinsamen Ort, urn uber die Veranderung nachzudenken und sie zu bearbeiten.

Fur das Forum kann eine leere Fabrikhalle, eine Messehalle, ein leeres Laborgebaude, ein Zelt usw. dienen. Meist lassen sich originelle Platze in jedem Unternehmen finden.

19 Das FRAKTAL-Modell

Page 192: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Die Ziele des Forum sind:

AIle wichtigen Mitarbeiter und Gruppen uber die Verande­rungen zu informieren;

sie in den UmgestaltungsprozeB mit ihren Ideen, Vorschla­gen etc. einzubinden;

ihre Expertise zu nut zen, urn neue Ziele und MaBnahmen in operative Routinen umzuwandeln;

zu motivieren und zu dokumentieren, daB der Verande­rungsprozeB von allen mitgetragen wird.

Die Teilnehmer erhalten rechtzeitig eine Vorankundigung und eine Woche vor dem Forum eine ausfuhrliche Einladung, in der Themen, Ablauf und Workshopgruppen definiert sind.

Die eigentliche "Kommunikation" besteht in der Arbeit, in Workshopgruppen zu unterschiedlichen Fragestellungen Ant­worten zu suchen. Jeder Teilnehmer kann frei wahlen, an welchen Themen er mitarbeiten mochte, und er kann mehr­fach rotieren. So hat jeder die Moglichkeit, an mehreren Themen mitzuwirken.

Fur die emotionale Akzeptanz einer Veranderung ist Kontakt und Gemeinsamkeit mit anderen, die die Veranderung mittra­gen, wichtig. Durch den gemeinsamen Auftritt des Top-Mana­gements und aller Manager wird die "Konfrontation mit der neuen Realitat" dramatisiert:

Wir gehen aIle den neuen Weg gemeinsam oder ,,AIle machen mit".

Gleichzeitig wird eine Menge Probehandeln beziehungsweise gedankliches Experimentieren erlaubt und geforscht, so daB neue Mechanismen, Prozesse und Rollen sich zu klaren begin­nen. Sie werden vertrauter und erleichtern dadurch die "Kapi­tulation" der alten Muster und Rollen.

Phase 5: Probierphase 19

Page 193: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Natiirlich entstehen bei einem Zusammentreffen einer groBen Zahl (zum Beispiel 200 bis 300 Menschen oder mehr) auch andere gute Funktionen (kennenlernen, wiedersehen, Netzwer­ke bilden usw.) als Nebenprodukte.

Tips fur Coaches

1st "Ausprobieren" moglich, werden ,,Experimentierer" be­straft, bedeutet ein "Fehler" das Ende der Karriere? Hier ist in Unternehmen haufig noch einmal ein Blick auf die Umfeld­strukturen notwendig. Mithilfe bei der Formulierung einer Experimentiererlaubnis (Leitlinien/Visionen) anbieten, denn Innovationen und ungewohnliches Verhalten miissen ermog­licht werden?

Fehler als Feedback-Ubungen

Fehler werden dabei als Feedback mit hohem Informations­wert etabliert und als Entwicklungsmoglichkeiten betrachtet.

Fahigkeiten, die nur unvollsrandig oder gar nicht vorhanden sind, konnen iiber die Technik des ,,Modelling" erfahrbar gemacht und eingeiibt werden.

Oft sind aber die neuen Fahigkeiten als (Mini-)Modelle schon vorhanden. 1m Forum konnen Sie diese abrufen und als zukiinftige operative Routinen bewuBtmachen. Dieser ProzeB ist in der Regel sehr motivierend und gibt Sicherheit im Risiko.

Die wahrgenommene Kompetenz steigt langsam wieder an, wenn diese Phase wirklich unter dem Aspekt des spielerischen Eroberns neuer Handlungsraume betrachtet werden kann. Der unterstiitzende Rahmen ist hier absolut notwendig, denn ein Riickfall in die Phase 4 ware die Folge der durch die Umge­bung vorschnell sanktionierten MiBerfolge.

Page 194: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

AN KERN UNO INTEGRIEREN

In dem Grad, in dem neue Kompetenz entsteht und sich als erfolgreich herausstellt, wird sie fur die Zukunft geankert.

Strategien und operative Routinen

Die Konzepte fur Zukunftsanker und fur Integration sind:

Strategien,

operative Routinen,

spezifische Commitments.

Strategien beschreiben die Prioritaten und StoRrichtungen, die Ressourcenzuweisung, die notwendigen Strukturen, Systeme, Kompetenzen und Kulturen. Sie integrieren ganzheitlich die verschiedenen Konzepte zu einem gemeinsamen Handlungs­system. Diese Integration wird in Planen auf relativ hohem Abstraktionsniveau niedergeschrieben. Meist enthalten solche Plane:

Wege,

Zeiten, Meilensteine,

Ressourcen, Kapital, Investments, Personal etc.,

Verantwortlichkeiten, Commitments.

Es sei uns erspart, auf die Details einzugehen, da hierzu eine umfangreiche Literatur besteht.

Strategien, besonders Plane, reichen nicht aus, urn Zukunfts­anker zu setzen. Wichtiger noch ist, daR sich die Veranderun­gen in operative Routinen niederschlagen: vor Ort, vom einzelnen Betroffenen eingebaut.

Dazu werden Veranderungen das "Ahnlichkeiten"-Programm nutzen:

Phase 6: Ankern der neuen Kompetenz e01

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Die Veranderer werden keinen Ehrgeiz entwickeln und beto­nen, was alles an der Veranderung neu ist (das ware "mismat­ching" mit der Vergangenheit). Vielmehr werden die erforder­lichen Veranderungen in den Denkstrukturen und Arbeitsrou­tinen der Betroffenen formuliert (matching). Der Veranderer wird sich eher den Vorwurf gefallen lassen, es sei nichts N eues herausgekommen.

Durch die Formulierung der Ergebnisse in eigener Sprache, eigenen MaRnahmen, eigenen Mechanismen ergreifen die Betroffenen und Umsetzer Besitz, die Anderung ist ihre. Dazu leistet das Forum gute Vorarbeit.

Tips fUr Coaches

Dies Ankern der neu gelernten Strategie erfordert den Transfer der ,,Makro"ebene auf die ,,Mikro"ebene der einzelnen opera­tiven Routine. Je besser das ,,Neue" in das "Vorhandene" eingebaut werden kann, je starker und enger die Verbindung, und urn so flieRender der Dbergang. Die alten Routinen konditionieren sozusagen die neuen Routinen (Anker).

Die Integration wird erleichtert und beschleunigt, wenn die vorhandenen Strategie- und Planungsroutinen fur die Umset­zung der Veranderungen benutzt werden. Das gleiche gilt fur die Wertehierarchie.

Das Feedback des Erfolges ist ein wichtiger Verstiirker in Teams und Organisationen. Meist weiR man nach der Veranderung nicht mehr, daR es vorher anders war. Wenn der ProzeR auf andere Personenl Abteilungen transferiert werden solI, sind solche Modelle wichtig und von Anfang an zu beobachten/do­kumentieren.

202 Das FRAKTAL-Modell

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LOCKENDE ZIELE

Lust auf Resultate: Visionen und lockende Ziele

Veranderungsteams erhalten eine Aufgabe, sie erfullen sie, sie werden gelobt, es gibt ein Abendessen fur alle Teammitglieder (das gelegentlich noch vergessen wird). Was treibt die Team­mitglieder, was treibt die Organisation? Der nackte ProzeR, der Wunsch der Geschaftsfiihrung. Das kann es nicht sein, ist es auch nicht.

Lockende Ziele sind es. Sie losen Ressourcenzustande aus, in Form einer ,,kreativen Spannung". Wir wollen dorthin und merken, wir sind noch nicht da.

Lockende Ziele sind wohlgeformt (siehe SPEZI-Modell), und das heiRt, sie sind in unseren Sinnen durch Bilder, Sprache, Gefuhle reprasentiert. Unser Verstand weiR, was uns alles durch die Lappen geht, wenn wir das Ziel nicht erreichen, und unser Gefuhl signalisiert Verluste. Verluste an materiellen Dingen, an Lob und Anerkennung, an Achtung und vor allem an Selbstachtung. Wir wissen auch, was wir gewinnen, wenn wir am Ziel ankommen, und was es fur uns bedeutet.

Lockende Ziele braucht auch die Organisation. Hierfur steht zum Beispiel eine Vision. Projekte erhalten deshalb oft auch Namen mit zukunftigen Jahreszahlen: 2000 - 2005 - 2010.

Visionen konnen ziehen, aber auch verstoren. Wir konnen uns die "kreative Spannung", die eine Vision erzeugt als Gummi­band vorstellen. Dieses Gummiband signalisiert, wieviel Span­nung zwischen dem 1st heute und der Vision 2000 herrscht. 1st das Gummiband stramm gespannt, dann ist es gut; ist es zu locker, dann bewegt sich niemand; wird es zu stark gedehnt, dann reiRt es, das heiRt die Verbindung zwischen Vision und 1st zerreiRt. Die Menschen sind eher verstort, als daR sie sich hingezogen fuhlen.

Phase 7: Lockendes Ziel- Liisungen und Resultate 203

Page 197: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Alle Veranderungsprojekte von Teams brauchen lockende Zie­Ie, denn warum solI ich mich verandern, ohne zu wissen wohin?

Der Weg ist nicht das Ziel, bestimmt nicht in der Wahrneh­mung vieler Menschen in Organisationen. Es lohnt sich, sie zu entwickeln.

Durch das Feedback werden immer mehr Informationen ge­sammelt, die das Verhalten immer genauer und zufriedenstel­lender an die neue Situation anpassen. Die Erkenntnis, in welchen Situationen das neue Verhalten, die neue Sichtweise angemessen ist und wo die alten Denk- und Handlungskom­petenzen durchaus noch ihren Platz haben, fiihrt zu einer Erweiterung des gesamten Wahrnehmungs-, Denk- und Hand­lungsspektrums. Diese Wahrnehmungserweiterung, die Ver­mehrung der Wahlmoglichkeiten und die daraus resultierende Bereicherung des Erlebens und Handelns, stellt Hauptziele des Veranderungsprozesses dar.

Die wahrgenommene eigene Kompetenz und Selbstwirksam­keit steigt iiber das Niveau vor der Veranderung an, da das Denk-, Fiihl- und Verhaltensrepertoire erweitert worden ist.

Tips fOr Coaches

Das Wichtigste an der Veranderung ist die Lust auf sie. Die meisten Veranderungen geschehen aus dem "so geht das nicht mehr weiter, das ist nicht mehr auszuhalten". Das Metapro­gramm "Hin-zu-etwas" kann langfristig jedoch mehr Energien mobilisieren als das Programm "weg von".

Diese "Hin-zu"-Lust entsteht durch eine vorweggenommene Zukunft, die lohnend ist. Die Wahrnehmung einer Zukunft ist meine schopferische Leistung. Ich kann sie selbst bestimmen, denn es gibt sie noch nicht. Und bei der Realisierung ist der Weg das Ziel, mit allem was dazu gehort: Abschied nehmen,

204 Das FRAKTAL-Modell

Page 198: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

planen, sich verlaufen, andere Menschen treffen, rasten, sich neu entscheiden, wunde FiiBe, Euphorie etc.

Die Akzeptanz dieser Phasen und die nutzliche Hilfestellung auf dies em Weg ist die respektvolle Unterstutzung, die aus allen Erfahrungen, die unterwegs gemacht werden, Ressourcen fur den nachsten Schritt werden laBt.

Veranderungen in graBen Organisationen

Die hier dargestellten Phasen des Veranderungsmodells lassen sich bei der Krisenbewaltigung in groBen Unternehmen beob­achten. Sei es die U mstrukturierung einer Abteilung, die Reorganisation eines groBeren Bereichs oder die Reaktion des Gesamtunternehmens auf eine wirtschaftliche Krise, uberall ist die Notwendigkeit, sich mit neuen Bedingungen zu arrangie­ren, in den verschiedenen Phasen zu beobachten. Die einzelnen Bereiche eines groBen Unternehmens konnen sich dabei in unterschiedlichen Phasen befinden. So kann die Geschaftslei­tung langst erkannt haben, daB eine drastische Kursanderung notwendig ist, wahrend die operativen Bereiche, in der Hektik des alltaglichen Geschafts, sich noch an der alten Strategie orientieren, die von der Geschaftsleitung als nicht zum "Stil" des Hauses pass end erlebt wird und keine Unterstutzung findet.

Generell kann man beobachten, daB viele Unternehmen in der Schock- und Verneinungsphase verharren und die Chance versaumen, ihre Strukturen den sich verandernden Umweltbe­dingungen anzupassen. Man leugnet das sich verandernde Umfeld und wartet darauf, daB "es" (dam it sind die Bedingun­gen "auBen" gemeint) wieder "besser" wird.

Aufgabe des Veranderungsberaters ist das Erkennen der Pha­sen, in denen sich die verschiedenen Personen oder Bereiche

Veranderungen in gro~en Organisationen 205

Page 199: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

des Unternehmens befinden. In jedem Bereich werden aktiv die adaquaten Ressourcen geweckt, das heiRt die Selbsthei­lungskrafte aktiviert und der Fokus auf die anstehenden Ver­anderungsprozesse und den Beitrag, den ein Bereich leisten kann, gelenkt.

Besondere Bedeutung kommt dabei dem Coaching von Teams und Fuhrungskraften zu. Entscheidungstrager in Unternehmen fuhlen sich haufig mit dem Management von Wandlungspro­zessen alleingelassen. Das Coachen der Entscheidungstrager bedeutet, Katalysatoren fur die Beschleunigung der Verande­rung zu schaffen und den ProzeR im U nternehmen effektiv zu unterstutzen. Die propagierte neue Firmenphilosophie gibt zwar die Richtung vor, aber ein Ziel zu kennen, bedeutet noch nicht die reibungslose Umsetzung desselben, wie jeder weiR. Individuelle Unterstutzung in Form von Einzelcoaching wird als zielgerichtete und pragmatische Hilfestellung erlebt, die die Schritte auf dem Weg yom Sagen zum Tun erleichtern.

206 Das FRAKTAL-Modell

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9 Vision und Wandel -

Eine Fallstudie

D

Dietrich Buchner und Josef Schmelzer

er Fahrplan ist auf 18 Charts geschrieben: Das erste tragt den Titel "Die Realitat fordert zum Wandel heraus". Das letzte, das 18. Chart, ist betitelt mit dem

Resumee: "Alles wird in Frage gestellt, manches auf den Kopf: Verandern - Vereinfachen - Verbessern - , das Motto der Zukunft". Ein Ergebnis und gleichzeitig eine Herausforderung.

Nach diesem Fahrplan, nach diesen 18 Charts, wurde Revolu­tion gemacht, wurde ein in diesen AusmaRen bis dahin noch seltener VeranderungsprozeR eingeleitet und durchgefuhrt.

Tatort: Der Geschaftsbereich Pharma Deutschland der Bayer AG. Tatzeit: Fruhjahr 1993 bis Ende 1994. Betroffene und zugleich Beteiligte: Rund 1 000 Mitarbeiter dieses auf den Vertrieb von Pharmaka spezialisierten Geschaftsbereichs, 700 im AuRendienst, 300 im Innendienst. NutznieRer: Ante, Kran­kenhauser, Apotheken, Kassenarztliche Vereinigungen, Patien­ten -die Kunden also. Weitere NutznieRer: die Bayer AG selbst und ihre Mitarbeiter und die gesamte Volkswirtschaft, zumin­dest in diesem Segment. Initiatoren: Die Geschaftsleitung Pharma Deutschland, unterstutzt von einem Spezialistenteam von Winner's Edge, Gesellschaft fur Fuhrungs-, Strategie- und Verkaufs-Coaching mbH, Dusseldorf. Die zitierten 18 Charts stammen von Winner's Edge.

Der VeranderungsprozeR bei Pharma Deutschland, Bayer AG, bei Winner's Edge schlicht mit "Vision und Wandel" uber­schrieben, ist tatsachlich einer der interessantesten Verande­rungsprozesse in der Wirtschaft: Selten zuvor wurde bis dahin

Vision und Wandel- Eine Fallstudie 207

Page 201: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

eine radikale Organisationsveranderung so schnell, grundlich und sicher durchgefuhrt wie hier.

1m Mai 1994 berichtet das ,,Manager Magazin" uber diesen ProzeB, im Dezember 1994 bringt "Sales Profi" bereits erste Ergebnisse dieser gewaltigen Strukturreform, in einem Inter­view mit dem Pharma-Deutschland-Chef Arne Zumbaum. Ein Wirtschaftskrimi? Zumindest spann end. Doch nun der Reihe nach:

Arne Zumbaum, Jahrgang 1948, begann seine Karriere bei der Bayer AG im AuBendienst Pharma-Vertrieb Deutschland und war fur das Unternehmen auch im Ausland tatig. Seit 1991 leitet Zumbaum den Geschaftsbereich Pharma Deutschland -der war damals noch in drei vollig unterschiedliche Firmen gegliedert: Bayer, Bayropharm und Tropon. Alle drei Firmen hatten ihren eigenen AuBendienst, ihre eigenen Hierarchien, ihre eigenen Kulturen, ihre eigenen Produkte.

Schon sehr fruh kommt Zumbaum auf die Idee, aus dies en drei Firmen eine einzige zu machen. AuBerdem hat er das Diktum seines Vorstandes, die Kostenblocke zu reduzieren. Zumbaum im Gesprach mit "Sales Profi": ,,Ich muBte was tun, bevor andere von auBen kommen."

Zumbaum bildet ein Kernteam mit einigen von ihm ausge­wahlten Mitarbeitern, allen voran Projektleiter Gunnar Wei­kert. Sie holen sich Hilfe bei versierten Beratungsunternehmen. Fur den VeranderungsprozeB wird Winner's Edge eingeschal­tet. Das Besondere von Winner's Edge: "Ganzheitliche Reali­sierung von Veranderungen in Unternehmen."

Winner's Edge hatte 1992 schon ein neues Trainings- und Coaching-Netzwerk mit einem Bayer-Team konzipiert. Sie waren auBerdem die Facilitatoren des gesamten Bayer-Phar­ma-Visionsprozesses, in des sen Rahmen die Restrukturierung genau hineinpaBte. In diesem umfassenden VisionsprozeB der Zentrale soUte unter anderem ein neues Wertesystem aufge­baut werden, in dem Unternehmertum, Kooperation, Delega-

208 Vision und Wandel- Eine Fallstudie

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tion, Kreativitat und anderes gefordert sind. Dieser Rahmen stand, und das Winner's Edge-Team, das diesen ProzeR beglei­tete, hat die Instrumente fur Vision und Wandel, die Zumbaum braucht. Das Gespann paRt.

Und noch ein Vierter spielt hier mit, der das Gespann zusatz­lich zur internen Motorik auch noch von auRen zum Handeln zwingt: der Gesetzgeber. Das Gesundheitsstruktur-Gesetz des Bundesministers Seehofer tritt am 1. Januar 1993 in Kraft und fuhrt zunachst einmal zur Verunsicherung bei verschiedenen A.rzten und ihren Organisationen, dann aber zu erheblichen Umsatz- und Gewinn-Einbruchen bei Pharma-Unternehmen, also auch bei Pharma Deutschland der Bayer AG. Der Fall fur Veranderung ist da. Die Revolution beginnt.

Die Realitat fordert zum Wandel heraus

Ohne eine saubere Ist-Aufnahme bleibt die beste Vision nichts als Traumerei. Und die Ist-Aufnahme imJahr 1993, dem ersten Jahr, in dem Seehofers Reform greift, sieht trube aus:

Der Gesetzliche Krankenversicherungs-Markt (GKV­Markt) schrumpft von 14,2 Milliarden OM 1992 auf 12,2 Milliarden OM 1993 (alte Bundeslander, Herstellerpreise).

Die Preise sinken: Der Preisverfall ist ein langerfristiger ProzeR, von 1988 auf 1993 sinken die Preise urn 16 Pro­zent.

Kunden sind weniger zufrieden: Die Kunden, kritisch und anspruchsvoller geworden, fuhlen sich zunehmend weniger gut bedient. Dazu kommt, daR die Wertehierarchie insge­samt in Unordnung geraten ist.

Gewinn: Nach einer Schatzung des Ergebnis-Index halbiert sich(!) der Profit im GKV-Markt von 1992 auf 1993.

Die Realitat fordert zum Wandel heraus 20

Page 203: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Die alten Strukturen passen nicht mehr

Preis- und Profitverfall sind nur auRere, deutliche meRbare Indikatoren fur Prozesse, die an ganz anderer Stelle ihre Ursache haben. In Branchen, wie Pharma, in denen seit langem gut verdient wurde, wird stets mehr verwaltet denn gestaltet. Eine Beobachtung, die in allen Kulturen fur aIle Bereiche in Phasen hoher Reife gilt. Bei Pharma gelten sie ganz besonders, der aufgeblahte Apparat paRt nicht mehr auf die Erfordernis einer flexiblen, kundenorientierten Organisation:

Fehlgeleitete Energie: Tiefe Hierarchien beschaftigen sich mehr mit sich selbst als mit Kunden.

Kundenferne: Entscheidungen fallen viel zu weit weg yom Kunden.

Trittbrettfahrer: Schlechte Leistungen bleiben im System der Burokraten praktisch ohne Konsequenz.

Tragheit: Die lang en Entscheidungswege und vielen Ent­scheidungsinstanzen konnen mit dem gestiegenen Tempo der Veranderungen nicht mehr mithalten.

Verschwendung: Der GrundprozeR der Kommunikation mit Kunden macht weniger als 10 Prozent der aufgewen­deten Zeit aller Mitarbeiter aus.

Diese Erkenntnisse - so bitter sie klingen mogen - sind das eine, der U mgang damit und deren U msetzung das andere.

Der grundlegende ProzeB: Redesign

Mit der Erkenntnis: "Die alten Strukturen passen nicht mehr" ist das "Weg-von" erkannt. Schwieriger ist es in den meisten Fallen dagegen, das ,,Hin-zu" klar zu erkennen und zu definie-

210 Vision und Wandel- Eine Fallstudie

Page 204: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

ren, also eine Zielsetzung mit einer motivierenden Sogwirkung aufzubauen.

Das Ergebnis der Suche nach dem eigentlichen Sinn, dem "Hin-zu", wird schlieRlich so definiert:

"Der GrundprozeR ist die Kommunikation mit dem Kunden im gesellschaftlich gerechtfertigten Rahmen mit dem Ziel der Verschreibung der Bayer-Produkte."

Wenn das der GrundprozeR ist, dann gilt es, all das, was dies en ProzeR stort und nicht unterstutzt, abzuschaffen. Fachwort dafur: ,,Redesign".

Die Zielsetzung fur das Redesign ist klar:

"Das Redesign hat das Ziel, die Gesamtorganisation (rund 1 000 Mitarbeiter) fUr diesen ProzeR maximal verfugbar zu machen:

das heiRt, Fehlzeiten abbauen,

das heiRt, Materialverschwendung beseitigen,

das heiRt, Fehlsteuerungen (Zeit en, Selbstbeschaftigungen, Energie, Material, Werbung, Muster etc.) beseitigen."

Resumee: ,,Alle Ressourcen und Energien sollen moglichst ohne Verschwendung auf die erfolgreiche Umsetzung des Grundprozesses gerichtet sein."

Mit dieser Aufgabenstellung ist die Herausforderung des Un­ternehmens, aber auch der sie begleitenden Unternehmensbe­ratungen, in seiner ganzen Dimension offengelegt und bereits mit einigen Merkmalen identifiziert und fokussiert. Mit der Zielsetzung des Redesign und der Definition des Grundpro­zesses ist die Basis fur die Aufstellung einer klaren organisato­rischen Vision gelegt.

Der grundlegende ProzeB: Redesign 211

Page 205: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Der ProzeB beginnt mit der Vision und endet mit der Implantation

Der gesamte VeranderungsprozeB laBt sich in vier Schritten unterteilen:

1. Vision,

2. Konzept,

3. Analyse und Detailkonzept,

4. Umsetzung/Training und Coaching.

Vision

Pharma Deutschland ist praktisch die Vertriebs-"Gesellschaft" des weltweit tatigen Geschaftsbereichs Pharma. Dieser Ge­schaftsbereich entwarf 1992 unter Mitwirkung Zumbaums seine Vision, die den Rahmen und die Herausforderung fur den Vertrieb in Deutschland (wie auch fur andere Veranderun­gen) darstellte. Als ProzeBberater und Umsetzungsberater hat­ten Winner's-Edge-Partner den Auftrag

a) als ProzeBmoderatoren fUr Visionsprozesse,

b) als Veranderungscoaches fur Organisationseinheiten und Manager und

c) als Trainer und Coaches fur die Entwicklung des Wertesy­stems und der daraus abgeleiteten sich verandernden Ver­haltenspraktiken

zu fungieren.

Es ist deshalb logisch, daB Gunnar Weikert in vielen Treffen mit Dietrich Buchner und Josef Schmelzer uber die Organisa­tion der zukunftigen Vision diskutiert. Insgesamt werden elf Zielorganisationen entwickelt, verworfen, verandert und opti-

212 Vision und Wandel- Eine Fallstudie

Page 206: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

miert. Parallel dazu wird die Unternehmensberatung ADL eingeschaltet, die ebenfalls Konzeptentwurfe, insbesondere aber Struktur- und detaillierte Kostenanalysen erstellt.

Konzept

In den Diskussionen mit Weikert wird schon fruh erkannt, daB die Organisation (Innendienst wie AuBendienst), in die Ober­legungen einbezogen werden solI. Dazu fuhren zwolf Partner von Winner's Edge mit Beteiligung des Managementteams Visions- und Organisationsworkshops mit rund 700 AuBen­dienstmitarbeitern in zwei Phasen durch:

1. Die erste Phase mit ca. 350 AuBendienstmitarbeitern in zwolf Workshops hat das Ziel, die Bedeutung und Umset­zung der Pharma-Vision mit den AuBendiensten der drei selbstandigen Firmen zu bearbeiten und gemeinsame Vi­sionen zu entwickeln. Die Ergebnisse werden in einer umfassenden Dokumentation dargestellt und auf vier Punkte konzentriert: - Kundenorientierung, - selbstverantwortliches Handeln, - Teamarbeit, - Leistungsorientierung.

2. 1m Zuge der weiteren Konkretisierung und Bestatigung der Zielorganisation durch die Ergebnisse dieser Visions­Workshops mit dem AuBendienst wird in einer zweiten Welle mit den restlichen 350 AuBendienstlern uber die neue Zielorganisation und deren U msetzung gearbeitet. Viele gute Ideen fur die Realisierung, wichtige Einwande, ernstzunehmende Widerstande, Verneinungen und Hoff­nungen mischen sich zu einer wertvollen Wissensbasis, die das Managementteam und die zwolf Berater von Winner's Edge spater fur die Umsetzung nutzen konnen.

Der Prozel3 beginnt mit der Vision und endet mit der Implantation 213

Page 207: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

3. Weitere Visions-Workshops werden mit den Innendienst­Abteilungen, mit ca. 150 Mitarbeitern, durchgefuhrt (Mar­keting und Medizin), die teilweise erst nach dem Start der neuen Organisation als Teambildung beziehungsweise Netzwerkmanagement gestaltet werden.

Analyse und Detailkonzept

Die Visionsentwurfe haben das organisatorische Redesign verbessert, verstarkt und umsetzungsreifer gemacht. Dazu sind detaillierte ProzeB-, Struktur-, Personal- und Kostenanalysen notwendig, die sich konzeptionell zu einem geschlossenen Ganzen zusammenfugen. Dieser Gesamtrahmen wird von ADL bearbeitet und prasentiert.

Die Konkretisierung der Entwurfe fur die 18 Regionen mit ihren 107 Bezirken wird in einem Team von Bayer-Experten und der Beratungsfirma Lutum & Tappert erstellt, das von Winner's Edge initiiert und moderiert wird.

Umsetzung, Veranderungscoaching und Training Da der ProzeB der Veranderung nie aufhort, gibt es auch kaum ein Datum fur den Beginn einer Umsetzung oder ihr Ende. Der Beginn der U msetzung liegt meistens schon vor dem Erstellen eines Konzepts, wenngleich es vielfach auch anders gehandhabt wird. Der eher typische Fall ist, daB "Winner's Edge" als Veranderungscoach dann eingeschaltet wird, wenn eine Unternehmensberatung aufhort, also ihr Konzept "abge­liefert" hat.

Dann ubernimmt der ProzeBcoach die "Implementation", die Arbeit mit Menschen, Gruppen, Organisationseinheiten.

In diesem Fall ist es anders. Hier ist Winner's Edge vor dem Redesign mit Veranderungsprojekten (Vision, Trainings- und

214 Vision und Wandel- Eine Fallstudie

Page 208: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Coachingkonzept) befaBt, die sich im Redesign integrieren, und ist gleichzeitig selbst Teil des Redesigns, den iiberwiegen­den Teil der Mitarbeiter (ca. 880) einzubeziehen:

Die erste Realisierung umfaBt im wesentlichen folgende Schrit­te:

1. Die Personalauswahl der Regionalmanager durch Assess­ments und Coaches des Managements mit Unterstiitzung der Personalabteilung (innerhalb von vier Wochen).

2. Das vorbereitende Training der neuen Regional-Manager durch die IPY, einer Schweizer Trainingsfirma (innerhalb von zwei Wochen).

3. Die Umsetzung und Ausfiihrung der vier Regionalkonzep­te mit neu ernannten Regionalmanagern und Coaches in Drei-Tage-Workshops, an denen sich auch Lutum & Tap­pert beteiligen. Vier Winner's-Edge-Partner fungieren als ProzeBsteuerer (zwei Wochen).

4. Die Bildung der 107 AuBendienstteams in den 18 Regio­nen unter der ProzeBberatung von Winner's Edge innerhalb von sechs Wochen.

5. Das Training der Teams nach offiziellem Beginn der neuen Organisation durch IPV innerhalb von drei Monaten.

Der ganze ProzeB wird vom Managementteam gesteuert und durch personliche Prasenz standig begleitet. Bei jeder Veran­staltung ist mindestens ein Mitglied des Managementteams prasent. Auch der Betriebsrat ist durch seine Mitglieder in wichtigen Veranderungsworkshops dabei.

Der ProzeB beginnt mit der Vision und endet mit der Implantation 215

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Die Vision ist ein herausfordernder Kontext

Die Vision 2010 des gesamten Geschaftsbereichs ist eines der Kernstucke des gesamten Veranderungsprozesses. Und so sieht die Pharma-Vision aus:

Die zukunftige Identitat:

1. Ein fiihrendes Health-Care-Unternehmen ...

2. ... mit signifikanten Verbesserungen der Gesundheit des Menschen,

3. . .. motivierten und kompetenten Mitarbeitern, die Herz und Motor sind,

4. ... in einer Kultur, die sie motiviert und verpf/ichtet, ihr Bestes zu geben.

AIle vier Auspragungen der Identitat haben den Kunden zum Mittelpunkt.

Die Deutschland-Vision bringt den Wandel auf den Punkt

Gegenuber der Gesamtvision 2010 fur den Pharmabereich wird die Vision fur Deutschland heruntergebrochen und pra­ziser. Hier heiRt es:

216 Vision und Wandel- Eine Fallstudie

Page 210: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Bayer will der fuhrende Gesundheitsanbieter in Deutschland sein, gemessen an:

Innovation, Wachstum, Mehrwert.

Durch Kundennahe, Leistu ngsorientieru ng, Lerndynamik

auf der Basis einer erfolgreichen Vergangenheit.

Hier kommen Ansatze in die Vision, die bezifferbar sind. Diese Begriffe werden nachfolgend noch prazisiert.

Fuhrung durch Innovation, Wachstum und Mehrwert

Die hier subsumierten Forderungen stellen gleichzeitig einen Anspruch dar.

Ganz konkret sind hier also KenngraBen aufgelistet, die nachher im strategischen Ansatz zu erfiillen sind. Diese Kenn­graBen sind direkt aus der Vision abgeleitet.

FOhrung durch Innovation, Wachstum und Mehrwert 217

Page 211: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Innovation: Bayer entwickelt die gr61Ste Geschwindigkeit und Kom­petenz in der Anpassung an veranderte Marktchancen und bietet innovative Angebote.

Wachstum: Bayer gewinnt Marktanteile in etablierten Markten und tritt in neue Gesundheitsmarkte ein.

Mehrwert ...

.. . 6konomisch: Bayer Pharma Deutschland erwirtschaftet einen Gewinn, der die Investitionen in die Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel weiterhin erlaubt .

... emotional: Bayer schafft fur die Mitarbeiter eine emotional be­friedigendes Arbeitsfeld, Spars und Freude .

.. . ethisch: Bayer stiftet gesellschaftlichen Nutzen durch neue Ge­sundheitsleistungen und verzichtet auf Marketing-Materialschlach­ten.

Erfolg durch Kundennahe, Leistung und Lerndynamik

Es war in der Organisation im Innen- und AuRendienst gewiinscht, Erfolgsprinzipien bewuRtzumachen, zu verstarken und dafiir den organisatorischen Rahmen zu schaffen.

Kundennahe: Der Kunde steuert die Organisation. Die Organisa­tion unterstutzt Kundenwunsche.

Leistungsorientierung: Durch Anreize werden Leistungen wieder herausgefordert. Profit-Center-Strukturen stellen dazu den Bezugs­rahmen dar. Das System honoriert die effizientesten Prozesse.

Lerndynamik: Die Organisation kennt Kundenwunsche, sie lernt beste Wege/Prozesse, um die Kundenwunsche umzusetzen.

218 Vision und Wandel- Eine Fallstudie

Page 212: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Diese Prinzipien sind Prozesse, die im Kopf ablaufen. Sie sind unabdingbare Voraussetzung fUr den eigentlichen Urn set­zungsprozeB, der nicht nur den Kopf, sondern auch die Herzen aller Beteiligten einbeziehen, ansprechen und bewegen muK Es geht urn nicht mehr und nicht weniger, als menschliche Energien effektiv einzusetzen, Entwicklungschancen zu nutzen und Blockaden wie StreB, Arger, Zeitknappheit oder Hoch­druck in produktive Prozesse wie Leichtigkeit, Freude und gezielte Zeitnutzung umzuwandeln.

Das bei Winner's Edge entwickelte Programm bietet hier wirkungsvolle Verfahren, diese Prinzipien in praktisches Ver­halten umzusetzen. Das Programm ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht allen Mitarbeitern vermittelt worden.

Die Hauptprogrammpunkte sind:

Fiihren als eine charismatische und sorgende Aufgabe, bei der das Verhalten mit dem Reden, das Tun mit den Werten im Einklang ist. Vertrauen und Glaubwiirdigkeit entstehen und entwickeln eine "natiirliche" Autoritat.

Wandeln als ein standiger ProzeB der Kreativitat, Innovation und Ver­anderung, dem sich jeder stellt, den jeder wahrnimmt und fiir den der erforderliche Rahmen geschaffen wurde.

Verbinden als die Quelle von Synergien, durch Teamarbeit und Netzwerke von Kompetenzen, durch Kooperation iiber disziplinare, orga­nisatorische oder personliche Grenzen hinweg.

Handeln als das Grundprinzip jeden Erfolgs, ohne das Resultate nicht zustande kommen und das letztlich allein zahlt.

Erfolg durch Kundennahe, Leistung und Lerndynamik 219

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Wir sind heute mitten in dieser Herausforderung, die neue Kultur auszupragen, und dieses Auspragen muR noch gut gepflegt werden. Aber der Rahmen dafur ist etabliert.

Die kundenorientierte lernende Organisation stellt alles auf den Kopf

Es ist der Weg von der hierarchischen, zentral gesteuerten Organisation zur kundenorientierten, lernenden Organisation, der beschritten wird. In der alten Hierarchie stand an der Spitze der Entscheidungspyramide der Vorstand, am unteren Ende, quasi als Ergebnis von Vorstandsentscheidungen, der Kunde. Der ganze ProzeR vom Vorstand zum Kunden (bildlich gese­hen) durchlief nicht weniger als neun Hierarchiestufen. Historisch gesehen ist es nichts anderes als die graphische Darstellung eines Anbietermarktes, wo Waren zur Verteilung kommen.

Diese Situation gibt es schon lange nicht mehr, im Verdran­gungswettbewerb haben die Kunden die Macht, unter ver­schiedenen Anbietern auszuwahlen. Eine Erkenntnis, die nicht neu ist, die aber immer noch nicht in ihrer ganzen Konsequenz in einigen Unternehmenskulturen gegriffen und sich in orga­nisatorischen Veranderungen durchgesetzt hat.

Bei Pharma Deutschland wird dies nun anders. Wenn denn der Kunde derjenige ist, der die Macht hat, unter verschiedenen Produkten und Dienstleistungen auszuwahlen, dann sollte er den Entscheidungs- und HandlungsprozeR dominieren.

Der Kunstgriff der Veranderungsarbeit: die Pyramide einfach auf den Kopf zu stellen und einige Stufen herauszunehmen. Ergebnis: eine Pyramide, die auf dem Kopf steht und auf der oberen, der breiten Basis, den Kunden als obersten Entscheider in der neuen Hierarchie aufweist. Darunter Kundenteams, in denen vier C realisiert werden konnen.

220 Vision und Wandel- Eine Fallstudie

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Teams von Mitarbeitern sollen hier Synergien entwickeln, urn Kundenbedurfnisse bestmoglich zu erkennen, aufzufangen und im Team effektiv zu bedienen. W<ihrend es bisher einzelne AuBendienstmitarbeiter waren, die fur eine ganz bestimmte Produktlinie Kontakt mit einem Kunden in ihrer Region hatten, werden nun innerhalb des Teams Zielgruppen verein­bart. Der einzelne AuBendienstler bedient den Kunden aus dem gesamten Angebot von bislang drei Bayer-Firmen. Das hat erhebliche Vorteile fur den Arzt. Er spart Zeit und hat einen kompetenteren Betreuer.

Damit dieser ProzeB reibungslos lauft, damit Unterstutzung auf allen Seiten gesichert ist, arbeitet das Management am unteren Ende der Entscheidungspyramide wie ein Dienstleister.

Kundenorientierung und lernende Organisation - damit wird ganz deutlich postuliert, daB eine nach auBen offene und durch intern vereinbarte Ziele gefuhrte Organisation standig selbst nach Verbesserungen sucht, gegenseitig voneinander lernt, sich aus der Zielsetzung heraus standig neue Aufgaben gibt und auf diese Weise parallel mit dem Wandel des Marktes dazulernt. Immerhin: Eine Organisation besteht aus mehreren Kopfen, mehrere Kopfe haben mehrere Moglichkeiten aufzunehmen, weiterzugeben, dazuzulernen. Dies ist ihr Vorteil gegenuber einer tiefen Hierarchiespitze mit einem lediglich vertikalen InformationsfluB und einem von oben nach unten gerichteten Befehlsstrang. Bei der lernenden Organisation laufen Informa­tionen nicht nur vertikal, sondern auch horizontal, ihr Befehls­strang entwickelt sich aus dem ErfolgsprozeB mit dem Kunden.

Das Redesign bedingt eine neue Wertehierarchie

Eine neue Wertehierarchie ist die zwangslaufige Folge eines wirklichen Redesigns. Wie bereits beschrieben, findet ein ge-

Das Redesign bedingt eine neue Wertehierarchie 221

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waltiger Wechsel der alten Muster zu neuen Philosophien statt: Bisher Hierarchieorientierung mit eigenen Qualitatsstandards und Kriterien, teuer und langsam, jetzt Kundenorientierung mit Qualitatsanspruch aus Kundensicht, Kostenorientierung und dem Prim at der Geschwindigkeit.

Bislang Fremdsteuerung mit starker Auspragung von Hierar­chie, Vorgaben und Anweisungen und der Pfiicht, einen Auf­trag auszufiihren, heute eine Selbststeuerung der Organisation, profitorientiert, gefiihrt durch Zielvereinbarungen, motiviert durch SpaR und Selbstverantwortung. Das ist zumindest in den Anfangen deutlich.

Bislang zentral verordnetes Lernen, bei dem Veranderungen nicht gewiinscht und ausfiihren gewollt war, der Auspragung von Einzelkampfern, Rechtfertigungsbemiihungen und Ver­gangenheitsdenken, jetzt eine Lerndynamik mit den drei Vs (Verandern - Vereinfachen - Verbessern), der Teamarbeit und Zukunftsorientierung.

Das Redesign ist ein ganzheitlicher ProzeB

Wie beschrieben, kann Redesign nicht darin stehen bleiben, lediglich andere Pyramiden oder Kastchen zu malen mit anderen Job-descriptions. Der ganzheitliche ProzeR wurde bereits in der Vision aufgezeigt und wird deutlich im Beispiel der lernenden Organisation. Doch Goodwill allein bringt keine Geschafte, die lernende Organisation verlangt auch definierte Verantwortlichkeiten. Diese gibt es, sie sind in bezifferbaren GraRen von Profit- und Cost-Centers definiert.

Direkt bei der Geschaftsleitung Pharma Deutschland angesie­delt sind die Bereiche Strategie, Verkauf, Gesundheitsmarke­ting, Service, Medizin und die kaufmannische Abteilung. Wcih­rend friiher der Verkauf innerhalb drei verschiedener Firmen

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hierarchisch strukturiert und separiert arbeitete, bilden jetzt gemeinsame Teams aller drei friiheren Einzelfirmen gemeinsa­me Profit-Centers, die unter dem Management eines Regio­nalmanagers kosten- und ergebnisverantwortlich arbeiten.

Spiegelbildlich dazu sind auch die Marketingteams in Profit­Centers eingeteilt, wohingegen die Serviceabteilungen als Ko­stenstellen (Cost-Centers) organisiert sind. Der Innendienst wird genauso als "Unterstiitzer des AuRendienstes" entwickelt wie das Managementteam. Die Leistungsfliisse beginnen durch die Mechanik eines ,~nternen Marktes" yom Kunden her gesteuert zu werden.

Redesign als ganzheitlicher ProzeR: Mit dieser Organisations­form, die sich bis in die genau definierte Ergebnisverantwor­tung erstreckt, wird die Vision (Erfolg durch Kundennahe, Leistungs- und Lerndynamik) zumindest im organisatorischen Konzept erfiillbar gemacht.

Die Kundenorientierung fUhrt zur neuen Managementrolle

Wird die Rolle des Managements damit vollkommen obsolet? Sie wird nicht obsolet, sondern sie definiert sich kiinftig anders. Wenn Kunden die Organisation steuern, indem sie AuRen­dienst-teams als Profit-Centers steuern, die wiederum die zentralen Marketing- und Serviceangebote als Profit-Centers len ken, dann bleibt dem Management eigentlich lediglich eine Statistenrolle. Falsch. Denn eine Statistenrolle ware im Rede­signprozeR eliminiert worden.

Was sich hier so mitleidlos logisch auf dem Papier darbietet, muR immer als ProzeR von vielen Beteiligten, individuell denkenden und handelnden Menschen verstanden werden. Nun haben wir zwar vorhin gesagt, daR durch die Vision eine

Die Kundenorientierung tuhrt zur neuen Managementrolie 223

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Steuerung durch Ziele durchgefuhrt wird und synergetische Prozesse in selbstlernenden Organisationen ablaufen. Dennoch braucht es Moderatoren oder Coaches, die gerade in Verande­rungsprozessen immer wieder lenkend und moderierend in diese Prozesse eingreifen, sie moderierend unterstutzen. Das ist die kunftige Aufgabe des Managements.

Das erfordert nicht nur Umdenken, sondern aktives Loslassen alter Erfolgsrezepte und Hinzufugen neuer Fahigkeiten. Das ist nicht einfach und bedarf des Trainings - und des Einzel­und Team-Coachings.

Die Auspragung einer flachen Hierarchie fordert neue RoUen. Wcihrend Manager fruher Entscheidungen trafen und die Richtung bestimmten, sind sie nun in diesen ProzeR eher beobachtend und moderierend den Teams an die Seite gesteUt. In der Vision werden im Redesign im wesentlichen drei RoUen von Managementfunktionen definiert:

Regionalmanager: Sie unterstutzen den ProzeR der Teams. Sie sichern den Teams ihren Freiraum fur die Arbeit vor Ort. Sie kummern sich urn das richtige Handeln, urn Erfolg zu erzielen.

Regionalcoaches: Sie unterstutzen die Bildung der Teams, ubernehmen dabei die CoachroUe und sorgen fur die standige Motorik, Kreativitat und fur Lernprozesse.

Geschaftsleitung: Das Management in der Geschaftsleitung hat die Aufgabe, das gesamte ProzeRdesign umzusetzen, zu opti­mieren und weiterzuentwickeln. Hier laufen die Informationen aus den verschiedenen Regionalteams zusammen, hier soU die Kommunikation innerhalb der Teams in der flachen Hierar­chiepyramide immer wieder vorangetrieben werden. Und: Naturlich hat die Geschaftsleitung hier auch eine ganz "altmo­dische" Vorbildfunktion. Sie muR in erster Linie dafur sorgen, daR die Hierarchie flach bleibt, daR die Entscheidungen drauR­en in den Teams vom Kunden her gesteuert werden und muR dafur sorgen, daR nicht eine neue Burokratie-Hierarchie von innen heraus den ProzeR lahmt und uberwuchert.

122 Vision und Wandel- Eine Fallstudie

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Das Ganze wird sehr plastisch, wenn nun die konkrete Zu­ordnungen der Teams an die einzelnen Lokalmarkte erfolgt.

Selbstverantwortliche, erfolgsgesteuerte Teams sind die Antwort auf zunehmende lokale KomplexiUit

Die Markte beziehungsweise Kunden sehen sich immer mehr unterschiedlichen Anforderungen ausgesetzt. Desgleichen mussen auch die AuGendienstmitarbeiter zunehmend komple­xe Zusammenhange erkennen und beherrschen.

In der bisherigen Organisation von Pharma Deutschland trafen beispielsweise auf einen Arzt funf verschiedene AuGendienst­mitarbeiter. Jeder dieser funf muGte nicht nur uber die von ihm vertriebenen Produkte Bescheid wissen, sondern auch uber Hintergrundinformationen aus dem Arztumfeld verfugen, urn den Arzt in allen seinen Bedurfnissen richtig beraten zu konnen.

Kunde ist heute aber nicht mehr allein der Arzt: Er bleibt wichtig, aber der EinfluG der Patienten steigt, die Rolle des Krankenhauses verandert sich in Beziehung zum niedergelas­senen Arzt, die kassenarztlichen Vereinigungen und die Kassen definieren sich neu als Mitentscheider. Die Apotheker vor Ort und im Krankenhaus spielen mit. Insgesamt entsteht ein kompliziertes Entscheidungsnetz.

Mit zunehmender Komplexitat der Markte und ihrer Anfor­derungen konnen neue und alte Zielgruppen nicht mehr von einem einzelnen AuGendienstmitarbeiter bedient werden: Die Wandlung vom Einzelkampfer zum Team ist unumkehrbar.

Selbstverantwortliche, erfolgsgesteuerte Teams 22

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Der Kunde hat nur noch einen Ansprechpartner

Es wurde vorher schon in einem Nebensatz erwahnt, jetzt wird es noch einmal als deutlicher Kundennutzen ausgesprochen: Wahrend der Arzt friiher mehrere AuRendienstmitarbeiter der gleichen groRen Firma empfangen muRte, hat er jetzt nur noch einen, der wiederum im Hintergrund von seinem Team unter­stiitzt wird. Ein Ansprechpartner hat klar ersichtliche Vorteile:

1. Der Kontakt ist einfach besser. Denn der Arzt - beispiels­weise - kann sich auf weniger Ansprechpartner konzen­trieren, und der einzelne AuRendienstmitarbeiter kann gleichzeitig in einer groReren Spannbreite auf Probleme und Wiinsche des Arztes reagieren. Die Kontaktthemen werden breiter, der Kontakt dadurch intensiver.

2. Der ProzefJ der Kommunikation und Betreuung ist in einer Hand. Die Koordination findet beim Kunden statt bezie­hungsweise mit dem Kunden vor Ort.

3. Der Ressourceneinsatz fur den Kunden ist gebundelt und optimiert. Dies ist wieder neben der psychologischen Kom­ponente ein technisch-logistischer Vorteil, beispielsweise bei der Zusendung von Mustern und anderem Material.

4. Der Anteil der produktiven Zeit wird erhoht (optimiertes Kundengesprach). Dies zu verwirklichen bedeutet auch fiir den Mitarbeiter umzulernen, alte Erfolgsrezepte loszulas­sen und neue Moglichkeiten und Wege anzunehmen, urn die neue Rolle zu entwickeln und auszugestalten, neue Fahigkeiten zu erlernen und anzuwenden. Dafiir steht dem Mitarbeiter der Regionalcoach zur Seite. Training und Coaching sind im gesamten VeranderungsprozeR erfolgs­kritisch: Insgesamt wurden hierzu neben 18 Regionalcoa­ches 12 Trainer und Coaches von Winner's Edge und 4 Trainer der IPV eingesetzt.

226 Vision und Wandel- Eine Fallstudie

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Die zentralen Marketingangebote werden durch die Nachfrage gesteuert

Wenn sich die regionalen Teams von den Kundenanforderun­gen steuern lassen, dann ist es nur logisch, daB diese Anfor­derungen mit der Bitte urn entsprechende Unterstiitzung an das Marketing weitergegeben werden: Die zentralen Marke­tingangebote werden durch die Nachfrage gesteuert.

Mit dieser trockenen Logik wird eine immerwahrende Span­nung entscharft: Bislang war es so, daB das Marketing das Sagen hatte und die AuBendienstler mit ihrem Werbematerial regelrecht iiberschiittete. Unabhangig von der damit mogli­cherweise verbundenen Materialverschwendung wurde damit auch ein gewaltiger psychologischer Druck auf den AuBen­dienst ausgeiibt: Der muBte verkaufen, was und wie es ihm die Werbung vorschrieb und hatte nur wenig EinfluBmoglich­keiten, die Bediirfnisse seines Kunden aus eigenem Ermessen und mit eigener Kompetenz zu bedienen.

Das ist nicht nur bei Pharma Deutschland der Bayer AG so: Die Konfliktlinie zwischen Marketing und Vertrieb ist in allen groBen traditionellen Organisationen ein Grund fiir Energie­und Materialverschwendung. Hier das Negativpotential an Frust, Reibungen und Konflikten zu entscharfen, wiirde erheb­lich zur Motivation und damit Effektivitat von AuBendiensten beitragen.

In der Pharma-Deutschland-Vision ist es - zumindest vom Ansatz und ersten Ergebnissen her - geschafft: Der Au Ben­dienst ordert beim Marketing das, was er braucht, und dafiir muB er regelrecht einkaufen, Marketingleistung hat plotzlich einen Preis. Andererseits kann es durchaus passieren, daB die Marketingteams auf den von ihnen produzierten Werbemitteln "sitzenbleiben"; sie haben keine Moglichkeit mehr, wenn etwas nicht gekauft wird, es iiber den AuBendienst an den Kunden zu bringen.

Zentrale Marketingangebote werden durch Nachfrage gesteuert 22~

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Beide - sowohl der AuRendienst als auch das Marketing -arbeiten als Profit-Centers. Beide arbeiten ergebnis- und lei­stungsorientiert als Anbieter und Nachfrager. Und plotzlich ist die schlechte Luft raus aus dem Psycho-Luftballon. Ober das klassische Spiel von Angebot und Nachfrage, Mengen und Preisen versachlicht die Beziehung, wird die Verschwendung reduziert, gibt es plotzlich ein effektives, auf Kooperation aufgebautes Wirtschaften zum Wohle des Kunden - und des Unternehmens. Wer erlebt, wie alle Regionalmanager mit allen Marketingteams neue Konzepte gemeinsam erarbeiten und diese dann von ihren Teams gegenchecken lassen, der begreift den groRen Unterschied zu vorher.

Der AuBendienstservice wird radikal in den Dienst des Teams gestellt

W<ihrend der Konflikt zwischen Marketing und Vertrieb der klassische ist, schwelt der zwischen den Serviceorganisationen und dem AuRendienst eher etwas im Hintergrund. Auch dieser Konflikt wird nun im neuen Konzept entscharft. Mit folgenden MaRnahmen:

Ein Informationsnetz soll jedem Team lokale und uberre­gionale Informationen zur Verfugung stellen.

Die Marktforschung wird lokal.

Das Training/Coaching wird vor Ort und zentral nachfra­gegesteuert: Der Trainer und Coach ist lokal prasent.

Die Nachfrage unterscheidet Exzellenz yom MittelmaK

Manches ist zum Zeitpunkt dieses Berichtes noch nicht per­fekt, noch nicht fertig oder wird gerade angedacht. Das gilt auch fur die Serviceorganisation, die - dem N amen nach - fur.

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die AuRendienstorganisation, die Regionen und die Teams ,,Dienste leistet".

Was ist passiert: Auch die Servicedienste, oftmals als machtha­bende graue Eminenzen in den Zentralen, werden plotzlich an die Regionen angehangt. Die Regionalteams fordern auch hier das, was sie direkt fiir ihre Arbeit brauchen. Seien es nun Daten iiber den Kunden oder Daten iiber die eigene Effizienz. Seien es nun Trainingsunterstiitzung oder WeiterbildungsmaRnah­men: Vor Ort wird der individuelle Bedarf definiert - und ist von den Serviceeinheiten zu leisten.

Die lernende Organisation wird verwirklicht

In der Gesamtschau bietet sich nun folgendes Bild: Wettbe­werbsfahigkeit kann als zentraler Begriff iiber den gesamten ProzeR gestellt werden. Wettbewerber iiben EinfluR auf den Kunden aus, der Kunde wird von regionalen AuRendienst­teams bedient. Diese wiederum lernen vom Kunden und damit auch vom Wettbewerb, sie lernen im Team, sie lernen in der Region, sie lernen auch untereinander durch intensive Kom­munikation.

Aus den Regionen heraus werden die Marketingteams gesteu­ert und die Serviceteams ebenfalls. Und auch hier wieder: Das Marketing ist in Teams organisiert - mit denselben positiven Ergebnissen wie die AuRendienstteams in der Region, und auch die Serviceabteilungen arbeiten in Teams. Ein ProzeR mit gewaltiger innerer und auRerer Dynamik solI in Gang gebracht werden, sich stan dig verandernd, sich standig verbessernd, nicht nah am Markt, sondern im Markt!

Die lernende Organisation wird verwirklicht 229

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Alles wurde in Frage gestellt, manches auf den Kopf: Verandern, Vereinfachen, Verbessern -das Motto der Zukunft

Das ist das Ergebnis des gesamten Redesigns: Manches wurde auf den Kopf gestellt, alles in Frage. Die niichterne Zusam­menfassung spiegelt die Komplexitat der gesamten Verande­rung nicht wieder. Sie sagt nicht, wie groR die Herausforde­rung an alle ist, sich zu verandern, und sie verschleiert, daR manche nicht bereit sind, mitzuziehen.

W<ihrend friiher mehrere Pharmareferenten beim Arzt vorspra­chen, ist es heute ein Betreuer.

W<ihrend friiher der AuRendienst von der Hierarchie und vom Innendienst gesteuert wurde, steuert sich der AuRendienst heute selbst iiber Erfolgsanreize und Erfolgswillen im Markt.

W<ihrend friiher die Hierarchie inhaltliche Entscheidungen traf, trifft die Hierarchie he ute eher die ProzeRentscheidungen, inhaltliche Anregungen kommen aus den Teams.

W<ihrend der AuRendienst friiher fast ausschlieRlich auf den Arzt fokussiert war, betreut er heute den lokalen Markt (zum Beispiel auch Selbsthilfegruppen bei Patienten oder kassenarzt­lichen Vereinigungen) und kennt die regionalen Besonderhei­ten (Netzwerk-Bildung).

W<ihrend das Marketing friiher dem AuRendienst das zur Verfiigung stellte, was es fiir richtig hielt, bestellt heute der AuRendienst das, was er braucht, in der Zentrale - oder auch woanders (er steuert iiber die Nachfrage).

Friiher wurde der Innendienst von der Hierarchie der Zentrale gesteuert, heute wird der Innendienst iiber die Nachfrage des AuRendienstes gesteuert.

Das Konzept und die Realitat: " ... Auf dem Weg zum Unter­nehmer vor Ort."

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Nachbemerkung: Ein Zwischenstand nach sechs Monaten

Ein Konzept zu entwickeln ist schwer genug, es auch umzu­setzen und rund tausend Menschen mit vollig neuen organi­satorischen Regeln und Zielen vertraut zu machen und zu fuhren ist das andere. 1m Zuge dieses Prozesses sind rund 200 Stellen im AuBendienst und 100 im Innendienst einge­spart worden. Genugend Reibungs- und Konfliktstoffe, urn das ganze Experiment zum Scheitern zu bringen.

Es ist nicht gescheitert. Ende des Jahres 1994 sagt Arne Zumbaum im "Sales-Profi"-Interview: "Die Teams arbeiten besser zusammen .. . , sie sind auf dem Weg zum Unternehmer vor Ort."

In diesem Interview sagt Zumbaum noch mehr. Ergebnisse in Umsatzzahlen sprechen nicht gegen das Gelingen des Rede­sign-Prozesses, und er spurt deutlich neugieriges Feedback vom Wettbewerb und positive Reaktionen von den A.rzten.

Zumbaum, der Bayer AG gegenuber in Hauptverantwortung fur diesen ProzeB, gibt auch zu, an einigen Stellen Fehler gemacht zu haben. Dort namlich, wo zu schnell und zu abrupt Beziehungen zwischen AuBendienstler und Kunden abgebro­chen wurden. Dort auch, wo es nicht gelungen ist, hochtalen­tierte Einzelkampfer im Verkauf in Teams zu integrieren. Doch - so Zumbaum - das sind Einzelfalle. Insgesamt geht das Experiment auf.

Ein weiterer Aspekt, der bei diesem VeranderungsprozeB nicht unterschatzt werden darf: Die Manner und Frauen im AuBen­dienst von Bayer sind im groBen und ganzen zufrieden mit der neuen Herausforderung: Von ihnen wird mehr verlangt, sie konnen aber nun auch mehr Leistung bieten.

Sehr viel schwieriger durfte es da der Innendienst haben: Der Innendienst, der sehr viel starker als der kundenorientierte

Nachbemerkung: Ein Zwischenstand nach sechs Monaten 231

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AuRendienst auf die interne Hierarchie fixiert ist, der sich, meist unterbewuRt, mit der althergebrachten Entscheidungs­pyramide identifiziert hat. Auch hier wurden radikal Hierar­chien abgebaut, Angehorige unterer und mittlerer Fiihrungs­ebenen "degradiert". Prozesse, die in jedem Einzelfall zunachst groRe Orientierungslosigkeit und Frust hervorrufen muRten. Und dennoch wird die Rechnung aufgehen.

Allerdings nur unter einem intensiven und flachendeckenden Beratungs- und Coaching-Einsatz, prozeRbegleitend. Nachfol­gend die einzelnen Schritte des prozeRbegleitenden Modera­tions- und Coachingprozesses:

1992, VorUiufer: "Signale"

1. Ein erster "VisionsprozeR" wird gestartet und als zu ,,re­volutionar" gestoppt. Josef Schmelzer - Querdenker von Winner's Edge - erlebt das nicht zum ersten Mal.

2. TCN, ein neues "Trainings- und Coaching-Network", wird von einem Bayer-Team erarbeitet unter der Projektleitung von Gunnar Weikert, von Dietrich Buchner moderiert, Suse Gebhardt arbeitet "Trends in Training und Personalent­wicklung" heraus.

1992/93

3. 1m Geschaftsbereich Pharma beginnt ein umfassender Vi­sionsprozeR, der neue Option en fiir das Redesign der Deutschland-Abteilung schafft. In diesem ProzeR sind 16 Partner von Winner's Edge involviert als - ProzeRmoderatoren (Visionstage, U msetzungen), - Coaches und Trainer (Werte-Programm, Unterstiitzung

der Visions-Coaches), - Organisationsentwickler, - Einzelcoaches.

232 Vision und Wandel- Eine Fallstudie

Page 226: Vision und Wandel: Neuorientierung und Transformation von Unternehmen

Sie alle haben langjahrige Veranderungserfahrungen als Trainer und Coach, sie alle verfugen mindestens uber eine NLP-Master oder -Trainerausbildung.

Mitte 1993

4. Alternative Organisationskonzepte werden diskutiert. Mit Gunnar Weikert, dem Projektleiter, und Dietrich Buchner kann Josef Schmelzer endlich einmal richtig querdenken. Elf Konzepte werden gewalzt (auch weil das Management Alternativen verlangt). Das sogenannte ,,Integrationsmo­dell" setzt sich durch (parallel wird ADL eingeschaltet, die wiederum Bayer-Teams und Arbeitsgruppen mit Analysen und Konzepten beschaftigt - diese zuerst als Konkurrenz erlebte Beratung entpuppte sich spater als nutzliche und notwendige Erganzung).

August/September 1993

5. Diese Konzeptansatze werden gegen das Vier-C-Wertesy­stem der Vision des Geschaftsbereiches und mit den Vorstellungen der AuRendienste der drei Firmen abgegli­chen. Erganzungen, Verbesserungen und U msetzungswege sind das Ergebnis.

1m August/September 1993 werden zw6lf Visions-Work­shops mit 340 AuRendienstlern durchgefiihrt; sie bestati­gen den gedachten Weg in den Grundsaulen: - Selbstverantwortung, - Kundenorientierung, - Leistungsorientierung, - Teamorientierung.

Neun Winner's Edge Partner begleiten dies en ProzeR als Moderatoren, Konflikt-Coaches, VisionsprozeR-Begleiter. Ihre Herausforderung ist primar, Visionen zu erzeugen, fur neue Option en freizumachen, gedankliche Grenzuber-

Nachbemerkung: Ein Zwischenstand nach sechs Monaten 23

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schreitungen zu stimulieren, unterschiedliche Perspektiven zu nutzen und zu integrieren.

September/Oktober 1993

6. Die Organisation wird genauer beschrieben. 1m Oktober bearbeiten weitere 330 AuRendienstmitarbeiter in Works­hops das neue organisatorische Konzept. Die U msetzungs­fragen riicken in den Fokus. Winner's Edge setzt dieselben Berater wie vorher ein.

November 1993 bis Januar 1994

7. Das neue Managementteam formiert sich. Das Kernteam, das die neue Organisation wesentlich mitkonzipiert hat, bespricht seine Rollenaufteilung. Die Regionalmanager und Regionalcoaches bewerben sich. Sie werden in Assess­ments unter Mithilfe der Personalabteilung ausgewahlt.

8. Die Regionenkonzepte (Grenzen, Bezirke, Mitarbeiter, Zielgruppen etc.) entstehen. Unter der ProzeRmoderation von Winner's Edge werden die Bezirke und Regionen entworfen. Die Firma Lutum & Tappert leistet wertvolle Dienste, urn Iterationen und Optimierungen zu rechnen.

Januar/Februar 1994

9. Die Regionalmanager und -coaches erhalten ein Manage­menttraining, urn sich auf die neue Aufgabe einzustellen. Dieses Training dauert drei Tage und wird von IPV durch­gefiihrt.

Februar 1994

10. In drei Workshops mit den neu ernannten 18 Regionalcoa­ches und 18 Regionalmanagern wird das neue Konzept, die Philosophie, die RoUen etc. vermittelt. Die Regionen-

34 Vision und Wandel- Eine Fallstudie

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konzepte werden im Detail durchgesprochen und mehr­fach optimiert. Auch hier steht die Firma Lutum & Tappert mit ihrem Computerprogramm zur Verfugung, urn die Iterationen zu rechnen. Die Workshops werden von Dietrich Buchner, Andreas Heidbuchel und Josef Schmelzer geleitet.

Februar/Marz 1994

11. Alle Mitarbeiter einer Region treffen sich in sogenannten Regionentreffs von zwei Tagen, urn die Teams zu den Bezirken zu bilden. In 15 Arbeitstagen werden 107 Teams aufgesetzt, die zum April 1994 starten konnen. Eine Rol­lenubertragung zwischen Winner's Edge Partnern und den Managern und Coaches der Region beginnt: 1m ProzeR der Teambildung kann jeder einzelne den Bezirk und damit das Team wahlen, in dem er in Zukunft tatig sein will. In mehreren Runden mit teilweise schwierigen personlichen und Team-Entscheidungen finden sich die Teams. Die Regionalmanager und Regionalcoaches stellen eine wich­tige Ressource fur den Ausgleich zwischen Personen und Team dar. Insgesamt wurden zwolf Berater von Winner's Edge mit Team-Coaching und Konflikt-Coaching Expertise eingesetzt.

12. Die Teams beginnen sich zu formieren, Rollen zu klaren und Spielregeln zu vereinbaren. Sie erhalten die Anleitung und Hausaufgabe, ihre erste Teamstrategie zu erarbeiten und zu prasentieren. Sie haben dafur zwei Wochen Zeit.

13. Der Start ist am 5. April. In einem zweiten Regionaltreff, das am 14.115. parallel in 17 Regionen stattfindet, haben sich die Regionen konstituiert. Die Regionalmanager und Regionalcoaches iibernehmen unter Supervision von Win­ner's Edge die Moderation des Treffs, die Teams prasentie­ren sich und ihre Strategien und legen den ersten Entwurf vor, wie sie als Team bewerten wollen.

SpaR und Ernst beginnen.

Nachbemerkung: Ein Zwischenstand nach sechs Monaten e35

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Die Autoren

Dietrich Buchner, geboren 1938, ist geschaftsfuhrender Gesell­schafter der Winner's Edge, Gesellschaft fur Fuhrungs-, Stra­tegie- und Verkaufscoaching mbH, sowie der NLP & More GmbH, beide in Dusseldorf. Seine Beratungsschwerpunkte sind Strategie-, Fuhrungs- und Team-Coaching fur strategische Transformation und Transformation von Firmenkulturen. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre und der Pro­motion in Soziologie sammelte er 16 Jahre Management-Er­fahrung in internationalen Konzernen und mehrjahrige Aus­landserfahrung in Strategie- und Fuhrungsberatungsprojekten. Er machte seine NLP-Ausbildung in den USA bei Richard Bandler und Robert Dilts und wendet NLP-Modelle seit uber zehn Jahren erfolgreich im Business an.

Sabine Hoffmeister, geboren 1961, ist Partnerin der Winner's Edge GmbH und der NLP & More GmbH. Ihre Schwerpunk­te sind Teamentwicklung, Teamcoaching, Outdoor, Fuhrungs­training, Kommunikationstraining und Einzelcoaching. Sabine Hoffmeister ist staatlich geprufte Sport- und Gymnastiklehre­rin, Diplom-Psychologin und NLP-Trainerin. Sie sammelte Berufserfahrung in verschiedenen Management-Trainings gro­Rer Unternehmen.

Norbert Homma, geboren 1949, ist Partner der Winner's Edge GmbH. Seine Schwerpunkte sind ganzheitliche Veranderungs­prozesse und Outdoor. Er studierte Anglistik und Politikwis­senschaften und promovierte in Politikwissenschaften. Seine NLP-Ausbildung machte er bei Robert Dilts in den USA. Norbert Homma verfugt uber Berufserfahrung im Consulting­bereich und in der Marketingforschung und ist Lehrbeauftrag­ter an der U niversitat Heidelberg.

Die Autoren 23

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Maria Kubin, geboren 1962, ist Leiterin der Vision Coaches im Geschaftsbereich Pharma der Bayer AG in Leverkusen. Nach dem Studium der Medizin und der Promotion in der Physiologie sammelte sie Erfahrungen als Arztin und trat 1989 in die Bayer AG ein. Nach mehrjahriger Tatigkeit im Bereich der Klinischen Forschung ubernahm sie Beratungs- und Steue­rungsaufgaben im Rahmen der Vision 2010 des Geschaftsbe­reichs.

Josef Adolf Schmelzer, geboren 1951, promovierter Mathema­tiker und Professor fur innovatives Management, ist Partner der Winner's Edge GmbH. Er hat Studien der Naturwissen­schaften und der Okonomie verschmolzen zu einer neuen Idee naturnaher Organisation von Unternehmen und Teams. Ais Trainer setzt er NLP-Instrumente in erster Linie ein fur das Initiieren und Coachen von individuellen und gemeinschaftli­chen Innovations- und qualitativen Wachstumsprozessen.

Martina Schmidt-Tanger arbeitet als Fuhrungskraftetrainerin und Coach. Nach langjahrigen internen Erfahrungen in inter­nationalen Wirtschaftsunternehmen ist sie Geschaftsfuhrerin der NLP & More GmbH und selbstandige Partnerin der Unternehmensberatung Winner's Edge GmbH. Ihre Schwer­punkte liegen in der Beratung/Begleitung von Veranderungs­prozessen, allen Themen des Bereichs Personlichkeitsentfal­tung und dem systematischen NLP. Sie ist Diplompsychologin, Klinische Psychologin (BDP) und Ausbildungstrainerin fur das Neurolinguistische Programmieren (NLP).

Hennig Strenger, geboren 1944, Diplom-Wirtschafts-Ingeni­eur, ist Partner der Winner's Edge GmbH. Er war zunachst tatig als Consultant mit den Schwerpunkten Controlling und DY. Mitte der 80er Jahre wechselte er zu den Prozessen zwischenmenschlicher Kommunikation. Er hat eine Ausbil­dung in Moderation, NLP und Systemischer Beratung. Heute ist er tatig als Coach und Trainer fur Projektteams.

~38 Die Autoren

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Weitere Management-Literatur

Robert Becker Besser miteinander umgehen Die Kunst des interaktiven Managements 284 Seiten, 78,- DM

Heinz Beni:ilken / Peter Greipel Dienstleistungsmanagement Service als strategische Erfolgsposition 248 Seiten, 78,- DM

Matthias zur Bonsen Fiihren mit Visionen DerWeg zum ganzheitlichen Management 188 Seiten, 68,- DM

Gunter Botschen / Karl Stoss Strategische Geschiiftseinheiten Marktorientierung im Unternehmen organisieren 172 Seiten, 78,- DM

Dietrich Buchner IHrsg.1 NLP im Business Konzepte fUr schnelle Veranderungen 256 Seiten, 78,- DM

Dietrich Buchner I Hrsg.l Team-Coaching Gemeinsam zum Erfolg 276 Seiten, 78,- DM

Dietrich Buchner IHrsg.l Packen Sie's an! Funf Schritte zum Erfolg 104 Seiten, 34,- DM

Jurgen Fuchs I Hrsg.l Das biokybernetische Modell Unternehmen als Organismen 236 Seiten, 84,- DM

Helmut Geiselhart Wie Unternehmen sich selbst erneuern Konzepte fUr die Umsetzung 184 Seiten, 78,- DM

Peter Heintel / Ewald E. Krainz Projektmanagement Eine Antwort auf die Hierarchiekrise? 254 Seiten, 78,- DM

Hirzel Leder & Partner I Hrsg.1 Synergiemanagement Komplexitat beherrschen, Verbundvorteile erzielen 272 Seiten, 89,- DM

Dennis C. Kinlaw Spitzenteams Spitzenleistungen durch effizientes Teamwork 220 Seiten, 68,- DM

Baldur Kirchner Dialektik und Ethik Besser fUhren mit FairneB und Vertrauen 232 Seiten, 58,- DM

Georg Kraus / Reinhold Westermann Projektmanagement mit System Organisation, Methoden, Steuerung 200 Seiten, 68,- DM

GABLER BETRIEBSWIRTSCHAFTLICHER VERLAG DR. TH. GABLER, TAUNUSSTRASSE 52-54, 651B3 WIESBADEN

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Weitere Management-Literatur

Arthur D. Little !Hrsg.1 Management der Lernprozesse im Unternehmen 264 Seiten, 84,- DM

Rudolf Mann Das visionare Unternehmen Der Weg zur Vision in zwalf Stufen 188 Seiten, 59,80 DM

Attila Oess Total Quality Management Die ganzheitliche Qua I itatsstrateg ie 348 Seiten, 84,- DM

Friedrich Reutner Die Strategie-Tagung Strategische Ziele systematisch erarbeiten und MaBnahmen festlegen 324 Seiten, 148,- DM

Horst Ruckle Mit Visionen an die Spitze Zukunftsorientiert denken, handeln und fohren 256 Seiten, 68,- DM

Thomas Sattel berger !Hrsg.l Die lernende Organisation Konzepte for eine neue Qualitat der Unternehmensentwicklung 274 Seiten, 89,- DM

Dana Schuppert !Hrsg.1 Kompetenz zur Fiihrung Was Fuhrungspersanlichkeiten auszeichnet 248 Seiten, 68,- DM

Gerhard Schwarz Konfliktmanagement Sechs Grundmodelle der Konfliktlasung 324 Seiten, 89,- DM

Georg Turnheim Chaos und Management 328 Seiten, 98,- DM

Rudolf Wimmer !Hrsg.1 Organisationsberatung Neue Wege und Konzepte 384 Seiten, 89,- DM

Zu beziehen uber den Buchhandel oder den Verlag.

Stand der Angaben und Preise: 1.5.1995 Anderungen vorbehalten.

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