zu Industrie 4.0. Digitalisierung - Zukunft Fertigung · ten. „Die Digitalisierung der Fer-tigung...

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18 · Unternehmen + Märkte · Produktion · 18. Juli 2018 · Nr. 17 Die Experten sind sich einig: Die großen Konzepte für Industrie 4.0 lassen KMUs eher ratlos zurück. Mit Technologien rund um Künst- liche Intelligenz (KI) trifft nun schon die nächste Welle mit Dis- ruptionspotential auf die Ferti- gungsbranche. Ob aber auf Teufel komm raus Daten gesammelt oder mit Augenmaß vorgegangen wer- den soll, da sind sich die Experten uneins. Klar ist, dass sich perspek- tivisch mit wenigen Ausnahmen auch kein kleines oder mittelstän- disches Unternehmen der Digita- lisierung entziehen kann. „Wir sehen, dass mittlerweile auch die kleinen und mittleren Fertigungsunternehmen die Digi- talisierung sehr ernstnehmen“, konstatiert Joachim Seidelmann, Leiter des Kompetenzzentrums DigITools am Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Au- tomatisierung IPA. Während die großen Konzerne externe Digital- Labs gründen oder eine Zentral- abteilung für das Thema schaffen, müssten KMUs einen anderen Ansatz wählen. „Abstrakte Indus- trie 4.0-Konzepte, die technolo- gisch an Grenzen gehen, helfen kleinen Mittelständlern über- haupt nicht“, sagt Seidelmann. Gute Erfahrungen habe man hin- gegen mit Workshops, in denen Unternehmen anhand von Bei- spielen die Möglichkeiten entde- cken und Ideen mitnehmen, wie diese Ansätze individuell im eige- nen Umfeld genutzt werden könn- ten. „Die Digitalisierung der Fer- tigung kann nicht von außen kommen, das muss gemeinsam mit der eigenen Mannschaft ent- wickelt werden“, weiß Seidelmann. Zugleich hätten es Mittelständler hier schwerer, im Alltagsgeschäft Raum zu schaffen, sich mit den neuen Themen zu befassen. Die von vielen Mittelständlern als „abgehoben“ wahrgenommene Diskussion um Industrie 4.0 ver- ändert sich jedoch gerade, glaubt Seidelmann: „Es gab viel Geld für Forschungsprojekte, aus denen gute Ideen entstanden sind. Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem aus den Konzepten wirtschaftlich belastbare Lösungen gebaut wer- den, mit denen auch die KMUs abgeholt werden können“. So ha- be das Fraunhofer IPA beispiels- weise ein Applikationszentrum Industrie 4.0 gestartet. „Es gibt durchaus modulare Lösungen, die eine iterative Her- angehensweise des Ausprobierens und eine schrittweise Umsetzung erlauben“, so der Fraunhofer-Ex- perte. Für viele Unternehmen werde sich aus wirtschaftlicher Sicht nur ein Teil der Digitalisie- rungslösungen umsetzen lassen. Deshalb sei es wichtig, herauszu- finden, wo der Fokus liegen sollte. Neben den Industrie 4.0-Zentren, in denen gemeinsam mit Experten über Ideen nachgedacht werden kann, sieht Seidelmann einen Trend in Kooperationen kleinerer Unternehmen, die im Verbund unter Gleichgesinnten an Themen arbeiten. „Die erste Phase ist die Daten- erfassung: Die Unternehmen müs- sen es schaffen, den physikali- schen Zustand ihrer Fertigungs- systeme zeitnah in der IT zu re- präsentieren. Die komplette Er- fassung in riesigen Daten-Seen ergibt für KMUs jedoch in der Regel keinen Sinn“, glaubt Seidel- mann. Stattdessen müssten Daten gezielt ausgewählt werden. Zwar bringe die Datenerfassung im ers- ten Schritt keinen Mehrwert, son- dern erfordere zunächst Investi- tionen. „Wenn man aber die digi- tale Kopplung der Daten geschafft hat, lassen sich schrittweise Op- timierungen beim Maschinenbe- trieb und Lagerhaltung erzielen, die sich auszahlen“, so der Exper- te. So ließen sich der Materialfluss in der Fabrik und die Prozesspa- rameter anpassen, bis hin zur Re- Konfiguration ganzer Linien. „Das ist die Grundlage, um sich der Herausforderung zunehmend klei- ner Losgrößen und der Massen- personalisierung zu stellen. Ohne digitale Unterstützung geht das nicht“, sagt Joachim Seidelmann. Doch je besser die Unterstützung, desto höher die Kosten. Mit Blick auf ein möglichst durchgängiges digitales Abbild von Produktions- prozess und Produkten, Stichwort digitaler Zwilling oder digitaler Schatten, müssen die Unterneh- men genau hinschauen. „Welche Informationen brauche ich und wie nah an der Echtzeit müssen sie sein? Diese beiden Faktoren bestimmen die Kosten, die ich in Kauf nehmen muss“, erklärt Sei- delmann. Dass auch die Hardware immer häufiger aus dem Consumer-Be- reich kommt und damit günstig zu haben ist, zum Beispiel bei Ka- mera- oder Sensortechnologie, kommt vor allem den kleineren Unternehmen zugute. Durch de- ren Nutzung lasse sich auch die Datenerfassung teilweise automa- tisieren. „Bei der ‚sehenden Fabrik‘ werden noch große Sprünge ge- macht werden“, ist sich Seidel- mann sicher. Zunehmend gebe es günstigere smarte Kameras, in denen Auswerteintelligenz bereits integriert ist. Mit den Demonstratoren erleben Unternehmen im Applikationszentrum des Fraunhofer IPA den systemati- schen Entwicklungsweg zu Industrie 4.0. Digitalisierung Die Fabrikdigitalisierung erfordert handfeste Lösungen Die visionären Konzepte von Industrie 4.0 sind an vielen kleinen und mittleren Unternehmen vorbeigegangen. Dennoch ist auch für sie die Digitalisierung überlebensnotwendig. Jetzt sind pragmatische Lösungen gefragt – wie sie in der Fabrik schon immer üblich waren. Bild: Universität Stuttgart IFF/Fraunhofer IPA, Stephan Maier CNC Outlet Center „Für kleine und mittlere Unter- nehmen ist es schwierig, unter dem Oberbegriff von Industrie 4.0 pragmatische Lösungen für ihr Unternehmen zu finden. Es fehlt an spezifischen Informationen und es existieren noch zu wenige einheitliche Standards, an denen sich Lösungsanbieter orientieren können“, glaubt René Schmidt, Geschäftsführer des CNC Outlet Centers, das über den Ver- triebspartner G+S Werkzeugma- schinen gebrauchte Werkzeugma- schinen vertreibt und Kunden zum Einsatz der Maschinen berät. Die Digitalisierung in der Fertigung sei jedoch ein konkretes Thema und hier gebe es eine Reihe von Bausteinen, die KMUs sehr wohl helfen könnten, meint Schmidt. So sei ein ständiger Statusbericht über den bestehenden Maschinen- park ein erster, hilfreicher Schritt. Diverse Anbieter hätten bereits einfache Lösungen im Programm, die selbst ohne weitere Vernet- zung und Schnittstellen die wich- tigsten Statuszustände einer Ma- schine per Smartphone App an den jeweiligen Nutzer übermitteln könnten. Sinnvoll sei es auch, im nächsten Schritt Daten auf CNC- Industrie 4.0

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18 · Unternehmen + Märkte · Produktion · 18. Juli 2018 · Nr. 17

Die Experten sind sich einig: Die großen Konzepte für Industrie 4.0 lassen KMUs eher ratlos zurück. Mit Technologien rund um Künst-liche Intelligenz (KI) trifft nun schon die nächste Welle mit Dis-ruptionspotential auf die Ferti-gungsbranche. Ob aber auf Teufel komm raus Daten gesammelt oder mit Augenmaß vorgegangen wer-den soll, da sind sich die Experten uneins. Klar ist, dass sich perspek-tivisch mit wenigen Ausnahmen auch kein kleines oder mittelstän-disches Unternehmen der Digita-lisierung entziehen kann.

„Wir sehen, dass mittlerweile auch die kleinen und mittleren Fertigungsunternehmen die Digi-talisierung sehr ernstnehmen“, konstatiert Joachim Seidelmann, Leiter des Kompetenzzentrums DigITools am Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Au-tomatisierung IPA. Während die großen Konzerne externe Digital-Labs gründen oder eine Zentral-abteilung für das Thema schaffen, müssten KMUs einen anderen Ansatz wählen. „Abstrakte Indus-trie 4.0-Konzepte, die technolo-gisch an Grenzen gehen, helfen kleinen Mittelständlern über-haupt nicht“, sagt Seidelmann. Gute Erfahrungen habe man hin-gegen mit Workshops, in denen

Unternehmen anhand von Bei-spielen die Möglichkeiten entde-cken und Ideen mitnehmen, wie diese Ansätze individuell im eige-nen Umfeld genutzt werden könn-ten. „Die Digitalisierung der Fer-tigung kann nicht von außen kommen, das muss gemeinsam mit der eigenen Mannschaft ent-wickelt werden“, weiß Seidelmann. Zugleich hätten es Mittelständler hier schwerer, im Alltagsgeschäft Raum zu schaffen, sich mit den neuen Themen zu befassen.

Die von vielen Mittelständlern als „abgehoben“ wahrgenommene Diskussion um Industrie 4.0 ver-ändert sich jedoch gerade, glaubt Seidelmann: „Es gab viel Geld für Forschungsprojekte, aus denen gute Ideen entstanden sind. Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem aus den Konzepten wirtschaftlich belastbare Lösungen gebaut wer-den, mit denen auch die KMUs abgeholt werden können“. So ha-be das Fraunhofer IPA beispiels-weise ein Applikationszentrum Industrie 4.0 gestartet.

„Es gibt durchaus modulare Lösungen, die eine iterative Her-angehensweise des Ausprobierens und eine schrittweise Umsetzung erlauben“, so der Fraunhofer-Ex-perte. Für viele Unternehmen werde sich aus wirtschaftlicher

Sicht nur ein Teil der Digitalisie-rungslösungen umsetzen lassen. Deshalb sei es wichtig, herauszu-finden, wo der Fokus liegen sollte. Neben den Industrie 4.0-Zentren, in denen gemeinsam mit Experten über Ideen nachgedacht werden kann, sieht Seidelmann einen Trend in Kooperationen kleinerer Unternehmen, die im Verbund unter Gleichgesinnten an Themen arbeiten.

„Die erste Phase ist die Daten-erfassung: Die Unternehmen müs-sen es schaffen, den physikali-schen Zustand ihrer Fertigungs-systeme zeitnah in der IT zu re-präsentieren. Die komplette Er-fassung in riesigen Daten-Seen ergibt für KMUs jedoch in der Regel keinen Sinn“, glaubt Seidel-mann. Stattdessen müssten Daten gezielt ausgewählt werden. Zwar bringe die Datenerfassung im ers-ten Schritt keinen Mehrwert, son-dern erfordere zunächst Investi-tionen. „Wenn man aber die digi-tale Kopplung der Daten geschafft hat, lassen sich schrittweise Op-timierungen beim Maschinenbe-trieb und Lagerhaltung erzielen, die sich auszahlen“, so der Exper-te. So ließen sich der Materialfluss in der Fabrik und die Prozesspa-rameter anpassen, bis hin zur Re-Konfiguration ganzer Linien. „Das

ist die Grundlage, um sich der Herausforderung zunehmend klei-ner Losgrößen und der Massen-personalisierung zu stellen. Ohne digitale Unterstützung geht das nicht“, sagt Joachim Seidelmann. Doch je besser die Unterstützung, desto höher die Kosten. Mit Blick auf ein möglichst durchgängiges digitales Abbild von Produktions-prozess und Produkten, Stichwort digitaler Zwilling oder digitaler Schatten, müssen die Unterneh-men genau hinschauen. „Welche Informationen brauche ich und wie nah an der Echtzeit müssen sie sein? Diese beiden Faktoren bestimmen die Kosten, die ich in Kauf nehmen muss“, erklärt Sei-delmann.

Dass auch die Hardware immer häufiger aus dem Consumer-Be-reich kommt und damit günstig zu haben ist, zum Beispiel bei Ka-mera- oder Sensortechnologie, kommt vor allem den kleineren Unternehmen zugute. Durch de-ren Nutzung lasse sich auch die Datenerfassung teilweise automa-tisieren. „Bei der ‚sehenden Fabrik‘ werden noch große Sprünge ge-macht werden“, ist sich Seidel-mann sicher. Zunehmend gebe es günstigere smarte Kameras, in denen Auswerteintelligenz bereits integriert ist.

Mit den Demonstratoren erleben Unternehmen im Applikationszentrum des

Fraunhofer IPA den systemati-schen Entwicklungsweg

zu Industrie 4.0.

DigitalisierungDie Fabrikdigitalisierung

erfordert handfeste LösungenDie visionären Konzepte von Industrie 4.0 sind an vielen kleinen und mittleren Unternehmen vorbeigegangen. Dennoch ist auch für sie die Digitalisierung überlebensnotwendig. Jetzt sind pragmatische Lösungen gefragt –

wie sie in der Fabrik schon immer üblich waren.

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„Für kleine und mittlere Unter-nehmen ist es schwierig, unter dem Oberbegriff von Industrie 4.0 pragmatische Lösungen für ihr Unternehmen zu finden. Es fehlt an spezifischen Informationen und es existieren noch zu wenige einheitliche Standards, an denen sich Lösungsanbieter orientieren können“, glaubt René Schmidt, Geschäftsführer des CNC Outlet Centers, das über den Ver-triebspartner G+S Werkzeugma-schinen gebrauchte Werkzeugma-schinen vertreibt und Kunden zum Einsatz der Maschinen berät. Die Digitalisierung in der Fertigung sei jedoch ein konkretes Thema und hier gebe es eine Reihe von Bausteinen, die KMUs sehr wohl helfen könnten, meint Schmidt. So sei ein ständiger Statusbericht über den bestehenden Maschinen-park ein erster, hilfreicher Schritt. Diverse Anbieter hätten bereits einfache Lösungen im Programm, die selbst ohne weitere Vernet-zung und Schnittstellen die wich-tigsten Statuszustände einer Ma-schine per Smartphone App an den jeweiligen Nutzer übermitteln könnten. Sinnvoll sei es auch, im nächsten Schritt Daten auf CNC-

Industrie 4.0

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Steuerungsebene abzugreifen – zum Beispiel wie viel Zeit ein Bauteil noch bis zur Fertigstellung benötigt oder wie viele Bauteile noch gefertigt werden müssen, bis der Auftrag abgeschlossen ist. Auch die Maschinen zu vernetz-ten, die das Bauteil in mehreren Prozessschritten durchläuft, lie-fere oft relevanten Input für eine effizientere Fertigung. Doch der Experte sieht viele Hürden. Zum Beispiel sei die Vielfalt der Ferti-gungsaufgaben so groß und die jeweiligen Aufgabenstellungen oft so individuell, dass eine durchge-hende Automatisierung häufig nur mit sehr großem finanziellen Auf-wand umsetzbar sei, und die Wirt-schaftlichkeit damit nicht mehr gegeben.

Auch an anderer Stelle gerate die Automatisierung in der Praxis aus Sicht von Schmidt schnell an ihre Grenzen: „Intelligente Soft-ware kann zwar dabei helfen, eine Bearbeitungsstrategie für ein Bau-teil zu entwickeln, das als CAD-Zeichnung mit dem Kundenauf-trag kommt. Sehr oft fällt dann aber erst mit der Umsetzung auf, dass die ursprünglich geplante Vorgehensweise angepasst werden muss“. Nicht ohne Grund würden vor Start einer Serienfertigung oft mehrere Prototypen hergestellt, um sowohl Maschinen als auch Werkzeuge auf das gewünschte Fertigungsergebnis hin zu opti-mieren. Die Wunschvorstellung einer vollständig automatisierten Industrie-4.0-Welt sieht er deshalb zum heutigen Zeitpunkt als wenig realistisch – außer es wird ein maßgeschneidertes System ent-wickelt, das in der Regel mehrere Hunderttausend Euro kostet.

„Viele Mittelständler sind Lohn-fertiger, sie wissen nicht, was sie in zwei Wochen herstellen werden. Für sie macht es keinen Sinn, eine spezielle Infrastruktur um einige Maschinen zu bilden und dabei vielleicht noch auf einen spezifi-schen Maschinenhersteller zu setzen, wenn sich in kurzer Zeit so vieles ändern kann“, so Schmidt. Insbesondere solche Betriebe, die vor allem Einzelteile fertigen, könnten kaum Nutzen aus einer vollständigen Digitalisierung zie-hen. Hier sei in der Regel immer ein Mitarbeiter an der Maschine. Eine große Zahl an Fertigungsun-ternehmen fallen laut Schmidt in diese Kategorie, die Einzelteile und Kleinserien fertigen. Nur in der Serienfertigung aber könnten die Unternehmen von höheren Digi-talisierungsgraden profitieren.

René Schmidt rät deshalb, sich ganz konkret anhand der eigenen Situation mit den Ausschnitten von Industrie 4.0 zu beschäftigen,

die jeweils passen. Dazu müssten Unternehmen ihre Strukturen, ihr Produktprogramm und ihre Ziele analysieren und daraus die mög-lichen Potentiale ermitteln. „Bei Einzelteil- und Kleinserienferti-gern gehört das Thema vor allem in die Entwicklung, um zum Bei-spiel die Bauteilanalyse und Kal-kulationen zu optimieren. In der Großserienfertigung geht es beim Thema Industrie 4.0 eher um die Prozessoptimierung, um die Mi-nimierung von Durchlaufzeiten, Stückkosten und Stillstandzeiten im Fertigungsprozess“, konstatiert der Experte.

Maschinenfabrik Reinhausen

„Es tun sich noch einige mittel-ständische Unternehmen schwer, manche versuchen, das Thema Digitalisierung auszusitzen, an-dere sind schon sehr innovativ dabei – es gibt die ganze Band-breite. Aber auch bei größeren Unternehmen gibt es teilweise die sprichwörtliche Lehmschicht, die eine schnelle Digitalisierung ver-hindert“, sagt Johann Hofmann (www.johannhofmann.info), Grün-der des Geschäftsbereichs Value-Facturing der Maschinenfabrik Reinhausen. Der Bereich vertreibt das gleichnamige Cloud-Assistenz-system, mit dem komplexe Ferti-gungen zu Smart Factory werden sollen.

„In unseren rund 30 Digitalisie-rungsprojekten hat sich immer wieder gezeigt, dass die größte Hürde in unvollständigen Stamm-daten in Systemen wie ERP, Pro-duktionsplanung- und Steuerung, Werkzeugdatenbank oder Fein-steuerung liegt“, berichtet Hof-

mann. Wenn digitale Assistenz-systeme übernehmen, dann funk-tioniert das nur auf Basis von vollständigen Stammdaten, meint Hofmann. Sobald das Papier weg-falle, das bisher in vielen Fabriken noch immer Prozesse bestimmt, würden die Lücken in den Daten offenbar.

Auch die „Brown Field“-Struk-turen erschweren die Digitalisie-rung. „Man hat heute Maschinen, die neu oder bis zu 30 Jahre alt sind. Diese Maschinenparks zu digitalisieren ist sozusagen Häu-serkampf – jede Maschine muss eigens bis auf CNC-Daten-Ebene angefasst werden“, so Hofmann. Mit seinem digitalen Assistenz-system sollen alle Maschinen über einen zentralen Daten-Hub ver-netzt werden. Um auch die Pro-zesse fit für die Digitalisierung zu machen, rät Hofmann, sie mit Lean-Methoden zu klären und keine alten „Trampelpfade“ mit in die digitale Welt zu nehmen. Bei seinem Ansatz des ValueFacturing setzt Hofmann darauf, sämtliche Datentöpfe der Systeme von ERP bis Werkzeugdatenbank zu ver-netzen. „Alle Systeme müssen miteinander sprechen“, glaubt Hofmann.

Beim digitalen Ansatz liegen alle Unterlagen für ein Werk pa-pierlos vor, die Daten werden nicht mehr manuell erfasst, son-dern Werkzeugdaten kommen digital an die Maschine. Den Nut-zen sieht Hofmann unter anderem bei schnelleren und fehlerfreien Umrüstvorgängen. „Vor allem wird die wirtschaftliche Fertigung kleinster Losgrößen und die Be-herrschung beliebiger Varianz möglich“, meint der Digitalisie-rungs-Experte. Aus den digitalen Lebenslaufdaten lasse sich bei-spielsweise auch ableiten, wie

„KI wird Kernthema.“Oliver Bludau, Partner bei der Berghoff Group

„Gesamtkonzept Industrie 4.0 ist für KMUs zu überladen.“

René Schmidt, Geschäftsführer des CNC Outlet Centers

„Digitalisierungs-Lösungen für KMUs kommen.“

Joachim Seidelmann, Leiter des Kompe-tenzzentrums DigITools am Fraunhofer IPA

stabil oder instabil NC-Programme laufen und daraus Verbesserungen initiieren.

Um die Mitarbeiter gut auf den Weg in die Zukunft mitzunehmen, rät Hofmann: „Man sollte die vor-handenen Altlasten nicht schlecht-reden, sondern respektieren, wie die Mitarbeiter mangels besserer Angebote bisher gearbeitet ha-ben“. Abwehr entstehe dann, wenn sofort mit der Veränderung be-gonnen wird. Über sogenannte Mitarbeitstage können Mitarbei-ter sich zum Beispiel in der Ma-schinenfabrik Reinhausen an-schauen, wie mit einem digitalen Assistenzsystem gearbeitet wird. „Das ist ein bisschen, als sei man immer mit dem Stadtplan Auto gefahren. Wenn man ein paarmal ein Navi benutzt, will man nicht zum alten Vorgehen zurück“, so Hofmann.

Berghoff Group Die Berghoff-Gruppe hat sich mit rund 180 Mitarbeitern auf die me-chanische Bearbeitung hochkom-plexer Komponenten und Bau-gruppen spezialisiert. Auch KMUs müssen im Rahmen der Digitali-sierung dringend Technologien rund um Künstliche Intelligenz nutzen, glaubt Oliver Bludau, Part-ner bei der Berghoff Group. In der Produktion gebe es diverse An-satzpunkte für KI: Beim Deep Learning, das Arbeitsvorberei-tungsprozesse, Kalkulationen und Logistikprozesse verbessert, bei Robotics und beim Natural Lan-guage Processing NLP. „Egal, wo-her mein Mitarbeiter kommt, zum Beispiel mit Blick auf Migrations- oder Flüchtlingshintergründe – ich werde mit ihm in seiner Sprache

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Das Effizienzsystem „Fraunhofer IPA“ Spritzgussanlage.

„Gepflegte Daten sind elementare Grundlage für die Automatisierung.“ Johann Hofmann, Gründer des Geschäftsbereichs ValueFacturing der Maschinenfabrik Reinhausen.

kommunizieren können“, sagt Bludau. So können zum Beispiel Arbeitsanweisungen in mehreren Sprachen angezeigt werden.

„Ein durchgängiges digitales Abbild von Produktionsprozess und Produkten ist zwingend, um zukunftsfähig zu bleiben. Maxi-male Transparenz meiner Prozes-se und das sich daraus ergebende Wissen ist die Basis für jegliche Entscheidung für die folgenden Prozesse“, sagt Bludau. Viele Un-ternehmen dächten das Thema KI nicht zu Ende. „Für die meisten bedeutet Künstliche Intelligenz Big Data und Analyse, die ein Rechner für mich übernimmt. Viel elementarer ist aber eine zuver-lässige Entscheidungsfähigkeit, die durch KI erreicht wird“, so der Experte, der selbst KI am MIT in Boston studiert hat. Dafür aber seien Daten notwendig. „Es geht darum, alles zu messen, das ir-gendwie messbar ist, auch wenn es im ersten Moment nicht offen-sichtlich ist, warum ich es brau-chen könnte“, sagt Bludau. Ohne Data Scientist zur Anwendung der Grundlagen in der eigenen Pro-duktion und ohne Data Strategist, der im Blick behält, welche Ziele mit den Daten verfolgt werden sollen, sei es jedoch schwierig.

„Die größten Herausforderun-gen sehen wir im Bereich des Cul-tural Change“, erklärt Bludau. Es gehe nicht nur darum, neue The-men in eine Umgebung einzubrin-gen, in der sich seit Jahrzehnten nur vergleichsweise wenig gewan-delt hat. Zugleich müsse das in vielen Bereichen wie Fertigung, Einkauf, Arbeitsvorbereitung, Lo-gistik und Qualität – und damit in verschiedensten Systemen ge-schehen. „Das alles muss zudem in einer hohen Geschwindigkeit erfolgen, da die Innovationszyklen nicht mehr zehn Jahre dauern, sondern Ansätze teilweise in sechs Monaten obsolet sein können. Agilität ist zwar ein Buzzword, aber das ändert nichts daran, dass Unternehmen heute agiler denn je sein müssen“, ist Oliver Bludau überzeugt. Doch welche Digitali-sierungsthemen müssen in der Produktion unbedingt angegan-gen werden? „Für mich neben KI ganz klar das Ideenmanagement, also das Heben des Goldes in den Köpfen der Mitarbeiter“, sagt der Experte. Bei Berghoff habe man mit einer Ideenmanagement-Plattform deutliche Verbesserun-gen bei Qualität, Logistik, Tech-nologie und Kosten erreicht. Der-zeit arbeitet man daran, Daten zu über 10.000 Kalkulationen aus den letzten drei Jahrzehnten auszu-werten. Das Ziel: Projekte nahezu perfekt kalkulieren zu können.

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