ZU RADIKAL FÜR AMERIKA? · wohl das 2003 eröffnete McCormick Tribune Campus Center auf dem IIT...

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1 Erweiterungs- projekte für das Whithney Museum in New York 80 archithese 5.2007 ZU RADIKAL FÜR AMERIKA? ten Expressionismus, die den «Schönen Künsten» ein abrup- tes Ende bereiteten. Der Kurator Willem Sandberg konzi- pierte so Räume für Künstler, die «sich besessen in das Un- bekannte» stürzen, «um das Neue, das andrängende Leben sichtbar, greifbar, hörbar, wahrnehmbar zu machen». 2 Diese kompromisslose Neugierde und unmittelbare Er- fahrung von Urbanität charakterisiert auch Rem Koolhaas’ Entwürfe für eine Reihe von bedeutenden US-amerikani- schen Kunstmuseen. Auch wenn seine Entwürfe, abgesehen von den zwei Guggenheim-Kunsthallen in Las Vegas, nicht baulich realisiert wurden, veranschaulichen diese viel be- achteten Konzepte dennoch die langjährige Auseinanderset- zung des niederländischen Architekten mit der institutionel- len Spannung zwischen «modern sein» und der Musealität des traditionellen Museums. Seine Kritik an der «dictatorial parade on foot past artifacts» inspirierte typologische Inno- vationen im OMA-Projektportfolio, etwa den «continuous plane» der 1992 realisierten Kunsthal in Rotterdam oder das «Variable-speed Museum» im Wettbewerbsentwurf für die Tate Modern in London. Im Zentrum seiner kritischen Mo- dernisierung der Moderne und des Museums stehen dabei immer wieder Schlüsselbauten von Mies van der Rohe. So- wohl das 2003 eröffnete McCormick Tribune Campus Center auf dem IIT Campus in Chicago als auch die Ausstellung Con- tent in Mies’ Neuer Nationalgalerie in Berlin im Jahr 2004 können als provokante räumliche Reflexionen dieser Frage betrachtet werden. Statt einer einfühlsamen Ergänzung in- szeniert Rem Koolhaas mit seinen Miestakes einen kontro- versen Dialog, in dem die geometrischen Kompositionen der Moderne auf sein durch Arte Povera und Surrealismus ge- prägtes Architekturverständnis prallen. Mit industriellen Halbzeugen aus Kunststoff in intensiven Farben, offenen In- stallationen hinter transluzenten Verkleidungen und abge- hängten Decken mit sichtbaren Konstruktionsfugen kompo- niert Rem Koolhaas eine vielschichtige Collage, die als pro- Text: Bettina Schürkamp «You can be a Museum or you can be Modern, but you can’t be both.» 1 Mit dieser kritischen Einschätzung des Museums wies Gertrude Stein entschieden die Anfrage des ersten Di- rektors des Museum of Modern Art ab, ihre Sammlung mo- derner Kunst der Institution zu stiften. «Modern sein» und die Musealität des Museums standen für die in Paris lebende Mäzenin in einem unüberbrückbaren Gegensatz zueinander. In ihrem Salon trafen sich Schriftsteller, Intellektuelle und Künstler wie Picasso oder Matisse zu einem inspirierenden Austausch, von dem wesentliche Impulse für die Moderne ausgingen. Die starren Ordnungssysteme des traditionellen Museums waren für sie unvereinbar mit der Dynamik einer künstlerischen Arbeit, die sich an der unmittelbaren Kon- frontation von Kunst und Leben entzündete. Die pointierte Kritik der US-amerikanischen Schriftstellerin und Verlegerin hat auch heute, Jahrzehnte später, nicht an Aktualität verlo- ren. Wie kann Moderne im Rahmen des Museums heute noch «modern sein»? Ist sie nicht längst zu einem historisierenden Stil erstarrt, der den sozialkritischen Ansatz der Pioniere als Konformität und wohlgefälligen Museumsstil etabliert hat? In seiner Studie für die Erweiterung des MoMA aus dem Jahr 1997 bezieht sich Rem Koolhaas explizit auf Gertrude Steins These und knüpft damit an eine kontroverse Debatte an, die zahlreiche alternative Modelle für die Institution Mu- seum hervorgebracht hat. Unter anderem propagieren diese «Das Ende der Distanz» zwischen Kunst und Alltag, verwan- deln das Museum in ein «Labor der Gesellschaft» (Beuys) oder gar in ein «dynamisches Archiv» (Herzog & de Meuron). Das Stedelijk Museum für moderne Kunst in Amsterdam ver- körpert eines jener Konzepte, die Rem Koolhaas schon früh durch Innovationen im Bereich Präsentation, Öffentlichkeits- arbeit und Performance beeinflusst haben. Das «Museum im Leben» war ein offenes, vitales Museumskonzept für Kunst- strömungen wie Actionpainting, Art Informel oder abstrak- Rem Koolhaas’ Konzepte für Kunstmuseen in den USA Die meisten Versuche von Rem Koolhaas, die Institution Kunstmuseum typologisch und organisatorisch zu modernisieren, sind gescheitert. Realisiert werden konnten nur zwei Projekte in Las Vegas.

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1 Erweiterungs-projekte für dasWhithney Museumin New York

80 archithese 5.2007

ZU RADIKAL FÜR AMERIKA?

ten Expressionismus, die den «Schönen Künsten» ein abrup-

tes Ende bereiteten. Der Kurator Willem Sandberg konzi-

pierte so Räume für Künstler, die «sich besessen in das Un-

bekannte» stürzen, «um das Neue, das andrängende Leben

sichtbar, greifbar, hörbar, wahrnehmbar zu machen».2

Diese kompromisslose Neugierde und unmittelbare Er-

fahrung von Urbanität charakterisiert auch Rem Koolhaas’

Entwürfe für eine Reihe von bedeutenden US-amerikani-

schen Kunstmuseen. Auch wenn seine Entwürfe, abgesehen

von den zwei Guggenheim-Kunsthallen in Las Vegas, nicht

baulich realisiert wurden, veranschaulichen diese viel be-

achteten Konzepte dennoch die langjährige Auseinanderset-

zung des niederländischen Architekten mit der institutionel-

len Spannung zwischen «modern sein» und der Musealität

des traditionellen Museums. Seine Kritik an der «dictatorial

parade on foot past artifacts» inspirierte typologische Inno-

vationen im OMA-Projektportfolio, etwa den «continuous

plane» der 1992 realisierten Kunsthal in Rotterdam oder das

«Variable-speed Museum» im Wettbewerbsentwurf für die

Tate Modern in London. Im Zentrum seiner kritischen Mo-

dernisierung der Moderne und des Museums stehen dabei

immer wieder Schlüsselbauten von Mies van der Rohe. So-

wohl das 2003 eröffnete McCormick Tribune Campus Center

auf dem IIT Campus in Chicago als auch die Ausstellung Con-

tent in Mies’ Neuer Nationalgalerie in Berlin im Jahr 2004

können als provokante räumliche Reflexionen dieser Frage

betrachtet werden. Statt einer einfühlsamen Ergänzung in-

szeniert Rem Koolhaas mit seinen Miestakes einen kontro-

versen Dialog, in dem die geometrischen Kompositionen der

Moderne auf sein durch Arte Povera und Surrealismus ge-

prägtes Architekturverständnis prallen. Mit industriellen

Halbzeugen aus Kunststoff in intensiven Farben, offenen In-

stallationen hinter transluzenten Verkleidungen und abge-

hängten Decken mit sichtbaren Konstruktionsfugen kompo-

niert Rem Koolhaas eine vielschichtige Collage, die als pro-

Text: Bettina Schürkamp

«You can be a Museum or you can be Modern, but you can’t

be both.»1 Mit dieser kritischen Einschätzung des Museums

wies Gertrude Stein entschieden die Anfrage des ersten Di-

rektors des Museum of Modern Art ab, ihre Sammlung mo-

derner Kunst der Institution zu stiften. «Modern sein» und die

Musealität des Museums standen für die in Paris lebende

Mäzenin in einem unüberbrückbaren Gegensatz zueinander.

In ihrem Salon trafen sich Schriftsteller, Intellektuelle und

Künstler wie Picasso oder Matisse zu einem inspirierenden

Austausch, von dem wesentliche Impulse für die Moderne

ausgingen. Die starren Ordnungssysteme des traditionellen

Museums waren für sie unvereinbar mit der Dynamik einer

künstlerischen Arbeit, die sich an der unmittelbaren Kon-

frontation von Kunst und Leben entzündete. Die pointierte

Kritik der US-amerikanischen Schriftstellerin und Verlegerin

hat auch heute, Jahrzehnte später, nicht an Aktualität verlo-

ren. Wie kann Moderne im Rahmen des Museums heute noch

«modern sein»? Ist sie nicht längst zu einem historisierenden

Stil erstarrt, der den sozialkritischen Ansatz der Pioniere als

Konformität und wohlgefälligen Museumsstil etabliert hat?

In seiner Studie für die Erweiterung des MoMA aus dem

Jahr 1997 bezieht sich Rem Koolhaas explizit auf Gertrude

Steins These und knüpft damit an eine kontroverse Debatte

an, die zahlreiche alternative Modelle für die Institution Mu-

seum hervorgebracht hat. Unter anderem propagieren diese

«Das Ende der Distanz» zwischen Kunst und Alltag, verwan-

deln das Museum in ein «Labor der Gesellschaft» (Beuys)

oder gar in ein «dynamisches Archiv» (Herzog & de Meuron).

Das Stedelijk Museum für moderne Kunst in Amsterdam ver-

körpert eines jener Konzepte, die Rem Koolhaas schon früh

durch Innovationen im Bereich Präsentation, Öffentlichkeits-

arbeit und Performance beeinflusst haben. Das «Museum im

Leben» war ein offenes, vitales Museumskonzept für Kunst-

strömungen wie Actionpainting, Art Informel oder abstrak-

Rem Koolhaas’ Konzepte für Kunstmuseen in

den USA Die meisten Versuche von Rem Koolhaas,

die Institution Kunstmuseum typologisch und

organisatorisch zu modernisieren, sind gescheitert.

Realisiert werden konnten nur zwei Projekte in

Las Vegas.

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vokative Antithese zu Mies’ Perfektion in Stahl und Glas im-

mer wieder neu die Kriterien der Moderne kritisch reflektiert.

Erweiterung des MoMA und des Whitney Museums

In diesem Sinne sind auch die nicht realisierten Entwürfe für

die Erweiterung des MoMA und des Whitney Museums in

New York nicht als direkte Fortsetzungen des klassischen

Kanons der Moderne konzipiert, sondern stellen den denk-

malgeschützten Ikonen des 20. Jahrhunderts eine zeitge-

mässe Interpretation des «Modernseins» als Modernität

gegenüber. Gemeinsam mit Arup konzipierte OMA für das

Whitney Museum eine amorph geformte Raumskulptur, die

sich als Sichtbetonkonstruktion in die Zwischenräume der

existierenden Gebäude einfügt. Als städtebauliches Zeichen

entwickelt sie sich innerhalb der unsichtbaren Regulationen

des zoning laws dynamisch in die Höhe und erhebt sich über

den denkmalgeschützten Gebäudeabschnitt von Marcel

Breuer. Die futuristische Konstruktion verleiht dem Entwurf

seine Ausdruckskraft und verweist auf Theodor Adornos Auf-

fassung von Modernität als kontinuierliche technische Inno-

vation: «Das inhaltliche Moment von künstlerischer Moderne

zieht seine Gewalt daraus, dass die jeweils fortschrittlichsten

Verfahren der materiellen Produktion in sie eingehen.»3 An-

gelehnt an Baudelaires Modernitätsdefinition von 1863 defi-

niert sich modernité hier nicht als Gegensatz zwischen den

Epochen. Stattdessen hat jede Zeit ihre eigene Weise, die ge-

heimnisvolle Schönheit des Lebens zu fassen: «Die Moder-

nität ist das Vorübergehende, das Entschwindende, das Zu-

fällige, ist die Hälfte der Kunst, deren andere Hälfte das

Ewige und Unabänderliche ist.»4

Angesichts dieser und anderer expressiver Raumvisionen,

die für die Erweiterungen des Whitney Museums und des

MoMA vorgelegt wurden, stellt sich die Frage, warum sich

die Museumsleiter gegen architektonische Innovationen und

für Entwürfe im klassischen Kanon der Moderne entschieden

haben. Die ausgewählten Konzepte von Yoshio Taniguchi für

das MoMA und von Renzo Piano für das Whitney Museum fü-

gen sich nahtlos in den historischen Kontext ein; eine kriti-

sche Reflexion über «die Erneuerung und Reinterpretation

der modernen Vergangenheit» unterbleibt. In den Innenräu-

men des erweiterten MoMA verschwimmen die Unterschiede

zwischen dem Altbau und der Erweiterung von Yoshio Tani-

guchi zu einem zeitlosen weissen Kontinuum. In Anbetracht

der Aneinanderreihung immer gleicher Korridore, Lichthöfe

und Pfeilerstellungen liegt die Vermutung nahe, dass die

Festschreibung des Museums im Stil der Moderne durchaus

dem kuratorischen Konzept und Selbstverständnis der Mu-

seen entspricht. Welche Bedeutung haben die historische

Kontinuität und einheitliche Identität für die US-Museen?

Liegt diese Disposition möglicherweise schon in ihrer Ge-

schichte begründet?

Der Aufstieg der US-amerikanischen Museen wurde durch

den industriellen Wirtschaftsboom und den transatlantischen

Austausch von Kulturgütern am Ende des 19. und Anfang des

20. Jahrhunderts ausgelöst. In Städten wie New York, Boston,

Philadelphia und Chicago nutzen Industrielle, Bankiers und

Kaufleute ihr sprunghaft angestiegenes Vermögen, um mit

unvergleichlicher Geschwindigkeit europäische Kunst zu

sammeln. Innerhalb einer Generation gelang es ihnen, viele

der national und weltweit grössten Privatsammlungen zu-

sammenzutragen und Kunstmuseen als bedeutende kultu-

relle Non-Profit-Organisationen zu gründen. Viele dieser vom

Grosskapital gegründeten Museen verfügten neben den

Sammlungen über umfangreiche Bildungsprogramme für

Schüler, Kunststudenten und eingewanderte Bevölkerungs-

gruppen, um sie mit einer vereinenden Kultur sowie deren

Regeln und moralischen Grundwerten vertraut zu machen.

Während sich zeitgleich in Europa die Avantgarden gegen

das Regime der Museen auflehnten, repräsentierten die Mu-

seen der neuen Welt die soziale Stabilität und kulturellen Er-

rungenschaften der aufstrebenden Industrienation. Vor dem

Hintergrund dieser gesellschaftlichen und ideologischen

Funktion wurde das amerikanische Museum, angelehnt an

die europäische Museumstypologie, als komprimierte uni-

verselle Übersicht über die historische und geografische Ent-

wicklung der Kunst organisiert. Die Katalogisierung einer

sich stetig verändernden Welt wurde in die begehbare innen-

räumliche Ordnung des Museums übertragen, um Menschen

in einer pluralistischen Gesellschaft Orientierung und Halt

zu geben. Mit der europäischen Avantgarde entdeckte das

Grosskapital eine Kunstströmung, die der aufstrebenden

Nation eine eigene, unverwechselbare Identität verleihen

konnte.

Museumsboom und Markt

Am Ende des 20. Jahrhunderts lösten die digitale Revolution

und die Informationsgesellschaft erneut einen internationa-

len Museumsboom aus, in dem nun der expansive US-ameri-

kanische Kunstbetrieb Werke nach Europa und in die ganze

Welt exportiert. Rem Koolhaas’ Studie AMO investigates the

Art World veranschaulicht die Rolle der Kunst in den globalen

Finanzströmen und zeigt den sprunghaften Anstieg des Ka-

pitals in einem Kunstmarkt an der Schwelle zur Kulturwirt-

schaft. Die Expansion der 1937 gegründeten Solomon R. Gug-

genheim Foundation dokumentiert anschaulich die wach-

sende sozioökonomische Bedeutung von Museen und die

Parallelen zwischen Börsen- und Museumsboom. Zu dem von

Frank Lloyd Wright entworfenen Stammhaus in New York

und der Peggy Guggenheim Collection in Venedig, die beide

in den Fünfzigerjahren eröffnet worden waren, kamen seit

den Neunzigerjahren noch Dependancen in Bilbao, Berlin und

Las Vegas hinzu. Die im Herbst 2006 in der Bundeskunsthalle

in Bonn veranstaltete Ausstellung The Guggenheim: Archi-

tektur präsentierte die einzelnen Niederlassungen und nicht

realisierten Projekte des global operierenden Guggenheim-

Konzerns als eine erlesene Kollektion von ikonischen Gebäu-

den aus der Feder von Stararchitekten wie Zaha Hadid, Hans

Hollein oder Jean Nouvel. Im Zentrum der Ausstellung stan-

den neben Frank Lloyd Wrights Gebäude an der Upper East

Side von 1959 und Frank O. Gehrys Museum in Bilbao auch

Rem Koolhaas’ 2001 eröffnete Guggenheim-Ausstellungshal-

len Big Box und Jewelbox in Las Vegas. Abgesehen von die-

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sen gebauten Museen wurde auch eine grosse Anzahl von

nicht realisierten Entwürfen gezeigt, die zum Teil in Koope-

ration mit Industrieunternehmen weltweit für Finanzstand-

orte entworfen wurden. Die signature buildings sollten nicht

nur die Guggenheim Foundation als global operierenden Kon-

zern repräsentieren, sondern auch die Bedeutung der Stand-

orte als global cities betonen. Die wachsende Bedeutung von

kulturellen Institutionen als Instrumente der Stadterneue-

rung zeigt sich vor allem an Frank O. Gehrys 1997 eröffnetem

Guggenheim-Museum in Bilbao. Dieser Schlüsselbau der

Neunzigerjahre löste mit dem Bilbao-Effekt einen beispiel-

losen Boom von Kulturgebäuden aus. Doch trotz der interna-

tionalen Aufmerksamkeit und der grossen Presseresonanz

stellten sich nur wenig später die globalen Träume der Solo-

mon R. Guggenheim Foundation als finanzielle Fehlkalkula-

tion heraus. Der Bau weiterer Museen an anderen Standorten

wurde zunächst aufgeschoben. Die Dependance im New Yor-

ker Stadtteil SoHo und die spektakuläre Big Box in Las Vegas

wurden geschlossen.

Als Enklaven der Kunst in der Metropole des Glückspiels

waren Koolhaas’ Guggenheim-Ausstellungshallen unmittel-

bar von dem Besucherrückgang in Las Vegas nach dem

11. September 2001 und von der finanziellen Krise der Solo-

mon R. Guggenheim Foundation betroffen. Die intime Aus-

stellungshalle Jewelbox hingegen existiert weiter und prä-

sentiert, umringt von Spielautomaten, impressionistische

und russische Kunst in Zusammenarbeit mit dem Guggen-

heim in New York, der Eremitage in St. Petersburg und dem

Kunsthistorischen Museum in Wien.

Big Box und Jewelbox in Las Vegas

Für Rem Koolhaas, der sich seit seinem 1978 erschienenen

Buch Delirious New York immer wieder mit den Räumen der

kommerziellen Unterhaltung, Freizeitindustrie und des Kom-

merzes beschäftigt hatte, waren diese beiden Ausstellungs-

hallen für das Guggenheim in Las Vegas eine Fortsetzung

seiner langjährigen Auseinandersetzung mit der Popkultur.

Die Verbindung von Architektur und Massenkultur stellt für

ihn eine zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts dar,

die in seinen Studien wie den Harvard Projects on the City:

Shopping oder seiner Zusammenarbeit mit dem Modekon-

zern Prada immer wieder eine bedeutende Rolle spielt. Wie

können inmitten der freak culture des Massenkonsums

Räume für Kunst und Kultur entstehen, die Menschen anzie-

hen und doch eine gesellschaftliche Bedeutung haben? Die

typologischen Veränderungen von Museen, die immer mehr

zu Kaufhäusern, und Kaufhäusern, die immer mehr zu Mu-

seen werden (Andy Warhol), charakterisieren seine Ent-

würfe, in denen Kunstwerke wie Waren und Waren wie

Kunstwerke präsentiert werden.

Um eine breite Publikumsschicht anzusprechen, reali-

sierte Koolhaas 2001 im Venetian Resort Hotel eine zweige-

teilte Guggenheim-Dependance, in der sich die Ausstel-

lungshalle Big Box für spektakuläre Kunstinszenierungen

und die intimen Jewelbox gegenseitig ergänzen sollten. Mit

Blick auf die anderen signature buildings der Guggenheim-

Gruppe zählen die Ausstellungshallen in Las Vegas zu den

wenigen Projekten, die nicht als spektakuläre Skulpturen im

Stadtraum alle Blicke auf sich ziehen, sondern unvermittelt in

die künstliche Gipskarton-Welt des Strips eintauchen. Die Je-

welbox bildet als geschlossener introvertierter Stahlcontai-

ner einen effektvollen Gegensatz zu der über und über mit

Dekorationen bedeckten Kulissenarchitektur des Venetian

Resort Hotels. Baustellenfotos zeigen, wie die mit Corten-

Stahl verkleidete Galerie unvermittelt die Pappmaschee-Ge-

simse, gefälschten Deckengemälde und die Säulenstellung

der ehemaligen Vip-Lounge durchschneidet. Der reduzierte,

klar gegliederte Ausstellungsraum schafft eine konzentrierte

Atmosphäre inmitten der reizüberfluteten Spielwelt und be-

zieht sich mit seinen drehbaren Ausstellungswänden auf

Raumkonzepte von Mies van der Rohe. Die beweglich gela-

gerten Raumteiler ermöglichen es den Kuratoren, mit weni-

gen Handgriffen den Raumzuschnitt und die Hängung an die

immer neuen Wechselausstellungen anzupassen.

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Im Gegensatz zu der noch existierenden Jewelbox mit ih-

rer intimen, gedämpften Atmosphäre einer exklusiven Bou-

tique war die 2003 geschlossene Big Box als multifunktiona-

ler Raum mit vielfältigen Möglichkeiten geplant, in dem Aus-

stellungen aller Art mit Kunstobjekten jeder Grösse präsen-

tiert werden konnten. Seit seinem Entwurf für das Zentrum

für Kunst und Medientechnologie ZKM in Karlsruhe stand

Rem Koolhaas’ Vision eines Museums als riesige Maschine

und unendlich veränderbarer Container mit flexiblen Hebe-

bühnen vielversprechend im Raum. Dementsprechend konn-

ten in der Big Box wie in einem Hollywoodstudio auf flexiblen

Ausstellungskulissen immer neue Kunstausstellungen arran-

giert werden. Die Big Box wurde schliesslich mit der Wan-

derausstellung Art of the Motorcycle eröffnet, mit der das

Guggenheim-Museum auf neue Publikumsgruppen zielte

und sich in dem kommerziellen Unterhaltungsangebot am

Strip behaupten wollte.

Doch die Immersion in den Massenkonsum, die so vielver-

sprechend begann, zeigte bei näherer Betrachtung eine

Reihe von konzeptionellen Reibungspunkten. Die Wander-

ausstellung, die dem Publikum bereits in drei Städten mit viel

Erfolg gezeigt worden war, hatte am letzten Standort – trotz

der spektakulären Präsentation von Frank O. Gehry – schon

an Attraktivität verloren. Im Zuge der finanziellen Krise

wurde die hohe Flexibilität der Big Box zu einer zusätzlichen

finanziellen Belastung. Die Kosten für den Aufbau neuer Aus-

stellungskulissen mochte der finanziell angeschlagene Kon-

zern nicht mehr tragen und trennte sich 2003 nach nur einer

Ausstellung von dieser experimentellen Form des Museums.

Das Beispiel der Big Box zeigt, wie unmittelbar die fernge-

steuerten Guggenheim-Satelliten mit ihrem reduzierten

Raumprogramm dem ökonomischen Druck inmitten der Spiel-

hölle ausgeliefert waren. Im Vergleich zu der Zentrale in New

York mit ihrem umfangreichen Mitarbeiterstab stellt sich die

Frage, ob der so oft kritisierte institutionelle Rahmen des Mu-

seumskonzerns ausreichend Möglichkeiten für eine lokale

Vernetzung der Kulturinstitutionen eröffnet, die für ein Über-

leben in der Kulturwirtschaft wesentlich sein können.

LACMA – Flexibilisierung der Museumsorganisation

Nicht weit von Las Vegas gelang es Rem Koolhaas in seinem

Entwurf für das Los Angeles County Museum of Art, LACMA,

die Museumsdidaktik und -organisation als aktiven Bestand-

teil des öffentlichen Raums in sein Museumskonzept einzu-

beziehen. Nach zahlreichen Entwürfen für Museen mit Wech-

selausstellungen oder für kommerzielle Präsentationen

tauchte er mit diesem Projekt tief in die institutionelle Struk-

tur des Museums ein und verblüffte 2001 die LACMA-Leitung

mit dem Wettbewerbsbeitrag, den Gebäudekomplex nicht zu

erweitern, sondern vollständig durch einen Neubau zu erset-

zen. Auch wenn Rem Koolhaas diesen ersten Preis ob seiner

Radikalität nicht realisieren konnte, eröffnete die Tabula rasa

ihm die nötige Freiheit, das Museum typologisch neu zu kon-

zipieren. Modellfotos zeigen, wie der Besucher über eine

grosse Freitreppe den hellen, weiten Museumsraum unter ei-

nem fast fliegenden, organisch geformten Baldachin betritt.

Die Grosszügigkeit und Übersichtlichkeit des Ausstellungs-

raumes steht in einem krassen Gegensatz zu dem labyrinthi-

schen Altbau, der nach zahlreichen Erweiterungen einer un-

förmigen Gebäudecollage gleicht, die den organisatorischen

und strukturellen Anforderungen des Museums nicht mehr

gewachsen ist. Mit seinem neuen Entwurf gelingt Rem Kool-

haas förmlich die Quadratur des Kreises: In seinem Ausstel-

lungskonzept greifen «single and simultaneous narrative» in-

einander. Wie ein Hypertext sind unter dem organischen

Dach die Ebenen «Public Plaza», «Encyclopedic Plateau» und

«Pompeiian Plinth» durch zahlreiche Treppenhäuser verbun-

den, sodass die Besucher das Museum auf immer neuen

Wegen erkunden können. Dieses vielschichtige Modell geht

unter anderem auf den «continuous plane» der Rotterdamer

Kunsthal und ihre Weiterentwicklung im Wettbewerb für die

Tate Modern zurück. Das «Variable-speed Museum» verwan-

delte die Tate in eine Informationsmaschine, die durch «si-

multaneous applications of many technologies of mechanical

transport vastly extends the repertoire of potential move-

ment, multiplies the circumstances of the atavistic encounter

in the museum, and transcends the type’s centuryold limita-

tions». Das Museum bietet dadurch einerseits den für die

amerikanischen Museen so charakteristischen chronologi-

schen Überblick über die Geschichte der Kunst als «grossem

Narrativ». Anderseits ermöglicht die enzyklopädische Ein-

ordnung in Kunstströmungen und geografische Einflussfel-

der dem Besucher, sich ähnlich wie in einer Bibliothek frei zu

bewegen und eigene Verbindungen zu entdecken. Diese Fle-

xibilität und Interaktion mit dem Besucher ist vor allem für

Museen von Interesse, die in einen lokalen Kontext einge-

bunden sind und ihr Publikum für regelmässige Aktivitäten

gewinnen möchten.

Von den Kuratoren des LACMA wurde daher das OMA-

Museumskonzept begeistert aufgenommen, in dem das

«grosse Narrativ», einzelne Sammlungsfelder und die indivi-

duellen Bewegungsmuster der Besucher ineinandergreifen.

Dieser Entwurf hätte ganz neue Möglichkeiten geboten, Mu-

seumsdidaktik, ständige Sammlung, temporäre Ausstellun-

gen und Archive synergetisch miteinander zu verbinden. Im

Entwurf für das LACMA erzeugen die offenen Ebenen und

die helle Atmosphäre einen hoch flexiblen Raum für Informa-

tion, Kommunikation und Interaktion, der viel Platz für Bil-

2 Big Box, LasVegas, 2001, mit dervon Frank O. Gehrygestalteten Ausstel-lung Art of theMotorcycle

3A+B JewelboxHermitage TheGuggenheim imVenetian Resort inLas Vegas, 2001Blicke ins Hotelfoyerund Raumvaria-tionen

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dungsprogramme und öffentliche Aktivitäten des Museums

schafft, die zukünftig eine immer wichtigere Rolle spielen

werden. So sind in dem Entwurf grosse Flächen für Work-

shops, Events und öffentliche Interaktionen vorgesehen.

Durch Initiativen wie Art:21 sollen sich Künstler und Publi-

kum im Museum unmittelbar begegnen, das so neue Impulse

für die Kunstproduktion entstehen lässt.

Angesichts der enormen Investitionen für den Totalabriss

ihres Museums hat sich die Leitung des LACMA schliesslich

doch gegen den Entwurf von OMA entschieden und Renzo

Piano mit der Renovierung und Erweiterung beauftragt. Rem

Koolhaas hat fast zehn Jahre an seiner Bibliothekstypologie

gearbeitet, bis er schliesslich mit der Seattle Public Library

seine Überlegungen in einem ikonischen Gebäude verwirk-

lichen konnte. Nach den zahlreichen Museumsentwürfen der

letzten Jahre, die einer Fläche von 190 905 Quadratmetern

und der Grösse von 34 Fussballfeldern entsprechen, scheint

schliesslich auch Rem Koolhaas’ Museumsvision in greifbare

Nähe gerückt, für die er in S,M,L,XL Tama Janowitz zitiert:

«The meaningless of myself and humanity struck me to the

core. But luckily the museum was open that evening until six,

which made matters a little better. For I believed that mu-

seums should be open twenty-four hours a day, and should

not cost anything, as was the case in England, so that I might

roam about the African Plains Hallway at four in the morning

with thoughts of the African veldt deep in my head.»5 In die-

sem Sinne könnte eine Verbindung der typologischen Inno-

vationen unter Umständen den von Gertrude Stein postulier-

4 Wettbewerbspro-jekt für das LosAngeles CountyMuseum of Art

A–D Der eigentli-che Wunsch derMuseumsleitungbestand darin, dasEnsemble vonMuseumsbautenmit einem ebenfallsvom LACMAgenutzten altenWarenhausgebäudedurch einen Annexzu verbinden. OMAschlug vor, sämtli-che Museumsabtei-lungen auf demschon bestehendenSockel in kompri-mierter Form neu zuerrichten; erhaltenbleibt nur der imGrundriss fisch-förmige Pavillonvon Bruce Goff.

E–H Vier überei-nander geschichteteEbenen: PompeianPlinth, Public Plaza,EncyclopedicPlateau, OrganicRoof

I–M Strukturdia-gramme des neuenMuseums

ten Konflikt zwischen «modern sein» und Musealität aufhe-

ben und dem Museum durch Modernität eine neue gesell-

schaftliche Bedeutung verleihen.

Autorin: Bettina Schürkamp arbeitet als Assisten-tin für Architekturtheorie sowie Architektur-kritikerin in Wuppertal.

1 Zitiert aus Rem Koolhaas, «M(oMA) Charette.How to make the most of the museum boom», in:Ders. (Hg.), Content, Köln 2004, S. 192.2 Willem Sandberg in: Willem Sandberg, H.L.C.Jaffé (Hrsg.), Ein Museum für moderne Kunst.Stedelijk Amsterdam, Köln 1962, Vorwort, S. 5. 3 Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie.Gesammelte Schriften 7, Frankfurt/M. 1970, S. 58.4 Charles Baudelaire, «Der Maler des modernenLebens», in: Ders., Gesammelte Schriften, hrsg. v.M. Bruns, Bd. 4, Darmstadt 1982.5 Tama Janowitz, «On and Off the African Veldt»,in: Slaves of New York, New York 1986, S. 936,zitiert nach Rem Koolhaas’ S,M,L,XL.

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AMO INVESTIGATES THE ART WORLD

Flächenentwick-lung der Kunst-museen undMuseumsprojektevon OMA; Folienaus der Studie AMO investigatesthe Art World,ausgestellt auf derKunstbiennaleVenedig 2005

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