Zugkunst Magazin 11

16
Ausgabe 11 . Oktober 2010 Das Dialog-Magazin zum SchienenPersonenNahVerkehr „Was ist die Aufgabe der Politik? Klare Rahmenbedingungen schaffen, Diskriminierung von Wettbewerbern der DB beseitigen, Regeln gegen Monopolbildung entwickeln und Anreize für die Integration von Fernbuslinien in den Deutschland-Takt schaffen. “ Constantin Pitzen, Geschäftsführer der AutobahnExpress Schnelllinienbus GmbH > Seite 8

description

Das Dialogmagazin zum Schienen-Personen-Nah-Verkehr

Transcript of Zugkunst Magazin 11

Page 1: Zugkunst Magazin 11

Ausgabe 11 . Oktober 2010

Das Dialog-Magazin zum SchienenPersonenNahVerkehr

„Was ist die Aufgabe der Politik? Klare Rahmenbedingungen schaffen, Diskriminierung von Wettbewerbern der DB beseitigen, Regeln gegen Monopolbildung entwickeln und Anreize für die Integration von Fernbuslinien in den Deutschland-Takt schaffen. “ Constantin Pitzen, Geschäftsführer der AutobahnExpress Schnelllinienbus GmbH > Seite 8

Page 2: Zugkunst Magazin 11

Liebe Leserinnen und Leser des zugkun t- Magazins,Es kommt einiges in Bewegung auf Deutschlands Schienen und Straßen. Die Rede ist von der Liberalisierung des Fern-verkehrs, vom Wettbewerb Bus gegen Bahn, Straße gegen Schiene – und letzt-endlich von einem möglichen Kampf um Preise und Marktanteile. Bereits im Herbst möchte die Koalition einen Ge-setzesentwurf vorlegen, der die Öffnung des Marktes für Anbieter im Fernbusver-kehrs bedeutet. Und es sieht ganz so aus, als würde solch ein Gesetz weitgehend diskussionslos durchgewunken werden.

Doch wem winkt hier was? Was im ers-ten Moment aussieht wie die durchaus begrüßenswerte Liberalisierung eines an-tiquierten Verkehrsprinzips, birgt die Ge-fahr einer marktwirtschaftlichen Schräg-lage. Weshalb? Weil Aufgabenträger die Pflicht haben, auch auf unattraktiven Strecken eine adäquate Anbindung zu ge-währleisten, während auf einem vollstän-dig liberalisierten Markt ein Busunterneh-men sich die Rosinen herauspicken wird. Die Folge: Die Gewinne auf den attrakti-ven Strecken gehen für die Bahn zurück, die Verluste auf den subventionierten Ne-benstrecken bleiben – und alles zulasten des Steuerzahlers. Wer also marktwirt-schaftliches Denken beweisen will, sollte sich Gedanken über eine eingeschränkte Lockerung der Vorgaben machen; zum Beispiel in Form von Konzessionen.

Sicher, das wird eine kompliziertere An-gelegenheit als einfach nur den Markt zu öffnen. Doch wer es sich hierbei zu einfach macht, trägt den Interessen der Öffentlichkeit nicht Rechnung – sondern stellt sie in Rechnung.

Apropos Rechnung: Mit dem zugkun t­-Magazin können Sie nach dieser Aus-gabe bis auf weiteres leider mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr rechnen. Die geplanten Sparmaßnahmen der Sächsischen Staatsregierung im Haus-halt 2011/12 beinhalten eine drastische Kürzung der Mittel für die SPNV-Zweck-verbände. Falls der Sächsische Landtag den Beschluss der Staatsregierung im Dezember nicht doch noch in letzter Mi-nute kippt, ist eine weitere Finanzierung des Magazins nicht mehr gesichert. Sie halten daher vermutlich die vorerst letz-te Ausgabe in den Händen. So bedanken wir uns für Ihr bisheriges reges Interesse und wünschen weiterhin viel Erfolg im Bahnwesen und auf dem persönlichen Lebensweg.

Wir hören und lesen uns sicherlich in Zukunft – oder in zugkun t­...

Ihr

Andreas GlowienkaGeschäftsführer ZVNL

Vorwort­Können Rosinen winken?

2

Inhalt

Gaspedal-Spiele an der Startlinie Bei der Liberalisierung des Fernbus-Marktes kommt der Verkehrsträger-mix unter die Räder Seite 3

Starrer Rahmen wird aufgeweicht Der § 13, Absatz 2 erhält neue

Interpretation Seite 6

Der Blick ins AuslandMuss das Rad im Fernbusverkehr wirklich neu erfunden werden? Seite 7

Wirtschaftlichkeit ist Trumpf Fernbusse haben in manchen Punkten erhebliche Vorteile Seite 8

Fernbusse als Vorreiter flexiblerer Verkehre? oder Was dem Fernverkehr recht ist, muss dem Nahverkehr billig sein Seite 9

Intelligente Deregulierung Fernbusverkehr kann eine Bereicherung sein Seite 10

Infrastrukturkosten sind ein Knackpunkt Im Wettbewerb zwischen Fernbus und Bahn stehen die Startblöcke unterschiedlich weit vorn Seite 11

Pro & Contra Fernbusverkehr in Deutschland – Chance oder Risiko? Seite 12

Gebremster ExpressFernbus Leipzig – Dresden: Konkurrenz zum Regionalexpress? Seite 14

Page 3: Zugkunst Magazin 11

Folgt man der Bundesregierung und den potenziellen Linien-Betreibern, ist die Li-beralisierung des Fernbus-Marktes nur noch eine Frage der Zeit. Konzerne wie die Deut-sche Bahn, Veolia und die Deutsche Touring wittern vor allem die kommerzielle Chance – wichtige Details wie die Rolle des Busses im Verkehrträgermix und der Grad der Markt-öffnung scheinen Nebensache zu sein.

Auf den ersten Blick lässt die Ent-scheidung an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig: Ende Juni verfügte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, dass künftig in Deutschland Fernbus-Linien grundsätzlich genehmigt werden müssen – wenn ihre Fahrpreise deutlich günstiger sind als die Tarife der Bahn. Dem hatte bislang unter anderem das in seinen Grundzügen aus den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts

stammende Personenbeför-derungsgesetz entgegenge-standen (siehe auch Seite 6). Auf den zweiten Blick indes wird, wie es die Süddeutsche Zeitung pointiert zu-spitzte, die Deutsche Bahn „noch einige Zeit ihre Fahrgäste behandeln können wie bisher – ohne die Konkurrenz durch einen bundesweiten Linienverkehr mit Fernbussen befürchten zu müssen.“

Aus Einzelfall wird Grundsatzurteil Denn zum einen hatten die Leipziger

Richter zunächst eine Einzelfallentschei-dung zu treffen: Bereits seit mehr als fünf Jahren streiten sich das Fernbus-Unter-nehmen Deutsche Touring, das bis 2004 eine Bahn-Tochter war und mittlerweile mehrheitlich spanischen und portugie-sischen Busunternehmen gehört, und die Deutsche Bahn um die lukrative in-

nerdeutsche Strecke Frankfurt/Main-Köln-Dortmund. Viermal täglich will die Deutsche Touring diese Strecke mit ihren Fernrei-sebussen pro Richtung befahren – und wertet den Streit explizit als „Präzedenzfall für raschen Wettbewerb“, betont Touring-Geschäftsführer Roderick Don-ker van Heel. Denn bislang, sagt van Heel, konnte von Wettbe-werb keine Rede sein. Die Bahn hat nach dem Personenbeförde-rungsgesetz ein Vetorecht und kann Anträge für Fernbuslinien abblocken – wenn der Verkehr mit vorhandenen Bahnlinien befriedigt werden kann oder es im Vergleich zur Eisenbahn kei-

Gaspedal-Spiele­an­der­Startlinie­Bei der Liberalisierung des Fernbus-Marktes kommt der Verkehrsträgermix unter die Räder

3

Ein Bahnsprecher räumt ein, dass der Konzern die „Ent­wicklung sehr genau beobachtet“. ne wesentlichen Verbes-

serungen gibt.

Schlappe oder Chance für die Deutsche Bahn AG?

Mit genau diesen Argumenten hatte sich die Bahn auch gegen den Linien-An-trag der Deutschen Touring gewehrt, war damit in mehreren Instanzen gescheitert und hatte schließlich die höchstrichterli-che Entscheidung gesucht. Trotz des Ur-teils des Bundesverwaltungsgerichtes, das er als „Schlappe für die Bahn“ bewertet, rechnet Touring-Chef van Heel nicht damit, dass sich die Verhältnisse schnell ändern. Mit dem Urteil hatten die Leipziger Richter der Bahn den Wettbewerbsschutz zwar teilweise entzogen, gleichzeitig räumten sie dem Konzern aber zwei Monate Zeit ein, sein eigenes Angebot auf der attrak-tiven Strecke nachzubessern. Dass daraus weitere juristische Auseinandersetzun-gen erwachsen – davon gehen wohl alle Beteiligten aus. Ein Bahnsprecher will den Gerichtsstreit nicht kommentieren, räumt aber ein, dass der Konzern die „Entwick-lung sehr genau beobachtet“.

Koalition arbeitet an entsprechender Gesetzesvorlage

Diese Zurückhaltung wundert Ale-xander Eisenkopf, Professor für Mobility Management an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen, nicht. „Der Markt ist in Be-wegung“, sagt Eisenkopf, „jeder versucht, in eine optimale Startposition zu kommen.“ Das wiederum liegt weniger am Leipziger Gerichtsurteil als am bereits im Wahl-kampf ausdrücklich bekundeten Interesse der Regierungskoalition aus CDU und FDP,

. Nr.11 . Oktober 2010

Page 4: Zugkunst Magazin 11

44

tiefsten Bayerischen Wald. Die beste Ver-bindung zwischen Berlin und Hamburg nutzen jährlich 330 000 Fahrgäste. Der Bus ist dort zwar nur halb so schnell wie die Bahn, dafür mit 26 Euro auch nur halb so teuer. Die Einnahmen bleiben dennoch im Konzern: Die Gesellschaften Bex und Autokraft, die den „Berlin Linien Bus“ be-treiben, sind Bahntöchter. Pikant: Die Bex gehört der DB Stadtverkehr – und lässt viele ihrer Busse im ICE-Design an die Haltestelle rollen, um implizit mit dem Service und dem Tempo des Expresszuges zu werben.

Mit der Liberalisierung, ist sich Eisen-kopf sicher, könne ein „Milliardenmarkt“ entstehen. Verkehrskonzerne wie die Deutsche Touring oder die französische Veolia erwarten ebenfalls ein jährliches Gesamtvolumen von „mindestens einer Milliarde Euro“, sagt Axel Sondermann, Geschäftsführer von Veolia Verkehr. Vo-raussetzung sei, dass die Fernverkehrs-busse im Wettbewerb der Verkehrsträger einen Marktanteil von mindestens fünf Prozent erreichten – eine Größenordnung, die sich in den bereits liberalisierten Län-dern Großbritannien und Schweden „ein-gependelt“ habe.

Eine deutlich optimistischere Per-spektive zeichnet eine Untersuchung der TU Dresden: Ein Team um den Ver-kehrsexperten Professor Christian von Hirschhausen hat sich intensiv mit Inter-City-Busverkehren in Europa und dem Potenzial des Fernbuslinienverkehrs in Deutschland auseinandergesetzt. Im Ide-alfall, schreibt von Hirschhausen in einem

den Fernbusverkehr zu liberalisieren. Nach Angaben aus Regierungskreisen wird ak-tuell an einer entsprechenden Gesetzes-vorlage gearbeitet, die bis Mitte kommen-den Jahres das Parlament passiert haben könnte. Zu diesem Engagement, sagen Verkehrsexperten, dürfte indes auch der Druck der Europäischen Kommission ein großes Stück beigetragen haben. Ihr ist die deutsche Wettbewerbseinschränkung im Fernlinienverkehr schon länger ein Dorn im Auge.

Buslinien stammen noch aus der deutschen Teilung

Zu den kuriosen Aspekten der „in-teressanten Gemengelage“, wie sie ein Kommissionssprecher nennt, gehört, dass der Staat als größter Bahn-Eigentümer lange Zeit gar kein Interesse hatte, den Schutz vor dem Fernbus aufzuweichen. Gleichzeitig war es durchaus politisch gewollt, dass die Bahn gewissermaßen zweigleisig fahren und zum größten deutschen Fernbusbetreiber avancieren konnte. Der Konzern betreibt selbst 30 nationale Fernverbindungen, die meis-ten von und nach Berlin. Für den Bahn-sprecher ist das im gegenwärtigen Streit indes „kein wirkliches Argument“.

Denn die weitaus meisten dieser Ver-bindungen haben ihren Ursprung noch in den Anfangszeiten der deutschen Teilung. West-Berlin sollte damals nicht von der DDR-Reichsbahn abhängig sein, daher durften die Berliner mit dem Bus fahren. Das gilt noch heute: Der „Berlin Linien Bus“ fährt in alle Himmelsrich-tungen, ob in die Metropolen München, Frankfurt, Düsseldorf oder Grafenau im

Beitrag für die Zeitschrift Internationales Verkehrswesen, könne sich ein „intensives Fahrgeschäft mit hoher Netzdichte etab-lieren“ und der Marktanteil der Busse im Fernverkehr auf bis zu 28 Prozent steigen. Damit, so von Hirschhausen, „könnte der Bus bei entsprechender Flächendeckung sogar eine höhere Nachfrage als der Zug

generieren“.Für ein realistischeres

Szenario hält das Team al-lerdings Verhältnisse wie in Schweden, wo sich der Fernbusverkehr überwie-gend auf die Verknüpfung von Großstädten konzent-

riere. Hier ergebe sich immer noch ein re-alistischer Marktanteil von fünf Prozent, schreiben die Forscher – und sind damit von Prognosen der Konzerne nicht weit entfernt.

Bahn für mehr Komfort, Bus für mehr Preisattraktivität

Interessant dabei: Für Christian von Hirschhausen ist der Fernbus grundsätz-lich weniger Wettbewerber als vielmehr sinnvolle Ergänzung des Gesamtsystems. Der Dresdner Forscher geht davon aus, dass er vor allem dem PKW und Mitfahr-zentralen Marktanteile abnehmen würde. „Während die Bahn in erster Linie kom-fortbewusste Reisende, denen zudem eine kurze Reisezeit besonders wichtig ist, anzieht, würde ein Fernbusangebot hauptsächlich von preissensiblen Rei-senden angenommen, denen eine kurze Reisezeit weniger wichtig ist.“ Die Dere-gulierung schade somit nicht der Bahn, sondern sorge insgesamt für eine bes-

Der Staat hatte lange Zeit gar kein Interesse daran, den Schutz vor dem Fernbus aufzuweichen.

Page 5: Zugkunst Magazin 11

5 . Nr.11 . Oktober 2010

Das „Wie?“ der Marktöffnung ist momentan die zen­trale Frage hinter den Kulissen.

sere Allokation knapper Ressourcen und verbesserte Ökobilanzen. Sehr wohl gebe es dagegen quasi internen Wettbewerb der Fernbus-Betreiber, der, „vor allem über qualitative Elemente der Leistung“ aus-getragen werde.

So oder so: Die Fernbus-Wettbewer-ber spielen an der Startlinie hörbar mit dem Gaspedal. Die Deutsche Bahn hat gut informierten Kreisen zufolge bereits bundesweit Genehmigungsanträge für Fernbuslinien gestellt, Veolia bekundet in den letzten Wochen öffentlich Interes-se und auch die Deutsche Touring lässt keinen Zweifel daran, dass sie ihr Netz, das zurzeit aus etwa 80 Auslandsverbin-dungen besteht, im Inland erweitern will. Das Unternehmen will deutsche Metro-polen im Taktverkehr verbinden und in mittelgroßen Städten halten. Potenzielle Kooperationspartner sind Busunterneh-men, die in mittelgroßen Städten stark sind und mit denen man Kosten für Marketing und Infrastruktur teilen kann. Im kleinen Maßstab funktioniert dieses Modell heute bereits beim „Autobahn-Express“ des Potsdamers Constantin Pitzen, der mit drei Linien Potsdam, Dres-den, Leipzig, Halle, Göttingen und Kassel verbindet (siehe Seite 14.)

Ohnehin ist das „Wie?“ die zentrale Frage hinter den Kulissen. Dabei geht es weniger um die technische Machbarkeit als um Fragen der „intelligenten Deregu-lierung“ (siehe Beitrag Herr Schaaffkamp, Seite 10) und damit der Geschwindigkeit und des Grades der Marktöffnung. So plädieren interessanterweise sowohl der Bundesverband Deutscher Omnibusun-ternehmer (BDO) als auch der Fahrgast-

verband Pro Bahn für die Vergabe von Konzessionen, also eine eingeschränkte Lockerung statt einer kompletten Öff-nung des Marktes. Die Ansätze sind aber dennoch unterschiedlich. BDO-Sprecher Martin Kassler hofft, so Kannibalisie-rungseffekte zu vermeiden. Schließlich, so Kassler, müsse ein Unternehmer ei-nigermaßen sicher sein, dass sich seine Millionen-Investitionen auch lohnen. At-traktiv seien daher Linien zwischen den großen Städten. Denkbar wäre auch ein Zusammenschluss mehrerer mittelstän-discher Unternehmen, die gemeinsam ein Liniennetz zwischen Mittelzentren aufbauen und unter einer Marke auftre-ten könnten, sagt Kassler.

Sinnvolle Ergänzung statt Wettbewerbsgedanke

Karl-Peter Naumann vom Fahrgast-verband Pro Bahn dagegen befürwortet Konzessionen, weil er sonst die Gefahr ei-ner „Rosinenpickerei“ sieht: Linienbusse könnten etwa nonstop von Dresden nach Nürnberg fahren, während die subventionierte Bahn auf derselben Strecke in vielen Orten hal-ten müsse und entsprechend mehr Zeit brauche. „So würden Gewinne privati-siert, während der Steuerzahler letztlich für schlecht ausgelastete Züge zahlt“, argumentiert Naumann – und weiß sich hier auf einer Linie mit dem Ver-kehrsclub Deutschland (VCD) und auch dessen Mitbegründer Heiner Monheim. Der Verkehrsexperte, der heute als Geo-graphie-Professor an der Uni Trier wirkt,

a r g u m e n -tiert strikt: Der Fern-bus-Verkehr bringe keine Vorteile, son-dern nehme v i e l m e h r der Schiene Marktanteile ab und sen-ke so deren Rentabilität noch weiter (siehe Contra-Beitrag, Seite 13).

Den Testfall für diese These hat Constantin Pitzen mit seinem Auto-bahn-Express installiert: Seine Busse sind, wenn auch nicht explizit verkün-det, auch eine Herausforderung für das SPNV-Angebot zwischen Dresden und

Leipzig. Dass sie oft nur schwach besetzt sind, bestä-tigt die VCD-Fernverkehrs-Expertin Heidi Tischmann in ihrer Sichtweise: Sie sieht den Bus als sinnvolle Ergän-zung zu einem Schienen-Fernverkehrssystem, der

Angebotslücken vor allem in der Fläche ausgleichen, auf den „Rennstrecken“ als Korrektiv wirken und „Mobilität auch für Menschen mit weniger Geld bezahlbar machen“ könne. Um einen halbwegs fairen Wettbewerb zu gewährleisten, betont Tischmann, müsse der Fernbus – analog zu Trassenpreisen der Bahn – Mautgebühren für die genutzten Stre-cken zahlen.

Page 6: Zugkunst Magazin 11

Starrer­Rahmen­wird­aufgeweichtDer § 13, Absatz 2 erhält neue Interpretation

Bislang verhinderte das Personenbeför-derungsgesetz Fernbuslinien in Deutsch-land. Ein Gerichtsurteil und eine Gesetzes-initiative der Bundesregierung werden das ändern.

Der entscheidende Passus des Perso-nenbeförderungsgesetzes (PBefG) war bislang § 13, Absatz 2: Danach verbietet das Gesetz Unternehmen das Bedienen von Haltestellen auf Strecken im Inland, „wenn der beantragte Verkehr ohne eine wesentliche Verbesserung der Verkehrs-bedienung Verkehrsaufgaben überneh-men soll, die vorhandene Unternehmer oder Eisenbahnen bereits wahrnehmen.“ 1952 wurde das Gesetz sogar verschärft. Innerdeutsche Linienbusse durften seit-dem nur in wenigen Ausnahmefällen fahren – etwa, wenn es keine Fernzug-verbindungen gibt oder eine Alternative zur Bahn politisch gewollt ist: Mit der deutschen Teilung war die Verkehrsan-bindung von West-Berlin zu einer zentra-len Frage geworden. Um die nicht allein der Reichsbahn der DDR zu überlassen, erlaubte das Ge-setz Ausnahmen im Verkehr von und nach Berlin – mehr als 30 Linien aus deutschen Großstädten fahren seitdem die Hauptstadt an. Gewollt war explizit ein Korridorver-kehr, der noch heute absurde Konse-quenzen hat: Mit dem Berlin Linien Bus, an dem die Bahn AG beteiligt ist, darf man beispielsweise zwar von Ulm nach Berlin fahren, nicht aber von Ulm nach Würzburg, Schweinfurt oder Bamberg, wo der Bus auch hält.

Deutsche Bahn nutzte Vetorecht regelmässig

Das PBefG räumt zudem den von neu beantrag-ten Linien poten-ziell betroffenen U n t e r n e h m e n ein weitgehendes Stellungnahme- und Vetorecht ein – ein Instrument, dass die Deutsche Bahn regelmä-ßig nutzte. Nicht nur deshalb beurteilt selbst die von der Bundesregierung eingesetzte Monopol-kommission das Gesetz als antiquiert. Im Sinne eines wirklichen Wettbewerbes seien Änderungen „dringend angeraten“, betont Professor Justus Haucap, der Vor-sitzende der Monopolkommission.

Fernbuslinien bald in Deutschland Im Sinne der Wett-

bewerbsförderung hat schließlich auch das Bun-desverwaltungsgericht im Streit zwischen der Deut-schen Touring und der Deut-schen Bahn entschieden: In ihrem Urteil (Az. 3 C 14.09)

stellen die Richter fest, dass ein deutlicher Preisvorteil für eine Busverbindung im Ver-gleich zu bestehenden Bahnverbindungen eine „wesentliche Verbesserung“ im Sinne des § 13 Abs. 2 PBefG darstellen kann.

Insofern ist damit zu rechnen, dass bald entsprechende Fernbuslinien auch

innerhalb Deutsch-lands von den zu-ständigen Behör-den genehmigt werden müssen. Gleichzeitig hat sich die amtieren-de Regierungskoa-lition aus CDU und FDP als eines ihrer Projekte auf die Fahnen geschrie-ben, die starre Re-gelung des PBefG zu liberalisieren. Im Koalitionsver-

trag heißt es ausdrücklich: „Wir werden Bus linienfernverkehr zulassen.“

Gesetzesentwurf noch im Herbst Mit der praktischen Umsetzung ist

aktuell das Bundesverkehrsministerium betraut. „Die Busse sollen ihren histori-schen Nachteil im Wettbewerb aufholen und sich als zusätzliches Angebot etab-lieren können“, sagt dessen Parlamenta-rischer Staatssekretär Andreas Scheuer (CSU). Derzeit arbeite man im Hause an Vorbereitungen für einen ersten Ge-setzentwurf, der „zeitnah, also noch im Herbst“ auf dem Tisch liegen könnte. Bereits im Zuge des Verfahrens, aber auch nach der Präsentation des Entwur-fes, würden „alle Betroffenen“ gehört, betont Scheuer – etwa die Deutsche Bahn, Busbetreiber, Verkehrsverbände und Fahrgast-Organisationen. Läuft al-les nach Plan, kann der Bundestag das Gesetz dann Mitte kommenden Jahres beschließen.

Im Sinne eines wirklichen Wett­bewerbes seien Änderungen drin­gend angeraten.

6

Page 7: Zugkunst Magazin 11

7

Muss in Deutschland das Rad im Fernbus-verkehr neu erfunden werden? Kann nicht zur Beurteilung der aktuellen Diskussion in Deutschland ein Blick über die Grenzen helfen? Wie wurden die Reformen an-dernorts in Angriff genommen?

In den meisten europäischen Ländern existieren gut ausgebaute nationale Netze von Fernbuslinien, und auch grenzüber-schreitend bestehen euro-paweit gute Verbindungen. In etlichen Ländern ist es in den letzten Jahrzenten zu grundlegenden Umstruktu-rierungen des Fernverkehrs und neuen gesetzlichen Rah-menbedingungen gekom-men. Beispielhaft möchte ich hier den Blick auf die Länder Großbritannien und Schweden lenken.

In Großbritannien existierte bis in die 1970er Jahre ein regulierter Fernbusmarkt mit einem staatlichen Monopolisten, neue Genehmigungen wurden nur bei erheblicher Angebotsverbesserung erteilt. Mit der Deregulierung im Jahre 1980 wur-de die Genehmigungsvoraussetzung auf Sicherheitsaspekte reduziert, dies führte kurzfristig zu einer großen Anzahl von Markteintritten, sinkenden Preisen und steigenden Fahrgastzahlen. Später kam es zu einer Konsolidierung, und heute hat der größte Anbieter National Express einen Marktanteil von über 80 Prozent. Dennoch sanken nicht nur die Fahrpreise, sondern gleichzeitig entwickelten sich Netzdichte, Frequenz und Komfort positiv im Sinne der Fahrgäste. Während National Express heu-te zahlreiche mittelständische Unterneh-

men mit dem Erbringen der Fahrleistun-gen beauftragt, unterhält der zweitgrößte Anbieter Stagecoach eine eigene Busflotte zur Bedienung der Linien. Beide Unterneh-men sind zusätzlich im Stadtbus- und im Bahnverkehr aktiv.

Die Deregulierung der Verkehrsmärkte in Schweden wirkte sich ab 1993 auf den zuvor recht starren Fernbusmarkt aus: Ein vereinfachtes Genehmigungsverfah-

ren führte zu mehr Fahrten und günstigeren Preisen, sechs Jahre später wurde der Markt vollständig libe-ralisiert. Heute ist Swebus Express der größte Anbieter von Fernverkehr mit Bussen in Schweden. Das Unterneh-men gehört zum Verkehrs-konzern Nobina, der auch in

anderen skandinavischen Ländern Busver-kehre durchführt. In Schweden bedient Swebus Express vor allem die aufkom-mensstarken Hauptachsen zwischen den größten Städten und erreicht dabei im Wettbewerb mit anderen Verkehrsträgern einen Marktanteil von ca. fünf Prozent, während das Bahnunternehmen SJ auf rund 85 Prozent kommt. Im schwedischen Fernbusverkehr sind zwei weitere große Unternehmen und etwa 30 kleinere, regi-onale Anbieter aktiv.

Auch in Ländern wie Spanien und Nor-wegen sorgte Deregulierung für günstige Reisepreise und gesunde Konkurrenz, ohne dabei den Eisenbahnverkehr ernsthaft zu gefährden. Der größte Teil der Fernbusli-nien in allen genannten Ländern kommt ohne jegliche finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand aus.

Was lässt sich nach dem Blick ins Ausland nun für den Fernbus in Deutsch-land schlussfolgern? Aufgrund der sehr unterschiedlichen Ausgangslagen, die zumeist einen vorhandenen staatlichen Alt-Anbieter beinhalteten, lassen sich die in anderen Ländern gemachten Erfah-rungen nicht eins zu eins auf Deutsch-land übertragen. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sich nach einer Marktöffnung ein den Schienen-fernverkehr ergänzendes Busangebot ent wickelt – zum einen in direkter Kon-kurrenz auf den Hauptachsen und zum anderen als Alternative in Regionen, aus denen sich die Bahn im Fernverkehr zu-rückgezogen hat. So wird der öffentliche Verkehr insgesamt gestärkt, da sich Bus-se und Bahnen gegenseitig Fahrgäste zuführen. Weiter ist zu erwarten, dass mittelfristig auch in Deutschland gro-ße internationale Verkehrskonzerne den Markt dominieren werden. Für mittel-ständische Busunternehmer ergeben sich Chancen vor allem als Auftragneh-mer, durch Kooperationen und bei vor-handenen eigenen Nischenangeboten.

. Nr.11 . Oktober 2010

Der­Blick­ins­AuslandMuss das Rad im Fernbusverkehr wirklich neu erfunden werden?

Fabian Haunerland, Diplom-Verkehrswirtschaftler, arbeitete 2008 an der Technischen Universität Dresden an

einer Studie zum Fernlinienbusmarkt mit. Heute berät er als Consultant der Marketing-Beratung Probst & Consorten Bus-

und Bahnunternehmen in Vertriebs- und Marketingfragen.

In europäischen Län­dern sorgte die Dere­gulierung für güns­tige Reisepreise und gesunde Konkurrenz, ohne die Bahn ernst­haft zu gefährden.

Page 8: Zugkunst Magazin 11

88

Wirtschaftlichkeit­ist­Trumpf­Fernbusse haben in manchen Punkten erhebliche Vorteile

in wenigen Fällen möglich gemacht. Das BVerwG in Leipzig hat entschieden, dass der Staat nicht das Recht hat, preisgünstige Verkehrsange-bote zu verhindern. Für Men-schen, die wenig Geld für Mo-bilität zur Verfügung haben, ermöglichen Busse die Teilha-be an Mobilität. Der nunmehr veränderte Rechtsrahmen stellt aber nicht sicher, dass eine sinnvolle Entwicklung stattfindet.

Deutsche Bahn will sich offenbar Ausgestaltungsvorrang sichern

Was passiert aktuell? Fast alle inner-deutschen Fernlinienbusse werden von der DB betrieben, zu der Regionalver-kehr Dresden (RVD), BEX, Autokraft und viele mehr gehören. Dazu gehört auch die erfolgreiche Linie Berlin – Hamburg (12 Fahrten pro Tag). Kürzlich neu gestar-tete DB-Fernbusse sind Berlin – Dresden

(8 Fahrten pro Tag) und Nürnberg – Prag (2-Stunden-Takt). Nach Ge-rüchten hat die DB nach dem BVerwG-Urteil 80 Geneh-migungsanträge gestellt oder vor-bereitet. Aus fünf bekannt geworde-nen Anträgen wird

deutlich, wohin die Reise geht: Leipzig – Hamburg, Dresden/Leipzig – Jena – Düs-seldorf/Frankfurt, München/Stuttgart/Passau – Hamburg – Kiel/Lübeck/Olden-burg, Bielefeld – Hannover – Hamburg, und Köln - Hamburg. Fahrpreise ab 1,- EUR

und 2 Fahrten am Tag. Dies zeigt, dass die DB sich aufstellt, um flächendeckend in

Deutschland den Ausgestal-tungsvorrang lt. PBefG zu sichern. Werden diese Ge-rüchte wahr, haben Wettbe-werber der DB keine Chance mehr, im Fernlinienbusver-kehr relevante Marktanteile zu bekommen. Die Umstel-lung des ICE/IC-Verkehrs der

DB auf Busse kann beginnen.

Negative Folgen treten ein, positive bleiben aus

Wie sieht der Trend aus? Es gibt kei-nen Wettbewerb im SPFV und im Fern-linienbusverkehr. Unabhängig von der jeweiligen Position zur Liberalisierung des Fernlinienbusverkehrs: Im Trends-zenario treten die negativen Folgen ein, wie z. B. der Ersatz von Fernzügen durch DB-Busse (wie zwischen Nürnberg und Prag soeben geschehen) und die positi-ven Folgen unterbleiben, wie z. B. mini-male Fahrpreise und hohe Netzdichte.

Was ist die Aufgabe der Politik? Klare Rahmenbedingungen schaffen, Diskrimi-nierung von Wettbewerbern der DB be-seitigen (z. B. beim Fahrkartenverkauf und bei der Fahrplanauskunft), Regeln gegen Monopolbildung entwickeln und Anreize für die Integration von Fernbuslinien in den Deutschland-Takt schaffen.

Dadurch wird auch der Bahnverkehr gestärkt werden. Denn durch den Ausbau eines deutschlandweit funktionierenden Taktfahrplans, der auch Fernbusverbin-dungen integriert, wird es weitere Stre-cken geben, die den Anreiz bieten, vom Auto auf den ÖV umzusteigen.

Der Zug fährt in Richtung Liberalisierung des Fernlinienbusverkehrs. Die Auswir-kungen sind aber unklar. Während Bun-desverwaltungsgericht (BVerwG) und Busunternehmen Fakten schaffen, schiebt die Bundesregierung die Novellierung des PBefG (Personenbeförderungsgesetz) in weite Ferne. Nicht Politik, sondern aktu-elle Marktentwicklung verändert die Rah-menbedingungen für Fernmobilität der Bürger in der Zukunft.

Fernlinienbusse können für den öf-fentlichen Verkehr (ÖV) aufgrund ihrer ge-ringen Produktionskosten pro Kilometer zwei Funktionen haben: A): Strecken mit hoher Nachfrage, günstige Preise, große Busse, häufige Abfahrten. Diese Busse fah-ren parallel zur Bahn, bieten aber abgese-hen von günstigeren Fahrpreisen wenige Vorteile. B): Schnelle Direktverbindungen in hoher Qualität auf Strecken ohne ICE, IC oder direkten RE. Diese Busse, wie z. B. der AutobahnEx-press Leipzig – Kas-sel, füllen Lücken im Bahnangebot. Diese sind durch Stilllegung von Fernzügen der DB, den Bau von Auto-bahnen oder aus topographischen Gründen entstan-den. Busse machen den ÖV attraktiver, verlagern Verkehr weg vom Auto. Für den SPNV dürften sich Scha-den (Abwanderung zum Bus) und Nutzen (Zubringer zum Bus) die Waage halten. Die Menschen profitieren in beiden Fällen. Das bisherige PBefG hat Fernbuslinien nur

Der veränderte Rechtsrahmen stellt nicht sicher, dass eine sinn­volle Entwicklung stattfindet.

Dipl.-Ing. Constantin PitzenGeschäftsführer AutobahnExpress Schnelllinienbus GmbH

Page 9: Zugkunst Magazin 11

9

Dipl.-Pol. Oliver MietzschHauptreferent des Deutschen Städtetages, Berlin und Köln

Fernbusse­als­Vorreiter­FLexiblerer­Verkehre?­oder Was dem Fernverkehr recht ist, muss dem Nahverkehr billig sein

einem Wettbewerb um den Markt, d.h. der Zugang zu einer Streckenbedienung in Form einer Liniengenehmigung nach § 13 PBefG für einen bestimmten Zeitraum, der es erlaubt, die Kosten für das eingesetzte Wagenmaterial aber auch für Werkstät-ten, Fahrgastautomaten und Fahrpersonal über Fahrgeldeinnahmen und ggf. öffent-liche Zuschüsse zu amortisieren.

DB wehrt sich gegen bestimmte Qualitätsstandards

Demgegenüber steht der Busfern li-nienverkehr nicht in Konkurrenz zum öffentlichen Nahverkehrsangebot auf Schiene und Straße, sondern zum Fern-verkehrsangebot der Deutschen Bahn und einiger weniger Mitbewerber. Die DB wehrt sich bislang standhaft gegen alle Versuche, auch im Fernverkehr im Sinne der Daseinsvorsorge bestimmte Quali-tätsstandards (Zugausstattung, Bahnhof-seinrichtungen) und vor allem Fahrzielvor-gaben (Anbindung aller Oberzentren an das Fernverkehrsnetz etc.) zu akzeptieren – unter Hinweis auf den fehlenden öffentli-chen Auftrag. Das Grundge-setz verpflichtet den Bund in Artikel 87e, Absatz 4, Grundgesetz zwar dazu, bei den Fernverkehrsangeboten auf der Schiene und beim Ausbau und Erhalt des Net-zes das Allgemeinwohl zu sichern. Diese Gewährleistungsverantwortung sehen Bund und das (wie lange noch?) bundes-eigene Unternehmen DB aber nur für das Schienennetz gegeben und nicht für das Verkehrsangebot. Im Ergebnis finanziert der Steuerzahler jährlich mit Milliarden

Im Koalitionsvertrag haben CDU, CSU und FDP angekündigt, das Personenbeförde-rungsgesetz (PBefG) zu ändern und Bus-fernlinienverkehr zuzulassen. Es liegt auf der Hand, dass durch die bisherigen gesetz-lichen Vorgaben im PBefG der Wettbewerb im öffentlichen Personenverkehr stark ein-geschränkt wird.

Im Nahverkehr mit Bussen, Straßen-bahnen und U-Bahnen lassen sich aller-dings gute Gründe zur Beschränkung des freien Marktzuganges finden: Der öffent-liche Raum ist knapp und damit teuer; das gilt umso mehr für Gleisanlagen, de-ren Herstellung und Unterhaltung sehr aufwendig ist und die sich nicht beliebig vermehren lassen. Dürfte hier jedes Ver-kehrsunternehmen nach Belieben fah-ren, würde dies die Wirtschaftlichkeit der einzelnen Linien negativ beeinflussen. Am Ende würden sich auf den lukrativen Strecken die Konkurrenten um die Fahr-gäste streiten, während auf weniger stark frequentierten Abschnitten kaum oder überhaupt kein öffentlicher Personennah-verkehr (ÖPNV) mehr angeboten würde. Der ÖPNV ist aber mehr als nur ein nach privatwirtschaftlichen Renditegesichts-punkten zu betreibendes Verkehrsmit-tel. Er soll im Sinne der Daseinsvorsorge auch für jene Bevölkerungsgruppen ein Verkehrsangebot aufrechterhalten, die über kein eigenes Auto verfügen oder aus gesundheitlichen oder Altersgründen selbst nicht fahren können. Darüber hin-aus versteht sich der öffentliche Verkehr als umweltfreundliche Alternative zum motorisierten Individualverkehr. Dies alles spricht für die Beschränkung des freien Wettbewerbes. Man spricht deshalb von

die Instandhaltung und Erweiterung des Schienenetzes, ohne einen Einfluss auf das konkrete Verkehrsangebot nehmen zu können. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass sich die Stimmen mehren, die das auf vielen Fernverkehrs-strecken existierende faktische Monopol der DB durch eine Liberalisierung des Bus-fernlinienverkehrs beseitigen oder zumin-dest begrenzen wollen. Aus Sicht der nicht wenigen Städte, die in den letzten Jahren von der DB im wahrsten Sinne des Wortes vom Schienenfernverkehr abgehängt wur-den, öffnet eine solche Freigabe durchaus Chancen. Allerdings müssen die gleichen Argumente dann auch für den Nahver-kehr gelten. Dort betonen die Verbände der Verkehrsunternehmen vehement ihre Unabhängigkeit von den Kommunen (z. B. durch Vorgaben des Aufgabenträgers im Nahverkehrsplan), gleichzeitig beharren sie aber darauf, dass ihnen die öffentliche Hand durch die exklusive Gewährung von Linienverkehrsgenehmigungen ihre jewei-

lige Marktposition sichert, was schon aus europarecht-lichen Gründen nur im Inte-resse der Daseinsvorsorge gestattet ist. Das kann nicht funktionieren. Entweder die Nahverkehrsunternehmen verzichten auf den staatli-chen Schutz und begeben sich in einen echten Wett-

bewerb – dies ginge allerdings zu Lasten der Daseinsvorsorge sowie des Umwelt-schutzes –, oder aber sie akzeptieren, dass die Kommunen als Aufgabenträger und Finanzier des ÖPNV auch für dessen Or-ganisation und planerische Integration verantwortlich sein müssen.

. Nr.11 . Oktober 2010

Der Steuerzahler finanziert das Schienennetz, ohne Einfluss auf das konkrete Verkehrs­angebot nehmen zu können.

Page 10: Zugkunst Magazin 11

2. Die gegenwärtigen Hürden für Fern-busverkehr (Genehmigungen für Tarifhöhe, Struktur, Linienverlauf, Hal-testellen; Bedienungsverbote usw.) werden abgeschafft. Marktferne Bü-rokratien dürfen nicht die Kunden-orientierung der Unternehmer behin-dern. Im Detail:

Die Genehmigungspflicht von Ange-bot und Tarif entfällt ersatzlos.

Das Parallelbedienungsverbot zum Bahnverkehr wird aufgehoben.

3. Stattdessen wird intelligent reguliert:

Die Gewerbeaufsicht prüft und kont-rolliert die Sicherheit und stellt dem Anbieter die hierfür vorgesehenen EU-Lizenzen aus.

Alle Fernbus-Betreiber sind verpflich-tet, ihre Angebote in ein nationales, betreiberneutrales Auskunftsportal einzustellen.

Ebenso sind sie ver-pflichtet, über eine nati-onale, betreiberneutrale Vertriebsplattform ihre Fahrscheine zum Regel-tarif anzubieten.

Die Fahrgäste haben Fahrgastrechte (mindestens) wie im Bahn-Fernver-kehr.

4. Für die Verlässlichkeit des Angebots und gegen Marktexzesse werden fol-gende Vorkehrungen eingeführt:

Neue Fernbus-Angebote müssen vor Betriebsaufnahme bei einer zustän-digen Behörde angemeldet werden. Diese bestätigt die Anmeldung und erteilt eine Lizenz. Sie darf die Erlaub-nis nur versagen, wenn der geplante Verkehr objektiv undurchführbar ist, wenn ein identisches Angebot in exakt der gleichen Fahrplanlage (+/- 5 min) bereits besteht oder wenn ein vom Aufgabenträger gestützt auf die VO 1370/2007 erlassenes aus-schließliches Recht im ÖPNV entge-gensteht.

Die Verlässlichkeit des Verkehrs si-chert, dass Angebote nur nach einer Vorankündigungsfrist von drei Mona-ten wieder eingestellt werden dürfen.

Ich gehe davon aus, dass eine solche Marktöffnung den öffentlichen Verkehr um innovative und kundenorientier-te Fernbus-Angebote bereichern wird. Gleichwohl – eine Garantie gibt es nie.

Diese Befürchtungen sind jedoch kein Argument ge-gen eine intelligente Dere-gulierung. Vielmehr gehört zu einer Freigabe des Fern-busverkehrs zwingend, dass der Bund die Auswirkungen beobachtet, qualifiziert eva-

luiert und als Gesetzgeber nachsteuert, falls es ungeplante und unerwünschte Entwicklungen geben sollte.

Nur am Rande – noch schöner wäre es, wenn bei dieser Gelegenheit auch der Bahn-Fernverkehr in die Auskunfts- und Vertriebsportale integriert würde.

Fernbus-Linienverkehr kann eine Berei-cherung für den deutschen öffentlichen Verkehr sein. Dieses Heft enthält Beispie-le aus dem In- und Ausland, wo nach der Deregulierung zum Teil sehr innovative und attraktive Angebote entstanden sind, die neue Kundensegmente für den ÖV er-schließen. Der Fernbus scheint eine kom-plementäre Rolle einzunehmen und steht höchstens punktuell in Konkurrenz zum Bahnangebot.

Die Koalitionsvereinbarung der Ber-liner Regierung sieht die Deregulierung des Fernbusverkehrs in Deutschland vor. Sollte dies tatsächlich umgesetzt wer-den, wünsche ich mir eine intelligente Deregulierung.

Was das bedeutet? Sinnvoll ist weder die konventionell-bürokratische Organisa-tion des Fernbusverkehrs und der Schutz von Großvaterrechten der heutigen Un-ternehmen noch blindes Vertrauen in die Marktkräfte. Zielgerichtet wäre dagegen der Abbau der bestehenden Hemmnisse für gute Angebote, also so wenig Regulie-rung wie möglich. Nötig sind dafür Vorga-ben zum Schutz der Fahrgäste. Konkret:

1. Kommerzieller Fernbusverkehr wird uneingeschränkt zugelassen. Die Un-ternehmer verdienen Geld ausschließ-lich mit Fahrgästen. Es gibt keine di-rekten oder indirekten Subventionen. Nur kundenorientierte Angebote, die auf ihre Fahrgäste ausgerichtet sind und deren Akzeptanz finden, haben Chancen.

1010

Intelligente­DeregulierungFernbusverkehr kann eine Bereicherung sein

Christoph SchaaffkampGeschäftsführer des Beratungsunternehmens KCW

Es sind bestimmte Vorgaben zum Schutz der Fahrgäste und zum Abbau der Hemm­nisse notwendig.

Page 11: Zugkunst Magazin 11

11

Infrastrukturkosten­sind­ein­Knackpunkt­Im Wettbewerb zwischen Fernbus und Bahn stehen die Startblöcke unterschiedlich weit vorn

auszubauen, wenn nach der Liberalisierung private Bus-linien der Bahn Konkurrenz machen. „Dass Fernlinienbus-se auch Maut bezahlen, wäre aus unserer Sicht das Mini-mum“, betont Pro-Schiene-Chef Dirk Flege.

„Rosinenpicken“ verzerrt den Wettbewerb

Zudem, gibt Dr. Dieter Apel zu beden-ken, dass den Busunternehmen bei voller Liberalisierung zugestanden würde, nur jene Verbindungen und Tageszeiten in ihr Angebot aufzunehmen, bei denen ein hoher Besetzungsgrad nahezu garantiert sei. „Die Bahn muss dagegen einen kom-plett bestellten Fahrplan auch in verkehrs-schwachen Zeiten in passagierschwachen Region gewährleisten.“ Dieses „Rosinenpi-cken“ verzerre den Wettbewerb zusätzlich.

Dies werde besonders bedenklich, wenn die Busse einen Wettbewerb zu Ver-kehren darstellen, die die öffentliche Hand

bestellt und bezahlt. Dies sei etwa dort der Fall, wo der Nahverkehr der Bahn de facto auch Fernverkehrsfunktion erfülle. Beispiel: Zwi-schen Berlin und den Ostsee-Städten, so der Pro-Schiene-Chef, gibt es nur einen sehr dün-nen Bahnfernverkehr;

ein Großteil der Kunden wird mit Regi-onalzügen transportiert. Unterschiede zwischen ICE und Regionalexpress, betont Flege, gibt es aber nicht nur bei Fahrpreis und -zeit, sondern eben auch in der Finan-

Ein Aspekt der Diskussion um die Liberali-sierung des Fernbusverkehrs bringt selbst grundsätzliche Befürworter zwar nicht ins Wanken, aber doch ins Grübeln: Zwar sei es richtig, sagt etwa Dr. Dieter Apel, bis vor kur-zem Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Verkehrsclub Deutschland e.V. (VCD), das Fernbuslinien aufgrund ihres Preisniveaus auch finanziell schwächeren Menschen eine bezahlbare Mobilität ermöglichen könnten. Gleichzeitig, gibt Apel zu bedenken, kommt dieser Preisvorteil „alles andere als von un-gefähr“ und „vor allem nicht ohne Neben-wirkungen“ daher.

Denn die niedrigeren Ticketpreise, betont Apel, ergäben sich eben nicht aus ökonomischer Überlegenheit des Systems Fernbus, sondern aufgrund der im Ver-gleich zur Bahn sehr unterschiedlichen Startvoraussetzungen. „Die Stichworte sind Trassenpreise und Rosinenpicken“, sagt Apel. Denn während die Bahnunter-nehmen für jeden gefahrenen Kilometer Schienenweg einen Trassenpreis an den Netzbetreiber zu zah-len haben, fahren Fern-busse noch komplett kostenfrei auf dem Straßennetz, haben im Gegensatz zu Lastkraft-wagen nicht einmal Maut für zurückgeleg-te Autobahn-Kilometer abzuführen.

Insofern, heißt es provokativ bei der Al-lianz pro Schiene, einer Lobbyorganisation für den Bahnverkehr, stelle sich generell die Frage, ob es sinnvoll sei, überhaupt noch mit Steuergeldern Schienenwege

zierung: Während die Bahn den ICE eigenwirtschaftlich und gewinnorientiert be-treibt, lässt sie im Nahverkehr Züge rollen, die die Bundes-länder, unterstützt vom Bund, bezahlen.

Tatsächliche Konkurrenz noch offenGleichwohl sieht Flege die Liberalisie-

rungspläne recht entspannt: Schließlich sei noch offen, ob Fernbusse der Bahn tatsächlich Konkurrenz machten. Mögli-cherweise würden sie eher zulasten von Mitfahrzentralen gehen oder Kunden an-ziehen, die sonst gar nicht reisen würden.

Diesen Vorteil sieht auch der VCD. „Prinzipiell begrüßen wir eine Liberali-sierung im Fernverkehr“, sagt VCD-Bahn-expertin Heidi Tischmann. „Hier kann die Deutsche Bahn AG durchaus Wettbe-werb vertragen, denn hier fährt sie bis-lang ohne Konkurrenz.“ Dann könne sich die Bahn vielleicht auch dazu durchrin-gen, auf alljährliche Preiserhöhungen zu verzichten. Allerdings sei die Pünktlich-keit der Busse nicht garantiert. Für beide Systeme gebe es aber eine Nachfrage. Der Bus sei günstig, die Bahn bequem und meist pünktlich. Ein Problem sieht Tischmann darin, dass die Bahn – sollten die Busse rollen – versucht sein könnte, nicht ausgelastete Strecken mit dem Ar-gument zu streichen, Busse machten zu viel Konkurrenz. Insofern, sind sich Dieter Apel und Heidi Tischmann einig, liege die Lösung in einer Selbstdefinition des Fernlinienbusverkehrs als „Ergänzung und Korrektiv“ zum bestehenden Schie-nennetz.

. Nr.11 . Oktober 2010

Es wird bedenklich, wenn die Busse einen Wettbewerb zu verkehren darstellen, die die öffentliche Hand bestellt und bezahlt.

Page 12: Zugkunst Magazin 11

12

Dr. Axel Sonder-mann – Geschäfts-führer der Veolia Verkehr GmbH, sieht in den Fernbussen eine Bereicherung des öffentlichen Verkehrs.

Der Fernbus – ein ergänzendes Verkehrsangebot für Deutschland

Das öffentliche Verkehrsangebot in Deutschland bietet den Menschen viel-fältige Reiseoptionen im Nah- und Fern-verkehr. Ein Produkt, welches im Ausland zum täglichen Leben dazugehört, fehlt jedoch deutschlandweit: der Fernbus. Dies liegt an der momentanen gesetz-lichen Lage, welche den Fernbusverkehr nur unter sehr strengen Bedingungen zulässt. Der § 13 Abs. 2 des Personenbe-förderungsgesetzes (PBefG) sieht einen Markteintritt nur dann vor, wenn der be-antragte Verkehr nicht von vorhandenen Unternehmen oder Eisenbahnen bereits wahrgenommen wird. Somit werden Anträge häufig mit der Begründung abgelehnt, es läge kein verbessertes Ver-kehrsangebot vor.

Die Beschränkung des Buslinienfern-verkehrs stammt aus einer Verordnung von 1931 und wurde nahezu wortgleich im PBefG übernommen. Durch die Son-derstellung Berlins wurden viele Busli-nien nach Westberlin zugelassen. Diese haben bis heute noch Bestand und wer-den sehr erfolgreich überwiegend von Tochtergesellschaften der Deutschen Bahn betrieben. Dieser Erfolg belegt, dass ein Fernbusliniennetz etabliert

werden kann und nicht zwangsläufig zur Kannibalisierung des parallel verlau-fenden Schienenverkehrs führt.

Die Bundesregierung hat in ihrem Ko-alitionsvertrag die Änderung des PBefG und die Öffnung des Fernbuslinienmark-tes vereinbart, welche vor-aussichtlich 2011 in Kraft tritt. Die Verantwortlichkeit für die Fahrpreisgestaltung und die Abschätzung des Nachfra-gepotentials sollte bei den betreibenden Fernbusunter-nehmen liegen. Im Zweifel sind Anträge zu genehmigen, es sei denn, das neue Ange-bot führt zu ruinösem Wettbewerb oder sozialem Dumping. Zeitlich und räumlich parallele Angebote können Sinn machen, sofern eine entsprechende Mobilitäts-nachfrage gegeben und eine wirtschaft-liche Durchführung möglich ist.

Die Vorteile eines Fernbusliniennet-zes für den öffentlichen Verkehr liegen klar auf der Hand. Durch das neue güns-tige Preisniveau wird preissensiblen Kun-dengruppen, wie beispielsweise Studen-ten, Familien und Senioren, bezahlbare Mobilität ermöglicht. Umfragen haben gezeigt, dass die Fernbuskunden am Zielort den öffentlichen Personennah-verkehr in hohem Maße nutzen werden. Somit wird auch hier ein zusätzliches Potential geschaffen – der Fernbus steht nicht in Konkurrenz zum vorhandenen Nahverkehr, sondern ergänzt diesen und sorgt für zusätzliche Fahrgäste. Notwen-dige Bedienverbote in Nahverkehrsre-gionen sollten von den Unternehmen

freiwillig vorgesehen oder von den Be-hörden verordnet werden.

Praktische Erfahrungen und nach-frageorientierte Studien belegen, dass bei einer Liberalisierung der Fernbus-verkehr einen Marktanteil von fünf Pro-

zent erreichen kann. Diese Änderung des Modal Split geht im Wesentlichen zu-lasten der Autofahrer. Diese werden aufgrund der güns-tigen Preise und der umstei-gefreien Verbindungen den Fernbus nutzen. Somit er-gibt sich ein weiterer Vorteil: Weniger Autos auf den Stra-

ßen bedeuten weniger Stau und eine geringere Belastung der Umwelt. Mit einer angemessenen Auslastung ist der Fernbus sogar das umweltfreundlichste Verkehrsmittel. Die an einigen Stellen geforderte Einführung einer Busmaut wäre kontraproduktiv. Höhere Abgaben bei den Unternehmen führen zwangs-läufig zu höheren Fahrpreisen und somit würde man weniger Fahrgäste für den öffentlichen Verkehr gewinnen.

Die Einführung eines deutschland-weiten Fernbusliniennetzes komplettiert das öffentliche Verkehrsangebot. Es wer-den neue Kundengruppen für den öffent-lichen Verkehr gewonnen, die vorher mit dem Auto oder gar nicht gereist sind.

Pro­&­ContraFernbusverkehr in Deutschland – Chance oder Risiko?

Zeitlich und räumlich parallele Angebote kön­nen Sinn machen, wenn die Nach­frage gegeben ist.

Page 13: Zugkunst Magazin 11

13

entfernt, trotz der Nahverkehrsgesetze, Verkehrsverbünde, Landestickets und City- plus Regelungen. Die Teilsysteme operieren oft isoliert, konkurrierend und die Politik im Hintergrund schlägt sich je nach konzepti-oneller Orientierung mal mehr auf Seiten der Schienenpräferenz, mal mehr auf Sei-ten der Buspräferenz.

Fernbusse sind verkehrspolitisch nur sinnvoll, wenn sie im Gesamtsystem ge-plant werden. Dafür fehlt einstweilen der notwendige konzeptionelle und administ-rative Überbau. Das ist ja auch schon lange das Manko beim Bahnfernverkehr. Bund, Länder und Regionen definieren nicht die notwendigen Leistungen und Qualitäten. Die Bahnchefs verfolgen ihre eigene und teilweise nicht sehr systemorientierte Logik. Sonst wäre z. B. das Kannibalisieren

des IR-Systems oder im Gü-terverkehr das Abhängen von 2/3 aller Zugangspunkte nie möglich gewesen. Sollten sich aber im Fernbusbereich ähnli-che konzeptionelle Selbstherr-lichkeiten, Kooperations- und Integrationsanimositäten

einstellen, dann folgt ein ruinöser Preis- und Verdrängungswettbewerb durch ge-zielte Rosinenpickerei. Dann wird das Fazit lauten: „Wenn sich zwei streiten, freut sich der Dritte“, und das wird dann der Auto- und Straßenverkehr sein, den es eigentlich energisch zu minimieren gilt. Um das zu verhindern, muss die verkehrspolitische Debatte in Deutschland endlich mit Sys-temkriterien geführt werden und einer konsistenten Logik folgen. Dann bleibt auch Raum für wohldosierte und konzep-tionell integrierte Fernbusverkehre.

Prof. Heiner Mon-heim, Fachbe reich Raumentwick lung und Landes planung an der Universität Trier, hält Fernbusse nur für sinnvoll, wenn sie Teil eines geplan-ten Ge samtsystems werden.

In vielen ländlichen Regionen mit ih-ren typischen Bahnstilllegungen dank jahrzehntelanger Spar- und Rationali-sierungspolitik im Schienenverkehr und ihrer typischen autofixierten Verkehrs-politik mit vielen neuen Autobahnen und Ortsumgehungen werden Bahnen immer öfter als unattraktiv, teuer, un-flexibel und letztlich entbehrlich ange-sehen. Viele schienenskeptische Politi-ker wollen dem Bus die Hauptaufgabe im ländlichen ÖV zuweisen. Bei dieser Grundhaltung werden auch neue Fern-busangebote begrüßt, um wenigstens etwas Anschluss an den Fernverkehrs-ÖV zu finden. Man erhofft sich von neu-en Fernbusangeboten positive Effekte auf Angebotsdichte, Preise, Attraktivität und ÖV-Marktanteile. Allerdings wird die Erwartung an positive Effekte eines neuen intramodalen Wettbewerbs et-was gebremst durch das Fiasko diverser Privatisierungen und Cross- Border- Lea-sing- Geschäfte und durch die Misser-folge von ConneX mit einzelnen Schie-nenfernverkehrslinien. Aber gerade, weil richtiger Schienenfernverkehrswettbe-werb wegen der hohen Eintrittskosten und logistischen Anforderungen nicht richtig ins Rollen kam, erwartet man

jetzt von den wesentlich kostengünsti-geren und voraussetzungsloseren Fern-bussen mehr positive Effekte für den Wettbewerb.

Lange Zeit konzentrierten sich Fern-busangebote auf Länder mit schlecht aus-gebauten Bahnsystemen. Bei Ländern mit guten Bahnsystemen blieb für Fernbusse nur eine Nischen- und Ergänzungsfunkti-on für Relationen und in Zeitlagen, in de-nen der Schienenverkehr keine attraktiven Angebote macht. In Deutschland betraf dies vor allem internationale Verbindun-gen in die wichtigsten Heimatländer von Migranten. Im Nahverkehr haben die deutschen Bundesländer ein Primat der Schiene statuiert, als Hürde gegen ruinöse Bus- Parallelverkehre. Für den Fernverkehr gibt es keine vergleichbaren Festlegun-gen. Unter Systemgesichts-punkten ist diese intramoda-le Konkurrenzbetrachtung nachrangig gegenüber der intermodalen Konkurrenz ÖV contra Auto. Nur wenn der ÖV viele, differenzierte Ele-mente zu einem attraktiven Gesamtsystem verknüpft, mit integrier-tem Fahrplan und Tarif, gemeinsamem System-Marketing und enger Kooperati-on, erreicht er eine optimale Attraktivität, Leistungsfähigkeit und Akzeptanz. Das europaweite Musterbeispiel hierfür ist die Schweiz mit ihrem Generalabo, inte-griertem Taktfahrplan und einer über alle administrativen Ebenen und organisa-torischen Teilsektoren hinausreichenden einheitlichen Gesamtphilosophie, die das Ziel hat, die Gesamtnachfrage zu maxi-mieren. Davon ist Deutschland noch weit

. Nr.11 . Oktober 2010

Fernbusse sind verkehrspolitisch nur sinnvoll, wenn sie im Gesamtsystem geplant werden.

Page 14: Zugkunst Magazin 11

14

am Herzen liegt und auf der er seine – in der Regel von regionalen Betrieben angemieteten – Fahrzeu-ge bereits den ersten Pro-bebetrieb hatte absol-vieren lassen, blieb vom Rotstift nicht verschont: Die Frühverbindung von Leipzig nach Dresden fiel weg, der erste Bus in die Landeshauptstadt startet vom Leipziger Messegelände jetzt erst um 11.33 Uhr.

Dementsprechend durchwachsen fällt die Bilanz des Schnellbus-Anbieters aus. Denn in der Gegenrichtung, also von Dresden nach Leipzig, sei gerade die Früh-fahrt, die um 5.38 Uhr am Bahnhof Neu-stadt startet, das „wichtigste Zugpferd“. Dort scheint der Hintergedanke des in Potsdam ansässigen Unternehmens, seine Leistungen auch bewusst als Konkurrenz zur Bahn und deren Regionalexpress-Ver-bindungen zu konzipieren, am ehesten auf-zugehen. Auf der Strecke Dresden-Leipzig treten seine Busse direkt gegen den RE 50 und auch den DB-Fernverkehr an. Mit aktu-ell 11,20 Euro kostet die Fahrt vom Bahnhof Neustadt zur Leipziger Messe noch knapp

weniger als die gleiche Strecke per Bahn mit Bahncard. „Man könnte auch plakativ sagen: Wir fahren für weniger als die Hälf-te“, sagt Pitzen schmunzelnd.

Doch mit großen Tönen ist der 39-Jährige zurückhaltend.

„Wir haben aus den Gegebenheiten das Beste gemacht“, findet der Unternehmer. Dass sein Betriebsknotenpunkt, an dem sich alle drei Linien treffen und Anschluss-verbindungen möglich sind, der Flughafen

Leipzig/Halle ist, habe in erster Linie organi-satorische, aber auch lizenzrechtliche Gründe. Der für die AutobahnEx-press-Fahrgäste weitaus attraktivere Weg von und zur Leipziger City führt indes über den Haltepunkt Messege-

lände. Dem hat Pitzen mit einer Koopera-tion mit den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB) Rechnung getragen: Seit Juni gibt es ein Kombiticket, durch das die Fahrkarten für Schnellbusse zugleich als Ticket für die Busse und Straßenbahnen vom und zum Messegelände gelten. Dieser Deal, gleichwohl für Pitzen vorteilhaft, ist nicht unumstritten: Sein privatwirtschaftlicher Busbetrieb wird so indirekt vom kommu-nalen und subventionierten Verkehrsun-ternehmen LVB unterstützt – zu Lasten der Stadt Leipzig als Aufgabenträgerin im städtischen Nahverkehr.

Dass dennoch auf vielen Fahrten der blau-weißen Busse viele Plätze leer bleiben – davon will sich Pitzen nicht entmutigen lassen. Denn erstens gebe es „immer noch die Faustregel, nach der jedes neue Ange-bot mindestens ein Jahr benötigt, um aus-reichend bekannt zu werden“, betont der AutobahnExpress-Chef. Zweitens arbeitet das Unternehmen recht intensiv an der Kundenbindung – und testet Angebote wie eine rabattierte Pendler-Wochenkar-ten oder günstigere Mehrfahrten-Tickets. Und drittens geht Pitzen davon aus, dass die von der Bundesregierung angekündig-te Liberalisierung des Fernbusnetzes nicht mehr allzu lange auf sich warten lasse und dann „neue Möglichkeiten“ eröffne.

Mit seinem Autobahn-Express will Con-stantin Pitzen der Bahn unter anderem zwischen Leipzig und Dresden Konkur-renz machen. Nach einem knappen Jahr Betrieb ist die Bilanz durchwachsen – es fehlt nicht nur an Fahrgästen, auch die gesetzlichen Regeln ließen wenig Raum zur Entfaltung, sagt Pitzen.

Von einer Vollbremsung will Constan-tin Pitzen nicht reden. Lieber spricht der Geschäftsführer der AutobahnExpress Schnelllinienbus GmbH von einer einge-planten „Beobachtungsphase“. Seit Ende September vergangenen Jahres sind seine blauen Busse mit markanter Aufschrift im Freistaat unterwegs. Seit Beginn dieses Jahres war das Fahrplan-Paket komplett – je vier Fahrten täglich auf drei Linien, be-nannt nach deren als Hauptverkehrsweg genutzten Autobahnen: Die Linie A9 von Potsdam nach Leipzig, die Linie A 14 von Leipzig nach Dresden und die Linie A 38 von Leipzig/Halle nach Göttingen/Kassel. Doch bereits im Juni musste Pitzen das Ange-bot um ein gutes Drittel eindampfen. „Wir sind mit vier Fahrten am Tag an den Start gegangen, um zu beobachten, zu welchen Zeiten die meisten Kunden mit uns fah-ren“, sagte der Unternehmer der Leipziger Volkszeitung.

Dabei stellte sich heraus, dass insbesondere die Nachfra-ge nach Busreisen in Richtung Kassel und Göttingen nicht groß genug ist. Das Angebot wurde deshalb glatt halbiert, auch auf der Linie von und nach Potsdam muss der Auto-bahnExpress auf einen Umlauf verzichten.

Selbst diejenige seiner Strecken, die Pitzen nach eigenen Angaben besonders

Gebremster­ExpressFernbus Leipzig – Dresden: Konkurrenz zum Regionalexpress?

Die Bilanz des Schnellbus­Anbie­ters fällt durch­wachsen aus.

Page 15: Zugkunst Magazin 11

Fabian Haunerland, Consultant der Mar-keting-Beratung Probst & Consorten Bus- und Bahnunternehmen in Vertriebs- und MarketingfragenConstantin Pitzen, Geschäftsführer AutobahnExpress Schnelllinienbus GmbHOliver Mietzsch, Hauptreferent des Deut-schen Städtetages, Berlin und KölnChristoph Schaaffkamp, Geschäftsfüh-rer des Beratungsunternehmens KCWDr. Axel Sondermann, Geschäftsführer der Veolia Verkehr GmbHProf. Heiner Monheim, Fachbe reich Raumentwick lung und Landes planung an der Universität Trier

QuellenWalter, Matthias et. al.:, Potenzial des Fernlinienbusverkehrs in Deutschland. Chancen für Umwelt, Mobilität und Wett-bewerb. In: Internationales Verkehrswesen, 4/2009, S. 115 ff.VCD (Verkehrsclub Deutschland e.V., Hrsg.): VCD Position – Fernlinienbusse, Berlin 6/2010BVerwG-Urteil 3 C 14.09 vom 24. 06. 2010, zum Thema Linienfernverkehr mit Bussen

ImpressumHerausgeber Zweckverband für den Nahverkehrsraum Leipzig Karl-Liebknecht-Straße 8, 04107 LeipzigVerantwortlich Andreas Glowienka, GF ZVNLRedaktionelle Vorbereitung und Recherche Matthias Reichmuth, Leipziger Institut für Energie GmbHText / Layout / Herstellung MinneMedia GmbH, Leipzig/DresdenKontakt Telefon 0341 / 22586-0 E-Mail [email protected]

Die­Redaktion­danktGastautoren und Quellen

15

Für Constantin Pitzen sollte das „defi-nitiv lieber heute als morgen“ passieren, damit sein Unternehmen deutlich mehr lukrative Strecken ins Angebot nehmen könne. Aktuell aber seien die Bedingun-gen „sehr, sehr schwierig“. So sei es noch üblich, dass vor der Genehmigung neu-er Fernbusverbindungen eine Anhörung stattfinde, bei der Mitbewerber gefragt würden, ob sie einverstanden seien. „Nach gegenwärtigem Stand hat die DB AG ein Vetorecht – sie kann verhindern, dass wir Strecken bekommen“, sagt Pitzen.

Für die bislang konsequenten Nutzung des Vetorechts kann die Bahn aus ihrer Sicht auch durchaus zwingende Argumen-te anführen: Durch die Bus-Konkurrenz, etwa zwischen Dresden und Leipzig, ver-mindern sich potenziell die SPNV-Fahrgeld-einnahmen. Die Aufgabenträger müssten also mehr zuschießen – und damit aus

. Nr.11 . Oktober 2010

Arnd SchäferGeschäftsführer der BAG des SPNV e. V.

Am 12. September 2010 verstarb Herr Arnd Schäfer, Geschäftsführer der BAG des SPNV e. V. Die Initiatoren und Leser der zugkun t kennen ihn als engagierten Autor und fundierten Fachmann in alle Belangen des Schienenpersonennahverkehrs. Seine Beiträge in den Aus-gaben 4 und 9 unseres Magazins seien an dieser Stelle nochmals zur Lektüre empfohlen.

Sein Tod hat uns alle tief getroffen und hinterlässt menschlich wie fachlich eine große Leere. Wir wünschen besonders seiner Familie die notwendige Kraft, um diese schwere Zeit zu überstehen und die Erinnerung an ihn zu pflegen.

Steuermitteln indirekt den Parallelverkehr mitfinanzieren. Zugespitzt bedeutet das nicht weniger als eine Privatisierung von (Bus-)Gewinnen bei gleichzeitigen neuen Verlusten der öffentlichen Kassen.

Problematisch bleibt indes, dass der Konzern selbst eine Doppelrolle ein-nimmt: Er konzentriert sich nicht nur auf den Schienenverkehr, sondern betreibt selbst Fernbuslinien – etwa von Dresden nach Berlin. Pitzen und andere Beobach-ter unterstellen dem Konzern deshalb eine Januskopf-Strategie: Diese bekämpfe einerseits die Buskonkurrenten und berei-te sich andererseits auf den freien Markt vor. Selbst der Ersatz von Intercity-Zügen durch Busse werde hinter vorgehaltener Hand diskutiert. Kommentieren will man das bei der Bahn nicht: „Wir beobachten den Markt und die Entwicklung selbstver-ständlich sehr genau“, sagt ein Sprecher.

Zugkun t­trauert­um­seinen­Autor­und­Unterstützer­Arnd­Schäfer

Page 16: Zugkunst Magazin 11

[ herausgeber ]

Zweckverband für den Nahverkehrsraum Leipzig Karl-Liebknecht-Straße 8 04107 Leipzig