ZUM AKTUELLEN KLIMAPROBLEMATIK N K MENSCH ......Christian-D. Schönwiese Institut für Meteorologie...

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5 ZUM AKTUELLEN STAND DER KLIMAPROBLEMATIK: NACHWEIS DES KLIMAFAKTORS MENSCH IN DEN BEOBACHTUNGSDATEN UND MODELLABSCHÄTZUNGEN Christian-D. Schönwiese Institut für Meteorologie und Geophysik der Universität Frankfurt a.M. 1. Wissenschaftliche und öffentliche Relevanz der Klimaproblematik Die Klimaproblematik lässt sich im wesentlichen durch zwei miteinander gekoppelte Pro- blemkreise kennzeichnen: a) Zum einen ist der Mensch (die Anthroposphäre) und mit ihm alles Leben auf unserem Pla- neten (die Biosphäre) offensichtlich von der Gunst des Klimas abhängig. Das betrifft nicht nur die Ökosysteme, sondern auch die wirtschaftlichen und sozialen Belange der Menschheit. b) Zum anderen nimmt der Mensch – in Konkurrenz zu den natürlichen Klimaänderungen – auch selbst mehr und mehr auf das Klima Einfluss, und dies keinesfalls immer zu seinem Vorteil. Es kann uns daher nicht gleichgültig sein, was mit dem Klima der Erde geschehen ist und in Zukunft geschehen wird. Angesichts dieser ebenso brisanten wie im einzelnen sehr komplizierten Problematik ist es nicht verwunderlich, dass neben der wissenschaftlichen Relevanz, die sich in intensiver welt- weiter Klimaforschung und auch in den Statusberichten des IPCC (UN Intergovernmental Pa- nel on Climate Change) niederschlägt, der Funke der Klimadebatte seit etwa zwei Jahrzehnten auch auf die Öffentlichkeit übergesprungen ist. Leider gleitet dort die Diskussion aber nicht selten in die Extrempositionen „Klimakatastrophe“ auf der einen und „Klimairrtum" oder gar „Klimaschwindel“ auf der anderen Seite ab. Mit solchen Extrempositionen werden wir jedoch weder den Erkenntnissen der klimatologischen Wissenschaft noch unserer Verantwortung ge- genüber zukünftigen Generationen gerecht. Mancher mag die in Zukunft möglicherweise ein- tretenden, von uns verursachten Klimaänderungen durchaus als „Katastrophe“ empfinden; die aber ist eine subjektive Bewertung und kein exakter wissenschaftlicher Bergriff, der zudem nicht den erheblichen Unsicherheiten solcher Vorhersagen Rechnung trägt. Andererseits gau- kelt uns der „Klima-Irrtum“ vor, wir hätten kein Problem, was zu fatalen Folgen für uns alle führen könnte („Schwindel“ ist sowieso eine bösartige, völlig unangebrachte Unterstellung). Vielmehr müssen wir uns ganz nüchtern und objektiv fragen: Welche Informationen haben wir über das Klima der Vergangenheit? Wie sieht das Bild der Klimaänderungen in Zeit und Raum aus, das sich daraus ergibt, und wie verlässlich ist es? Was sind die Ursachen der beob- achteten Klimaänderungen; in welcher Relation stehen natürliche Ursachen und menschliche Beeinflussungen? Ist denn der Klimafaktor Mensch in den Klimabeobachtungsdaten schon 6 identifizierbar? Inwiefern kann die Klimamodellierung zur Klärung dieser Problematik bei- tragen und wie sehen die Zukunftsperspektiven aus? Schliesslich, welche Konsequenzen zie- hen wir aus unseren Erkenntnissen? Im folgenden wird nun versucht, aus aktueller Sicht (vgl. auch IPCC, Houghton et al., 2001; Stellungnahme der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft zu Klimaänderungen, DMG, 2001) auf diese Fragen in aller Kürze Antworten zu geben. Dabei liegt der Schwerpunkt der Betrachtung hier weniger auf der physikochemischen Klimamodellierung (vgl. dazu u.a. IPCC, 2001; Cubasch und Kasang, 2000), sondern auf den Beobachtungsindizien und ihrer Interpretation. 2. Klimaänderungen der Vergangenheit Seit die Erde existiert, gibt es Klimaänderungen (Schwarzbach, 1974; Schönwiese, 1995; Lózan et al., 1998, 2001; u.v.a), und das wird auch in Zukunft so bleiben. Allerdings ist nach dem Ende der letzten Kaltzeit („Eiszeit“), zwischen 11000 und 10000 Jahren vor heute, ver- bunden mit einem Anstieg der global gemittelten bodennahen Lufttemperatur um ungefähr 4 - 6 K, d.h. in der heutigen Warmzeit (Neo-Warmzeit = Holozän = Postglazial) ein bemer- kenswert stabiler Klimazustand eingetreten, der langzeitlich und global gemittelt nur noch Fluktuationen um rund 1 K um den Mittelwert von 288 K (+ 15 °C) zugelassen hat, was die Entwicklung der Menschheit (neolithische Revolution, Entstehung der Hochkulturen) sicher- lich sehr gefördert hat. Die überaus abrupten Klimaänderungen, zuletzt für die Zeit des ge- nannten Kalt-/Warmzeitübergangs nachgewiesen (z.B. sog. Jüngere Dryaszeit mit einem Rückfall in Eiszeitbedingungen innerhalb weniger Jahrzehnte und ebenso rascher Beendigung dieser Episode) scheinen daher – vorerst - der weit zurückliegenden Vergangenheit anzugehö- ren. Freilich dürfen auch die Auswirkungen zunächst relativ gering erscheinender Klimaände- rungen nicht unterschätzt werden: Im Zuge der Erwärmung seit 1850 um „nur“ einige Zehntel Grad (genaueres folgt) haben beispielsweise die Alpengletscher etwa die Hälfte ihres Volu- mens verloren (Häberli et al., 2001). In der letzten Zeit sind schrittweise sehr genaue Rekonstruktionen der relativen Variationen der Jahresmittelwerte der nordhemisphärisch gemittelten Lufttemperatur zugänglich gewor- den, die auf einer Vielzahl indirekter Klimazeugen beruhen (u.a. Jahresringe der Bäume; Mann et al., 1999). Dabei zeigt die entsprechende 1000-jährige Zeitreihe, vgl. Abb. 1, dass sich die letzten ungefähr ca. 100 - 150 Jahre überaus markant von der vorangehenden Kli- mageschichte unterscheiden: Im Gegensatz zu den vorangehenden relativ geringen, überwie- gend fluktuativen Variationen ist in zwei Schüben ein – klimatologisch gesehen – enormer Temperaturanstieg eingetreten, mit dem Jahr 1998 als dem bisher wärmsten des letzten Jahr- tausends.

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ZUM AKTUELLEN STAND DER KLIMAPROBLEMATIK:NACHWEIS DES KLIMAFAKTORS MENSCH

IN DEN BEOBACHTUNGSDATEN UND MODELLABSCHÄTZUNGEN

Christian-D. SchönwieseInstitut für Meteorologie und Geophysik der Universität Frankfurt a.M.

1. Wissenschaftliche und öffentliche Relevanz der Klimaproblematik

Die Klimaproblematik lässt sich im wesentlichen durch zwei miteinander gekoppelte Pro-blemkreise kennzeichnen:a) Zum einen ist der Mensch (die Anthroposphäre) und mit ihm alles Leben auf unserem Pla-neten (die Biosphäre) offensichtlich von der Gunst des Klimas abhängig. Das betrifft nicht nurdie Ökosysteme, sondern auch die wirtschaftlichen und sozialen Belange der Menschheit. b)Zum anderen nimmt der Mensch – in Konkurrenz zu den natürlichen Klimaänderungen –auch selbst mehr und mehr auf das Klima Einfluss, und dies keinesfalls immer zu seinemVorteil.

Es kann uns daher nicht gleichgültig sein, was mit dem Klima der Erde geschehen ist und inZukunft geschehen wird.

Angesichts dieser ebenso brisanten wie im einzelnen sehr komplizierten Problematik ist esnicht verwunderlich, dass neben der wissenschaftlichen Relevanz, die sich in intensiver welt-weiter Klimaforschung und auch in den Statusberichten des IPCC (UN Intergovernmental Pa-nel on Climate Change) niederschlägt, der Funke der Klimadebatte seit etwa zwei Jahrzehntenauch auf die Öffentlichkeit übergesprungen ist. Leider gleitet dort die Diskussion aber nichtselten in die Extrempositionen „Klimakatastrophe“ auf der einen und „Klimairrtum" oder gar„Klimaschwindel“ auf der anderen Seite ab. Mit solchen Extrempositionen werden wir jedochweder den Erkenntnissen der klimatologischen Wissenschaft noch unserer Verantwortung ge-genüber zukünftigen Generationen gerecht. Mancher mag die in Zukunft möglicherweise ein-tretenden, von uns verursachten Klimaänderungen durchaus als „Katastrophe“ empfinden; dieaber ist eine subjektive Bewertung und kein exakter wissenschaftlicher Bergriff, der zudemnicht den erheblichen Unsicherheiten solcher Vorhersagen Rechnung trägt. Andererseits gau-kelt uns der „Klima-Irrtum“ vor, wir hätten kein Problem, was zu fatalen Folgen für uns alleführen könnte („Schwindel“ ist sowieso eine bösartige, völlig unangebrachte Unterstellung).

Vielmehr müssen wir uns ganz nüchtern und objektiv fragen: Welche Informationen habenwir über das Klima der Vergangenheit? Wie sieht das Bild der Klimaänderungen in Zeit undRaum aus, das sich daraus ergibt, und wie verlässlich ist es? Was sind die Ursachen der beob-achteten Klimaänderungen; in welcher Relation stehen natürliche Ursachen und menschlicheBeeinflussungen? Ist denn der Klimafaktor Mensch in den Klimabeobachtungsdaten schon

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identifizierbar? Inwiefern kann die Klimamodellierung zur Klärung dieser Problematik bei-tragen und wie sehen die Zukunftsperspektiven aus? Schliesslich, welche Konsequenzen zie-hen wir aus unseren Erkenntnissen?

Im folgenden wird nun versucht, aus aktueller Sicht (vgl. auch IPCC, Houghton et al., 2001;Stellungnahme der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft zu Klimaänderungen, DMG,2001) auf diese Fragen in aller Kürze Antworten zu geben. Dabei liegt der Schwerpunkt derBetrachtung hier weniger auf der physikochemischen Klimamodellierung (vgl. dazu u.a.IPCC, 2001; Cubasch und Kasang, 2000), sondern auf den Beobachtungsindizien und ihrerInterpretation.

2. Klimaänderungen der Vergangenheit

Seit die Erde existiert, gibt es Klimaänderungen (Schwarzbach, 1974; Schönwiese, 1995;Lózan et al., 1998, 2001; u.v.a), und das wird auch in Zukunft so bleiben. Allerdings ist nachdem Ende der letzten Kaltzeit („Eiszeit“), zwischen 11000 und 10000 Jahren vor heute, ver-bunden mit einem Anstieg der global gemittelten bodennahen Lufttemperatur um ungefähr 4- 6 K, d.h. in der heutigen Warmzeit (Neo-Warmzeit = Holozän = Postglazial) ein bemer-kenswert stabiler Klimazustand eingetreten, der langzeitlich und global gemittelt nur nochFluktuationen um rund 1 K um den Mittelwert von 288 K (+ 15 °C) zugelassen hat, was dieEntwicklung der Menschheit (neolithische Revolution, Entstehung der Hochkulturen) sicher-lich sehr gefördert hat. Die überaus abrupten Klimaänderungen, zuletzt für die Zeit des ge-nannten Kalt-/Warmzeitübergangs nachgewiesen (z.B. sog. Jüngere Dryaszeit mit einemRückfall in Eiszeitbedingungen innerhalb weniger Jahrzehnte und ebenso rascher Beendigungdieser Episode) scheinen daher – vorerst - der weit zurückliegenden Vergangenheit anzugehö-ren. Freilich dürfen auch die Auswirkungen zunächst relativ gering erscheinender Klimaände-rungen nicht unterschätzt werden: Im Zuge der Erwärmung seit 1850 um „nur“ einige ZehntelGrad (genaueres folgt) haben beispielsweise die Alpengletscher etwa die Hälfte ihres Volu-mens verloren (Häberli et al., 2001).

In der letzten Zeit sind schrittweise sehr genaue Rekonstruktionen der relativen Variationender Jahresmittelwerte der nordhemisphärisch gemittelten Lufttemperatur zugänglich gewor-den, die auf einer Vielzahl indirekter Klimazeugen beruhen (u.a. Jahresringe der Bäume;Mann et al., 1999). Dabei zeigt die entsprechende 1000-jährige Zeitreihe, vgl. Abb. 1, dasssich die letzten ungefähr ca. 100 - 150 Jahre überaus markant von der vorangehenden Kli-mageschichte unterscheiden: Im Gegensatz zu den vorangehenden relativ geringen, überwie-gend fluktuativen Variationen ist in zwei Schüben ein – klimatologisch gesehen – enormerTemperaturanstieg eingetreten, mit dem Jahr 1998 als dem bisher wärmsten des letzten Jahr-tausends.

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Abb. 1: Relative jährliche Variationen (Anomalien) der nordhemisphärisch gemittelten bodennahenLufttemperatur in den letzten rund 1000 Jahren (1000-1980; nach Mann et al., 1999), abgeschätztaufgrund verschiedener indirekter Rekonstruktionstechniken, ausgezogen, zugehörige 30-jährigeGlättung, dick ausgezogen, und Vergleich mit den entsprechenden, auf direkten Messungen beruhendenDaten 1856-1998 (IPCC, 2001; vgl. Abb. 2), gestrichelt.

Diese Erwärmung ist in Abb. 2, nunmehr in globaler Mittelung (einschliesslich Ozeanen;IPCC, Houghton et al., 2001, bzw. CRU, 2001) und beruhend auf der Analyse direkt gewon-nener Messdaten, für die Zeit ab 1856 genauer zu sehen. Die Unschärfe der Abschätzung die-ser Jahreswert-Anomalien, die für die Zeit vor 1000 Jahren bei etwa +/- 0.4 K liegt, beträgtfür diese jüngere Zeit nur noch ca. +/- 0.05 K (IPCC, 2001). Man erkennt wiederum den bis-herigen Rekordwert des Jahres 1998, zudem, dass sich für die Zeit 1856-2000 ein linearerTrend von 0.6 K errechnen lässt. Die zwei Schübe, in denen die hauptsächliche Erwärmungstattgefunden hat, lässt sich nun auf die Zeit ca. 1910 - 1945 und seit ca. 1975 festlegen (miteinem zeitlichen Gradienten von 0.3 K in den Jahren 1981 - 2000 bzw. 0.15 K pro Jahrzehnt,was eine ausserordentlich rasche Klimaänderung bedeutet).

Vergleicht man damit die mittlere Deutschland-Temperatur, die sich ebenfalls auf derGrundlage direkter Messdaten und bei ähnlicher Genauigkeit ab 1761 rekonstruieren lässt(Rapp, 2001), siehe Abb. 3, so ist bis etwa 1890 nur ein statistisch nicht signifikanter Abküh-lungstrend erkennbar, aber danach eine noch stärkere Erwärmung als im globalen Mittel: +0.9K in den Jahren 1890 - 1999. Das jüngste Jahr 2000 hat sozusagen noch einmal zugelegt undist in diesem Fall das wärmste seit Messbeginn. Dies weist auf die räumlichen Unterschiededer Klimaänderungen hin: Der Korrelationskoeffizient der Jahresdaten 1891-1990 zwischender global und für Deutschland gemittelten bodennahen Lufttemperatur beträgt lediglich 0.44.Auffällig ist auch die relativ grosse Variabilität der Deutschland-Daten, so dass sich der Trendseit 1890, obwohl er grösser als im globalen Mittel ist, weniger stark von dieser Variabilität(genauer: interannuären Varianz) abhebt; statistisch gesehen ist er somit auch wenigersignifikant (nur > 85%) als im globalen Mittel (dort > 99%).

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Abb. 2: Relative jährliche Variationen (Anomalien, Referenzintervall 1961-1990) der global gemitteltenbodennahen Lufttemperatur 1856-2000 (Land- und Ozeangebiete; nach CRU bzw. IPCC, 2001), 10-jährige Glättung und linearer Trend. Insgesamt beträgt dieser Trend 0.6 K, für die Zeit 1901-2000 → 0.7K, für 1981-2000 → 0.3 K (somit deutliche Trendverstärkung).

Abb. 3: Relative jährliche Variationen (Anomalien, Referenzintervall 1961-1990) der Deutschland-Mitteltemperatur 1761-2000 (nach Rapp, 2000, ergänzt), 20-jährige Glättung und lineare Trends 1761-1890 (- 0.2 K) bzw. 1891-2000 (+ 0.9 K; somit grösser als im globalen Mittel).

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Konzentriert man sich auf die Analyse relativ langfristiger Trends, dies jedoch in regionalerund jahreszeitlicher Differenzierung, so ergeben sich je nach betrachteter Region sehr unter-schiedliche Bilder. Global gesehen erscheinen 100-jährig (1891 - 1990) die Maxima der Er-wärmung mit über 3 K im Winter der Regionen Grönland/Nordostkanada und Sibirien; imSommer haben sich die Regionen Grönland, Sibirien und auch ein Teil des subtropischenSüdpazifiks dagegen in der gleichen Zeitspanne leicht abgekühlt (Schönwiese et al., 1998). InEuropa, wo die grosse Informationsdichte eine wesentliche genauere Analyse der Klimaände-rungsstrukturen erlaubt, liegt das Maximum der Erwärmung mit ca. 2.5 K im Winter Osteuro-pas und der Abkühlung mit ca. 0.5 K im Südosten Europas (Schönwiese und Rapp, 1997;Schönwiese, 1999).

Die Klimaänderungen der Vergangenheit sind somit – selbst wenn man sich lediglich auf re-lativ langfristige Trends konzentriert – sehr kompliziert, und Abb. 4 vermittelt einen partiellenEindruck davon. In diesem Beispiel sind für Europa die winterlichen Trends 1961-1990 fürdie bodennahe Lufttemperatur (T), den Niederschlag (N), den Luftdruck in Meeresspiegel-höhe (P) und den Luftdruck in ca. 5.5 km Höhe (500 hPa - Druckniveau; Φ) verglichen. Manerkennt, dass sich in dieser Zeit die Erwärmung mit Maximalwerten um 2 K auf die Breiten-kreiszone ca. 45° - 60 ° Nord konzentriert hat, begleitet von Abkühlungen in einer TeilregionNordskandinaviens (maximal ca. – 0.5 K) und im äußersten Südosten (maximal ca. – 1.5 K).In Nord-, West- und Mitteleuropa geht dies Hand in Hand mit einer winterlichen Nieder-schlagszunahme, die Werte bis zu 30 % (des Mittelwertes) erreicht (im einzelnen aber deut-lich kompliziertere Struktur als bei den Temperaturtrends).

Noch auffälliger ist eine markante Niederschlagsabnahme, insbesondere im östlichen Mittel-meerraum sowie der Region Schwarzes Meer mit maximal über 50 %. Dieses Maximum ko-inzidiert - meteorologisch sinnvoll - mit dem Maximum der Zunahme des auf Meeresspiegel-höhe bezogenen Luftdrucks. Dieses Trendfeld (P) weist eine recht übersichtliche Struktur mitAbnahme im Norden und Zunahme im Süden auf. Im Vergleich mit den mittleren Gegeben-heiten (Island-Tief im Norden, Azoren-Hoch im Süden; jeweils westlicher Grenzbereich) be-deutet dies eine Zunahme des meridionalen (Nord-Süd-) Luftdruckgradienten, was seinerseitszu einer Intensivierung der winterlichen Zonalzirkulation (westliche Strömungskomponente)führen muss. Dies ist, über die Advektion relativ milder und feuchter Luftmassen aus dematlantischen Raum, mit der Wintermilderung und der Niederschlagszunahme in West- undMitteleuropa konsistent. Die Höhenkarte (Φ), d.h. die Betrachtung der Luftdrucktrends inrund 5.5 km Höhe, was als Groborientierung der mittleren troposphärischen Zirkulation ange-sehen wird (die Troposphäre umfasst, grob gesehen, die unteren rund 10 km der Atmosphäre),zeigt, dass diese Zirkulationsumstellung nicht nur die bodennahe Atmosphäre erfasst hat.Daraus könnte u.a. auch auf eine Zunahme der mittleren Windgeschwindigkeit und eventuellauch der Sturmhäufigkeit geschlossen werden. Die Analyse der betreffenden Beobachtungs-daten unterstützt diese These jedoch nicht bzw. nicht eindeutig, da die Ergebnisse wenig si-gnifikant, zum Teil sogar widersprüchlich sind.

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Abb. 4: Lineare Trends 1961-1990 der Winterdaten (Dezember bis einschliesslich Februar) derbodennahen Lufttemperatur (T) in K, des Niederschlages (N) in Prozent, des auf Meeresspiegelhöhereduzierten Luftdrucks (P) in hPa und der geopotentiellen Höhe (Φ) des 500 hPa - Luftdruckniveaus (ca.5.5 km) in gpm, Europa, Interpolation (Kriging) auf einem 3° mal 3° - Gitter geographischer Länge undBreite; gestrichelte Isolinien markieren negative Werte (nach Schönwiese und Rapp, 1997).

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Information A1960-1969

B1970-1979

C1980-1989

D1990-1999

Faktor D:A

Anzahl 27 47 63 87 3,2

Volkswirt. Schäden 71,1 127,8 198,6 608,5 8,6

Versicherte Schäden 6,8 11,7 24,7 109,3 16,1

Ergänzung: Ereignisklassen 1960-1997

Ereignisklasse a bErdbeben 9 % 2 % a = volkswirtschaftliche Schäden

Stürme 37 % 61 % b = versicherte Schäden

Überschwemmungen 46 % 36 % (Alle Schadensangaben inflations-

Sonstiges 8 % 1 % bereinigt in Werten von 1999)

Tab. 1: Grosse Naturkatastrophen 1960 - 1999 und ihre Schäden in Mrd. US $ (nach MünchenerRückversicherung, 2000).

Sogar bei weltweiter Betrachtung sind laut IPCC (Houghton et al., 2001) keine klaren Trendsbei Wind bzw. Stürmen feststellbar. Andererseits ist die Versicherungswirtschaft mit einerenormen Steigerung des Schadensausmasses durch Stürme, Überschwemmungen und anderen„Naturkatastrophen“ konfrontiert, vgl. Tab. 1. Interessanterweise machen dabei Erdbeben nureinen relativ geringen Teil aus; die weitaus meisten dieser „Katastrophen“ sind also klimabe-dingt. Bei der Interpretation ist allerdings zu beachten, dass insbesondere bei der Zunahme derversicherten Schäden auch die zunehmende Bebauung gefährdeter Gebiete zur Schadensex-plosion beigetragen hat. Doch schon die Zunahme der volkswirtschaftlichen Schäden bzw. –ohne Schadensbetrachtung – der Anzahl solcher Ereignisse allein – ist sehr bemerkenswert.

In bestimmten Teilregionen, die eine besonders grosse Informationsdichte (Anzahl der Mess-stationen) aufweisen, wie beispielsweise in Deutschland, lassen sich die Klimaänderungs-strukturen noch wesentlich genauer angeben. Als Beispiel zeigt Abb. 5 die Trends des Win-terniederschlags 1961 - 1990 bzw. 1891 - 1990 in Deutschland (Rapp und Schönwiese, 1996).In den westlichen, insbesondere südwestlichen Landesteilen und im äußersten Osten sind da-bei Trends von bis zu ca. 40 % Niederschlagszunahme feststellbar (mit etwas übersichrliche-ren Ergebnissen bei der 100-jährigen Zeitspanne), die sicherlich mit den ebenfalls beobachte-ten Hochwasserhäufungen in Verbindung stehen. Weltweit (IPCC, Houghton et al., 2001) wiein Europa bzw. Deutschland (Grieser et al., 2000) besteht der dringende Verdacht, dass solcheNiederschlagszunahmen mit einer Zunahme entsprechender Extremereignisse Hand in Handgeht. Jedoch bedarf gerade dieser Aspekt noch eingehenderer weiterer Forschung, wobei beimNiederschlag weitaus grössere Probleme der Messgenauigkeit und räumlichen Repräsentanzbestehen als bei der Temperatur oder beim Luftdruck.

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Abb. 5: Feinanalyse (0,25° mal 0,25° - Gitter, Kriging) ) der winterlichen Niederschlagtrends inProzent, links 1961-1990, rechts 1891-1990, Deutschland, wobei die Rasterung die Signifikanzangibt (hell > 70%, dunkel > 85%, gemäss Mann-Kendall-Trendtest)(nach Rapp und Schönwiese, 1996).

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3. Ursachen der Klimaänderungen

Noch wesentlich komplizierter als das Erscheinungsbild der Klimaänderungen ist ihre Verur-sachung; denn es wirken stets verschiedene Faktoren zusammen, natürliche wie anthropogene,und die Reaktion des Klimasystems – nämlich Atmosphäre / Ozean / Kryosphäre (d.h.Eisgebiete) / Landoberfläche (Pedo-/Lithosphäre, d.h. Boden und Gesteine) / Biosphäre – be-inhaltet teils verstandene, teils zumindest quantitativ unverstandene Rückkopplungen, die aus„kleinen“ Ursachen „grosse“ Wirkungen machen können. Als Zielgrössen werden dabei übli-cherweise bestimmte atmosphärische Messgrössen, die sog. Klimaelemente, betrachtet, wiesie zum Teil in Abb. 4 in ihrem Trendverhalten diskutiert worden sind.

Dieses System kann im Prinzip aus zwei Gründen „gestört“ werden:

• Es treten im Subsystem Atmosphäre/Erdoberfläche Änderungen der Energetik auf, wobeivor allem die Sonneneinstrahlung und die in einem relativ dazu langwelligeren Bereich deselektromagnetischen Spektrums wirksame Wärmeabstrahlung der Erdoberfläche bzw. Atmo-sphäre im Blickpunkt stehen. Es handelt sich dabei stets um Änderungen der Extinktion (Ab-sorption bzw. Streuung bzw. beides) des solaren bzw. terrestrischen Strahlungsflusses durchdie Atmosphäre (vgl. Lehrbücher der Klimatologie, z.B. Roedel, 1992; Schönwiese, 1994). Insolchen Fällen werden die Störungen in Form von Strahlungsantrieben quantifiziert, die eineErhöhung (positiver Antrieb) oder Erniedrigung (negativer) Antrieb) der troposphärischenEnergiebilanz und somit von deren Temperatur zur Folge haben. Bei global integrierenderBetrachtung besteht eine Relation zur Reaktion der global gemittelten bodennahen Lufttempe-ratur, die sich demgemäss auch in Energiebilanzmodellen, der einfachsten Form von Klima-modellen (in diesem Fall offenbar nulldimensional), simulieren lässt.

• Es treten Veränderungen der atmosphärischen bzw. ozeanischen Zirkulation auf, die – fallssie nicht extern (z.B. durch die oben genannten Strahlungsantriebe) veranlaßt bzw. zusätzlichbeeinflusst werden – häufig einen oszillatorischen Charakter haben und daher meist als eineArt Eigenschwingung des Klimasystems aufgefasst werden. Ob dies allerdings immer derRealität entspricht, ist eine offene Frage.

Bei Beschränkung auf Zeitskalen von einigen Jahren bis etwa 100 Jahre (interannuär, interde-kadisch und säkular) und grossräumiger, mehr oder minder globalen Auswirkungen sind derexplosive Vulkanismus und die Sonnenaktivität die wichtigsten Klimafaktoren der erstge-nannten Art, die daher als extern bezeichnet werden. Der explosive Vulkanismus schleudertGase und Partikel bis in die Stratosphäre (d.h. bis oberhalb, grob gesehen, ca. 10 km Höhe), inextremen Fällen sogar bis in die Mesosphäre (oberhalb ca. 50 km Höhe, z.B. Ausbruch desTambora auf Indonesien, 1815). Wichtig sind dabei vor allem die Sulfat-Partikel (SO4- -), diedurch Gas-Partikelumwandlungen allmählich (d.h. im Laufe einiger Monate) aus den schwe-felhaltigen Gasen der vulkanischen Exhalationen entstehen und einen Teil der Sonnenein-strahlung streuen sowie absorbieren. Die Absorption erwärmt die Stratosphäre (bzw. Meso-

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sphäre), die durch die gesamte Extinktion verringerte Transmission in die untere Atmosphäreführt dort zu Abkühlungseffekten. Der troposphärische (direkte und global gemittelte) Strah-lungsantrieb ist somit negativ.

Gemäss der typischen Verweilzeit dieses vulkanischen Schwefelaerosols (in der Stratosphäreungefähr 1 - 3 Jahre) sind diese thermischen Effekte auf Episoden von wenigen Jahren be-schränkt, mit der stärksten Wirkung i.a. ein Jahr nach dem betreffenden Vulkanausbruch. BeiSerien solcher explosiver Vulkanausbrüche bzw. deren längeren Ausbleiben sind aber auchlängerfristige Wirkungen möglich. Jährliche Indexwerte, welche die Intensität des explosivenVulkanismus quantifizieren, sind von verschiedenen Autoren vorgeschlagen worden (z.B.Lamb, 1970, Schönwiese, 1988; Cress und Schönwiese, 1992; Grieser und Schönwiese, 1999)bzw. aus Eisbohrdaten indirekt ersichtlich (siehe z.B. Hammer et al., 1980). Der effusiveVulkanismus, der hauptsächlich Lavaströme erzeugt, ist dagegen kaum klimarelevant.

Die Sonnenaktivität wird, seit der Erfindung des Fernrohrs, anhand der auf der sichtbarenSonnenoberfläche (Photosphäre) auftretenden sog. Sonnenflecken quantifiziert, i.a. durch dieSonnenflecken-Relativzahlen (Keppler, 1990). Diese Flecken, die relativ dunkel und somitrelativ kalt sind, werden durch bestimmte Begleiterscheinungen, insbesondere die Sonnen-fackeln, überkompensiert, so dass die „aktive Sonne“, bei relativ hoher Sonnenfleckenzahl,etwas stärker ausstrahlt als die „ruhige Sonne“. Der Strahlungsantrieb ist somit positiv. Ver-schiedene Autoren haben versucht, dies anhand gemessener bzw. in die Vergangenheit zurückrekonstruierter Daten der „Solarkonstanten“ (Einstrahlung der Sonne an fiktiven äußerenRand der Erdatmosphäre, somit eine „Inkonstante“) zu quantifizieren (z.B. Lean et al., 1995).Auf eher spekulative Hypothesen (z.B. Modifizierung der Bewölkung durch solare Aktivität;Sonnendurchmesseroszillationen) soll hier nicht eingegangen werden (vgl. jedoch z.B.Schönwiese et al., 1994).

Ein sehr prominentes Beispiel interner Zirkulationsveränderungen, denen somit kein Strah-lungsantrieb zugeordnet werden kann, ist das El-Niño-Phänomen (EN). Es äußert sich in epi-sodischen (Zykluslänge ca. 3 - 8 Jahre) Erwärmungen der tropischen Ozeane, besonders mar-kant im Bereich des tropischen Pazifiks vor der Küste von Peru, kommt durch (dreidimensio-nale) Zirkulationsanomalien des tropischen Ozeans zustande und ist seitens der Atmosphäremit der sog. Südlichen Oszillation (SO), einer Art Luftdruckschwingung der tropisch/subtropischen Südhemisphäre, eng korreliert (Details siehe z.B. Arntz und Fahrbach, 1991).Daher spricht man zusammenfassend vom ENSO-Mechanismus. Ein anderes, rein atmo-sphärisches Beispiel ist die Nordatlantik-Oszillation (NAO), die als die meridionale Luft-druckdifferenz zwischen dem Azoren-Hoch und Island-Tief definiert und – wie bereits ange-deutet – für die Intensität der Zonalströmung in diesem Raum und in Europa von Bedeutungist. Obwohl die NAO einen vorherrschenden Zyklus von ca. 7- 8 Jahren aufweist, ist ihr Va-riationsverhalten wesentlich komplizierter und vielfältiger als das des ENSO-Mechanismus(IPCC, Houghton et al., 2001).

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Der Klimafaktor Mensch ist vor diesem Hintergrund als zusätzliche (anthropogene) Einfluss-grösse aufzufassen. Eigentlich hat er die Bühne des Geschehens schon vor Jahrtausenden be-treten, als er im Rahmen der neolithischen Revolution allmählich Natur- in Kulturlandschaf-ten umwandelte, insbesondere durch Waldrodungen und Anlage von landwirtschaftlichenNutzflächen. Ein anderes, jüngeres aber ebenfalls regionales Beispiel ist das „Stadtklima“, dassich vor allem durch die sog. Wärmeinsel, aber auch durch andere Effekte vom Klima desUmlands unterscheidet und besonders gut untersucht ist (vgl. z.B. Fezer, 1995; Kuttler, 2000).Durch solche Eingriffe werden die Strahlungseigenschaften (insbesondere Albedo) der Erd-oberfläche und die Stoff-Flüsse Erdoberfläche-Atmosphäre verändert, was beides klimarele-vante Vorgänge sind.

Ein weiterer, in verschiedenen Regionen der Erde fast gleichzeitig und relativ rasch in Ganggekommener anthropogener Einfluss besteht in der Emission von Schwefeldioxid (SO2) indie Troposphäre, das sich dort – ähnlich dem vulkanogenen stratosphärischen Sulfataerosol –in Sulfatpartikel umwandelt. Eine mögliche Klimarelevanz dieses und anderen troposphäri-schen Aerosols wird schon lange diskutiert; aber erst in den letzten Jahren ist eine gewisseKlarheit hinsichtlich des (direkten) Strahlungsantriebes gewonnen worden, so dass die ent-sprechenden Effekte mit Hilfe aufwendiger Klimamodelle recht plausibel simuliert werdenkönnen.

Der bekannteste und – unter globalen Aspekten – sicherlich bedeutsamste Eingriff des Men-schen in den atmosphärischen Strahlungshaushalt und somit das Klima ist der anthropogene„Treibhauseffekt“, der zusätzlich zum natürlichen auftritt und diesen daher verstärkt (zumphysikalischen Hintergrund siehe Lehrbücher der Klimatologie, zum Teil auch der Physik,z.B. Roedel, 1992; Hantel, 1997; Peixoto und Oort, 1992; Schönwiese, 1994). Er kommt da-durch zustande, dass durch diverse menschliche Aktivitäten unter anderem Kohlendioxid(CO2) vermehrt in die Atmosphäre emittiert wird. Aus Tab. 2 ist zu entnehmen, dass dies inder letzten Dekade (genauer 1990-1997) rund 30 Gt CO2 (entsprechend rund 8 Gt C) pro Jahrwaren, wovon etwa 23 Gt CO2 (6.3 Gt C), also rund 75 %, auf die Nutzung fossiler Energie-träger (Kohle, Erdöl, Gas; einschliesslich der Umwandlungsprozesse z.B. im Verkehrsbe-reich) zurückgeht. Dieser Betrag ist im Laufe des Industriezeitalters ständig angestiegen. ImJahr 1900, beispielsweise, waren es - bei um einen Faktor 12-14 geringerer globaler Primär-energienutzung – anstelle von heute 6.3 erst 0.5 Gt C pro Jahr.

Auf eine nähere Betrachtung des Kohlenstoff-Kreislaufs muss hier verzichtet werden (vgl.dazu z.B. Heimann, 2000; IPCC, 2001). Es sei aber erwähnt, dass die Hauptsenke, die aus dergesamten zusätzlichen anthropogenen CO2-Emission von rund 8 Gt C pro Jahr resultiert, mitschätzungsweise 2,4 Gt C pro Jahr der Ozean ist. Knapp 0,5 Gt C pro Jahr werden durchVerwitterungsprozesse gebunden und rund 3 Gt C pro Jahr verbleiben in der Atmosphäre. DerRest von etwas mehr als 2 Gt C pro Jahr wird biologischen Senken zugeschrieben (z.B. demzunehmenden Holzzuwachs in den Wäldern mittlerer geographischer Breiten aufgrund höhe-

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rer Temperatur, höherer atmosphärischer CO2-Konzentration und Nitrateintrag in den Boden).Gerade die biologischen Quellen und Senken sind aber quantitativ sehr unsicher.

Klar durch Messungen bzw. Rekonstruktionen belegt ist jedoch der daraus resultierende undsomit anthropogene Anstieg der atmosphärischen CO2-Konzentration, ausgehend von rund280 ppm (ppmv) noch um 1800, auf derzeit (Jahr 2000) rund 370 ppm. Es gilt mittlerweile alswahrscheinlich (IPCC, 2001), dass ein so hoher Wert für die vergangenen 20 Jahrmillioneneinmalig ist. Im Holozän, also nach Ende der letzten „Eiszeit“ (wo die CO2-Konzentration mitetwa 180-200 ppm wesentlich niedriger lag) sind wahrscheinlich nur Fluktuationen umhöchstens +/- 10 ppm aufgetreten, wie das Abb. 6 für die Zeit seit ca. 1100 Jahren zeigt.Tab. 2 enthält auch eine Übersicht der wichtigsten weiteren klimawirksamen Spurengase hin-sichtlich anthropogener Emission (mit Aufschlüsselung nach den verschiedenen menschlichenAktivitäten), atmosphärischem Konzentrationsanstieg im Industriezeitalter sowie den dieBeiträge dieser Gase zum natürlichen bzw. anthropogenen Treibhauseffekt.

Abb. 6: Rekonstruktion der atmosphärischen Kohlendioxid (CO2)-Konzentration für die letzten rund1100 Jahre nach Eisbohrungen in der Antarktis (verschiedene Symbole, welche die Messstationenkennzeichnen), 100jährige Glättung (ausgezogene Kurve) und direkte jährliche Messdaten vom MaunaLoa, Hawaii, 1958-2000 (mit x markierte ausgezogene Kurve; Zusammenstellung nach IPCC, 1996, 2001).

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Spurengas, Symbol AnthropogeneEmissionen

AtmosphärischeKonzentrationen

Treibh.natürlich

Treibh.anthrop.

Kohlendioxid, CO2 30 Gt a-1 370 (280) ppm 26 % 61 %

Methan, CH4 400 Mt a-1 1,7 (0,7) ppm 2 % 15 %

FCKW 0,4 Mt a-1 F12: 0,3 (0) ppb - 11 %

Distickstoffoxid, N2O 15 Mt a-1 0,31 (0,28) ppm 4 % 4 %

Ozon, O3 ** 0,5 Gt a-1 (?) 30 (?) ppb 8 % * 9 % *

Wasserdampf, H2O** relativ gering 2,6 (2,6) % 60 % - (indirekt) * mit weiteren Gasen ** räumlich-zeitlich stark variabel, hier bodennahe MittelwerteGt = Milliarden Tonnen, Mt = Millionen Tonnen; ppm = 10-6, ppb = 10-9 Volumenanteile; a = Jahr

Tab. 2: Anthropogene Emissionen (pro Jahr, Bezug 1999), atmosphärische Konzentrationen(Bezug 2000, vorindustrielle Werte, ca. 1800, in Klammern) und relative Beiträge zum natürli-chen bzw. anthropogenen (Zeithorizont 100 Jahre) “Treibhauseffekt” der wichtigsten klima-wirksamen Spurengase (FCKW = Fluorchlorkohlenwasserstoffe, F12 = CF2Cl2) (nach IPCC,Houghton et al., 1996, 2001, ergänzt).

CO2: 75% fossile Energie, 20% Waldrodungen, 5% Holznutzung (Entwicklungsländer)

CH4: 27% fossile Energie, 23% Viehhaltung, 17% Reisanbau, 16% Abfälle (Müllhalden,

Abwässer), 11% Biomasse-Verbrennung, 6% Tierexkremente

FCKW: Treibgase in Spraydosen, Kältetechnik, Dämm-Material, Reinigung

N2O: 23-48% Bodenbearbeitung (einschl. Düngung), 15-38% chemische Industrie,

17-23% fossile Energie, 15-19% Biomasse - Verbrennung

O3: indirekt über Vorläufersubstanzen wie z.B. Stickoxide (u.a. aus dem Verkehr)

Aufschlüsselung der anthropogenen Emissionen (nach Höper, in Lozán et al., 1998, erg.):

Klimafaktor Antrieb (Wm-2) Signal (°C) SignalstrukturTreibhausgase *, TR + 2,1 - 2,8 0,7 - 1,3 progressiverTrend

Sulfatpartikel * , SU - 0,3 - 0,9 0,1 - 0,5 uneinheitlicher Trend **

Kombiniert *, TR + SU + (1,3 - 1,7) 0,5 - 0,7 uneinheitlicher Trend

Vulkanismus (explosiv) - max. 3 *** 0,1 - 0,2 episodisch (1-3 Jahre)

Sonnenaktivität + 0,1 - 0,5 0,1 - 0,3 fluktuativ

El Niño (ENSO) + (intern) 0,2 - 0,3 episodisch (einige Monate)

*anthropogen **verstärkt ca. 1945-1970 *** Pinatubo, 1991: 2,4; 1992: 3,2; 1993: 0,9 Wm-2

Tab. 3: Strahlungsantriebe (+ Erwärmung, - Abkühlung), vorindustriell (ca. 1850) bis heute(nach IPCC, Houghton et al., 2001), und zugehörige mit Hilfe neuronaler Netze geschätzteEffekte (“Signale”) der global gemittelten bodennahen Lufttemperatur für die angegebenenanthropogenen und natürlichen Klimafaktoren (nach Walter et al., 1998; Schönwiese, 1999).

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Den Schlüssel zur Klimawirksamkeit dieser – anthropogenen wie natürlichen – Vorgänge lie-fern, wie schon erwähnt, die Strahlungsantriebe. Sie sind nach den derzeitigen Erkenntnissen(IPCC, Houghton et al., 2001) in Tab. 3 zusammengestellt. Man erkennt, dass der höchsteWert in Zusammenhang mit dem Vulkanismus auftritt, wobei aber zu beachten ist, dass dieserAntrieb stets nur nach grösseren Vulkanausbrüchen und nur jeweils nur für wenige Jahrewirksam ist. Der fast gleich grosse Strahlungsantrieb durch den anthropogenen Treibhausef-fekt wirkt dagegen rezent-langzeitlich (Industriezeitalter) in Form eines progressiven Trends,wie das auch Abb. 6 impliziert. Der drittgrösste Beitrag, in Form eines uneinheitlichen Trends(d.h. wirksam vor allem in der Zeit zwischen 1945, dem Ende des 2. Weltkriegs, bis ca.1970/75, als in einigen Industrieländern wirksame Massnahmen zur Luftreinhaltung durchge-führt wurden), kommt vom anthropogenen troposphärischen Sulfataerosol. Alles andere, ins-besondere auch die Sonnenaktivität, spielt dagegen lediglich eine sehr untergeordnete Rolle.

4. Modellabschätzungen und Detektion des Klimafaktors Mensch

Im weiteren ist jedoch zu beachten, dass diese Strahlungsantriebe jeweils nur deren direktenAnteil enthalten, also keine Rückkopplungen berücksichtigen, und ausserdem global gemitteltsind. Gerade beim Aerosol aber werden erhebliche indirekte Effekte, beispielsweise durchwolkenphysikalische Veränderungen (optische Eigenschaften usw.) vermutet, die sich abernoch nicht genau quantifizieren lassen. Neben den Wolken insgesamt bzw. dem gesamten hy-drologischen Zyklus und dem Meereis gelten auch die Rückkopplungen mit der Vegetationund dem Boden als noch sehr unsicher. Dagegen werden die Wasserdampf-Rückkopplung(insbesondere durch erhöhte Verdunstung des Weltozeans bei Temperaturanstieg) und dieEis-Albedo-Rückkopplung (Veränderung der Landflächenbedeckung mit Schnee bzw. Eisund entsprechender Einfluss auf den Strahlungshaushalt der Erdoberfläche) recht gut verstan-den.

Es ist nun sehr naheliegend und auch oft versucht worden, mit möglichst aufwendigen physi-kalischen Modellen, bei möglichst guter räumlicher und zeitlicher Auflösung und unter Be-rücksichtigung möglichst aller Rückkopplungen, zu simulieren, wie das globale Klimasystembeispielsweise auf die zunehmende anthropogene Emission klimawirksamer Spurengase rea-giert (IPCC, Houghton et al., 2001). Dabei treten eine Reihe von Problemen und Einschrän-kungen auf, die hier nicht näher diskutiert werden können.

Erwähnt sei aber, dass selbst bei Beschränkung auf gekoppelte atmosphärisch-ozeanische Zir-kulationsmodelle (AO-GCM, general circulation models), das heute übliche Werkzeug sol-cher Betrachtungen, räumlicher Auflösung von ca. 200 - 500 km Gitterpunktweite undGleichgewichtssimulation der Reaktion der bodennahen Lufttemperatur auf eine atmosphäri-sche CO2-Konzentrationsverdoppelung gegenüber dem vorindustriellen Niveau die Feldkor-relationen (d.h. Betrachtung der bodennahen Temperaturänderungsstrukturen) der verschiede-nen Modellrechnungen trotz gleichem Simulationsziel ziemlich bescheiden sind; beispiels-

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weise liegt die gemeinsame Varianz bei einem Vergleich des am Max-Planck-Institut fürMeteorologie in Hamburg betriebenen Modells (ECHAM-LSG) mit dem des Hadley Center(Bracknell, England) bei lediglich 32 % (Hegerl et al., 1996). Selbst bei globaler Mittelungder bodennahen Temperatur liegt laut IPCC (2001) die Unsicherheitsspanne bei 2.2 - 4.8 K.Geht man zu transienter, d.h. zeitabhängiger Modellierung über, so wird diese Spanne nochgrösser: 1.4 - 5.8 K Temperaturerhöhung bis zum Jahr 2100 gegenüber 1990. Trotz dieserUnsicherheiten würde dies – das darf dabei nicht übersehen werden – im Vergleich mit denTemperaturänderungen der Vergangenheit (s. Abb. 1) – eine enorme Klimaänderung bedeu-ten.

Wegen dieser Unsucherheiten ist es wichtig, nach Alternativen zu suchen, insbesondere nachStrategien, die den anthropogenen Einfluss auf das Klima anhand der vorliegenden Beobach-tungsdaten, die ja die Realität widerspiegeln, abschätzen (was sich natürlich zunächst nur aufdie Vergangenheit und nicht die Zukunbft beziehen kann). Zwei Versionen solcher empirisch-statistischer Analysen sollen nun betrachtet werden: Sukzessive multiple Regressionen undneuronale Netze. Der gravierende Nachteil solcher Methoden ist natürlich, dass sie die Physikumgehen und letztlich nur auf Ähnlichkeitsanalysen beruhen. Ihr Vorteil ist, ausser der strik-ten Orientierung an den beobachteten Fakten, dass die wesentlich kürzeren Rechenzeiten diesimultane Berücksichtigung mehrerer, anthropogener wie natürlicher, Einflüsse auf das Kli-masystem erlauben. Im folgenden sind das die klimawirksamen Spurengase (in Form vonäquivalenten CO2-Konzentrationen, die somit auch weitere Spurengase berücksichtigen), d.h.der zusätzliche anthropogene „Treibhauseffekt“, die ebenfalls anthropogene Wirkung des tro-posphärischen Sulfataersols, sowie – als natürliche Einflussfaktoren – der explosive Vulka-nismus (in der Parametrisierung nach Grieser und Schönwiese, 2000), die Sonnenaktivität(alternativ Sonnenflecken-Relativzahlen bzw. die Rekonstruktion der Variation der „Solar-konstanten“ nach Lean et. al., 1995) und der ENSO-Mechanismus (vgl. Tab. 3; bei Betrach-tung der Klimavariationen in Europa auch die NAO).

Zunächst zu den neuronalen Netzen (auch auf diese Technik kann hier nicht näher eingegan-gen werden, Details siehe z.B. Brause, 1995; Walter et al., 1998; Walter, 2001). Kurz zusam-mengefasst handelt es sich dabei um eine nicht-lineare multiple Anpassung von Einflussda-ten-Zeitreihen (hier CO2-Äquivalente usw.; neuronale Eingabeschicht) an Klimabeobach-tungsdaten-Zeitreihen (hier bodennahe Lufttemperatur, global gemittelt, aber auch regional-jahreszeitlich differenziert; neuronale Ausgabeschicht), die zunächst in einer Art Training(überwachtes Lernen) mittels der sog. verdeckten Neuronenschicht, welche die Brücke zwi-schen Ein- und Ausgabeschicht bildet, durchgeführt und bei der Backpropagation-Architekturnach einer Kontrolle zuvor nicht verwendeter Daten mittels eines Fehlerkorrektur-Rückflussesin die verarbeitende Schicht optimiert wird. Dabei treten einige freie Parameter auf (Lernpa-rameter sowie Anzahl der Neuronen in der verdeckten Schicht), deren Behandlung nicht ganzunproblematisch ist. Daher ist es sinnvoll, verschiedene Architekturen neuronaler Netze alter-nativ zu verwenden.

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Abb. 7: (——) Jahresanomalien der global gemittelten bodennahen Lufttemperatur 1856-1998 (vgl. Abb. 2),(……) Reproduktion durch ein neuronales Netz (Backpropagation), das gemäss Tab. 3 den anthropogenenTreibhaus- (TR) sowie Sulfateffekt (SU) und weiterhin die natürlichen Faktoren Vulkanismus, Sonnenak-tivität und El Niño enthält, (.–.–.–.) zugehörige TR-, SU- und (TR+SU) -Signalzeitreihen, welche die Ent-wicklung des anthropogenen Anteils dieser Klimaänderungen angeben(jeweils nach Walter, 2001; vgl. auch Walter et al., 1998).

Abb. 7 zeigt, nun, dass z.B. ein Backpropagation-Netzwerk in der Lage ist, unter Nutzung deroben genannten Einflussfaktoren 84 % der beobachteten global gemittelten bodennahenTemperaturvarianz 1856 - 1998 zu reproduzieren. Mit Hilfe der gleichen Technik lässt sichauch das anthropogene Treibhaussignal, d.h. der Anteil der Temperaturänderungen, dieaufgrund dieser Analysemethode auf den Anstieg der atmosphärischen äquivalenten CO2-Konzentration zurückgeführt werden kann, liegt bei 1.1 K, abzüglich des Sulfataerosoleffektsbei 0.8 K (Walter et al., 2001; vgl. auch Walter et al., 1998). Zum Vergleich: Ein simples fast-lineares Regressionsmodell (genauer: logarithmische CO2-Temperaturbeziehung, ansonstenlinear) bringt es bei Anwendung auf die gleichen Datensätze auf 75 % erklärte Varianz undein anthropogenes Treibhaussignal von 0.9 K, abzüglich des Sulfataerosoleffekts 0.6 K(Walter, 2001). Dies deckt sich, was die anthropogenen Signale betrifft, ausgesprochen gutmit entsprechenden AO-GCM-Simulationen (gekoppelte atmosphärisch-ozeanische Zir-kulationsmodelle), die ab 1860 für das anthropogene Treibhaussignal auf ebenfalls rund 1 Kund für das kombinierte Treibhaus-Sulfataerosol-Signal auf etwa 0.6 K kommen (Mitchell etal., 1995; IPCC, Houghton et al., 1996, 2001).

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Mit Hilfe von Tab. 3 lassen sich nun die (direkten) Strahlungsantriebe der verschiedenen hierbetrachteten anthropogenen wie natürlichen Klimafaktoren mit den Ergebnissen solcher empi-risch-statistischer Abschätzungen vergleichen, wobei neben der Signalstärke (d.h. Tempera-turänderung bzw. -amplitude) auch die Signalstruktur bedeutsam ist. Das Ergebnis lautet: Dersäkulare Trend der global gemittelten bodennahen Lufttemperatur wird anthropogenen Ursa-chen, also dem Klimafaktor Mensch zugeschrieben, während die natürlichen Ursachen nurepisodische Anomalien (d.h. relativ kurzfristige Abweichungen von diesem Trend) bzw.Fluktuationen (um diesen Trend herum) bewirkt haben; allenfalls dem solaren Einfluss lässtsich, bei einer der verwendeten alternativen Zeitreihen, ein Trendanteil zuordnen, der bei etwa0.1 K Erwärmung liegt. Tab. 3 beinhaltet auch Unschärfeabschätzungen der verschiedenenSignalstärken, die durch Variation der Parametrisierung der Einflussdaten-Zeitreihen bzw. derfreien Parameter der neuronalen Netze zustande kommen. Auf eine Diskussion der regional-jahreszeitlichen Strukturen der Signalabschätzungen, die ebenfalls vorliegen, kann hier nichteingegangen werden (hinsichtlich neuronaler Netze vgl. dazu insbesondere Walter, 2001).

Zur Detektionsstrategie, die den Nachweis des Klimafaktors Mensch zum Ziel hat, gehörtausser der Abschätzung des Ausmasses der entsprechenden Klimaänderungen, also der Sig-nalstärke, auch eine Aussage über die Wahrscheinlichkeit, mit der sich das anthropogeneKlimasignal von den natürlichen Klimaänderungen abhebt. Das übliche Vorgehen, die sog.Fingerprint-Strategie (IPCC, Houghton et al., 1996, 2001), besteht darin, die dreidimensiona-len, mindestens aber bodennah-zweidimensionalen GCM-Simulationsergebnisse des anthro-pogenen Treibhaussignals mit den entsprechenden Strukturen der Beobachtungsdaten zu kor-relieren (siehe z.B. Hegerl et al., 1996). Dabei tritt aber die Schwierigkeit auf, dass die Kli-mamodelle in ihrer regionalen Aussagekraft unsicher sind und dabei die in den Beobach-tungsdaten sich widerspiegelnden natürlichen Klimavariationen, obwohl sie zumindest partiellauch ursächlich erklärbar sind, nicht berücksichtigt werden.

In einer vom Umweltbundesamt in Auftrag gegeben Studie (Grieser et al., 2000) ist daherversucht werden, den Nachweis allein auf der Grundlage von Beobachtungsdaten mit Hilfesukzessiver multipler Regressionstechniken zu führen. Dabei wurden wieder die gleichenKlimafaktoren in die Analyse einbezogen wie bei den neuronalen Netz-Simulationen (vgl.erneut Tab. 3). Die Strategie besteht in diesem Fall darin, zunächst den Einflussfaktor zu su-chen, der am höchsten mit den Klimabeobachtungsdaten korreliert ist, ihn von diesen Datenmittels Regression sozusagen abzuziehen, danach mit dem Einflussfaktor zweitgrösster Kor-relation ebenso zu verfahren und so weiter. Bei Anwendung auf die global gemittelte boden-nahe Lufttemperatur 1900 - 1998 zeigt sich dann, dass rund 60 % Temperaturvarianz auf denanthropogenen Treibhauseffekt zurückgeführt werden können, rund 20 % auf weitere, natürli-che wie anthropogene Klimafaktoren (dabei 4 % auf die Sonnenaktivität) und von den ver-bleibenden 20 %, dem unerklärten Residuum, 16 % Zufallseigenschaften aufweisen, somitprinzipiell deterministisch unerklärbar sind.

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Abb. 8: „Zufallsrauschen“ der global gemittelten bodennahen Lufttemperatur 1900-1998, nachdem alleerklärbaren Varianzanteile mittels sukzessiver Regression von den Originaldaten subtrahiert wordensind, zugehörige Signifikanzschwellen und (ähnlich Abb. 7) anthropogene TR-, SU- und (TR+SU) – Sig-nalzeitreihen, wobei die TR-Zeitreihe ab dem Jahr 1973 die 99.9 % – Signifikanzgrenze des „Zufalls-rauschens“ überschreitet (nach Grieser et al., 2000).

Vergleicht man nun das anthropogene Treibhausgassignal, das in diesem Fall (seit 1900) 0.7K beträgt, mit diesem unerklärten Residuum, vgl. Abb. 8, so lässt sich daraus schliessen, dasses sich ab 1973 mit 99.9 % Wahrscheinlichkeit davon abhebt, also auf diesem Signifikanzni-veau in den Beobachtungsdaten entdeckbar ist. Wird dieser Vergleich gegenüber der Summeaus unerklärter (wie oben) und durch natürliche Klimafaktoren erklärte Varianz durchgeführt,verschiebt sich das „Entdeckungsjahr“ des anthropogenen Treibhauseffektes auf 1989. BeimÜbergang auf die Analyse der regional-jahreszeitlichen Strukturen der beobachteten Kli-maänderungen bzw. andere Klimaelemente als die Temperatur nimmt diese Wahrscheinlich-keit allerdings rapide ab (Grieser et al., 2000).

5. Konsequenzen

Kurz gefasst, ergeben sich daraus die folgenden Konsequenzen:

• Durch weitere, intensive Forschung den Kenntnisstand zur Klimaproblematik signifikantverbessern; das betrifft die Analyse der Beobachtungsdaten der Vergangenheit (Trends, Ex-tremereignisse, Fluktuationen und deren zeitlich-räumliche Strukturen; empirisch-statistischeModelle zur Entwicklung ursächlicher Hypothesen) genauso wie das Verständnis, die Model-lierung und möglichst Vorhersage der klimawirksamen Prozesse (insbesondere hinsichtlichder Rolle der Wolken, des Niederschlages, des Meereises, der Vegetation und des Bodens imKlimasystem einschliesslich aller Rückkopplungen; sog. Regionalisierung (Downscaling) der

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Modellergebnisse). Weiterhin sind alle ökologischen und sozioökonomischen Auswirkungender Klimaänderungen von besonderem Interesse, und zwar für Vergangenheit und Zukunft.

• Trotz noch offener Fragen und erheblicher Unsicherheiten aufgrund der andererseits zwei-fellos bestehenden Fakten (Vergangenheit, Prozesse) und angesichts des Risikoausmasses(Zukunft) KlimaschutzMassnahmen ergreifen; hier stehen insbesondere die Realisierung derUN-Klimarahmenkonvention (KRK) bzw. des Kyoto-Protokolls (d.h. der Beschlüsse der 3.Vertragsstaatenkonferenz zur KRK) im Vordergrund der Debatte, wie sie in den weiterenBeiträgen dieses Bandes behandelt wird (vgl. dazu auch Anhang).

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Anhang:Der Kerntext der UN-Klimarahmenkonvention (KRK, engl. Framework Convention on Climate Change,FCCC), beschlossen bei der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung (UN Conference on Environment andDevelopment, UNCED, Rio de Janeiro, 1992), völkerrechtlich verbindlich seit 1994, lautet:

„Das Endziel dieses Übereinkommens ... ist es, ... die Stabilisierung der Treibhausgaskon-zentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährlicheanthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird. Ein solches Niveau sollte inner-halb eines Zeitraumes erreicht werden, der ausreicht, damit sich die Ökosysteme auf natürli-che Weise den Klimaänderungen anpassen können, die Nahrungsmittelerzeugung nichtbedroht wird und die wirtschaftliche Entwicklung auf nachhaltige Weise fortgeführt werdenkann“.

Anmerkungen dazu: Die Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages „Schutz der Erdatmosphäre“(1995***) hat daraus allein beim CO2 für die Industrieländer (IL) eine Emissionsreduktionsforderung gegenüber1987 bis 2005 um mindestens 25% und bis 2050 um mindestens 80% abgeleitet. Aufgrund der 3. Vertragsstaa-tenkonferenz zur KRK (Conference of Parties, COP3, Kyoto, 1997) wird weltweit bezogen auf 1990 bis 2008-2012 dagegen lediglich eine Minderung um 5,2% angestrebt (CO2 und weitere Treibhausgase*), in Deutschlandgegenüber früher 25% bis 2005 (Enquête-Kommission, vgl. oben) nunmehr 21% (Konferenz der EU-Umwelt-minister, 1998**). Allerdings ist bis zur 6. Vertragsstaaten-konferenz (COP6, Den Haag, 2000), die im Juli 2001in Bonn fortgesetzt wird, keine Einigung über die internationale Umsetzung der Kyoto-Beschlüsse zustandege-kommen.

*) Das Kyoto-Protokoll berücksichtigt folgende Treibhausgase: Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4), Distick-stoffoxid (N2O), verschiedene Fluorkohlenstoffe (Fluorkohlenwasserstoffe, HFCs, und Perfluorkohlenstoffe,PFCs) sowie Schwefelhexafluorid (SF6). Das oben genannte weltweite Emissionsreduktionsziel setzt sich auseinem bestimmten Länderschlüssel zusammen, an dem u.a. die EU** und die Schweiz mit jeweils -8%, die USAmit -7%, Japan mit -6%, die GUS mit 0% und Australien mit +8% beteiligt sind. Die USA beabsichtigen derzeitallerdings, obwohl sie die Nation mit dem grössten CO2-Ausstoss sind, ihre Kyoto-Zusagen zurückzunehmen.

**) Für die EU sind anvisiert: Luxemburg - 28%, Deutschland -21%, Österreich -13%, Grossbritannien -12,5%,Belgien -7,5%, Italien - 6,5%, Niederlande -6%, Dänemark -2,1%, Frankreich und Finnland 0%, Schweden+4%, Irland +13%, Spanien +15%, Griechenland +25%, Portugal +27%.

***) Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Schutz der Erdatmosphäre“ (Hrsg.), 1995: Mehr Zu-kunft für die Erde. Nachhaltige Energiepolitik für dauerhaften Klimaschutz (Schlußbericht). Economica, Bonn.

Nach zwei derartigen Kommissionen hat der Deutsche Bundestag seit 1995 keine Klima-Enquete-Kommissionmehr eingerichtet. Es existiert zur Zeit aber eine Enquete-Kommission, die sich mit nachhaltiger Energieversor-gung beschäftigt („Nachhaltige Energieversorgung unter den Bedingungen der Globalisierung und der Liberarli-sierung“).

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