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02 DEZEMBER 2003 AKADEMIE AKTUELL 15 AKADEMIE THEMA VON DIETRICH EINZEL A ls ich noch ein ganz junger Physik-Student war, sagte John Wilkins, ein berühm- ter Theoretiker an der Cornell- Universität zu mir „Hey, Dietrich, if you want to get famous one day, SUPRALEITUNG UND SUPRAFLUIDITÄT Zum Nobelpreis 2003 DIE KÖNIGLICH SCHWEDISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN BESCHLOSS, DEN NOBELPREIS DES JAHRES 2003 IN PHYSIK „FÜR BAHNBRECHENDE ARBEITEN IN DER THEORIE DER SUPRALEITER UND SUPRAFLÜSSIGKEITEN“ GEMEINSAM ZU VERLEIHEN. HIER ERFAHREN SIE, WORUM ES BEI DER SUPRALEITUNG UND DER SUPRAFLUIDITÄT EIGENTLICH GEHT Abrikosov-Flussliniengitter in einem Typ-2-Supraleiter PUBLIC DOMAIN

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Als ich noch ein ganz jungerPhysik-Student war, sagteJohn Wilkins, ein berühm-

ter Theoretiker an der Cornell-Universität zu mir „Hey, Dietrich,if you want to get famous one day,

S U P R A L E I T U N G U N D S U P R A F L U I D I T Ä T

Zum Nobelpreis 2003D I E K Ö N I G L I C H S C H W E D I S C H E A K A D E M I E D E R W I S S E N S C H A F T E N B E S C H L O S S ,D E N N O B E L P R E I S D E S J A H R E S 2 0 0 3 I N P H Y S I K „ F Ü R B A H N B R E C H E N D EA R B E I T E N I N D E R T H E O R I E D E R S U P R A L E I T E R U N D S U P R A F L Ü S S I G K E I T E N “G E M E I N S A M Z U V E R L E I H E N . H I E R E R F A H R E N S I E , W O R U M E S B E I D E RS U P R A L E I T U N G U N D D E R S U P R A F L U I D I T Ä T E I G E N T L I C H G E H T

Abrikosov-Flussliniengitter in einem Typ-2-Supraleiter

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you’ve got to predict something!“Die augenzwinkernde Botschaftwar klar: richtig berühmt ist einPhysiker erst dann, wenn ein vonihm vorhergesagter Effekt späterseinen Namen trägt. Die genialeGabe, etwas vorherzusagen, wassich dann in unzähligen Experimen-ten als richtig erweist, vereint diedrei Theoretiker, welche sich dendiesjährigen Physik-Nobelpreisteilen. Die Königliche SchwedischeAkademie der Wissenschaften,Stockholm, verlieh den mit umge-rechnet 1,13 Millionen Euro dotier-ten Preis an die russischen PhysikerAlexei A. Abrikosov (geb. 1928,tätig am Argonne National Labora-tory) und Vitalii L. Ginzburg (geb.1916, tätig am P. N. LebedevPhysical Institute, Moskau) undden Engländer Anthony J. Leggett(geb. 1938, tätig an der Universityof Illinois at Urbana-Champaign)für ihr Lebenswerk im Dienste derErforschung der Supraleitung undder Suprafluidität.

Der Bitte um einige Anmerkun-gen zum diesjährigen Physik-Nobel-preis bin ich besonders gern ge-folgt. Zum einen, weil das Arbeitsgebiet der Nobelpreisträger iden-tisch ist mit einer der wichtigen undtraditionellen Forschungsausrich-tungen des Walther-Meißner-Insti-tuts – schließlich war WaltherMeißner (Präsident der BayerischenAkademie der Wissenschaften von1946 bis 1950) ein Mentor derTieftemperatur- und Supraleitungs-Physik in Deutschland. Zum ande-ren, weil im Jahre 1978 am Walther-Meißner-Institut – in der sog. Baye-rischen Millimühle – die erstenExperimente zur Suprafluidität vonflüssigem 3He (bei weniger als zweiTausendstel Grad oberhalb desabsoluten Temperatur-Nullpunkts)in Deutschland durchgeführt, undu. a. mit der Theorie von TonyLeggett interpretiert wurden. ZumDritten, weil Prof. V. L. Ginzburg,der im Jahre 2000 zum ersten Maldas Walther-Meißner-Institut

besuchte, auf Initiative desselbenmit dem Humboldt-Forschungs-preis des Jahres 2000 ausgezeichnetwurde. Und nicht zuletzt einfachdeshalb, weil die drei Laureaten fürmich persönlich schon immer Leh-rer und Vorbilder waren. GenugMotivation also, um einen Erklä-rungsversuch zu unternehmen,worum es bei der Supraleitung undder Suprafluidität eigentlich geht.

Die Entdeckung der Supraleitungin Metallen (Heike Kamerlingh-Onnes, 1911) und Suprafluiditätvon flüssigem Helium (4He: Allen,Misener und Kapitza, 1938, 3He:Lee, Osheroff und Richardson,1971) konfrontierte die Fachweltmit zwei Phänomenen, derenGemeinsamkeiten man auf denersten Blick nicht ohne Weitereserkennen konnte. Bedeutet Supra-leitung doch, dass Metall-Elektro-nen unterhalb einer bestimmten,meist sehr tiefen (Sprung-) Tempe-ratur Tc ihren elektrischen Wider-stand völlig verlieren, Supraflui-dität dagegen, dass eine Flüssigkeit, gebildet aus elektrisch neutra-len Atomen der Helium-Isotope 4Heoder 3He, ihre Fähigkeit verliert,sich an den Wänden der Strömungs-kanäle vermittels ihrer Zähigkeit(Viskosität) zu reiben. Es ist imÜbrigen bemerkenswert genug,dass sich Helium beim Abkühlennicht, wie fast alle anderen Sub-stanzen, verfestigt, sondern bis zumabsoluten Temperaturnullpunktflüssig bleibt. Da dieser Umstanddurch die Gesetze der Quanten-physik begründet ist, bezeichnetman Helium bei tiefsten Tempera-turen auch als Quantenflüssigkeit.

Prof. Alexei A. Abrikosov

Prof. Vitalii L. Ginzburg

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Sowohl bei der Supraleitung alsauch bei der Suprafluidität hat manes mit der verlustfreien Strömungder jeweiligen Teilchensorte unter-halb der Temperatur Tc zu tun. Eszeigte sich erst im Laufe der Jahr-zehnte, dass das Phänomen mit denMethoden der in den 1930er Jahrenentwickelten Quantenphysik gedeu-tet werden konnte. Normalerweise

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treten quantenphysikalische Phä-nomene bei mikroskopischen Ob-jekten wie Atomen und Molekülenauf. Das Faszinierende an der Supra-leitung und der Suprafluidität alsquantenphysikalisches Phänomenist ihr Auftreten auf makroskopi-scher Skala, d. h. 1023 Teilchen ver-halten sich wie ein einziges Atomoder Molekül. Dies ist die wesentli-che Aussage der ersten phänomeno-logischen Theorie der Supraleitung,formuliert von Fritz und HeinzLondon (1935) und Max von Laue(1938). Der Unterschied zwischenSupraleitung und Suprafluiditätliegt somit nur in der Teilchensorte(geladen, ungeladen) und demdamit verknüpften (Widerstands-oder Reibungs-) Verhalten oberhalbvon Tc.

Da Elektronen von Magnetfeldernauf kreisförmige Bahnen gezwun-gen werden, und umgekehrt Elek-tronen auf kreisförmigen BahnenMagnetfelder erzeugen, kann mansich gut vorstellen, dass supralei-tende Elektronen ein von außenangelegtes Magnetfeld mit einemGegenfeld kompensieren, undsomit dasselbe abschirmen odersogar verdrängen. Es war WaltherMeißner, der zusammen mit RobertOchsenfeld diesen Magnetfeld-Verdrängungs-Effekt im Jahre 1933in Berlin entdeckte. Er ist – denEntdeckern zu Ehren – unter demNamen Meißner-Ochsenfeld-Effektbekannt. Wir wissen heute, dassSupraleiter je nach ihrer Art derFeldverdrängung in zwei Klasseneingeteilt werden können: eineerste (Typ 1), in dem der Meißner-Ochsenfeld Effekt wirkt, d. h. in derdas Innere des Supraleiters (bis aufeine kleine Randschicht) feldfreiist, und eine zweite (Typ 2), in derdas Feld in den Supraleiter ober-halb eines gewissen unterenSchwellenwertes eindringen kannund zwar in Form von sehr dünnensogenannten Fluss-Fäden oderFluss-Schläuchen. Die Dichtedieser Flussfäden wächst mit der

schen Beschreibung in so allgemei-ner Form, dass sie heute noch beider Analyse neu entdeckter Supra-leiter, aber auch anderer Phasen-übergänge angewendet wird undauf diese Weise im Lauf der Jahr-zehnte Tausende von Zitierungenerfahren hat. Im Jahr 1956 gelangA. A. Abrikosov die Pioniertat, fürTyp-2-Supraleiter die Existenz vonFlusslinien sowie deren Anordnungin einem regelmäßigen (Dreiecks-)Gitter mit Hilfe der Ginzburg-Lan-dau-Theorie vorherzusagen. Dadiese Supraleiter Magnetfelder imInneren tolerieren, können die kriti-schen Feldstärken unter Umständensehr hoch sein. Abrikosovs Nameist somit auch mit einer Klasse vonSupraleitern verknüpft, die für dietechnische Anwendung bis heutevon enormer Bedeutung sind. Ihmzu Ehren werden die Flusslinienheute auch als Abrikosov-Vorticesund deren regelmäßige Anordnungals Abrikosov-Gitter bezeichnet.

Eine wichtige Gemeinsamkeitzwischen Elektronen und 3He-Ato-men besteht darin, dass beide Teil-chen die Hälfte des elementarenEigendrehimpulses, den sogenann-ten Spin, aufweisen, der z. B. demIsotop 4He fehlt. Zur besserenUnterscheidung nennt man dieSpin-1/2-Teilchen (oder allgemeinerTeilchen mit halbzahligem Spin)Fermionen und die Teilchen mitganzzahligem Spin Bosonen.Während Bosonen in beliebiggroßer Zahl einen Quantenzustandgegebener Energie besetzen kön-nen, ist das für Fermionen nichtmöglich. Dies wird durch dasPaulische Ausschließungsprinzipverhindert, welches besagt, dassnur jeweils ein einziges Fermioneinen durch Energie und Spincharakterisierten Quantenzustandbesetzen kann. Entsprechend ver-steht man heute die Kondensationeiner makroskopischen Zahl von4He-Atomen bei tiefen Temperatu-ren in den Zustand niedrigsterEnergie (die sog. Bose-Einstein-

Prof. Anthony J. Leggett

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Magnetfeldstärke an und oberhalbeiner kritischen Feldstärke brichtdie Supraleitung zusammen, näm-lich genau dann, wenn die Fluss-fäden überlappen und somit keinesupraleitenden Bereiche mehrübrigbleiben.

Ein prinzipielles theoretischesVerständnis all dieser Phänomenewurde durch eine zweite phänome-nologische Theorie der Supralei-tung von V. L. Ginzburg und L. D.Landau aus dem Jahr 1950 ermög-licht. In dieser Zeit galten Unter-suchungen fast ausschließlichSupraleitern vom Typ 1. Die Ginz-burg-Landau-Theorie vereinigtthermodynamische und elektrody-namische Aspekte der theoreti-

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Kondenstation) als physikalischeUrsache für die Suprafluidität von4He, weil sich diese makroskopi-sche Zahl von Atomen wie eineinziges quantenmechanischesMolekül verhält. Eine solche Kon-densation ist für Fermionen wegendes Pauliprinzips von Vornehereinausgeschlossen.

Die tiefere Einsicht in den zurBose-Einstein-Kondensation alter-nativen Mechanismus, der zurSupraleitung führt, ließ deshalbnach der Entdeckung durch Kamer-lingh-Onnes mehr als 50 Jahre aufsich warten. Sie wurde schließlichin der legendären Arbeit von Bar-deen, Cooper und Schrieffer (BCS)im Jahre 1957 formuliert. Die ge-niale Idee von BCS lag in der An-nahme, dass sich die Elektronen zu

Paaren, den sogenannten Cooper-Paaren verbinden, und auf dieseWeise, gewissermaßen als Pseudo-Bosonen unter Umgehung desPauliprinzips kondensieren kön-nen. Dies hängt damit zusammen,dass sich die Spins der Paar-Partnerim einfachsten Fall zum Gesamt-spin 1/2 - 1/2= 0 kombinieren können– man spricht dann von Spin- Singulett- Paarung. (Es sei vorsichtshal-ber darauf hingewiesen, dass diezur Supraleitung führende Paarfor-mation keine wirkliche Bose-Ein-stein-Kondensation ist). Die Arbeitvon BCS wurde im Jahre 1972 mitdem Nobelpreis ausgezeichnet.

Ein moderner Zugang zu denPhänomenen Supraleitung und(fermionischer) Suprafluidität soll-te nicht nur die Cooper-Paarungvon Elektronen und neutralenFermionen auf einer einheitlichenStufe behandeln, sondern auch dieMöglichkeit zur Paarung der Fer-mionen zum Gesamtspin 1/2 + 1/2 = 1einschließen, die sogenannte Spin-Triplett-Paarung. In den 1960erJahren publizierte Tony Leggetteine Theorie paarkorrelierter Fer-misysteme, welche die Möglichkeitder Triplett-Paarung explizit ein-schloss. Es war zu dem Zeitpunktnoch nicht klar, dass die experi-mentelle Verifizierung des Phäno-mens trotz großer Fortschritte inder Kühltechnik noch etliche Jahreauf sich warten lassen würde. ImJahr 1971 war es dann soweit: dieSuprafluidität von 3He wurde vonLee, Osheroff und Richardson ander Cornell-Universität entdeckt(Nobelpreis 1996). Kurz danacherwiesen sich die Vorhersagen vonLeggett als goldrichtig – er konnteauf Grund seiner sorgfältigen Vor-arbeit in wenigen Monaten dieganze Fülle von experimentellenBeobachtungen erklären.

Die in der Literatur der folgendenJahre zelebrierte Leggett-Theoriehatte aber noch andere Auswirkun-gen. Sie war die erste Theorie für

etwas, was die Theoretiker heuteals unkonventionelle Supraleitungbezeichnen würden, d. h. metalli-sche supraleitende Systeme, indenen Cooperpaare Strukturmerk-male der Paarung im superfluiden3He haben. Inzwischen sind näm-lich viele neue Supraleiter entdecktworden die man als unkonventio-nell einordnet. Darunter sind unteranderem Supraleiter mit Elektro-nen, deren scheinbare Masse dasTausendfache der normalen Elek-tronenmasse beträgt (ein Parado-xon, dass solch schwere und somitbesonders langsame Elektronensupraleitend werden können!),weiterhin insbesondere die im Jahre1986 von Georg Bednorz und Karl-Alex Müller entdeckten Hoch-Tc-Supraleiter (Nobelpreis 1987),ferner organische Supraleiter undeinige mehr. All diese Systeme bil-den im Magnetfeld Abrikosov-Vortices aus (nicht immer auf einemDreiecks-, sondern manchmal aufeinem Quadrat-Gitter) und sie wer-den in der Sprache der Ginzburg-Landau- und der Leggett-Theoriebeschrieben.

Man erkennt somit, was die dreiLaureaten verbindet: ihre Theorienbeschränken sich nicht nur auf eineinziges System – Metall oderQuantenflüssigkeit – sondern las-sen sich, gewissermaßen system-übergreifend, auf eine größereKlasse von supraleitenden undsuperfluiden Substanzen anwen-den. In diesem Sinne hat das Nobel-Komitee mit der Wahl der Profes-soren Abrikosov, Ginzburg undLeggett eine geniale Entscheidunggetroffen, die unserem nicht immereinfach zu vermittelnden aber fas-zinierenden Arbeitsgebiet sicherenormen Auftrieb verschaffen wird.Es bleibt zu wünschen, dass diesauch eine gewisse katalysierendeWirkung für unseren wissenschaft-lichen Nachwuchs bei der Themen-wahl für zukünftige Diplom- undDoktorarbeiten hat.

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Zur Magnetfeldverdrängung inTyp-1 und Typ-2-Supraleitern

Zur Spin-Singulett- und -Triplett-Paarung

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