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Zur Bedeutung der Liquordiagnostik für die Demenzabklärung Dr. Elmar Kaiser, Universitätsklinik Heidelberg Bis Mitte der 1990er Jahre galt die Liquordiagnostik im Rahmen der Abklärung von leichter kognitiver Beeinträchtigung und Alzheimer-Demenz als verzichtbar. Ihre Indi- kation war vor allem auf den Ausschluss entzündlicher Prozesse beschränkt. Dies än- derte sich erst, nachdem die wesentlichen Bestandteile der neuritischen Plaques so- wie der Alzheimerschen Fibrillen – das Amyloid-beta und das Tauprotein – in Li- quorproben nachgewiesen wurden und relativ einfache Nachweisverfahren (ELISA) zu ihrer Bestimmung allgemein verfügbar waren. Neben Routine- und Speziallaborbe- stimmungen aus Blut, Serum und Plasma sowie cerebraler Bildgebung (CCT, cMRT, PET-CCT) hat sich die Liquordiagnostik mittlerweile als eine weitere Methode zur Dif- ferentialdiagnostik von Gedächtnisstörungen und Demenzerkrankungen etabliert (Blennow et al., 2006). Voraussetzungen Zur Gewinnung von Liquor ist eine Lumbalpunktion erforderlich, die insbesondere im Rahmen der differentialdiagnostischen Abklärung an Gedächtnisambulanzen universi- tärer Zentren erfolgen kann. Hauptvoraussetzungen für die Durchführung der Lumbal- punktion sind eine aktuelle Bildgebung des Gehirns ohne erkennbare Kontraindikatio- nen für die geplante diagnostische Maßnahme, die vorübergehende Pausierung blut- verdünnender Medikamente beziehungsweise eine entsprechende Umstellung bei Einsatz von oraler Antikoagulation und das Fehlen ausgeprägter orthopädischer Ver- änderungen im Bereich der Wirbelsäule. Schließlich ist das Einverständnis des Patien- ten für die genannte Maßnahme nach ausführlicher Aufklärung durch den Arzt, der die Punktion vornimmt, erforderlich. Punktion zwischen den Lendenwirbelkörpern Die Punktion selbst erfolgt nach vorheriger gründlicher Desinfektion der Punktionsstel- le meist zwischen dem vierten und fünften Lendenwirbelkörper mit entsprechenden Punktionsnadeln. Eine Lokalanästhesie ist dafür im Regelfall nicht erforderlich. Die Punktionsstelle liegt unterhalb des Rückenmarkendes, daher ist eine Verletzung die- ser Struktur praktisch ausgeschlossen. Nach Abnahme einiger Milliliter Liquor, der im natürlichen Zustand farblos und klar erscheint, ist die Lumbalpunktion nach wenigen Minuten abgeschlossen. Nach Entfernung der Punktionsnadel erfolgt häufig noch eine Blutentnahme aus einer Vene. Danach sollte der Patient sich weitgehend ruhig verhal- ten und viel Flüssigkeit trinken, um auf diese Weise das Risiko von sogenannten postpunktionellen Beschwerden (zum Beispiel Kopfschmerzen oder Schwindel) mög- lichst gering zu halten. Weitere Informationen zum Thema Demenz finden Sie unter www.wegweiser-demenz.de 1/6

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Zur Bedeutung der Liquordiagnostik für die Demenzabklärung Dr. Elmar Kaiser, Universitätsklinik Heidelberg Bis Mitte der 1990er Jahre galt die Liquordiagnostik im Rahmen der Abklärung von leichter kognitiver Beeinträchtigung und Alzheimer-Demenz als verzichtbar. Ihre Indi-kation war vor allem auf den Ausschluss entzündlicher Prozesse beschränkt. Dies än-derte sich erst, nachdem die wesentlichen Bestandteile der neuritischen Plaques so-wie der Alzheimerschen Fibrillen – das Amyloid-beta und das Tauprotein – in Li-quorproben nachgewiesen wurden und relativ einfache Nachweisverfahren (ELISA) zu ihrer Bestimmung allgemein verfügbar waren. Neben Routine- und Speziallaborbe-stimmungen aus Blut, Serum und Plasma sowie cerebraler Bildgebung (CCT, cMRT, PET-CCT) hat sich die Liquordiagnostik mittlerweile als eine weitere Methode zur Dif-ferentialdiagnostik von Gedächtnisstörungen und Demenzerkrankungen etabliert (Blennow et al., 2006). Voraussetzungen Zur Gewinnung von Liquor ist eine Lumbalpunktion erforderlich, die insbesondere im Rahmen der differentialdiagnostischen Abklärung an Gedächtnisambulanzen universi-tärer Zentren erfolgen kann. Hauptvoraussetzungen für die Durchführung der Lumbal-punktion sind eine aktuelle Bildgebung des Gehirns ohne erkennbare Kontraindikatio-nen für die geplante diagnostische Maßnahme, die vorübergehende Pausierung blut-verdünnender Medikamente beziehungsweise eine entsprechende Umstellung bei Einsatz von oraler Antikoagulation und das Fehlen ausgeprägter orthopädischer Ver-änderungen im Bereich der Wirbelsäule. Schließlich ist das Einverständnis des Patien-ten für die genannte Maßnahme nach ausführlicher Aufklärung durch den Arzt, der die Punktion vornimmt, erforderlich. Punktion zwischen den Lendenwirbelkörpern Die Punktion selbst erfolgt nach vorheriger gründlicher Desinfektion der Punktionsstel-le meist zwischen dem vierten und fünften Lendenwirbelkörper mit entsprechenden Punktionsnadeln. Eine Lokalanästhesie ist dafür im Regelfall nicht erforderlich. Die Punktionsstelle liegt unterhalb des Rückenmarkendes, daher ist eine Verletzung die-ser Struktur praktisch ausgeschlossen. Nach Abnahme einiger Milliliter Liquor, der im natürlichen Zustand farblos und klar erscheint, ist die Lumbalpunktion nach wenigen Minuten abgeschlossen. Nach Entfernung der Punktionsnadel erfolgt häufig noch eine Blutentnahme aus einer Vene. Danach sollte der Patient sich weitgehend ruhig verhal-ten und viel Flüssigkeit trinken, um auf diese Weise das Risiko von sogenannten postpunktionellen Beschwerden (zum Beispiel Kopfschmerzen oder Schwindel) mög-lichst gering zu halten.

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Untersuchung im Labor Gemäß aktueller Empfehlungen sollte die Liquorprobe zügig in einem entsprechenden Labor weiterverarbeitet werden (Kaiser et al., 2007). Neben den in der Liquordi-agnostik etablierten Verfahren der Bestimmung von Zellzahl, Protein- und Glucose-konzentration, intrathekaler Immunglobulinsynthese, oligoklonalen Banden, Beurtei-lung der Funktion der Blut-Liquor-Schranke, der Cytologie sowie der Erregerdiagnostik gewinnt auch die Bestimmung von sogenannten Neurodegenerationsmarkern mittels ELISA-Messverfahren weiter an Bedeutung (Blennow und Zetterberg, 2010). Zu den Neurodegenerationsmarkern zählen Abbauprodukte von Gerüstbausteinen (Neurofilamenten) der Nervenzellen (Tau-Proteine beziehungsweise deren phosphory-lierten Formen). Außerdem kann auch eine Bestimmung der Konzentration von Amy-loid-beta (1-42) erfolgen, einem Eiweiß, dem in der Pathogenese der Alzheimer-Demenz eine hohe Bedeutung zukommt (Schröder et al., 1997). Die Konzentration aller genannten Neurodegenerationsmarker und deren Verhältnis zueinander kann Aufschluss über das Ausmaß neurodegenerativer cerebraler Veränderungen geben.

Abb. 1: Liquorkonzentrationen von Tau- und Phospho-Tau-(181) Protein bei gesunden Probanden, Per-

sonen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung und Patienten mit beginnender Alzheimer-Demenz; nach

Mattsson et al., JAMA (2009).

Frühdiagnostik Insbesondere für die Frühdiagnostik von Demenzerkrankungen existiert in Form der Liquordiagnostik eine Methode zum Nachweis eines hirnorganischen Abbauprozesses noch vor Nachweis weitreichender atrophischer Prozesse in der cerebralen Bildge-bung (Mattsson et al., 2009), (Abb. 1). Gerade in Bezug auf die Gruppe derjenigen

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Patienten mit einer sogenannten leichten kognitiven Beeinträchtigung, die als Risiko-gruppe für die Entwicklung einer manifesten Demenzerkrankung angesehen werden kann, ist die Liquordiagnostik eine sinnvolle ergänzende diagnostische Methode (Abb. 2).

Abb. 2: Liquorkonzentrationen von Tau-Protein und Verlauf der leichten kognitiven Beeinträchtigung

(LKB; nach Schröder und Pantel, 2010).

Auch bei manifesten Demenzerkrankungen kann sie differentialdiagnostisch nützlich sein – etwa zum Nachweis einer im Gegensatz zu Alzheimer-Demenzen meist rasch

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verlaufenden Creuzfeldt-Jakob-Erkrankung. Weiter konnte gezeigt werden, dass sich auch Depressionen und die damit einhergehenden neurokognitiven Einschränkungen (sogenannte Pseudodemenzen) von manifesten Demenzerkrankungen mittels der Li-quordiagnostik besser abgrenzen lassen (Schönknecht et al., 2005 und 2007), (Abb. 3).

Abb. 3: Liquorkonzentrationen von Tau-Protein bei gesunden Probanden (controls), depressiven Patien-

ten (depression), Patienten mit stabiler leichter kognitiver Beeinträchtigung (non-converters) und Patien-

ten mit Konversion zur manifesten Alzheimer-Demenz (converters). Abb. nach Schönknecht et al., 2007.

Der kombinierte Einsatz von bildgebenden Verfahren (z.B. cMRT) und Liquordi-agnostik ist hinsichtlich der Erhöhung der diagnostischen Aussagekraft im Rahmen der Frühdiagnostik von Demenzerkrankungen vielversprechend (Thomann et al., 2009). Eine spezifische Messmethode der Liquordiagnostik, mit der sich das Risiko einer Demenzerkrankung mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit voraussagen lie-ße, existiert derzeit in Bezug auf die Alzheimer-Demenz nicht. Die Suche nach einem solchen spezifischen Demenzmarker bleibt weiter von Bedeutung (Kaiser et al., 2010). In Form des Liquorproteins 14-3-3 existiert solch ein Biomarker mit hoher Spezifität zum Beispiel für die Creuzfeldt-Jakob-Erkrankung (Ladogana et al., 2009). Fazit Der Stellenwert der Liquordiagnostik für die Differentialdiagnostik neurokognitiver De-fizite, insbesondere auch in der Frühdiagnostik von neurodegenerativen Erkrankungen wie der Alzheimer-Demenz, wird in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter wachsen.

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Insbesondere bei Personen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung sollte die Liquordi-agnostik grundsätzlich erwogen werden, um das mögliche Konversionsrisiko zu mani-festen Demenzerkrankungen besser einschätzen zu können. Limitierungen bestehen selbstverständlich angesichts der zwar hohen, aber nicht hundertprozentigen Sensiti-vität und Spezifität der Methode. Es bleibt daher wichtig, die diagnostische und prog-nostische Einschätzung der neurokognitiven Defizite multimodal abzuklären und die Liquordiagnostik weiterhin auch mit anderen diagnostischen Methoden zu kombinieren (Eckerström et al., 2010). Literatur Blennow K, de Leon MJ, Zetterberg H. Alzheimer`s disease. Lancet 2006; 368:387-403.

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Schröder J, Pantel J, Ida N, Essig M, Hartmann T, Knopp MV, Schad LR, Sandbrink R, Sauer H, Masters CL,

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Schröder J und Pantel J. Die leichte kognitive Beeinträchtigung. Klinik, Diagnostik, Therapie im Vorfeld der Alz-

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