Zwischen Gier und Gewissen – Wie steht es um die Ethik ......Sommernacht – Donner & Reuschel am...

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Sommernacht – Donner & Reuschel am 24. Juli 2012, 18.00 Uhr, München Zwischen Gier und Gewissen – Wie steht es um die Ethik unserer Wirtschaft? (Impulsvortrag von Daniela Bergdolt, Bergdolt Rechtsanwälte, Fachanwältin für Banken- und Kapitalanlagerecht, Vizepräsidentin der DSW ) Meine Damen und Herren, Wir stehen hier heute Abend gemeinsam bei der „Sommernacht“, zu der der Vorstand des Bankhauses Donner & Reuschel uns eingeladen hat. Sommernacht – das klingt nach einem entspannten Abend in schönem Ambiente bei gutem Essen und mit vielen netten interessanten Gesprächen. Und genau das erwartet uns später alle. Doch zunächst ich Sie alle hier und jetzt mit ein wenig schwererem Stoff beschäftigen. „Wie steht es um die Ehtik unserer Wirtschaft?“ – diese Frage steht als Überschrift über meinem Vortrag heute Abend. Wenn Sie sich einmal die Headlines der einschlägigen Zeitungen aus den vergangenen Wochen vergegenwärtigen, dann kann die Antwort auf diese Frage eigentlich nur in eine Richtung gehen: Es steht nicht gut!

Transcript of Zwischen Gier und Gewissen – Wie steht es um die Ethik ......Sommernacht – Donner & Reuschel am...

Sommernacht – Donner & Reuschel am 24. Juli 2012, 18.00 Uhr, München

Zwischen Gier und Gewissen –

Wie steht es um die Ethik unserer Wirtschaft?

(Impulsvortrag von Daniela Bergdolt, Bergdolt Rechtsanwälte, Fachanwältin für

Banken- und Kapitalanlagerecht, Vizepräsidentin der DSW )

Meine Damen und Herren,

Wir stehen hier heute Abend gemeinsam bei der

„Sommernacht“, zu der der Vorstand des

Bankhauses Donner & Reuschel uns eingeladen

hat. Sommernacht – das klingt nach einem

entspannten Abend in schönem Ambiente bei

gutem Essen und mit vielen netten interessanten

Gesprächen. Und genau das erwartet uns später

alle. Doch zunächst ich Sie alle hier und jetzt mit

ein wenig schwererem Stoff beschäftigen.

„Wie steht es um die Ehtik unserer Wirtschaft?“ –

diese Frage steht als Überschrift über meinem

Vortrag heute Abend. Wenn Sie sich einmal die

Headlines der einschlägigen Zeitungen aus den

vergangenen Wochen vergegenwärtigen, dann

kann die Antwort auf diese Frage eigentlich nur in

eine Richtung gehen: Es steht nicht gut!

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Egal, wo man nämlich dieser Tage hinschaut –

überall finden Sie beispiellose Exzesse, Skandale

oder gar Betrügereien.

Das beginnt hier vor unserer aller Haustüre.

Nehmen Sie nur das Beispiel „Grüne Energie“.

Seit vielen Jahren ist Deutschland zu einem

globalen Vorkämpfer des Energiewandels

geworden. Statt Atomkraft und fossiler

Brennstoffe soll unser Strom zukünftig aus

alternativen Quellen wie Wind, Sonne oder

Biomasse stammen. Aus dieser Idee ist in den

vergangenen Jahren eine neue, boomende und

ehemals hochtechnologische Wirtschaftsbranche

entstanden. Solarfirmen und Windturbinenbauer

und –Hersteller schossen wie Pilze aus dem

Boden, und sie alle versprachen goldene Zeiten

und hohe Renditen. Der Kapitalmarkt hat die

jungen Unternehmen lange und sehr stark hofiert.

Doch, meine Damen und Herren,

inzwischen kann man angesichts der jüngsten

Schlagzeilen den Eindruck gewinnen, dass wir

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alle von dieser Idee einfach nur geblendet worden

sind und hinter den vollmundigen

Versprechungen in den meisten Fällen nichts

stand – außer vielleicht heiße Luft.

Die Fakten sprechen hier eine deutliche Sprache.

Allein in diesem Jahr sind mit Stand gestern elf

Solarfirmen in die Insolvenz gegangen. Tausende

Arbeitsplätze sind dadurch vernichtet worden.

Und auch Anleger, die in treuem Glauben und in

bester Überzeugung in den Energiewandel

investiert haben, stehen vor dem Nichts. Die

Aktien der Unternehmen sind beinahe wertlos, die

Anleihen, die viele Unternehmen begeben hatten,

werden längst nicht mehr bedient. Leider sind

viele der entsprechenden Wertpapiere trotz der

sichtbaren hohen Risiken dieser jungen Branche

als Altersvorsorgeprodukte verkauft worden.

Besonders krass ist der Fall Solar Millennium.

Einst gefeiert hinterlässt das insolvente

Unternehmen knapp 30.000 geschädigte Anleger

und einen Gesamtschaden im hohen dreistelligen

Millionenbereich. Der ehemalige Börsenstar und

technologische Vorreiter entpuppt sich immer

mehr als tiefer Sumpf aus Missmanagement,

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falscher Strategie und vielleicht sogar

vorsätzlichen Täuschungen. Denn glaubt man

den jüngsten Presseberichten von Insidern, dann

sind die Gelder, die das Unternehmen mit

mehreren Anleihen eingeworben hat, eben nicht

zum Bau neuer Solarparks und zur Finanzierung

des eigenen Wachstums verwendet worden,

sondern zweckentfremdet zur Begleichung alter

Schulden. Meine Damen und Herren, so etwas

nennt man im Anlegerschutz ein

Schneeballsystem. Dahinter steckt in der Regel

eine sehr unredliche, um nicht zu sagen

betrügerische Absicht.

Das Beispiel vor Ihrer Haustür ist beileibe kein

Einzelfall. Erst in dieser Woche hat die

Staatsanwaltschaft in Düsseldorf Anklage gegen

BCI, ein anderes Schneeballsystem, erhoben, mit

dem tausende Anleger um mehr als 60 Millionen

Euro geprellt wurden. Ich selbst betreue viele

dieser geschädigten Anleger und weiß daher nur

zu genau, wie dreist und unmoralisch die Betrüger

hier vorgegangen sind.

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In der so genannten „Bel Etage“ der

Finanzbranche sieht es mitnichten besser aus.

Hier sind die Anzüge zwar teuer, doch die Tricks

und Machenschaften sind beinahe ebenso billig,

was spätestens der Blick aufs britische

Bankensystem offenbart. Die Libor-Manipulation,

also die Tatsache, dass die führenden britischen

Banken, allen voran Barclays, den so genannten

Interbankenzinssatz, zu dem sich die Häuser

untereinander Geld leihen, und damit den

entscheidenden Kreditzins überhaupt über Jahre

manipuliert haben, ist ohne Zweifel der größte

Bankenskandal aller Zeiten. In Großbritannien ist

redet man in diesem Zusammenhang schon von

„Bankster“ – in Anlehnung an Gangster. Denn

anders als beim UBS-Skandal oder den

Fehlspekulationen von JP Morgan vor wenigen

Wochen haben sich hier erstmals Top-Manager

verschiedener Banken abgesprochen und

gemeinsam zum Nachteil der Kunden manipuliert.

Damit wurde eine bislang nicht gekannte Grenze

überschritten.

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Dass das Gesicht dieses Skandals ausgerechnet

Bob Diamond ist, macht das ganze beinahe

filmreif.

Der Barclays-Chef, der als ebenso arrogant wie

gierig gilt, stellte sich schon kurz nach der

Lehman-Pleite und der Phase, in der Banken

allerorts vor der Pleite gerettet werden mussten,

vor die Öffentlichkeit und verkündete: „Es gab

eine Zeit der Buße und Reue, doch die ist nun

vorbei“. Mit anderen Worten: Vielen Dank für Ihre

Hilfe und Ihre Steuergelder, aber jetzt kommen

wir alleine klar und machen so weiter wie bisher.

Wie ernst er das gemeint hat, zeigt sich

spätestens jetzt!

Solche Schlagzeilen, meine Damen und Herren,

machen es vermeintlich sehr einfach, eine

Antwort auf die Eingangsfrage zu finden. Es sieht

so aus, als hätte die Ethik im heutigen wirklich

sehr turbulenten Wirtschaftsalltag nichts mehr

verloren. Frei nach Bertholt Brecht: Erst kommt

das Fressen und dann die Moral!?

Doch diese Antwort ist in Wirklichkeit nur

vordergründig korrekt. Tatsächlich dominieren

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solche Skandale zwar das Medienbild. Dies sicher

auch deshalb, weil Medien Skandale lieben.

Dahinter allerdings sieht das Bild ganz anders

aus: In jedem Bereich ist in den vergangenen

Jahren durch Gesetze, freiwillige Kodizes und

einen Umdenkprozess aller Akteure durchaus

einiges geschehen, um die Waage zwischen Gier

und Gewissen, zwischen Ehtik und

wirtschaftlichem Gewinntreben nicht in eine

Richtung kippen zu lassen. Reiner Shareholder

Value, also das Streben nach Gewinnen, wird

immer stärker zurückgedrängt. Stattdessen wird

der Stakeholder Value, also das nachhaltige

Schaffen von Werten immer wichtiger.

Christoph Lütge, Wirtschaftsethik-Professor hier

an der renommierten Technischen Universität in

München, untermauert das mit einer aktuellen

Analyse seines Institutes. Die Moral in der

deutschen Wirtschaft ist nach seiner

Einschätzung in den vergangenen Jahren sogar

deutlich gestiegen.

Beispiel Korruption – eine der größten Baustellen

der letzten Jahre: Lütge kommt zu dem Schluss,

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dass die Fälle von Korruption in der Breite

insgesamt abnehmen.

Verantwortlich dafür sind einerseits neue Gesetze

und Bestimmungen, aber auch dass hohe

Transparenzniveau, das Aktionäre von den

Unternehmen immer stärker einforderten. Lütge

sieht das als zentrales Element: „Transparenz ist

kein Luxus, sondern ein ganz wesentlicher Faktor

zur Verbesserung der Moral in allen Teilen der

Wirtschaft", betonte er.

Für mich als Anlegerschützerin ist das Balsam für

meine Seele. Ich habe viele Jahre lang versucht,

an der Aufarbeitung des großen

Korruptionsskandals bei Siemens mitzuarbeiten.

--- EINSCHUB GESCHICHTE SIEMENS ---

Nun zeigt sich, dass die Gespräche mit dem

Vorstand, die heftigen Diskussionen auf den

Hauptversammlungen und damit insgesamt

unsere Bemühungen um mehr Transparenz

durchaus Früchte tragen.

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Professor Lütge bescheinigt unter anderem der

konsequenten Aufarbeitung des Siemens-

Skandals einen Beitrag, die Moral in der

Wirtschaft insgesamt zum Besseren zu

verändern: „Die Unternehmen müssen inzwischen

ein professionelles Risikomanagement betreiben“,

sagt er.

Damit, verehrte Zuhörer, möchte ich meine kurze

Bestandsaufnahme des Status quo nun aber auch

beenden. Man darf zusammenfassend feststellen:

„Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos“.

Es kommt nun entscheidend darauf auf, die

großen Baustellen des nationalen wie des

globalen Finanzsystems und der Akteure weiter

konsequent zu bearbeiten und zu einer Lösung zu

führen.

Eine wichtige Aufgabe, die dabei immer stärker in

den Fokus rückt, ist die Regulierung der neuen

elektronischen Handelsmöglichkeiten. Sie alle

kennen die Schlagworte „Algo-Trading“ oder

„High-Frequency-Trading“. Dahinter verbirgt sich

nichts anderes als die Möglichkeit, mit modernster

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Datentechnik schneller zu sein, als andere

Handelsteilnehmer und damit Vorteile und

Überrendite zu erzielen.

Problematisch wird das Ganze einerseits

aufgrund des enormen Volumens. Die Deutsche

Börse schätzt, dass inzwischen mehr als 50

Prozent des Xetra-Handelsvolumens von solchen

Algo-Tadingcomputern stammen. Doch kritischer

ist jedoch die Tatsache, dass die Systeme in der

Lage sind, Kurse in bestimmte Richtungen zu

bewegen. Denn dank modernster Technik stellen

die vollautomatisierten Computer in der Lage,

binnen weniger Millisekunden hunderte Orders in

den Börsenhandel ein. Diese Aufträge dienen nur

dazu, die Richtung des Marktes zu testen und

entsprechend zu reagieren. Die Orders selbst

werden automatisch zurückgezogen, bevor echter

Handel entstehen kann. Das Fatale daran: Solche

Testorders können den Markt blitzschnell und

massiv in eine Richtung bewegen und damit

enorme Schäden verursachen.

Wie nötig neue Regularien in diesem Bereich

sind, zeigt das Beispiel des so genannten „Flash

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Crashs“ an der New Yorker Börse aus dem Jahr

2010. Binnen Minuten war der Kurs des Dow

Jones um fast 1000 Punkte, also knapp 10

Prozent eingebrochen, und dann fast ebenso

schnell wieder angestiegen. Für diese radikale

Marktbewegung werden Testorders von

Hochfrequenzhändlern verantwortlich gemacht.

Ich bin jetzt seit fast 15 Jahren in Sachen

Anlegerschutz am Kapitalmarkt unterwegs und

vertrete als Vizepräsidentin der größten

deutschen Investorenvereinigung DSW (Deutsche

Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz) die

Interessen aller Privatanleger in diesem Land,

und ich habe schon einiges gesehen: Daher kann

ich mit Fug und Recht sagen: Ich bin ist fest

davon überzeugt, dass die wachsende Gefahr

durch hochtechnische automatische Programme

übervorteilt zu werden, insbesondere für

Privatanleger sehr virulent und sehr massiv ist.

Hier muss die Politik dringend einschreiten.

Es gibt auch erste Ansätze. Gerade in der letzten

Woche hat Bundesfinanzminister Wolfgang

Schäuble angekündigt, nach der Sommerpause

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ein entsprechendes Gesetz in den Bundestag

einbringen zu wollen. Und auch die EU-

Kommission hat das Thema inzwischen sehr

präsent auf ihrem Aktionsradar.

Auch die Börsen als Handelsbetreiber nehmen

den Hochfrequenzhandel verstärkt ins Visier.

Sowohl an der US-Technologiebörse Nasdaq, als

auch an der Londoner LSE und der Deutschen

Börse in Frankfurt werden Hochfrequenzhändler

unter bestimmten Voraussetzungen inzwischen

mit einer Sondergebühr belastet.

Dennoch gehen diese Vorstöße nach Ansicht der

DSW und auch nach meiner persönlichen

Überzeugung nicht weit genug. Alle bisherigen

Vorstöße sind im Kern nicht mehr als ein

gepflegtes „Sowohl als auch“. Klare Regularien

zur Problemlösung sehen anders aus: Vielmehr

muss man systematisch an das Problem

herangehen. Dass ein Marktteilnehmer aufgrund

der technologischen Überlegenheit seines

Computers andere übervorteilen kann, ist vom

Grundsatz her unfair und gehört verboten!

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Daher sollten Testorders insgesamt unmöglich

sein. Praktisch ist das sogar sehr einfach zu

lösen. Es muss in Zukunft so sein, dass jede

Order zumindest für kurze Zeit wirklich im System

steht und die Chance auf eine Ausführung

besteht. Nur so ist ein fairer und

gleichberechtigter und damit echter Börsenhandel

vorstellbar. Ein Algotrader, der die Gefahr sieht,

dass seine Order tatsächlich „gematcht“, also

bedient wird, wird sich zweimal überlegen, ob er

hunderte von Kauf- oder Verkaufaufträgen als

Test ins System stellt.

Die zweite große Baustelle, die ich sehe, sind

nach wie vor die Vergütungssysteme der

Manager. Meine Damen und Herren, ich meine

hier sicher nicht die zwei Millionen Pfund

Abfindung für Herrn Diamond. Der Mann, in

dessen Amtszeit der größte Bankenskandal der

Geschichte fällt, verdiente mit 17,7 Millionen

Pfund in 2011 ohnehin so viel, dass Aktionäre auf

der Hautpversammlung offen rebellierten. Und

nun wird er auch noch mit einem goldenen

Handschlag abgefunden... Dass das absolut nicht

angemessen ist, ist keine Frage.

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Aber nun frage ich Sie hier einmal ganz offen:

Wieviel darf und soll ein Vorstand verdienen?

Die Bundesregierung hat ebenso wie die

Corporate-Governance-Kommission, die den

Ehrenkodex für gute Unternehmensführung in

Deutschland seit zehn Jahren erstellt und

weiterschreibt, darauf versucht Antworten zu

finden. In den vergangenen Jahren sind mittels

zweier neuer Gesetze und des Kodex eine ganze

Reihe von Pflöcken in Bezug auf die

Angemessenheit der Vergütung für Vorstände

und neuerdings auch für Aufsichtsräte

eingeschlagen worden.

Und um die obige Frage wieder aufzunehmen:

Ihre Antwort wird sicher ähnlich ausfallen wie die

Antwort, die die Politik gefunden hat: Starre

Obergrenzen machen wenig Sinn und sind kaum

durchsetzbar, stattdessen sollte das greifen, was

jeder Arbeitnehmer nur allzu gut kennt: Die

Entlohnung sollte „leistungsgerecht“ sein.

Der Begriff ist zwar nicht per Definition festgelegt,

dennoch kann sich darunter jeder etwas

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vorstellen. Diese leistungsgerechte Bezahlung ist

in den vergangenen Jahren eigentlich auch für die

Vorstände der DAX-Konzerne zur goldenen Regel

geworden. Statt leistungsgerecht wird in den

entsprechenden Gesetzes- und Kodexpassagen

das Wörtchen „angemessen“ eingefordert. Im

Kern ist jedoch damit die gleiche Forderung

gemeint, immerhin handelt es sich ja auch bei den

Vorständen um Angestellte.

Dennoch muss man diesen Punkt angesichts der

aktuellen Debatte um die „Gehälterinflation im

DAX“ erneut deutlich herausstellen. Ich sage

Ihnen ganz offen: Volkswagen ist meiner Meinung

nach ein tolles und erfolgreiches Unternehmen

und Martin Winterkorn hat als Vorstandschef

daran sicher einen großen Anteil: Trotzdem bleibt

er für mich ein rotes Tuch, wenn er für das

vergangene Geschäftsjahr fast 17,5 Millionen

Euro kassiert – Pensionen und

Altersvorsorgeansprüche noch nicht mit

eingerechnet. Nur mal zur Information. Das

entspricht dem 450 fachen eines

durchschnittlichen Angestelltengehalts in

Deutschland.

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Und wenn Wolfgang Reitzle, der Chef des

Gasespezialisten Linde – übrigens auch ein tolles

Unternehmen – bei der diesjährigen

Bilanzpressekonferenz auf Nachfrage von

Journalisten öffentlich zugibt, er kenne sein

Gehalt nicht und habe nicht einmal gemerkt, dass

er 100.000 Euro mehr als im Vorjahr bekommt,

dann ist das nicht nur befremdlich, sondern auch

ein untrügerisches Zeichen: 100000 Euro mehr

sind viel Geld, wer das nicht bemerkt, der verdient

eindeutig zu viel!

Dies gilt umso mehr, als die Konzernlenker trotz

aller Entscheidungsgewalt und Verantwortung für

viele tausend Mitarbeiter in der Regel ja nicht die

Eigentümer des Unternehmens sind. Diese sitzen

vielmehr im Aufsichtsrat und kontrollieren den

Vorstand bei seinen Strategien und

Entscheidungen.

Die üppigen Millionenbezüge jetzt mittels weiterer

Gesetze zu deckeln halte ich indes für keine gute

Idee. Denn erstens: Wie sollte ein angemessener

Deckel aussehen? Und zweitens gehören die

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Unternehmen nicht dem Staat sondern den

Aktionären. Insofern müssen die Anteilseigner

selbst dafür sorgen, dass die Top-Manager, die

ihr Vermögen verwalten und mehren sollen,

angemessen bezahlt werden. Dass das durchaus

geht, zeigen einige positive Beispiele aus dem

DAX. Die Allianz und die Münchener Rück sind

natürlich auch tolle Unternehmen, sie haben Top-

Jahresergebnisse vorgelegt. Dennoch verdienen

Ihre CEOs zusammen nicht einmal die Hälfte von

Herrn Winterkorn und beide deutlich weniger als

Wolfgang Reitzle.

Meine Damen und Herren,

natürlich hat das Bemühen um ein höheres

Anlegerschutz-Niveau noch viele weitere

Facetten. Als praktizierende

Kapitalanlagerechtlerin kann ich ein Lied davon

singen, wie ungleich das Kräfteverhältnis vor

Gericht zwischen einem Anleger, der auf

fehlerhafte Beratung klagt, und der Bank auf der

anderen Seite immer noch ist.

---- hier wäre ein Beispiel aus Ihrer Praxis gut ---

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Sicher, dank der Initiative von

Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner

gibt es inzwischen ein verbindliches

Beratungsprotokoll, das jeder Anleger zu seiner

Geldanlage erhalten sollte. Und ab November

startet auch das neue Register für Berater bei der

BaFin. Zumindest in der Theorie hat die

Allfinanzaufsicht dann die Chance, Anlageberater,

die mehrfach negativ aufgefallen sind, mit Strafen

oder sogar mit zeitlich befristeten Berufsverboten

zu belangen.

Doch andererseits haben einige der neuen

Gesetze zwar für mehr bürokratischen Aufwand

und Papier gesorgt, aber die Chancen der

Anleger vor Gericht nicht entscheidend

verbessert. Das gilt insbesondere für den Punkt,

dass jeder Anleger immer noch beweisen muss,

dass er falsch beraten wurde.

Als Anwältin, überzeugte Anlegerschützerin und

DSW-Vizepräsidentin fordere ich seit Jahren,

dass hier ein Umdenken einsetzen muss. Nur

wenn die Bank am Ende des Tages beweisen

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muss, dass sie alles richtig gemacht hat, werden

wir unser Ziel erreichen, dass die Qualität der

Anlageberatung wirklich besser wird und dass der

Kunde letztlich wirklich das Produkt bekommt, das

zu ihm passt und nicht jenes, das der Bank die

höchste Provision einbringt.

Ganz allgemein müssen wir ohnehin langsam

aber sicher aufpassen, im manchen Bereichen

das richtige Maß an Regulierung nicht zu

überschreiten. Denn nach zwei großen Krisen

kommen neue Gesetze, Regeln und

Verordnungen heute nicht nur als Berlin, sondern

auch aus Brüssel und sogar aus den USA über

neue SEC-Vorschriften.

Doch meist sind die Anknüpfungspunkte, die die

Politik dann tatsächlich angeht, aus Sicht eines

Anlegerschützers falsch gesetzt. Betrachtet man

den Tatendrang der Politiker genauer, drängt sich

in vielen Fällen sogar der Eindruck von

übertriebenem Aktionismus auf. Oft bleiben

wichtige Bausteine für eine vernünftige

Neuregelung auf der Strecke. Beispiele sind die

lange geforderten Änderungen bei den

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Ratingagenturen oder eine globale

Finanzaufsicht. Während andere wenig sinnvolle

Projekte mit enormen Tempo weitergetrieben

werden.

Dies gilt in besonderer Weise für die

Finanztransaktionssteuer. Obwohl diese Abgabe,

die bei jedem Börsengeschäft anfallen würde,

unter Finanzmarktexperten schlicht als

ökonomischer Unsinn gilt, ist die Idee

offensichtlich nicht vom Tisch zu bekommen.

Zugegeben: Das Ziel, risikoreiche Spekulationen

der Banken oder Hedgefonds zu unterbinden, die

allgemein für die derzeitige Finanzkrise

verantwortlich gemacht werden, ist gut. Nur wird

es über die Steuer nicht erreicht. Die Einführung

einer solchen Abgabe würde nicht etwa die

Banken treffen, sondern erneut vor allem die

Privatanleger belasten, an die die Kosten einfach

durchgereicht werden. Daher kann man als

Anlegerschützer und Aktionärsvertreter nur

hoffen, dass die Idee endlich da landet, wo sie

hingehört, auf der Müllhalde der Geschichte!

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„Regulierung“ kommt von „regeln“, oder anders

gesagt bedeutet es nach der reinen Lehre,

Schwachstellen eines Systems auszubessern und

dafür zu sorgen, dass alles problemloser und

effektiver funktioniert. Beim Blick auf das

derzeitige Regulierungstempo und -niveau, dass

hierzulande und auch im restlichen Europa

herrscht, könnte man aber auch den Verdacht

haben, dass Regulierung etwas mit

Strangulierung zu tun hat.

Das gilt für den Kapitalmarkt und die Flut an

neuen Bestimmungen ebenso wie für die

Unternehmensebene. CO2-Zertifikate,

Luftverkehrssteuer, Gesundheitsreform,

Atomausstieg, oder auch die Liberalisierung von

Versorgernetzen und im Telekom- und

Energiebereich. Der Grundgedanke, durch

gezielte Eingriffe für mehr Wettbewerb und damit

im Ergebnis Wachstum zu sorgen, ist zwar stets

gut und richtig, jedoch in vielen Fällen in

Gesetzen und Verordnungen mündet, die

einschränkend statt fördernd wirken. Die Telekom

baut ihre Datenautobahnen nicht aus, weil es

angesichts scharfer regulatorischer Auflagen für

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sie wirtschaftlich keinen Sinn macht. Die

Lufthansa gerät international ins Hintertreffen,

weil sie neben ohnehin harten Auflagen im

Bereich Fluglärm oder Nachtflugverbot jetzt auch

noch CO2-Zertifikate und eine Luftverkehrssteuer

bewältigen muss, die internationale Wettbewerber

locker umgehen können.

Viele der großen Unternehmen in Deutschland

stehen einem sehr engmaschigen Netz von

intensiver Regulierung gegenüber, das immer

enger wird, mittlerweile so eng, dass das

Wachstum gefährdet ist. Das ist zum Schaden der

Aktionäre, aber auch zum Schaden des gesamten

Landes.

Meine Damen und Herren,

Es bleibt sicherlich viel zu tun, das habe ich Ihnen

in den vergangenen Minuten versucht, deutlich zu

machen. Doch zugleich ist es höchste Zeit zu

hinterfragen, wie sinnvoll welche Regulierung

wirklich ist. Das gilt für Punkte wie die

Luftverkehrssteuer ebenso wie für klassische

Anlegerschutzthemen wie die Frage, wann und ob

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ein Kleinaktionär das Recht auf ein

Übernahmeangebot hat, wenn ein Großaktionär

ihn aus dem Unternehmen drängen will. Darüber

hat gerade vor wenigen Tagen das

Bundesverfassungsgericht entschieden.

Die Diskussion darüber dauert schon Jahrzehnte

an und sie wird weitergehen. In der Praxis gibt es

ebenso häufig die positiven Fälle, in denen ein

Großaktionär seinen Ansprüch auf faktische

Alleinherrschaft durch ein angemessenes und

großzügiges Angebot an die außenstehenden

Privatanleger erkauft. Es gibt aber eben auch

immer wieder diejenigen Beispiele, in denen

durch Tricks und geschicktes Taktieren

Kleinanleger benachteiligt werden.

Genau hier haben neue europarechtliche

Bestimmungen dazu geführt, dass das bislang

sehr gut funktionierende deutsche System eines

Squeeze-outs mit Hilfe von Pflichtangeboten und

der Möglichkeit, dies durch eine Spruchsstelle

überprüfen zu lassen, aufgeweicht wird. Diese

Lücke nutzen immer mehr Unternehmen zum

Nachteil der außenstehenden Aktionäre. Hier

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muss man sich schon fragen, ob das im Sinne

einer guten Aktienkultur wirklich Sinn macht.

Ich will gar nicht mehr in die Details gehen. Aber

das Beispiel zeigt sehr deutlich, dass man vom

Gesetzgeber nicht zu viel erwarten darf. Nicht

immer wird mit neuem Recht wirklich genau

gezielt, oft verfehlen aktualisierte Bestimmungen

ihre Wirkung. Oder es zeigt sich in der täglichen

Realität eine Nebenwirkung, die nur schwer

vorhersehbar war.

Meine Damen und Herren,

hier schließt sich der Kreis. Letztlich setzen

Gesetzgeber immer nur den Rahmen, sie stecken

das Spielfeld auf und stellen die Spielregeln auf.

Doch ob ein Spiel am Ende fair oder unfair wird,

das entscheiden die Akteure auf dem Platz.

Dies scheint mir der Weg zu sein, wie wir uns

dem Kern der Antwort auf die Frage nach dem

verhältnis von Ehtik und Wirtschaft nähern

können.

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Mit anderen Worten: Wir alle, als Aktionäre, als

Unternehmer, als Anlegerschützer, als Juristen

und als Kaufleute müssen letztlich selbst die

Antwort auf diese Frage geben. Und zwar täglich.

Und man muss durchaus an jeden Investor, jedes

Unternehmen und jeden Aktionär appellieren,

Maß zu halten und die zwar spießigen und

altmodischen aber immer noch gültigen und

wichtigen Prinzipien des ehrbaren Kaufmanns

zugrunde zu legen. Denn in der Werbebranche

mag Geiz war Geil sein, aber unser offenes

liberales und gutes Finanzsystem funktioniert

langfristig eben nur, wenn alle daran Spaß haben

und ihren persönlichen Gewinn daraus ziehen

können. Das Unternehmen durch gute Geschäfte

und steigende Gewinne, der Investor durch

berechenbare und transparente

Investitionsbedingungen und der Aktionär durch

steigende Kurse und nachhaltige

Vermögenszuwächse.

Vielen Dank!

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