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    Martha und Maria.Novelle von Hieronymus Lorm.1.

    Unter den europischen Culturvlkern haben nur die Russen, insofern man sie dazu zhlen darf, einen richtigen Begriff von lndlicher Einsamkeit. Um sie als solche zu empfinden, darf man natrlich nicht ein Bauer sein oder irgend einem Berufe angehren,der auerhalb der Stdte erfllt wird; denn lndliche Einsamkeit empfindet nur, wer frr ihr Gegentheil, den Glanz der gebildeten Geselligkeit in groen Stdten, kennen gelernt hat.

    In allen Culturlndern schlingt sich ein Rest dieses Glanzes, ein Widerschein stdtischer Lebensformen in die lndliche Einsamkeit des kleinsten Dorfes mit hinein. Nur in Ruland, mit seinen unendlich weiten, unwegsamen Straen und seinen eingegrenzten Standesverhltnissen, kann die lndliche Einsamkeit mitunter eine Welt fr sich allein werden, mit eigenen, ihr ausschlielich angehrenden Lebensbedingungen, eine Abgeschiedenheit, die ber Alles hinausreicht, was ein halbwegs gebildeter Gesellschaftsmensch in dieser Beziehung jemals geschaut und empfunden hat.

    Sergey Iwanowitsch Nikrachewsky war aber keineswegs ein blos halbwegs gebildeterMensch. Er hatte bis zum Jahre 1856 alle kriegerischen Affairen seines Vaterlandes in Asien wie in Europa als Officier mitgemacht. Wenn ihm diese Aufgabe auchnicht gestattet hatte, seine Liebe zur Naturforschung und zur Philosophie grndlic

    h zu befriedigen, so hatte er seinem Beruf doch stets die Zeit und die Ruhe zurSelbsteinweihung in die Wissenschaften abzuzwingen gewut. Da brigens wahre Bildungnicht aus der unfruchtbaren Anhufung von Kenntnissen besteht, sondern sehr wrtlich als etwas, das sich auf Grund der erworbenen Kenntnisse selbststndig im Menschen gebildet hat, folglich als eine Weltanschauung aufzufassen ist, so war SergeyIwanowitsch Nikrachewsky, als er fnfunddreiig Lebensjahre zhlte, in diesem Sinne ein gebildeter Mann.

    Er war von Natur aus zur Melancholie angelegt, hatte jedoch eine stark ausgeprgteNeigung, alles Thun und Lassen sittlich zu begrnden, soda er sich einem Hang zu mier, gedankenloser Trbseligkeit, zu andauernder Verdrielichkeit nicht berlie. Schamhft verhllte er vielmehr die in seinem Gemthe wurzelnde Melancholie wie einen Fehler, wie eine Schuld und gewann seinen wissenschaftlichen Ueberzeugungen einen Gle

    ichmuth ab, der als ruhige Heiterkeit erschien.

    Die wahre Beschaffenheit seines Innern htte nur der errathen knnen, welcher seinenallgemeinen Aeuerungen besondere Aufmerksamkeit geschenkt haben wrde. So sprach er zum Beispiel gern und viel ber das Verhltni des Glaubens zum Wissen, und weil einem ernsthaften und nicht frivolen Ungengen am Glauben stets ein inniges Verlangennach dessen Trstungen, ein hingebendes Versenken in die heiligen Schriften vorhergehen mu, so war er ein bibelfester Philosoph. Oft uerte er in verschiedenartigerGesprchsform, das wahre Martyrium des Heilandes wre nicht gewesen, da er an's Kreuzgenagelt wurde, sondern da er wieder auferstehen mute.

    In solcher Lebensstimmung war es natrlich, da er die Erbschaft eines kleinen Gutesim nordstlich von Moskau gelegenen Gouvernement Kostroma mit dem Entschlusse ant

    rat, die eigene Scholle nicht mehr zu verlassen und ein Gegengewicht zum bestndigen Widerwillen, womit ihn das Treiben der Welt, besonders in Gestalt der politischen Zustnde seines Vaterlandes, erfllte, in der Abkehr von ihr, in der Einsamkeitzu suchen. Wer sich ausschlielich landwirthschaftlichen Beschftigungen widmet, ohne einen raffinirten, einen andern als den von selbst sich ergebenden Gewinn daraus ziehen zu wollen und folglich ohne zu einem vielgestaltigen Menschenverkehrgenthigt zu sein, der befreit sich gewissermaen vom politischen Charakter seines Landes und gehrt nur noch dem Naturleben in der allgemeinen menschlichen Bedeutungdesselben an.

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    So einsam nun auch Sergey dahinlebte, er gab auch dieser Lebensform so wenig wieseiner Melancholie einen fanatischen Anstrich. Bereitwillig unterbrach er vielmehr seine Einsamkeit, wenn dies von einem Interesse des Gemths oder einer sittlichen Pflichterfllung erheischt wurde. Die Beziehung zu seinem Freunde Nikolai Alexandrowitsch Towaroff schlo solches Interesse und solche Pflicht mit ein.

    Towaroff war zehn Jahre lter als Sergey und war dessen Vorgesetzter im Militrstande gewesen. Beide Mnner waren von frh an durch ein starkes Freundschaftsgefhl verbunden, ohne da sie sich ber dasselbe jemals ausgesprochen htten. Ihre Gesprche waren m Gegentheil ein bestndiges feindselig scheinendes Streiten. Denn obgleich Towaroff nicht wie Nikrachewsky eine fertige Gedankenwelt in sich trug und berhaupt demNachdenken nicht zugethan war, bildete doch seine Auffassung der Dinge einen vollstndigen Contrast zur Weltanschauung des Freundes. Towaroff war mit der Beschaffenheit der Welt vollkommen zufrieden und behauptete oft, er wre der glcklichste Mensch in dieser Welt, wenn die ueren Umstnde seine gute Laune nur einigermaen unterttzt, ihm nur ein wenig die Last der Sorgen erleichtert htten. Denn wie die Disposition der Gemther, war auch das Schicksal der Freunde entgegengesetzter Art. Sergey Iwanowitsch [286] Nikrachewsky besa mehr, als seine wesentlichsten Bedrfnisse erheischten; Nikolai Alexandrowitsch Towaroff weniger, als selbst die Nothwendigkeit erforderte. In jungen Jahren hatte er viel vergeudet und zwei Jahre nach seiner Mndigkeit ein armes Mdchen geheirathet.

    Wre es aus Liebe geschehen, der Bund wre ihm vielleicht zum Segen gereicht, das Seelenglck htte ihn in Bezug auf andere Besitzthmer gengsamer gemacht. Es war aber ni

    ht aus Liebe geschehen, sondern aus guter Laune, aus jenem holden Leichtsinn, der sich von wster Tollheit durch das Edle der Absichten unterscheidet. Das Mdchen hatte ihm in dem Grade gefallen, da er keine Verfhrungsknste anwenden mochte, aber es hatte ihm nicht in dem Mae gefallen, da er auf dasselbe nicht, ohne zu verzweifeln, htte verzichten knnen.

    Er fand bald keine Freude mehr an seinem Hause, obgleich es niemals zu offenen Conflicten zwischen dem gutmthig lebensfrohen Manne und der still demthigen Frau gekommen war. Die Geburt einer Tochter beglckte ihn nur in bescheidenem Mae, weil sich seine Phantasie vom Besitz eines Sohnes besonders erfreuliche Vorstellungen gebildet hatte, und als auch das zweite Kind weiblichen Geschlechtes war, schickte er die Mutter sammt den kleinen Mdchen auf sein Gut im Gouvernement Wladimir.

    Das Gut stammte von einem seiner mtterlichen Verwandten, Andreeff, und fhrte darumnoch immer den Namen Andrejewo. Es bildete so ziemlich den Inbegriff seiner letzten Habe, war aber auch schon bis ber die Schornsteine des Herrenhauses mit Schulden belastet. Alle heilige Zeit einmal besuchte dort Nikolai Alexandrowitsch seine Familie. Als seine Gattin starb, war es fr ihn gerade an der Zeit, den Abschied vom Militr zu nehmen. Er fand zu Hause am Sarge seiner Frau zwei halberwachsene Tchter, Matrjona und Milinka, deren weitere Pflege und sorgsame Erziehung fortan allein zu bernehmen der hell durchsichtige Vorwand war, weshalb er nicht mehr nach Moskau oder Petersburg zurckkehrte, sondern von jetzt an ununterbrochen die erzwungene Ruhe mit Wrdegeno.

    Die ltere Tochter, Matrjona, hatte schwarze Haare und in derselben Farbe funkelnde Augen; sie hatte sich gleich nach dem Tode der Mutter bereit und geschickt gez

    eigt, die Geschfte der Haushaltung auf sich zu nehmen. All die kleinen Kunststcke,um die wrdige Reprsentation des Hauses und zugleich einen wenn auch nur migen Comfrt auf dem Wege uerster Sparsamkeit zu erreichen, hatte Matrjona der Mutter treu abgelernt.

    Die jngere Tochter hingegen, eine zarte blauugige Blondine, verrieth einigen Widerstand gegen Beschftigungen, welche sie mit dem Namen Prosa belegte, und befand sich auerordentlich wohl, wenn sie ungestrt den schnen Knsten, namentlich aber der Letre sich hingeben durfte.

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    die Bewohner des letzteren es niemals zu dem Zwecke verlieen, um bei Freunden inder Nachbarschaft gastliche Aufnahme zu finden.

    So verlief das Leben auf Andrejewo in einer ununterbrochenen Einfrmigkeit, welchejede sich zufllig darbietende Abwechselung oder Neuerung im Lichte eines groen Ereignisses erscheinen lassen mute. Als solches wurde es denn auch aufgenommen, alsder geliebteste Freund und ehemalige Camerad Towaroff's, als Sergey IwanowitschNikrachewsky im Gouvernement Kostroma sich ansiedelte. Die erste Meldung von diesem Ereigni brachte Nikolai ganz auer sich vor Freude.

    Dieser einzige Mann,rief er, ersetzt mir das Officierscasino in Moskau, die Blle iPetersburg und die Jagden bei Kiew. Wie sehne ich mich, mit ihm grob zu werden!Denn er ist ein schwarzgalliger Misanthrop, dem man zuweilen einen Schlag gebenmu, um ihn wieder auf einen vernnftigen Weg zu bringen. So lange er es aber nichtzu bunt treibt, so lange man ihn gewhren lassen kann, ist er ein bezaubernder Mensch.

    Auch Sergey freute sich, dem alten Freunde rumlich nher zu kommen und die Gesprcheund Discussionen ber die zwischen ihnen herrschenden Verschiedenheiten der Lebensauffassung zu erneuern. Sergey, der auch durch die Sanftmuth und Gelassenheit beim Disputiren ein Gegensatz zu Nikolai war, liebte diesen ber Alles, ohne sich eines andern Grundes dafr bewut zu sein, als da er im Freunde den Ausdruck der reinsten Lebensfreude bewunderte, die, wenn sie nicht momentane Betubung ist, sondern zur Natur des Gemthes gehrt, auf Andere stets anziehend und erfrischend wirkt. Da b

    eide Freunde fr das Briefschreiben nicht eingenommen waren, so hatten sie sich whrend langer Trennung ber ihre gegenseitigen Verhltnisse kaum eine Kunde gegeben.

    Nicht lange dauerte es, und die Besuche Sergey's waren [287] ein nothwendiger Bestandtheil des Lebens auf Andrejewo geworden. Mit Staunen und doch mit kaltem Gleichmuth sah und beobachtete er die schn erblhten Tchter des Freundes, die eben inder Vollgewalt ihres Reizes standen. Die Unterhaltung im Familienkreise gab denMdchen Gelegenheit, ihre Gesinnungen, Wnsche, Lebenshoffnungen auszusprechen. Sergey fand dann, wenn er sich den langweiligen Weg der Heimkehr durch Nachsinnen verkrzte, gengenden Grund, sich ber sich selbst zu wundern. Denn ohne dabei die uerescheinung im Geringsten in Anschlag zu bringen, empfand er doch, soweit er derartigen Eindrcken berhaupt zugnglich war, mehr Wohlgefallen an der durchaus praktischgesinnten Matrjona, als an der zu schwrmerischen Gefhlen und Abstractionen geneig

    ten Milinka, whrend nach seiner eigenen Natur und Denkungsweise gerade das Gegentheil htte der Fall sein sollen.

    Er hatte eines Tages Gelegenheit, die verschiedenen Charaktere der beiden Mdchenzu errtern. Denn er geno die Ehre, bei sehr schlechtem Wetter und weil wieder einmal Nikolai's Pferde zu groe Fehler gehabt hatten, in seinem eigenen Wagen Herrn Hesekiel Nazarus nach der Kreisstadt zu bringen.

    Der deutsche Sprachmeister hatte schon lang entdeckt, da Nikrachewsky mit der Philosophie nicht unbekannt und stets wibegierig war, mehr darber zu erfahren. Nazarus selbst war in der Leibnitz- Wolff'schen Schule stecken geblieben und vollkommen berzeugt, da Alles, was spter auf diesem Gebiet an den Tag getreten und was er zufllig nicht mehr gelesen, durchaus keine Bedeutung hatte. Als Sergey, der mit Kan

    t vertraut war, nach diesem fragte, antwortete Nazarus:

    Ja, ich wei, das ist einer von den Neueren, aber die Jungen taugen alle gar nichts. Ich bedaure sehr, mein guter Herr, da Sie meine Werke nicht gelesen haben.

    So!rief Sergey hchst berrascht, das will ich nachholen! Wo sind denn die Werke zuben?

    Sie sind nicht geschrieben,erwiderte Nazarus, heftige Rauchwolken von sich stoend;ich habe niemals freie Zeit dazu gehabt, und auerdem vertrgt meine Natur das Schre

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    e sie sehr; dennoch konnte sie sich nicht entschlieen, Ruland auf die Dauer zu verlassen.

    Die Tante Sergey's war keineswegs damit einverstanden, da Sergey sich nach dem Verlassen des Militrdienstes wie ein Schwrmer, wie ein Sonderling in die Einsamkeitzurckzog. Sie wollte, da er die ihm gnstigen Chancen benutze, um im Staatsdienst von Neuem Carrire zu machen, und schrieb ihm lange Briefe, um ihm diese Ueberzeugung beizubringen.

    Nikolai Alexandrowitsch war ganz derselben Meinung.

    Die Grfin Tschatscherin ist eine Frau nach meinem Herzen,rief er; ich verliere sehviel an Dir, das weit Du, Sergey Iwanowitsch; die Teufel der erzwungenen Weltflucht, der Langenweile werden sich mir wieder auf Brust und Nacken setzen. Aber alle Teufel der Erde und der Hlle sollen mich nicht verleiten, einen guten Freund in seiner verstockten Dummheit zu bestrken!

    Was verstehst Du unter verstockter Dummheit?erwiderte Sergey ganz gelassen; da ichnicht die Uniform ausgezogen haben will, blos um eine Livre dafr anzuziehen?

    Dem guten Nikolai stieg auf diese Rede das Blut in's Gesicht.

    Da bist Du wieder bei Deinem Thema!begann er eine lange Strafpredigt, in deren Verlauf seine Aufregung stets grer und seine Stimme stets lauter wurde. Als die Aufr

    egung Nikolai's am strksten geworden war, trat der Arzt in's Zimmer. Er untersuchte den Zustand Nikolai's und gab dann, indem er sich von diesem verabschiedete,Sergey einen leisen Wink. Nikolai durfte sein Gemach nicht verlassen, und Sergeygehorchte dem Winke und begleitete den Scheidenden. Als sie auer der Gehrweite des Kranke waren, erklrte der Arzt, da die Gesprche der Freunde fr den leidenden Towaoff lebensgefhrlich wren, gerade weil er die ihm daraus erstehende Aufregung so sehr liebte, wie ein Branntweintrinker den Rausch, und da es gut wre, wenn die Zusammenknfte fr einige Wochen unterbrochen werden knnten; nur drfe Towaroff den wahren rund der Unterbrechung nicht ahnen.

    Sergey lie sich dies gesagt sein. Zum Freunde zurckgekehrt, warf er sich wie erschpft in einen Sessel und sprach:

    Ich bin hinausgegangen, um frische Luft zu athmen. Unsere Debatten greifen meineNerven an. Ja, ich habe Nerven, wie mir der Arzt soeben betheuerte. Bisher glaubte ich, Nerven wren ausschlielich ein Bestandtheil des weiblichen Krpers. Zehn Jahre jnger als Du, Nikolai, bin ich um zehn Jahre lter nach meiner Schwche und leiblichen Beschaffenheit. Wir drfen, um meinetwillen, eine Zeit lang nicht mehr zusammen kommen.

    Nikolai war sehr erschrocken.

    Wie lange willst Du fortbleiben?fragte er.

    Ich wei es nicht,antwortete Sergey, aber ich will Dir eine Art Vertrag vorschlagen

    Man war jetzt im November, und sie kamen berein, da [288] sie sich am Neujahrstagewiedersehen wollten, nach vorausgegangener brieflicher Verstndigung, ob in Andrejewo oder bei Sergey. Sollte jedoch fr Einen von ihnen ein wichtiges, selbst nurein ungewhnliches Ereigni eintreten, das er dem Andern mndlich mittheilen msse oderwolle, so wre eine Ausnahme zu machen, und in diesem Falle knne Einer den Andern ungehindert besuchen. Selbst den beiden Mdchen, als er ihnen Lebewohl sagte, vertraute Sergey nicht den wahren Grund an, weshalb er fr lngere Zeit Abschied nahm.

    Beide Schwestern waren schmerzlich bewegt, da sie den Freund ihres Vaters bis zuNeujahr nicht wiedersehen sollten. Der Tag ging eben zur Neige; das Wetter war g

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    rau und unheimlich geworden und Schneewolken zogen am Himmel hin. Matrjona verlie pltzlich den Salon und lief zu Wania, dem alten Diener, der Sergey immer begleitete. Sie kehrte zurck und erklrte mit eifrigen Worten, da Sergey fr die pltzliche schlimmerung des Wetters nicht gengend ausgestattet sei. Sie bat ihn, Wania zu erlauben, einen Pelz des Vaters, ein Fell und einen Teppich fr den Wagen mitzunehmen, was jener mit Dank zulie.

    Whrend ihrer Entfernung hatte Sergey eine tiefer gehende Unterhaltung mit Milinkagefhrt. Nachdem er ihr den Inhalt seines letzten Zwiegesprches mit Nikolai angedeutet, war sie fast begeistert in der Zustimmung zu den Motiven, welche Sergey frsein Zurckziehen von der Welt geltend machte. Er war davon so angenehm bewegt, daer sich nicht enthalten konnte, auch die ltere Schwester zu einer Entscheidung berdie Frage aufzufordern. Er gab ihr zuvor noch die Grnde fr seine eigene Entscheidung an.

    Matrjona dachte einen Augenblick nach und sagte dann sehr gelassen: Die Richtigkeit der Motive zu beurtheilen, die zur Weltabgeschiedenheit veranlassen knnen, binich wohl zu jung und zu unerfahren. Ich glaube jedoch, da Grundstze allein hier gar nichts zu sagen haben, sondern nur das Wichtigste und Kstlichste, was ein Mensch nach meiner Meinung besitzt, seine Gemthsstimmung, eine entscheidende Stimme hat. Ob Einer sich wohler in der Einsamkeit oder in der Welt fhlt, davon hngt es ab. Man kann zur Noth fr einen Andern denken, wenn er selbst keine Einsicht hat, aber man kann fr keinen Andern fhlen. Und das Glck, das hier die Wahl bestimmen soll,liegt doch immer nur im Gefhl.

    Dies klang nicht so schmeichlerisch wie der Beifall, den ihm Milinka gezollt hatte, aber es lagerte sich wie ein Stoff zu fernerem und langem Nachdenken in seiner Seele ab. Vorlufig, im stillen Hinbrten whrend der Heimfahrt, kleidete er diesenStoff nur in die oft halblaut wiederholten Worte: Matrjona und Milinka Martha und Maria.

    Gnzlich entfernt aber war er von dem Gedanken, diesen Gegensatz als eine Frage zufassen, und Martha oder Mariavor sich hinzusagen.

    [314] Fr die Gefhrlichkeit des Wetters hatte die Tochter Nikolai's ein prophetisches Gefhl gezeigt. Denn whrend der wenigen Stunden, deren Sergey bedurfte, um nachHause zu gelangen, war ein vlliger Schneesturm losgebrochen. Der Reisende hatte U

    rsache, die Vorsorge Matrjona's dankbar zu empfinden. Die folgenden Tage dientendazu, der Furchtbarkeit und Strenge eines russischen Winters volle Entfaltung zu geben. Sergey verschlo sich in seine Bibliothek und fand Behagen an einem Zustande, der ungeheuere Schneemauern aufthrmte, um ihn von der Menschenwelt vllig abzutrennen. Selbst Briefe und Zeitungen konnten einstweilen nicht zu ihm gelangen,weil die Ueberwehungen der Straen den Postenlauf verhinderten. Wie ausgestorben war die ganze Gegend, und Sergey kam es vor, als ob er sich in einem Fabelreicheaufhielte, das nicht den Namen eines der Lnder dieser Erde trge.

    Nachdem die Schneestrme aufgehrt hatten, fror es gewaltig. Vgel strzten todt aus deLuft. Die Arbeiter, die aufgeboten wurden, um mitten durch den Schnee hindurchglatte Bahnen fr den Verkehr herzustellen, konnten nur langsam und unter groen Vorsichtsmaregeln gegen die Klte ihr Werk vollbringen. Wie frher der Schnee, so machte

    jetzt die Temperatur das Reisen fast unmglich.

    Dennoch schien sich der Postschlitten durchgearbeitet zu haben; denn Sergey erhielt endlich Sendungen aus Petersburg, unter welchen sich ein Brief seiner Tante,der Grfin Tschatscherin, befand. Sie erzhlte zuerst die Neuigkeiten der Hauptstadt, beschrieb die Gensse, welche die Oper und das franzsische Theater boten, und schilderte die Personen, die ihren Kreis bildeten. Dann ging sie mit ernsteren Worten auf ihren eigentlichen Zweck ber.

    Du siehst, dieser Winter lt sich glnzend an,schrieb sie, er ist ja der erste, se

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    wir den neuen Czar und mit ihm den Frieden bekommen haben. Gott segne sie beide, den Kaiser und den Frieden! Wenn Dich nun weder Lust und Vergngen bewegen knnen,Deine Einsamkeit aufzugeben, noch die neu erwachte Thtigkeit auf allen GebietenMacht ber Dich hat, Dich dem Miggange zu entreien, so bin ich, falls Du hierin wirkich einen unwandelbaren Entschlu gefat haben solltest, weit entfernt, Dir deshalbzu zrnen, oder auch nur zu grollen. Mich dnkt zwar, da, wenn es sich, wie jetzt hier, berall regt und bewegt und ein neues, vielversprechendes Regiment an der Spitze steht, kein Mann von fnfunddreiig Jahren und in bester Gesundheit sich weigern sollte, an die Gestaltung besserer Zustnde mit Hand anzulegen. Indessen habe ich ber die Sache mit Peter Michailowitsch Nikitine gesprochen, den Du kennst und derein vortrefflicher Mann ist. Er ist um fnf Jahre jnger als Du, und scheint mir doch klarer zu sehen, als wir Alle. Er bestreitet mir gewissermaen das Recht, hinsichtlich Deiner ffentlichen Laufbahn in die Dispositionen Deines Charakters widersprechend eingreifen zu wollen. Ich mu mich daher bescheiden, Dir meine Wnsche in dieser Beziehung, obgleich es bereits das zehnte Mal sein mag, noch einmal auszudrcken. Frauen sollen sich ja nicht in die Angelegenheiten des ffentlichen Lebens machen, nicht einmal durch einen darauf bezglichen Rath.

    Einen Punkt giebt es jedoch, den ich nicht so gelassen behandeln kann. Du bist der Sohn meines Bruders, den ich von Jugend an mehr geliebt habe, als bis heute irgend einen Menschen, meine Kinder ausgenommen. Ich bin berzeugt, da er sich im Grabe umdrehte, wenn er wte, da Du als Junggeselle dahingehen und seinen Namen nichtfortpflanzen willst. Wenn Du keine angeborenen, sondern nur freiwillig bernommenePflichten dem Vaterlande gegenber anerkennst, wie Du oft gesagt hast, so wirst D

    u Dich doch den Pflichten nicht entziehen wollen, welche Abstammung und FamilieDir auferlegen.

    Komme also diesen Winter nach Petersburg, um Dir eine Frau auszusuchen! Du hastdie Wahl unter den schnsten, vornehmsten und reichsten Tchtern des Landes. WelcheFreude htte ich, Deine Plne durch meinen kleinen Intriguengeist zu untersttzen, derauch in den unschuldigsten Dingen nicht berflssige Dienste thut! Davon will ich gar nicht sprechen, da ich mein Haus durch neue, weibliche Verwandtschaften gleichsam wrmer machen mchte, da es bei allem Zudrange der Weltleute doch sehr kalt undeinsam ist. Schreibe mir bald gnstig ber dies Alles!

    Kaum hatte Sergey den Brief zu Ende gelesen, als ihm [315] Wania meldete, das ganze Dorf wre in Aufruhr gebracht, und zwar durch denselben Boten, der soeben mit

    den Postsendungen angekommen war.

    Dichter Schneefall war nmlich wieder eingetreten; die Straen waren auf's Neue verweht worden, und der Postschlitten, obgleich mit mehr Pferden als gewhnlich bespannt, hatte sich in eine Vertiefung gesenkt. Schreiend, wimmernd und fluchend hatten sich die zahlreichen Passagiere so weit aus dem Schnee herausgearbeitet, um nicht sogleich ersticken zu mssen, doch konnten sie sich nicht selbst befreien, man mute ihnen mit den nthigen Gertschaften zu Hlfe kommen. Einem der Postillone war s gelungen, ein Pferd loszuspannen, das Briefpacket an sich zu nehmen und reitend das Dorf zu erreichen. Nun sollte Alles, was Hnde und Schaufeln besa, auf so vielen Fuhrwerken, wie nur immer aufzutreiben, zur Unglckssttte hinauseilen.

    Sergey Iwanowitsch lie sogleich satteln, beschleunigte durch sein Erscheinen, sei

    n Zureden und seine zweckmigen Befehle die Bereitmachung der Leute und setzte sichan die Spitze des hlfebringenden Zuges.

    Der Anblick und das Anhren der Reisenden war schrecklich. Sie waren beflissen, bei gehemmter Bewegung in grimmiger Klte sich vor einschlafender Betubung und folglich vor Erfrieren hauptschlich durch den Gebrauch ihrer Lungen zu schtzen. Die Jammertne verstummten jedoch sogleich, als die Ankunft des Zuges Gewiheit der Befreiung gab; es schien, sobald sie sich gerettet wuten, da das Unbehagen einer Calamitt,die nothwendig zur Natur ihres heiligenRulands gehrte, sie nicht weiter anfechte.

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    Mitten im Arbeiten der Leute vernahm Sergey eine Stimme, die ihm bekannt schien,ohne da er sich ihres Besitzers sogleich zu entsinnen gewut htte. Er legte mit Hand an in der Richtung, aus welcher die Stimme hervordrang, und hatte bald das Vergngen, da ihm Herr Doctor Hesekiel Nazarus in die Arme fiel.

    Der arme Deutsche schien der Einzige zu sein, auf welchen die Schrecken der Lageauch in moralischer Beziehung einwirkten. Auf die Beine gebracht und auf sichern Boden gestellt, rhrte er sich nicht mehr vom Platze. Sein Gesicht drckte neben physischem Schmerz auch trauriges Erstaunen aus, da solche Ereignisse unter GottesHimmel berhaupt mglich seien. Nachdem er lange mit Verwunderung im Kreise umhergesehen, blieben seine Augen auf Sergey haften, den er jetzt erst deutlich zu erkennen schien. Nazarus sprach aber kein Wort, und der Ausdruck der Ueberraschung wich nicht aus seinen Zgen.

    Was haben Sie? Was denken Sie?fragte der Edelmann unwillkrlich.

    Lakonisch erwiderte Nazarus:

    Ich bin gewaschen.

    Das glaube ich wohl,sagte Sergey, aber nun lassen Sie sich auch abtrocknen!

    Und er sorgte dafr, da einer der Schlitten fr den armen Sprachmeister zurecht gemacht wurde, ritt nebenher und richtete keine Frage mehr an den Verunglckten, wie Vi

    eles auch zu erfragen gewesen wre. In seinem Hause bergab Sergey den Sprachmeisterder Behandlung Wania's, der sehr gut wute, wie man einen Halberfrorenen wieder zu Leben und Behagen bringt. Nach dem Genu heier Getrnke und glcklichem Ueberstehen er mit ihm vorgenommenen Manipulationen schlief Nazarus bis zum spten Morgen desnchsten Tages und erschien dann mit seinem gewohnten Gleichmuth am Frhstckstisch des Gutsherrn.

    Noch verhielt sich der Sprachmeister sehr schweigsam, seine Miene jedoch spiegelte Zufriedenheit, soda Sergey ihn nicht durch wichtige Erkundigungen im vergngtenHinbrten stren wollte. Als aber Nazarus den Inhalt des Samowars in die Tasse flieensah, verdsterte sich seine Miene pltzlich und auffallend. Er suchte in allen seinen zahlreichen Taschen mit Verzweiflung, und wenn kein Capital bei ihm zu vermuthen war, so konnte man doch glauben, er htte ein ihm anvertrautes verloren.

    All mein elendes Gepck trug ich um den Leib gebunden,sthnte er endlich, und kein chen fehlt. Aber das Kostbarste von den schnden Gtern dieser Erde, meine Pfeife, meine kurze Reisepfeife

    Er rang die Hnde.

    Die ist wohl im Schnee stecken geblieben,sagte Sergey, aber

    Nein,unterbrach ihn Nazarus, ich erinnere mich jetzt, ich habe sie im Postwagen zurckgelassen. Unter'm Schnee habe ich nicht geraucht und spter war ich wie verdonnert und verwettert. Ich will gleich

    Aber,schrie er auf, sich selbst unterbrechend; jetzt fllt mir bei, der Postschlittn ist ja gewi schon ohne mich davongefahren. Mein Reiseschein gilt nur fr den bestimmten Tag, und es ist auf dem Schein zu lesen, da auf einen Passagier, der sichvon einer Station entfernt, nicht gewartet wird.

    Kamen Sie denn nicht zu mir? War das nicht Ihr Reiseziel?

    Keineswegs. Ich wute nicht einmal, da das Gut auf dem Wege liegt. Wie sollte ich mich erdreisten, uneingeladen ! Aber was soll ich jetzt anfangen?

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    Der Gutsherr bedeutete ihm, den Thee nicht erkalten zu lassen, und sagte dann mit Lcheln:

    Fr beide schreckliche Flle wei ich Abhlfe. Ich besitze von meinem Grovater her eieifensammlung, um die ich mich gar nicht kmmere; ich geniee nur Tschibouk oder Cigarre. Ich hoffe, ein Stck der Sammlung wird wrdig sein, das verlorene zu ersetzen.Und was das Versumen der Post betrifft, so war es meine Schuld; ich habe Sie inmein Haus entfhrt. Es ist daher meine Pflicht, fr einen neuen Reiseschein zu sorgen, wenn Sie mir nur sagen wollten, wohin?

    Nach Moskau.

    Nazarus nahm nach und nach seine frhere vergngte Miene wieder an, und Sergey lie ihm schweigend Zeit, sein Mahl zu beenden. Dann fhrte er seinen Gast in das Rauchzimmer, und als Nazarus seinen Tabak in Brand gebracht hatte, bat Sergey um Nachricht vom Freunde Nikolai Alexandrowitsch und von dessen ganzem Hause.

    Alles sehr wohl,sagte Nazarus und whnte sich sehr fein auszudrcken, wenn er hinzufe: Sehr wohl Alles, so weit es den Krper betrifft, aber was die Kleider anbelangt

    Und er schwieg und schttelte den Kopf mit bedenklichem Gesicht.

    Die Kleider? Wie meinen Sie dies?

    Ich meine, in den Kleidern sind Taschen und in den Taschen ist nichts,platzte Nazarus ohne weitere Versuche, fein zu sein, heraus.

    Und nun erzhlte er umstndlich die Verlegenheiten und Bedrngnisse des Hauses Towaroff in Folge der Schulden, die auf dem Besitze Andrejewo lasteten, und wie die Nervenerregung, die der Arzt den Gesprchen mit dem Freunde zugeschrieben, eigentlichin der materiellen Pein und Sorge des Gutsherrn wurzelte, der, abgesehen von der momentanen Noth und der damit verbundenen unangenehmen Correspondenz eines jeden Tages, noch von dem Zwange geqult war, als heiterer Lebemann seine Tage in einsamer Zurckgezogenheit hinbringen zu mssen. Er hatte nun, weil die Antwort auf einen Vorschlag, den er seinem Moskauer Advocaten gemacht, durchaus nicht eintreffen wollte, Nazarus, in Ermangelung eines besseren Vermittlers, veranlat, einen Bescheid in Moskau zu ertrotzen und zurckzubringen.

    Sergey hrte diese Erffnungen mit Bestrzung an und versank in tiefes Nachdenken. Sein Gast war jedoch nicht der Mann, dem er seine Gedanken htte mittheilen wollen. Er bestand jetzt darauf, da Nazarus seine Mission ohne Zgerung wieder aufnehme, undstattete ihn mit Allem aus, was die Reise beschleunigen und zugleich mglichst behaglich machen konnte.

    Wieder allein geblieben, ging Sergey mit groen Schritten in seinem Bibliothekzimmer auf und nieder.

    Von dieser ganzen Misre,dachte er, habe ich keine rechte Vorstellung gehabt; ich gaubte immer nur, es handle sich um Kleinigkeiten und Spe. Nikolai ist ein idealerMensch ich habe das immer gewut. 'Die Freundschaft darf nicht zum Mittel fr gemein

    e Zwecke dienen; Geld leiht man sich nicht von seinen Freunden, sondern von seinen Feinden aus,' hat er oft lachend gesagt. Lieber den Gleichgltigsten, den Fremdesten, als den Freund unter der Erbrmlichkeit des eigenen Schicksals leiden zu lassen das war immer sein Grundsatz. Aber trotz alledem jetzt mu geholfen werden.

    Sergey setzte sich nachsinnend an einen Schreibtisch, wo unter einem Briefbeschwerer die Schrift der Grfin Ttschatscherin hervorlugte. Mechanisch zog Sergey dasSchreiben hervor und las es noch einmal durch.

    [316] Die Tante hat im Grunde Recht,sagte er sich, ich bin es meinen Vorfahren sch

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    uldig, meinen Namen nicht erlschen zu lassen und ich bin es mir selbst schuldig,wenn ich schon nicht dem Vaterlande dienen kann, ein Weib, ein Kind so glcklich werden zu lassen, wie es in meiner Macht liegt. Man kann nur dann mit gutem Gewissen fr sich selbst leben, wenn man dabei auf irgend eine Weise fr Andere lebt, undeine gute Ehe erlaubt dies, ohne da man deshalb sein Selbst in ein verhates Jochspannen mte. Jetzt ist aber nicht Zeit, daran zu denken oder doch?

    Er stand auf und ging wieder umher.

    Ja,sagte er sich mit Entschlossenheit, das ist zugleich der einzig richtige Weg, um Nikolai zu helfen. Er hat zwei Tchter, ich will ihm eine abnehmen, ob Matrjonaoder Milinka Martha oder Maria, das frage ich mich jetzt nicht. Genug, die Versorgung einer Tochter ist schon an und fr sich eine Erleichterung seiner Lage und,was noch mehr bedeutet, gestattet mir auch, in das Detail seiner Verhltnisse einzudringen und Rath zu schaffen. Nun, wahrhaftig! Die Werbung ist doch wohl ein genug wichtiges Ereigni, um mir nach unserem Vertrag zu gestatten, noch vor Neujahrauf Andrejewo zu erscheinen.

    Nichts merkte man an der Lebensfhrung, die im Herrenhause Andrejewo waltete, vonden Qualen und Sorgen, die das Gemth des Gutsherrn zerrissen. War die Befriedigung des Nothwendigsten auch bis zur Kmmerlichkeit einfach, so blieben doch die Geschfte wie die Gensse des Tages von einem ungestrten Frieden umhegt. Denn Nikolai warbei soldatisch rauhen Manieren und bei aller Rcksichtslosigkeit, wenn es sich frihn um ein Vergngen oder ein Behagen handelte, auerordentlich zartfhlend; er htte s

    ch lieber getdtet, als unntzer Weise seine Umgebung zu Leidensgefhrten in seinen Sorgen gemacht. Dennoch gingen, ohne da er es wute, gleichsam die Athemzge seines Unglcks durch das Haus. Man sprach sich nicht darber aus, aber man schmachtete nach einer Freude und sie kam, als in einer Abendstunde, unvermuthet wie ein Wunder Sergey Iwanowitsch Nikrachewsky in den Hof einfuhr.

    Der Jubelschrei, mit dem ihn der Knecht empfing, pflanzte sich fort bis in das Cabinet Nikolais, der hierauf mit den Sprngen eines Knaben die Treppe hinabeilte. Im Salon harrten die Mdchen des Angekommenen, und man sa bald gemthlich am warmen Ofen, bis Matrjona, die, wie immer, geschftig ab und zu ging, mit dem Ausdruck desBefremdens meldete, da Wania ein ganzes Magazin von Wein und Delicatessen aller Art in die Kche geliefert habe.

    Ich bitte tausendmal um Entschuldigung,sagte Sergey, aber ich wei nur zu gut, da auf unseren Herrenhusern in dieser Jahreszeit von Allem abgeschlossen sind, wasangenehm schmeckt. Und da ich schon reiste, so bin ich ber den Ort gegangen, wo man sich assortiren kann. Werfen Sie getrost weg, Frulein Matrjona, was Ihnen fr das Haus nicht pat, und fr das Brauchbare werde ich Dir die Rechnung prsentiren, Nikolai Alexandrowitsch.

    Dieser, als er von einer Rechnung hrte, starrte betrbt vor sich hin.

    Apropos!fuhr Sergey fort, ich habe eine Botschaft fr Dich, Nikolai. Du sollst eineBrief lesen, den mir meine alte Tante, die Grfin Tschatscherin geschrieben hat.Den mu ich Dir zeigen, wenn wir allein sind. Nicht, da ich so unschicklich und grausam wre, vor den Damen ein Geheimni zu haben, aber es ist zunchst Dein Geheimni, N

    kolai, und es brennt mir auf der Seele; ich werde bessern Appetit haben, wenn Duerst davon Kenntni hast.

    Dann kommin mein Zimmer!rief Nikolai und ging der Thr zu. Sergey folgte ihm, nachem er um Verzeihung gebeten hatte fr die Strung des Familienkreises, die nicht vonlanger Dauer sein sollte.

    [330] Als die Freunde allein waren, sagte Sergey:

    Du fragtest noch nicht nach dem Ereigni, das mich in Dein Haus geschneit hat; nach

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    unserm Vertrag drfte es doch nur etwas Auerordentliches sein.

    Dein Kommen ist mir immer ein Ereigni,erwiderte Nikolai, Du erfllst also die Vertsclausel schon dadurch, da Du kommst. Uebrigens hast Du ja auch etwas Auerordentliches in der Tasche, wie Du sagst: den Brief der Grfin.

    Nun, es kann etwas werden,lchelte Sergey, meine gute Tante will mich verheirathenLies!

    Jedes Wort ist eine Perle,rief Nikolai, nachdem er den Brief der Grfin gelesen hatte. Du bist natrlich dagegen, und wir fangen gleich wieder zu streiten an.

    Diesmal nicht, Nikolai. Denn das Ereigni ist, da ich mich entschlossen habe, zu heirathen.

    Nikolai sprang auf und umarmte seinen Freund.

    Hurrah! Und wen hast Du gewhlt?

    Ich habe Dir schon im Salon gesagt, da die Sache zunchst Dein Geheimni ist. Du mutmich whlen.

    Du bist nicht gescheidt, Sergey Iwanowitsch; ich komme nicht mehr in die Welt, sehe keine Weiber mehr; ja, wenn Du mich vor fnf Jahren gefragt httest! Die schnsten

    Mdchen, die ich kannte, sind seitdem alt geworden oder haben ihre Mnner.

    Du hast aber zwei im Hause, die noch ganz Knospe sind.

    Meine Mdchen!sagte Nikolai fast bestrzt und schlug die Hnde wie bei einer unangenen Ueberraschung zusammen; welche Fliege hat Dich gestochen? Du bildest Dir wohlein, die Mitgift lge hier im Kasten? Ich sage Dir, Sergey Iwanowitsch, sie bekommen keinen Kopeken. Mtterliches war niemals vorhanden, und ich, Gott sei's geklagt, bin ein armer Teufel. Daran hast Du wohl noch nicht gedacht?

    Es ist wahr,erwiderte Sergey, daran habe ich nicht gedacht. Aber Du kennst mich jals einen verstockten und eigensinnigen Menschen ich denke auch jetzt nicht daran und werde niemals daran denken. Ich denke nur daran, um jeden Preis Dein Schw

    iegersohn zu werden.

    Hast Du Dich denn schon mit meinen Tchtern verstndigt? Welche von Beiden liebt Dich, welche liebst Du?

    Hre mich an, mein theurer Freund!sagte Sergey in einem Tone, der seinen Ernst undseine tiefe Bewegung verrieth. Ich bin Quietist, und wie ich selbst ein Mann ohneLeidenschaft bin, so wei ist[1], da ich auch schwerlich Leidenschaft zu erregen vermag. Ich bin fnfunddreiig Jahre alt, also fast schon ein Alter, bin ein wenig melancholisch und obgleich ich mich stets bemhte, dies vor Anderen zu verbergen, kann es doch ohne mein Wissen zum Vorschein gekommen sein. Ich bin nach alledem, wie Du siehst, weder liebenswerth noch liebenswrdig. Nun finde ich aber die Grnde meiner Tante Varinka ganz richtig, warum sollte ich es nicht versuchen, was sich

    durch Liebe nicht mehr erreichen lt, vielleicht durch Freundschaft zu erreichen?

    Erklre mir das nher!

    Du zweifelst wohl nicht, da meine Freundschaft fr Dich und Deine Kinder gro genug it, um mich wnschen zu lassen, zur Familie zu gehren. Es fragt sich, ob auch die Freundschaft eines Deiner Kinder gro genug ist, um, blos auf dieses Gefhl gesttzt, einen Lebensbund schlieen zu wollen. Da ich keine von Beiden liebe, so liebe ich Beide; das will sagen: da ich keine Leidenschaft habe, so habe ich auch kein Recht, zwischen Beiden zu whlen. Diejenige aber, die sich fr mich entscheiden sollte, w

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    ird sich im Freunde nicht getuscht finden.

    Nikolai dachte lange nach, dann sagte er:

    La mich's berschlafen, und vorlufig kein Wort zu den Mdchen!

    Die Freunde begaben sich in den Salon zurck, wo inzwischen der Abendtisch vorbereitet worden war. Wenn bisher die unausgesprochene Betrbni des Familienvaters einenSchatten ber die Stimmung der Seinen geworfen hatte, so belebte jetzt eine in ihren Ursachen gleichfalls unergrndete Heiterkeit Nikolai's den ganzen Kreis. Der gute Mann wurde mit jedem Augenblick, in welchem er sich immer deutlicher das Glckausmalte, welches die Werbung fr sein Haus zur Folge haben knnte, lebhafter und gleichsam jnger; er sprach viel, trank mit ausgesprochenem Behagen, pries Sergey wegen der klugen Voraussicht, guten Proviant mitgebracht zu haben, trllerte zuweilen den Anfang eines alten Liedchens, und lange nicht empfundene Frhlichkeit stiegin den Herzen Matrjona's und Milinka's auf.

    Auch sie begannen die unschuldigen Regungen ihres Gemthes unbefangen hervortretenzu lassen. Matrjona erzhlte von dem einzigen Balle, den sie in ihrem Leben mitgemacht, auf einem Gute in der Nachbarschaft, und gab, um den Tisch herumtanzend,eine komische Probe von den Manieren ihrer damaligen Tnzer. Milinka, auch in glcklichen Momenten von einem Zuge schwrmerischen Ernstes nicht verlassen, recitirte deutsche und franzsische Gedichte und wurde durch zarte und liebevolle Anspielungen ihrer Schwester sogar zum Gestndnisse gebracht, da sie selbst schon Verse zu mac

    hen versucht und da der verwegene Ehrgeiz, einst Schriftstellerin zu werden, siezuweilen nicht schlafen lasse.

    Sergey frischte in sich die Laune auf, um heitere Erinnerungen an seine Reisen und an seine Beziehungen zur groen Gesellschaft mitzutheilen. Man lachte viel undwurde des Fluges der Stunden nicht gewahr, bis Nikolai endlich aufstand und rief: Kinder! Ihr seht jetzt etwas, was Ihr noch nicht mit Augen gesehen habt, seit Ihr auf der Welt lebt.

    Was wre das?fragten die Mdchen wie aus einem Munde.

    Die zweite Stunde nach Mitternacht. Da man aber mit den Seltenheiten des Lebens sparsam umgehen soll, so bewahrt Euch den Anblick der noch folgenden Nachtstunden

    bis zum Morgen fr sptere festliche Gelegenheiten auf und geht jetzt schlafen!

    O, ich habe schon manche spte Nachtstunde gesehen,sagte Milinka, aber freilich im instern in wachen Trumen.

    Dafr hast Du wahr und gewi auch niemals eine frhe Morgenstunde gesehen,entgegnetetrjona lachend und neckend.

    Man trennte sich. Nikolai hatte anfangs die Absicht gehabt, die Mdchen noch an diesem Abend, bevor sie sich zur Ruhe begaben, von der Werbung Sergey's in Kenntnizu setzen, aber er frchtete jetzt, ihnen dadurch eine Aufregung zu verursachen, die ihnen noch den Rest der Nacht geraubt htte. Er schied von Sergey mit den lachenden Worten: Ich habe sehr wichtig zu schlafen; denn ich mu es ja berschlafen.

    Sehr vergngt zog sich auch Sergey zurck. Er hatte im Hause der Noth und Sorge glckliche Menschen gesehen. Das sind auch die besten Menschen,sagte er sich, die so leicht in glckliche Stimmung zu versetzen sind, und sie verdienten ein Glck, das solidere Ursachen htte, als eine flchtige Stimmung. Welch instinctives Verstndni, wie enur die innigste Liebe giebt, mssen diese Mdchen fr ihren Vater haben, wenn seineheitere Miene, seine unumwlkte Stirn schon gengt, alle versteckte Jugendlust in ihnen aufjauchzen zu machen! Liebe, liebe Kinder sind es.

    Er war reisemde; er trachtete in's Bett zu kommen, aber statt zu schlafen, setzte

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    er seine Gedanken fort.

    Beide sind gleich hbsch, ja sie sind schn. Milinka mahnt an die heilige Ccilie, Matjona an eine Madonna Murillo's. Milinka wrde helfen, ein Leben in tiefster Abgeschiedeheit zu vergeistigen, Matrjona ein Leben im Trouble der Welt unendlich behaglich zu machen. Die Dinge dieses Erdenlebens sind pure Nichtigkeit; ich erweiseihm nicht die Ehre, sein Gutes zu wollen, darum zu kmpfen, ich bin zufrieden, wenn ich zur Abwehr, zum geistigen Widerstande gegen sein Bses genugsam gerstet bin.Ich habe mein Schicksal in die Hnde dieser Mdchen gelegt, vorausgesetzt, da sie behaupt Lust haben, darber zu entscheiden.

    Auch Nikolai schlief nicht. Er berdachte, was er seinen Tchtern sagen wollte. So gewi es war, da er zur Ordnung seiner zerrtteten Verhltnisse Sergey's knftige Hlfenspruch nehmen durfte, sobald dieser sein Schwiegersohn war, so unerllich war es,da den Mdchen keine Ahnung aufsteigen drfe, wie sehr es sich in dieser Angelegenheit um das Glck des [331] Vaters handelte. Sie wrden sonst blindlings, ohne Rcksichtauf Neigung oder Widerwillen, ihre Zustimmung gegeben und geloost haben, welchevon Beiden sich als die Braut Sergeys erklren sollte. Nikolai aber wollte, da unterallen Umstnden die Entscheidung aus einem von jeder Nebenrcksicht freien Gefhle entspringe.

    Am nchsten Tage blieb Alles so still im Hause, da der Gast weder den Vater noch die Tchter in den Vormittagsstunden zu Gesicht bekam. Nikolai war, als man ihm gesagt, da Matrjona wieder bei ihren huslichen Beschftigungen und Milinka bei ihren Bch

    rn sei, in das Zimmer seiner Kinder gekommen und hatte eine lange Unterredung mit ihnen gefhrt. Jetzt, vor Tische, kam er zu Sergey und zeigte eine betrbte Miene.

    Wir haben es nicht gut gemacht, Bruderherz,sagte er; die Kinder, die neugierig vormir standen, waren von der Proposition, da eine von ihnen Dich nehmen sollte, soberrascht, ich will nicht sagen, bestrzt, da sie auf ihre Sessel niedersanken. Sielieen die Kpfe hngen. Ob sie Dich denn nicht leiden knnten, ob sie Dich haten? fre ich. Da betheuerte Jede einzeln mit feurigen Worten und ich habe sie selten ineiner Sache in solcher Uebereinstimmung gefunden da sie Dich liebe, wie einen theuren Freund; aber um keinen Preis kurz, wir haben es nicht gut angefangen. Dennich will Dir etwas sagen, Sergey Iwanowitsch!

    Er rusperte sich und rang nach dem Ausdruck:

    Weit Du, da, wenn Du an Eine herangetreten wrest, an welche immer, aber mit entschlssener Wahl, sie htte Dich sogleich genommen. Denn sie sind Dir Beide gut, und die Gewhlte htte sich geliebt geglaubt und wre von der Andern beinahe beneidet worden. Jetzt, da Du sozusagen um Beide zugleich wirbst, vermissen sie die Liebe in Dir, und fr Keine hat die Sache irgend einen Reiz.

    Sergey senkte betroffen das Haupt.

    Was sagte ich den Kindern darauf?fuhr Nikolai fort: Ihr seid unerfahrene Muse. Ihrkennt die Fallen nicht, die Euch das Leben stellt. Wit Ihr, was geschieht, wenn ich meinem Freunde vermelde, da Jede von Euch sich weigert, ihn zu erhren? Ein abgewiesener Freier kommt niemals wieder in das Haus, in welchem er einen Korb bekom

    men hat das fordern Selbstgefhl und Schicklichkeit.

    Nikolai betrachtete nach diesen Worten fragend seinen Freund, und da dieser mitkeinem Zuge des Gesichtes seine Meinung verrieth, fuhr Nikolai fort:

    Kaum hatte ich dies den Mdchen gesagt, als sie in ein Jammergeschrei ausbrachen. Sie beschworen mich, Dir von meiner Unterredung mit ihnen noch gar nichts zu sagen. Ich sollte Dir melden, ich htte die Werbung noch hinausgeschoben; ich mte DeinenAntrag selbst noch bedenken. Ich versprach es ihnen nicht, aber, wenn Du willst, so kannst Du thun, als wtest Du von ihrer Weigerung noch nichts, und kommst also

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    ganz unbefangen zu Tische. Ja, wenn Du ignorirst, da ich fr Dich geworben und vergeblich geworben habe, so bekommst Du ihnen gegenber freie Hand, noch gut zu machen, was verdorben ist, nmlich Dich fr die Eine oder die Andere bestimmt zu entscheiden.

    Ich tauge nicht gut zum Komdienspiel,erwiderte Sergey; ich soll mich jetzt stellenals wte ich nicht, da sie meine Absichten von Dir erfahren haben? Wenn ich auch unbefangen bliebe, wrden sie es bleiben? Wre es nicht immer ein gestrtes Beisammensein? Nein! Ich lege Deinen Tchtern die Karten offen auf den Tisch. Bringe mich nochin dieser Stunde mit ihnen zusammen, ich habe ihnen einen Vorschlag zu machen,und Du mut dabei sein und Deine vterliche Einwilligung geben.

    Die vier Betheiligten kamen im Salon zusammen, dessen Thren gesperrt wurden.

    Meine Frulein,sagte Sergey, die unbestimmte Werbung, die Ihnen der Vater berbrachsollte mir nur das Recht verschaffen, Ihnen sagen zu drfen, was ich mit Ihnen vorhabe. Die Grfin Varinka Tschatscherin, meine Tante, wnscht lebhaft meine Verheirathung. Trotz groer Kreise, die sie umgeben, lebt sie sehr einsam. Ihre Tochter ist in Paris verheirathet; die Tante sehnt sich nach einer Nichte, an der sie wieder etwas Verwandtes, eine weibliche Sttze um sich htte. Wenn ich nun die Tchter meines theuersten Freundes gefragt habe, ob sich eine als Lebensgefhrtin mir anschlieen wolle, so war ich nicht so vermessen zu glauben, die Entscheidung werde augenblicklich erfolgen. Nicht nur bin ich dazu nicht jung, schn und anspruchsvoll genug, gegenber so vieler Jugend, Schnheit und Berechtigung, das Beste anzusprechen a

    uch Sie, meine lieben Freundinnen, sind dazu nicht welterfahren genug. Sie habenbisher in trauter Stille, fern vom Treiben der Welt gelebt; ich bin fast der einzige Mann, der sich Ihnen nherte es hiee Ihre Jugend, Ihre Unerfahrenheit ausbeuten, wenn man Sie whlen liee, ohne da Sie mit Anderen vergleichen knnen, ohne da Siemals Gelegenheit gehabt, die Menschen, die Verhltnisse der groen Welt kennen zu lernen.

    Er hielt inne; die Mdchen schlugen die Augen nieder. Die Miene Matrjonas schien Zustimmung zu dem Gesagten auszudrcken, die Milinkas eher Verletzung, da man ihr, derVielbelesenen, die Kenntni der Dinge dieser Welt nicht zutraute.

    Ich habe nun gedacht,fuhr Sergey fort, da es gut wre, Ihnen Gelegenheit zu geben,e Welt kennen zu lernen. Wenn ich der Tante schreibe, da ich diejenige von Ihnen

    zur Gattin whlen will, die sich nach einigem Verkehr im Leben der Welt dafr entscheidet, so wird die gute Frau Sie mit offenen Armen in ihrem Hause empfangen, zunchst erfreut darber, Jugend und Frohsinn um sich zu haben. Sie verbringen die Wintermonate in Petersburg. Sie beobachten, wie es in der groen Gesellschaft aussieht, Sie begegnen Mnnern, ausgezeichnet durch Geist, Liebenswrdigkeit und hervorragende Stellung, auch der Werth oder Unwerth weltlicher Freuden macht sich Ihnen fhlbar und wenn sich Ihnen zuletzt ein Loos nach Ihren Wnschen darbieten sollte, besser als Sie es an meiner Seite finden, so trete ich zurck, zwar mit dem Schmerz, entsagen zu mssen, aber mit befriedigter Freundschaft. Darum bitte ich Sie, mir zugestatten, wenigstens an die Mglichkeit zu glauben, da Sie sich einst fr mich entscheiden; denn diese Mglichkeit allein giebt mir das Recht, Sie bei meiner Tante einzufhren, und sichert Ihnen von Ihrer Seite den freudigsten Empfang. Wollen Sienach Petersburg reisen?

    Matrjona sprang lachend von ihrem Sitz auf und klatschte in die Hnde.

    Es wre himmlisch, Petersburg zu sehen, all die berhmten Pltze und Promenaden, die Butiquen, die Theater, die Gesellschaften! Und was man da lernen kann fr Haus undLeben, tausend Dinge, die wir auf dem Lande nie erfahren!

    Milinka blieb ruhig auf ihrem Sitz; ein Zug verchtlicher Gleichgltigkeit spielte um ihre Lippen.

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    Die Welt bietet nichts, was das Herz ausfllen knnte ich wei es! All der Glanz unde Vergngungen haben keinen Reiz fr mich, aber ich wre es im Grunde zufrieden, meinerichtige Werthschtzung der Dinge dieser Welt auch einmal thatschlich zu erproben.

    Halt!sagte jetzt Nikolai, darber habe ich vorher noch ein Wort mit diesem Schwrmeu sprechen.

    Er zog Sergey in die Fensternische und eine leise Debatte, eifrig aber kurz, wurde ber die finanziellen Mittel zur Ausfhrung des Planes zwischen den Freunden gefhrt. Sergey nannte es Verrath am Vaterlande und an der Freundschaft, wenn bei diesem Anla der ganze Umfang russischer Gastfreundschaft nicht unbedenklich in Anspruch genommen wrde. Auerdem bekannte er rund heraus, da er Kenntni von der gefhrlichLage Nikolais gewonnen habe und diesen fr verpflichtet halte, Vorschlge anzuhren, dren Erwgung nur an Ort und Stelle, nur in Petersburg mglich wre. Nikolai mute zugebn, da, nachdem der Freund sich in die Sachlage gleichsam eingedrngt hatte, es am besten wre, ihm fr einige Zeit die Fhrung zu berlassen.

    So kehrte denn Nikolai zu seinen Tchtern zurck, um ihnen seine Zustimmung zu der Reise nach Petersburg mitzutheilen. Die Mdchen umarmten sich im ersten Augenblickdes Entzckens. Denn eine Abwechslung im ermdenden Gleichma der Tagewar auch fr Ma erfreulich, obgleich ihre Wehmuth, gewohnte Verhltnisse verlassen zu mssen, gleich wieder zum Vorschein kam und sie von Neuem die Ueberzeugung aussprach, da dieWelt ihr kein Glck zu bieten haben werde. Matrjona hingegen machte kein Hehl ausihrem Jubel, aus der vollen, kindlichen Hingebung an die unerwartete Freude.

    Es wurde nun beschlossen, da Sergey nach seinem Gute zurckkehre, um von dort aus der Grfin Tschatscherin den [332] bevorstehenden Besuch anzuzeigen und seine huslichen Angelegenheiten fr eine lngere Abwesenheit zu ordnen. Dann sollte er wieder inAndrejewo erscheinen, um gemeinsam mit Nikolai und seinen Tchtern die Reise nachPetersburg anzutreten.

    Auf seiner Heimfahrt machte sich Sergey klar, da die Bedenkzeit, die er mit dem Aufenthalt in der Hauptstadt den Mdchen einrumte, eigentlich eine war, die er sichselbst gnnte. Matrjona's ungemessene Freude, die lrmenden Vergngungen der groen Welin Aussicht zu haben, entsprach nicht seinem Geschmack, und dennoch lag darin etwas Rthselhaftes, das ihn anzog; Milinka's Abneigung gegen die rauschenden Genssestimmte zu seiner eigenen Denkungsweise, und dennoch fand er darin etwas ihm Wi

    derstrebendes, das er sich augenblicklich nicht zu erklren vermochte. Von den Begebenheiten in der groen Stadt war ein Klarwerden ber jenes Rthselhafte und dieses Widerstrebende zu hoffen.[346]4.

    Peter Michailowitsch Nikitine, der Mann, den die Grfin Tschatscherin im Briefe anihren Neffen als einen so vortrefflichen Weltmann und Lebenskenner gerhmt hatte,gehrte einer der ltesten russischen Adelsfamilien an. Frstliches Blut rollte in seinen Adern.

    Er war in der That in dem Sinne, in welchem alte Frauen den Werth des Menschen zu schtzen pflegen, ein vortrefflicher Mann, das heit: er war praktischen Geistes u

    nd wute mit Geschick und Klugheit Alles zu erreichen, was ihm in seiner politischen Laufbahn oder in geselliger Beziehung wnschenswerth schien. Da er dabei ohne grndlichen Ernst der Gesinnung, ohne Charakter war, wurde in einem Lande, wo der Firni Alles ist, kaum bemerkt; da er die Frauen liebte, vergtterte, jeder Schnheit hudigte und nachstrebte, ohne dabei jemals mit der Seele betheiligt zu sein, ewigauf Genu und Vergngen bedacht, wurde ihm von Denjenigen, die nicht selbst darunterzu leiden hatten, nicht nur verziehen, sondern sogar als genial und liebenswrdigangerechnet, ja diese Eigenschaft, statt den Frauen, die darum wuten, eine Warnung zu sein, schien seine khnsten Unternehmungen noch zu begnstigen.

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    Er hatte unter den Mnnern keine wahren Freunde, wie Viele ihm auch schmeichelten,weil sie seinen Einflu gebrauchen zu knnen hofften. Er selbst hatte kein Bedrfni nch Freundschaft mit einer einzigen Ausnahme. Die Grfin Tschatscherin war seine Vertraute, und diese alte Frau, die bereits seine Gromutter htte sein knnen, war daseinzige weibliche Wesen, dem er Wahrheit, Offenheit, innern Respect entgegenbrachte.

    Der letzte Wagen rollte aus dem Palast der Grfin. Die Gesellschaft war nicht sehrzahlreich gewesen; sie hatte sich grtentheils [347] uneingeladen, zufllig zusammengefunden, die Nacht war darum auch noch nicht weit vorgerckt, als die Sle sich leerten.

    Nur Nikitine blieb zurck. Solche Momente waren es gerade, in welchen er ihr am willkommensten erschien; denn sein Geplauder half ihr, ber die Stunden der Schlaflosigkeit, wie sie das Alter heimsuchen, leichter hinwegzukommen. Sie setzte sichdann in ihrem allerliebsten kleinen Schreibzimmer vor einen Ofenschirm, dessen Oberflche eine Mosaik von grotesken Zeichnungen, Carricaturen und Bilderrtseln war.Fr den Gesellschafter der alten Frau galt es dann, die einschlfernde Wirkung, diedas Anstarren und Entziffern dieser bunten Malereien hatte, zu beseitigen oderauch, wenn das nicht gelingen wollte zu untersttzen.

    Die Grfin vernahm gern die pikante Chronik der Salons aus dem Munde ihres Freundes. Er verstand es, Geschichten zu erzhlen, die Niemand gewagt htte vor ihr Ohr zubringen, weil nicht leicht sonst Jemand die Form gefunden htte, in der sie dergle

    ichen vertrug. Er aber lachte in ihrer Gesellschaft wie sonst nirgends, ohne denZwang, den er berall beobachtete, kindisch, ausgelassen.

    Sie ermuntern mich zu stark, Nikitine,sagte die Grfin, als an diesem Abend wiedereinmal sein helles Gelchter scholl; ich mu Ihre Frhlichkeit dmpfen: auf welchem Pusind Sie gegenwrtig mit Lonide?

    Er wurde sogleich beraus ernsthaft und antwortete:

    Sie ist mein Tod. Ich gebe Ihnen die Versicherung, ich sterbe an ihr.

    Ich bin nahe daran zu lachen, wie Sie,erwiderte die Grfin; denken Sie gar nicht daan, junger Mensch, da ein Schmerz nicht wahr sein kann, der nur in dem Moment wah

    r ist, in welchem Sie daran erinnert werden, nachdem Sie noch einen Augenblick frher wie ein sorgloses Kind gelacht haben?

    Er schwieg eine volle Minute.

    Und weshalb war Lonide heute Abend nicht hier?fragte er endlich, ohne auf die Reflexion der Grfin weiter einzugehen.

    Ich habe die Frstin gebeten,entgegnete sie, aber nicht nur, da sie nicht kommen wte, sie hat mir auch die Meinen entfhrt, meinen Neffen und meine Nichten.

    Ich habe nicht gewut, Grfin, da Sie Nichten besitzen. Wer sind Ihre Nichten? Hat Segey Iwanowitsch Schwestern?

    Sie machen sich den Scherz, Nikitine, dies immer wieder zu sagen und zu fragen. Das ist fr die Situation wohl ausgedacht; denn es langweilt mich; ich fange an, die Augen zu schlieen.

    Man ermuntert Sie immer wieder, Grfin, wenn man von Sergey Iwanowitsch spricht. Welche ist Ihre Nichte? Hat er noch immer nicht gewhlt?

    Es ist schwer,erwiderte sie, die reizenden Geschpfe sind aus dem Grunde Schwesternum die Wahl zur Qual zu machen.

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    Ich, fr meine Person, ich htte bald entschieden,sagte er mit groem Ernste.

    Wahrscheinlich fr Beide,lachte sie, es waltet aber in der That ein merkwrdiger Unschied zwischen den Mdchen. Die Jngere, Milinka, mein besonderer Liebling, ist voll Gedanken, Schwrmerei, Poesie; sie fat das Leben ideal auf. Es giebt kein Unglck,keinen Schmerz, woraus sie nicht eine hhere Betrachtung zge. Darum hat sie auch diefrivole Welt und sehnt sich nach der Einsamkeit ihres vterlichen Hauses.

    Ein angenehmes Haus,scherzte Nikitine, wo man kein Musegift braucht; die armen Thire sind entflohen, weil sie niemals etwas in Kche und Keller gefunden haben.

    Es ist nicht mehr so arg; mein Neffe hat ein wenig Ordnung geschafft. Das hat mirder lustige Vater der Mdchen, Towaroff, bevor er auf das Gut zurckkehrte, selbstvoll Enthusiasmus erzhlt.

    Und die Aeltere, Grfin?

    Matrjona ist froh, in der Welt zu sein; ich glaube, man wird sie nur schwer zurckbringen. Das wre nichts fr Sergey, der hnlich wie Milinka denkt. Matrjona ist harmlos, heiter und hat einen praktischen Geist. Ich glaube, sie wrde sehr gut fr Sie passen, mein Lieber. Dabei hat sie die unvergleichliche Gabe, wenn man Aerger undVerdru hat, praktisch, wie sie ist, die Sachen so geschickt zu wenden, da sie ganzleidlich werden.

    Gleichviel! Ueber Aerger und Verdru hilft der eigene Leichtsinn am besten hinweg.Ich habe mit Ihnen, Grfin, denselben Liebling: Milinka. Schade nur, da sie fr Weltabgeschiedenheit schwrmt, aber wer wei?

    Die Grfin lachte.

    Und Lonide? Das Bild auf dem Schirm hier zeigt einen Schmetterling mit einem einzigen Flgel; den andern hat er sich verbrannt.

    Warum rhren Sie immer an die brennende Wunde?fragte der junge Mann; Sie sind grausm, Frau von Tschatscherin. Lonide spielt mit mir; sie hat mich fr eine Zeit verbannt; ich darf sie nicht sprechen, auch wenn ich ihr zufllig begegne, bis sie mir e

    in Zeichen giebt. Haben Sie kein Gefhl fr solches Elend?

    Die Grfin schlo die Augen, statt zu antworten.

    Der Vorhang fllt,rief er gleich wieder lachend, das Stck ist aus. Schlafen Sie wo

    Die Grfin war noch lange nicht schlafbedrftig. Sie hatte den Freund sich entfernenlassen, weil sie ihn bei der Heimkehr der Mdchen von der Frstin Lonide Romalow nicht mehr anwesend wissen wollte. Jetzt lauschte sie geduldig, ob nicht der Wagenmit den Heimkehrenden in den Thorweg des Palastes rolle.

    Die Frstin Lonide Romalow war eine Franzsin und noch nicht zwanzig Jahre alt. Schn nd voll Sanftmuth, wenn auch nicht gerade lebhaften Geistes, htte sie ein bessere

    s Loos verdient, als, kaum aus dem Kloster gekommen, in welchem sie erzogen worden war, halb aus Unschuld, halb gezwungen, einen Mann zu heirathen, den sie frhernur zweimal gesehen hatte, und der, wie man es htte nennen knnen, heimlich bldsinnig war.

    Er handhabte die gebruchlichen Umgangsformen wie ein Automat und sprach die nthigen liebenswrdigenFloskeln, die man auch einem Papagei htte beibringen knnen, zur rten Zeit. Uebrigens war er schweigsam und in sich gekehrt, weil total gedankenlos, was ihm einen Anstrich von Trauer oder Blasirtheit verlieh. Dies gengte, um ihn bei seinem regelrechten Benehmen und seiner vornehmen Erscheinung fr einen voll

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    endeten Gentleman und selbst fr einen interessanten Mann zu halten.

    Erst wenn dieses uere Wesen zufllig durchschaut werde konnte, entdeckte man, da FrRomalow ein Cretin war. In seinem Vaterlande, unter seinen Standesgenossen, wardies ziemlich allgemein bekannt. Darum schickte ihn seine Familie, damit er dochirgend einen Zweck auf Erden erflle, nach Frankreich, um ihm dort eine Frau zu verschaffen. Man gab ihm einen klugen Begleiter, einen welterfahrenen Hausbeamtenauf die Reise mit, und bestochen von dem ungeheueren Reichthum des Frsten und seine wahre geistige Beschaffenheit nicht ahnend, verstand sich eine hochadelige,durch Revolutionen und Krieg verarmte Familie dazu, ihre schne Tochter mit ihm zuverbinden.

    Lonide, so unerfahren sie war, begann schon bei der Trauung auf seinen Zustand zuschlieen. Im Augenblicke, als der Priester vor dem Altar ihr Jawort verlangte, flsterte ihr der Brutigam Nein!in's Ohr, aus keinem anderen Grunde, als weil er selst eben Ja!gesagt hatte und eine Abwechselung habe wollte.

    Schon der Umstand, da in solchem Augenblicke der Braut in's Ohr gesprochen wurde,machte ungeheueres Aufsehen in der Kirche, und der Priester, um es rasch zu beenden, nahm das Stammeln der tdtlich erschreckte Lonide fr das verlangte Wort, schonweil er ohnehin nicht vermuthen konnte, da sie etwas Anderes htte sagen wollen.

    Noch bevor das Paar im Petersburg angelangt war, hatte Lonide vollstndige Gewiheit,von welcher Art der Mann war, den man ihr gegeben. Am meisten jedoch erschreckt

    en sie Momente, in denen er ein wenig zu denken, sein Innenleben zu erwachen schien. Die Selbstbesinnung gab sich als Sucht zu tyrannisiren, als kleinliche Bosheit kund.

    Vergebens suchte Lonide Anlehnung, Schutz, Vertheidigung bei den Verwandten des Frsten. Man verbelte ihr jede Klage; der Geisteszustand ihres Mannes sollte sozusagen todtgeschwiegen werden. Verlassen und vereinsamt, entwarf sie in schlaflosenNchte Plne, zu entfliehen. Sie hatte in den franzsischen Colonien Amerikas einen kinderlosen alten Oheim, der sie sehr liebte, sie mit offenen Armen empfangen, ihrein sicheres, gegen alle Welt vertheidigtes Asyl geboten htte. Immer deutlicherarbeitete ihre Phantasie an der Ausfhrung dieses Gedankens.

    [348] Da geschah es, da der hochgestellte und liebenswrdige Cavalier Peter Michail

    owitsch Nikitine ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Sein Wesen und seine Bildung waren die treuesten Reminiscenzen an ihr Vaterland, die sie bisher in der Fremde gefunden hatte, und erweckten schon dadurch in ihr mchtige Sympathien. Er zeigte sich bald von Leidenschaft fr sie ergriffen und sumte nicht lange, sie davon in allen Formen der Aufmerksamkeit und Beredsamkeit zu berzeugen.

    Lonide gestand sich, da sie Nikitine liebe. Was man berall von seinen Beziehungen zu Frauen erzhlte, war wohl geeignet, sie einzuschchtern, und hielt das Bekenntni ihrer Gefhle ihm gegenber zurck. Welche Frau aber, die geliebt wird, schmeichelt sichnicht, besonders wenn sie selbst liebt, da es ihr gelungen sei, ein flatterndesHerz in sicherer Alleinherrschaft endlich festzuhalten?

    Dennoch berkamen sie immer wieder Zweifel und Bedenken, wenn sie ihm ein Zeichen

    der bereinstimmung mit seinen Empfindungen geben sollte. Bei dem Ernst und der Frmmigkeit ihres Gemthes fhlte sie, da sie damit ein Schicksal fr ihr ganzes Leben herusfordern wrde. Von einer blos frivolen und leichtsinnigen Auffassung solcher Verhltnisse hatte sie keine Ahnung und wrde den Gedanken daran mit Abscheu zurckgestoehaben. Sie war von schlichter, einfacher Denkungsweise und wute sich unerfahren:sie suchte einen Rath.

    Vermhlte Frauen sind unerbittlich grausam gegen eine Frau, die nicht in guter Ehelebt. Immer mu der Gattin die Schuld zufallen. Die Frauen scheinen sich in solchem Falle durch harte Verdammungsurtheile zu entschdigen und zu belohnen fr die Ent

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    behrungen, Kmpfe und Entsagungen, denen sie selbst im Leben unterworfen waren. Unter den Frauen der groen Gesellschaft fand Lonide keine, von der sie nicht htte voraussetzen mssen, da sie ein Bekenntni des Unglcks in der Ehe oder gar der Neigung feinen fremden Mann mit unbarmherzigem Spotte aufgenommen htte.

    Die Grfin Varinka Tschatscherin wre vielleicht die Einzige gewesen, von der ein weiser Zuspruch erwartet werden konnte. Allein sie war zu offen mit Nikitine befreundet, um ein unparteiisches Urtheil ber ihn fllen zu knnen; auerdem war sie zu altum den Ernst und die weithin zielende Gewalt eines Liebessturmes, wie er sich in der Seele der jungen Frau erhoben hatte, ganz zu begreifen.

    Als aber nun mit einem Male die Tchter Towaroffs zu Hausgenossinnen der Grfin wurden, ging in Lonide die Zuversicht auf, an diesen Mdchen, wie jung sie auch waren, einen Anhaltspunkt zu finden. Sie selbst war ja noch ganz mdchenhaft. Die holde Unverdorbenheit dieser dem Weltleben bisher entfremdet gebliebenen Kinderherzen, der Reiz, den die Verschiedenheiten ihres Charakters wie ihres euern bei gleicher Noblesse der Gesinnung boten, bewirkten, da Lonide instinctiv Liebe und Zutrauen empfand. Keineswegs war sie sofort entschlossen, ihre verhngnivolle Situation vor das Forum dieser unschuldigen Herzen zu bringen; allein mit Matrjona und Milinka hatte sie zugleich den Neffen der Grfin, Sergey, kennen gelernt, und obgleich er Ohr und Auge nur fr die Tchter seines Freundes zu haben schien, so leuchtete von seiner Stirn und sprach aus seinen Worten Einsicht und Lebenskenntni.

    So entschied sich Lonide allmhlich fr den Gedanken, diese drei ihr so schnell werth

    gewordenen Menschen in das Geheimni ihrer Lage zu ziehen. Freilich wre allein Sergey competent gewesen, zu hren und zu urtheilen, allein sie brachte es nicht ber sich, in einem tte--tte mit einem ihr eigentlich fremden Manne so ernste und zarte Gestndnisse ber die Lippen zu bringen.

    Sie lud einige gleichgltige Personen zum Thee ein und bat insgeheim Sergey und die Mdchen, die sie hinzugezogen hatte, die Anwesenheit der Andern zu berdauern. Alssie mit den Freunden allein geblieben war, erzhlte sie ihnen ihren bisherigen Lebensgang. In dem Bericht zu dem Zeitpunkt gekommen, da sie Nikitine kennen gelernt, stockte sie, errthete, aber ihre Miene drckte mehr noch die bitterste Verzweiflung, als mdchenhafte Scheu aus. Matrjona und Milinka nahmen sie in ihre Mitte und umschlangen sie; Lonide, sich besinnend, wie ernst der Augenblick und da er nicht einem unntzen Gesprche diente, bekannte endlich mit stolzer Freiheit, da sie eine

    m Manne eine grere gesellige Annherung gestattet habe, als Herkommen und Sitte diesunter gewhnlichen Verhltnissen erlauben, da aber die ihrigen ungewhnlicher Art sein, sie deshalb seine Leidenschaft angehrt, die eigene jedoch, so hei sie sei, ihmnoch verschwiegen habe. Sie nannte nicht seinen Namen; sie htete sich, ein Merkmal von ihm anzugeben, aber sie verschwieg nichts, was von der Gluth seiner und ihrer Liebe berzeugen konnte. Jetzt wollte sie von den Freunden Hlfe, eine Lehre fr ihr Handeln, eine Richtschnur fr die Zukunft.

    Htte ich ihm die Erklrung schon gegeben,sagte sie, die er so hei wnscht, die jeersten Male von meinen Lippen kam, die Erklrung, da ich ihn liebe, so bliebe nichts mehr zu rathen und zu sagen. Blindlings wrde ich den Bestimmungen des Geliebten gehorchen. Der Ausspruch 'ich liebe Dich' wre mein letztes, mein ganzes Schicksal. Darum zerreit sich mein Herz wie an einem Marterpfahl an dem Zweifel, ob ich

    das Wort sprechen kann und darf; darum verlange ich eine Entscheidung von den einzigen Menschen hier, die mir gut sind, denen ich mich anvertraue.

    Betroffen schwiegen die drei Zuhrer.

    Meine Zweifel,fuhr Lonide fort, entspringen nicht aus einem Gedanken an meine Pfliht als vermhltes Weib. Ich habe eine solche Pflicht nicht bernommen. Man brachte mich vor einen Civilbeamten, der eine Formalitt vornahm, die ich nicht verstand und die mich nicht band. Das Jawort am Altare htte mich fr ewig gebunden, und unterallen Qualen, bis in den bittersten Tod wre ich ihm treu geblieben aber ich habe

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    es nicht gesprochen. Die Menschen haben es zu hren geglaubt; Gott hat es nicht gehrt. Meine Zweifel entspringen aus der Angst, ein Verhngni heraufzubeschwren, ohne ie Kraft der Liebe, die mich darber hinwegtrge, im Geliebten wieder zu finden, vorAllem aber entspringen sie aus der Furcht, ein Unrecht zu begehen, das mir derHimmel niemals vergeben wrde.

    [362] Nach einer Pause fragte Sergey:

    Sind Sie sicher, da der Mann, der um Ihre Liebe wirbt, nicht einen Nebenzweck damit verbindet, da er nicht im weltlichen Sinne des Wortes sein Glck machen will?

    Er hat Rang und Stellung,antwortete Lonide, Alles, was den Ehrgeiz eines Mannes beriedigt. Aber das ist es. Ich denke nicht an mich. Entreie ich ihm nicht diese kstlichsten Gter, wenn ich seiner Leidenschaft die meine entgegenbringe? Zwingen ihndann nicht die Verhltnisse zur Verbannung, zur Weltflucht, zu unerhrten Opfern? Was thun?

    Milinka war es, die zuerst ihre Stimme erhob. Brennende Rthe auf den Wangen, aberdie Augen begeistert zum Himmel aufgeschlagen, rief sie:

    Entsagung fr immer von beiden Seiten oder gemeinsam sterben.

    Das war correct und zugleich romantisch.

    So wird wohl das Ende sein,schluchzte Lonide in ihr Tuch.Sergey richtete unwillkrlich einen Blick der Mibilligung auf Milinka. Die Poesie ihres Ausspruchs wollte ihm nicht zu Sinne. Er konnte sich ber den Grund nicht sogleich klar werden; er fhlte nur, da der Ausspruch der wirklichen Situation gegenberinhaltsleer war.

    Matrjona hatte noch nicht gesprochen; sie sa nachsinnend da mit niedergeschlagenen Augen. Als sie jedoch Lonide weinen hrte, sagte sie sanft:

    Sie weinen vielleicht ber Ihr hchstes Glck, theuerste Lonide, statt darber zu jubSich geliebt zu wissen, wenn man liebt, mu alles Unglck ausgleichen, das die Erdeaufbieten kann, wie es kein greres Unglck auf Erden geben mag ich fhle es im eige

    Herzen als sich nicht geliebt zu wissen, wenn man liebt. Die Fragen, die Zweifel betreffen also nur den einzigen Punkt, ob er Sie wirklich liebt. Ich verstehenicht Ihre Bedenken, Ihre Furcht, ihm seine Stellung zu rauben, ihn um die Gensseseines Ehrgeizes zu bringen. Sind Sie nicht bereit, Aehnliches fr ihn zu thun? Ich wrde in Ihrem Falle mit dem Manne, an dem ich zweifle, bald im Reinen sein. Ich wrde ihm sagen: 'Wir besteigen einen Wagen oder ein Schiff und fahren in die weite Welt, nach einem vergessenen Erdenwinkel, und Beide haben wir uns dadurch die Rckkehr fr immer versperrt und haben uns fr immer vereinigt. Zgerst Du auch nur ene Secunde, denkst Du auch nur mit einem Seufzer des Bedauerns an Deinen Rang, Deine Stellung, Deine Freunde, an Dein bisheriges Leben mitten in den Genssen derWelt, kommst Du nicht augenblicklich mit mir, dann geh dann hast Du mich nie geliebt, dann wollen wir uns niemals wiedersehen.' So wrde ich zu dem Manne sprechen, an dem ich zweifle, und wre er nicht, bevor ich noch mit den Worten zu Ende bin

    , mit mir im Wagen, im Schiff, so kehrte ich nach Hause zurck, zwar im Herzen vernichtet, aber stark durch die Pflichterfllung gegen den Unglcklichen oder Verhaten,mit dem ich verbunden bin. Was mir auch dadurch an Bitternissen erstnde, sie wrens im Vergleich mit dem, was ich im Herzen erfahren habe, und je schwerer die Pflichten zu erfllen wren, um so leichter wrden sie mir helfen, mit allen brigen Forderngen an das Leben fr immer abzuschlieen.

    Schon whrend Matrjona sprach, hatte sich Lonide in einem Gefhl ungeahnter Befriedigung erhoben. Jetzt umarmte sie das Mdchen und rief fast mit Jauchzen:

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    Ich bin gerettet.

    Sie dachte an den Oheim in den Colonien.

    Aber auch auf Sergey war das Auftreten Matrjonas von unerwarteter Wirkung.

    Wer htte gedacht, da so viele praktische Einsicht in das Leben, verbunden mit dem Respect vor den hchsten Interessen des Herzens, in einer unerfahrenen Mdchenseele sich entwickeln knnen! Aber sie selbst hat verrathen, wer ihr solche Lehren gab. Sie gestand, aus eigenem Herzen zu sprechen, wenn sie es das grte Unglck nannte, sich nicht geliebt zu wissen, wo man liebt. Weh mir, wenn nicht ich es sein sollte,der es vermag; dieses Unglck von ihr zu nehmen! Sie ist nicht Martha, nicht Maria, sie ist Martha und Maria.

    So sagte sich Sergey im Stillen. Der Augenblick war fr ihn gekommen, aus der gleichgltigen Passivitt mitten in den Sturm der Leidenschaft hineinzuspringen.

    5.

    Zehn Minuten nach der Entfernung Nikitines hrte die Grfin Tschatscherin, noch immervor ihrem Ofenschirm sitzend, die Einfahrt des Wagens, der die Mdchen heimbrachte. Sie rhrte an einer Glocke, die vor ihr stand, und gab Befehl, die jungen Damen

    , wenn sie sich nicht zu mde fhlten, noch zu ihr zu bescheiden.Matrjona allein erschien. Milinka hatte sich sogleich zurckgezogen und lie sich durch ihre Schwester mit zu groer Ermdung [363] bei der Grfin entschuldigen. In Wahrheit aber sa Milinka am Schreibtisch und fllte ihr Tagebuch mit der Aufzeichnung des fr sie Merkwrdigen, das sie an diesem Abend erlebt hatte. Seit sie sich in Petersburg befand, hatte sich ihre Neigung zum Vielschreiben noch gesteigert, was einigermaen das Verdienst Derjenigen war, die ein schriftstellerisches Talent in ihrerrathen haben wollten und ihr damit schmeichelten.

    Das Gesicht der Grfin, als sie Matrjona empfing, war Spannung und stumme Frage. Da die von Lonide in ihr Vertrauen Gezogenen den Inhalt der Unterredung streng verschweigen wrden, war so selbstverstndlich, da dafr ein Versprechen weder verlangt no

    h gegeben wurde. Matrjona glitt daher ber den Abend bei der Frstin mit nichtssagenden Worten hinweg, und um die Neugier der Frau von Tschatscherin von dem Gegenstande abzulenken, sprach sie von den Eindrcken, die sie durch das Leben in Petersburg berhaupt empfangen.

    Schon seit einigen Tagen war sie sich einer Wendung ihres Gemths bewut geworden. Aus der ursprnglich so lebhaften und unbefangenen Hingebung an die Freuden und dasTreiben der groen Gesellschaft war allmhlich ein Gefhl der Enttuschung hervorgeganen. Sie glaubte zuletzt, Luft gespeist und gemalten Wein getrunken zu haben. Gegen eine Empfindung von Leere und Nchternheit hatte sie sich zu wehren, um in ihrer Seele nicht Raum dafr zu lassen. Sie hatte begonnen, sich nach Thtigkeit zu sehnen, nach dem stillen und regelmigen Walten ihres lndlichen Hauses. Was sie an diesem Abend bei Lonide erfahren, brachte ihr vllige Klarheit ber die neue Lebensstimmun

    g, die mit der kindlichen Freude am Weltleben, mit der sie ihren Aufenthalt in Petersburg begonnen hatte, in so groem Widerspruch stand.

    Die Grfin war darum auch im hchsten Grade erstaunt, als ihr Matrjona das Bekenntnidieser Wandlung ablegte; die Grfin war erstaunt, aber auch erfreut; denn sie dachte an ihren Neffen. Seiner Denkungsweise und seinem Lebensplan konnte nichts besser entsprechen, als die Abwendung von der Welt, und wenn Milinka schon von Anfang an, aber ohne ausgesprochenen Grund und gleichsam nur instinctmig, die lndlicheEinsamkeit dem hauptstdtischen Getmmel vorzog, so mute Matrjona's erst durch die Erfahrung herbeigefhrte gleiche Weltanschauung fr Sergey grern Werth haben, weil auf

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    rkenntni und Urtheil beruhend.

    Eine leise Anspielung der Grfin, welche vortheilhafte Wirkung diese Wandlung im Gemthe Matrjona's auf den Neffen ben werde, brachte das junge Mdchen in uerste Bestg. Matrjona zitterte vor Scham und Entrstung bei dem Gedanken, da Sergey, wenn erihr Gesprch mit seiner Tante erfhre, eine ihm bereitete Concession oder etwa gar eine Aufforderung oder auch nur Anregung zur Wiederholung seiner Werbung darin erblicken knnte. Sie beschwor die Grfin mit inbrnstigen Worten, die ihr eben eingestandene Wandlung vor aller Welt zu verschweigen.

    Beruhigen Sie sich, liebes Kind!sagte die alte Frau ich wnsche lebhaft, da entwedSie oder Ihre Schwester sich entschlieen mgen, Sergey's Hand anzunehmen, weil er sonst schwerlich zu einer Heirath berhaupt zu bringen wre, allein ich werde mich persnlich niemals in die Verstndigung einmischen, die zwischen den beiden Schwesternund ihm endlich stattfinden und einer Entscheidung vorhergehen mu.

    Die Grfin zog sich hierauf in ihr Schlafgemach zurck, und Matrjona schlo die Augennicht zum Schlummer, ohne sich zu sagen: Niemals! niemals! Er hat um meine Schwester und mich zugleich geworben das ist so gut, als wre er ein Freier all der Millionen Mdchen, die auf dieser Erde leben. Ich werde mich niemals entschlieen, einevon diesen Millionen, eine 'gleichviel welche' zu sein.

    Im Laufe des folgenden Tages erhielt Frau von Tschatscherin ein Billet Nikitine's. Er theilte ihr mit, da er sie einige Tage nicht sehen werde, weil er sogleich

    nach Kronstadt abreisen msse; er habe nichts dawider, wenn sie dchte, da die Reisemit der Angelegenheit in Verbindung stnde, die ihm, wie sie wisse, ber Alles theuer, mit der brennenden Wunde, die endlich eine glckliche Heilung finden werde.

    Die Grfin las diese Zeilen kopfschttelnd. Sie setzte von der jungen Frstin nicht voraus, da sie einen Mann wie Nikitine ernst nehmen knnte, und hatte bisher vielmehrvermuthet, die schne Dame werde durch Widerstreben und Koketterie ihr Geschlechtan dem Frevler zu rchen suchen. Doch nahm sich die Grfin nicht Zeit, lange darbernachzudenken; das Wesen ihres Neffen hatte sich auffallend verndert, und dies neue Rthsel nahm ihre Aufmerksamkeit ausschlielich in Anspruch.

    Sergey, dessen bestndige milde Heiterkeit sonst nur den schrfsten Blicken der lange mit ihm Vertrauten gestattete, den darunter verborgenen Hang zur Melancholie z

    u gewahren, gab diese jetzt offen kund und, wie die Grfin klagte, mit einer an ihm ungewohnten Rcksichtslosigkeit gegen seine Umgebung. Dieses Frauenurtheil bedeutete eigentlich nur, da er nicht unterhaltend, nicht liebenswrdig, nicht Plaudererwar, wie sonst.

    Das Rthsel lste sich sehr einfach: die Liebe, die zum ersten Male mit ihrer ursprnglichsten Gewalt in ihm erwacht war, rief zugleich die bittersten Selbstvorwrfe wach. Immer hatte er in der tiefsten Heimlichkeit seiner Seele Matrjona bevorzugt,weil er aber in ihrem praktischen Wesen einen Widerspruch mit seiner Denkungsweise zu finden geglaubt, war sie ihm nicht theuer genug geworden, da er nicht vielleicht lieber noch die Hand der ideal gesinnten Milinka angenommen htte. Jetzt aber, nachdem er whrend des Aufenthaltes in Petersburg die ihm sympathischere uere Erscheinung Matrjona's immer strker auf sich hatte wirken lassen und endlich erkann

    t hatte, da sie mit ihrer Einsicht fr das unmittelbare Leben auch die Ehrfurcht vor Ideen und Idealen verband jetzt erst klagte er sich an, sie durch seine Doppelwerbung verletzt und herabgesetzt zu haben, und hielt sich nicht mehr fr wrdig, nicht mehr fr fhig, um sie allein zu werben.

    Er war aber nicht der Mann, lange in Unklarheit auszuhalten und nicht lieber dieschwerste Bue, als eine schwankende Unzufriedenheit mit sich selbst zu ertragen.Schon nach wenigen Tagen legte er der Geliebten sein Herz und den ganzen Entwickelungsgang seiner Gefhle fr sie, seine Liebe, seine Reue und sein Verzagen offendar.

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    Und damit Sie nicht glauben, theure Matrjona,schlo er, da neben Ihnen noch irgendwas Werth fr mich htte, selbst wenn es mir bis zu dem Augenblicke, da ich Sie liebte, der einzige Lebenswerth zu sein schien ich habe die Lust und Freude nicht bersehen knnen, womit Sie am Stadtleben hngen, ich bin bereit fr Ihren Besitz meine Einsamkeit auf dem Gute aufzugeben, unser Dasein ganz nach Ihrem Geschmack zu gestalten.

    Dann blieben wir auf dem Lande,sagte Matrjona, denn mein Herz hat sich von der Welt abgewendet.

    Ist es mglich?rief er fast bestrzt; hat ein Schmerz Sie dahin gebracht? Ist ein ukliches, ein hoffnungsloses Gefhl in Ihnen erwacht?

    Nein!erwiderte sie, der Anblick der Welt und ihres Treibens gengte. Und wenn ein Shmerz dabei im Spiele war, so ist er jetzt dahin, da der Mann, der mir ihn zugefgt, ihn in diesem Augenblicke von mir genommen.

    Er wollte sie entzckt umschlingen, aber sie wehrte ihn ab:

    Noch ist nicht Alles gethan. Vergessen Sie nicht, da auch Milinka gewissermaen IhreBraut ist, da auch sie das Recht hat, die Hand nach Ihnen auszustrecken. Wir mssen erst ihr Herz prfen, und wenn auch nur ein Schatten von Verstimmung es trbte, weil ihr die Entscheidung erlassen ist so htten Sie auch mich verloren.

    Diese Unterredung fand im Salon der Grfin statt, nachdem die gewohnte Abendgesellschaft ihn verlassen hatte, und zwar an demselben Tage, an welcher Nikitine vonKronstadt zurckgekehrt war. Whrend die Liebenden sich verstndigten, sa in einem Nebnsalon Milinka in tiefem Gesprch mit einer ltlichen Frau, einer Mitarbeiterin belletristischer Zeitungen, der Milinka ihre ersten Federversuche zur Beurtheilung vorgelegt hatte. Zu gleicher Zeit aber hatte sich die Grfin schon in ihr Boudoir zurckgezogen und vor dem Schirm ihren gewohnten Platz genommen, und auch Nikitinesa wieder an ihrer Seite.

    Ich erzhle Ihnen keine Fabel, Grfin. Lonide wollte in Kronstadt, da wir ein zur Abrt nach Amerika die Anker lichtendes Schiff bestiegen, augenblicklich, ohne Besinnen, mit Aufgebung aller Verhltnisse, sogar des Junggesellen-Diners, zu dem ich

    schon Einladungen verschickt hatte, kleine Nebensachen, wie des Ministers und meiner Carrire, gar nicht zu gedenken und dies Alles, um niemals mehr wiederzukehren, um fortan unter der Bewachung eines Oheims, eines alten Negerfrsten oder dergleichen zu leben, mit nichts beschftigt, als mit ewiger Liebe.

    [364] Kalter Schwei schien ihm auf die Stirn zu treten; denn er trocknete sie mitseinem Taschentuch.

    Er fuhr fort:

    Sie verlie mich, wie sie mir sagte, um mich niemals wiederzusehen und ich verlie se, wie ich verschwieg, um sie gewi nicht mehr wiederzusehen. Denn sie ist offenbar verrckt, und auf eine noch schlimmere Art als Frst Romalow. Ein wrdiges Paar! Abe

    r was wollen Sie, Grfin? Ich bin trotzdem von der Geschichte zerschmettert, unglcklich, elend, trostlos. O die Frauen ich will ihnen nicht mehr nahe kommen. Wissen Sie, theure Freundin, da dies gerade die richtige Stimmung wre, um meine Vorliebe fr Ihre Milinka in Erwgung zu ziehen? Die Marotte des Mdchens, sich von der Weltzurckziehen zu wollen, kommt meiner gegenwrtigen Disposition entgegen.

    Die Grfin lachte.

    Milinka wird heute noch bei mir erscheinen; sie hat mir etwas anzuvertrauen.

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    Bentzen Sie die vertrauliche Stunde ich bitte Sie um ihr Herz zu erforschen,sagNikitine, indem er sich erhob; ich habe mein Unglck noch lange nicht berwunden; ichwerde es niemals berwinden, und ich bin jetzt todtschlfrig.

    Er hatte sich kaum entfernt, als Milinka eintrat. Sie war erregt, hochroth, undohnehin leicht zur Ekstase geneigt, warf sie sich der Grfin zu Fen.

    Papa hat heute geschrieben, er will endlich unsere Heimkehr und unsere Entscheidung wegen Sergey Iwanowitsch. Retten Sie mich, theure Grfin!

    Ja, es zwingt Sie ja Niemand, meinen Neffen zu heirathen!

    Das wrde ich auch niemals thun, so sehr ich ihn schtze und achte, schon deshalb nicht, weil er sein Leben auf dem Lande verbringen will. Ich aber will Petersburg,will diese herrliche neue Welt mit ihren interessanten Begebenheiten, Charakteren und Stoffen nicht mehr verlassen. Ich habe die Einsamkeit en horreur genommen.Das ist es, wovor Sie mich retten sollen.

    Erstaunt erfuhr die Grfin zum zweite Male, wie rasch, wenn auch psychologisch erklrlich, die Lebensanschauungen junger Herzen sich ndern. Ehe sie antworten konnte,bat Matrjona mit leisem Pochen, eintreten zu drfen. Auch Sergey wollte seine Tante noch sehen. Die Grfin theilte den Neuhinzugekommenen die Aeuerungen Milinka's mit.

    So viel ist gewi, mein Sohn,sagte sie zu Sergey, Du darfst Dir keine Hoffnungen audie Hand dieses Mdchens machen; Milinka hat sich entschieden dagegen erklrt.

    Matrjona und Sergey sahen sich in die Augen. Die Grfin fuhr fort:

    Ich wre glcklich, Sie fr immer bei mir zu behalten, Milinka. Wollen Sie als meine Gsellschafterin, als meine Freundin mit mir weiter leben? Sie sind pltzlich eine Gegnerin der Einsamkeit geworden wollen Sie mir helfen, auch die meine zu verbannen?

    Milinka kte ihre Hand, ihr Kleid und sank ihr, Freudenthrnen weinend, zu Fen.

    Jetzt hielt es auch Sergey an der Zeit, sein Glck nicht lnger zu verschweigen. Der

    Freudensturm Milinka's ging aus anderen Ursachen nun auch auf die Grfin ber. Sieumarmte und kte Matrjona und nannte sie ihre zweite Tochter. Nie haben Glcklichereeinen Tag mit grerer Freude auf die nchsten Tage beschlossen.

    Die Hochzeit Sergey's und Matrjona's fand in Petersburg statt. Towaroff hatte gleich, nachdem Hesekiel Nazarus mit erfrorener Nase und beschdigten Beinen aus Moskau zurckgekehrt war, ihn fr immer in sein Haus aufgenommen. Nachdem Towaroff dieLebensentscheidungen seiner Tchter erfahren, bergab er dem ehemaligen Sprachmeister die Verwaltung des fortan einsam bleibenden Herrenhauses, hoch erfreut, den Rest seines Lebens als lustiger Junggeselle in einer der groen Stdte verbringen zu knnen.

    Sergey hatte in seiner Huslichkeit oft Gelegenheit zu sagen:

    Einst fragte ich mich: Martha oder Maria? In der Ehe aber kann nur ein Weib beglcken, das Martha und Maria zugleich ist.

    msste wohl heien: so wei ich,