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Winzerlegenden Martha & Daniel Gantenbein, Graubünden Der Traum vom Absoluten In 35 Jahren haben Martha und Daniel Gantenbein aus dem Nichts ein Weingut aufgebaut, das einzigartig ist in der Schweiz. Denn die überdurchschnittliche Wertschöpfung macht es hier möglich, dass in Rebberg und Keller mit höchsten Standards gearbeitet werden kann. 40 Prozent der Produktion werden heute in über 20 Länder exportiert. Wie Patek Philippe oder IWC für Uhrenfreaks gilt Gantenbein als Garant für Weinpräzisionshandwerk «made in Switzerland». Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: Hans-Peter Siffert

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Winzerlegenden Martha & Daniel Gantenbein, Graubünden

Der Traum vom Absoluten

In 35 Jahren haben Martha und Daniel Gantenbein aus dem Nichts ein Weingut aufgebaut, das einzigartig ist in der Schweiz. Denn die überdurchschnittliche Wertschöpfung macht es hier möglich, dass in Rebberg und Keller mit höchsten Standards gearbeitet werden kann. 40 Prozent der Produktion werden heute in über 20 Länder exportiert. Wie Patek Philippe oder IWC für Uhrenfreaks gilt Gantenbein als Garant für Weinpräzisionshandwerk «made in Switzerland».Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: Hans-Peter Siffert

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V or ein paar Monaten sind sie nun also Grosseltern geworden. Fe-lice, ihre Enkelin, wohnt in der

fernen Pazifik-Hafenstadt Valparaíso, wo einer der beiden Gantenbein-Söhne als Type-Designer lebt und arbeitet. Martha und Daniel Gantenbein haben die junge Familie kürzlich besucht und sind dann noch mit einem kleinen Kreuzfahrt-schiff nach Patagonien gefahren. Es war die erste Reise seit 35 Jahren mit mittel-mässigem Essen und mittelmässigen Weinen. «Immerhin, die spektakuläre Landschaft entschädigte dafür», sagt

Daniel Gantenbein. Nun, man kann sich die Gantenbeins so ganz und gar nicht als kulturreisende Grosseltern vorstellen. Zur Kompensation fuhren sie kurz da-nach ins Burgund, den Dreh- und Angel- punkt ihrer Weinwelt, dem sie seit 1989 zweimal jährlich einen Besuch abstatten. Zusammengezählt haben sie so schon fast ein Jahr ihres Lebens mit den Win-zern zwischen Chassagne-Montrachet und Gevrey-Chambertin verbracht. «Viel, und doch zu wenig», sagt Daniel Ganten- bein. Beim letzten Trip haben sie noch einen Abstecher in den Jura angehängt.

haben aber auch stets selektionierte He-fen im Kühlschrank bereitstehen, für den Fall. Überhaupt verändern sie ihr Konzept nur dann, wenn eine mögliche Neuerung den gewünscht positiven Effekt blindver-kostet im Glas bewiesen hat. So war es mit den 2000 Kilo fassenden Gärständen der Tonnellerie Rousseau. Bevor sie 19 Stück kauften, die heute wie sakrale Objekte in ihrer lichtdurchfluteten Cuvéerie thro-nen, beschafften sie sich einen, vinifizier-ten den darin vergorenen Wein bis zum fertigen Wein separat, verkosteten das Re-sultat und befanden es für gut. Auch be-züglich der Verarbeitung der Rappen sind sie durch Versuche zu einer differenzier-ten Sichtweise gekommen: In manchen Jahren geben sie maximal 20  Prozent ganze Trauben in die Gärcuvées.

Im Rebberg tüftelten sie 20 lange Jah-re, bis Pflanzdichte sowie die auf Pinot de Bourgogne basierenden Unterlagsreben und Klone in jeder Parzelle ihren Vor-stellungen entsprachen. Das war 2006. Im gleichen Jahr vollendeten sie mit der zweiten, grossen Bauetappe auch ihre Kellerei, die aussen schlicht wirkt, aber innen mit einem Feuerwerk an architek-tonischen Details aufwartet, vor allem aber perfekte Arbeitsabläufe garantiert. Die Ernte ihrer sechs Hektar Reben vi-nifizieren sie seither auf einer Arbeitsflä-che von weit über 1000 Qua dratmetern – andere produzieren in einem Keller die-ser Grösse die dreifache Menge.

Und jetzt, wo sie gerade mal zehn kur-ze Jahre das Privileg haben, ihre Weine unter fast perfekten Bedingungen zu produzieren, gehen sie schon auf die 60 zu und werden immer öfter nach ihren Nachfolgeplänen gefragt. Dabei müssten sie doch nochmals 35  Jahre lang Wein machen können, müssten mindestens 100 Jahre alt werden, um die Ernte von all dem, was sie durch die Jahre gesät haben, einzufahren, sprich Weine von wirklich alten Reben keltern zu können. «Besonders beim Chardonnay merken wir, dass die Stöcke mit jedem Jahr mehr eine Spur klarere, tiefere Weine ergeben», sagt Martha Gantenbein.

Wer Martha Gantenbein, die im Reb-berg letztin stanzlich das Sagen hat, nach dem Rezept fragt, mit dem es ihnen Jahr für Jahr über die ganze Produktion hin-weg (denn hier entstehen nur Erstweine) gelingt, absolute Topgewächse zu erzeu-gen, die zudem permanent an Klarheit gewinnen, bekommt eine simple Ant-

Bündner-burgundische FinesseAbgesehen vom faszinierend-knackigen Riesling, den sie als «Fingerübung» bezeichnen, produzieren die Gantenbeins nur einen Chardonnay und einen Pinot Noir. Wer glaubt, dieses Konzept führe zwangsläufig zu einem übergeord-neten «Stil Gantenbein», der Jahrgangs- und Terroirunter-schiede nivelliere, liegt falsch: Die Gantenbein-Crus sind subtilste Botschafter der einzelnen Jahrgänge und ihres Fläscher Terroirs. Und sie legen kontinuierlich an Finesse zu.

Riesling 201519 Punkte | 2017 bis 2025Reift in einer Lage mit hohem Schie-feranteil. Wirkt mit einem Restzucker-Anteil von weniger als vier Gramm pro Liter knochentrocken und knackig. Zitrusfrüchte, herbale Noten, dazu ein Anflug von Grüntee. Im Gaumen ge-radlinig, getragen von einer ungemein saftigen und belebenden Säure.

Chardonnay 201518.5 Punkte | 2018 bis 2030Zeigt sich in der Nase noch verhalten, aber elegant und lässt sofort seine Fri-sche erkennen. Herbale Noten sowie ein Anflug von Agrumen. Im Gaumen geradlinig, ja knackig, mit enorm viel Zug und Finesse. Schon in diesem frühen Stadium sehr ausgewogen.

Chardonnay 201018.5 Punkte | 2017 bis 2027Klare und vielschichtige Aromatik mit herbalen Noten, einem Anflug von Eigebäck und perfekt integrierten Würznoten. Im Gaumen frisch, animie-rend und vielschichtig. Steht jetzt am Anfang der idealen Trinkreife.

Chardonnay 200518 Punkte | 2017 bis 2024Vielschichtige Aromatik mit Me-dizinalkräutern, etwas Minze, aber auch ersten, edlen Reifetönen, dazu mineralische Komponenten. Wur-de im Gegensatz zu den jüngeren Chardonnays noch zu 100 Prozent in Neuholz vinifiziert. Im Gaumen immer noch sehr präsent, getragen von einer saftigen, belebenden Säure.

Chardonnay 199517.5 Punkte | 2017 bis 2020

Aus dem frühen Schaffen der Gan-tenbeins. Edel gereift mit intensiver Aromatik mit kandierten Früchten, Quitten, Crème brûlée und Birnenbrot. Im Gaumen noch immer voll da, mit viel Zug. Reife und saftige Säure.

Pinot Noir 201518 Punkte | 2017 bis 2030Frische Aromatik mit dunkler Beeren-frucht, herbalen Noten und schon sehr gut eingebundener, frisch wirkender Eichenholzwürze. Im Gaumen zuerst ein Anflug von leicht süsslichem Beerenextrakt, dann dicht gewoben, fruchtbetont und vielschichtig.

Pinot Noir 201018.5 Punkte | 2017 bis 2027Jetzt in perfekter Trinkreife, zeigt die-ser Cru die ganze Eleganz eines eher kühlen Jahres. Anflug von Erdbeeren, aber vor allem Waldbeeren, herbale Noten, zurückhaltende Würze. Im Gaumen saftig und animierend, getra-gen von einer tollen Säure.

Pinot Noir 200518 Punkte | 2017 bis 2024Nach wie vor in bester Trinkreife mit Noten von reifen Waldbeeren, Pflau-men und einem Anflug von Rumtopf. Im Gaumen noch immer sehr frisch, mit feinkörnig präsentem Gerbstoff und belebender Säure.

Pinot Noir 199717 Punkte | 2017 bis 2020Präsente, reife Frucht mit Pflaumen, Erdbeeren. Im Gaumen im Auftakt süssliche Extraktfülle. Ein weicher und opulenter Pinot mit angepasster Säure und samtigem Gerbstoff.www.gantenbeinwein.com

«Manches was dort heute gemacht wird, kann ich nicht verstehen», sagt Daniel Gantenbein. Klar, auch sie mussten vie-les von dem, was ihnen 1982 als querein-steigende Nobodys alles eingetrichtert worden war, möglichst schnell wieder vergessen. «Die Topwinzer des Burgund haben uns ja schliesslich gelehrt, wie Chardonnay und Pinot schmecken sol-len, und wir werden diese sensorische Werteordnung niemals mit wildem Ak-tivismus wie dem Verzicht auf Schwefel über den Haufen werfen.»

Schritt für Schritt in PerfektionIn einer Weinwelt, wo Trends und Mo-

den in immer schnelleren Intervallen wechseln, gehen sie ruhig und besonnen ihren Weg. «Wein machen ist ein Prozess mit unzähligen Parametern, wer zu viel an seinem Konzept rumschraubt, kommt leicht vom Weg ab.» Vor allem sind ihnen nicht die Mittel heilig, sondern stets der Zweck, sprich das Resultat im Glas. So vergären sie heute ihre Weine zwar wenn immer möglich spontan mit Naturhefen,

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«Wir haben 20 Jahre gebraucht, um die Rebgärten nach unseren Vorstellungen zu trimmen. Im Zentrum steht die ausgewogene Wüchsigkeit. Die Stärke der Unterlags-reben, der Klon und vor allem die Pflanzdichte müssen im Gleichgewicht stehen. Das Wichtigste ist aber ein konsequent individueller Rebschnitt. Jede Rebe darf nur das produzieren, was sie kann.»

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wort: «Es geht darum, das individuelle Leistungsvermögen eines jeden Rebsto-ckes zu erkennen und ihn dann mittels Schnitt entsprechend einzustellen.» Zu- dem beschäftigen sie sich schon seit Jahren mit dem biologischen Anbau. In-sektizide benötigen sie schon lange nicht mehr. Nun soll eine völlig neuartige, auch bei hoher Pflanzdichte den Unterstock schonende Mähmaschine die Herbizi-de ersetzen. Bleiben noch die Fungizide gegen die Mehltau-Erkrankungen. Hier ist und bleibt die Einstellung der Gan-tenbeins pragmatisch. «Wenn Mehltau-befall droht und synthetische Mittel ei-nen effektiveren Schutz versprechen als biologische Praktiken, arbeiten wir ohne zu zögern konventionell. Denn unser primäres Ziel ist es nun mal, perfekt aus-

Martha und Daniel GantenbeinMartha Gantenbein (Jahrgang 1959) aus Fläsch absolvierte eine kaufmännische Ausbildung, während der in Malans aufgewachsene Daniel Gantenbein (Jahrgang 1960) den Beruf des Maschinenschlossers erlernte. Anfang der 80er Jahre kamen sie zusammen und entwickelten die Idee, selbstbestimmt arbeiten zu können. Der Wein- bau erschien ihnen geeignet für die Umsetzung dieses Plans. 1982 füllten sie als Autodidakten ihre ersten Weine ab, doch die heutige Qualitätsvision nahm erst Ende der 80er Jahre erste Formen an. «Wir wollten damals gut sein, wussten aber noch nicht, was gut ist», sagt Daniel Gantenbein. Seit 1993 bauen sie alle Weine in Barriques aus, seit 1995 verzichten sie auf Filtration. In zwei Etappen (1996 und 2006) realisierten sie ihren richtungsweisenden Kellerei-Neubau. Heute bewirtschaften die Gantenbeins insgesamt sechs Hektar Reben, davon sind 4,5 Hektar mit Pinot Noir, 1,5 Hektar mit Chardonnay und 0,2 Hektar mit Rheinriesling bestockt. Die jährliche Produktion liegt zwischen 25 000 und 30 000 Flaschen, wobei sie ab Hof einen Durchschnittspreis von rund 50 Franken pro Flasche erzielen.

gereifte, gesunde Trauben ernten zu kön-nen. Übrigens: Die Gantenbeins haben ihre beiden Söhne, die inzwischen auch schon auf die 30 zugehen, nie gedrängt, im elterlichen Weingut aktiv zu werden. Und noch halten beide Distanz zum «vinösen» Hochleistungs-Schaffen ihrer Eltern. Trotzdem glauben Martha und Daniel daran, dass in den nächsten zehn Jahren eine familieninterne Fortsetzung der Gantenbein-Story möglich ist.

Vor dem Gantenbein-Weingut steht heute ein Schild mit der Botschaft: «Wir danken für Ihr Interesse am Weingut. Es kann nicht besichtigt werden. Wir bitten Sie, es von ferne zu betrachten und die Weinberge nicht zu betreten.» Manchen mag diese Botschaft als arrogant erschei-nen, aber es geht ihnen nur darum, in

Ruhe ihre Arbeit verrichten zu können. «Ein Paradies ist immer dann, wenn einer da ist, der wo aufpasst, dass keiner rein-kommt.» Dieser nicht ganz ernst gemein-te, aber auch nicht grundsätzlich falsche Spruch stammt nicht von den Ganten-beins, sondern von Gerhard Polt, ihrem Lieblings-Kabarettisten und -Schauspie-ler, der beim 50. Geburtstag von Daniel Gantenbein im Weingut seinen Auftritt hatte. Gantenbein ist auch ein Fan von Steven van Zandt, allerdings nicht in sei-ner Funktion als Gitarrist in der Band von Bruce Springsteen, sondern als Schau-spieler in Serien wie «Die Sopranos» und besonders «Lilyhammer», in denen er ei-nen Mafioso mit kauzigem, ja fast schon bündnerischem Charme abgibt.

Nach der Arbeit gut essenLuxus bedeutet für Martha und Dani-

el Gantenbein heute, in einem massge-schneiderten Umfeld leben und arbeiten zu können. Und einmal am Tag gut zu essen. Und ja, an ihr Essen haben sie min-destens so hohe Ansprüche wie an ihre Weine. In einem leicht antiquiert ausse-henden Fliegenkasten trocknet Daniel Gantenbein gerade erstmals sein eigenes Bündnerfleisch. Die vier falschen Filets dafür hat er sich bei der Metzgerei Hol-zen in der Innerschweiz besorgt. Auch die Kartoffeln kommen nicht vom Gross-verteiler, sondern von der Familie Hein-rich im Albulatal. Nach gutem Brot haben sie jahrelang gesucht und es schliesslich in einer Bäckerei in Adelboden gefunden. Klassisch mit Vorteig produziert, wird es regelmässig per Express nach Fläsch ge-liefert, wo es im Gantenbein-Ofen fertig gebacken wird.

Politik interessiert sie nicht wirklich, allerdings sollten sich die Politiker, so meint Daniel Gantenbein, vielleicht mal mit der Frage beschäftigen, warum es in unserem Land immer weniger gutes Brot gibt. Übrigens: Automobil-prestigemäs-sig sind die Gantenbeins mit einem VW Golf und einen knallroten «Döschwo» für Winzerverhältnisse relativ bescheiden ausgestattet. Dafür haben sie sich über die Jahrzehnte eine private Kollektion mit Top-Crus von Bordeaux über Bur-gund bis zur Mosel erschaffen, die wert-mässig den einen oder anderen Ferrari lo-cker aufwiegt. Leidenschaftliche Winzer haben nun mal fast zwangsläufig mehr gute Flaschen im Keller als PS in der Garage.

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Modernstes Equipment für den Rebberg. Das neue Visani-Raupenfahrzeug wiegt dreimal weniger als ein Fendt-Traktor (Bild links). Genuss-Fanatiker: Daniel Gantenbein mit seinem Fliegenkasten, in dem er sein eigenes Bündnerfleisch trocknet (Bild unten).

«Wein machen ist ein Prozess mit vielen Parametern, wer da zu viel rumschraubt, kommt leicht vom Weg ab. Wir ändern nur etwas, wenn wir nicht glauben, sondern wissen, dass die Neuerung mehr Qualität bringt. Den Beweis muss die Blindverkostung erbringen.»