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Prof. Dr. Wandinger 2. EnergiemethodenHöhere Festigkeitslehre

2.3-1

13.09.14

3. Prinzip der virtuellen Arbeit

● Mit dem Satz von Castigliano können Verschiebungen für Freiheitsgrade berechnet werden, an denen Lasten an-greifen.

● Dabei werden nicht immer alle Terme der Formände-rungsenergie benötigt.

● Durch eine einfache Erweiterung können Verschiebungen an beliebigen Stellen und in beliebiger Richtung ermittelt werden.

● Das erweiterte Verfahren wird so formalisiert, dass nur die benötigten Ausdrücke berechnet werden.

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2.3-2

13.09.14

3. Prinzip der virtuellen Arbeit

3.1 Virtuelle Kräfte

3.2 Reziprozitätsgesetz

3.3 Prinzip der virtuellen Arbeit

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2.3-3

13.09.14

3.1 Virtuelle Kräfte

● Mit Hilfe von virtuellen Kräften können Verschiebungen an beliebigen Freiheitsgraden berechnet werden.

● Aufgabenstellung:F

1

F2

Fk

Ml

u

ϕ

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2.3-4

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3.1 Virtuelle Kräfte

– Die am Körper angreifenden Lasten sowie die zugehörigen Spannungen im Körper werden als bekannt vorausgesetzt.

– Gesucht sind die Verschiebungen oder Verdrehungen an Punkten, an denen keine Lasten angreifen.

– Die Lösung kann durch Superposition gefunden werden.

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2.3-5

13.09.14

3.1 Virtuelle Kräfte

● Lastfall A:

– Am Körper greifen die gegebenen Kräfte und Momente an.

– Sie verursachen die ge-suchte Verschiebung uA.

F1

F2

Fk

Ml

uA

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2.3-6

13.09.14

3.1 Virtuelle Kräfte

● Lastfall B:

– An dem Punkt, an dem die Verschiebung gesucht wird, wird eine fiktive Kraft FB in Richtung der gesuchten Verschiebung aufgebracht.

– Die fiktive Kraft wird als virtuelle Kraft bezeichnet.

– Sie verursacht die Ver-schiebung uB.

FB

uB

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2.3-7

13.09.14

3.1 Virtuelle Kräfte

● Überlagerung:

– Die Verschiebungen für Lastfall B und für den überlagerten Lastfall können mit dem zweiten Satz von Castigliano be-rechnet werden:

– Dabei sind σA und εA die Spannungen bzw. die Verzerrungen für Lastfall A und σB und εB für Lastfall B.

uAuB

=12

∂ F B∫V

{ A

B }T

{ A

B }dV

uB=

12

∂ FB∫V

{ B }T

{ B }dV

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2.3-8

13.09.14

3.1 Virtuelle Kräfte

– Ausrechnen ergibt:

– Das erste Integral hängt nicht von FB ab. Seine partielle Ab-leitung nach FB ist daher null.

– Mit

folgt für das zweite Integral:

uA=

12

∂ F B ∫V { A }T

{ A }dV∫V

{ A }T

{ B }{ B }T

{ A } dV

{ B }T

{ A }={ B }T

{E } { A }={ B}T

{ A}={ A}T

{ B}

∫V

{ A }T

{ B }{ B}T

{ A}dV =2∫V

{ A }T

{ B}dV

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2.3-9

13.09.14

3.1 Virtuelle Kräfte

– Da σA nicht von FB abhängt, gilt:

– Da die Verzerrungen εB linear von FB abhängen, gilt für die Ableitung:

– Damit ist gezeigt:

uA=∫

V

{σ A }T

{∂ϵB

∂ F B }dV

∂B

∂ F B =1

F B B

uA=

1F B∫

V{ A }

T{ B }dV

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2.3-10

13.09.14

3.1 Virtuelle Kräfte

– Da für das praktische Rechnen oft FB = 1 verwendet wird, wird diese Gleichung auch als Einheitslastgesetz bezeich-net.

– Für Verdrehungen folgt entsprechend:

ϕA=

1M B∫

V

{σ A }T

{ϵB }dV

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2.3-11

13.09.14

3.1 Virtuelle Kräfte

● Anwendung auf Balken:

– Im Hauptachsensystem gilt:

– Bei langen schlanken Balken (L > 5h) kann der Beitrag des Querkraftschubs vernachlässigt werden.

u A=1

FB∫0

L

( N A N B

E A+

M yA M y

B

E I y+

M zA M z

B

E I z+k z

QzAQz

B

G A+k y

QyAQ y

B

G A+

M xA M x

B

G I T )dx

ϕA=1

M B∫0

L

( N A N B

E A+

M yA M y

B

E I y+

M zA M z

B

E I z+k z

QzA Qz

B

G A+k y

Q yA Qy

B

G A+

M xA M x

B

G I T )dx

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2.3-12

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3.1 Virtuelle Kräfte

● Beispiel: Balkensystem

– Gegeben:● a = 500mm● E = 210000MPa● A = 480mm2

● Iy = 4·106mm4

● F = 10kN– Gesucht:

● Verschiebung uC und Verdrehung ϕ

B

2a

a

F

A

B

C

ϕB

uC

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2.3-13

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3.1 Virtuelle Kräfte

– Lastfall A:● Gegebene Kraft

– Lastfall B: ● Fiktives Moment

2a

a

F

A

B

C

2a

a

A

B

C

M

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2.3-14

13.09.14

3.1 Virtuelle Kräfte

– Lastfall A:● Normalkraft

N

F

Nx1

x2

A B

C

-aF

Myx

1

x2

My

-aFA B

C

● Biegemoment

BalkenAB : N Ax1=F

BalkenBC : N Ax2=0

BalkenAB : M yA x1=−a F

BalkenBC : M yA x2=−a F 1− x2

a

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2.3-15

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3.1 Virtuelle Kräfte

– Lastfall B:● Normalkraft:● Biegemoment:

– Verschiebung uC:

● Der zur Berechnung von u

C erforderliche Lastfall B

entspricht dem Lastfall A.

● Es gilt:

N B=0

BalkenAB : M yB=M

Mb

x1

x2

My

M

A B

C

BalkenBC : M yB=0

uC=1F

2 aN A

2

EA

1F ∫

A

BM y

A

2

E I ydx

1F ∫

B

CM y

A

2

E I ydx

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2.3-16

13.09.14

3.1 Virtuelle Kräfte

● Ausrechnen ergibt:

– Verdrehung ϕB:

● Die Normalkraft liefert keinen Beitrag. Es bleibt:

● Das gleiche Ergebnis folgt auch aus der in Kapitel 2.2 ge-wonnenen Formel, wenn dort am Ende M=0 gesetzt wird.

uC=1F

2 a F2

E A

1F

2 a a F 2

E I y

1F

a a F 2

3 E I y=

a3 FE I y

73

2 I y

A a2

ϕB=1M ∫

A

B M yA M y

B

E I ydx+

1M ∫

B

C M yA M y

B

E I ydx= 1

M2 a(−a F M )

E I y=−

2 a2 FE I y

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3.1 Virtuelle Kräfte

– Zahlenwerte:

ϕB=−2⋅5002 mm2

⋅104 N210000 N /mm2

⋅4⋅106 mm4 =−5,952⋅10−3

uC=5003 mm3

⋅10⋅103 N210000 N /mm2⋅4⋅106 mm4 7

3

2⋅4⋅106 mm4

480 mm2⋅5002 mm2 =1,488 mm⋅ 7

3

115 =3,571 mm

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2.3-18

13.09.14

3.2 Reziprozitätsgesetz

● Herleitung:

– Lastfall A: – Lastfall B:

FA

1

uA

1 uA

2

1

2

FB

2

uB

1 uB

2

1

2

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2.3-19

13.09.14

3.2 Reziprozitätsgesetz

– Für die Verschiebung uA2 von Lastfall A gilt:

– Eine entsprechende Beziehung gilt zwischen Momenten und Verdrehungen.

– Das Ergebnis ist das Reziprozitätsgesetz von Maxwell und Betti:

u2A F2

B=∫

V{ A }

T{ B }dV =∫

V{ A }

T{E } { B }dV

=∫V

{ A }T

{ B }dV =∫V

{ B }T

{ A }dV=u1B F1

A

u2A F2

B=u1

B F1A , ϕ2

A M 2B=ϕ1

B M 1A , u2

A F2B=ϕ1

B M1A

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2.3-20

13.09.14

3.2 Reziprozitätsgesetz

● Beispiel: Schubmittelpunkt

– Eine im Schubmittelpunkt M angreifende Kraft beansprucht einen Balken nur auf Biegung, nicht auf Torsion.

x

z

y

w

θ

F

M

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2.3-21

13.09.14

3.2 Reziprozitätsgesetz

– Verdrehung θA des Querschnitts infolge der Kraft F:

● Lastfall A: Kraft F● Lastfall B: Fiktives Torsionsoment M

xB

● Einheitslastgesetz:

– Verschiebung des Schubmittelpunkts M bei Belastung durch das Torsionsmoment M

xB :

● Reziprozitätsgesetz:

● Entsprechend folgt:

A=1

M xB∫

0

L M xA M x

B

G I Tdx=0 wegen M x

A=0

wB F=A M x

B=0 wB

=0

vB=0

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2.3-22

13.09.14

3.2 Reziprozitätsgesetz

– Ergebnis:● Wird ein Balken nur auf Torsion beansprucht, dann dreht sich

sein Querschnitt um den Schubmittelpunkt.

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2.3-23

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3.3 Prinzip der virtuellen Arbeit

● Ausgangspunkt:

Lastfall A:

F1

A

1k

2 3

F2

A

F3

A

FlA

Lastfall B:

F1

B

1k

2 3

F2

B F3

B

FkB

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2.3-24

13.09.14

3.3 Prinzip der virtuellen Arbeit

– Betrachtet werden zwei Lastfälle A und B.

– Mit σA werden die Spannungen für den Lastfall A bezeich-net.

– Mit εB werden die Verzerrungen für Lastfall B bezeichnet.

– Mit εkB werden die Verzerrungen für den Lastfall bezeichnet,

bei dem nur die Last FkB von Lastfall B wirkt, die am Punkt k

angreift.

– Für die Verzerrungen εB gilt: B=∑k

kB

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2.3-25

13.09.14

3.3 Prinzip der virtuellen Arbeit

● Verschiebungen für Lastfall A:

– Für jeden Punkt k gilt:

– Summation über alle Punkte ergibt:

● Prinzip der virtuellen Arbeit:

– Sei nun Lastfall B der tatsächliche Lastfall und Lastfall A ein beliebiger virtueller Lastfall.

ukA F k

B=∫

V{ A }

T{ kB }dV

∑k

ukA Fk

B=∑k∫V

{σ A }T

{ϵ kB}dV=∫V

{σ A }T

{ϵB } dV=∫V

{ϵ A }T

{σB } dV

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2.3-26

13.09.14

3.3 Prinzip der virtuellen Arbeit

– Die zum Lastfall A gehörenden Verschiebungen sind virtuel-le Verschiebungen. Virtuelle Verschiebungen können alle Verschiebungen sein, die die Lagerbedingungen erfüllen.

– Die virtuellen Verschiebungen werden im Folgenden mit u und die zugehörigen Verzerrungen mit ε bezeichnet.

– Wird der obere Index B für den tatsächlichen Lastfall weg-gelassen und werden zusätzlich noch Momente berücksich-tigt, dann gilt:

∑k

uk Fk+∑l

ϕ l M l=∫V

{ ϵ }T

{σ } dV

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2.3-27

13.09.14

3.3 Prinzip der virtuellen Arbeit

● Gleichgewicht:

– Wenn das Prinzip der virtuellen Arbeit für einen freigeschnit-tenen Körper betrachtet wird, dann sind als virtuelle Ver-schiebungen alle Starrkörperbewegungen möglich.

– Da Starrkörperbewegungen vR keine Verzerrungen verursa-

chen, gilt:

– Für Starrkörpertranslationen folgt daraus das Kräftegleich-gewicht und für Starrkörperrotationen das Momentengleich-gewicht.

∑k

vRk F k+∑l

ϕRl M l=0

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2.3-28

13.09.14

3.3 Prinzip der virtuellen Arbeit

– Bei den Starrkörperrotationen ist zu beachten, dass im Rahmen der linearen Theorie die für kleine Winkel lineari-sierten Gleichungen zu verwenden sind.

● Verallgemeinerung:

– Einzelkräfte und Momente sind als Resultierende von Ober-flächenkräften und Volumenkräften zu verstehen.

– Unter Verwendung von Oberflächenkräften und Volumen-kräften lautet das Prinzip der virtuellen Arbeit:

∫S

[ u ]T

[ t ] dA∫V

[ u ]T

[ f ] dV =∫V

{ }T

{ } dV

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2.3-29

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3.3 Prinzip der virtuellen Arbeit

● Im Prinzip der virtuellen Arbeit sind die folgenden drei Be-dingungen enthalten:

– Globales Gleichgewicht:● Für den freigeschnittenen Körper ist das Kräftegleichgewicht

und das Momentengleichgewicht erfüllt.

– Lokales Gleichgewicht:● Für jedes infinitesimale Element des Körpers ist das Kräfte-

gleichgewicht und das Momentengleichgewicht erfüllt.

– Spannungsrandbedingungen:● Am Rand stimmt der Spannungsvektor mit den vorgegebenen

Lasten überein.

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2.3-30

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3.3 Prinzip der virtuellen Arbeit

● Anmerkungen:

– Mit etwas Höherer Mathematik (Partielle Integration, Inte-gralsatz von Gauß) lässt sich das Prinzip der virtuellen Ar-beit leicht aus den Spannungsdifferenzialgleichungen, den Randbedingungen und den kinematischen Beziehungen für die Verzerrungen herleiten. Die Herleitung ist unabhängig vom Materialgesetz.

– Alle Energiemethoden können aus dem Prinzip der virtuel-len Arbeit gewonnen werden.

– Das Prinzip der virtuellen Arbeit ist die Grundlage der Me-thode der finiten Elemente.