53 - Neue Zürcher ZeitungMonolithen (siehe Abb. 1), dessen Form nur dann einen Sinn ergibt, wenn...

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Mittwoch, 8. Januar 1986 Nr. 5 53

Megalithische Astronomie im archaischen ChinaVon Jean-Pierre Voiret

Man darf annehmen, dass die Astronomie bei fast allen Naturvölkern mit dem blossenAuge und mit dem Gnomon angefangen hat. Mit dem Auge beobachtete man die Gestir-ne, mit dem Gnomon mass man die Schattenlänge der Sonne, um die Jahreszeiten zubestimmen. Bald merkten die Menschen, dass viele Himmelsphänomene periodisch sind,und sie begannen, die wichtigsten Sonnen-, Mond- und Sternenpositionen mit Hilfe vonstabilen Markierungen festzuhalten: so entstand die megalithische Astronomie.

Erstaunliche InformationslückeVisuren, bestehend aus Megalithen (d. h.

grossen Steinen) und z. T. aus charakteristischenPunkten des Horizonts wie Bergspitzen, Berg-

senken usw. (später auch aus orientierten Tem-peln), ergaben Jahr für Jahr den Zeitpunkt sichwiederholender himmlischer Ereignisse. Leiderwussten die Astronomen der Urzeit nicht, dassdie Erdachse prozessiert, also ihre Richtung imLaufe der Zeit ändert. Schon nach knapp hun-dert Jahren für bestimmte Sternvisuren, oderspätestens nach mehreren hundert Jahren für

Abb. 1. Monolith beim Grab des Yü.

andere Ziellinien, waren deshalb die grossarti-gen Visuren falsch, und die megalithischeAstronomie wurde oft aufgegeben und geriet

nach und nach in Vergessenheit. Seit GeraldHawkins 1965 sein Buch «Stonehenge decoded»veröffentlichte, ist die Archäoastronomie salon-fähig geworden, und die Wissenschaft hat sichder jahrtausendealten megalithischen Anlagenzwecks astronomischer Entschlüsselung «be-mächtigt». So wurden in den letzten zwanzigJahren nach und nach megalithische und nach-megalithische astronomische Anlagen in Euro-pa, Nordamerika, Zentralamerika, Ägypten

und Japan entdeckt.Eigenartigerweise waren bisher aber keine

solchen Anlagen für China gemeldet worden.Diese Tatsache ist erstaunlich, wenn man be-denkt, dass die chinesische Hochkultur den Ver-gleich mit den neolithischen und nachneolithi-schen Kulturen Europas, Amerikas, Ägyptens

und Japans nicht zu scheuen braucht. Das Feh-len entsprechender Informationen ist aber weni-ger erstaunlich, wenn man folgendes berück-sichtigt: Archäoastronomie ist eine sehr jungeWissenschaft. China ist ein Entwicklungsland,welches viel wichtigere Prioritäten hat als Ar-chäoastronomie. Angesichts der riesigen Zahlseiner unerforschten Kulturgüter ist China sehrknapp an Archäologen, der Zugang für westli-che Forscher aber ist äusserst kompliziert. Nunist es dem Autor vor drei Jahren auf Grundhistorischer, textinterpretativer und schriftzei-cheninterpretativer Forschungen gelungen, dieAnwesenheit megalithischer Astronomie auchim archaischen China zu vermuten und schliess-lich durch eine erste Rekognoszierung im Landselber zu untermauern.

Mystik oder Fakten?

Den ältesten Fund, welchen die Chinesenimmerhin als Hinweis archaischer astronomi-scher Tätigkeit betrachten, ist eine im Jahre1963 in der Provinz Shandong gefundene Tonur-ne. Ihr Alter wird auf 4500 Jahre geschätzt. Sieträgt die Darstellung eines fünfzackigen, vonSonne und Mond überragten Berges. Die gleich-zeitige Darstellung dieser drei Embleme wirdals Hinweis dafür gewertet, dass man schon be-stimmte Sonnen- und Mondpositionen aufGrund charakteristischer Punkte der Landschaftfesthielt. Andere, der Yangshao-Zeit zugeord-nete Tontöpfe tragen ebenfalls Sonne- undMonddarstellungen.

Zwischen diesen steinzeitlichen Töpfen undden unter der Shang- Dynastie zwischen 1500und 1100 vor unserer Zeit auf Orakelknochengeritzten astronomischen Informationen gab esbisher keine bekannten Hinweise über eineastronomische Tätigkeit. Mit einer Ausnahme:Man kannte im alten China einen Bauernkalen-der, der die Bezeichnung Xia xiaozheng (kleinerXia-Kalender) trug - wobei Xia der Name derbisher als mythisch geltenden ersten «Dynastie»ist. Kein Spezialist hätte früher die Vorstellungakzeptieren können, die astronomischen Anga-ben des Xia xiaozheng könnten tatsächlich aus

der Xia-Zeit (vermutlich 21.-16. Jahrhundertvor unserer Zeit) stammen - zu Unrecht, wie esjetzt scheint.

Der Autor wurde auf die Frage der Vor-Shang-Astronomie indirekt über den Umwegvon Untersuchungen der Frage der Machtent-stehung im archaischen China aufmerksam.Tatsächlich gibt es kaum eine vorchristliche chi-nesische Überlieferung aus dieser «mythischen»Zeit der zivilisatorischen Helden Yao, Shun undyü (Gründer der Xia) des dritten vorchristli-chen Jahrtausends, die nicht den Zusammen-hang zwischen Astronomie, Landwirtschaft undpolitischer Macht betont. Diese allerdings erstim ersten vorchristlichen Jahrtausend niederge-

schriebenen Texte sind so zahlreich, dass wirmindestens einen zitieren müssen: «Der Kaisersagte: Xi und He, hört! Der Jahreskreiszählt dreihundert und sechsundsechzig Tage.

Setzt durch Einschieben eines Monats die vierJahrszeiten fest und vervollständigt das Jahr.Leitet alle Aufseher sorgfältig nach dem Kalen-der, so werden alle Tätigkeiten des (Bauern-)Jahrs erfolgreich."» (Shujing, «Ziru»)

Auf Grund eines andern Abschnitts des Shu-jing («Yaodian»), in welchem der Meridian-durchgang bestimmter Sternbilder genau angege-ben wird, hat J. B. Biot ausgerechnet, dass dieseAngaben sich wahrscheinlich auf das Jahr-2400 beziehen. Zhu Kezhen hat auch festge-stellt, dass die grösste Anzahl «Xiu» (alte chine-sische Himmelshäuser) in den Jahren zwischen-2400 und -2300 auf den Himmelsäquator fal-len (nimmt man die Angaben der Orakelkno-chen als Grundlage). Nur konnten die Speziali-sten bisher nicht glauben, dass man in China sofrüh solche Kenntnisse der Himmelsmechanikbesass, denn erst der Transfer mesopotamischerKenntnisse um das 15. vorchristliche Jahrhun-dert wurde als Grundlage der chinesischenFrühastronomie vermutet. Gibt es nun trotzdemsolide Hinweise auf die Existenz einer entwik-kelten megalithischen Astronomie bereits imdritten vorchristlichen Jahrtausend, welche dieErgebnisse von Biot und von Zhu Kezhen un-termauern könnten?

Kaiser Yü und die Astronomie

Die Figur des ersten Kaisers Yü ist deshalbbesonders interessant, weil er als Gründer derersten chinesischen Dynastie gilt: nach den chi-nesischen Überlieferungen kommt nach ihmzum erstenmal der Sohn des bisherigen Herr-schers an die Macht. Zudem ist überliefert, dassdieser Sohn einen Krieg mit Nachbarvölkernführt, weil sie seinen Kalender nicht überneh-men wollen. Man sieht also, wie wichtig damalsdar Kalender (und die ihm zugrunde liegendeAstronomie) für die Rechtfertigung der Machtwar.

Wenn man aber die Legenden und Überlie-ferungen, die sich auf das Leben des Yü bezie-hen, sowie die Gegenden, wo die Ausübung sei-ner Macht tradiert ist, untersucht, macht manerstaunliche Feststellungen:

Alle Überlieferungen betonen, wie ausgedehnt dasHerrschaftsgebiet des YO war.

Bei dem Grab des Yü gibt es einen Ober 2 m hohenMonolithen (siehe Abb. 1), dessen Form nur danneinen Sinn ergibt, wenn man ihn als astronomi-schen Visiermonolithen interpretiert: das im obe-ren Teil des Monolithen sorgfältig polierte, leichtgeneigte Loch ist wahrscheinlich ein astronomi-sches Visierloch gewesen. Die ursprüngliche Funk-tion dieses Steins war bisher unbekannt.

In der Gegend von Dengfeng (Provinz Henan,nahe am Gelben Fluss), die als Zentrum des Xia-

Abb. 2. Das forstliche Machtemblem aus Jade aus derShang-Zeit konnte sehr wohl einen Miniaturmonolithen

darstellen.

Astronomische Piktogramme und Ideogramme der chinesischen Schrift

archaische Formen(Orakelknochen

und Bronzevasen) mögliche Interpretation; spätere Bedeutung

definitive Formdes Zeichenssowie Aussprache

astronomischer Monolith; Erde

Sonne über Monolith; Sonnenaufgang, Morgendämmerung

helle Sonne über Monolith; glänzend, erhaben, machtvoll

Monolith, Himmel Ober Monolith;König (Himmelssohn, der mit Hilfe der AstronomieHimmel und Erde verbindet)

zwei astronomische Monolithe; Zepter, Machtabzeichen

Dreisternen-Sternbild(im alten China häufig) über Monolith; Stern. Gestirn

± tu

g. dan

V- huang

wang

gui

\3 xing

Reichs (und als Zentrum der Welt) galt, gibt es indem heiligen Berg Songshan etliche Scharten, die inVerbindung mit einem solchen Monolithen fürastronomische Visuren in Frage kommen.

In der Gegend zwischen Shaoxing und Yüyao (al-

tes Reich Yue, Provinz Zhejiang), in welcher sichdas Grab Yüs befindet, gibt es auch einen heiligenBerg, für welchen vier Visurscharten tradiert sind.Im Altertum besassen der heilige Berg von Xiaund der heilige Berg von Yue den gleichen NamenTushan (Berg der Erde) und wahrscheinlich diegleiche Funktion : Astronomie.

Sowohl bei Dengfeng wie bei Shaoxing haben inden letzten Jahren chinesische Archäologen dieReste zweier Städte (Wangchenggang und Hernu-du) ausgegraben, welche als Hauptstadt von Xiabzw. von Yue gelten und Schichten entsprechen-

der Altersstufen aufweisen. Die auf Grund derFunde sichtbare technische Entwicklungstufe, dievermuteten astronomischen Visuren und die Über-lieferungen (u. a. auch die Beziehungen zwischenXia und Yue und somit die sog. Reisen des YQ

nach Yue) bestätigen einander erstaunlich gut.

Das forstliche Machtemblem (Zepter) des vor-christlichen feudalen Chinas war das Gui, ein Mi-niaturmonolith mit einem «Visierloch» in seinemoberen Teil (siehe Abb. 2). In der Gelbflussgegend

hat man mehrere Jade-Guis gefunden. Neuerdings

hat man auch in Hemudu ein Elfenbein-Gui ge-funden, das neben dem Visierloch auch die Dar-stellung eines Sternbildes trägt: zusätzlicher Be-weis, dass die Astronomie - und die entsprechendeReligion - Grundlage der Macht im archaischenChina war (das Ideogramm für «Gui» besteht jaaus zwei «Monolith»-Ideogrammen, siehe Tabel-le).

Auf Grund geologischer Gegebenheiten (die abernoch genauer kontrolliert werden müssen) scheintder Monolith des Yü-Grabs aus der Gegend vonDengfeng zu stammen.

Schriftzeichen und Astronomie

Die Neuinterpretation des wichtigen Schrift-zeichens «Tu» («Erde», siehe Tabelle) hat esdem Autor erlaubt, den Ursprung einer Reihechinesischer Schriftzeichen mit astronomischerBedeutung verständlich zu machen. Tatsächlichkann sich «Tu» nicht (wie bisher angenommen)auf dem hypothetischen phallischen Symbol ei-nes - in den Überlieferungen fehlenden - phal-lischen Erdkults beziehen, und sei es nur, weildie Erde in China weiblich belegt ist. (Es gibtübrigens ein anderes Schriftzeichen «Ju» für«Phallus».) «Tu» könnte vielmehr einen astro-nomischen Monolithen repräsentieren, wasauch seine alten piktogrammischen Formensehr klar zeigen. Die Bedeutung «Erde» ergibtsich ausserdem logisch aus der typisch chinesi-schen gegensätzlichen Denkweise (weiblich/männlich, Erde/Himmel usw.), denn «Tu» wardas Instrument, das es erlaubt, die himmlischenGestirnspositionen auf der Erde festzuhalten.Aus der Erkenntnis heraus, dass «Tu» primärastronomischer Monolith bedeutet, ergibt sichauch der Aufbau einiger weiterer Ideogrammewie «Sonnenaufgang», «stillestehen», «Jahres-zeit», «Vollmond», «Sonnenwende», «Shi»,«Stern» usw. (siehe Tabelle). Andere Ideo-gramme wie «glänzend» (machtvoll), «König»,«Zepter» enthalten ebenfalls den «Tu»-Mono-lithen und betonen die Beziehung zwischenAstronomie und Macht.

Warum verschwanddie megalithische Astronomie?

Für viele ist das Verschwinden der megalithi-schen Astronomie bzw. das Verschwinden derErinnerung an diese sehr wichtige Stufe derFrühastronomie ein Rätsel. Für China ergeben

sich folgende Erklärungen:

Wie wir schon anfänglich sagten, wurden dieVisuren des späten Neolithikums wegen derPräzession der Erdachse für einige Gestirne ummehr als einen Sonnendurchmesser pro hundertJahre falsch. Wenn wir die Zeit um 2500 vorunserer Zeit als die Blütezeit der megalithischenAstronomie annehmen, so sehen wir, dass spä-testens in der Zhou-Zeit (-1066 bis -221) prak-tisch alle Sternvisuren falsch geworden waren.Weshalb diese Form der Astronomie schliess-lich «vergessen» wurde. (Nur von Ägyptenweiss man, dass Tempelvisuren später korrigiertwurden.) Just in der Zhou-Zeit kam in Chinaaber wieder der alte Gnomon zu Ehren, was sehrwohl mit dem postulierten Niedergang der me-galithischen Astronomie zu tun haben könnte.

Ausserdem war die Astronomie eine geheimeWissenschaft, die nicht aus dem Kreis der herr-schenden Schicht hinaus verbreitet werden durf-te. Im Altertum war die Anzahl der «Wissen-den» in der Gesellschaft sowieso derart klein,dass das Wissen viel leichter in einer Zeit politi-scher Wirren verlorengehen konnte als heute.Was etwa in der Zeit der «streitenden Reiche»(-403 bis -221) der Fall gewesen sein könnte.Und allenfalls auch später noch vorhanden ge-wesene Texte über megalithische Astronomiehätten sehr wohl der vom Qinshi-Huang-Kaiserveranstalteten grossen Bücherverbrennung desJahres -213 zum Opfer fallen können.

Suche in China

Unsere erste, im Jahre 1984 in China durch-geführte Rekognoszierung hat folgende Ergeb-nisse geliefert:

Erkennen des grossen Steins am Yü-Grab als astro-nomischen Visiermonolithen.

Genaue Vermessung aller Bergprofile in der Umge-bung Dengfengs mit Hilfe eines Theodolithenzwecks späterer Bestimmung von astronomischenVisuren.

Absuchen des Tals von Dengfeng zwecks Bestim-mung möglicher Standorte der archaischen Mono-lithen. Feststellung eines Visurstandortes am Berg

Taishan (Provinz Shandong).

Suche von Spuren megalithischer Astronomie inanderen Gegenden (Xian, Gansu usw.). Insbeson-dere im fernen Westen Chinas gibt es lange Mega-lithenreihen, die eine astronomische Erforschungunbedingt verdienen.

Als Nebenprodukt der Reise: Realisierung einesDokumentarfilms über die Sternwarte Guo Shou-jings in Nanjing (14. Jh.).

Für die nächsten Jahre sind folgende Aufga-ben vorgesehen:

Theodolitische Vermessung der vermuteten Visu-ren in Dengfeng auf Grund der aufgestellten Hy-pothesen.

Rekognoszierung und astronomische Vermessung

des zweiten Bergs Tushan (Provinz Zhejiang) undVermessung des Bergs Taishan.

Exakte Bestimmung des Gesteins des Yü-Mono-lithen.Untersuchung der vermuteten westchinesischenVisuren auf ihre eventuelle astronomische Bedeu-tung.

Untersuchung anderer heiliger Berge Chinas (Hu-ashan, Hengshan).

Diese erste Expedition nach China war von Pro Helvetiasowie der Schweizerischen Kreditanstalt unterstützt worden.Der Autor wurde von Harry Hofmann, Arnold von Rotz undHarald Ruegg begleitet Adresse des Verfassers: Alte Land-strasse 79, CH-8800 Thalwil.

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Neue Zürcher Zeitung vom 08.01.1986