Positive Ansätze der Psychotherapie – Ein Perspektivenwechsel? · Positiv=zielkongruent...
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Positive Ansätze der Psychotherapie – Ein Perspektivenwechsel?
Ulrike Willutzki,Ruhr-Universität Bochum
10 Jahre Psychotherapeuten-kammer Bremen
Worum wird es heute gehen?
- Warum eigentlich positive Ansätze? Ein paar Schlaglichter…
- Wie könnte das aussehen? Kurze Blicke durchs Schlüsselloch…
- Fazit
Affekte und psychische Probleme- Personen mit psychischen Belastungen /
Störungen leiden haben typischerweise einen Negativitätsbias: negative Affekte, negative Kognitionen & Bewertungen
- Vs. psychische Gesundheit ist durch einen Positivitätsbias gekennzeichnet
Durch Psychotherapie, in Therapie in Verbindung mit Psychotherapie sollen negative Affekte reduziert und auch positive Affekte zunehmen
Über positive Affekte
Alice Isen: „Positiver Affekt ist eine Quelle menschlicher Kraft – er fördert und unterstützt flexible, offene kognitive Verarbeitung, die Menschen dabei hilft, das zu tun was nötig ist und das Beste aus den Situationen zu machen, in denen sie sich befinden “
Positivität fördert Lernen
Babys und Kinder explorieren bei positiver Stimmung
Erweitert den Aufmerksamkeitsfokus Fördert Kreativität Erfolg im Berufsleben
Broaden-and-build Theorie der Emotionen (Frederikson, 1998, 2002)
Positive Emotionen erweitern die aktuellen Gedanken- und
Handlungsrepertoires- spielen, explorieren, integrieren, geniessen
bauen überdauernde persönliche Ressourcen auf- machen kreativ, kenntnisreich, resilienttragen zu einer Aufwärtsspirale bei
Affekt-als-Information & weitere Implikationen für die Informationsverarbeitung
Bedeutungsstrukturder Situation, psychologische Sit.
Affekte: Positiv=zielkongruentNegativ=zieldiskrepant
Affekt-als-Information & weitere Implikationen für die Informationsverarbeitung
Bedeutungsstrukturder Situation, psychologische Sit.
Affekte: Positiv=zielkongruentNegativ=zieldiskrepant
Affekt-als-Information & weitere Implikationen für die Informationsverarbeitung
Bedeutungsstrukturder Situation, psychologische Sit.
Affekte: Positiv=zielkongruentNegativ=zieldiskrepant
Soweit nicht anders spezifisch interpretiert
Affekt-als-Information & weitere Implikationen für die Informationsverarbeitung
Bedeutungsstrukturder Situation, psychologische Sit.
Affekte: Positiv=zielkongruentNegativ=zieldiskrepant
Soweit nicht anders spezifisch interpretiert
Umgang mit sich selbst, der Welt & anderen: Negativer Affekt – nur analytische Verarbeitung
Affekt-als-Information & weitere Implikationen für die Informationsverarbeitung
Bedeutungsstrukturder Situation, psychologische Sit.
Affekte: Positiv=zielkongruentNegativ=zieldiskrepant
Soweit nicht anders spezifisch interpretiert
Umgang mit sich selbst, der Welt & anderen: Negativer Affekt – nur analytische VerarbeitungPositiver Affekt – holistische Verarbeitung & analytische V.
Affekt-als-Information & weitere Implikationen für die Informationsverarbeitung
Bedeutungsstrukturder Situation, psychologische Sit.
Affekte: Positiv=zielkongruentNegativ=zieldiskrepant
Soweit nicht anders spezifisch interpretiert
Umgang mit sich selbst, der Welt & anderen: Negativer Affekt – nur analytische VerarbeitungPositiver Affekt – holistische Verarbeitung & analytische V.
Über positive Gefühle, Stimmungen („affect“)
„positive affect is a source of human strength – it encourages and supports flexible, open-minded cognitive processing that enables people to do what needs to be done and make the most of the situations they are in“„der günstige Einfluß positiver Stimmungen scheint viele Menschen zu überraschen, zum Teil, weil glückliche Gefühle so einfach und häufig scheinen, dass es kaum vorstellbar ist, dass ihr Einfluß so stark und mit so großen Konsequenzen verbunden ist “ (Alice Isen, 2003)
Neuropsychologisch kann man es auch interpretieren… Wahrnehmung, Erleben, psycho-physiologisches Geschehen
wird durch und in neuronalen Netzwerken organisiert. Was dabei zusammen auftritt und erlebt wird, aktiviert parallel entsprechende Nervenzellen
Was zusammen feuert, „verdrahtet“ sich: – „cells that fire together wire together“ (Hebb`sche Plastizität)
Was häufiger aktiviert wird, wird leichter aktivierbar Was miteinander „verdrahtet“ ist, aktiviert sich wiederum
gegenseitig und trägt zur Wahrnehmung, zum Erleben, zur Psychophysiologie bei
Positive Affekte und entsprechende Inhalte häufiger zu aktivieren trägt dazu bei, dass diese leichter aktivierbar werden und das Erleben stärker bestimmen
Wo sind diese Ideen im Klinischen Kontext verfolgt worden?
Systemische Ansätze, speziell Lösungsorientierte Ansätze
Paartherapie („Reziprozitätstraining“) Präventions- und Beratungsansätze
(„Empowerment“) Ressourcenorientierung (Grawe, Fiedler, Frank,
Flückiger, Fürstenau, Klemenz, Schemmel & Schaller, Willutzki et al.)
Positive Psychologie
Positive Psychologie – was soll das sein?
Sonderheft des American Psychologist 2000 (Hrsg. von M. Seligman & M. Csikszentmihalyi)
Soll eine Wissenschaft positiver Erfahrungen, positiver individueller Eigenschaften und positiver Institutionen ermöglichen
Versteht sich als wissenschaftlich orientiert Soll der vorherherrschenden Orientierung auf die
Psychopathologie entgegenwirken
Synder & Lopez (2002). Handbook positive psychology. OUP; Auhagen (2008). Positive Psychologie. Beltz
Was “ist” Positive Psychologie?
Psychologie sollte jeweils genauso daran interessiert sein
An Stärken wie an Schwächen Daran die besten Dinge des
Lebens herzustellen wie die Übelsten zu reparieren
Menschen bei der Entwicklung eines erfüllenden Lebens zu unterstützen wie Psychopathologie zu heilen
Interventionen zu entwickeln, die das Wohlbefinden verbessern, nicht nur welche, die Leiden verringern
Und: Welches Leben führt zum Glück? Klassische und moderne Vorstellungen
Aristippos und Epikur: Glücklich werde, wer die Lust maximiere und die Unlust minimiere
Aristoteles: Glück ist nur durch einen tugendhaften Lebenswandel zu erreichen
Positive Psychologie: weiterer Weg zum Glück: das «engagierte Leben».
Und heute: die entsprechenden Lebensstile…
Das an Genuss und Vergnügen orientierte «pleasant life» (Hedonismus);
das «meaningful life», das der Sinnsuche gewidmet ist,
das «engaged life», bei dem es darum geht, das eigene Potenzial zu verwirklichen
Wer ist glücklicher – Hedonisten, Sinnsucher oder Selbstverwirklicher?
Neben dem Charakter beeinflussen auch die Lebensstile die Lebenszufriedenheit– Empirisch: am zufriedensten ist, wer ein «full life»
lebt und auf allen drei Hochzeiten gleichzeitig tanzt. Alle drei Lebensstile tragen zur Zufriedenheit bei und sie kumulieren sich
– Es gibt jedoch auch Unterschiede: Am meisten scheint das engagierte Leben zur Lebenszufriedenheit beizutragen; an zweiter Stelle kommt in Europa der Hedonismus, in den USA eher das «meaningful life»
Was „sind“ Ressourcen ?„Letztlich alles, was von einer bestimmten Person in einer bestimmten Situation wertgeschätzt wird oder als hilfreich erlebt wird, kann als eine Ressource betrachtet werden“ (Nestmann, 1996)
Orientierungsdimension ist die Evaluation bzw. die Funktionalität
Ressourcen sind keine Entitäten, sondern Konstruktionen. Sie werden perspektivisch hergestellt
Ressourcenorientierte Basisinterventionen
Immer wieder einsetzbare störungsunabhängige Interventionen
Orientierung auf Positives, Gelingendes, positive Ziele, positive Selbstanteile, offensive personale Zuschreibung von Gelingendem (Internalisierung von Positivem & Externalisierung von Problemverhalten)
Systematisches Aufgreifen und Konstruieren zielführender Schritte, z.B. durch Exploration von Ausnahmen, Gespräch über Fortschritte, Entwicklung konkreter Vorstellungen über problemfreie Zeiten
Häufige inhaltliche Thematisierung von Ressourcen
Zum Beispiel:
Am Ende der ersten Sitzung:„In der Zeit von heute bis zu unserem nächsten Treffen möchte ich (wir), dass Sie genau beobachten – so dass wir das nächste Mal drüber sprechen können – was in (wähle eins: Ihrem Leben, Ihrer Beziehung, Ihrer Familie) geschieht, und von dem Sie sich wünschen, dass es auf jeden Fall so bleibt, wie es ist“
Persönliches Resilienz-Modell (Padesky & Mooney, 2003)
Ausgehend von kognitiver Perspektive unter Berücksichtigung von Ansätzen, die sich der
positiven Psychologie zuordnen therapeutische Strategien zur Entwicklung eines
personalisierten Resilienz-Modells (personalized model of resilience, PMR)
Das Vorgehen soll in die Therapie integriert werden, in der Regel nach ersten Erfolgen bei den drängendsten Problemen
Resilienz – Fähigkeit sich aufzurappeln, durchzuhalten
Ursprünglich Thema der Entwicklungspsychologie, z.B. Emmy Werner – Längsschnittstudie zu den Kindern von Kauai
Trotz vielfacher Risikofaktoren in früher Kindheit entwickelte sich 1/3 der Kinder mit ungünstigen Ausgangsbedingungen auf Dauer sehr gut („vulnerable but invincible“)
- dafür entscheidend: eher extrovertiertes Temperament, Fähigkeit andere als soziale Unterstützung für sich zu gewinnen (und so Kompetenzen zu erwerben)
Entwicklung des personalisierten Resilienz-Modells
TherapeutIn stellt Resilienz-Modell vor & bringt Glauben an Resilienz der Person in manchen Bereichen zum Ausdruck
4 Schritte- Suchen (aktivieren), - Konstruieren (Prinzipien herausarbeiten),- Anwenden auf den Problembereich,- Praktizieren (generalisieren)
Persönliches Resilienz-Modell: Aktivieren von Resilienzbereichen
„Jeder von uns hat Bereiche, in denen er/sie an wichtigen Sachen trotz des Lebens und der Widerstände dranbleibt, die er/sie nicht aus der Hand gibt: wie ist das bei Ihnen?“
Suchen, aktivieren (kognitiv-emotional): sich beschreiben lassen, die Freude daran spüren lassen, festhalten
Persönliches Resilienz-Modell: Dekonstruieren des Resilienzbereichs
„Wie machen Sie das denn? Was haben Sie gemacht, wenn Ihnen was dazwischen kam? Was machen Sie, wenn hier mal was nicht klappt?“
Prinzipien rausarbeiten, mit denen die Person es schafft, trotz Hindernissen an den für sie wichtigen Themen und Projekten dranzubleiben
Persönliches Modell zusammenfassen und prüfen lassen, gegebenenfalls ergänzen
Persönliches Resilienz-Modell: Anwenden & Praktizieren im Problembereich
„Wie ist es denn, glauben Sie, könnte irgendetwas was Sie hier gemacht haben, vielleicht auch nützlich sein bei den aktuellen Schwierigkeiten?“
Resilienzverhalten durchgehen; prüfen, was passen könnte; konkret überlegen, wie
Ausprobieren, prüfen, ausweiten, andere Ideen ausprobieren
Personalisiertes Resilienz-Modell – Weitergehende Nutzung des Modells
Anwendung von PMR-Prinzipien auf unter-schiedliche Bereiche
- Entwicklung von Verhaltensexperimenten, bei denen das personalisierte Resilienzmodell zum Tragen kommen kann
- Gegebenenfalls Erweiterung der Anwendungen, von nahe am Therapieanlass bis hin zur Verfolgung persönlicher Ziele, auch im Sinne der Stabilisierung
Entwicklung des Resilienzmodells – Eine explorative Studie Stichprobe:
– 39 Studierende Interventionsgruppe– 33 Studierende Kontrollgruppe
Intervention:- 3 Sitzungen Resilenzmodell – 1: Aktivierung, Konstruktion; – 2: Auswertung Beobachtung, Übertragung auf
Problem; – 3: Feedback
Zur Evaluation Ressourcen- und Problemfragebögen
Willutzki, Victor, Isenberg & Teismann (in Vorb.). Resilienzfaktoren nutzen – eine Pilotstudie.
Resilienzmodell – Effektstärken für die Intervention
Resilienz-gruppe Kontroll-gruppe
Netto-Effekt
RG - KG
Psychosoziale Belastung (BSI)
.37 .16 .21*
Selbstwert (RSES) .25 -.03 .27*Inkongruenz (K-INK) .33 -.05 .38**Konstruktives Denken (CTI-K)
.29 .10 .19*
Handlungsregu-lation (RESO)
.39 -.01 .40**
Resilienzmodell – Effektstärken für die Intervention
Resilienz-gruppe Kontroll-gruppe
Netto-Effekt
RG - KG
Psychosoziale Belastung (BSI)
.37 .16 .21*
Selbstwert (RSES) .25 -.03 .27*Inkongruenz (K-INK) .33 -.05 .38**Konstruktives Denken (CTI-K)
.29 .10 .19*
Handlungsregu-lation (RESO)
.39 -.01 .40**
Mittlerer Effekt von PT: .80
Rahmenbedingungen und Stichprobe der Studie Vergleich eines kognitiv-behavioralen Ansatzes
mit kombiniert-ressourcenorientierten Vorgehen Ambulante Psychotherapie mit maximal 30
Sitzungen (im Mittel 23.8 Sitzungen) 83 PatientInnen (35 bzw. 48 je Gruppe; im Mittel
38.2 Jahre alt) Ein- bzw. Ausschlusskriterien: SP primär,
komorbide Störungen nachrangig, keine akute Suchtproblematik
Angst vor negativer Bewertung im Therapieverlauf
SANB - Ich werde gleich nervös, wenn ich jemandem nicht gefalle
Gesamt-Symptom-Index (SCL-90-R) im Therapieverlauf
SCL-90-R - Wie sehr litten Sie unter Schwermut, Ängsten, etc.
Effektstärken störungsspezifischer Instrumente
Kognitiv-verh.Gruppe
KombinierteGruppe
Angst vor neg.Bewertung 1.16 1.47
Soz. Angst inInteraktionsit. .86 1.29
Stärke soz.-phob.Kognitionen .95 1.45
Vermeidung soz.Situationen .71 1.29
Willutzki, Haas, Neumann, Koban & Schulte (2004). Psychotherapie sozialer Ängste. ZfKPP, 33, 42-50.
Effektstärkenstörungsübergreifender Instrumente
Kognitiv-verh. Gruppe
Kombinierte Gruppe
Symptom-Check-Liste GSI .83 1.23
Selbstwertgefühl - SESA 1.02 1.45
Demoralisation - Peri-K 1.00 1.24
Soziale Integration - SOZU-K .30 .85
Aber …das scheint nicht immer zu funktionieren
Bei affektiven Störungen KEIN Unterschied zwischen einem „reinen“ kognitiv-behavioralen und einem kombiniert ressourcenorientierten Vorgehen
Ergebnisse in beiden Gruppen vergleichbar mit anderen Studien
auch im KVT-Modell geht es um Stimmungs-verbesserung (positive Aktivitäten)
Teismann, Willutzki, Schulte (eingereicht). Kombiniert-ressourcenorientiertes Vorgehen vs. kognitive Verhaltenstherapie bei unipolaren affektiven Störungen.
Beste Momente (Seligman, 2002)
Am Ende des Tages erzählen alle Familienmitglieder was sie am heutigen Tag gerne gemacht haben – was schön, gut, angenehm, spaßig war
Dankbarkeitsintervention(Count your blessings; Lyubomirsky et al., 2005)
„Es gibt viele große und kleine Dinge in unserem Leben, für die wir dankbar sein können. Denken Sie an Ereignisse der vergangenen Woche und notieren Sie fünf Dinge, für die Sie dankbar sind“
Schreiben über persönliche Ziele(Best possible selves: King, 2001; Sheldon & Lyubomirsky, 2006)
Analog zum expressiven Schreiben (Pennebaker & Beall, 1986) werden Personen aufgefordert wiederholt über persönliche Lebensziele zu schreiben:
„Denk darüber nach wie Du möchtest, dass Dein Leben bestenfalls verläuft. Du hast hart gearbeitet und Deine Lebensziele erreicht … „
In einer Pilotstudie in Bochum mit Studierenden: Günstige Effekte im Vergleich zu Kontrollgruppe auf die Stressreaktion (Cortisol)
Positive Psychologie: häufig genannte Kritikpunkte Positive Perspektiven zu propagieren, kann zynisch sein Nicht immer sind positive Affekte heilsam (z.B.
unrealistischer Optimismus, defensiver Pessimismus) Positive Oberflächlichkeit nützt nichts, läßt die Leute nur
mit negativen Erfahrungen und Inhalten allein Die Tyrannei der positiven Einstellung – und das führt
dann selbst zum Unglück Es stimmt nicht, dass positive Inhalte in der Psychologie
nicht berücksichtigt worden sind Eine propagandistische Vereinnahmung positiver Inhalte
durch „die positive Psychologie“ schadet
Negative versus positive Themen in Artikeln in psychologischen Zeitschriften
von 1887 to 20019,760 zu “Ärger” 65,531 zu “Angst”79,154 zu “Depression” 20,868 zu “Furcht” 207,110 zu “Behandlung”
1,021 zu “Freude” 4,129 “Lebenszufriedenheit” 3,522 zu “Glücklichsein” 781 zu “Mut” 31,019 zu “Prävention”
Aber schon noch ein bisschen Nachholbedarf….