Begegnung mit Oppenheimer Juden - Alemannia Judaica 391/Beitraege 1992-1 Op… · Begegnung mit...

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BETTRAGE ZUR JÜIDISCHEN GESCHICHTE IN RTIEINLAND-PFALZ

Begegnung mit Oppenheimer Judenvon Wolfgang Kemp, Annika Jeremies und Michael Gluch

Walter Spiegel ist 1926 in Oppenheimgeboren und hat dort seine Kindheitverlebt. er besuchte im Mai 1990 seine

Heimatstadt. Nichts Außergewöhnli-ches, möchte man denken, wird seine

Meinung jedoch aufgrund dieses Be-richtes ändern müssen.

Die Spiegels waren eine Arbeiterfamilie,hatten zwei Kinder (Walter und seine

Schwester Henni), die Großmutter führteeinenkleinen Lebensmittelladen. In den

Oppenheimer Arbeiterkreisen war dieFamilie voll integriert, alles läßt auf einenormale Kindheit schließen, wäre HerrSpiegel nicht samt der ganzen Farniliejüdischen Glaubens gewesen. Sie seien

keine orthodoxen Juden gewesen, fühl-ten sich als deutsche Juden, berichtetWalter Spiegel, der seine Erlebnisse inOppenheim und in der Schweiz, in die ermit einem Kindertransport entfliehenkonnte, uns ausführlich darlegte. Beieinem Rundgang durch die AltstadtOppenheims, den wil (interessierteSchüler der Oberstufe) zusammcn mitdem Ehepaar Spiegel - auch sie ist eineaus Bad Kreuznach geflohene Jüdin -und Henn Kernp unternahmen, wurdeaufgrund der lebhaften, exakten Be-schreibungen von Herrn Spiegel das

Oppenheim der 30er Jahre lebendig.Anfängliche Beklommenheit auf beidenSeiten wich schnell einer regen Unter-haltung, gegenseitiger Neugierde undvor allem Verständnis für unterschied-liche Erfahrungen und den darausresultierenden Meinungen. WalterSpiegel ist trotz seines arnerikanischenPasses ein waschechter Oppenheimergeblieben. Beim gemeinsamen Rund-gang durch die Stadt sah man förmlichdie Erinnerungsbi lder in seinem Gesicht:

,,Hier war ein Geschäft, hier eine Metz-gerei, das war noch nicht, die Straße wargepf'lastert, kaumAutos, ein Hundkonnteden ganzen Tag dort liegenbleiben,Kinder spielten auf der Straße ... ich warviel in diesem Haus bei meinemKlassenkameraden ...". Bewegend im-mer wieder, in Walter Spiegels Gesichtzu lesen, wenn dort vor den innerenAugen Bilder und Szenen abliefen, die

er so schnell gar nicht in Worte fassen

konnte. Die Vergangenheit, die böse unddie gute, wurde in diesem Gesichtdeutlich. Walter Spiegel war uns be-

sonders in der persönlichen Begegnungein wi chtiger, unersetzbarer Zeitzetge.Als der Lehrer der Volksschule in derKrämersl"raße (heute Grundschule) ihnnach Hause schickte, als es ,,Filme" zu

sehen gab, verstand er das nicht. Derkluge Lehrer wollte ihm antisemitischePropagandahetze ersparen, wohl auch

mögliche Aktionen von HJ -Mitschülern.Walter selbst aber verstand nicht. weil erdoch keinen Unterschied zu den anderenwußte, er fühlte sich als einer von ihnen.Dann mußten er und seine zwei Jahrejüngere Schwester Henni die Oppen-heimer Schule verlassenund nach Mainzzur jüdischen Schule fahren. Mit ihnenfuhren die GeschwisterMartin und LotteNeumann, die Geschwister Julius undCarola Mannheimer, Ruth Bockmannu.4..

,,Da oben im Fenster lag den ganzen Tageine alte böse Frau, die schrieb jeden

auf, der bei meiner Großmutter (LinaHirsch) im Zigarenladen einkaufte ...

da war der Laden bald pleite.",,Aber sonst hatten wir viele Freun-de in Oppenheim, mein Vater dieArbeitskol I egen bei der Reichsbahnund ich in der Schule."Besonders eindringlich schilderteWalter Spiegel die OppenheimerPogromnacht vom November1938, in der das Inventar aller jü-discher Wohnungen zertrümmert,die j üdische Synagoge angezündetwurde. er mit seiner Schwester aufdem elterlichen Dachboden ver-steckt Todesangst verspürte. Nurdem resoluten Einsatz der Mutterund der Tatsache. daß sein Vaterals Arbeiter weithin bekannt war.verdankt Walter, daß die elterlicheWohnung verschontblieb. ,,Als dieMänner mit Axten den Ladenmeiner Großmutter zerstört hattenund anschließend die Treppe her-aufkamen, stellte sich meine Mut-ter ihnen in den Weg. ... Als die

Männer merkten, daß die WohnungNorbert Spiegel gehörte, ,das ist doch

ein Kollege von uns, ein Arbeiter wiewir', zogen sie wieder ab, ohne unsere

Wohnung zu zerstören. Unsere Woh-nung war die einzige jüdische Wohnungin Oppenheim, die nicht zerstört wurde.Aber ansonsten ging es schlimm zu inOppenheim."Die Ausreise war den Spiegels trotz viel-fältiger Bemühungen vor 1938 nichtgelungen, danach erst recht nicht. Aberdie Kinderwollte man wenigstens retten.

So schickte das jüdische WaisenhausFrankfurt die Kinder am 5. Januar 1939

mit dem Zu,gnach Basel. Erst in letzterMinute entschieden sich die Eltern dafür,

,,die kleine Henni doch lieberbei sich zulassen, so fuhr ich allein". CarolaMannheimerfuhrim gleichenZug. Henniaberwurde am 19. Oktober 1941 mitdenEltern nach Lodz deportiert. Von denI 1 25 Deportiefien aus Frankfurt an jenem

Tag waren die Spiegels die Nummern131 , 132, 133 (siehe Faksimile aus dempolnischen Staatsarchiv in Lodz). Allekamen in Polen um, die Großmutter inMinsk.

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Das Bild randalierender SA-Horden, derEindruck zunehmender Repressalien undDemütigungen in Oppenheim behieltWalter Spiegel bis heute trotz gleich-zeitigu gegenteiliger Erfahrungen undauch, obwohl erin einem Kindertransportin die Schweiz entkam, in der er denHolocaust überlebte, immer von derAbschiebung nach Deutschland unddamit in den Tod bedroht. Das Gefühl,durch Nazideutschland seine gesamte

Jugend und seine eigentliche Lebens-bestimmung (,,ich wollte immerRechtsanwalt werden, mußte in derSchweiz aber Bäcker lemen") verlorenzu haben, hat Walter Spiegel nie ver-lassen.

Als wir die Fotoausstellung über das

Getto in Lodz im jüdischen Museum inFrankfurt besuchten (die 1989 aufge-tauchten Farbfotos waren eine Sensati-on, sie waren von der Gettoverwaltunghergestellt worden als Werbematerialfür die deutsche Industrie !), wollte WalterSpiegel verständlicherweise nicht mit-fahren. Dafür brachten wir ihm die Ko-pie der Deportationsliste mit den Namenseiner Angehörigen mit. Trotz des damitverbundenen Schmerzes war er dankbarfür das Dokument. Uberhaupt war erbereit, bei der Aufarbeitung der Ver-gangenheit zu helfen, er war bereit, eineBrücke zu den Schülern von heute zuschlagen, und er munterte dazu auf, inder Aufarbeitung des Juden- undFremdenhasses nicht aufzuhören, dennnoch leben zu viele betroffene Opfer(und Täterl), als daß man damit auftrö-ren dürfe, und die Wiederholungsgefahrsei nie gebannt, wenn man in der Auf-merksamkeit nachlasse.

Vor allem das Abschlußgespräch zudieser Begegnung mit Dekan Weber imMartin-Luther-Haus brachte einen in-tensiven Gedankenaustausch überVergangenheitsbew älti gung,Neofaschismus und Rassismus inDeutschland, USA und Israel. Auch dieProblematik des Nationalismus in einemvereinigten Deutschland wurde ange-

sprochen. Bei den meisten Punkten er-gaben sich Ubereinstimmungen in den

Gedanken der Jugendlichen mit denen

Walter Spiegels. So war diese Begegnung

ein wichtiger Beitrag zur Verständigungund zum Verständnis.

Ende August 1990 kam dann der zweiteBesuch. Martin Neumann hatOppenheim als 16jähriger sogar erst am

30. Juli 1941 verlassen. Anhand seines

Martin Neumann erzählte uns, daß aucher 1937 die Oppenheimer Realschule,die Vorläuferschule unseres Gymnasi-ums, verlassen und in Mainz die jüdische

Bezirksschule besuchen mußte. NachAbschluß der Schulzeit absolvierte ereine Lehre und arbeitete bis April 1940

in einer Werkzeugfabrik in Frankfurt.Bis Juli 1941 lebte die gesamte Familieim ersten Stock des Hauses MainzerStr.l l. Im Erdgeschoß, wo sich heuteeine Drogerie befindet, gab es damals

einen kleinen Gemischtwarenladen, überden die Neumanns auch mit Lebens-mitteln versorgtwurden, ohne denLaden

betreten zu müssen. Auf diese Weiseerschienen die Neumanns kaum in derOffentlichkeit.Martin Neumann erzählte auch von der

,,Reichskristallnacht". Als er am 09.

November 1938 nach Mainz ntr Schule

kam. brannte diese. Daraufhin sei er

nach Oppenheim zurückgefahren undhätte gegen 10.00 Uhr in den an-grenzenden Häusern und WohnungenW affewazzien miterlebt. Gegen 1 3.00Uhr wurden die Wohnungen demolierlund das Inventar zerstört. Seine jüngere

Schwester, die mit Lungenentzündungim Bett lag, sollte geschont werden, dochgegen 15.00 Uhr wurden die Wohnun-gen erneut verwüstet. Am Morgen des

10. November hätte dann dieOppenheimer Synagoge gebrannt. Das

wisse er genau, da sein Vater der letzteSynagogenvorsteher gewesen sei. (Das

steht im Widerspruch zu unseren bishe-rigen Recherchen, vgl. DokumentationSeite 66ff.) In derNachtvom 10. auf den11. November wurden alle jüdischen

Männer im Alter von 16 bis 70 Jahren

verhaftet und am Morgen des 11. No-vember barfuß vom Marktplatz zwRheinufer getrieben, dort verprügelt und

Passes hat er diese aufregende Reiserekonstruiert:

Reviewing the passport, I note that my family and I left Oppenheimearly in the morning, perhaps 6 or 7 a.m. on July 30, 1941. l{e spentall of July 30 inc]ud'ing the night on the train to Berlin, and wearrived ear'ly in the morning. My parents stayed at an office of theJesish Community in Ber'lin, and my father procured visas and took careof other paperwork as indicated on the passport. I wandered around thecity. Thjs sumer I was again in Ber'lin and walked jn the same generalarea. There are now empty places where former'ly the mammoth ThirdReich administrative bui ldings were.

0n the late afternoon of July 31 we left by train in a special carfor emigres which was attached to a train to Paris. This calin pariswas attached to a train to Hendaye, the border town between France andSpain. The train crossed the border on August 2, 1941. l,{e stayedovernight in San Sebastion, Spain, and continued on a d'jfferent trajnfrom San Sebastion to L'isbon, Portugal. lle crossed into Portugal onAugust 4, and vre stayed'in Lisbon in a pension until we left August 8 onthe S. S. Exeter to New York. t,lle arrived in the States about five tosix days later.

The next time we are in oppenheim, I will try to contact you, andperhaps we can have a glass of wine together.

S i ncerel y,

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anschließend nach Buchenwalddeportiert. Martin Neumann hatte wieauch Walter Spiegel Glück, er war nurwenige Jahre zu jung für die Verhaftungund Verschleppung nach Buchenwald.Er konnte uns auch erkldren, warumweder sein Vater Carl N. noch sein OnkelAlex Mannheimer verhaftet wordenwaren. Sie waren beide schwer kriegs-versehrt und waren daher von den Ver-haftungen ausgenommen. Arthur Bock-mann dagegen entzog sich durch die

Flucht, siehe unten den Bericht von RuthFreitag überdiese,,Autofahrt". (vgl. auch

die Liste der Verhafteten in der Doku-mentation, Nachtrag Seite 7012: KarlHertz, 60; Edmund Hirsch,l6; JuliusMannheimer,l6; Norbert Spiegel, 38;Hermann Koch, 57.) Die fünf Verhafte-ten kehrten bald nach schweren Miß-handlungen wieder zurück. Über den

Tod Edmund Hirschs am 27.12.7938(vgl. Dokumentation und Jahrbuch '89

Seite 36.)

Um die Emigration, die immense Kostenverschlang, finanzieren zu können,wurde die familieneigene Wein- undSektkellerei verkauft. Martin Neumanndurfte als 16jähriger gerade 10 Reichs-mark mit auf die Reise nehmen. In den

USA angelangt, arbeitete er illegal, da erunter 18 Jahren war. Heute ist er Di-plomingenieur. Er sagt selbst, daß erzwar nJm Judentum stehe, aber nichtsehrreligiös sei. Auf die Frage, wie er zu

den Nazis gestanden oder was er vonihnen gedacht habe, antwortet er aus-

weichend. Er habe es, weil er so junggewesen sei, kaum begriffen, er hoffeaber, daß die heutige Jugend besser in-formiert sei und Ahnliches oder gar

Wiederholungen vermeiden könne.Martin Neumann ist heute amerikani-scher Staatsbürger, erfolgreicher Di-plomingenieur und hat vier erwachsene,ebenfalls erfolgreiche Kinder, ist selbstheute 65 Jahre alt und erklärt Amerikaals seine Heimat.Der Umstand, daß Martin Neumann als

l6jähriger direkt von Oppenheim viaBerlin-Lissabon in die VereinigtenStaaten kam, dort mit einer Ausbildungbeginnen konnte und nicht, wie WalterSpiegel, von 1939 bis 1941 die wesent-lichen Jugendjahre im kriegsüberzo-genen Europa in ständiger Angst vor derAuslieferung an Nazideutschland und ineiner aufgezwungenen Berufsausbildungzum Bäcker verbringen mußte, dieserglückliche Umstand führte zu einer ganz

anderen Verarbeitung des Holocaustes

durch Martin Neumann. Er lebte gleichnach der Ankunft im freien Amerika,unabhängig von den Eltern, sprach nurnoch Englisch, heiratete eine Amerika-nerin und ist insgesamt viel mehr

,,Amerikaner" geworden als WalterSpiegel.Zeigte sich Walter Spiegel doch sehr

verletzt über die geraubte Jugend, das

nicht frei gewählte Leben und lebte ermit einer deutschen Jüdin verheiratet,die ein ähnliches Schicksal erleidenmußte, doch mehrrückwärtsgewandtundkam besonders jetzt im Alter,,Heimwehnach Oppenheim" stärker zum Tragen,nachdem das amerikanische Leben denKindern galt, so schien uns Martin Neu-mann zukunftsorientierler, weltoffener,in seiner Entschlossenheit und zupak-kenden Art,,amerikanischer".

Weitere Kontakte mit Oppenheimer Ju-den sind bisher nur brieflich zustandegekommen. Zwei gegensätzliche Bei-spiele seien hier aufgeführt (weitereBriefbeispiele im Jahrbuch 1989).

Ruth Bockmann, Tochter des SPD-Stadtrates (bis Januar 1933) ArturBockmann, schilderte uns ihre Erinne-rungen an Oppenheim:

Hitler wurde als Reichskanzler am 30.

Januar 1933 gewdhlt. An diesem Tage

waren wir nicht zu Hause. Aber da icham ncichsten Tage Schule hatte, kamenwir morgens früh zurück. Als meinVatermit dem Auto in die Stadtfuhr, hielt ein

SA-Mann mit einem Revolyer das Autoan, nqhm meinen Vater + das Auto mit -mein Vater kam ins Gefängnis. In der-selben Nacht wurde in unser Haus ge-

schossen. Das war meine Einführung zuNazi-Deutschland + und meine Jugendwar vorbei, Mein Vater war auch einerder ersten im KonzentrationslagerOsthofen.Und dann kam der 10. Nov. 1938. EinVetter von mir wohnte in Mainz; ertelephonierte meinen Eltern, dal3 alleSynagogen brennen + wir sollen nichtzu Hause bleiben. Meine Mutter war amPlätzchenbacken, sie liess alles im Ofen- mein Vater holte das Auto + wirfuhrenlos. Das war das letzte Mal, daJS meineElternunser Haus sahen. Wirfuhren aufder Autobahn + und wussten nicht wo-hin. Nazi' s in Unifurm überall. Das Ben-

zin wurde immer weni ger. Ich mutJte zurnöchsten Tankstelle zurücklaufen + eine

Kanne Benzin holen, so dal3 mein Vaterhinfahren konnte. Mein Vater ging aus

dem Auto, hatte eine Unterhaltung mit

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einem Nazi, kam in das Auto zurück +wir fuhren langsam los - es war wie einWunder.D ann e nt s chi e den meine Elt ern, zu e inerSchwester meiner Mutter in der Ncihe

von Bad Mergentheim zufahren. Sie worverheiratet + wohnte in einem kleinenkatholischen Dorf. - Inzwischen war es

dunkel geworden. Ich mulSte zu ihremHaus gehen, um ausfindig zu machen,

ob wir bei ihnen übernachten können.

Wir hatten Gläck - die Synagoge warnicht angesteckt + die paar jüdischen

Familien, die dort wohnten, waren nichtbelcistigt worden. Mein Vater tele-phonierte mit meinem Vetter in Mainz.Er e tfuhr, daJ3 all e Syna g o g en brannten,jüdische Hciuser zerstört + die Judenvon kleinen Städten + Dörfem nachMainzflächteten. Jüdis che Hausb e sitzernahmen die F lüchtlin g e auf, gab en ihnenWohnungen + Essen.

Aber dann kam das Schlimmste. DieNazi's suchten meinen Vater tot oderlebendig. IchweiJ3 nicht mehr, wie langewir bei unseren Verwandten tvaren - es

war eine lange Zeit. Wenn dann endlichdie Nachricht kam, wir sollten nachMainz zuräckkommen. Ein Versteck beichristlichen Leuten wurde für meinen

Vater gefunden + eine jüdische Hausbe-sitzerin richtete zwei Bürortiume in ih-rem Hinterhof für uns ein. Auch kam einGe setz he raus, daJS Juden kein Auto mehrhaben könnten + die Juden hatten ihreHäuser, Geschcifte usw. von I2. Novem-ber an aufzurciumen.Ich fuhr mit zwei Mcinnern nachOppenheim mit einem Auto + war froh,daJ3 meinen Eltern dieser Anblickveschont war.Die Haustür war eingeschlagen, die

Treppe zerhackt. Alle Möbel in jedem

Zimmervetnichtet, das Klavier in 1000

Stücke wie alles andere. Daunendecken.

Ki s s en ze r s c hnitt en, B üche r, P o rze llan,Gemcilde, Teppiche, Vorhcing e, Wäsche,

alles zerstört. Wir suchten überall, was

noch 7u gebrauchenwar. Ich habe heute

noch KopJkissenbezüge + Bettücher mitunseren Blutflecken.Als meine Eltern mich im Juli 1939 zumFrankfurter Flughafen brachten, war es

das letzte Mal, da/3 ich sie sah.

Am 20. Mörz 1942 wurden meine ElternvonMainz, KaiserstraJ3e 32, als Nr. 516+ 517 nach Polen deportiert + mul3ten

dort ihr Leben lassen.

Ganz anders Carola Mertz, Tochter des

Osthofensträflings Karl Mertz, deren

Zwillingsschwester Lotte 1928 l7 jäI].Iig

verstorben ist. Carola schrieb HerrnKemp folgenden vielsagenden Brief:

New York, April 14, 1990

Sehr geehrter Hen Kemp,Ich habe nicht vor, in Korrespondenzmit lhnen einzugehen, aber ich willhöflich sein + Ihnen antworten. Ich habe

zu viel in meinem Leben miterlebt etwas,

was ichnie vergessenkann. Aberwas 50J ahr e zurüc k v o r gin g, w ill ich nicht w i e -

derholen. Ich gebe lhnen ein paar Er-eignisse, die wir erlebt haben + damitbin ich am Ende. Wie Sie schon schrie-ben mein Vater war in Osthofen, warauch im Gefängnis, weil er die Grriber

fotographiert hatte, wurde durch dieStadt g ffihrt. I c h v e rlieJ3 O pp enhe im imApril 1931 + kann mich nicht mehr er-innern, wann meine Eltern nach Mainzgezogen sind. In der Kristallnacht warich auch nicht mehr zu Hause. IchweiJ3,

er wdr in Buchenwald + hatte sptitereine Operation, von der er nicht aufge-wacht ist.M e ine Mutt er wurde nach T ere s ien st adtdeportiert + ist dort gestorben. Wir ha-bennach Ende bezahltfürVisa + habenunser erste s ge spartes Geld verloren.Das ist alles in kurz, was mit meinerFamilie yor7egangen ist + da ist nichts

j:'äs"-:

mehr dazuzufügen. Ich war in 1965 inOppenheim, mein Mann mu/3te ge-schciftlich nach Frankfurt + ich will es

nicht mehr sehen.

Herzlichste Grüsse Carola Baum