Post on 30-Mar-2019
Delirprävention perioperativ– was hilft?
Simone GurlitKlinik für Anästhesie und operative Intensivmedizin
Chefarzt: Prof. Dr. med. M. MöllmannSt. Franziskus-Hospital, Münster
Fachtagung „Delir im Krankenhaus“16.05.2013, Aachen
Demographischer und sozialer Wandel
Bevölkerungspyramide hinlänglich bekanntBevorstehender demographischer Wandel(?) - ist in den Akutkrankenhäusern längst angekommen
Fakt: mehr und mehr hochaltrige, multimorbide Patienten sind zu versorgen
Quer durch die Disziplinen (das „internistische Polytrauma“ bricht sich das Bein)
S. Gurlit, Münster
89-jährige Patientin
Kardiale Dekompensation mitDCMZ.n. Kunstklappen-AKE bei Aortenektasie und AI 4. Grades 2002
Persistierende Blutung Unterarm rechts nach Hauterosion bei Marcumar-TherapieChronische Niereninsuff. Stadium 3 nach KDOQI
Mikroalbuminurie
Große linksbetonte Struma nodosa Grad IIISzintigrafisch V.a. kalten Knoten
HWS-Syndrom mit Zervikalgien und Myogelosen bds.Z.n. stabilitätserhaltender Spinalkanal-Dekompression L4/L5 mit
Z.n. Neurolyse L5 beidseits 2007
Idee: Hüft-TEP rechts ...S. Gurlit, Münster
Demographischer und sozialer Wandel
Immer häufiger: „Nebendiagnose Demenz“Noch häufiger: kognitiv eingeschränkte Patienten ohne entsprechende Diagnose (= Problem nicht bekannt)
organisatorisch – dieser Patient stört unsere Abläufefinanziell - dieser Patient bindet Ressourcen; das ist so nicht in der Vergütungsstruktur abgebildet
S. Gurlit, Münster
St. Franziskus-Hospital
Gefäß-, Bauch- und Endoprothetikzentrum16 Fachabteilungen, ca. 30.000 Narkosen pro Jahr
Patienten über 65 Jahre: 40%
Keine geriatrische / gerontopsychiatrische Fachabteilung!
Ältere Patienten nach Bagatelltrauma als Langzeit-Intensivpatienten wegen Delir „das gibt‘s ganz oft bei alten Leuten nach einer OP“
S. Gurlit, Münster
Delir
Organisches Hirnsyndrom mit• 1. Störung von Bewußtsein und Aufmerksamkeit (Konzentration)
• 2. Störung der Kognition (Halluzination)
• 3. Psychomotorische Störungen (hyperaktiv/hypoaktiv)
• 4. Affektive Störungen (depressiv)
• 5. Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus (nächtl. Exazerbation)
• Wichtig:• akuter Beginn – wer sieht das?• fluktuierende Symptomatik (Tagesschwankungen) – wer erkennt
das?• hyperaktives / hypoaktives Delir – für wen ist das wichtig?
S. Gurlit, Münster
S.
G
• Prävalenz: 10 – 20% der über 65-jährigen bei Aufnahme
• Inzidenz bei über 70-jährigen während des stationären Aufenthaltes: 30-50%
• Nach „hüftgelenksnaher Fraktur“bei über 65-jährigen: 44 – 61%
• aber: rund 60% der Delirien bleiben unerkannt
• ... und dann?Verlängerung des stationären AufenthaltesPoststationär höhere InstitutionalisierungsrateHöhere Mortalität
Wer merkt das?
Delir – Häufigkeit und Relevanz
Delir – Risikofaktoren Förstl, 2004
Hohes LebensalterDemenzSomatische KomorbiditätHör-/SehbehinderungDehydratationAnämieMalnutritionNiedriges SerumalbuminDepression, ÄngstlichkeitAlkoholismusBenzodiazepinabususSchmerzLeichte kognitive StörungEinsamkeitNiedrige Intelligenz
Fremde UmgebungKörperliche BeschränkungImmobilisationStörung d. BiorhythmusPsychoaktive MedikamenteEntzugElektrolytentgleisungAkute InfektionArterielle HypotonieHypo- u. HyperglykämieOrganversagenRe-Operation, BlutverlustIntensivpflichtigkeitAnticholinergikaChirurgischer Eingriff
S. Gurlit, Münster
Hohe Prädisposition Geringe Noxe
Geringe Prädisposition Hohe Noxe
Risikofaktoren vs Krankenhausalltag
Wiederholte RaumwechselLaute und unruhige SituationenDiagnostische Maßnahmen zu Ruhe- und EssenszeitenKatheteranlageInvasiv-endoskopische Diagnostik u. TherapieMedikamentenumstellungUnkritische Sedativa-Gabe zur Nacht
S. Gurlit, Münster
Medikamente mit delirogenem Potenzial
Antipsychotika BenzodiazepineParkinson-Medikamente AntidepressivaAntikonvulsiva BronchodilatantienAnalgetika: Opioide, NSAR, ASS Kortikosteroide HerzglykosideAntiarrthythmika AntiinfektivaAntihypertensiva: ACE-Hemmer, Diuretika
S. Gurlit, Münster
Was tun?
2001 Modellprojekt des BMG (170.000 €):
MaMaßßnahmen zur Verhinderung eines nahmen zur Verhinderung eines perioperativenperioperativen AltersdelirsAltersdelirs
Prinzip: eine vertraute, besonders geschulte Bezugsperson (Altenpflegerin) begleitet den Patienten perioperativ
Ambulanz / Rö-EKG-etc. / Schleuse / Einleitung / OP /ICU / periphere Station
S. Gurlit, Münster
Ergebnisse
S. Gurlit, Münster
Diagnosis Patients
(n)
Age
(mean, yrs)
Delirium
(n)
Delirium
(%)
Emergency surgery 444 81.57 34 7.66
Femoral neck # 389 82.33 27 6.94Humeral # 55 80.81 7 12.7
Planned orthopaedic surgery 556 78.28 28 5.04
Hip arthroplasty 388 78.10 21 5.41Knee arthroplasty 168 78.45 7 4.17
Vascular surgery 603 77.86 40 6.63Aortic aneurysm 79 74.34 6 7.60
Carotid artery 163 78.35 4 2.45Others 361 80.88 30 8.31
Major abdominal surgery 305 79.88 22 7.21
Others 561
2469 79.02 142 5.75
Konsequenz
Nach Ablauf der Förderung durch das BMG führt das SFH die Arbeit seit Jahren weiter (rechnet sich!)
2007: Förderpreis zur Optimierung der Pflege psychisch kranker alter Menschen (FOPPAM), verliehen von der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und –psychotherapie (DGGPP)2008: Gesundheitspreis NRW (1. Platz), verliehen vom Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales2012: www.mgepa.nrw.de: Broschüre als Download
S. Gurlit, Münster
Versorgungsqualität
Entscheidend: Grad kognitiver Einschränkungen und demenz-/depressionsbedingter Verhaltens-auffälligkeiten vor dem KH-Aufenthalt (wird z.Zt. nicht untersucht!)
Fremde Umgebung und erzwungene Untätigkeit im Krankenhaus führen dann zu
Verlust von alltagspraktischen Fähigkeiten,komplikationsbehafteten Verläufen, längerer Verweildauer im Krankenhaus und häufig auch dauerhafter Abhängigkeit von institutioneller Pflege
S. Gurlit, Münster
Risiko: Notfallaufnahme
Leuchtturm Demenz: Risiko „Operation“ bei vorbestehender kognitiver Einschränkung (2008-2010)Einschlußkriterien: Notfall, Unfallchirurgischer Patient, OP-pflichtige Fraktur, Alter 65+
kognitiver Test (in der Ambulanz, TFDD)
Bei Auffälligkeiten: Betreuung (etabliertes Konzept) + ambulantes Angebot (hochfrequente Physiotherapie, Pflegedienst für max. 10 d)Vergleichsklinik: Screening, Routineprocedere
S. Gurlit, Münster
Ergebnisse
Einschlußkriterien erfüllt: n=554 PatientenEingeschlossen: n=348 (KH1 n= 265; KH2 n=83)Nach hüftgelenksnaher #: n=254
Aufnahmekognition auffällig bei über 70%; in beiden KH mehr als 50% deutlich kognitiv eingeschränktPat. in KH 1 signifikant mehr Vorerkrankungen als Pat. in KH 2Delir-Rate (nur erfasst in KH 1): 11.38%
S. Gurlit, Münster
Ergebnisse Leuchtturm
betreut nicht betreut
Verstorben im KH 3.25% 12.12 %(p=0.04 bzw. 0.06)
Verweildauer 15.6 d 20.3 d (p=0.013)Kognitive
Verbesserung zur Entlassung
78.15% 58.62% (p=0.03)
Weitere kognitive Verbesserung nach
6 Monaten
40.4% 20% (p=0.058)
S. Gurlit, Münster
Kosten-Nutzen-Analyse
Mikro- u. makroökonomisch effektiv und effizientEinzelwirtschaftlich: durch Liegezeitverkürzung, weniger risikobehaftete Verläufe, geringere Ressourcenbindung sogar überkompensiert (Deckungsbeitrag)Kapazitäten für Behandlung weiterer Patienten
Echter Mehrwert für Patienten und Angehörige wird zu wettbewerbsrelevantem Vorteil im Umland
S. Gurlit, Münster
Zusammenfassung
Entscheidende Weichenstellung für den Patienten im Krankenhaus
Kognitiv eingeschränkte oder demente Patienten präoperativ systematisch identifizieren
Perioperative Versorgung auf diese vulnerable Patientengruppe abstimmen(berufsgruppenübergreifend!)
S. Gurlit, Münster
Perioperatives Management
„dran denken“ – also geriatrische Kompetenz von Anfang anAnästhesie (Vorbereitung OP-Tag / Nahrungskarenz, Einleitung, intraoperatives Management, Aufwachraum, ICU, leitliniengerechtes Delir-Screening,...)Chirurgie (Planung OP-Reihenfolge, belastungsstabile Frakturversorgung...)Geriatrie-Team o.ä. (perioperative Betreuung)Schmerztherapie / NeurologiePhysiotherapieKrankenhausapotheker: „die Pharmazeutische Aufnahme“
Plausibilitätskontrolle, Interaktionscheck, Dosiskontrolle, Anpassung auf Krankenhausmedikation
S. Gurlit, Münster