Post on 19-Mar-2016
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DENIS GUILLOMO
BARAQUES —BERÜHRUNGEN
Berührungen waren in der Kunst schon immer mit einer besonderen Magie verbunden. Auf Michelangelos
berühmtem Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle ist es der ausgestreckte Zeigefinger Gottes, der Adam durch
seine nahende Berührung das Leben einflößt und auf dem Porträt der «Seconde École de Fontainebleau», das
Gabrielle D’Estrées und ihre Schwestern im Bad darstellt, wird durch die Berührung zugleich ein erotisches Spiel
von Distanz und Intimität eröffnet. Berührungen
sind – allgemein gefasst – lebendige Schnittpunkte,
welche sowohl Figuren als auch Bilder in ihrer
wechselseitigen Beziehung zueinander darzustel-
len vermögen und einen Zusammenhang herstel-
len, ohne jedoch die Individualität der einzelnen
Figuren oder der einzelnen Werke aufzuheben.
Denis Guillomo kreiert durch die vielseitigen Berührungen individuell gestalteter Einzel-
stücke ein Ensemble, das besonders in Hinblick auf die Licht-, Form- und Raumgestaltung
als Grenzerfahrung zu verstehen ist. Im Mittelpunkt seines Werkes stehen dabei – nach
wie vor – der Mensch und die ihn prägenden Erfahrungen des Krieges. Der französische
Begriff «baraque», der charakterisierend eines seiner Leinwand Module tituliert, galt als
allgemeine Bezeichnung der Flüchtlingslager infolge des Krieges. Die Gefangenschaft der
Menschen und das eingepfercht Sein auf engstem Raum schaffen einen Lebensraum ohne Horizont und Perspek-
tive, den Denis Guillomo in seinen Collagen reflektiert. Eine Lebenserfahrung, die den aus Algerien stammenden
Künstler und seine Kunst nachhaltig geprägt hat. Lichtblicke zeigen sich im-
mer wieder in der Öffnung des Raumes. Sie verweisen sinnbildlich auf das
Wegfallen der territorialen Grenzen und auf die Hoffnung auf ein Leben in
Europa, das besonders von der ärmeren Bevölkerungsschicht in Afrika als
funkelndes Wunderland phantasiert wird. Doch die strahlende Hoffnung auf
eine bessere Welt, die ihren Ausdruck in der leuchtenden und reflektierenden
Oberfläche der Spiegelfoliencollagen wiederfindet, droht an einer Realität
zu scheitern, die mit dem ersehnten Leben im fernen Europa nichts mehr ge-
mein hat. Die Installation der verschiedenen Materialien und geometrischen
Formen ermöglicht dem Betrachter eine aktive Licht- und Raumerfahrung.
Die Spiegelfolie bezieht den Betrachter einerseits in die Komposition mit
ein und suggeriert andererseits die verzerrte Wahrnehmung Europas, die
ausgehend von der Position des
Betrachters als körperliche Verzerrung des eigenen Körpers empfun-
den wird. Die mit schwarzem Lack aufgetragenen schrägen Streifen
werfen die Raumkonstruktionen immer wieder auf ihre Grenzen und
somit auf ihre innere Geschlossenheit zurück und verweisen im übertragenen Sinne auf die territorialen Grenzen.
Die schwarzen geometrischen Formen stellen die Kehrseite der hoffnungsvollen Lichtblicke dar und spielen auf die
Bruchstelle zwischen Illusion und Realität an, darüber hinaus bestimmt der Hell-Dunkel-Kontrast überwiegend die
Raumkompositionen. Die minimale Sicht auf die leeren Lagerräume, welche sich häufig lediglich durch einen Licht-
einbruch als solche zu erkennen geben und die radikale Farbreduk-
tion schaffen eine Reihe von stilisierten Räumen, die dem Betrachter
das eingeschränkte Leben in einer «baraque» näher bringen sollen.
Denis Guillomo greift in Hinblick auf die Ästhetik ganz bewusst
auf das von Theo van Doesburg geprägte Konzept der konkre-
ten Kunst («Art concret») zurück und auf sein berühmtes holländisches Vorbild Piet Mondrian. Im Mittelpunkt
steht für den Künstler dabei die Wirkungsästhetik der Kunst der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. So
ermög-liche das Wechselspiel von geometrischer Form, Licht und Schatten eine unmittelbarere Kunsterfahrung
als dies bei narrativen Bildkompositionen der Fall ist. Während der Betrachter bei narrativen Bildkompositionen
sowohl auf seine Erfahrung als auch auf sein weltliches Wissen zurück-
greift und die Interpretation in erster Linie geistig erschließt, wird die
nicht-darstellende und abstrakte Kunst primär durch die Empfindung des
Betrachters erschlossen; durch ein immediates Einfühlen in die Bildkomposition.
Diese Rezeption macht sich Guillomo zunutze, indem der Betrachter
sich nicht nur in die Ästhetik einfühlen kann, sondern selbst mit in die Komposition einbezogen wird. Der Titel
«Berührungen» betrifft folglich nicht nur die Bilder, sondern zugleich den Betrachter, der von den Bildern «berührt»
werden soll. Dadurch wird das brisante sozial und politisch motivierte
Thema gefühlsmäßig erfahrbar. In Hinblick auf die Zielsetzung, unter-
scheidet sich Guillomos Konzept von den Doktrinen der konkreten
Kunst vor allem durch die Betonung des
Gefühls und der Erfahrung, welche nach
van Doesburg durch die an die Mathema-
tik angelehnten geometrischen Formen
gerade ausgeklammert werden sollten,
zugunsten einer rein geistigen Dimension.
Die Bilder selbst stellen schließlich wie-
derum menschliche Erfahrungen und Gefühle dar, die sich innerhalb der Collage auf
engstem Raum berühren und in ihrem Empfinden widerspiegeln. Das Material besteht
überwiegend aus wiederverwendetem Material und Materialresten von schwarzem und
rotem Holzlack, Kreppklebeband, transparentem Klebeband, Papierresten, Leinwän-
den sowie Plastik-, Isolier- und Spiegelfolie. Durch die verschiedenen Materialien wer-
den reflektierende und fein strukturierte Oberflächen geschaffen, die ihr Aussehen –
ähnlich einem Chamäleon – abhängig von der Umgebung, von der
Position des Betrachters und den Lichtverhältnissen, verändern.
Während die Spiegelfolie und das transparente Klebeband reflek-
tierende Flächen entstehen lassen, wird durch den schwarzen bzw.
roten Lack auf Plastik- und Spiegelfolie eine organisch anmutende
Oberfläche erzeugt, die an die natürliche Struktur von Rinde oder
Haut anklingt. Die individuelle Gestaltung der einzelnen Elemente
zeigt sich insbesondere anhand der Oberflächenstruktur, die sogar
bei analogen Bildern unterschiedlich gestaltet ist. Das reflektierende
Spiel der Folien und Bilder erstreckt sich nicht nur innerhalb einer
Collage, sondern wird wie in einem Spiegel auf die andere Wand
projiziert, auf welcher sich die gleichen geometrischen Formen und
Folien wiederfinden. Der Betrachter findet sich in der Mitte des Raumes in einem Spiegelsaal wieder, der sowohl
den Betrachter als auch sich selbst reflektiert und multipliziert, wodurch die Raumkonstruktion immer wieder
auf sich selbst und den Betrachter zurückverweist. Die Hoffnung auf die Überwindung der territorialen Grenzen
sowie das Spiegelbild des Individuums in einer fernen Welt manifestieren sich als verzerrte und illusionistische
Trugbilder, die ostinat auf die Grenzen und die Grenzerfahrung zurückgeworfen werden aus denen sie resultieren.
Die abstrakt gehaltenen Raumkonstruktionen greifen die fotorealistischen Arbeiten thematisch wieder auf, rücken
jedoch die Raumerfahrung stärker in den Vordergrund. Dadurch tritt die inhaltliche Provokation – wie sie
sich zum Beispiel in dem Werk «Déjeuner sur l’herbe II» (Tusche auf Leinwand, 2007/2008) in Anknüpfung
an Édouard Manets gleichnamiges Gemälde offenbart – zugunsten einer vom Betrachter erfahrbaren Raum-
installation zurück. Anstelle der Dokumente, Zeitungsau-
schnitte und Vor-Ort-Fotographien dienen dem Künstler
nun überwiegend geometrische Formen als Vorlage, die
an die Formensprache Kasimir Malewitschs erinnern.
Die früheren Arbeiten Denis Guillomos sind auf seiner
Homepage unter www.denisguillomo.de zu sehen.
Denis Gui l lomowww.denisgui l lomo.deinfo@denisgui l lomo.de +49.177. 2 148 691
TextOlga Goro lo lga .goro l@web.de
Fotos und Gesta l tungAlex Ketzer & Ina Kur thenwww. a lexketzer.comhel lo@alexketzer.com
Bi ldbearbei tungMar t in Johnamar t in johna@gmx.de
Erste Auf lage Köln im Januar 2012
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