Depressionen und Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen · -Epidemiologie - Ätiologie -...

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Depressionen und

Angststörungen bei Kindern und

Jugendlichen

Dr. Joana Straub (M.Sc.), ltd. Psychologin

Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin

18.01.2018

- Epidemiologie

- Ätiologie

- Behandlung

-Epidemiologie

- Ätiologie

- Behandlung

der Depression

der Angst

Agenda

Epidemiologie/Symptome der Depression

ICD-10 Kriterien

Depressive Episode (F 32): Symptome über 2 Wochen

A Depressive Stimmung

B Interessensverlust/ Freudeverlust

C Kein Antrieb/ erhöhte Ermüdbarkeit

- Vermindertes Selbstwertgefühl/ Schuldgefühle

- Wiederkehrende Gedanken an den Tod

- Konzentrations-/ Aufmerksamkeitsprobleme

- Psychomotorische Agitiertheit/ Hemmung

- Schlafstörungen

- Appetitverlust

ICD-Kriterien

Leichte Episode F 32.0

- Mindestens 4 Symptome über mindestens 2 Wochen, davon mindestens 2 der Symptome A,B,C

- Patient kann soziale, häusliche und schulische/berufliche Aktivitäten unter Schwierigkeiten fortsetzten, gibt alltägliche Aktivitäten nicht vollständig auf

Mittelgradig depressive Episode F32.1

- Mindestens 6 Symptome über mindestens 2 Wochen, davon mindestens 2 der Symptome A,B,C.

- Patient kann berufliche/schulische Aktivitäten nur unter erheblichen Schwierigkeiten fortsetzten.

Schwere depressive Episode ohne psych. Symptome F32.2

- Mindestens 8 Symptome über mindestens 2 Wochen, davon alle der Symptome A,B,C

- Patient ist in der Regel nicht mehr in der Lage, soziale, häusliche und schulische/berufliche Aktivitäten fortzusetzen.

Schwere depressive Episode mit psych. Symptomen F32.3

Symptome im Vorschulalter

Im Vorschulalter:

• Trauriger Gesichtsausdruck

• Verminderte Gestik und Mimik

• Leicht irritierbar und äußerst stimmungslabil

• Mangelnde Fähigkeit sich zu freuen

• Introvertiertes, aber auch aggressives Verhalten

• Vermindertes Interesse an motorischen Aktivitäten

• Essstörungen bis zu Gewichtsverlust/- zunahme

• Schlafstörungen (Alpträume, Ein- und Durchschlafstörungen)

Symptome im Schulalter

Im Schulkindalter:

• Berichten von Traurigkeit

• Suizidale Gedanken

• Befürchtungen, dass Eltern ihnen nicht genügend Beachtung schenken

• Schulleistungsstörungen

• Dysfunktionale Kognitionen

Im Pubertäts- und Jugendalter:

• Vermindertes Selbstvertrauen

• Apathie, Angst, Konzentrationsmangel

• Leistungsstörungen

• Schwankungen des Befindens

• Psychosomatische Störungen

• Gereiztheit

Prävalenz

• Vorschulkinder: <1 % (Lebenszeitprävalenz)

• Grundschulkinder: 1- 2 % (Lebenszeitprävalenz)

(Grön & Petermann, 2008)

• Jungendliche

• 5,6% (Meta-Analysen mit 1–12 Monatsprävalenzen) (Costello et al. 2008)

• 18% (Lebenszeitprävalenz) (Lewinsohn et al. 1993)

• Erwachsene

• 3,1-10,1% (Median: 6,9%) (Wittchen & Jacobi, 2005)

� Prävalenzrate von Jugendlichen gleicht sich der von Erwachsenen an

Geschlechterunterschiede:

• Kinder bis 13 Jahre (m=w)

• Jugendliche ab 13 (w>m) (Rao & Chen, 2009)

Verlauf

• Durchschnittsalter der Erstmanifestation einer depressiven Episode: 11,8 (Essau, 2000) - 14.9 Jahren (Lewinsohn et al, 1994)

• Gemittelte Dauer einer depressive Episode: 8 Monate (Mehler-Wex, 2008)

• Remissionsrate: fast die Hälfte innerhalb eines Jahres (NICE 2005)

• Wiederauftretensrate:

• nach 1 Jahr: 20-60%

• nach 5 Jahren: 70% (Birmaher et al. 2002; Costello et al. 2002)

• 45% der Teenager, die sich schon einmal von einer depressiven Episode erholt hatten, erkrankten erneut im Alter zwischen 19 und 24 Jahren

• 62.4% Widerauftretensrate im Erwachsenenalter, wenn MDD erstmalig im Jugendalter auftrat (Fombonne et al. 2001)

• Wenn Episoden im Jugendalter länger als 6 Monate anhalten, persistieren Symptome häufig bis ins Erwachsenenalter (Patton et al.

2014)

Komorbiditäten

42.8% der Jugendlichen mit Major Depression weisen in ihrer Lebenszeitdiagnose eine weitere psychische Störung auf (Lewinsohn et al. 1998)

− Angststörung: 21% (z.B. Trennungsangst; spezifische Phobie)

− Verhaltensstörungen: 12.4% (z.B. Störung des Sozialverhaltens)

− Psychosen (viele Schizophrenie-Patienten zeigen im Verlauf eine manifeste depressive Symptomatik)

− Störungen durch Substanzkonsum: 20.1%

− Essstörungen: 2.6%

Depression geht häufig einher mit

• einem niedrigen psychosozialen Funktionsniveau

• sexuellem Risikoverhalten

• gesundheitlichen Problemen

• einem erhöhten Suizid-Risiko (Saluja, et al., 2004) was in Europa die zweithäufigste Todesursache bei Jugendlichen darstellt (Steele & Doey, 2007)

Begleitsymptome

Ätiologie

Bio-psycho-soziales Erklärungsmodell

Depression

sozialeFaktoren

biologische Faktoren

psychologische Faktoren

Demographie

• Alter (steigendes Risiko im Jugendalter) (Angold et al. 1998)

• Weibliches Geschlecht

Anomalien des Hirnstoffwechsels

• Mangel an Serotonin; veränderte Empfindlichkeit postsynaptischer Rezeptoren)

Genetische Veranlagung

• Einfluss der Erblichkeit liegt zwischen 30% und 80% (Rice et al, 2002)

• Kinder depressiver Eltern haben ein sechsfach höheres Risiko selbstdepressiv zu werden (Essau, 1999)

• Wechselwirkung aus kurzer Allelform des Serotonin-Transporter-Gens 5-HTTLPR und Stressor (Eley et al. 2004)

Endokrinologische Veränderungen

• ↑ Cortisol awakening response � ↑ Depressionsriko (Adam et al. 2010)

Pathogenese: biologische Faktoren

Dysfunktionale Kognitionen (Beck 1976):

• Dysfunktionale kognitive Schemata: • Kognitive Schemata repräsentieren vergangene Erfahrungen einer Person

• aktuelle Stimuli aus der Umwelt werden dysfunktional interpretiert

• Negative kognitive Triade: negative Sicht der eigenen Person, der Welt und der Zukunft

• Kognitive Fehler: z.B. Personalisieren, Schwarz-Weiß-Denken, Minimieren, Maximieren

Pathogenese: psychologische Faktoren

Verstärkungstheoretisches Modell (Lewinsohn, 1973):• Wichtig ist dabei die Gesamtheit der positiven Verstärkung (Lob,

Anerkennung) das ein Individuum durch sein Umfeld erfährt

• Daher ist ein Umfang potenziell verstärkender Ereignisse und Aktivitäten wichtig

Pathogenese: psychologische Faktoren

Erlernte Hilflosigkeit (Seligman, 1975):

• Wiederholt werden negative Situationen erlebt, die dem Betreffenden das Gefühl geben, dass das Leben unkontrollierbar sei

• internale, stabile, globale Attribution negativer Ereignisse

Pathogenese: psychologische Faktoren

Pathogenese: soziale Faktoren

Familiäre Faktoren• Geringe Bindungsqualität zwischen Eltern und Kind (z.B. mangelnde

Fürsorge)

• Trennungen und Verlusterlebnisse (z.B. Tod eines Familienmitglieds)

• Psychische Erkrankung eines Elternteils

• Weitere familiäre Belastungen wie Ehestreitigkeiten, Armut und Missbrauch

Pathogenese: soziale Faktoren

Kontakte und Beziehungen zu Gleichaltrigen• Geringere soziale Kompetenzen

• Weniger enge Beziehungen und Kontakte zu Gleichaltrigen

• Ablehnung und Isolation

• Belastende Erfahrungen im Freundeskreis (z.B. Streit, Trennung, Krankheit, Tod)

Pathogenese: soziale Faktoren

Kritische Lebensereignisse und Stress• schulische Überforderung

• körperliche Erkrankungen/Krankenhausaufenthalte

• Misshandlungs- und Missbrauchserfahrungen

• Umzüge

� 77% der Jugendlichen gaben an, dass ihre Depression eine Reaktion auf stressreiche Erfahrungen war (Essau et al. 2000)

� Soziale Unterstützung und liebevolles Umfeld wiederum stellen protektive Faktoren dar (Kaufman et al. 2004)

Behandlung der Depression

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) - Leitlinien 2013

DGKJPP, 2013

Pharmakotherapie

• trizyklische Antidepressiva (TZA): bei Kindern keine Wirksamkeit nachgewiesen

• Selektive- Serotonin Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) (z.B. Fluoxetin)

• Wirksamkeit nachgewiesen

• Zugelassen ab 8 Jahren für die Behandlung von Depressionen

• Besonders zu beachten Nebenwirkungen: Aktivierung (Erhöhung von Suizidgedanken, wird vielfältig diskuttiert)

• Johanniskraut (Wirksamkeit noch nicht bei Kinder und Jugendlichen überprüft worden)

! CAVE: Wechselwirkung mit der Pille

Psychotherapie

Straub et al. 2014

Epidemiologie der Angst

Angststörungen laut ICD-10

F40 Phobische Störungen

F40.0 Agoraphobie

F40.1 Soziale Phobie

F40.2 Spezifische Phobie

Angststörungen laut ICD-10

F41 Sonstige Angststörungen

F41.1 Generalisierte Angsstörung

F41.2 Angst und depressive Störung, gemischt

F42 Zwangsstörung

Angststörungen laut ICD-10

F43 Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen

F43.0 Akute Belastungsreaktion

F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung

F43.2 Anpassungsstörungen

Emotionale Störung des Kindesalters

Paula, 7 Jahre weicht seit einigen Wochen ihrer Mutter kaum noch von der Seite. Ständig befürchtet sie, ihre Mutter könnte auf dem Weg zum Einkaufen von einem Auto überfahren oder entführt werden und nicht mehr zu ihr zurückkommen. Häufig träumt sie davon wie sie gewaltsam von ihrer Mutter getrennt wird, Die Mutter muss all ihre Überzeugungskraft aufbringen, damit Paula überhaupt zur Schule geht, aber auch das klappt nicht immer. Auch ihrer Freundinnen, mit denen sie früher gerne spielte, besucht sie nicht mehr, aus Angst, dass ihrer Mutter in der Zwischenzeit etwas Schlimmes zustoßen könnte.

Emotionale Störung des Kindesalters

Prävalenz von Angststörungen im Kindesalter

• 75,8% der Kinder geben an, sich vor mindestens einer Situation zu fürchten (Muris et al. 2000)

• Ängste sind häufige Störungen: ca. 10% der Jugendlichen erfüllen irgendwann in ihrem Leben die diagnostischen Kriterien einer Angststörung (Ihle und Esser 2002)

• Aber: Ängste sind nicht immer Störungen

− Entwicklungspsychologisch bekannte „normale“ Ängste:

z.B. Fremdeln und Dunkelangst

Ängste Lebenszeit-Prävalenz

Phobie 3-11%

Zwangsstörung 0,4-2,1%

PTBS 1,3%-6%

Panikstörung 1%

Komorbiditäten bei Angststörungen im Kindesalter

Geschlecht:

• Mädchen weisen ca. 2- bis 4-mal höhere Raten von Angststörungen auf als Jungen (Canals et al. 1997)

• Zwangsstörung ähnlich verteilt zwischen Geschlechtern (Rheinherz et al. 1993)

• Erklärungen: genetisch oder biologisch bedingt, verschiedene Erfahrungen, soziale Rolle

Komorbiditäten:

• 70,1% der Personen mit Angst erfüllten auch die Kriterien einer anderen psychischen Störung

− Depression (Lebenszeitprävalenz: 30,2%)

− Somatoforme Störung (Lebenszeitprävalenz: 26,6%)

− Substanzmissbrauch (Lebenszeitprävalenz: 11,5%)

− Externalisierende Störungen (Lebenszeitprävalenz: 23-69%)

Ätiologie der Angst im Kindesalter

Bio-psycho-soziales Erklärungsmodell

Angst

Umwelt-faktoren

Biologische Faktoren

Psychische Faktoren

• Genetik− 40,4% der Eltern von Kindern mit einer Angststörung haben ebenfalls eine

Angststörung

• Dysfunktionale Gehirnaktivierung:− Überaktivität der Amygdala: Entstehung und Aufrechterhaltung der Angst

− Hippocampus: wichtige Rolle bei Erlernen und Löschen von Angstreaktionen

• Neurotransmittersysteme:− Veränderte Aktivierung des noradrenergen, serotonergen und

dopaminergen Systems

• Beteiligung der Hypophysen-Hypothalamus Nebennierenrinden-Achse

• Persönlichkeitsvariablen (behavioral inhibition)

Pathogenese: Genetische/ biologische Faktoren

• Konditionierung• Angst ist evolutionär sinnvoll

- Evolutionär nachvollziehbare Ängste werden schneller erlernt (preparedness) (Angst vor Schlange versus Angst vor dem Autofahren)

• Verzerrte Informationsverarbeitung- Aufmerksamkeitsverschiebung auf bedrohliche Reize

- Neigung, angstrelevante Reize als bedrohlich zu bewerten

- Neigung, bedrohliche Reize besser zu erinnern

Pathogenese: familiäre Faktoren

• Elterlicher Erziehungsstil (z.B. Überbehütung)

• Modelllernen

Pathogenese: Kognitiv-emotionale Faktoren

Behandlung der Angst im Kindesalter

Behandlung von Angststörungen im Kindesalter

• Domäne psychotherapeutischer Interventionen

• Wichtig Einbezug der Eltern (Vermeidung von störungsaufrechterhaltendem Verhalten)

Therapieelemente

• Psychoedukation

• Angstmodell und Angstkurve

• Exposition mit Reaktionsverhinderung

• Zusammenhang körperlicher Symptome mit Angst

Behandlung von Angststörungen im Kindesalter

• In schweren Fällen kann eine medikamentöse Therapie notwendig sein

• In Deutschland sind nur wenige geeignete Medikamente für die Behandlung von Angsterkrankungen (Antidepressiva) im Kindes-und Jugendalter zugelassen

- Imipramin

- Comipramin

- Fluvoxamin (SSRI)

• Benzodiazepine sind für die Akutbehandlung von Angstzuständen im Kindes- und Jugendalter indiziert (CAVE: Abhängigkeitspotential)

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Danke für Eure Aufmerksamkeit!