Der Text – von der Textlinguistik zur Schreibprozessforschung In der Schreibforschung gibt es zwei...

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Der Text – von der Textlinguistik zur Schreibprozessforschung

In der Schreibforschung gibt es zwei Betrachtungsweisen:

1. Produktorientiert (textlinguistische Betrachtungsweise)

2. Prozessorientiert (kognitionspsychologische Betrachtungsweise)

1. Historische Einordnung

2. Textualität

3. Textualitätshinweise

1. Historische Einordnung

Der Text – von der Textlinguistik zur Schreibprozessforschung

Textlinguistik

Begriffsdefinition:

Befasst sich mit der strukturellen und prozessualen Konstitution von der Einheit „Text“.

Gegenstand sind zum einen satzübergreifende grammatische, pragmatische, semantische

Eigenschaften sowie kognitive Aspekte der Texterstellung und des Textverstehens (von

Text als Produkt, zu Text als Prozess).

Die Textlinguistik entstand in der Mitte der 1960er Jahre als Erweiterung der

Satzgrammatik zur Textgrammatik. Durch die Entwicklung der Pragmatik wurde der

kommunikative Aspekt mit Merkmalen wie Textfunktion / Textthema /-rhema gefördert, die

den textgrammatischen Regularitäten auf der sinnkonstituierenden Ebene der Kohärenz

zugrunde liegen.

Der Text – von der Textlinguistik zur Schreibprozessforschung

Den Textbegriff der Textlinguistik gibt es seit den 60er Jahren.

→ bis dato war der Satz die oberste Bezugseinheit

► Übergang zur Textgrammatik, weil viele (grammatische) Phänomene nicht geklärt werden konnten

► Texte wurden von da an als phrasen- bzw. satzübergreifende (tranphrasische) Einheiten bezeichnet

► dadurch wurde der Text zum „primären sprachlichen Zeichen“ / oberste, unabhängige linguistische Einheit

Der Text – von der Textlinguistik zur Schreibprozessforschung

- Strukturell-grammatische Textbeschreibung(z.B. Harweg, 1968, Pronominalisierung)

- semantische-strukturelle Textbeschreibung(z.B Greimas, 1971, Isotopieansatz)

2. Textualität

Der Text – von der Textlinguistik zur Schreibprozessforschung

Merkmale der Textualität (nach Dressler / de Beaugrande)

1. Kohäsion als Verbindung der Wörter in der Textoberfläche

2. Kohärenz als semantischer Textzusammenhang

3. Intentionalität als Ausdruck der kommunikativen

4. Akzeptabilität der Äußerung als Text (aus Rezipientensicht)

5. Informativität

6. Situationalität bzw. Situationsangemessenheit des Textes

7. Intertextualität als Ausdruck der Beziehungen zu anderen Texten

Der Text – von der Textlinguistik zur Schreibprozessforschung

1. Kohäsion als Verbindung der Wörter in der Textoberfläche

Grammatische Relationen / lineare Betrachtungsweise von Text (Satz für Satz)

Bsp.1: Jede auf passt Gurke!

→ kein Zusammenhang; daher ungrammatikalisch

Bsp.2: Meine Mutter trinkt gerne Milch, obschon sie an einer leichten Laktoseintoleranz leidet.

→ Satzübergreifender grammatikalischer Zusammenhang durch...

Der Text – von der Textlinguistik zur Schreibprozessforschung

1. Kohärenz als semantischer Textzusammenhang

Es war bitterkalt. Peter war der größte Idiot. Nichts fiel ihm ein. Aber es war ein toller Sommer.

Aber: Dunkel war’s, der Mond schien helle,Schnee lag auf der grünen Flur.Als ein Wagen blitzeschnellelangsam um die Ecke fuhr.

Drinnen saßen stehend Leute,schweigend ins Gespräch vertieft,als ein totgeschoss’ner Haseauf der Sandbank Schlittschuh’ lief.

Drinnen saß ein holder Jüngling,Schwarzgelockt mit blondem Haar,

Neben ihm ’ne alte Schachtel,Zählte kaum ein halbes Jahr,In der Hand ’ne Butterwecke,Die mit Schmalz bestrichen war.

Der Text – von der Textlinguistik zur Schreibprozessforschung

3. Intentionalität als Ausdruck der kommunikativen Absicht

Textproduktion (oder allg. sprachliche Äußerungen) ist immer als absichtsvolle Handlung zu verstehen.

Beaugrande /Dressler definieren Intentionalität als „die Einstellung […] desTextproduzenten, der einen kohäsiven und kohärenten Text bilden will, um die Absichtseines Produzenten zu erfüllen, d.h. Wissen zu verbreiten oder ein […] Ziel zu erreichen.“

Der Text – von der Textlinguistik zur Schreibprozessforschung

4. Akzeptabilität der Äußerung als Text (aus Rezipientensicht)

„- Schick doch mal einen durch!- Dufte wirklich.- Hokla hübi, glök glök!- Malochen.- Achele.- Glök mich nicht an! Seibel mich nicht an!- Eine Aktei sind fünfzig Pfennig. Ich weiß auch, daß ein Heiermann fünf Mark...- Beugemann.- Seibel nicht rum!- Schnee.- Stoff.- Koks. [...]“

Akzeptabilität „betrifft die Einstellung des Text-Rezipienten, einen kohäsiven und kohärentenText zu erwearten, der für ihn nützlich oder relevant ist [...]“.

Der Text – von der Textlinguistik zur Schreibprozessforschung

5. Informativität

„Sauerstoff: eines von den Gasen in der Luft, die wir atmen“

→ Informativ? Subjektiv!

Die Karawane ein Nicht-Text!?

Der Text – von der Textlinguistik zur Schreibprozessforschung

6. Situationalität bzw. Situationsangemessenheit des Textes

Langsam

Spielende Kinder

Ist ein Text, der nicht situationsangemessen ist kein Text mehr?

Der Text – von der Textlinguistik zur Schreibprozessforschung

7. Intertextualität als Ausdruck der Beziehungen zu anderen Texten

Bezüge zwischen Einzeltexten

→ referentielle Intertextualität

Der Text – von der Textlinguistik zur Schreibprozessforschung

7. Intertextualität als Ausdruck der Beziehungen zu anderen Texten

Materialien zu einer Kritikder bekanntesten Gedichtformitalienischen Ursprungs

Sonette find ich sowas von beschissen,so eng, rigide, irgendwie nicht gut;es macht mich ehrlich richtig krank zu wissen,daß wer Sonette schreibt. Daß wer den Mut

hat, heute noch so’n dumpfen Scheiß zu bauen;allein der Fakt, daß so ein Typ das tut,kann mir in echt den ganzen Tag versauen.Ich hab da eine Sperre. Und die Wut

darüber, daß so’n abgefuckter Kackermich mittels seiner Wichserein blockiert,schafft in mir Aggressionen auf den Macker.

Ich tick nicht, was das Arschloch motiviert.Ich tick es echt nicht. Und wills echt nicht wissen:Ich find Sonette unheimlich beschissen.(Robert Gernhardt)

Bezüge auf der Grundlage von Textsortenwissen→ texttypologische Intertextualität

Zwischenfazit

- keine eindeutige Kategorie „Text“

Aber: allgemeine Textmerkmale

- Funktionalität

- Ganzheitlichkeit

- Intertextualität

erscheinen sinnvoll!

3. Textualitätshinweise

3. Textualitätshinweise

3.1 Verknüpfungsmerkmale

3.1 Grammatische Verknüpfungsmerkmale

3.2 Semantische Verknüpfungsmerkmale

3.3 Grenzgänger

3. Textualitätshinweise

3.1 Grammatische Verknüpfungsmerkmale (horizontale Verknüpfung)

- Pronominalisierung

- Proformen

- Artikel

- Relationshinweise

3. Textualitätshinweise

Pronominalisierung

Pronominalisierung (n. Harweg)

Ein Text ist eine ununterbrochene pronominale Verkettung. Eine

Unterbrechung dieser bezeugt Anfang und Ende.

Harweg unterscheidet in:

Substituentia (ersetzende Elemente) und Substituenda (zu

ersetzende Elemente)

Substituentia sind u.a.: Pronomen wie er/sie/es, Synonyme,

Hyperonyme, Metaphern

3. Textualitätshinweise

Prinzip der Wiederaufnahme

Explizite Wiederaufnahme (Referenzidentität → Koreferenz) z.B.

Jeans – Arbeiterhose

Implizite Wiederaufnahme (Partielle Koreferenz / Relation) z.B.

Niederlage – Sieg

- logisch

- ontologisch (Naturgesetze)

- kulturell (kleine Stadt : der Bahnhof)

- situationell (Karneval : Verkleidung)

3. Textualitätshinweise

Pronominalisierung

Beispiele:

Personalpronomina

„Die Sozialdemokraten haben auch am Tag nach der Europawahl Mühe, ihr desolates Abschneiden zu erklären. Aber noch ist die Bundestagswahl für sie nicht verloren.“(Die Zeit, 08.06.)

„Sie saßen und tranken am Theetisch,Und sprachen von Liebe viel.[...]“

Exkurs: Anaper und Katapher

3. Textualitätshinweise

„[...] Die Herren, die waren ästhetisch,Die Damen von zartem Gefühl.“(Heine: Sie saßen und tranken am Stehtisch)

Wird er von Frauen gestürzt?Zurückgetretene Ministerin soll ihn als „fucking bastard“ bezeichnet haben

Verknüpfung von Text und Bild

3. Textualitätshinweise

Demonstrativpronomina

Da es heute noch regnen sollte, nahm ich einen Schirm mit.Dieser hatte allerdings ein Loch.

Possesivpronomina

„Aber nun sitzt zutiefst im Deutschen die leidige angewohnheit, nicht in Individuen, sondern in Ständen, in Korporationen zu denken und aufzutreten, und wehe, wenn du einer dieser zu nahe trittst. Warum sind unsere Witzblätter, unsere Lustspiele, unsere Komödien und unsere Filme so mager? Weil keiner wagt, dem dicken Kraken an den Leib zu gehen, der das ganze Land bedrpückt und dahockt: fett, faul und lebenstötend.“ (Tucholsky: Was darf Satire?)

3. Textualitätshinweise

Proformen

Proadverbien

z.B.hier, jetzt, da, nachher etc.

3. Textualitätshinweise

Artikel

„Madonna hat ein neues Spielzeug – er ist gerade 18!“ (Bild 15.03.`96)

Das Spielzeug empfindet es aber als ungerecht, so bezeichnet zu werden!

Unterschied zwischen Pronomina und Artikel

- Pronomen verketten durch Substitution (Vertretung der Nominalgruppe)

- Artikel verweisen auf andere Textelemente (interpretatorischer Akt)

3. Textualitätshinweise

Relationshinweise

Additive Relationshinweise

„Ich fahre jetzt zur Uni und trinke dort einen Kaffee.“

Auch: oder, außerdem, zweitens, zum einen...zum anderen etc.

Explikative Relationshinweise

Ranga Yogeshwar beweist immer wieder, dass Wissenschaft lebensnah sein kann. So zeigte er kürzlich durch ein Experiment, wieviel Energie in einer herkömmlichen Schokolade steckt – er zündete ein einzelnes Stück an und briet damit ein Spiegelei.

3. Textualitätshinweise

3.2 Semantische Verknüpfungsmerkmale (vertikale Verknüpfung)

- Isotopeketten

- Strukturhinweise

- funktionale Satzperspektive

- kommunikativ-pragmatische Textanalyse

3. Textualitätshinweise

Isotopieketten

Isotopieansatz

- semantisch-struktureller Ansatz nach Greimas 1971- es besteht eine Beziehung zum syntagmatischen Ansatz von Harwegs

Vorgehensweise

Semantische Textzusammenhänge werden durch lexikalische Indikatoren dargestellt.

Die Indikatoren stehen in Similaritäts- / Identitätsbeziehungen zueinander

Das Bilden von Isotopieketten

Bsp. Der Heckenrosenstrauch

3. Textualitätshinweise

Hinter den Torfwiesen fließt der Bach schwarz und geheimnisvoll unter der Buschbrücke hindurch in

den Wiesenplan des Nachbardorfes. Unter der Brücke versteckte sich zuweilen ein Schof Wildenten. Es

kam vor, daß die Entenschar mit Flügelschlagen und Geplätscher hochging, wenn ich mich der Brücke

näherte. Meine Stute erschrak und sprang zur Seite, und einmal wäre ich dabei fast aus dem Sattel

gekommen. Seither galt meine Aufmerksamkeit nur den Enten, wenn ich mich der Brücke näherte, und

ich beruhigte die Stute im voraus, klopfte ihr den Hals und wappnete uns beide gegen Überraschungen.

Der Winter kam, und eines Tages entdeckte ich in der Nähe der Brücke einen Heckenrosenstrauch. Der

Strauch war voll Hagebutten, deren glänzendes Rot von der dünnen Schneedecke unterm Strauch zum

Leuchten gebracht wurde.

Ich versuchte die Hagebutten zu zählen, aber nach der Hundertsten gab ich es auf; denn es hingen

gewiß mehr als tausend rote Samenkapseln am Strauch. Im Juni aber mußte jede Hagebutte eine Blüte

in zartem Rosa gewesen sein, und ich hatte nicht eine gesehen.

Da hatte ich es mit einer jener menschlichen Lebensungeschicklichkeiten zu tun: Aus Sorge um uns

selbst sehen wir nicht, wie’s rund um uns blüht, die Menschen, die Blumen, und zu spät fahren wir oft

aus dem selbstischen Schlafe, und die Wehmut packt uns, mit der nichts getan ist.

3. Textualitätshinweise

Bildung von Isotopieketten durch:

- wörtliche Wiederholung (Brücke)- variierende Wiederholung (Buschbrücke)- Synonyme (Entenschar)- Hyperonyme (Strauch)- Pronimina (ihr – Stute)- Antonyme (kommen im Text nicht vor z.B. Himmel – Hölle)

Isotopieketten – Isotopienetz

Die Vernetzung der Isotopieketten zu einem Isotopienetz geschieht durch

Semrekurrenz.

Unter Semrekurrenz wird das sich wiederholende Aufgreifen eines

Merkmals verstanden.

Der Text ist ein Gefüge von Isotopieebenen. Diese Textmerkmale bilden

den „roten Faden“, der die einzelnen Ebenen verknüpft.

(z.B.Speisekarte)

3. Textualitätshinweise

Strukturhinweise

Narrative Strukturhinweise (Erzählbarkeit vergangener Ereignisse)

Es war einmal...dann leben sie noch heute.

Argumentative Strukturhinweise (Begründbarkeit von Handlungen)

Pro und Kontra Tempolimit Von Heuchlern und Rasern

Pro – Contra – Fazit

3. Textualitätshinweise

Funktionale Satzperspektive

Thema-Rhema-Konzept

Thema >das Gegebene<Rhema >das Ausgesagte<

Beim Thema-Rhema-Konzept wird davon ausgegangen, dass das Thema als bekannt vorausgesetzt werden kann (z.B. aus dem Kontext nachvollziehbar, auf das Weltwissen rekurrierend).

Das Rhema hingegen bildet den Mitteilungswert eines Satzes, das Unbekannte im Bzg. auf das Thema.

Bsp. Elefanten sind die einzigen vierbeinigen Tiere, die nicht hüpfen können.

3. Textualitätshinweise

Fünf Typen der thematischen Progression

I. lineare Progression (Rhema des ersten Satzes wird zum Thema des

zweiten)

Ich habe mir ein neues Buch gekauft. Es ist ein Roman von einem jungen

Autor. Der hat mich wirklich begeistert.

II. P. Mit durchlaufendem Thema:

Spanien ist ein wundervolles Reiseziel. Das Land hat kulturell eine Menge zu

bieten. Es ist...

III. P. Mit abgeleitetem Thema:

Übergeordnetes Thema „Wahlkampf“:

Die Parteien überschütten uns mit Werbung im Hörfunk und Fernsehen. Überall

hängen Plakate.

3. Textualitätshinweise

IV. P. eines gespaltenen Themas

Chancen auf die Meisterschaft haben nur noch zwei Vereine. Dortmund scheint die

besseren Karten zu haben, denn die Schalker haben drei Punkte Rückstand.

V. P. mit thematischem Sprung

Morgen ist schon wieder Montag. Wenn ich nur daran denke, so früh aufstehen zu

müssen.

3. Textualitätshinweise

3.3 Grenzgänger

- Tempuskonstanz z.B. Präteritum – Plusquamperfekt Relation vs. Erzählzeit

- Moduskonstanzz.B. Gebrauchsanleitung oder Rezepte

- Diathesenkonstanz / Genus Verbiz.B. wissenschaftlicher Text

4. Literatur

Gansel, Christina; Jürgens, Frank: Textlinguistik und Textgrammatik. Eine Einführung. 2.überarbeitete und ergänzte Auflage. In: Studienbücher zur Linguistik. Hrsg. Peter Schlobinski. Vandenhoeck und Ruprecht: Göttingen, 2007.

Hausendorf, Heiko; Kesselheim, Wolfgang: Textlinguistik fürs Examen.In: Linguistik fürs Examen. Band 5. Hrsg. Hans Altmann.Vandenhoeck und Ruprecht: Göttingen, 2008.

Vater, Heinz: Referenz-Linguistik. UTB: München, 2005. S.153-173.

3. Textualitätshinweise

3. Textualitätshinweise

3. Textualitätshinweise

3. Textualitätshinweise