Die Wirtschafts- und Finanzkrise: Ausmaß, Ursachen und gewerkschaftliche Optionen Dr. Martin...

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Die Wirtschafts- und Finanzkrise: Ausmaß, Ursachen und

gewerkschaftliche Optionen

Dr. Martin Beckmannver.di-Bundesverwaltung

Politik und Planung

GliederungI. Ausmaß der Krise

II. Ursachen: Übergang zum Finanzmarkt-Kapitalismus

III. Die Wirtschafts- und Finanzkrise und ihre Bearbeitung

IV. Wie als ver.di weiter?

Ausmaß der Krise

• Schwerste Wirtschaftskrise seit 80 Jahren

• Bisher wurden Vermögenswerte von 50 Billionen Dollar vernichtet

• Die Krise treibt Staaten in die Zone der Zahlungsunfähigkeit: Ukraine, Island, Weißrussland, Rumänien, Bulgarien, Türkei, Kroatien, Ungarn, Griechenland und baltische Staaten

Ausmaß der Krise• Starke Zunahme der weltweiten Arbeitslosigkeit um bis zu 50

Millionen Menschen im Jahr 2009.

• Anstieg der Zahl von absolut Armen (unter 2 US$ pro Tag) um 200 Millionen auf 1,4 Milliarden Menschen.

• Deutschland:– Rückgang des BIP 2009 um 2,3% (EU-Kommission)

– Wahrscheinlich 4 Millionen Arbeitslose Ende 2009

– Derzeit schon über 1,5 Mio. in Kurzarbeit

Der globale Finanzmarktkapitalismus

•Profitabilitätskrise des Kapitals ab 1970er Jahren führt zu verändertem Kapitalismus:

•Internationalisierung der Produktion, Exportorientierung, wachsende Ungleichgewichte

•Verschiebung der Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit zugunsten des Kapitals

•Boom der Finanzmärkte, neue Rolle des Finanzkapitals

•Ökonomischer Prozess, der aber politisch beeinflusst wurde: Aufhebung des Bretton Woods-Systems, Liberalisierung des Kapitalverkehrs

Übergang zum Finanzmarkt-Kapitalismus

• Finanzmärkte: Aktienmarkt, Anleihemarkt, Derivatemarkt, Devisenmarkt

• Verbriefung von Krediten: Forderungen werden in handelbare Papiere verwandelt

• Starke Zunahme des Handels mit Finanzprodukten seit den 80er Jahren

• Übergang von bank- zu kapitalmarktorientierten Finanzsystemen

•Fiktiver Wert von Finanzvermögen überstieg 2006 Weltsozialprodukt um 400%:

•Aktien: Marktkapitalisierung in USA und UK höher als BIP

•Derivate: 2,4 Bill. Dollar täglicher Umsatz (2004)

•Währungen: 1,9 Bill. Dollar täglicher Umsatz (2004)

•Credit Default Swaps: 62 Billionen Euro: größer als Weltsozialprodukt

Wachstum der Finanzmärkte

Gründe für das Wachstum der Finanzmärkte

•Umverteilung zugunsten der Kapital- und Vermögensbesitzer

•Politische Förderung der Finanzmärkte

•Privatisierung der Rentensysteme und öffentlicher Unternehmen

Umverteilung: Anteil der reichsten 1% in den USA am Volkseinkommen (in %)

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9

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1915 1925 1935 1945 1955 1965 1975 1985 1995 2005

Excluding capital gains Including capital gains

355,8 Mrd. Euro

125,5 Mrd. Euro

230,3 Mrd. Euro

0

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100

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200

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350

400

Zuwachs Volkseinkommen Zuwachs Arbeitnehmerentgelte Zuwachs Gewinn - und Vermögenseinkommen

Umverteilung: Verteilung des Volkseinkommens in Deutschland 2000 bis 2008

Quelle: Statistisches Bundesamt: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (Stand: Januar 2009).

Finanzmarktförderung

Deutschland:•Vier Finanzmarktförderungsgesetze seit Beginn der 90er Jahre

•2000: Steuerbefreiung von Veräußerungsgewinnen beim Verkauf von Unternehmensanteilen

•2003: Zulassung von Hedge-Fonds

•2004: Gesetz zur Förderung von Private-Equity-Fonds

•2007: Zulassung von Real Estate Investment Trusts (REITs)

EU:•1985: Einheitliche Europäische Akte (EEA)

•1999: Aktionsplan Finanzdienstleistungen

•2005: Verbindlichkeit der IFRS für kapitalmarktorientierte Unternehmen

Privatisierungen

•Privatisierung öffentlicher Unternehmen (Post, Telekom, Bahn (?))

•(Teil-)Privatisierung der Rentensysteme:

•Kürzungen im Rentensystem: Nachhaltigkeitsfaktor, Rente mit 67

•Riester-Rente: Staatliche Förderung der privaten, kapitalgedeckten Altersvorsorge

•Gutes Geschäft für die Finanzbranche, die systematisches Lobbying hierfür betrieben hat

Shareholder Value

•Finanzinvestoren fordern hohe Eigenkapitalrenditen•Ab den späten neunziger Jahren orientieren sich viele Unternehmen auf Shareholder Value um:

•Quartalsberichte, Renditeziele, Rechnungslegung nach „fair value“, Managervergütung orientiert an Renditezielen

•Verkauf von nichtprofitablen Sparten

•Marktzentrierte Steuerung der Unternehmen auf Kosten der Lohnabhängigen

Anlageinvestitionen, Aktienrückkäufe und Dividenden US-amerikanischer Aktiengesellschaften (in Mrd. US-Dollar)

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2002 2003 2004 2005 2006 2007

Fixed investment Net purchase of corporate equities Net dividend payments

Die Wirtschaft- und Finanzkrise

•Ausgangspunkt: US-Immobilienmarkt

•Krise an den Aktienmärkten 2001 nach New Economy-Boom führt zu Zinssenkungen und Verlagerung der kreditfinanzierten Spekulation von Aktienmärkten zu:

•Unternehmensübernahmen durch „Heuschrecken“

•Hauskauf auf Pump: 963 Mrd. Dollar für Hypothekenkredite (2005)

Verbriefung

•Bündelung der Hypotheken in Anleihen und Verkauf auf dem Finanzmarkt

•Rating-Agenturen bewerten Risiko der Anleihen

•Banken kaufen die Anleihen über offshore-Gesellschaften, damit Vermögenswerte nicht in ihrer Bilanz auftauchen

•Finanzierung des Kaufs hypothekenbasierter Wertpapiere durch kurzfristige Wertpapiere (commercial papers)

Ausbruch der Finanzkrise

•Ende des Booms: Eigenheimpreise fallen, Wert von Anleihen auf Hypothekenbasis sinkt und Zinserhöhungen der US-Zentralbank führen zu Rückzahlungsausfällen

•Erste Hedge Fonds gehen pleite, Panik bricht aus: „Vertrauenskrise“, Zusammenbruch des Interbankenmarktes: hält bis heute an

•Verwicklung auch europäischer Banken überträgt Krise nach Europa

Zuspitzung der Krise

USA:

•Pleite von Lehman Brothers, Notverkauf von Merrill Lynch, staatliche Übernahme von fast 80 Prozent von AIG

•Rettungspaket der US-Regierung: 700 Mrd. Dollar

Deutschland:

•Krise der HypoRealEstate

•Rettung der Bank und 500 Mrd. Rettungspaket

•Konjunkturprogramme I und II

•Teilverstaatlichung der Commerzbank und Diskussion um bad banks und weitere Verstaatlichungen

Ursachen der Finanzkrise• Insgesamt: US-Immobilienmarkt war Auslöser, nicht

Ursache.• ökonomische Dimension der Krise: Allgemeine

Aufblähung der Märkte durch Verkauf von Forderungen und kreditfinanzierte Spekulation: Hypotheken, Kreditkarten, Unternehmen, Kreditausfallversicherungen

• politische Dimension der Krise: Politik der Privatisierung, Umverteilung und Finanzmarktförderung

Von der Finanz- zur Wirtschaftskrise

• Finanzsystem als „zentrales Nervensystem“ des Kapitalismus– Unternehmen erhalten keine Kredite mehr– Einbruch der Nachfrage in den USA trifft gerade

Exportländer stark– Krise der Finanzinvestoren trifft Unternehmen, die

sie besitzen

• Krise von AIG führt zu Problemen für kommunale Haushalte aufgrund von CBL

•Geldpolitik der Zentralbanken

Zinssenkungen

Zusätzliche Liquidität

Akzeptanz von Sicherheiten minderer Qualität

•Staatliche Garantie der Spareinlagen

•Bankenrettungspakete

Bürgschaften für Kredite

Eigenkapitalhilfen (Teilverstaatlichungen)

(temporärer) Aufkauf von „toxischem Müll“ - „bad banks“

•Rettungspakete für industrielle Unternehmen

•Konjunkturpakete

•Regulative Politik

Formen staatlicher Krisenpolitik

Wie weiter? Gewerkschaftliche Handlungsoptionen

•Einerseits: ökonomische und ideologische Krise des neoliberalen Finanzmarkt-Kapitalismus als Chance

•Andererseits: aktuelle Krisenpolitik:

•Kosmetische Korrekturen: mehr Regulierung und Transparenz, Deckelung Managergehälter

•Fortsetzung der Umverteilungspolitik zugunsten der Kapital- und Vermögensbesitzer, völlig unzureichendes Konjunkturprogramm, „Schuldenbremse“

•Und: Viele Menschen verhalten sich passiv: Angst um Arbeitsplatz führt bisher zu individuellen Reaktionen (sparen, kaufen beim Discounter), kaum zu kollektiven politischen. Hinzu kommt die unterschiedliche Betroffenheit von den Krisenauswirkungen.

Die Profiteure zur Kasse bitten!

• Staatliche Kapitalspritzen nur unter Auflagen

• Rettungsschirme für Arbeitsplätze, nicht für Renditen

• Höhere Besteuerung hoher Einkommen, Vermögen und Erbschaften

• Reallohnerhöhungen gerade in der Krise als Nachfragestabilisator geboten!

Regulierung der Finanzmärkte

•Verbot von Hedge Fonds und außerbilanziellen Zweckgesellschaften

•Schließung von Steuer-Oasen

•Einführung einer Börsenumsatzsteuer

•Regulierung von Wechselkursen und Kapitalströmen

•Vergesellschaftung von Pleitebanken und demokratische Kontrolle des Finanzsektors

Für ein neues Wirtschafts- und Sozialmodell

• Für einen aktiven Sozialstaat: gesetzlicher Mindestlohn von 7,50 Euro, Eindämmung der Leiharbeit, Ausbau öffentlicher Rentensysteme, Erhöhung der ALG II-Sätze

• Ausbau öffentlicher Daseinsvorsorge, Ende der Privatisierungen

• Förderung von Kinderbetreuung, Bildung, Gesundheit, Umwelt und Verkehr durch ein Zukunftsinvestitionsprogramm von 50 Mrd. Euro jährlich

• Demokratisierung der Wirtschaft durch Mitbestimmungsrechte auch bei Investitionsentscheidungen

• Insgesamt: stärkere Binnen-, weniger Exportorientierung

Für ein neues Wirtschafts- und Sozialmodell in Europa

• EU ist bisher stark auf freie Märkte orientiert, soziale Dimension wird oft ignoriert:– WWU einseitig auf Preisstabilität orientiert– EuGh-Urteile: Rüffert, Laval, Viking: Angriffe auf

soziale Grundrechte– Daseinsvorsorge wird Binnenmarktregeln

unterworfen

Für ein neues Wirtschafts- und Sozialmodell in Europa

• Europäische Wirtschaftsregierung

• Ende des Sozial- und Steuerdumpings: Korridormodell und Mindeststandards für Unternehmensbesteuerung

• Koordinierte, verteilungsneutrale Lohnpolitik

• Subsidiaritätsprinzip bei Daseinsvorsorge

Was tun? Protest auf die Straße tragen!

•28. März: Globaler Aktionstag, Demo in London anlässlich des G-20-Gipfels; außerdem Demos und in Berlin und Frankfurt

•1. Mai: Schwerpunkte dieses Jahr: Europa und Wirtschafts- und Finanzkrise

•16. Mai: Demonstrationen des EGB in mehreren europäischen Hauptstädten, u.a. in Berlin

Was tun? Im Betrieb aktiv werden!

• Betriebs- Personal- und Mitgliederversammlungen für Diskussionen über Krise nutzen und für unsere Konzepte werben

• Diskussionen unter den ver.di-KollegInnen: auch das neue Mitgliedernetz nutzen

Was tun? Die Wahlkämpfe nutzen

• EP-Wahlen im Juni, BT-Wahl im September: Parteien und KandidatenInnen mit unseren Forderungen konfrontieren!

• Ver.di-Material: – Redebaustein im Intranet– Material zur Mobilisierung: „Profiteure zur

Kasse“

Lassen wir uns nicht entmutigen und kämpfen wir im Betrieb, mit Bündnispartnern auf der Straße und an der Wahlurne für die Durchsetzung unserer solidarischen Alternative zum neoliberalen Finanzmarkt-Kapitalismus! Vielen Dank!