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„Digitalisierung und Dienstleistungen. Wirkungen, Gestaltungsspielräume und Potenziale
– Wissenschaftliche Positionen –
Prof. Dr. rer. pol. Daniel Bieber
Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft e. V. (iso), Saarbrücken
Max-Weber-Institut für Soziologie der Universität Heidelberg
Zukunft der Arbeit 4.0 im DienstleistungsbereichChancen, Potenziale und Herausforderungen
Netzwerktagung der Kooperationsstellen Hochschulen und Gewerkschaften in Niedersachsen und Bremen 5. November 2015, Hannover
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Evaluation / Implementationsanalyse zum Projekt
„Interne ganzheitliche Unterstützung zur Integration im SGB III
(PINGUIN)“
Zukunft der Arbeit 4.0 im Dienstleistungsbereich
5. Nov. 2015 Hannover
Agenda
Eingrenzung des Themas / Definitionen
Ausgangslage
– Terminologische Unschärfen bei „eindeutiger“ Ursachenbeschreibung
– Alltagsunterstützende Assistenz-Lösungen (AAL)
– Personenbezogene Dienstleistungen
Neue Balance zwischen Dienstleistungen und Technologie
Gute Arbeit / Anschlussfunktionalität
Fazit
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Evaluation / Implementationsanalyse zum Projekt
„Interne ganzheitliche Unterstützung zur Integration im SGB III
(PINGUIN)“
Zukunft der Arbeit 4.0 im Dienstleistungsbereich
5. Nov. 2015 Hannover
Terminologische Unschärfen bei „eindeutiger“ Ursachenbeschreibung
Auf dem Weg zu einer neuen industriellen Revolution?
Second machine age (Brynjolfsson / McAfee 2014)
Third Industrial Revolution (Rifkin 2011)
Vierte Industrielle Revolution / Industrie 4.0 (Wahlster / Kager-
mann / Lukas, Forschungsunion / acatech)
Ursache:Rasante technologische Fortschritte –
Digitalisierung / Sensorik / Big Data / Internet der Dinge
Digitalisierte Dienstleistungen?
Dienstleistungen sind (erst mal) immer analog!
Gefahr eines digital ermöglichten Taylorismus von
Kleinst“unternehmern“ (Crowd-/Click-working)
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Evaluation / Implementationsanalyse zum Projekt
„Interne ganzheitliche Unterstützung zur Integration im SGB III
(PINGUIN)“
Zukunft der Arbeit 4.0 im Dienstleistungsbereich
5. Nov. 2015 Hannover
Terminologische Unschärfen bei „eindeutiger“ Ursachenbeschreibung
Arbeitsmarkteffekte
Dauerhafte Arbeitsplatzverluste, v.a. niedrig Qualifizierte, aber
auch mittleres Qualifikationsniveau (Brynjolfsson/McAfee 2014)
Dauerhafte Arbeitsplatzverluste, v.a. niedrig Qualifizierte, aber
auch mittleres Qualifikationsniveau und Berufe mit nicht
routinisierbaren komplexeren Anforderungen (Frey/Osborne 2013)
Extremszenarien: 51 % - 59%, also bis zu 18 Mio. Arbeitsplätze
durch Digitalisierung gefährdet (insbesondere einfache Tätigkeiten
in Industrie)
Im Dienstleistungsbereich zwei Szenarien denkbar:
– Rationalisierung – mehr Kunden/Patienten/Fälle in der gleichen
Zeit
– Mehr Zeit für die Kernaufgaben
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Evaluation / Implementationsanalyse zum Projekt
„Interne ganzheitliche Unterstützung zur Integration im SGB III
(PINGUIN)“
Zukunft der Arbeit 4.0 im Dienstleistungsbereich
5. Nov. 2015 Hannover
Terminologische Unschärfen bei „eindeutiger“ Ursachenbeschreibung
Disruptive Geschäftsmodelle– überall, wo sich Digitalisierung direkt in Gebrauchswert integriert
oder zur Vermarktung eingesetzt werden kann
(Musik, Bild, Finanzdienstleistungen … bis hin zum Auto bzw.
zur Mobilitätsdienstleistung!)
IT als „general purpose technologies“ – mit neuen innovativen
Verknüpfungsmöglichkeiten („autonomes Fahren“, Uber, AirbnB …)
„Die zweite Hälfte des Schachbretts“
Was ist Amazon?
17 Mrd. $ für ein Unternehmen mit knapp 60 Beschäftigten – davon
etwa zwei Drittel im Marketing
Alles nur Hype wie CIM oder die menschenleere Fabrik?
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Evaluation / Implementationsanalyse zum Projekt
„Interne ganzheitliche Unterstützung zur Integration im SGB III
(PINGUIN)“
Zukunft der Arbeit 4.0 im Dienstleistungsbereich
5. Nov. 2015 Hannover
Zum Verhältnis von Technik und Arbeit
Die Technik sagt nicht, wie sie angewendet werden will
„Technologischer Determinismus“ heute noch falscher als früher
Verknüpfungen schaffen Innovationen
Die Unternehmen für die nächste Welle gibt es vielleicht noch gar
nicht (früher kamen die „großen Innovationen“ von großen
Unternehmen – heute von Garagenbetrieben)
Die Arbeit ist gestaltbar – aber wie? Und welche Rolle kann die
Politik dabei spielen?
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Evaluation / Implementationsanalyse zum Projekt
„Interne ganzheitliche Unterstützung zur Integration im SGB III
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Zukunft der Arbeit 4.0 im Dienstleistungsbereich
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Quelle: SAFERA Quelle: Gociety
Technologien – notfalls auch ohne Dienstleistungen nutzbar
Quelle: Saarbahn
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Evaluation / Implementationsanalyse zum Projekt
„Interne ganzheitliche Unterstützung zur Integration im SGB III
(PINGUIN)“
Zukunft der Arbeit 4.0 im Dienstleistungsbereich
5. Nov. 2015 Hannover
Quelle: Recontrol
Servicezentrale
Quelle: CIBEK
Technologien? Oft ohne Dienstleistung nicht möglich!
Quelle: Handspiel
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Evaluation / Implementationsanalyse zum Projekt
„Interne ganzheitliche Unterstützung zur Integration im SGB III
(PINGUIN)“
Zukunft der Arbeit 4.0 im Dienstleistungsbereich
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AAL-Systemmodell
Quelle: DKE / VDE (2012) : Die deutsche Normungs-Roadmap AAL
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Evaluation / Implementationsanalyse zum Projekt
„Interne ganzheitliche Unterstützung zur Integration im SGB III
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Zukunft der Arbeit 4.0 im Dienstleistungsbereich
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Die wachsende Bedeutung von personenbezogenen Dienstleistungen
Personenbezogene Dienstleistungen: vorzugsweise weiblich und
hoher Anteil an Teilzeitbeschäftigung
Quelle: Hielscher et al. (2013): Zwischen Kosten, Zeit und Anspruch. Das alltägliche
Dilemma sozialer Dienstleistungsarbeit, Wiesbaden: Springer VS
1999 2005 2009
Anzahl Beschäftigte 2.493.139 2.786.539 3.098.795
Anteil an soz.vers.pflicht. Beschäftigten 8,1% 11,4% 12,1%
Anteil Frauen 83,7% 83,6% 83,6%
Anzahl Teilzeitbeschäftigte 667.641 951.406 1.192.092
Anteil Teilzeitbeschäftigte 26,8% 34,1% 38,5%
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in den Sozial-, Erziehungs-
und Gesundheitsberufen (ohne Lehrer)
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Evaluation / Implementationsanalyse zum Projekt
„Interne ganzheitliche Unterstützung zur Integration im SGB III
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Zukunft der Arbeit 4.0 im Dienstleistungsbereich
5. Nov. 2015 Hannover
Quelle: Blinkert (2010)
2050
150
100
2010 2030
50
Index
200
Pflegebedürftige
Informelles Pflegepotenzial
Zahl der Pflegebedürftigenund informelles Pflegepotenzial
Anteil der Heimbewohner steigt→ Mythos „Ambulantisierung“!
Prozess der „Verdienstleistung“ gewinnt an Fahrt→ Privat erbrachte Dienstleistungen werden
erwerbsförmig→ Personalbedarf müsste sich mehr als
verdoppeln → Grauer Arbeitsmarkt
Finanzierungsfrage verschärft sich→ Solidarische Versicherungssysteme
unter Druck
→ Suche nach neuen Ressourcen
• Breitere (Re)finanzierungsbasis
• Aktivierung des sozialen Raumes
• Potenzial einer systematischen Dienstleist-ungs- und Technikentwicklung nutzen
Beispiel „Pflegelücke“
Die wachsende Bedeutung von personenbezogenen Dienstleistungen (I)
„Kultivierung“ von personenbezogenen Dienstleistungen!
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Evaluation / Implementationsanalyse zum Projekt
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… in Zukunftsfeldern…
Gesundheitswesen
Bildung / Erziehung
Integrationsarbeit
Suche nach neuen Formen sozialerSicherheit, Solidarität und Kohäsion
Energie- / Mobilitätsmanagement
Hybride Produkte / Wertschöpfung als kollaborativerProzess
… und Wachstumsbranchen
… überall dort, wo …
beschleunigte Zirkulation, Vermittlung u.Aneignung von Informationen / Wissen
wachsender Kommunikations-, Steuerungs-,Vernetzungsbedarf in komplexer werdendenDL-Beziehungen (B2C, B2B, C2B)
Verbunden mit interaktiver Arbeit:Kooperation, Koproduktion,Selbstberatung /-versorgung, Selbststeuerung,Selbstwirksamkeitsüberzeugung, Aktivierung,Entwicklung von entsprechendenGelegenheitsstrukturen
Verlagerung von Arbeitsanforderungen aninnere Dispositionen → mentale Anpassung an schnell sich wandelnde Gegebenheiten
Tangiert die Förderung der Ressourcen• von Einzelnen• von formellen und informellen Netzwerken• des sozialen Raumes
Die wachsende Bedeutung von personenbezogenen Dienstleistungen (II)
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Evaluation / Implementationsanalyse zum Projekt
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„Kultivierung“ von personenbezogenen Dienstleistungen
Personenbezug = Beziehung (Interaktion) zwischen Dienstleistungserbingern und Dienstleistungsempfängern
• Personenbezug mehr als Kundenintegration
• Kann sich auf weitere Akteure ausdehnen (Wertschöpfungssysteme!)
Personen stehen im Mittelpunkt• Haltungen, Sichtweisen
• Menschliche Arbeit
• Schlecht planbare Eigendynamik des Dienstleistungsprozesses
Kultivierung personenbezogener Dienstleistungen• Sichtbarmachen des Personenbezugs der Dienstleistungen auf verschiedenen
Ebenen
• Systematische Berücksichtigung in Bezug auf alle Prozesse
• Strukturelle, organisatorische Absicherung des Personenbezugs: z.B. bei Arbeitsgestaltung, Kompetenzentwicklung, Innovationsstrategien
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Beschäftigtenakzeptanz neuer Technologien (I)
Beschäftigte in Forschungen zur Nutzerakzeptanz bislang nahezu komplett vernachlässigt
Beschäftigte sind „Lead User“
Pflegekräfte beschreiben sich selbst als Berater der Patienten
Die Beschäftigten weisen (entgegen von Vermutungen) hohe Bereitschaft zur Nutzung von
höherwertiger Technik auf
Arbeitssituation der Beschäftigten im Austausch mit den Patienten ist in den Vordergrund
zu rücken (personenbezogene Dienstleistung – Interaktionsarbeit)
Technische Optionen müssen in den Arbeitsalltag integriert werden und sich diesem bereits
während der Entwicklungsphase unterordnen
Assistierende Technologien sind als Unterstützungsinstrumentarien der
personenbezogenen Dienstleistung einzusetzen
Schwierig, nicht hoffnungslos, aber notwendig: Gesellschaftlicher
Konsens über die Verteilung von Produktivitätsgewinnen
Bei hybriden Innovationsprozessen ist dem Grundsatz der „Service dominant
logic“ resp. dem „Services first“ zum Durchbruch zu verhelfen
Zielsetzung: Die Fachkräfte sollen sich mit Hilfe der Technik auf
den interaktiv-emotionalen Kern ihrer Arbeit konzentrieren können
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Beschäftigtenakzeptanz neuer Technologien (II)
Mehr Zeit für individuelle „Face-to-Face-Kontakte“
Erleichterung bei umfassenden Dokumentations- und Organisationsprozessen
Technik, die sich den Arbeitsprozessen unterordnet, kann zugleich mehr
Individualität, mehr Wertschöpfung (auch durch Standardisierung) erzeugen
Balance des Spannungsfelds: Individualisierung vs. Standardisierung und
Industrialisierung
„Anschlussfunktionalität“ als zentrales Erfolgs- und Effizienzkriterium
„Anschlussfähigkeit“ im Sinne des direkten Anschlusses an die bestehenden
Arbeitsprozesse
„Anschlussfähigkeit“ an die mentalen und qualifikatorischen Voraussetzungen der
Beschäftigen
„Anschlussfähigkeit“ als Integration in und direkte Weiterentwicklung von bereits
vorhandenen technischen Anwendungssystematiken
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„Konstruktionsprinzipien“ von Dienstleistungen
Dienstleistungs-unternehmen
KundeDienstleistungs-
erbringer
Technik/Org.
Spann-ungs-felder
Gesell.
Regu-
lierung
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Essentials von personenbezogenen Dienstleistungen
Arbeit mit und an Menschen: „Objekt“ der Dienstleistung ist der Mensch als Subjekt
Subjekt-Subjekt-Kooperation → interaktive / dialogisch-interaktive Arbeit → subjektivierendes Arbeitshandeln
Informations- und wissensbezogen, ggf. aber auch Arbeit am Körper, mitBefindlichkeiten (Schmerz), Selbst- und Fremdbildern, Biografien → Empathie, Gefühls-, Emotions-, Beziehungsarbeit
Verständigung über Kooperationsgrundlagen, Steuern der Interaktionsdynamik,kontinuierliche Modifizierung der Kooperationsgrundlagen
Implizites Erfahrungs- / Kontextwissen, intuitives Handeln, Interaktions- undReflexionskompetenzen, hermeneutisches Fallverstehen, bildhaftesAusdrucksvermögen, Umgang mit Unsicherheiten / Ungewissheiten
Dispositionsspielräume erforderlich
Handeln nach heuristischen Regeln – nicht nach (deterministischen) Algorithmen
„Verborgene“ Professionalität ist zentral, wird aber oft nicht wahrgenommen, nicht anerkannt und nicht entlohnt!
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Zukunft der Arbeit 4.0 im Dienstleistungsbereich
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Fazit
Entwicklung digitalisierter Dienstleistungen: offen!
Absehbare Probleme weder (alleine) durch Technik verursacht noch (alleine) durch Technik lösbar.
Konkrete Ausgestaltung neuer Dienstleistungen immer Ergebnis von Aushandlungsprozessen auf unterschiedlichen Ebenen
Regulierung von Arbeits- und Entlohnungsbedingungen, aber auch von Geschäftsmodellen
Gesellschaftlicher Konsens über die Verteilung von Produktivitätsgewinnen
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Weitere Informationen
www.dienstleistungundtechnik.de
Kontakt:
Prof. Dr. Daniel Bieber
iso-Institut
Trillerweg 68
66117 Saarbrücken
Tel: +49 (0) 681 95424-12
Mail: bieber@iso-institut.de
www.mobia-saar.de
www.pb-dl.de