Post on 01-May-2020
PROPÄDEUTISCHE ÜBUNGEN ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT I
WINTERSEMESTER 2017/18
JURISTISCHE FAKULTÄT
LEHRSTUHL FÜR BÜRGER LICHES RECHT, INTERN ATIONALES PRIVATRECHT
UND RECHTSVERGLEICHUNG
PROF. DR. STEPHAN LORENZ
VERONIKA EICHHORN ∙ DOMINIK REGELSBERGER
FALL 17 – LÖSUNG
ALLGÄUER ANTIQUITÄTEN
A. Frage 1 .......................................................................................................................................... 3
I. Anspruch des B gegen A auf Zahlung von € 100,– und Abnahme des Schrankes aus § 433 Abs. 2 BGB
............................................................................................................................................... 3
Anspruch entstanden ........................................................................................................ 3
a) Zulässigkeit der Stellvertretung ................................................................................... 3
b) Eigene Willenserklärung des K ..................................................................................... 3
c) Im Namen des Vertretenen ......................................................................................... 4
d) Im Rahmen der Vertretungsmacht ............................................................................... 4
aa) Wirksame Erteilung der (Innen-)vollmacht ............................................................. 4
bb) Erlöschen durch Widerruf ..................................................................................... 5
(1) Widerruflichkeit ............................................................................................. 5
(2) Widerrufserklärung ........................................................................................ 5
(3) Rechtzeitigkeit ............................................................................................... 5
(4) Zwischenergebnis ........................................................................................... 6
cc) Zwischenergebnis ................................................................................................. 6
e) Handeln im Rahmen der Vertretungsmacht .................................................................. 6
f) Zwischenergebnis ....................................................................................................... 6
Anspruch erloschen ........................................................................................................... 6
Anspruch durchsetzbar, §§ 320 Abs. 1 S. 1, 322 Abs. 1 BGB ................................................. 6
Ergebnis ........................................................................................................................... 6
II. Anspruch des B gegen K auf Zahlung von € 100,– und Abnahme des Schrankes aus § 179 Abs. 1 BGB
............................................................................................................................................... 6
III. Anspruch des L gegen A auf Zahlung von € 550,– und Abnahme des Schrankes aus § 433 Abs. 2 BGB
............................................................................................................................................... 7
Anspruch entstanden ........................................................................................................ 7
a) Eigene Willenserklärung des K ..................................................................................... 7
b) Im Namen des Vertretenen ......................................................................................... 7
c) im Rahmen der Vertretungsmacht ............................................................................... 7
aa) Bestand einer rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht, § 166 Abs. 2 S. 1 BGB ......... 8
(1) Erteilung und Umfang der (Innen-)vollmacht ................................................... 8
AG ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT I (PROF. DR. STEPHAN L ORENZ) · WINTERSEMESTER 2017/18 SEITE 2 VON 13 FALL 17 – LÖSUNG
(2) Erlöschen durch Widerruf ............................................................................... 8
(a) Widerruflichkeit....................................................................................... 8
(b) Widerrufserklärung .................................................................................. 8
(c) Rechtzeitigkeit ......................................................................................... 8
(d) Zwischenergebnis .................................................................................... 8
(3) Hilfsweise: Handeln im Rahmen Vertretungsmacht .......................................... 8
(4) Zwischenergebnis ........................................................................................... 8
bb) Vertretungsmacht gem. §§ 171 Abs. 1, 172 BGB ..................................................... 8
(1) Aushändigung der Urkunde von A an K ............................................................ 9
(2) Vorlage der Urkunde durch K an L ................................................................... 9
(3) Umfang der Vertretungsbefugnis .................................................................... 9
(4) Bestehenbleiben der Vertretungsbefugnis gem. § 172 Abs. 2 BGB .................... 9
(5) Unanwendbarkeit des § 172 Abs. 2 gem. § 173 BGB ....................................... 10
(6) Zwischenergebnis ......................................................................................... 10
d) Zwischenergebnis ..................................................................................................... 10
Anspruch erloschen ......................................................................................................... 11
Anspruch durchsetzbar, §§ 320 Abs. 1 S. 1, 322 Abs. 1 BGB ............................................... 11
Ergebnis ......................................................................................................................... 11
IV. Ansprüche des L gegen K auf Zahlung von € 550,– und Abnahme des Schrankes aus § 179 Abs. 1
BGB ...................................................................................................................................... 11
B. Frage 2 ........................................................................................................................................ 11
I. Anspruch des L gegen A auf Zahlung von € 550,– und Abnahme des Schrankes aus § 433 Abs. 2 BGB
............................................................................................................................................. 11
Anspruch entstanden ...................................................................................................... 11
a) Vertretungsmacht gem. §§ 171 Abs. 1, 172 BGB ......................................................... 11
b) Vertretungsbefugnis gem. §§ 171 Abs. 1, 172 BGB analog ........................................... 12
c) Zwischenergebnis ..................................................................................................... 12
Ergebnis ......................................................................................................................... 13
II. Ansprüche des L gegen K ....................................................................................................... 13
Bei Genehmigung des Vertrages durch A .......................................................................... 13
Bei Verweigerung der Genehmigung des Vertrages durch A .............................................. 13
AG ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT I (PROF. DR. STEPHAN L ORENZ) · WINTERSEMESTER 2017/18 SEITE 3 VON 13 FALL 17 – LÖSUNG
A. Frage 1
I. Anspruch des B gegen A auf Zahlung von € 100,– und Abnahme des Schrankes
aus § 433 Abs. 2 BGB
B könnte gegen A einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises i.H.v. € 100,– und
Abnahme des Schrankes haben. Ein solcher könnte sich aus § 433 Abs. 2 BGB erge-
ben.
Voraussetzung hierfür ist, dass ein Anspruch des B gegen A auf Zahlung des Kauf-
preises i.H.v. € 100,– und Abnahme des Schrankes entstanden, nicht wieder erlo-
schen und auch durchsetzbar ist.
Anspruch entstanden
Der Anspruch aus § 433 Abs. 2 BGB müsste zunächst entstanden sein. Ein Anspruch
auf Zahlung des Kaufpreises aus § 433 Abs. 2 BGB entsteht mit Abschluss eines
wirksamen Kaufvertrags.
A und B müssten also einen Kaufvertrag über den Schrank zum Preis von € 100,–
geschlossen haben.
Ein Kaufvertrag kommt durch eine Einigung zustande, die in Form zweier auf Ab-
schluss eines Kaufvertrages gerichteter, übereinstimmender und gültiger Willens-
erklärungen vorliegen könnte, nämlich in Form eines Angebots und einer Annahme
(vgl. §§ 145, 147 BGB).
A hat vorliegend keine eigene Willenserklärung gegenüber B abgegeben. Jedoch
hat sich K mit B über den Kauf des Bauernschrankes zum Preis von € 100,– geeinigt.
Die Willenserklärung des K könnte unmittelbar für und gegen A wirken, wen n K den
A gem. § 164 Abs. 1 S. 1 BGB wirksam vertreten hat (aktive Stellvertretung) . Ebenso
könnte die zum Vertragsschluss erforderliche korrespondierende Willenserklärung
des B durch Zugang bei K wirksam geworden sein, § 164 Abs. 3 BGB (passive Stell-
vertretung).
a) Zulässigkeit der Stellvertretung
Die Stellvertretung ist beim Abschluss eines Kaufvertrages ohne Weiteres zulässig,
da der Kaufvertrag kein höchstpersönliches Geschäft ist.
Hinweis: Dieser Prüfungspunkt kann regelmäßig weggelassen werden; zwingend zu erörtern ist er nur in Problemfällen (ausgeschlossen ist die Stellvertretung etwa bei Eheschließung, Testamentserrichtung, Erbvertrag oder wenn die Stellvertretung durch Parteiabrede abbe-dungen ist).
b) Eigene Willenserklärung des K
K müsste eine eigene Willenserklärung abgegeben haben, d.h. er dürfte insbeson-
dere nicht nur als Bote (vgl. § 120 BGB) eine Willenserklärung des A übermittelt
haben. Dies ist im Interesse des Erklärungsempfängers vom objektiven Empfän ger-
horizont aus zu betrachten, §§ 133, 157 BGB.
K wurde vorliegend ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt; er sollte selbstän-
dig die potenziellen Vertragspartner wie auch mögliche n Kaufobjekte auswählen
und den Preis selbstständig aushandeln (bis zur Höhe von € 500,–). Auch der Um-
stand, dass K ausdrücklich im Namen des A auftritt, lässt erkennen, dass er nicht
AG ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT I (PROF. DR. STEPHAN L ORENZ) · WINTERSEMESTER 2017/18 SEITE 4 VON 13 FALL 17 – LÖSUNG
als Bote – dieser überbringt nur eine fremde Willenserklärung – sondern als Stell-
vertreter auftrat.
c) Im Namen des Vertretenen
Des Weiteren müsste dieser Vertragsschluss im Namen des Vertretene n, hier im
Namen des A erfolgt sein. Ein Vertretergeschäft gem. § 164 Abs. 1, Abs. 3 BGB liegt
nur dann vor, wenn der Vertreter ausdrücklich oder konkludent offenlegt, dass die
Wirkungen des Rechtsgeschäfts nicht ihn, sondern den Vertretenen treffen sollen
(sog. Offenkundigkeitsprinzip). Der Vertreterwille muss für den Geschäftspartner
erkennbar zu Tage treten.
K hat zum einen ausdrücklich erklärt, dass er bei Abgabe seiner Willenserklärung
im Namen des Vertretenen A handle und B hat ihn auch so verstanden (Offenkun-
digkeit der aktiven Stellvertretung , § 164 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB).
Entsprechend muss aus der Willenserklärung des B deutlich hervorgehen, dass sie
sich an K als Vertreter des A richtete (Offenkundigkeit der passiven Stellvertretung ,
§ 164 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BGB). Der Wille des Erklärenden, gegenüber dem Erklä-
rungsempfänger als Stellvertreter zu handeln, muss für den Erklärungsempfänger
erkennbar sein. Aufgrund der Mitteilung des K, dass er als Vertreter des A handle,
war dem K erkennbar, dass B bezüglich des Schrankes nicht mit ihm, sondern mit
A, vertreten durch ihn (K), kontrahieren wollte.
d) Im Rahmen der Vertretungsmacht
Die Willenserklärung des K wirkt jedoch nur für und gegen A, wenn K mit und im
Rahmen der Vertretungsmacht gehandelt hat (vgl . §§ 164 Abs. 1 S. 1, 177 Abs. 1
BGB).
Eine Vertretungsmacht des Vertreters – also die Berechtigung, den Vertretenen
aktiv und/oder passiv zu vertreten – kann sich aus Gesetz1 oder aus Rechtsgeschäft
ergeben. Hier kommt allein eine rechtsgeschäftlich ertei lte Vertretungsmacht, d.h.
eine Vollmacht,2 in Betracht.
Die Erteilung der Vollmacht erfolgt gem. § 167 Abs. 1 Alt. 1 BGB entweder durch
Erklärung gegenüber dem zu Bevollmächtigenden (sog. interne Vollmacht oder In-
nenvollmacht) oder gem. § 167 Abs. 1 Alt. 2 BGB durch Erklärung gegenüber dem
Dritten, demgegenüber die Vertretung stattfinden soll (sog. externe Vollmacht o-
der Außenvollmacht).
aa) Wirksame Erteilung der (Innen-)vollmacht
Die Erteilung einer Vollmacht erfolgt durch eine empfangsbedürftige Willenserklä-
rung. Dabei ist zwischen Spezialvollmachten, Gattungsvollmachten und General-
vollmachten zu unterscheiden.
A könnte dem K eine Gattungsvollmacht erteilt haben.
A hat den K gebeten, für ihn alte Bauernmöbel bis zu einem Kaufpreis von € 500,–
für ihn zu erwerben. Dabei handelt es sich um eine von A abgegebene und dem K
1 Z.B. §§ 1626 Abs. 1 S. 1, 1629 Abs. 1 S. 1, S. 2 Hs. 1 BGB, Vertretungsmacht der Eltern gemeinschaftlich für ihre Kinder; vgl. die Fälle 11, 12.
2 Vgl. die Legaldefinition in § 166 Abs. 2 S. 1 BGB.
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unter Anwesenden zugegangene (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB analog) Willenserklärung
mit dem Inhalt, dass K den A beim Abschluss von Bauernmöbelkaufverträgen bis
zum Preis von € 500,– aktiv wie passiv vertreten kann. Folglich hat A dem K eine
Gattungsvollmacht erteilt.
Die Aushändigung der Vollmachtsurkunde an K ändert am Umfang der Vollmacht
nichts, da die Aushändigung nicht in der Absicht erfolgte, den ursprünglichen Um-
fang der Vollmacht zu erweitern.
Nota bene: Im Allgemeinen wird die Vollmacht nicht derart inhaltlich bestimmt, dass das vom Vertreter vorzunehmende Geschäft bereits mit seinem ganzen Inhalt in die Vollmacht hinein-genommen wird (sog. Spezialvollmacht). Meist werden generelle Vollmachten erteilt. Im In-teresse des Vertrauensschutzes im kaufmännischen Verkehr hat das HGB die von Kaufleuten erteilte Gattungsvollmacht (§§ 54, 56 HGB) bzw. (begrenzte) Generalvollmacht (Prokura, §§ 48 ff HGB und Handlungsvollmacht, § 54 HGB) inhaltlich typisiert. Gerade in solchen Fällen ist streng zwischen den rechtlichen „Können“ im Außenverhältnis und dem rechtlichen „Dür-fen“ im Innenverhältnis zu unterscheiden.
bb) Erlöschen durch Widerruf
Diese Vollmacht könnte jedoch im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwischen K und
B bereits gem. §§ 168 S. 2 und 3, 167 Abs. 1 Alt. 1 BGB erloschen gewesen sein.
Nota bene: Der Widerruf einer Vollmacht führt nur zum Erlöschen der Vollmacht (vgl. § 168 BGB), jedoch nicht zum Erlöschen eines bereits bestehenden Anspruchs. Daher ist der Widerruf beim Prüfungspunkt Vertretungsmacht zu prüfen. Nachdem auch der Widerruf ei-ner Vollmacht durch Willenserklärung erfolgt, kann dieser in den Grenzen des § 130 Abs. 1 S. 2 BGB widerrufen werden. Ein Widerruf des Widerrufs der Vollmacht ist nicht möglich, es bedarf vielmehr einer Neuerteilung.
Beachten Sie die verschiedenen Arten des Widerrufs, welche Sie bisher kennengelernt haben:
– Widerruf einer Willenserklärung, § 130 Abs. 1 S. 2 BGB
– Widerruf einer Vollmacht, § 168 S. 2 und 3, § 167 Abs. 1 BGB
– Widerruf eines Verbrauchervertrags, § 355 Abs. 1 S. 1 BGB
(1) Widerruflichkeit
Die von A erteilte Vollmacht ist gem. § 168 S. 2 BGB frei widerruflich, da sich aus
dem ihr zu Grunde liegenden Auftragsverhältnis nichts anderes ergibt.
(2) Widerrufserklärung
Die Erklärung des Widerrufs kann durch einseitige empfangsbedürftige Willenser-
klärung gegenüber dem Bevollmächtigten oder dem Dritten, dem gegenüber die
Vertretung stattfinden soll, erfolgen, §§ 168 S. 2 u. 3, 167 Abs. 1 BGB.
A hat dem K erklärt, dass er die erteilte Vollmacht widerrufe. Diese Erklärung ist
dem K gem. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB auch zugegangen.
(3) Rechtzeitigkeit
Fraglich ist jedoch, ob der Widerruf rechtzeitig erfolgte. A widerruft die Vollmacht
erst nach dem Geschäft mit B. Nachdem der Widerruf nur für die Zukunft, d.h. ex
nunc, wirkt, ist er damit nicht rechtzeitig.
AG ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT I (PROF. DR. STEPHAN L ORENZ) · WINTERSEMESTER 2017/18 SEITE 6 VON 13 FALL 17 – LÖSUNG
(4) Zwischenergebnis
Die Vollmacht war somit im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwischen K und B noch
nicht erloschen.
cc) Zwischenergebnis
K hatte daher zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit B die rechtsgeschäftliche
Vertretungsmacht, den A bei Käufen alter Bauernmöbel bis zu einem Preislimit von
€ 500,– zu vertreten.
e) Handeln im Rahmen der Vertretungsmacht
K hat sich bei dem mit B geschlossenen Kaufvertrag an den Rahmen seiner Vertre-
tungsmacht gehalten.
f) Zwischenergebnis
Damit hat K den A bei dem Vertragsschluss wirksam vertreten. Die Willenserklä-
rungen des K und des B wirken daher gem. § 164 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 BGB unmittelbar
für und gegen A.
Mangels rechtshindernder Einwendungen ist der Kaufvertrag folglich zwischen A
und B wirksam zustande gekommen. Der Anspruch des B gegen A auf Zahlung des
Kaufpreises i.H.v. € 100,– und Abnahme des Schrankes ist damit entstanden.
Anspruch erloschen
Rechtsvernichtende Einwendungen sind nicht ersichtlich. Der Anspruch ist daher
noch nicht erloschen.
Anspruch durchsetzbar, §§ 320 Abs. 1 S. 1, 322 Abs. 1 BGB
Da B seine Pflichten aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB, nämlich den Schrank zu übergeben
und zu übereignen, noch nicht erfüllt hat und keine Vorleistung vereinbart ist, kann
A die Einrede des nichterfüllten Vertrags gem. § 320 Abs. 1 S. 1 BGB geltend ma-
chen. A schuldet nur Leistung Zug-um-Zug, § 322 Abs. 1 BGB analog.
Ergebnis
Folglich hat B gegen A einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises i.H.v. € 100,–
und Abnahme des Schrankes aus § 433 Abs. 2 BGB Zug-um-Zug gegen Übergabe des
Schrankes und Übertragung des Eigentumes.
II. Anspruch des B gegen K auf Zahlung von € 100,– und Abnahme des Schrankes
aus § 179 Abs. 1 BGB
K hat offenkundig als Vertreter des A gehandelt und diesen gegenüber B durch einen wirksa-men Kaufvertrag verpflichtet. Daher kommt wegen § 164 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 BGB ein Anspruch des B gegen K aus § 433 Abs. 2 BGB nicht in Betracht.
Ein Anspruch aus § 179 Abs. 1 BGB setzt ein Handeln des Vertreters ohne Vertre-
tungsmacht voraus. Nachdem K aber als Vertreter des A mit Vertretungsmacht han-
delte, scheidet ein Anspruch aus § 179 Abs. 1 BGB aus.
B hat folglich keinen Anspruch gegen K auf Zahlung des Kaufpreises i.H.v. € 100,–
und Abnahme des Schrankes aus § 179 Abs. 1 BGB.
AG ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT I (PROF. DR. STEPHAN L ORENZ) · WINTERSEMESTER 2017/18 SEITE 7 VON 13 FALL 17 – LÖSUNG
Exkurs: Daneben wird in der Literatur ein Anspruch aus c.i.c. gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2, 3 BGB diskutiert. Insoweit es sich um einen Verstoß des Vertreters im Zusammen-hang mit dem Mangel der Vertretungsmacht und den daraus entstandenen Schäden handelt, wird die Anwendbarkeit der c.i.c. jedoch überwiegend abgelehnt.3
III. Anspruch des L gegen A auf Zahlung von € 550,– und Abnahme des Schrankes
aus § 433 Abs. 2 BGB
L könnte gegen A einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises i.H.v. € 550,– und
Abnahme des Schrankes haben. Ein solcher könnte sich aus § 433 Abs. 2 BGB erge-
ben.
Voraussetzung hierfür ist, dass ein Anspruch des B gegen A auf Zahlung des Kauf-
preises i.H.v. € 550,– und Abnahme des Schrankes entstanden, nicht wieder erlo-
schen und auch durchsetzbar ist.
Anspruch entstanden
Der Anspruch aus § 433 Abs. 2 BGB müsste zunächst entstanden sein. Ein Anspruch
auf Zahlung des Kaufpreises aus § 433 Abs. 2 BGB entsteht mit Abschluss eines
wirksamen Kaufvertrags.
A und L müssten also einen Kaufvertrag über den Schrank zum Preis von € 550,–
geschlossen haben. Ein Kaufvertrag kommt durch eine Einigung zustande, §§ 145,
147 BGB.
A hat vorliegend keine eigene Willenserklärung gegenüber L abgegeben. Jedoch hat
sich K mit L über den Kauf des Bauernschrankes zum Preis von € 550,– geeinigt. Die
Willenserklärung des K4 könnte aber unmittelbar für und gegen A wirken, wenn K
den A gem. § 164 Abs. 1 S. 1 BGB wirksam vertreten hat (aktive Stellvertretung) .
Ebenso könnte die zum Vertragsschluss erforderliche korrespondierende Willens-
erklärung des L durch Zugang bei K wirksam geworden sein, § 164 Abs. 3 BGB (pas-
sive Stellvertretung) .
a) Eigene Willenserklärung des K
Wiederum ist hier K nicht als Bote aufgetreten, der nur eine fremde Willenserklä-
rung übermittelt, sondern gab eine eigene Willenserklärung ab.
b) Im Namen des Vertretenen
K handelte durch die Vorlage des Schreibens des A ausdrücklich in dessen Namen.
c) Im Rahmen der Vertretungsmacht
Die Willenserklärung des K wirkt jedoch nur für und gegen A, wenn K mit Vertre-
tungsmacht gehandelt hat (vgl. § 164 Abs. 1 S. 1 BGB). Andernfalls ist der geschlos-
sene Vertrag § 177 Abs. 1 BGB zunächst schwebend unwirksam.
3 Vgl. Staudinger/Schilken, Neubearb. 2014, § 179 BGB Rn. 20, § 164 Rn. 15 jeweils m.z.w.N.
4 Anm.: Auch wenn bzw. gerade weil sich K nur an A rächen will, handelte er mit Rechtsbindungswillen.
AG ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT I (PROF. DR. STEPHAN L ORENZ) · WINTERSEMESTER 2017/18 SEITE 8 VON 13 FALL 17 – LÖSUNG
aa) Bestand einer rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht, § 166 Abs. 2 S. 1 BGB
K könnte mit rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht i .S.v. § 166 Abs. 2 S. 1 BGB ge-
handelt haben.
(1) Erteilung und Umfang der (Innen-)vollmacht
Zunächst hatte A dem K eine Gattungsinnenvollmacht erteilt, den A bei Käufen alter
Bauernmöbel bis zu einem Preislimit von € 500,– zu vertreten.5
(2) Erlöschen durch Widerruf
Diese Vollmacht könnte jedoch bereits vor Vertragsschluss durch Widerruf gem.
§§ 168 S. 2 und 3, 167 Abs. 1 Alt. 1 BGB erloschen gewesen sein.
(a) Widerruflichkeit
Die von A erteilte Vollmacht ist gem. § 168 S. 2 BGB frei widerruflich, da sich aus
dem ihr zugrundeliegenden Auftragsverhältnis nichts anderes ergibt.
(b) Widerrufserklärung
Eine wirksam gewordene Widerrufserklärung des A gegenüber K liegt vor. 6
(c) Rechtzeitigkeit
Der – ex nunc wirkende – Widerruf erfolgte in diesem Fall vor dem Abschluss des
Kaufvertrags mit L und somit rechtzeitig.
(d) Zwischenergebnis
Die Vollmacht war damit im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwischen K und B be-
reits erloschen.
(3) Hilfsweise: Handeln im Rahmen Vertretungsmacht
Hilfsweise ist zu erwägen, dass die Gattungsvollmacht in der Höhe auf € 500,– be-
schränkt war. Der konkret von K mit L abgeschlossene Kaufvertrag i .H.v. von
€ 550,– ist somit nicht vom Umfang der ursprünglich erteilten, aber widerrufenen
Gattungsvollmacht gedeckt. K handelte daher nicht im Rahmen der Vertretungs-
macht.
(4) Zwischenergebnis
Folglich handelte K nicht mit und innerhalb rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht
i.S.v. § 166 Abs. 2 S. 2 BGB.
bb) Vertretungsmacht gem. §§ 171 Abs. 1, 172 BGB
Etwas anderes könnte sich jedoch ergeben, wenn der Geschäftspartner L in seinem
Vertrauen auf die vorgelegte Vollmachtsurkunde besonders schützenswert ist, §§
171 ff. BGB. Gem. § 172 Abs. 1 BGB steht es der in § 171 Abs. 1 Alt. 1 BGB geregel-
ten besonderen Mitteilung einer Bevollmächtigung durch den Vollmachtgeber
gleich, wenn dieser dem Vertreter eine Vollmachtsurkunde ausgehändigt hat und
der Vertreter sie dem Dritten vorlegt. Denn die Vertretungsmacht bleibt gem. § 172
5 Vgl. oben A.I.1.d).
6 S.o. A.I.1.d)bb)(2).
AG ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT I (PROF. DR. STEPHAN L ORENZ) · WINTERSEMESTER 2017/18 SEITE 9 VON 13 FALL 17 – LÖSUNG
Abs. 2 BGB bestehen, bis die Vollmachtsurkunde dem Vollmachtgeber zurückgege-
ben oder für kraftlos erklärt wird.
Exkurs: Die dogmatische Einordnung der in §§ 170–172 BGB erfassten Fallgruppen ist streitig. Teils werden sie als rechtsgeschäftlich erteilte Außenvollmachten behandelt, über-wiegend als Vollmachten kraft Rechtsscheins.
(vgl. BGH NJW 2005, 2983; BeckOK/Schäfer (43. Ed. 2017), § 172 Rn. 1; MüKo/Schubert (7. Aufl. 2015), § 172 Rn. 1; zur MM Staudinger/Schilken (2014) BGB, § 172 Rn. 2).
Fast immer ist dieser Streit aber für die Anwendung der §§ 170–172 BGB irrelevant und daher in der Klausur nicht zu erörtern. Zum Schwur kommt es erst dann, wenn der Tatbestand eines Rechtsscheins nicht mehr unter §§ 170–172 BGB subsumiert werden kann und daher auf all-gemeine Rechtsscheinsgrundsätze zurückgegriffen werden muss.
(1) Aushändigung der Urkunde von A an K
Hierzu müsste A dem K eine Vollmachtsurkunde ausgehändigt haben. Eine Voll-
machtsurkunde ist eine schriftliche Erklärung des Vollmachtgebers, dass er dem in
der Urkunde Bezeichneten Vollmacht erteile oder erteilt habe. Eine Aushändigung
setzt voraus, dass der Aussteller die Vollmachtsurkunde bewusst in den Rechtsver-
kehr gebracht hat. A hat dem K bewusst eine schriftliche Vollmachtserklärung aus-
gehändigt.
(2) Vorlage der Urkunde durch K an L
Des Weiteren muss die ausgehändigte Vollmachtsurkunde dem Geschäftsgegner
vor oder bei Abschluss des Geschäfts vorgelegt werden. K hat den L in die Lage
versetzt, sich durch eigene Wahrnehmung unmittelbare Kenntnis vom Inhalt der
Urkunde zu verschaffen und sie somit dem L vorgelegt.
(3) Umfang der Vertretungsbefugnis
Die Vertretungsbefugnis i.S.d. § 172 Abs. 1 BGB richtet sich dann nach dem Inhalt
der so vorgelegten Urkunde. Dabei ist diese aus der Sicht des Geschäftspartners (L)
nach den §§ 133, 157 BGB auszulegen. Die Vollmachtsurkunde berechtigt den K,
den A beim Abschluss von Möbelkaufverträgen bezüglich des Kaufpreises unbe-
schränkt aktiv wie passiv zu vertreten. Eine Begrenzung auf € 500,– pro Einzelstück
geht aus ihr nicht hervor.
(4) Bestehenbleiben der Vertretungsbefugnis gem. § 172 Abs. 2 BGB
Die Vertretungsbefugnis dürfte jedoch im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwi-
schen A und L noch nicht gem. § 172 Abs. 2 BGB erloschen gewesen sein.
Gem. § 172 Abs. 2 BGB erlischt die nach § 172 Abs. 1 BGB begründete Vertretungs-
befugnis erst mit der Rückgabe der Vollmachtsurkunde an den Vollmachtgeber bzw.
mit deren – in § 176 BGB geregelten – Kraftloserklärung. K hatte dem A zum Zeit-
punkt des Vertragsschlusses die Vollmachtsurkunde noch nicht zurückgegeben.
Auch wurde sie nicht für kraftlos erklärt gem. § 176 BGB.
Nota bene: Darüber hinaus endet – trotz des engeren Wortlauts des § 172 Abs. 2 BGB – die Rechtswirkung der Vollmachtsurkunde gegenüber dem Empfänger auch, wenn diesem eine „Erlöschensanzeige“ oder eine „Widerrufserklärung“ zugeht. Derartige Erlöschens-gründe liegen hier jedoch nicht vor.
AG ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT I (PROF. DR. STEPHAN L ORENZ) · WINTERSEMESTER 2017/18 SEITE 10 VON 13 FALL 17 – LÖSUNG
Häufig liegt im Falle der „Erlöschensanzeige“ auch ein Fall des § 173 BGB vor, da regelmäßig der Dritte Kenntnis davon erlangen wird. Jedoch ist der Zeitpunkt des Zugangs diesem bereits vorgelagert.
Weiterhin ist zu beachten, dass das Erlöschen der Vertretungsmacht nur gegenüber dem Empfänger einer solchen Erklärung eintritt. Im Übrigen bleibt § 172 Abs. 2 BGB anwendbar.
(5) Unanwendbarkeit des § 172 Abs. 2 gem. § 173 BGB
Die Anordnung des § 172 Abs. 2 BGB, wonach die Vertretungsmacht bis zur Rück-
gabe oder Kraftloserklärung der Vollmachtsurkunde bestehen bleibt, könnte je-
doch gem. § 173 BGB unanwendbar sein. Dies setzt voraus, dass L bei Vertrags-
schluss das Erlöschen der Vertretungsmacht kannte oder hätte kennen müssen (vgl.
§ 122 Abs. 2 BGB).
Nota bene: Seinem Wortlaut nach gilt § 173 BGB nur für die Fälle des Erlöschens der Ver-tretungsmacht. Nach ganz h.M. schadet dem Dritten jedoch seine Kenntnis oder Kennenmüs-sen auch hinsichtlich des Nichtentstehens der beurkundeten Vollmacht. § 173 BGB ist auch auf eine inhaltliche Abänderung, insb. eine Beschränkung der beurkundeten Vollmacht, an-wendbar.
Dies bringt den allgemeinen Grundsatz zum Ausdruck, dass bei einer Vollmacht kraft Rechts-scheins nur ein gutgläubiger Dritter schutzwürdig ist.
L hat hier weder die Beschränkung der Vollmacht im Innenverhältnis noch ihr Erlö-
schen im Verhältnis zu A gekannt. Er musste die ursprüngliche Beschränkung der
Vollmacht sowie ihr späteres Erlöschen im Innenverhältnis auch nicht kennen, da
es objektiv keinen Grund gab, an der Bevollmächtigung des A entsprechend der
Vollmachtsurkunde zu zweifeln. K war daher trotz des Erlöschens der Vollmacht im
Innenverhältnis zu A dem L gegenüber zur Vertretung befugt.
(6) Zwischenergebnis
K hat innerhalb der gem. § 171 Abs. 1 Alt. 1 i.V.m. § 172 Abs. 1 BGB begründeten
Vertretungsmacht gehandelt. Damit hat K den A beim Vertragsschluss mit L wirk-
sam gem. § 164 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 BGB vertreten. Die Willenserklärungen des K und
des L wirken daher unmittelbar für und gegen A.
Exkurs: Ordnet man die Vertretungsmacht gemäß § 172 BGB als Rechtsscheinvoll-macht ein, kann man mit einer Mindermeinung zu dem Ergebnis kommen, dass L ein Wahl-recht zusteht, ob er den Vertretenen in Anspruch nimmt oder auf den Schutz durch die Rechts-scheinvollmacht verzichtet und den Vertreter gemäß § 179 Abs. 1 BGB in Anspruch nimmt. Dieses Wahlrecht wird aber von der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre abgelehnt. Der Vertretene wird durch die Rechtsscheinvollmacht gebunden wie durch eine wirksame Vollmacht. Steht die Bindungswirkung beider gleich, besteht kein Grund dem Vertreter das Recht zu nehmen, sich gegenüber dem Vertragspartner auf die bindende Wirkung der Rechts-scheinvollmacht zu berufen. Im Übrigen stünde der Vertragspartner sonst im Falle einer Rechtsscheinvollmacht besser als im Falle einer wirksamen Vollmacht.
d) Zwischenergebnis7
Folglich ist der Kaufvertrag zwischen A und L wirksam zustande gekommen. Der
Anspruch des L gegen A auf Zahlung des Kaufpreises i.H.v. € 550,– und Abnahme
des Schrankes ist damit entstanden.
7 Das Fehlen rechtshindernder Einwendungen wird gedanklich vorausgesetzt.
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Anspruch erloschen
Rechtsvernichtende Einwendungen sind nicht ersichtlich. Der Anspruch ist daher
nicht erloschen.
Anspruch durchsetzbar, §§ 320 Abs. 1 S. 1, 322 Abs. 1 BGB
Da L den Schrank bisher noch nicht übergeben und übereignet hat, und keine Vor-
leistung vereinbart ist, kann A die Einrede des nichterfüllten Vertrags gem. § 320
Abs. 1 S. 1 BGB geltend machen. A schuldet nur Leistung Zug-um-Zug, § 322 Abs. 1
BGB analog.
Ergebnis
Folglich hat L gegen A einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises i.H.v. € 550,–
und Abnahme des Schrankes aus § 433 Abs. 2 BGB Zug-um-Zug gegen Übergabe des
Schrankes und Übertragung des Eigentumes.
IV. Ansprüche des L gegen K auf Zahlung von € 550,– und Abnahme des Schrankes
aus § 179 Abs. 1 BGB
Nachdem K als Vertreter des A mit Vertretungsmacht gehandelt hat, kommt ein
Anspruch des L gegen K aus § 179 Abs. 1 BGB nicht in Betracht.8
L hat keinen Anspruch gegen K auf Zahlung des Kaufpreises i.H.v. € 550,– und Ab-
nahme des Schrankes aus § 179 Abs. 1 BGB.
B. Frage 29
I. Anspruch des L gegen A auf Zahlung von € 550,– und Abnahme des Schrankes
aus § 433 Abs. 2 BGB
L könnte gegen A einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises i.H.v. € 550,– und
Abnahme des Schrankes gem. § 433 Abs. 2 BGB haben.
Anspruch entstanden
Der Fall ist zunächst wie soeben 10 zu lösen. Die Vollmacht ist durch Widerruf erlo-
schen, es könnte wieder Rechtsscheinwirkung nach § 172 BGB gelten.
a) Vertretungsmacht gem. §§ 171 Abs. 1, 172 BGB
K könnte jedoch trotz Erlöschens der Innenvollmacht weiter gem. § 172 i.V.m.
§ 171 Abs. 1 Alt. 1 BGB zur Vertretung befugt sein.
Hierzu müsste A dem K eine Vollmachtsurkunde ausgehändigt haben. Eine Voll-
machtsurkunde ist eine schriftliche Erklärung des Vollmachtgebers, dass er dem in
der Urkunde Bezeichneten Vollmacht erteile oder erteilt habe. Eine Aushändigung
setzt voraus, dass der Aussteller die Vollmachtsurkunde bewusst in den Rechtsver-
kehr gebracht hat.
8 A.A. auf Grundlage der im obigen Exkurs behandelten Mindermeinung vertretbar.
9 Nach BGHZ 65, 13.
10 Siehe Frage 1 A.III.1. bis einschließlich A.III.1.c)(4).
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K hat die von A zunächst ausgehändigte Vollmachtsurkunde jedoch bereits zurück-
gegeben. Damit ist die Vertretungsmacht gem. § 172 Abs. 2 Alt. 1 BGB erloschen.
Er hat diese zwar daraufhin wieder an sich gebracht. Indes ist sie nun nicht mehr
willentlich von A in den Verkehr gebracht und damit nicht „ausgehändigt“ i.S.v.
§ 172 Abs. 1 BGB.
Folglich ist K nicht gem. § 172 i.V.m. § 171 Abs. 1 Alt. 1 BGB zur Vertretung befugt.
b) Vertretungsbefugnis gem. §§ 171 Abs. 1, 172 BGB analog
Fraglich ist jedoch, ob die Vorschriften der §§ 171 Abs. 1, 172 BGB vorliegend ana-
log angewandt werden können. Hierbei könnte an eine Parallele zur abhanden ge-
kommenen Willenserklärung zu denken sein.
Folgt man dabei der Auffassung, welche für diese Fälle eine Parallele zum fehlen-
den Erklärungsbewusstsein zieht, dann ließe sich argumentieren, dass der Vertre-
tene mit der Urkunde einen Rechtsscheintatbestand geschaffen habe. Daher be-
dürfe es eines Schutzes gutgläubiger Dritter im Rechtsverkehr, die auf die Wirk-
samkeit der Bevollmächtigung vertrauen. Dieser Schutz kann jedoch nicht einseitig
zu Lasten des Vertretenen gehen. Erforderlich ist vielmehr, dass der Vertretene
sich die Schaffung des Rechtsscheins zurechnen lassen muss. Es käme dann darauf
an, ob der Vertretene durch Mängel in seinem Organisationsbereich die Entwen-
dung der Urkunde „fahrlässig“ ermöglicht hat.
Gegen eine Ausweitung der Haftung sprechen jedoch gute Gründe. Zum einen er-
fordert § 172 Abs. 1 BGB, dass die Urkunde willentlich in den Besitz des Vertreters
gelangt ist.11 Auch diese ist eine Willenserklärung, die abgegeben werden muss .
Eine Regelungslücke erscheint daher zweifelhaft. Die Zurückdrängung des Ver-
kehrsschutzes steht im Einklang mit der Ansicht, dass auch bei abhanden gekom-
menen Willenserklärungen diese noch nicht als existent angesehen werden kön-
nen, weil der Handlungswille hinsichtlich der Abgabe (Abgabewille) fehle. Zudem
stellt der in § 935 BGB zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanke klar, dass derje-
nige, dem etwas durch verbotene Eigenmacht entzogen wird , auch gegenüber ei-
nem gutgläubigen Dritten schützenswerter ist als dieser. Diese Lösung trägt der
autonomen Selbstbestimmung im Rechtsverkehr (Privatautonomie) Rechnung, die
nur ausnahmsweise eingeschränkt werden darf.
Schließlich ist der Vertragspartner auch nicht schutzlos gestellt. Er kann immerhin
den Vertrauensschaden gegenüber dem Vertretenen geltend machen, wenn vor-
vertragliche Sorgfaltspflichten verletzt worden sind (§ § 241 Abs. 2, 311 Abs. 2, 280
Abs. 1 BGB). Zum Teil wird auch eine analoge Anwendung von § 122 BGB vertreten.
Eine analoge Anwendung der §§ 171 Abs. 1, 172 BGB ist daher mangels Regelungs-
lücke abzulehnen.
c) Zwischenergebnis
Folglich handelte K nicht mit Vertretungsmacht und sein Handeln ist dem A auch
nicht nach Rechtsscheingrundsätzen zurechenbar.
Eine Duldungs- oder Anscheinsvollmacht kommt hier nicht in Betracht.
11 Vgl. auch den Umkehrschluss aus § 794 Abs. 1 BGB.
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Der Vertrag ist folglich schwebend unwirksam. Seine Wirksamkeit hängt somit von
der Genehmigung durch A ab, §§ 177 Abs. 1, 184 Abs. 1 BGB. A steht somit ein
Wahlrecht zu.
Ergebnis
Folglich besteht derzeit kein wirksamer Anspruch des L gegen A auf Zahlung des
Kaufpreises i.H.v. € 550,– und Abnahme des Schrankes aus § 433 Abs. 2 BGB.
II. Ansprüche des L gegen K
Bei Genehmigung des Vertrages durch A
Sollte A den Vertrag genehmigen, wirkt die Willenserklärung des K und die des L
unmittelbar für und gegen A. Eine kaufvertragliche Verpflichtung entsteht somit
nur zwischen A und L, womit im Umkehrschluss aus § 164 Abs. 1 S. 1 BGB eine Ver-
pflichtung des K ausgeschlossen ist.
Bei Verweigerung der Genehmigung des Vertrages durch A
Genehmigt A den Vertrag hingegen nicht, so hat L gegen K als falsus procurator die
Ansprüche aus § 179 BGB.
Gem. § 179 Abs. 1 BGB haftet in diesem Fall der falsus procurator dem anderen Teil
grundsätzlich nach dessen Wahl auf Erfüllung (Zug um Zug gegen Übergabe und
Übereignung des Schranks) oder Schadensersatz. Im Umkehrschluss zu § 179 Abs. 2
BGB – welcher die Haftung auf das negative Interesse beschränkt – schuldet der
falsus procurator nach Abs. 1 BGB das positive Interesse.
K kannte den Mangel seiner Vertretungsmacht positiv und haftet folglich nach
§ 179 Abs. 1 BGB. Nachdem L den Mangel der Vertretungsmacht nicht kannte und
auch nicht kennen musste,12 kommt ein Haftungsausschluss nach § 179 Abs. 3 S. 1
BGB nicht in Betracht.13
L steht damit nach seiner Wahl ein Anspruch auf Erfüllung oder Schadensersatz auf
das positive Interesse zu.
Bei Wahl des Schadensersatzes ist L gem. § 249 Abs. 1 BGB von K durch Geldleis-
tung so zu stellen, als hätte A ordnungsgemäß erfüllt. Der Schaden ist nach der
Differenzhypothese zu berechnen. Ein Vermögensschaden ist gegeben, wenn der
tatsächliche Wert des Vermögens des L geringer ist als der Wert, den das Vermögen
ohne das die Ersatzpflicht begründende Ereignis haben würde. 14 Demnach beträgt
der Schaden € 50,–.
12 S.o. A.III.1.c)bb)(5).
13 Eine Prüfung von § 179 Abs. 3 S. 2 BGB wäre abwegig.
14 Palandt/Grüneberg, 76. Aufl. 2017, Vor § 249 BGB Rn. 10.