Freitag Magazin 2 3 Unterwegs in eine archaische Kultur ... · MAROKKO Paradiesische Gärten,...

Post on 17-Jul-2020

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MAROKKO ParadiesischeGärten, archaische Felstürme,tiefe Schluchten und biblischeSzenerien: Wer im Hohen Atlaswandert, fühlt sich in eine an-dere Zeitrechnung versetzt.Ein Trekking mit einheimi-schem Guide, Koch und Maul-tieren feiert die Langsamkeit,den Luxus des einfachen Le-bens und die Kultur der Berber.

Der Anfang war ein Schock. Übereinen Hang gelangen wir in daserste Dorf. Eine Frau auf einemEsel kommt uns entgegen. Siezieht das Kopftuch übers Gesichtund wendet den Blick ab. Späterbeobachten uns aus sicherer Dis-tanz neugierige Kinderaugen. Alswir zu nahe kommen, rennt einkleines Mädchen weinend davon.Die Leute seien «timide», sagtunser Guide, scheu, sie kennenkeine Touristen. Wir jedoch füh-len uns verunsichert: Was suchenwir hier eigentlich?

Durch einen Torbogen ausLehm treten wir auf eine erdigeDachterrasse. Dort hantieren derKoch und die vier Maultierfüh-rer, die uns die kommende Zeitbegleiten werden. Und auf einemgrossen roten Teppich stehtschon das Silbertablett mit derTeekanne und den typischenkleinen Gläsern bereit: «Whiskymarocain», Grüntee, mit Zuckerund Minze aufgekocht, der klas-sische Apéro in dem muslimi-schen Land. Der Einfachheit hal-ber bekommen wir alle gleicheinen marokkanischen Namenverpasst: Hasna, Touda, Rakiaund Doud. Willkommen auf demTrekking, das uns in den kom-menden zwölf Tagen von denfruchtbaren Tälern des Nordensüber die wuchtigen Flanken dermächtigsten Berge im Hohen At-las in die wüstenartigen Täler vonMarokkos Süden führen wird.Und in eine archaische Kultur.

Mit Lehm und Strohverputzte HäuserDie zeigt sich gleich, als wir unse-re erste Bleibe erkunden. Es istdas Haus, in dem unser Guideaufgewachsen ist. Heute wohntdie Familie seines Onkels darin.Und wie alle Häuser hier sind sieaus der Erde vor Ort gebaut. Diebesseren Zimmer sind mit Lehmund Stroh verputzt, in Pastellfar-ben bemalt und mit Teppichenausgelegt. Ein solches räumt dieFamilie im unteren Stock für unsfrei – gleich neben dem Raum fürdie Schafe. Das Klo liegt einenStock tiefer, und als wir es benut-zen, sehen wir kurz darauf einRinnsal in den Innenhof sickern— dort wo auch Kuh und Ziegenangebunden sind. FliessendesWasser? Fehlanzeige. Es ist unse-re Feuertaufe. Auch wenn Du-schen und WCs auf dem ganzenTrekking abenteuerlich bleibenwerden, kann uns danach kaummehr etwas erschüttern.

Waren wir anfangs noch daraufaus, den mit 4068 Metern höchs-

ten Berg im östlichen Atlas, denIghil M’Goun, zu besteigen, mer-ken wir bald: Das wirklich Aufre-gende hier ist die Kultur und derSchlüssel zu ihr, unser einheimi-scher Guide Momo mit seinemTeam. «So etwas werden wir niewieder erleben», sagt Hasna vol-ler Enthusiasmus. Momo scherztmit den Kindern, die uns unter-wegs nach Bonbons fragen unddabei vor allem Kontakt suchen.Er zeigt uns, wie die Lehmhäuser

gebaut werden und wie die Dör-fer organisiert sind. Er übersetztdie Berberlieder, die unsere Maul-tiertreiber an manchen Abendensingen. Und wenn wir zum Teeeingeladen werden, gehen wir je-des Mal begeistert mit: zu den Ver-wandten unseres Guides oder derMaultiertreiber, zur Nomadin, dieuns Medikamente zeigt und wis-sen will, wie man sie braucht, zujener anderen, der wir eine Mu-schel abkaufen und die uns zumDank in die Rauchküche ihrerwinzigen Lehmbehausung lädt,wo wir in einem Bündel am Bodenplötzlich ein Baby entdecken.Oder zu jenem älteren Herrn, derfrüher selber als Maultiertreiberunterwegs war und mit uns übermögliche Heiratsvarianten wit-

zelt, in die seine Frau munter ein-stimmt, als sie von der Arbeit aufdem Feld kommt.

Vogelgezwitscherund zirpende GrillenDie Feldarbeit, sie ist die Lebens-grundlage der Berber, die in denabgelegenen Tälern des HohenAtlas leben. Und so laufen wirschon am zweiten Tag durchüberraschend saftiges Grün. Einkunstvolles Netz von Bewässe-rungsgräben, den Suonen ähn-lich, durchzieht den Talbodenund verwandelt ihn mit Obst-und Nussbäumen, leuchtendenIris, Gerste und Weizen in einenParadiesgarten mit Vogelgezwit-scher und zirpenden Grillen:«Vallées heureuses» haben dieFranzosen die Täler von Ait Bou-guemez genannt. Immer wiedersehen wir Männer von Hand mitdem Spaten die Gräben aushebenoder auf dürren Eseln Warentransportieren, Frauen, wie siemit Sicheln die Ähren schneiden,Gras oder Brennholz in grossenBündeln auf dem Rücken nachHause schleppen oder im Flussdie schweren Teppiche sauberklopfen. Die Leute leben vor allemvon der Selbstversorgung, einenZusatzverdienst bietet der Trek-kingtourismus mit Arbeitsmög-lichkeiten sowie Übernachtungenund Einkäufen vor Ort. Auch un-ser Koch und die Maultiertreiberstammen aus diesen Tälern, undam sechsten Tag laufen wir amHauptort Tabant vorbei. Dortwurde vor rund dreissig Jahrendie Schule der «Métiers de la mon-tagne» eröffnet, an der unser Gui-de seine Ausbildung gemacht hat.

Unterwegs in eine archaische Kultur

TIPPS UND INFOS

Route: Von Sremt (in der Nähevon Azilal) durch die Täler von AitBouguemez auf das Plateau vonTarkeddite und auf den Gipfel desIghil M’Goun (4068 m). Abstiegins Oulilimte-Tal und durch dieM’Goun-Schlucht (30 km). Anrei-se von Marrakesch und Rückreiseüber Ouarzazate und den PassTizi n’Tichka im Auto.Anforderungen: Kondition für6–7-stündige Tagesetappen mitleichtem Tagesrucksack. Zumeisteinfache, flache Wege, einzelneBergetappen verlangen Trittsi-cherheit und Schwindelfreiheit.

Unterkunft: In Gîtes d’Etapes, beiEinheimischen und im Zelt. Voll-pension mit marokkanischer Kü-che. Das Gepäck wird von Maul-tieren getragen.Reisezeit: Mai bis Oktober.Karte: Kultur-Trekking im zentra-len Hohen Atlas, Herbert Popp(Hrsg.), Universität Bayreuth.Kultur: Marokko ist ein muslimi-sches Land; respektvolle Klei-dung und Zurückhaltung beimFotografieren, insbesondere vonFrauen, sind angebracht. Alko-holhaltige Getränke gibt es nur ingrossen Städten für Touristen.

Kosten: 14 Tage Trekking und 4Tage Marrakesch mit Übernach-tung im Riad ab CHF 1200 (bei 8Personen, ohne Flug). Hinzukommen ca. 10% Trinkgeld fürGuide, Koch und Maultiertreiber.Reiseagentur: Trek BerbèreAventure. Einheimische Agentur.Inhaber Mohamed Majghij istBiologe und lizenzierter Guide, erspricht Französisch sowie etwasEnglisch und Deutsch. Auf Anfra-ge ist eine deutschsprachige Rei-sebegleitung möglich. ass

www. trekberbereaventure.com

Mit Maultieren, Koch und Guide im zentralen Hohen Atlas

Erfrischend: Die letzten Kilometergeht es durch eine Schlucht.

Gastlich: Thé à la menthe gibt esbei jeder Gelegenheit.

Rundum versorgt: Die Maultiere transportieren das ganze Gepäck, die mobile Küche und die Zelte. Bilder Anne-Sophie Scholl

Am Horizont throntder Ighil M’Goun,der mit seinem Gip-felgrat in der Land-schaft liegt wie einversteinertes Reptil.

Dann wird es ernst. Wir verlas-sen den Talboden, und von da anspielt die Hauptrolle nur noch dieNatur. Gewaltige Schluchten,wuchtig gefaltete Felsbänder,Felstürme und grandios geschich-tete Platten, von der Erosion aus-gespülte Hänge und leuchtendeFarben von Rot über Violett,Ocker, Schwarz und Grün: ein ein-ziger monumentaler Kraftort, derdie Macht vom Aufprall der Kon-tinentalplatten in sich trägt. AmHorizont thront die Bergkettedes Ighil M’Goun, der mit seinemfast zehn Kilometer langen Gip-felgrat in der Landschaft liegt wieein versteinertes Reptil.

Knietief im Wasserder M’Goun-SchluchtFür den letzten Aufstieg brechenwir um fünf Uhr morgens inknapp 3000 Meter Höhe auf. Wirwollen den Gipfel erreichen, be-vor die thermischen Winde überdem Grat allenfalls Gewitterwol-ken losbrechen lassen: DerM’Goun ist Klimascheide. Undals wir zuoberst auf dem mächti-gen Massiv stehen, sehen wirdeutlich, wie sich der grüne Nor-den von dem ausgetrocknetenSüden abhebt. Für uns ist Halb-zeit. Die kommenden sechs Tagewerden wir dem Fluss folgen, derdem M’Goun entspringt. Entlangdieser Lebensader im kargenGestein werden wir an weiterenBerberdörfern vorbeiwandern —die letzten drei Tage knietief imWasser zwischen den rot leuch-tenden Felsen einer Schlucht, diesich über 30 Kilometer bis an denRand der Halbwüste zieht.

Anne-Sophie Scholl

WANDERN

Mit den Säumernüber den RawilMit Wein und Salz bepackt, ziehteine Maultierkolonne vom Wallisher über den Rawilpass an dieLenk, in umgekehrter Richtungwerden Käselaibe und ganzeViehherden nach Italien ge-bracht: Das war bis ins 18. Jahr-hundert zu beobachten, als derRawil, vor dem Ausbau der Stras-sen, der wichtigste Handels- undTransportweg zwischen demSimmental und dem Wallis war.Und das soll jetzt wieder aufle-ben: Eine Gruppe von Maultier-haltern, Gastronomen und Wein-bauern wird von den Weinbergenim Wallis aufbrechen, mit Weinin originalen Fässern. Zwischendem 11. und dem 17. August kön-nen Wanderer sich der Säumer-kolonne anschliessen. Auskünfteerteilt Hans Neuenschwander(079 432 98 51, hans.neuen-schwander@bluewin.ch). pd

ANREISEN

Mit dem ÖV zumFlughafen Zürich43 Prozent der Passagiere, Be-sucher und Angestellten reisenmit öffentlichen Verkehrsmit-teln (ÖV) an den Flughafen Zü-rich-Kloten. Dies zeigt die dieseWoche veröffentlichte neuesteErhebung des sogenannten Mo-dalsplits am Zürcher Flughafen.Der Modalsplit bezeichnet denrelativen Anteil des öffentlichenVerkehrs am gesamten Verkehrs-aufkommen aller Flughafenbe-nutzer. Er muss von der Flug-hafenbetreiberin alle vier Jahremittels Befragung erhoben wer-den. Gegenüber der letzten Er-hebung im Jahr 2009 ist derAnteil von 40 auf 43 Prozentgestiegen. sda

FLIEGEN

Cathay Pacificist SpitzeHongkongs Fluggesellschaft Ca-thay Pacific ist 2014 die besteAirline der Welt. Das meint einegrosse Zahl der fast 19 MillionenPassagiere, die in einer Umfrageabgestimmt haben, auf der diebekannteste Auszeichnung inder Luftfahrtbranche, die «Sky-trax World Airline Awards», ba-siert. Dahinter belegen die Air-lines aus arabischen Golfstaatendie Plätze 2 (Qatar Airways), 4(Emirates) und 9 (Etihad Air-ways). Und auf Platz 5 sind Tur-kish Airlines vorgestossen. Dassind alles harte Konkurrentender Lufthansa, die nur auf Platz10 landete. Aber immerhin, dennin den vergangenen Jahren fi-gurierte Lufthansa nicht unterden Top Ten. Und welches ist diebeste Fluggesellschaft in Euro-pa? Turkish Airlines. mhg

STREIKEN

Abfallkriseauf DjerbaDie tunesische FerieninselDjerba hat ein Abfallproblem.Einwohner haben zu Protestengegen die «katastrophale Um-weltsituation» aufgerufen.Gewerkschafter, Hoteliers undandere Vertreter der Zivilgesell-schaft wollen die Behörden miteinem Generalstreik zum Han-deln zwingen. Der für diese Wo-che geplante Streik wurde nachGesprächen mit regionalen Re-gierungsvertretern auf den24. Juli vertagt. Zunächst sollnun eine Ministerdelegation ausder Hauptstadt Tunis auf die In-sel reisen, um über Lösungen desProblems zu beraten. Auf der In-sel häuft sich der Kehricht, weileine umstrittene Mülldeponiegeschlossen worden ist. sda

LastMinute

MagazinFreitag18. Juli 2014 23