Friedrich Nietzsche · 2018. 1. 26. · Gott ist tot! (FW, Aph. 125) Habt ihr nicht von jenem...

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Friedrich Nietzsche

Henning Hahn

Von Nietzsche zu Hitler?

Programm

• Leben• Werk

• Nietzsche als kritischer Philosoph• Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben

• Nietzsches Kritik der Wahrheit• Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn

• Nietzsches Kritik der Moral• Genealogische Methode & Umwertung der Werte• Der Wille zur Macht • Die Lehre vom Übermenschen

• Wirkung

I. Leben

• 1844-1901• 1858-1862 Schulpforta• 1869-1879 Professor für

klassische Philologie zu Basel

• 1879-1889 Freier Geist und Schriftsteller

• 1889-1901 Geisteskrankheit

Wofür ist Nietzsche bekannt?

II. Werk

• Wagnerianisch-Schopenhauerische Phase (1872-1876)• Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik

(1872)• Das Dionysische / das Appollinische

• Unzeitgemäße Betrachtungen (1874) • Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben

Werk II

• Freier Geist und Schriftsteller• Menschliches, Allzumenschliches (1878-80)• Die fröhliche Wissenschaft (1882)• Also sprach Zarathustra (1883-85)• Jenseits von Gut und Böse (1886)• Zur Genealogie der Moral (1887)

• Spätschriften• Götzendämmerung (1889)• Der Antichrist (1889)• Ecce Homo (1889)

Aphoristischer Stil

Der Aphorismus, die Sentenz, in denen ich als der Erste unter Deutschen Meister bin, sind die Formen der Ewigkeit.

Mein Ehrgeiz ist, in zehn Sätzen zu sagen, was jeder andre in einem Buche sagt, - was jeder andere in einem Buche nicht sagt.…

Gott ist tot! (FW, Aph. 125)

Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittag eine Laterne anzündete, auf

den Markt lief und unaufhörlich schrie: "Ich suche Gott! Ich suche Gott!" Da dort gerade viele von denen zusammenstanden,

welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein großes Gelächter.

Ist er denn verlorengegangen? sagte der eine. Hat er sich verlaufen wie ein Kind? sagte der andere. Ist er zu Schiff gegangen? ausgewandert?

- so schrien und lachten sie durcheinander.

Gott ist tot!

„Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet, – ihr und ich! Wir Alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen

Horizont wegzuwischen? Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne

losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir

uns? Fort von allen Sonnen?

Gott ist tot?

Stürzen wir nicht fortwährend? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts?Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht?Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet!Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?“[

Gott ist tot.

Ich komme zu früh, sagte er dann, ich bin noch nicht an der Zeit.

Dies ungeheure Ereignis ist noch unterwegs und wandert, – es ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen.

Ist nicht die Grösse dieser That zu gross für uns?Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur

ihrer würdig zu erscheinen?“[

II.I. Nietzsches kritische Philosophie

• Philosophie als Kritik• Cartesianischer (hyperbolischer) Zweifel• Kantische Selbstkritik der Vernunft• Nietzsche:

• Überwindung des Nihilismus• Amor fati• Werte setzen, Sinn schaffen, Übermensch werden

Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben

• Leben in seiner Geschichtlichkeit• Narrative Identität

• Plastische Kraft: • Fähigkeit, Vergangenes

umzubilden & einzuverleiben

Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben

• Monumentalische Historie:• Selbst-Heroisierung, Epigonentum & Zynismus

• Antiquatorische Historie:• Selbstbeweihräucherung, Konservativismus

• Kritische Historie:• Kriterium der Lebensdienlichkeit• Wissenschaft wendet sich gegen das Leben• Lebensbegriff

• Über sich hinauswachsende, Einverleibende, Wille zur Macht

II.II. Kritik an der Wahrheit

• Adaequationstheorie der Wahrheit• adaequatio rei et intellectus

• Kohärenztheorie• Übereinstimmung aller als gültig erachteten Sätze

• Nietzsches lebensphilosophische Wahrheitstheorie• Kriterium der Lebensdienlichkeit• Umwertung von Wahrheit und Lüge

Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne

In irgendeinem abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Tiere das Erkennenerfanden.

Es war die hochmütigste und verlogenste Minute der »Weltgeschichte«: aber doch nur eine Minute.

Nach wenigen Atemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und die klugen Tiere mussten sterben.

Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne

Was ist also Wahrheit?Ein bewegliches Heer von Metaphern,

Metonymien, Anthropomorphismenkurz eine Summe von menschlichen Relationen,

die nach langem Gebrauche einem Volke fest, canonisch und verbindlich dünken …

Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne

Was ist also Wahrheit?Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien,

Anthropomorphismenkurz eine Summe von menschlichen Relationen, die nach

langem Gebrauche einem Volke fest, canonisch und verbindlich dünken:

die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, dass sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlosgeworden sind."

Wahrheit und Lebensform

• Der vernünftige Stoiker: • kann Nöten aus Vorsorge, Klugheit, Regelmäßigkeit

begegnen• Meisterstück der Verstellung: er trägt eine Maske

mit würdigem Gleichmaße der Züge...• Der intuitive Künstler

• Überhöhung durch Schein und Schönheit• Extrem in Größe und Leid

(Alltags-)Moralkritik

• Moralismus• Moralische Einmischung ohne Zuständigkeit• Moralische Urteile in amoralischen Angelegenheiten

• Scheinheiligkeit• Vorgeschützte Moral (white washing)

• Moralische Arroganz/Selbstgerechtigkeit• Gefühl moralischer Superiorität

• Doppelmoral• Unterschiedliche moralische Regeln für „uns“ und „sie“.

Philosophische Moralkritik

• Konventionalismus:• „Vordrängeln ist unmoralisch, weil alle meinen, dass Vordrängeln

unmoralisch ist.“• „„Vordrängeln ist unmoralisch“ ist richtig, weil es sich um eine

unberechtigte Vorteilsnahme handelt, und alle meinen, dass unberechtigte Vorteilsnahmen falsch sind.“

• Wahrheitsfähigkeit• Moralische Urteile sind keine wahrheitsfähigen Aussagen

• Machtkritik:• Vorherrschende moralische Werte dienen der Festigung von

Machtinteressen.

Kritik an der Moralphilosophie

l Machtkritik:l Moral ist die nachträgliche Weihe durchgesetzter Werte.

l Die Frage nach dem Wert der Morall Wie und wozu haben sich soziale moralische Codes

entwickelt?l Wem nützt die Einteilung in Gut und Böse?

l Das Problem der Morall Moral soll dem Leben dienen, aber sie unterdrückt,

maßregelt und beschränkt es.l Selbstkasteiung, Selbstkontrolle, Selbstbeherrschung

Genealogie der Moral

l Keine Fortschrittserzählungl Ausweitung altruistischer Einstellungen als „falsche

Genealogie“

l Methodel Die Entstehung der Werte philologisch rekonstruieren. (Wem

nützt diese Moral?)

l Kritikl Maßstab: lebensdienliche Funktion der Moral l Vorherrschende Moral ist ein „Rückgangssymptom, Gift,

Narkotikum“l Den Glauben an die Autorität der Moral erschüttern

Herrenmoral

l Moral der 'Aristoi'l „gut“ und „schlecht“l gut= Eigenschaft vornehmer und mächtiger

Menschen („die Guten“ vs. „die Schlichten“)l Tugend (arete): Habitus der Aristoil Herrscher

– verfügen über die (Sprach-)Gewalt, Werte zu setzen

– Der Souverän ist jenseits von gut und böse

Sklavenaufstand

l „Gut“ und „Böse“:

– geboren aus dem Ressentiment der Schwachengegen die Starken (=Bösen)

– Verkehrung der Werte: „Böse“ ist das

Unachtsame, Eigennützige, Gewalttätige, Für-sich-

Leben, Mehr-haben-wollen

l „Gut“ ist ...

– Bedürfnisbefriedigung (Nützlichkeit),

– Gemeinheit (Gleichheit)

– keinen Herrn haben (Freiheit)

– Ideal der Askese (Genügsamkeit)

Moral der Selbstgesetzgebung

Die Illusion der Verantwortung:l „Ein Tier wird herangezüchtet, das Versprechen

darf“ (=das bestraft werden darf)Der Mensch...

• wird durch restriktive Moral (Gewissen) einförmig und berechenbar.

• wird souveränes Individuum, das Herrschaft über sich selbst ausübt.

• erhebt sich über die, die sich nicht maßregeln lassen und bestraft ihre „Willensschwäche“ (Gerechtigkeit)

Jenseits der Moral: Der Wille zur Macht

l Christliche Moral:l der Selbstreglementierung- und –kasteiungl lebensfeindliche Askese

l Das Lebenl will ausbrechen, sich fortpflanzen und entfalten,

beherrschen und unterwerfen.l Leben ist Wille zur Macht

l Wir brauchen eine Moral jenseits von Gute und Böse

Rezeption

• Von N zu H?• Tornister-Zarathustra• Mussolini• Nietzsche-Archiv

• Poststrukturalismus• Delleuze/Derrida/Foucault• Dekonstruktion diskursiver

Machtformationen